Falsche Verlobung – echte Gefühle? - Joanne Rock - E-Book

Falsche Verlobung – echte Gefühle? E-Book

Joanne Rock

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Beschreibung

Glück im Unglück für Jessica! Ausgerechnet dem erfolgreichen CEO Oliver Price schüttet sie beim Kellnern ein Glas Champagner über das teure Hemd. Statt wütend zu werden, überrascht Oliver sie jedoch mit einem verlockenden Angebot: Er löst ihre finanziellen Probleme, wenn sie für eine Weile seine Verlobte spielt! Dankbar lässt Jessica sich auf den Deal ein, doch nach den ersten heißen Küssen stellt sie fest, dass diese vorgetäuschte Verlobung eine echte Gefahr für ihr Herz darstellt …

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Seitenzahl: 202

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IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2023 by Harlequin Enterprises ULC Originaltitel: „Make Believe Match“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe 2023 in der Reihe BACCARA, Band 2314 Übersetzung: Jana Wahrendorff

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751515856

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Die meiste Zeit arbeitete Jessica Lewis wirklich gern im Catering. Auch wenn sie auf diesen aufregenden Partys immer nur kellnerte, statt zu feiern. Aber immerhin erlebte sie auf diese Weise die tolle Stimmung bei den Events in ihrer Heimatstadt Royal, Texas. Und bekam, wenn auch immer nur kurz, Einblick in das Leben der Reichen und Schönen. Sie servierte Frauen Drinks, deren Kleider man sonst nur in Fashion-Magazinen oder auf Laufstegen sah. Dabei stellte sie sich gerne vor, wie sie selbst an einem exklusiven Cocktail nippte und den Sonnenaufgang beobachtete, während ihr ein seidenes Kleid um die Beine flatterte.

Vielleicht hatte sie einfach nur eine blühende Fantasie. Aber wer konnte es ihr verübeln, dass sie sich ein besseres Leben vorstellte, während sie hart schuftete?

Heute Abend war ihre Stimmung allerdings nicht so entspannt wie sonst. Seit Jessica auf dem Nachttisch ihrer Mutter den Brief von der Bank gefunden hatte, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen.

„Deine Bestellung ist fertig, Jess.“ Eine ihrer Kolleginnen stieß ihr den Ellbogen in die Seite, damit sie zum Ende der Bar sah.

Die Feier fand in einer exklusiven Golfanlage statt, in der selbst die Abschlagbuchten klimatisiert waren. Royals berühmte Familie, die Nobles, hatte die private Luxus-Suite und die angrenzende überdachte Terrasse gemietet. Der Familienclan scheute keine Kosten, um sich auf die Vermählung seines Sohnes, des Bestsellerautors Xavier Noble, mit Ariana Ramos, einer erfolgreichen Schauspielerin und Produzentin mit eigener Lifestyle-Marke, einzustimmen. Weder Xavier noch Ariana waren heute anwesend, denn das Paar lebte in Los Angeles. Doch das hielt die Noble-Familie nicht davon ab, schon im Vorfeld der Hochzeit in ganz Royal Partys zu veranstalten.

Jessica verfolgte gerne die lokalen Prominews. Sie hatte sich sogar darauf gefreut, an diesem Abend zu arbeiten, um endlich die Menschen zu sehen, von denen sie in den Klatschspalten las. Aber die Wahrheit über die finanzielle Lage ihrer Eltern hatte sie so aus der Bahn geworfen, dass sie keinen Funken Interesse für die überprivilegierte Menge aufbrachte, die sich um die Bar tummelte oder sich mit den Golfschlägern abwechselte.

Sie reckte das Gesicht nach oben zur Klimaanlage und hoffte, die kühle Luft würde den Schweiß auf ihrem Rücken trocknen. Der rührte allerdings eher von ihrem eigenen Stress als von den vielen Menschen im Raum.

„Stimmt, danke“, murmelte sie ihrer Kollegin zu und schielte zu dem Tablett mit den fünf Drinks. „Ich kümmere mich sofort drum.“

Der andere Kellner, ein riesiger Kerl namens Matt, der, wenn nötig, auch als Rausschmeißer arbeitete, sah sie jetzt stirnrunzelnd an. „Alles okay?“

Sie packte ihr leeres Tablett fester und hatte wieder die vielen Nullen der Abschlussrate auf dem Schuldschein ihrer Eltern vor Augen, die schon in zwei Monaten fällig war.

Sie war so weit von „okay“ entfernt, dass sie fast lachen musste. Vor allem beim Gedanken, dass ihre Eltern vor fünf Jahren das Haus refinanziert hatten, um ihr bei den College-Gebühren zu helfen. Warum hatten sie ihr nicht gesagt, dass es sie eine verboten hohe Summe kostete, ihr so großzügig unter die Arme zu greifen? Sie war so stolz gewesen, dass sie mit dem Catering-Job ihr Studium in Musiktherapie allein finanzierte. Doch jetzt wünschte sie, sie hätte jeden Cent auf die Schuldentilgung ihrer Eltern verwendet.

Wie sollte sie ihr Studium fortsetzen, wenn ihre Eltern sich dafür bis zum Hals verschuldet hatten? Ihr wurde ganz schlecht, als sie sich vorstellte, alles aufzugeben, wofür sie so hart gearbeitet hatte. Aber der Gedanke, ihre eigenen Träume zu verfolgen, während ihre Eltern ihr Zuhause verloren, war noch viel, viel schmerzhafter.

„Alles gut“, sagte sie fröhlich und vergaß für einen Moment beinahe, was sie hier tat, als eine Gruppe Männer in teuren Golfhosen und Polohemden über einen Abschlag jubelten. „Warum fragst du?“

Etwa die Hälfte der Gäste trug Golf-Outfits, der Rest hatte sich in Anzüge oder leichte Abendkleider geworfen. Die Feier war lässig und elegant zugleich, es gab Horsd’œuvres vom Chefkoch und Musik von einem angesagten DJ.

Matt nahm sein eigenes volles Tablett von der Bar und balancierte es über der breiten Schulter. Ein weißes Handtuch baumelte ihm am Arm. „Weil du das vorhin schon mal meintest, als ich dir gesagt hab, dass die Drinks fertig sind. Und das war vor zehn Minuten.“

„Mist. Danke, Matt.“ Jessica lief um ihren Kollegen herum zur Bar und versuchte, sich zu erinnern, wer diese Drinks bestellt hatte. „Ich muss mich ranhalten.“

Sie konnte es sich nicht leisten, diesen Job zu riskieren. Jetzt brauchte sie das Geld noch dringender als sonst.

Irgendjemand schaufelte Crash-Eis in Gläser, ein Korken ploppte aus einer Champagnerflasche, und das Geräusch des Blenders vermischte sich mit dem Lachen der Gäste und der Partymusik. Jessica konzentrierte sich und nahm das volle Tablett von der Bar.

Wohin gehörten diese Drinks? Einer war irgendwas Seltsames mit Kräutern. Ein Kurkuma-Gin Sour. Als ihr das einfiel, wusste sie auch wieder, welchen Tisch sie vernachlässigt hatte. Schnell setzte sie ihr schönstes Lächeln auf und servierte vier der fünf Drinks, alle in derselben Runde. Keiner der Männer hatte ihre Verspätung bemerkt, denn sie waren in eine lebhafte Diskussion über die Rangliste der Golfer vertieft, die auf dem riesigen HD-Fernseher über der Terrasse ausgestrahlt wurde. Sie drehte der Gruppe den Rücken zu und wand sich durch die Menge. Wer hatte den letzten Drink bestellt?

Ein einzelnes Glas Champagner.

Sie sah sich zwischen den Gästen in ihrem Servierbereich um und lief dann zurück zur Bar im unteren Stockwerk.

Und direkt in eine Wand.

„Uff.“ Der unelegante Laut entfuhr ihr, als Luft aus ihren Lungen entwich.

Hastig streckte sie die Hand aus, um das Tablett zu stabilisieren, doch für das Champagnerglas war es schon zu spät. Es stürzte hinab und … in eine unbekannte Hand.

Denn natürlich war die Wand, in die sie gerannt war, ein Partygast.

Ein sehr männlicher, sehr gut gebauter Partygast. In einem schwarzen Seidenanzug, der sicher mehr kostete als ihr Auto.

Und bei ihrem Glück heute war dieser unbezahlbare Anzug jetzt in Champagner getränkt. Während Panik sie überrollte, musterte sie auch den Rest des Gastes. Seine braunen Haare, die er sich aus der Stirn gekämmt hatte, die grünen Augen, die Stoppeln am Kinn. Egal wo sie hinsah, er sah gut aus. Umwerfend sogar, mit diesem Anflug von Schalk im Blick und dem Lächeln, das seine Lippen umspielte, während er den Schaden begutachtete.

Und eventuell auch ihre Brüste.

Aber sie klebte auch immer noch an ihm.

„Es tut mir so leid“, platzte es aus ihr heraus. Mit hochrotem Kopf stolperte sie zurück. Die Augen aller Anwesenden waren auf sie gerichtet. „Ich habe Servietten.“

Schnell lehnte sie das Tablett gegen das Geländer, das die Terrasse umlief, und holte eine Handvoll Cocktailservietten aus ihrer schwarzen Schürze. Die anderen Gäste verloren das Interesse an ihrem Zusammenstoß und wandten sich wieder ihren eigenen Belangen zu.

„Nicht nötig“, sagte er mit einer weichen Baritonstimme – vielleicht sogar Bassbariton –, die sie innehalten ließ, bevor sie seinen Brustkorb berühren konnte. „Ich schaffe das schon.“

Dieses Timbre.

Ihr Musikerinnenherz schlug höher bei dem üppig-samtigen Klang, dem Gewicht seiner Stimme, das ihre flatterige Panik einfach so besänftigte.

„Nein, lassen Sie mich helfen“, beharrte sie. Immerhin war es ihre Schuld. Sie war schon abgelenkt, seit sie hier angekommen war. „Bei so einem Fleck kann direktes Handeln darüber entscheiden, ob das Kleidungsstück zu retten ist oder nicht.“

„Dann handle ich wohl am besten sofort.“ Erstaunlicherweise lächelte er sie an, als er das leere Champagnerglas auf einen Tisch neben sich stellte. Dann zog er ein Stofftaschentuch aus seiner Sakkotasche, als wäre er der Held in einem Regency-Roman.

Wer hatte denn heute noch Stofftaschentücher dabei?

Offensichtlich dieser extrem attraktive Mann mit der Bassbaritonstimme, die ihre Libido Salti schlagen ließ.

„Das ist eine viel bessere Idee.“ Sie steckte ihre Papierservietten wieder in die Schürze und nahm ihm das Taschentuch ab, um das Desaster zu reinigen. „Das hier löst sich wenigstens nicht auf, wenn es feucht wird.“

Sie hielt den Stoff am Revers fest und tupfte den Anzug vorsichtig ab. Selbst durch das graue Hemd hindurch spürte sie die Wärme, die er ausstrahlte.

Die ganze Zeit über schienen ihre Worte in der Luft zwischen ihnen zu schweben, gaben der Bedeutung von „feucht“ einen neuen, interessanten Sinn. Machten ihr nur allzu bewusst, dass sie ihn berührte. Ließen ihre Haut erglühen.

Plötzlich verlegen, hielt sie inne.

Vielleicht spürte er das, denn er nahm ihr sanft das Taschentuch ab. „Zu schnell auflösen wollen wir uns natürlich nicht.“

Jessica machte einen Schritt zurück und verschränkte die Arme. Ihr ganzer Körper reagierte auf diesen Mann, und zwar nicht nur auf diese heiße Sexstimme.

„Machen Sie sich über mich lustig?“ Sie konnte seine Miene nicht lesen. Auch nicht dieses verschmitzte Grinsen, das er immer noch auf den Lippen hatte.

„Ganz und gar nicht.“ Er wischte noch zweimal über den Stoff, dann steckte er das Taschentuch wieder ein und sah überhaupt nicht mitgenommen aus. „Ich muss nur lachen, weil der unterhaltsamste Part meines Abends sich um eine Frau dreht, die vermutlich viel zu beschäftigt ist, um einen Entschuldigungsdrink von mir zu akzeptieren.“

Er musterte ihre Kellnerinnen-Uniform – eine weiße Bluse mit einer dämlichen schwarzen Fliege, dazu ein schwarzer Rock. Sein Blick hinterließ auf jeder Stelle ihres Körpers ein Kribbeln.

„Sie wollen sich entschuldigen?“ Dachte er wirklich, es sei seine Schuld, oder wollte er nur höflich sein? Und warum fand er ihren Zusammenstoß „unterhaltsam“? Irgendwie faszinierte er sie. „Ich sollte Ihnen einen Entschuldigungsdrink ausgeben, immerhin habe ich Sie wie eine Abrissbirne fast niedergestreckt.“

„Das war das also?“ Er zog eine Braue hoch und verlagerte das Gewicht auf einen Fuß. „Dann hab ich wohl Glück, dass ich noch aufrecht stehe.“

Mit der Hand rieb er sich über den Oberkörper, genau da, wo sie in ihn gestoßen war. Erinnerte sein Körper sich auch so genau an ihren wie ihrer an seinen?

Einen Herzschlag lang standen sie einfach da. Lächelten. Teilten diesen unerwarteten Moment miteinander.

Ein Schrei des Barkeepers unten riss sie aus der Starre.

„Ich sollte gehen.“ Sie hob das Tablett vom Boden auf und klemmte es sich unter den Arm. „Ich entschuldige mich noch mal, Mr …“

„Oliver Price. Nur Oliver für Sie, Ms …“

„Jessica Lewis.“ Sie war außer Atem. Hoffentlich schob er es auf ihre anstrengende Schicht. „Nur Jessica für dich. Ich hab in weniger als zwei Stunden Schluss. Wenn du dann noch da bist, bekommst du deinen Drink.“

Die Worte purzelten ihr einfach aus dem Mund, ehe sie es verhindern konnte. Was noch überraschender war? Dass sie nicht mal den Drang verspürte, dieses Angebot zurückzunehmen, obwohl sie gerade überhaupt keine Zeit für eine Beziehung hatte. Ihr Leben bestand nur aus Arbeit und Uni, aber sie vermisste die Nähe eines Mannes. Dieser eine Drink würde ihr schon nicht wehtun, oder?

Mit einem knappen Nicken hastete sie die Treppen hinunter, bevor er sie mit einer höflichen Ausrede abweisen konnte. Sie hatte ihm diesen Entschuldigungsdrink angeboten, weil man das eben so machte, wenn man jemanden mit Champagner überschüttete.

Nicht, weil Oliver Price einen Bassbariton zum Dahinschmelzen hatte, dem sie die ganze Nacht lauschen könnte. Dass all ihre weibliche Intuition völlig aus dem Häuschen war, hatte überhaupt nichts damit zu tun.

Außerdem lenkte die Aussicht auf einen Absacker mit einem superattraktiven Fremden sie von der Hiobsbotschaft ihrer Eltern ab. Auch wenn es wohl nichts daran ändern würde, was morgen auf sie zukam.

Denn anstatt die Studiengebühren für das nächste Semester zu bezahlen, würde sie jeden Cent nutzen, um ihr Elternhaus zu retten. Ihr Traum vom Abschluss – und damit von der Zulassung zu Musiktherapeutin – musste warten.

Oliver Price ließ die Frau den ganzen Abend lang nicht mehr aus den Augen.

Die Ellbogen auf das Terrassengeländer gestützt, hatte er eine Outdoor-Bar und eine Feuerstelle im Blick. Lässig schwenkte er die letzten Eiswürfel in seinem Glas, in dem vor einer halben Stunde noch ein Scotch on the Rocks gewesen war. Er entdeckte Jessica Lewis mühelos unten in der Menge, als sie an einem beleuchteten Brunnen im Innenhof vorbeitänzelte und mit einem Lächeln Drinks servierte, während ihre Hüften neckisch in dem schwarzen Rock schwangen. Und verdammt, er konnte den Blick einfach nicht von ihren Beinen lösen, als sie sich vorbeugte und einen farbenfrohen Drink auf den Tisch einer jungen Frau stellte, die neben einem Rancher saß, den Oliver als Mitglied im Texas Cattleman’s Club erkannte.

Jessica plauderte einen Moment lang mit dem Pärchen und lächelte breit, während sie beiläufig leere Gläser einsammelte und frische Servietten neben die neuen Getränke legte. Ihre dichten schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, der ihr über der Schulter lag, sodass Oliver freien Blick auf ihr Profil hatte. Sie wirkte herzlich und interessiert. Und obwohl auf der Party mindestens zwanzig Leute waren, die er kannte und mit denen er sich unterhalten sollte, konnte er einfach nicht aufhören, sie zu beobachten. Im unteren Stock lockte die Band die Gäste mit fröhlichen Popsongs auf die Tanzfläche. Der Duft von gerösteten S’mores stieg ihm von unten in die Nase, wo man an ein paar Tischen die Möglichkeit hatte, den eigenen Nachtisch zu flambieren.

Doch nichts davon lenkte ihn von Jessica ab. Selbst als er sich vorhin mit Freunden unterhalten hatte, war seine Aufmerksamkeit immer wieder zu der kurvigen Kellnerin gewandert, deren Augen erst blau, dann grün strahlten, wie das Meer im Sommer.

Allein dieser Vergleich – wie das Meer im Sommer? – zeigte ihm, wie unvernünftig er sich gerade benahm. Sich so von jemandem ablenken und aus der Ruhe bringen zu lassen, war nicht seine Art. Als CEO von Nexus, einer globalen Marketingfirma, die er mit seinem Partner Nikolai Williams gegründet hatte, bevorzugte Oliver kurze und praktische Verbindungen, die es ihm erlaubten, seine Arbeit immer an erste Stelle zu setzen. Normalerweise suchte er die Nähe von Frauen, die in ähnlichen Positionen waren: karrierefokussiert und nicht an mehr interessiert als an kurzem gemeinsamem Spaß.

Sich den Kopf derart von irgendeiner Frau verdrehen zu lassen, war also nicht nur untypisch für ihn, es war auch eine schlechte Idee. Denn er hatte ihren Herzschlag gefühlt, als ihr Körper gegen seinen gepresst war. Hatte gesehen, wie ihre Wangen pink angelaufen waren, als sie ihn gespürt hatte. Und nichts an ihrer Reaktion auf ihn ließ vermuten, dass sie seine Ansichten über bedingungslosen Sex teilte.

Nein. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass Jessica die Art Frau war, die bis nach dem dritten Date wartete, ehe sie sich verwöhnen ließ. Vielleicht reizte sie es sogar so lange aus, bis man dem Knistern nicht mehr widerstehen konnte. Seit wann erregte diese Vorstellung ihn? Seit wann wollte er derjenige sein, der ihr zeigte, wie verlockend glühend heißes Verlangen sein konnte?

Mit einen Knurren verfluchte er sich für solche Gedanken und stieß sich vom Geländer ab. Er stellte sein leeres Glas weg und ging nach unten. Dabei hob er das Handgelenk und warf einen Blick auf die klassische Heuer Monza. Sein Zusammenstoß mit Jessica war jetzt schon mehr als anderthalb Stunden her. Sie meinte, ihre Schicht wäre in weniger als zwei Stunden vorbei. Doch er musste morgen früh nach New York, also sollte er sich von den Gastgebern verabschieden. Höchste Zeit, von der Party zu verschwinden. Er war schon länger hier als geplant. Nicht nur, weil er die Noble-Familie unterstützen wolle – immerhin war Tripp Noble ein guter Freund und Trauzeuge auf Xaviers und Aris Hochzeit –, sondern auch, weil er ernsthaft über den Drink mit Jessica nachgedacht hatte.

Aber das war keine gute Idee.

Zehn Minuten später war er auf dem Weg nach draußen. Um den Innenhof und den Brunnen machte er einen großen Bogen.

Jetzt, da er sich entschieden hatte, das Richtige zu tun und sie aus dem Kopf zu bekommen, wollte er das auch durchziehen. Bis ihm plötzlich eine gertenschlanke Blondine in einem wallenden hellvioletten Seidenkleid den Weg versperrte.

„Wenn das nicht Oliver Price ist.“ Anabeth Ackerman drehte sich auf ihren schwindelerregend hohen High Heels zu ihm um.

Bei ihrem Anblick zog sich ihm der Magen zusammen. Anabeth arbeitete für eine konkurrierende Marketingfirma in Dallas, und er hatte gehofft, sie heute Abend nicht zu treffen. Letztes Jahr hatten die beiden eine Weile lang ein Techtelmechtel gehabt, doch sie war und blieb eine Ausnahme in seiner Dating-Geschichte. Erst hatten sie sich auf reinen Spaß geeinigt, aber nach ein paar Dates hatte sie eine Hundertachtzig-Grad-Wendung hingelegt und vorgeschlagen, die Sache auf „das nächste Level“ zu bringen. Seine Ablehnung hatte ihr offenbar überhaupt nicht gefallen. Vermutlich bekam sie von Männern nicht oft ein Nein zu hören.

Sie hatte ihn unter Druck gesetzt, immer wieder Fotos von ihnen beiden gepostet und die Welt glauben lassen, sie wären ein Paar. Olivers Mutter – verdammt, seine ganze Familie – hatte das mitbekommen und geglaubt, er würde endlich sesshaft werden. Sie war am Boden zerstört, als sie die Wahrheit herausfand.

„Hallo, Anabeth.“ Er zwang sich einen höflichen Ausdruck aufs Gesicht und nickte Richtung Ausgang. „Ich wollte gerade gehen.“

Kurz zog sie ihre blassen Brauen hoch, dann verzog sie den fuchsiafarbenen Mund zu einer Schnute.

„Du kannst jetzt noch nicht gehen.“ Besitzergreifend legte sie ihm eine Hand auf den Arm, ihr blumiges Parfüm kitzelte ihn in der Nase. „Ich bin doch gerade erst gekommen.“

Ihre perfekt lackierten Nägel gruben sich ihm in den Arm wie Krallen. Die platinblonden Locken schwangen auf ihn zu, als wollte sie ihm ein Geheimnis verraten. Oder ihn auf die Wange küssen?

Im selben Moment entdeckte er Jessica Lewis. Sie zog sich gerade eine ausgeblichene Jeansjacke über und steuerte auf den Ausgang zu, der auch sein Ziel gewesen war. Ihr schwarzer Zopf wippte hinter ihr her wie eine Rettungsleine, die er nicht zu fassen bekam.

„Jessica, warte“, rief er, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. Er musste dieser drohenden Albtraumunterhaltung mit Anabeth entkommen. Außerdem war er nicht sicher, ob er ihr gegenüber seine Verärgerung über ihre Posts zurückhalten könnte.

Jessica hielt in der Bewegung inne, ihre meeresblauen Augen zuckten zwischen ihm und seiner Begleitung hin und her. „Ja?“, fragte sie vorsichtig.

Anabeths Krallen lockerten sich ein wenig.

Oliver nutzte die Chance, befreite seinen Arm aus ihrem Klammergriff und bedeutete Jessica mit einem Finger, kurz zu warten. Dann wandte er sich wieder zu Anabeth um. „Entschuldige mich bitte. Ich will mein Date nicht warten lassen.“

„Sie?“, fragte Anabeth in einem Tonfall, den er nicht ertrug.

Aber wenn er sie noch erwischen wollte, hatte er keine Zeit, sie zu verteidigen. Sie machte sich schon wieder auf den Weg zur Tür.

Schnell eilte er durch den Flur auf den Parkplatz. Der abendliche Wind war auf dieser Seite des Gebäudes stärker. Vor ihm wippte Jessicas Zopf in ihrem Nacken, ein paar lose Strähnen strichen über ihre Wangen.

„Im Ernst?“, fragte sie, als er sie einholte.

Er hatte seinen Chauffeur schon gerufen, der jetzt am oberen Ende der Straße auf ihn wartete.

Doch Oliver wollte einfach bei Jessica sein, also ging er dorthin, wohin sie ging.

„Was?“, fragte er, weil er nicht wusste, was sie meinte. „Es war hoffentlich okay, dass ich dich aufgehalten habe. Ich dachte, ich begleite dich raus.“

Jetzt, wieder in ihrer Nähe, fielen ihm neue Dinge an ihr auf. Die hellen Sommersprossen auf ihrer Nase. Die kleinen Silberohrringe in der Form von Musiknoten. Eigentlich waren es Violinschlüssel, aber es war schon lange her, dass Oliver Noten gelesen hatte.

Unter einer Straßenlaterne blieb Jessica plötzlich vor ihm stehen und verschränkte die Arme. Ein herausforderndes Funkeln lag in ihren Augen, und ihre Mundwinkel zuckten.

„Wolltest du mich rausbegleiten?“, hakte sie verschmitzt nach. „Oder brauchtest du eine Ausrede, um der Blondine zu entkommen, die dich wie eine Boa constrictor im Würgegriff hatte?“

Er warf den Kopf zurück und lachte schallend.

„Da habe ich wohl ins Schwarze getroffen, Mr Oliver Price.“ Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, und ihr Blick fiel auf sein Revers. Der Schalk war aus ihrer Stimme verschwunden, als sie sagte: „Entschuldige noch mal, dass ich vorhin so tollpatschig war. Ich hätte dir diesen Drink wirklich gebracht, aber ich habe gesehen, dass du schon vor einer Weile aufbrechen wolltest.“

Als er jetzt daran dachte, dass er früher hatte gehen wollen, um der Versuchung zu entgehen, die diese Frau für ihn darstellte, wurde ihm klar, dass mehr Zeit mit ihr unvermeidlich war. Als hätte dieser Abend sich entschieden, sie beide zusammenzuführen.

„Kein Grund, dich zu entschuldigen“, versicherte er ihr. Wie oft war sein Blick heute wie von selbst zu ihr gewandert? Er hatte einfach nicht wegsehen können. „Aber was hältst du davon, wenn wir trotzdem was trinken gehen? Ganz ungezwungen?“

Einen Moment lang sah sie ihn unergründlich an. Ihr Blick suchte seinen, als könnte sie darin Antworten finden, die sie in seinen Worten nicht gehört hatte. Doch dann, mit einem köstlichen Knabbern ihrer Lippe, nickte sie.

„Das würde mir gefallen. Sehr sogar.“

2. KAPITEL

Zehn Minuten später saßen sie in der Lobby eines Luxushotels gegenüber der Golfanlage, und Jessica nippte an ihrem Cabernet. Beschäftigte ihre Hände, damit sie den verführerischen Mann nicht berührte, der neben ihr saß.

„Hast du schon immer in Royal gelebt?“, fragte Oliver sie über den Rand seines Scotch-Glases hinweg, ehe er die bernsteinfarbene Flüssigkeit kostete.

Um diese Zeit waren nicht viele Gäste in der Bar, also hatten sie sich an einen Tisch in der hinteren Ecke gesetzt. Mitten im Raum stand unberührt ein Piano, der Tresen aus Chrom und Beton war minimalistisch und modern, die Tische rundherum waren in hellen Grautönen gehalten, auf jedem stand eine Kristallvase mit Hortensien. In ihrer Ecke hatten sie Ruhe.

Ein Kribbeln durchfuhr Jessica, das aber nicht vom vollmundigen Wein, sondern von der Nähe zu Oliver rührte.

„Nein. Meine Familie ist von einer Ranch in El Paso hergezogen, weil mein Dad sich hier einen sichereren Job erhofft hat. Er und meine Mom arbeiten beide für Triple C.“ Sie liebten dieses Leben, hatten sie aber auch immer darin unterstützt, ein eigenes abseits der Ranch aufzubauen und eine Ausbildung zu machen. „Sie lieben das einfache Leben und die Verantwortung für das Land.“

Wenn ihr Vater abends nach einem Tag voller Viehtreiben und Pferdehüten nach Hause kam, erzählte er immer Geschichten von den Tieren oder den Männern, mit denen er arbeitete, und er strahlte völlige Zufriedenheit aus. Egal, was der Kontostand dazu sagte, ihr Dad war der reichste Mann der Welt. Sie liebte ihn für die Werte, die er vertrat.

„Was ist mit dir? Liebst du es auch?“ Oliver lehnte sich leicht vor, sein graues Hemd war am Kragen aufgeknöpft und verleitete sie dazu, kurz auf seine Brust zu sehen.

Einen Moment lang stellte sie sich vor, ihn dort zu berühren, mit den Händen über die harten Muskeln seiner Brust zu streichen. Was hatte er bloß an sich, das sie so sehr faszinierte? Eine so starke Anziehung hatte sie noch nie erlebt. Gut daran war, dass sie so mit dem Begehren beschäftigt war, dass sie das Finanzdilemma zu Hause fast vergaß.

„Ich hasse es jedenfalls nicht“, antwortete sie zurückhaltend, weil sie nicht schlecht über ihre geliebte Familie sprechen wollte. „Aber meine wahre Leidenschaft ist die Musik.“

„Jetzt ergeben die Noten Sinn.“ Sein Blick wanderte über ihre Wange, und er strich ihr über den Rand des Ohrs.

Es war nur eine zarte Berührung. Kaum spürbar. Und trotzdem durchzuckte sie ein so starkes Kribbeln, dass er es sicher bemerkte.