Family Reunion - Heike Rohloff - E-Book

Family Reunion E-Book

Heike Rohloff

0,0

Beschreibung

Stell dir vor, du verliebst dich ... ... und die Person, in die du dich verliebt hast, lebt in einem Land, 7.000 Kilometer Luftlinie entfernt von dir, mit sechs Kindern, in einem einfachen afrikanischen Dorf, ohne fließendes Wasser, ohne jeden, dir bekannten Luxus. Was würdest du tun? Auswandern? Alle zu dir holen? Und was, wenn sich plötzlich alles und jeder gegen euch verschwört und ein Virus ausbricht, der die ganze Welt lahmlegt? Wärst du stark genug? Die Geschichte von Heike ist eine Erinnerung daran, dass das Leben unvorhersehbare Wege gehen kann, die zu tiefem persönlichen Wachstum und unerwarteten neuen Anfängen führen. Das Buch regt zum Nachdenken über die Bedeutung von Familie und Zugehörigkeit an und hinterlässt einen bleibenden Eindruck über die Kraft der Liebe, Grenzen zu überwinden. Kai Sender Wahrhaftig eine zweite weiße Massai. Sehr interessant und lebendig geschrieben, man will immer mehr erfahren, was Heike aus Liebe zu ihrem Mann und ihren Kindern alles geduldet hat. Dietmar R. Horbach

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 266

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Emmanuel in Liebe, in Dankbarkeit an meine Eltern, Michel und Tina, und in Erinnerung an Sarah.

Inhaltsverzeichnis

1 (Moja)

2 (Mbili)

3 (Tatu)

4 (Nne)

5 (Tano)

6 (Sita)

7 (Saba)

8 (Nane)

9 (Tisa)

10 (Kumi)

11 (Kumi na moja)

12 (Kumi na mbili)

13 (Kumi na tatu)

14 (Kumi na nne)

15 (Kumi na tano)

16 (Kumi na sita)

17 (Kumi na saba)

18 (Kumi na nane)

19 (Kumi na tisa)

20 (Ishirini)

21 (Ishirini na moja)

22 (Ishirini na mbili)

23 (Ishirini na tatu)

24 (Ishirini na nne)

25 (Ishirini na tano)

26 (Ishirini na sita)

27 (Ishirini na saba)

28 (Ishirini na nane)

29 (Ishirini na tisa)

30 (Thelathini)

31 (Thelathini na moja)

32 (Thelathini na mbili)

33 (Thelathini na tatu)

34 (Thelathini na nne)

35 (Thelathini na tano)

36 (Thelathini na sita)

37 (Thelathini na saba)

38 (Thelathini na nane)

39 (Thelathini na tisa)

40 (Arobaini)

41 (Arobaini na moja)

42 (Arobaini na mbili)

43 (Arobaini na tatu)

44 (Arobaini na nne)

45 (Arobaini na tano)

46 (Arobaini na sita)

47 (Arobaini na saba)

48 (Arobaini na nane)

49 (Arobaini na tisa)

50 (Hamsini)

51 (Hamsini na moja)

52 (Hamsini na mbili)

53 (Hamsini na tatu)

54 (Hamsini na nne)

55 (Hamsini na tano)

56 (Hamsini na sita)

57 (Hamsini na saba)

58 (Hamsini na nane)

59 (Hamsini na tisa)

60 (Sitini)

61 (Sitini na moja)

62 (Sitini na mbili)

63 (Sitini na tatu)

64 (Sitini na nne)

65 (Sitini na tano)

66 (Sitini na sita)

67 (Sitini na saba)

68 (Sitini na nane)

69 (Sitini na tisa)

70 (Sabini)

71 (Sabini na moja)

72 (Sabini na mbili)

73 (Sabini na tatu)

74 (Sabini na nne)

75 (Sabini na tano)

76 (Sabini na sita)

77 (Sabini na saba)

78 (Sabini na nane)

79 (Sabini na tisa)

80 (Themanini)

81 (Themanini na moja)

82 (Themanini na mbili)

83 (Themanini na tatu)

84 (Themanini na nne)

1 (Moja)

„Du hast dich ja wohl nicht etwa verknallt, oder?“ raunzte mich mein Mann wütend an.

„So ein Quatsch, was soll denn der Scheiß jetzt?“ brüllte ich zurück. Wieder einmal waren Michel und ich in einen Streit geraten. Und das jetzt, hier, in diesem wunderschönen Hotelzimmer, in einem traumhaften Hotel, direkt am indischen Ozean.

Seit zwei Wochen waren wir in Kenia, dem Land, dem wir seit zehn Jahren verfallen waren. Wir liebten Kenia und seine Menschen. Die Landschaft ist wunderschön, mit all ihren exotischen Tieren, den weiten Nationalparks, dem warmen, kristallklaren Meer. Und wir hatten Freundschaften geschlossen. 2007 hatten wir uns mit einer Familie angefreundet. Emmanuel lebte damals mit seiner Frau Jane und sechs Kindern in Kakuku, in einem kleinen abgelegenen Haus in den Bergen, nahe des Mount Kenya. Sie lebten ein sehr einfaches Leben, versorgten sich selbst mit Mais und Obst. Die Kinder kraxelten jeden Tag fast zwei Stunden zu Fuß durch die Berge zur Schule. Wasser musste man sich vom 2 km entfernten Fluss holen. Emmanuel arbeitete die meiste Zeit des Jahres im 600 km entfernten Mombasa als Souvenirverkäufer am Strand von Shanzu, um die Familie finanziell zu unterstützen. Dort am Strand lernten wir uns damals kennen und das Schicksal nahm seinen Lauf.

Über Jahre hinweg hatten wir regelmäßigen SMS-Kontakt, besuchten ihn und seine Familie einige Male und starteten Projekte, die ihren Kindern den Schulbesuch ermöglichten. Und unsere Projekte wuchsen. Seit 2010 hatten wir gemeinsam eine Wasserpipeline in Jomvu, einem Vorort von Mombasa, errichtet, die das Dorf mit frischem Trinkwasser versorgte und Emmanuel und seiner Familie ein Einkommen brachte. Nun lebte die Familie endlich zusammen.

Die Kinder konnten in Jomvu zur Schule gehen, Ärzte und Krankenhäuser waren schneller erreichbar. Das Leben wurde erträglicher. Leider gab es auch viele Neider. Eines nachts wurde die Familie überfallen und ausgeraubt. Zum Glück wurde niemand ernsthaft verletzt, doch der Schock war groß. So war es uns nicht mehr möglich, die Familie direkt vor Ort zu treffen. Ihre Verbindung zu den Wazungu (Weiße/Europäer) war zu gefährlich. Wir trafen uns daher nur noch in Touristengebieten.

Und auch dieses Mal hatte uns eines unserer Projekte wieder nach Kenia geführt. In der Zwischenzeit war viel passiert. Emmanuel war seit 2014 Witwer, da Jane plötzlich an Krebs erkrankte und verstarb. Ein weiteres Kind, die kleine Malu, hatte die Familie 2012 komplettiert. Anna, die 14-jährige Tochter, war, nur vier Monate nach Janes Tod, an einem Infekt verstorben.

Emmanuel hatte es hart getroffen. Alleine versuchte er nun, seine sechs Kinder gesund und am Leben zu erhalten, ihnen Schulbildung zu ermöglichen und irgendwie immer weiter zu machen. Wir unterstützten ihn, wo es ging.

Jetzt waren wir wieder hier. Es war April 2017. Diesmal hatten wir uns, nach Absprache mit Emmanuel, doch endlich wieder ins Dorf getraut und uns die Erweiterung unserer Wasserpipeline mit eigenen Augen angesehen. Außerdem hatten wir, Mithilfe unserer vielen Freunde und Verwandten in Deutschland, Geld gesammelt, damit Josephine, die älteste Tochter, ein College besuchen konnte. Sie wollte Lehrerin werden. Auch das College hatten wir besucht und den Erfolg mit ihr gefeiert.

Wir hatten uns nun schon ein paar Mal getroffen, einige Ausflüge zusammen erlebt und unser Urlaub näherte sich dem Ende. Da bekamen wir einen Anruf von Emmanuel, dass sich die kleine Malu am Fuß verletzt und sich die Wunde über Nacht furchtbar entzündet hatte. Mit hohem Fieber hatte er sie nachts in ein Krankenhaus in Mombasa gebracht.

Ich wollte am liebsten sofort dorthin fahren und bettelte meinen Mann an. Er willigte ein.

Wir fuhren mit einem Taxi nach Mombasa und fanden Malu dort fiebernd und weinend in einem Krankensammelraum, in miserablem Zustand, auf einem Bett ohne Bettzeug. Viele Kranke waren zusammengepfercht in diesem Raum, es stank, war schmutzig, es gab keine Toiletten, man musste sich für den Toilettengang selbst eine Plastikschüssel organisieren und sein Geschäft dort vor allen anderen verrichten. Dann musste man den Inhalt durch das ganze Krankenhaus schleppen und nach draußen bringen. Einige Kranke waren sogar auf die Balkone verfrachtet worden. Von Hygiene keine Spur.

Ich hatte das Gefühl, dass niemand dort Ahnung von Medizin, geschweige denn Medikamenten hatte. Emmanuel brauchte Hilfe und so überlegte ich nicht lange, schnappte mir das Kind und irrte mit ihm durch die endlosen, stinkenden Gänge, um jemanden zu finden, der uns helfen konnte. In diesen Stunden fühlte ich mich ihm und Malu verbundener als jemals zuvor. Ich hatte Angst um das Kind, als wäre es mein eigenes.

Und jetzt stritten Michel und ich darüber, ob ich in Emmanuel verknallt war. Wir waren zurück vom Krankenhaus. Im Hotelzimmer überkam mich die Traurigkeit über die Zustände. Die Angst um Malu war so groß. Ich bedauerte Emmanuel, der nun dort an ihrem Bett saß und schlief. Er hatte doch schon Anna an einem, für uns einfachen, Infekt verloren. Welche Angst musste er wohl durchleben?

Mein Mann war damit überfordert. Der Urlaub neigte sich dem Ende und er wollte noch etwas von seiner freien Zeit genießen. Daran konnte ich aber nicht mehr denken. Ich wollte nicht mit ihm rausgehen, tanzenden Menschen zusehen und Cocktails trinken, während meine Familie litt. Und da merkte ich es, es war meine Familie geworden.

Der nächste Tag war der Tag der Abreise. Emmanuel und ich hatten nur noch zweimal telefoniert. Er blieb bei Malu, die sich langsam im Krankenhaus erholte. Emmanuel schickte seine Tochter Sarah zu uns, um uns zu verabschieden.

Das einzige was mir blieb, war die Erinnerung, wie mich Emmanuel, mit Malu auf dem Arm, unten vorm Krankenhaus, ein letztes Mal umarmte. Es zerriss mir das Herz und ich wunderte mich selbst über meine starken Gefühle.

2 (Mbili)

In Deutschland angekommen, änderte sich schlagartig alles.

Michel und ich waren seit 1999 ein Paar. 15 Jahre davon waren wir verheiratet. Als wir zusammenkamen, war ich gerade einmal 20 Jahre alt geworden, er war schon 33. Nach drei Jahren Beziehung auf 34 qm heirateten wir. Unsere Leidenschaft war das Reisen und so lernten wir viele tolle Länder und Menschen kennen. Wir hatten eine Menge Projekte auf die Beine gestellt. Viele davon waren für Kenia und einige in einer christlichen Organisation. Unsere Ehe blieb kinderlos. Wir wollten zwar Kinder, aber da es nicht klappte, hatten wir uns auf das Reisen und unsere Projekte konzentriert. Wir genossen auch die Freiheit, die wir zu zweit hatten. Wir hatten viel durchlebt, uns gegenseitig unterstützt und aufgefangen. Wir hatten eine wunderschöne gemeinsame Zeit.

In den letzten Jahren hatten wir uns aber, wie man so sagt, irgendwie auseinandergelebt. Unsere Interessen gingen immer weiter auseinander. Unsere Herzen schlugen nicht mehr im selben Takt. Ich fühlte mich immer öfter allein und unverstanden. Mein Herz schlug für bestimmte Projekte und für bestimmte Menschen. Michel hatte eher andere Interessen. Er unterstützte mich zwar immer, aber ich hatte das Gefühl, dass er vieles nur noch für mich tat und nicht mehr mit seinem Herzen dabei war. Wir waren uns häufig uneinig. Und wir stritten. Oft und viel.

Wir trennten uns noch im Mai 2017. Unsere Trennung war ein Schock, nicht nur für uns selbst, sondern auch für alle, die uns kannten. Wir waren immer das Traumpaar gewesen, doch man sah von außen eben nicht alles.

Es war traurig, sehr traurig, aber wir hatten es schon länger kommen sehen. Wir versuchten, jeder für sich, unsere Gedanken zu sortieren. Es gab keinen Rosenkrieg. Durch unsere enge Verbindung und Liebe zueinander konnten wir sogar noch, mit räumlichem Abstand, gemeinsam in unserer Wohnung bleiben. Wir wollten weiter füreinander da sein. Nur eben anders als vorher. Erstmal als eine Art WG.

Ich schrieb weiter täglich mit Emmanuel über WhatsApp. Er war auch erschrocken über unsere Trennung, doch er gab mir Halt. Er wusste, wie es sich anfühlte, allein zu sein. Zuvor war ich ihm eine Stütze. Er nannte mich immer seine Medizin, seit er Singleparent war. Er hatte seit langer Zeit zu hohen Blutdruck und merkte, dass sich die Gespräche mit mir positiv auf seine Gesundheit auswirkten. Er war nicht mehr so gestresst.

In dieser Zeit verstand ich, dass Emmanuel in all den Jahren eigentlich mehr mit mir verbunden war, als mit meinem Mann, da wir beide es waren, die immer miteinander schrieben. Wir kannten uns ziemlich gut. Es konnte schon vor Jahren passieren, dass ich an Emmanuel dachte und im selben Moment summte mein Handy und eine SMS von ihm blitzte auf. Wir durchlebten viele schöne und auch sehr schwierige Zeiten miteinander, meistens am Handy. Wir teilten unsere Sorgen und Probleme. Und jetzt war er für mich da. Er konnte gut zuhören und hatte eine weise Art an sich, die mir meine Ängste nahm. Für mich war Emmanuel mehr als nur ein Freund.

Und schon ein paar Wochen später war mir plötzlich klar: Ich bin tatsächlich verknallt.

Und der Mann, in den ich verknallt war, lebte etwa 7.000 km Luftlinie von mir entfernt in einem kleinen Dorf in Kenia, ohne fließendes Wasser, mit sechs Kindern.

Emmanuel empfand ebenfalls viel für mich. Unsere Gespräche wurden intensiver, immer ausdauernder und wir begannen zu flirten. Das war neu, das war seltsam, nach zehn Jahren Freundschaft. Doch es war auch aufregend und schön. Und wir stellten fest, dass uns beide im April in Kenia merkwürdige Gefühle überkamen. Ich konnte es damals nicht recht einordnen, doch wenn sich unsere Blicke trafen oder unsere Hände sich berührten, war es anders als die Jahre zuvor. Aufregend, kribbelnd und auch irgendwie falsch, denn ich war verheiratet und wir waren nur Freunde.

Das konnte ich doch niemandem erzählen. Wochenlang versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen. Wahrscheinlich redete ich aber zu oft über ihn. Denn hin und wieder fragten mich meine Eltern oder meine Freundin Tina, die auch meine Kollegin ist: „Sag mal, bist du verliebt?“

Und so musste ich eines Tages gestehen. Zuerst gestand ich es Michel, den ich damit aufs Tiefste verletzte. Aber ich wollte ehrlich zu ihm sein. Er sollte es als erster wissen. Und bis heute blutet mein Herz, wenn ich darüber nachdenke, wie er diese Nachricht aufgenommen haben musste. Ich fühlte mich wie eine Verräterin. Aber ich hätte selbst nie gedacht, dass ich nach so vielen Jahren Gefühle für Emmanuel entwickeln könnte. Es passierte ganz plötzlich. Ich liebte auch Michel immer noch aus tiefstem Herzen. Doch nach all den Jahren hatte sich die Liebe verändert.

Ich vertraute mein Geheimnis auch meiner Freundin Tina und meinen Eltern an. Jetzt war es raus.

„Und was willst du nun tun?“ fragte Tina mich eines Morgens. „Ich weiß es nicht, Tina.“ antwortete ich seufzend. „Vielleicht schmeiße ich alles hin und gehe zu ihm. Dann fange ich ein neues Leben an.“

Doch ein neues Leben in Kenia? In einem Dorf? Ich musste verrückt sein. Vielleicht hätte ich niemals „Die weiße Massai“ lesen sollen. Oder besser, warum hielt mich die unglücklich endende Geschichte dieser jungen Frau nicht von solch absurden Gedanken ab? Die Hälfte der Kenianer lebt in Armut, so auch „meine“ Familie in Jomvu. Es gibt in Jomvu kein fließendes Wasser, keine Toiletten, keine Dusche, keine Waschmaschine, keine Elektrogeräte. Es gibt Malaria und andere schreckliche Krankheiten. Sollte ich jeden Tag, für den Rest meines Lebens, Malaria-Prophylaxe schlucken? Ich bin „weiß“, ein Mzungu, wie man uns hellhäutige Europäer nennt, alle anderen dort sind „schwarz“, so nennen sie sich selbst. Würde man mich akzeptieren?

Kann ich dort arbeiten? Wovon leben wir, wenn ich keine Projekte aus Deutschland steuern kann?

Am nächsten Tag, als ich zur Arbeit kam, stand ein Spruch, eingerahmt in einem Bilderrahmen, auf meinem Schreibtisch: „What if I fall? Oh, my darling, but what, if you fly?“ Tina glaubte an mich! Na wenigstens schon mal eine Person, die sich diese verrückte Geschichte vorstellen konnte.

Meine Eltern waren eher ohnmächtig. Ja, so kann man es nennen. Sie mussten ja erst einmal verdauen, dass Michel und ich uns getrennt hatten. Und jetzt hatte ich mich auch noch in einen Kenianer verliebt. Sie hatten Angst. Verständlicherweise.

Wochen vergingen, in denen Emmanuel und ich uns immer näherkamen und verrückte Ideen austauschten. Unser erster Plan war, dass ich für einige Wochen zu ihm fliegen würde, um erstmal zu sehen, was hinter unseren Gefühlen steckte und wie es sich anfühlen würde, zusammen zu sein.

Denn seien wir mal ehrlich. Wir kannten uns zwar seit zehn Jahren, aber er war ein waschechter Kenianer, ein Kamba, der sozusagen im Busch aufgewachsen war, ich ein Citygirl aus Deutschland, das Luxus gewohnt war und noch nie auf Feuer gekocht oder mit den Händen Wäsche gewaschen hatte, außer mal beim Camping in Namibia. Er hatte sechs Kinder, ich keine. Wir kommunizierten auf Englisch, was weder seine, noch meine Muttersprache war und welches wir beide, zu diesem Zeitpunkt, nicht in höchster Form beherrschten. Er war armutsbedingt nur drei Jahre zur Schule gegangen, ich besuchte ein Gymnasium und erlernte einen Beruf. Die Unterschiede waren zugegebenermaßen groß.

Doch Verliebte sehen diese Kontraste durch ihre rosarote Brille als durchaus zu vernachlässigend an. So groß konnte der Unterschied ja nun auch wieder nicht sein und Gegensätze ziehen sich bekanntermaßen an.

3 (Tatu)

Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Ich beantragte sechs Wochen Urlaub über den Jahreswechsel, buchte Flüge und machte Termine für Impfungen. Ich besorgte Malariaprophylaxe und alles was man so fürs Camping brauchte. Ich wollte für alles gewappnet sein. Schlangenbissset, Wasserfilter, Drybag zum Wäschewaschen usw. Ich machte viel Sport und buchte bei meinem Bruder einen Selbstverteidigungskurs. Niemand würde mir auch nur ein Haar krümmen. Ich war fit wie ein Ninja!

Außerdem ließen wir uns beide vorher medizinisch checken und einen HIV-Test machen … nur für den Fall. Man weiß ja nie …

Der November war turbulent. Meine langjährige Freundin Sarah, mit der wir bereits einmal in Kenia waren und einige kleine Projekte auf die Beine gestellt hatten, war hochschwanger und bereitete sich auf die Geburt ihres ersten Kindes vor. Sie war im absoluten Baby-Rausch und kannte kein anderes Thema mehr als Blessing-Way und Vorbereitungsrituale.

Zur gleichen Zeit lag meine geliebte Tante Moni, die Schwester meiner Mutter, im Sterben. Sie hatte Krebs und den Kampf bereits verloren. Wir warteten jeden Tag auf die Nachricht, dass sie es geschafft hatte. Die Tage waren gefüllt von Ups und Downs.

Und dann passierte noch etwas unerwartet Schreckliches. Michels Mutter bekam ebenfalls die Diagnose Krebs. Ein aggressiver Krebs. Niemand konnte sagen, wie lange sie noch zu leben hatte. Wir waren zutiefst erschüttert. Wir besuchten sie sofort. Michel und seine Schwestern besprachen mit den Ärzten und ihrer Mutter, was zu tun war. Mir war klar, dass ich jetzt nicht fliegen konnte. Ich konnte Michel in dieser schwierigen Situation nicht allein lassen. Emmanuel verstand das vollkommen. Wir holten uns auch eine zweite Meinung einer, uns bekannten, Ärztin ein. Eine Chemotherapie würde ihr noch einige Zeit, vielleicht ein weiteres Jahr, schenken. Michel und meine Freunde beruhigten mich und schlugen vor, meine Reise nicht abzubrechen. So entschied ich mich, doch weiterzumachen. Es war ja auch schon alles gebucht und geplant. Wir machten Michels Mama Behandlungsvorschläge und nach einigen Tagen entschied sie sich für eine Chemotherapie in ihrem Ort.

4 (Nne)

Dann kam der 5. Dezember 2017. Das Adrenalin ließ meinen Körper beben, als wäre ich auf Drogen. Ich würde alleine nach Kenia fliegen. Die erste Woche sollte ich in einem kleinen Appartement in Shanzu wohnen. Das hatte Emmanuel für mich ausgesucht. Dort wollte ich zunächst ankommen und mich akklimatisieren. An dem Ort, an dem 2007 alles begann. Emmanuel wollte dazukommen. Die Kinder waren über die Ferien zur Oma, ins weit entfernte Kithioko, gereist. So war also erstmal eine Woche Zeit, in der wir zu zweit unsere Gefühle einordnen und uns beschnuppern konnten.

Tina und ihr Partner begleiteten mich zum Bahnhof. Ich konnte es nicht abwarten, in den ICE nach Frankfurt, zum Flughafen zu steigen. Es war kältester Winter geworden, vor allem im Süden Deutschlands. Michel schrieb mir, dass einige Flüge bereits gestrichen waren, meiner aber noch auf dem Abflugplan stand. Mein Herz setzte kurz aus. Doch der Flug startete pünktlich am Abend und die Nacht verging wie im selbigen. Als wir kurz vor Kenia waren, gab es Turbulenzen. Das Flugzeug machte einen heftigen Satz nach unten. Ich erstarrte vor Angst. Die Durchsage des Piloten beruhigte uns wenig, im Gegenteil. Auch er machte sich Sorgen. Ich betete, dass dies nun nicht mein Ende sein sollte. So kurz vor dem Ziel. Die Kotztüten füllten sich um uns herum. Ich übertreibe nicht. Es war wirklich nicht schön. Gott sei Dank überstanden wir die Turbulenzen und eine gruselige halbe Stunde später war es ruhig, als wäre nie etwas passiert. Meine Sitznachbarin flog bis nach Zanzibar und erzählte mir nun ausgelassen von ihrem Vorhaben, dort ganz alleine Urlaub zu machen. Und wie es manchmal so ist in Flugzeugen, erfuhr sie innerhalb kürzester Zeit auch meine komplette, aufregende Geschichte. Wie zwei hibbelige Schulmädchen gackerten und alberten wir herum, bis ich mich, in Mombasa gelandet, von ihr verabschiedete. Gleich würde ich Emmanuel zum ersten Mal als Verliebte küssen. Meine Sitznachbarin zwinkerte mir kichernd zu und zeigte mir ihre gekreuzten Finger.

Ich stieg aus dem Flugzeug aus und der warmfeuchte, rauchige, keniatypische Geruch stieg mir in die Nase. Oh das war ein Gefühl wie Nachhausekommen.

Nachdem ich das übliche 3-Monats-Visum ohne Probleme am Flughafen erhielt und auch mein Koffer nach kurzer Wartezeit anrollte, lief ich mit Herzklopfen durch die letzte Kontrolle. Und da stand mein Emmanuel mit einem breiten, beinahe ungläubigen Grinsen im Gesicht. Er konnte es wohl nicht fassen, dass ich wirklich zu ihm gekommen war. Wir umarmten uns und das erste Mal trafen sich unsere Lippen. Die Schmetterlinge waren endgültig erwacht und ließen von diesem Moment an keine Ruhe mehr. Ein Freund und Nachbar fuhr uns mit dem Taxi nach Shanzu zu meinem Appartement. Wir saßen nebeneinander auf der Rückbank, zitternd vor Aufregung. Jede kleinste Berührung war wie elektrisierend.

Im Appartement angekommen, gab es nicht viel Zeit oder gar die Notwendigkeit, Gefühle einzuordnen oder zu reden. Wenn Ihr versteht, was ich meine. Eng umschlungen lagen wir nebeneinander, sahen uns an und es war, als sei es nie anders gewesen.

5 (Tano)

Die Woche verbrachten wir in Shanzu am Strand, gingen schwimmen, trafen Emmanuels ehemaligen Kollegen und Freunde, spazierten ins nächste Örtchen, um Obst und Gemüse zu kaufen und genossen es einfach, ein frisch verliebtes Pärchen im Urlaub zu sein. Emmanuel hatte noch nie einen Urlaub gemacht. Auch jetzt war er immer ein wenig beschäftigt. Sein Handy blieb selten still. Zu jeder Tages- und Nachtzeit wollten sich Leute mit ihm unterhalten. Für mich war das etwas ungewohnt. Aber da er gerade ein kirchliches Projekt plante und sein Wasserverkauf in Jomvu auch weitergehen musste, verstand ich die vielen Anrufe.

Eines Morgens sagte Emmanuel, er fühle sich etwas unwohl, er schwitzte viel und war nicht so aktiv wie sonst. Wir liefen zu einem Arzt in der Nähe. Es gab eigentlich in fast jedem Dorf, rund um Mombasa, Ärzte, zu denen man ohne Voranmeldung und ohne Patient zu sein, gehen konnte. Dort testete man ihn auf Malaria. Positiv. Ich erschrak, doch für Emanuel war die Diagnose kein großes Ding. In Kenia ist Malaria keine Seltenheit und er hatte Malaria mindestens viermal pro Jahr. Er nahm Tabletten ein und alles war ok. Mir allerdings zeigte es, dass meine Prophylaxe wirklich notwendig war. Ich hatte schreckliche Angst vor dieser Krankheit.

Nach der Woche in Shanzu fuhren wir in Emmanuels Dorf, nach Jomvu. Auf in mein Abenteuer. Angekommen im Dorf, luden wir mein Gepäck aus und gingen über den holprigen Lehmweg zum Hauseingang. Wenn es geregnet hatte, war der Weg glitschig wie eine Eisbahn. Aber heute hatte ich Glück, es war Dezember, 30 Grad heiß und trocken. Das Haus hatte Emmanuel selbst gebaut. Jahr für Jahr wurde es um einen Raum erweitert und die Räume vermietet, was eine weitere Einkunftsmöglichkeit brachte. Ein Raum kostete in Kenia umgerechnet 25 Euro Miete pro Monat. Die meisten Menschen mit gutem Job hatten allerdings auch nur ein Einkommen von 70-200 Euro pro Monat, selbst als Lehrer, wenn es richtig gut lief.

Auf der linken Seite gab es acht Räume, auf der rechten Seite vier Räume und in der Mitte einen offenen Gang, in dem Wäsche aufgehängt werden konnte. Am Ende des Hauses befanden sich zwei Waschräume und ein Toilettenraum.

Gegenüber der Toilette hatte Emmanuels Katze gerade drei Junge bekommen. Die putzigen Wollknäule lagen noch mit verschlossenen Augen an ihre Mama gekuschelt. Die Katze begrüßte mich mit einem Schnurren und nahm mich damit in die Familie auf.

Alle Räume waren mit Wellblech gedeckt und die Fenster bestanden aus Holzrahmen mit Fliegengittern, aber ohne Glas. Die Holztüren konnten mit einem Metallriegel verschlossen werden. Draußen standen unsere drei Wassertanks, von denen aus das Wasser an die Dorfbewohner verkauft wurde und auch per Kanister zu uns ins Haus getragen werden konnte.

Vier Räume waren vermietet, vier Räume benutze Emmanuel mit den sechs Kindern, vier Räume standen frei. Seit ein paar Monaten hatten wir einen kleinen Küchenanbau gefertigt, in dem es eine Anrichte mit einem Gaskocher gab. Diese Küche war das berühmteste Örtchen in ganz Jomvu und wurde schon des Öfteren besichtigt.

Ich war bisher nur in dem Raum, der als Wohnzimmer genutzt wurde, gewesen. Der Betonboden war in die Jahre gekommen und hatte ein paar Löcher. Das Wellblechdach war an manchen Stellen undicht. Das Sofa stand schon vor zehn Jahren dort und viele kleine Katzen hatten ihre Zeit darauf verbracht, samt Geschäftverrichten. Aber trotz allem versuchten Emmanuel und die Kinder, es gemütlich zu halten. Mit Hygiene in unserer westlichen Welt natürlich nicht zu vergleichen. Wir zogen die Schuhe im Korridor aus, bevor wir das Wohnzimmer betraten. Das war so üblich, machte aus meiner Sicht allerdings nicht ganz so viel Sinn, da auch die barfüßigen Kinder und die Tiere ein- und ausgingen und meine Fußsohlen daher nach zwei Minuten schwarz und sandig waren.

Zum ersten Mal durfte ich das Heiligtum betreten. Den Raum, der Emmanuel gehörte und der immer hinter einem Vorhang versteckt war. Dies sollte nun unser gemeinsames Schlafzimmer werden. Dort stand nur ein Bett auf dem Betonboden. Das war‘s. Es gab keinen Schrank oder ähnliches für Kleidung. Die Kleider lagen als Haufen auf einem alten Tisch. Alles war sehr staubig, bedingt durch die glaslosen Fenster. Die Räume waren nach oben hin offen mit Blick auf das zum Teil löchrige Wellblechdach. Es war heiß und stickig. Unterschiedlichste Musik, Muezzinrufe, Ziegengeblöke und Hühnergackern tönten aus sämtliche Richtungen. Ich stellte meinen Koffer ab und atmete tief ein und aus. Ok, jetzt erstmal zum Waschraum und zum Klo. Der Waschraum am Ende des Hauses wurde von allen Bewohnern benutzt. Ein etwa 1 qm großer Betonraum mit Wellblechtür. Innen nichts. Die Wände voller grauschwarzer Stockflecken. Ok, weiter zur Toilette. Ein 1 qm großer Betonraum mit Wellblechtür und einem Loch im Boden, umringt von Fliegen und Mosquitos. Ich hielt den Atem an. Ich war noch nie hier unten bei den Toiletten gewesen, dachte ich mir. Und da musste man bei jedem Wetter am Tag und in der Nacht hinlaufen? Emmanuel füllte mir eine Schüssel mit etwa 5 Litern Wasser und sagte, „Damit kannst du baden gehen. Und wenn du zur Toilette möchtest, nimmst du dir ein paar Blätter Toilettenpapier aus dem Wohnzimmer mit.“ Woher sollte ich wissen, wieviel Toilettenpapier ich brauchte? Und was machte ich, wenn ich mehr brauchte? Rufen? Und wo ließ ich meine ganzen anderen Utensilien wie Rasierer, Shampoo, Duschgel usw.? Musste ich jedes Mal mehrfach hin- und herlaufen, um alles dorthin zu verfrachten? Das überforderte mich jetzt erstmal. So musste ich auch ausgesehen haben. Denn Emmanuel schnappte sich die Schüssel mit Wasser, nahm mich an die Hand und sagte, „Komm, wir baden zusammen.“ Nur mit einem Kikoi (eine Arte Tuch) und Flipflops bekleidet, gingen wir gemeinsam den Gang und die kleine Treppe hinunter. Er quetschte sich mit mir in den kleinen Raum und wir gingen in die Hocke, dann wurde ich mit dem kalten Wasser nass gespritzt und daraufhin mit einem Stück Sack und Seife abgeschrubbt. Eine spannende Erfahrung, bei der sicher einige erfahrene Sauna- und Spabesucher gerne mit mir getauscht hätten.

Danach sprühte ich mich mit Mosquitospray ein, zog mir etwas bequemes Leichtes an und ging in die kleine Küche. Dort kochte ich mit den zwei älteren Töchtern das Abendessen, soweit sie mich helfen ließen, denn egal was ich machte, es war erstmal nicht richtig. Die beiden älteren Töchter Josephine (22 Jahre) und Sarah (20 Jahre) waren in Jomvu geblieben. Josephine hatte Weihnachtsferien vom College und Sarah arbeitete in einer Fabrik in Jomvu. Beide Töchter hatten wir langsam auf unsere eventuelle Beziehung vorbereitet. Trotzdem muss es sich für sie sehr komisch angefühlt haben, als sie ihren Papa und mich das erste Mal Händchenhalten sahen. Zu Josy hatte ich eine sehr intensive Verbindung aufgebaut. Sie war die älteste Tochter und hatte bereits ein eigenes Handy. Seit etwa zwei Jahren schrieben wir fast täglich über WhatsApp. Sie erzählte mir all ihre Geheimnisse. Viele Male schrieb sie mir, sie sei so froh, mich zu haben. Ich sei mehr als eine Mutter für sie, ihre beste Freundin und Vertraute. Wir beide liebten es, zu singen. Wir schickten uns gegenseitig unsere eingeübten Songs und ich ermutigte sie, selbstbewusster zu werden. Sie hatte eine atemberaubende rauchige, tiefe Stimme.

Schon am ersten Abend nach dem Essen hingen wir aufeinander vor dem Handy und machten Karaoke.

Ein Nachbar, von allen Babu genannt, unterbrach unsere Karaokeshow und ließ nach mir rufen. Babu, das heißt Opa auf Kisuaheli, war ein alter indischer Mann, der in einem kleinen Haus auf dem Nachbargrundstück lebte. Jeden Tag, wenn Emmanuel zu den Tanks ging, begrüßte er auch Babu und sie unterhielten sich eine Weile. Babu war sehr alt und er hustete laut. Ich hörte seine Stimme schon am ersten Abend in unser Wohnzimmer dringen, als er nach seinen Enkeln rief, damit sie ihm etwas aus den naheliegenden kleinen Shops besorgten. Mit Emmanuel an der Hand ging ich hinüber, klopfte an seine Tür und rief: „Hodi!?“ was so viel heißt wie „Darf ich eintreten?“ Er erwiderte mit „Karibu“, „Willkommen“. Babu bat uns, Platz zu nehmen. Er sprach sowohl Englisch als auch Kisuaheli und erzählte uns ein wenig aus seinem Leben. Er fragte mich nach meinen Beweggründen, hierhergekommen zu sein und was meine Pläne wären. Ich fühlte mich bei ihm direkt wohl und plapperte drauf los. Seine Erscheinung und sein, nennen wir es, Karma, gaben mir das Gefühl, ihm alles anvertrauen zu können. Ich verstand sofort, warum ihn alle liebevoll Babu nannten. Zum Abschied sagte er mir: „Es ist nicht wichtig, wo du auf der Welt lebst. Die Hauptsache ist, dass dein Herz Frieden empfindet.“ Bumm! Das saß! Es gab meinem Herzen einen Stoß. Wir verabschiedeten uns und Emmanuel und ich gingen wieder ins Haus zurück. Es war spät geworden.

In zwei Tagen wollten wir mit dem Bus zur Oma nach Kithioko reisen, um die vier jüngeren Kinder Jacob (15), Amani (12), Shari (10) und Malu (5) abzuholen. Ich war schon ziemlich aufgeregt, wie sie auf mich reagieren würden. Sie liebten mich sehr, als Heike, die, wie eine liebe Tante, manchmal mit Geschenken zu Besuch kam, aber als Freundin des Papas? Shari hatte mir einmal einen Brief geschrieben, in dem sie mich bat, ihre Mama zu werden. Und Malu konnte sich an ihre leibliche Mutter nicht erinnern, da sie erst eineinhalb Jahre alt war, als diese starb. Bevor ich kam, hatte Emmanuel versucht, anzutasten, wie sie es fänden, wenn ich käme, wenn ich für länger bliebe, oder gar für immer. Die Kinder feierten diese Idee. Trotzdem verursachte mir der Gedanke an die nächste Begegnung ein flaues Gefühl in der Magengegend. Ganz zu schweigen von der ersten Begegnung mit Emmanuels Mutter.

Die erste Nacht in Jomvu war wirklich schön. Meine Angstgefühle waren weit fortgeflogen. Mit Emmanuel fühlte ich mich sicher und geborgen. Und unter dem Mosquitonetz konnten mir auch die Hunderten von Mosquitos nichts anhaben. Emmanuel fragte mich, ob ich zuhause auch immer wie ein „Soldier“ schlafen würde und deutete auf meine luftigen Schlafklamotten. Ich lachte und mir war klar, warum sie hier so viele Kinder hatten.

Etwas gewöhnungsbedürftig, aber auch ziemlich lustig, war das Knabbern des Holzwurms, der in der Zimmertür lebte und sich nachts genüsslich durch die Bretter fraß, und auch die Käfer, die die Mais- und Bohnensäcke bewohnten, waren ziemlich fleißig. Es raschelte, schmatzte und krabbelte überall.

Der Weckruf der Hähne klang für mich herrlich romantisch. Ich war angekommen in meinem Abenteuer. Alles andere würde sich mit der Zeit schon einspielen.

In Jomvu hatten mich die Nachbarn sehr freundlich aufgenommen und begrüßt. Ich half Emmanuel ein wenig am Wassertank, wurde aber von den Frauen etwas belächelt. Die schwache, reiche, weiße Frau konnte doch nicht arbeiten. Die hätten mich mal sehen sollen, wie ich in meinem Beruf körperlich geackert habe. Denen würde ich es noch zeigen, dachte ich mir. Aber ich muss auch zugeben, dass mich meine intensive Sport- und Selbstverteidigungsphase recht dürr und drahtig erscheinen ließ. Ich hatte nur noch 58 kg bei 1,68 m Körpergröße und neben den vielen dauerschwangeren Kenianerinnen mit breiten Hüften, runden Hintern und riesiger Oberweite, sah ich wahrscheinlich eher mickrig aus.

6 (Sita)

Schon am nächsten Abend sollte uns ein Bus nach Kithioko fahren. Mit einem kleinen Rucksack bepackt, eilten wir zu zweit, als Beifahrer auf einem Motorrad, durch das Dorf, zur Sammelstelle an der nächsten Hauptstraße. Man beeilte sich immer, da es auch in Kenia festgelegte Abfahrzeiten gab, trotzdem wartete man oft Stunden bis der Bus endlich kam und so war es auch hier. Zwei Stunden später rollte der Bus an und wir stiegen erwartungsfroh ein.

Die Fahrt dauerte zehn Stunden. Ich schlief kaum in der Nacht. Meine Gedanken kreisten um die erste Begegnung mit den Kindern, der Oma und wie wohl die erste Nacht dort werden würde. Ich wusste nicht, wo wir schlafen sollten, geschweige denn, wie es dort genau aussah.