Fantastisches Tagebuch - Janina Schmiedel - E-Book

Fantastisches Tagebuch E-Book

Janina Schmiedel

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Beschreibung

Wer sind Hans, Ulrike, Billy und Dean? Und welche Rolle spielt ein Monster namens Ulli? Worauf muss man beim Kauf eines nachtblauen Neuwagens gefasst sein, und was ist eigentlich aus diesen Leuten geworden, die ständig die Jobcenter-Maßnahme geschwänzt haben? Dieses Buch, das in zwei fantastische Welten führt, ist nach "Seite 22, Zeile 22" das zweite gemeinsame Schreibprojekt von Janina Schmiedel und Ute-Marion Wilkesmann. Sie haben unabhängig voneinander nach zuvor ausgelosten Vorgaben jeweils ein fantastisches Tagebuch geschrieben. Neugierig? Dann lesen Sie dieses Buch.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Fantastisches Tagebuch Janina Schmiedel

Fantastisches Tagebuch Ute-Marion Wilkesmann

Gemeinsame Publikationen

Vorwort

Für unser neues gemeinsames Schreibprojekt haben wir das Thema Fantastisches Tagebuch gewählt. Als gemeinsamen Rahmen, der in beiden Texten eingehalten werden sollte, haben wir festgelegt, dass das Tagebuch über ein Jahr geführt sein soll und dass die Namen Billy, Hans, Dean und Ulrike vorkommen müssen. Ein Monster namens Ulli haben wir, nachdem wir schon mit dem Schreiben begonnen hatten, als weitere Vorgabe hinzugenommen. Andere Namen waren nicht erlaubt. Wie bei unserem letzten Projekt Seite 22, Zeile 22 haben wir unabhängig voneinander unsere Texte geschrieben und sie uns erst gegenseitig vorgestellt, als beide abgeschlossen waren.

Für Leser, die es ganz genau wissen wollen: Das Projektthema haben wir aus mehreren Vorschlägen ausgewählt, die wir über einen längeren Zeitraum gesammelt haben. Sie könnten jetzt zum Beispiel auch:

eine Geschichte aus einem Waschzettel,

eine fiktive Autobiografie oder

eine Entwicklungsgeschichte anhand von Soundtracks

in den Händen halten.

Die Namen haben wir folgendermaßen ausgewählt: Jeder von uns hat jeweils sechs Vornamen (drei männliche, drei weibliche) ausgesucht. Per Losverfahren haben wir daraus unsere vier Figuren gezogen. Das Ulli-Monster war eine spontane Zugabe. Die Namen, die beim Losen ausgeschieden sind, waren:

Alwina,

Christel,

Helma,

Marian,

Penny,

Raffael,

Richard und

Samantha.

Wie die Geschichten wohl ausgefallen wären, wenn Christel, Helma, Penny und Marian die Hauptrollen übernommen hätten?

Das werden Sie nie erfahren. Aber lesen Sie selbst, wie Hans, Ulrike, Billy und Dean sich schlagen.

Herbst 2023

Janina Schmiedel & Ute-Marion Wilkesmann

Fantastisches Tagebuch Janina Schmiedel

Heute ist der vierte Tag. Dean schnitzt jeden Tag eine Kerbe in den Pfahl, den wir als Sonnenuhr vor unseren Hütten in den Boden geschlagen haben. Dean ist 23 Jahre alt, ein Sprachgenie, ruhig, melancholisch, sensibel. Er scheut Auseinandersetzungen und zieht sich zurück, wenn nur die leiseste Spannung in der Luft liegt. Er war es, der uns am Tag der Ankunft zu dieser verlassenen Siedlung geführt hat, so zielsicher, als wäre er schon einmal hier gewesen. Er ist auch der Einzige von uns, der nicht mit dem Verlust der Zivilisation zu kämpfen hat. Ulrike vermisst ihr Handy, ihren Hochleistungsmixer und ihre elektrische Zahnbürste. Sie hat Sehnsucht nach ganz banalen Alltagsgegenständen. Heute Morgen stand sie im Eingang unserer verfallenen Hütte und schwärmte von Schlüsseln. „Ach, wenn ich jetzt meinen Schlüsselbund einstecken könnte.“ Ulrike hat ziemlich einen an der Waffel. Nicht, dass man das nicht über uns alle sagen könnte. Wir haben ganz klar alle einen an der Waffel. Sonst wäre diese Expedition hier niemals zustande gekommen. Dean mit seiner exzentrischen Art, Billy, der unmenschlich wenig Schlaf braucht, immer unter Strom, Hans, der Urspinner, der für all das hier verantwortlich ist, und ich – was soll ich über mich sagen?

Ich werde unseren Weg dokumentieren. Jeder von uns hat seine Aufgabe und seine ganz persönlichen Gründe, aus denen er hier ist.

Ulrike steht gedankenverloren am Hütteneingang. Ich habe sie gefragt, ob sie immer noch ihren Schlüssel vermisst. Sie sagt ja, aber noch mehr vermisse sie einen Spiegel. Jeder verarbeitet den Kulturschock auf seine Weise. Ulrike ist Altertumswissenschaftlerin. Bis vor Kurzem hat sie in einer Teebeutelfabrik am Fließband gestanden, VHS-Kurse gegeben und stundenweise in einem Kiosk als Aushilfe gearbeitet. Sie sieht müde aus. Ich bin froh, dass wir uns eine Hütte teilen. Ich mag sie, und ihre chaotische Art beruhigt mich.

Billy und Hans haben sich nebenan eingerichtet. Dean hat eine eigene Hütte bezogen. Wir haben die ersten Tage damit verbracht, die Hütten so weit auszubessern, dass wir eine Weile bleiben und im Notfall hierher zurückkommen können. Ich habe mit Hans eine überdachte Feuerstelle und einen kleinen Steinofen gebaut. Dean ist geschickt im Feuermachen.

Bisher sind wir niemandem begegnet. In den nächsten Tagen werden wir den großen Fluss suchen. Billy meint, in wenigen Tagen Fußmarsch könnten wir eine größere Siedlung erreichen und am Fluss gebe es sicher Schiffe und Händler. Ich habe davon gelesen, dass es hier einen großen Fluss gab, der in den Atlantik mündete. Und einen riesigen See.

Ich glaube, ich vermisse die Süßigkeiten am meisten. Waffeln und Schokoriegel. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich nie wieder Zuckerwatte essen werde. Was für ein absurder Gedanke. Wann habe ich schon mal Zuckerwatte gegessen?

***

Der sechste Tag. Morgen machen wir uns auf den Weg. Wir haben beschlossen, zusammenzubleiben. Die Option, dass zwei zurückbleiben und das Lager bewachen, haben wir verworfen. Was gibt es da schon groß zu bewachen? Und es ist nicht einmal gesagt, dass wir wiederkommen. Wenn wir eine Siedlung finden, werden wir ver suchen, uns dort unauffällig unter die Leute zu mischen. Billy sagt, wir sollten uns als schiffbrüchige Händler ausgeben. Ulrike und Dean sind skeptisch. Ich habe auch so meine Bedenken, aber keine bessere Idee. Und abgesehen davon ist das Ganze sowieso ein derart gigantischer Irrsinn, dass man sich kaum an solchen Kleinigkeiten aufhängen kann. Mir ist es lieber, wenn wir zusammenbleiben. Daher bin ich dafür, dass wir gemeinsam aufbrechen. Nicht nur, weil es sicherer ist. Wie soll ich den Überblick behalten, wenn jeder auf seinem eigenen Weg durch die Gegend stromert?

„Jetzt ein Schaumbad“, ruft Ulrike, die gerade dabei ist, ihren Rucksack zuzuschnüren. Wir haben nur das Nötigste mitgenommen. Badeschaum gehört nicht dazu.

***

Tag 7. Wenn wir hier in der Schöpfungsgeschichte wären, könnten wir heute ruhen. Stattdessen geht es jetzt erst richtig los. Billy war bei der NVA. Das ist so ziemlich das Einzige, was ich über seine Vergangenheit weiß. Er trägt einen alten Militärrucksack und beschwert sich nie über irgendwas. Selbst wenn es heißen Teer reg nete, Billy würde wahrscheinlich einfach weitermarschieren. Dean könnte man für einen hochgewachsenen Teenager halten. Er ist schlank und macht nicht den Eindruck, als könnte er schweres Gepäck schleppen, aber auch er ist zäh. Hans trägt Segelschuhe, eine helle Stoffhose und ein T-Shirt mit einem AC/DC-Aufdruck, das sich über seinem Bauch wölbt. Ulrike trägt zerschlissene Outdoorkleidung, die schon viel von der Welt gesehen hat. Diesen Teil der Welt natürlich nicht. Ich weiß, ich muss alles von Anfang an erzählen. Heute Abend, wenn wir unser Lager aufgeschlagen haben, werde ich alles genau berichten. Billy ruft. Wir müssen los.

***

Der gleiche Tag, abends. Wir waren den ganzen Tag unterwegs. Ich kann kaum die Augen offenhalten. Ulrike und Hans halten das Feuer in Gang. Billy sucht die Gegend nach Feuerholz ab. Dean sitzt neben mir im Shelter und schreibt. Er überrascht mich immer wieder. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich so gut mit Billy versteht. Sie haben ein absurdes Spiel angefangen. Es heißt Sätze sagen, die noch nie zuvor jemand gesagt hat. Es geht ungefähr so: Wir wandern stundenlang durch das karge Grasland. Die Hitze macht uns allen zu schaffen (außer Billy natürlich). Ulrike und ich gehen schweigend nebeneinander. Hans einige Schritte vor uns. Dicht hinter uns Billy und Dean. „Alfons Kuchenbuch möchte einen Keramikofen im Standesamt von Schmedeswurtherwesterdeich gegen einen halben Stiefelknecht eintauschen“, sagt Dean. Sie sind sich einig, dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass dieser Satz schon jemals so gesagt wurde. Zufrieden stapfen sie weiter. „Im Finanzamt Süd lassen die Beamten Hydrantenfabrikanten an Ampeln zertrampeln.“ Auch sehr wahrscheinlich Premiere. Ulrike meint, dass strenggenommen ja wohl jeder Satz bisher ungesagt sei. Zum Beispiel auch: „Komm, Fifi!“ oder „Kaffee ist fertig.“ Ulrike seufzt. Träume von Kaffee schwirren zwischen unseren Köpfen umher.

Ich sehe auf zu Dean. Er schreibt und zeichnet in sein schwarzes Buch. „Vive la Révolution“, sage ich in die nächtliche Stille hinein. Er grinst und zeichnet wortlos weiter.

Wir sind Anachronismen. Wir bringen Sätze, Feuerstahl und Armeerucksäcke in eine fremde Zeit, lange bevor es unsere Sprache und solche Zivilisationsgegenstände überhaupt gibt … Es wird Zeit, dass ich alles erkläre, von Anfang an. Und mit Anfang meine ich eigentlich eine Zeit viele Tausend Jahre von hier in ferner Zukunft. Das klingt sehr theatralisch. Dabei hat alles ganz prosaisch begonnen: Ich habe Hans bei einer Maßnahme vom Jobcenter kennengelernt. Er fiel mir auf. Jeden Morgen suchte ich in der Reihe von müden, resignierten, verbitterten Gesichtern das eine, das vergnügt in ein Butterbrot biss oder in einem abgegriffenen Science-Fiction-Roman steckte. Wie schaffte dieser Mann es, jeden Tag das gleiche Gefasel von optimierten Lebensläufen und Umschulungschancen in der Telekommunikationsbranche zu ertragen und nicht deprimiert zu sein? Ich nahm all meine mittelmäßigen „Conversation-Skills“ zusammen, von der die Kursleiterin ständig quatschte, und sprach Hans in der Pause an. Ich weiß nicht mehr genau, was ich gesagt habe, es war irgendwas richtig Bescheuertes, und ich war noch dabei, mir innerlich kraftvoll die flache Hand mehrmals vor den Kopf zu schlagen, als wir schon mitten in einem Gespräch über irgendwelche Artefakte waren, die er angeblich untersuchte, und Geheimwissen, zu dem er sich Zugang verschafft hatte. In der nächsten Pause brauchten wir etwas länger, um uns einen Kaffee zu holen, so etwa zwei Stunden. –

Billy ist zurück. Dean und er übernehmen die erste Wache. Wir anderen schlafen jetzt ein paar Stunden. Wir werden in den nächsten Tagen weiter nach Zeichen von Zivilisation suchen. „Jetzt eine Federkernmatratze …“, seufzt Ulrike. „Mit doppeltem Federkern und Palmfaserauflage, kreuzweise verspannten Federmuffen, also hüftfreundlich in der Seit-, Bauch- und Rückenlage“, murmelt Hans. Dean und ich lachen, vermutlich aus unterschiedlichen Gründen.

***

Derselbe Tag bzw. dieselbe Nacht. Die anderen schlafen. Seit ich die Bekanntschaft von Hans gemacht hatte, begannen sich meine alten Lebensgeister, die aus verschiedenen Gründen schon längere Zeit ein Schattendasein geführt hatten, langsam wieder für meine Existenz zu interessieren. Ich wollte unbedingt an Hans’ geheimem Forschungsprojekt teilnehmen. Nach unserem ersten Gespräch haben wir das Bewer bungsseminar einige Male geschwänzt, um über seine Pläne zu sprechen. Daraufhin wurden wir vom Seminar ausgeschlossen und bekamen Sanktionen. Meine Wohnung stand zu diesem Zeitpunkt schon längst auf der Kippe, da ich wegen anderer Unachtsamkeiten bereits früher sanktioniert worden war und die Miete nicht immer vollständig überwiesen hatte. Ich hatte wirklich nicht allzu viel zu verlieren. Hans erzählte mir von einem Portal. Sollte dieses Tagebuch irgendwann in ferner Zukunft einmal gefunden werden, stellen die Leser sicher nicht infrage, was ich nun schreibe, da sie den Beweis ja dann in Händen halten. Aber ist da jemand? Wird, nachdem wir so weit gekommen sind, auch der letzte große Schritt glücken? Natürlich wäre es eine besondere Genugtuung, wenn Frau Annegret W. aus dem Jobcenter Feindallee über den Fund und mein Mitwirken an diesem Projekt Kenntnis bekommen würde … Aber das ist eine Nebensächlichkeit. Hans erzählte jedenfalls von diesem Portal und seinen Plänen. Er war dabei, ein kleines Forscherteam zusammenzustellen. Die meisten, die sich zunächst begeistert hätten, seien schließlich wieder abgesprungen. Doch lieber Karriere machen, Familie gründen, weiß der Geier was. Ich war elektrisiert. Ich würde ganz sicher nicht abspringen. Nicht nur wegen der Zwangsräumung meiner Wohnung in ein paar Wochen. Auch weil ich es unbedingt wollte: Das Portal suchen, das in eine andere Zeit führte. „Irgendwas um drei- bis viertausend vor Christus rum“, meinte Hans. Natürlich hielten ihn alle für einen Spinner. Ein Atlantis- und Zeitinstabilitätsforscher gilt in unserer Zeit – das heißt in der verkorksten Zeit, aus der wir kommen – nun mal als totaler Spinner. Jedenfalls nicht als jemand, der für einen Job als Sales Key Accountant oder Polsterer in einer Fabrikationshalle geeignet ist. Hans ist ein Anachronismus. Und ein Magnet für Anachronismen. Er ließ mich bei sich auf dem Sofa schlafen, nachdem die Möbel aus meiner Wohnung geholt worden waren. Das waren immer noch meine, aber nach der Zwangsräumung gab es keinen Ort mehr, an dem ich sie hätte lassen können. Wir arbeiteten auf Hochtouren. Es dauerte knapp sechs Monate, bis wir das Forscherteam zusammenhatten. Ulrike kannte ich vom Kiosk, in dem sie manchmal arbeitete. Ich hatte vor einiger Zeit einen Job als