Fast nackt - Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben - Leo Hickman - E-Book + Hörbuch

Fast nackt - Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben E-Book und Hörbuch

Leo Hickman

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Beschreibung

Ist es möglich, ein ganzes Jahr lang komplett umweltfreundlich, ökologisch und sozial engagiert zu leben? Diese Frage stellt sich der englische Journalist Leo Hickman in diesem herrlich humorvollen Erfahrungsbericht. Er beschließt, sich auf das Experiment einzulassen und holt auch Ehefrau Jane und seine kleine Tochter mit ins Boot. Doch schnell muss die Familie einsehen, dass ein durchweg nachhaltiger Lebensstil nicht so einfach durchzuhalten ist: scheinbare Kleinigkeiten wie Kosmetikprodukte und Putzmittel werden schnell zum Streitthema. Selbstironisch und informativ berichtet Hickman über einen abenteuerlichen Selbstversuch, der zum Nachdenken anregt.-

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Zeit:9 Std. 21 min

Sprecher:Marcus Born
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Leo Hickman

Fast nackt - Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben

Übersezt von Theda Krohm-Linke

Saga

Fast nackt - Mein abenteuerlicher Versuch, ethisch korrekt zu leben

 

Übersezt von Theda Krohm-Linke

 

Titel der Originalausgabe: A life stripped bare

 

Originalsprache: Englisch

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 2008, 2021 Leo Hickman und SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728013328

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Vorwort

Man hat es mir einmal als den Zuckererbsen-Moment beschrieben: das Schuldgefühl, das einem sagt, man tue etwas Schlechtes, wenn man eine kleine Packung Zuckererbsen kauft, die per Luftfracht von einem Feld in Kenia in das Supermarktregal, vor dem man steht, gekommen ist. Aber dieser Moment geht rasch vorbei, wenn man feststellt, oh verdammt, man hat nur noch eine halbe Stunde Zeit, um einzukaufen, nach Hause zu fahren, sich zu duschen und etwas Eindrucksvolles auf den Tisch zu bringen, bevor die Schwiegereltern zum Abendessen kommen. Bedenken über »Lebensmittelkilometer«, Ausbeutung billiger Arbeitskräfte und unnötig aufwändige Plastikverpackungen können bis morgen warten.

Aber morgen wird es nie. Jedenfalls nicht bei mir zu Hause. Die guten Absichten und die Sorge um die Probleme der Welt sind zwar da, aber wenn ich meine Gewohnheiten verändern soll, um danach zu leben, dann sind sie weitaus weniger wichtig als Wäsche waschen, zur Arbeit fahren, Rechnungen bezahlen, Windeln wechseln, einkaufen gehen, ein Bier trinken und all die anderen Dinge, die meinen Alltag bestimmen. Seit einigen Jahren plagen mich zwar immer heftigere Schuldgefühle, aber aus diesen das entsprechende Handeln zu entwickeln, gelingt mir offenbar nicht.

Irgendwann in unserem Leben stehen wir alle vor großen Fragen (bei mir war das der Fall, als wir unser erstes Kind bekamen): Wer bin ich? Was mache ich mit meinem Leben? War das schon alles? Bin ich ein guter Mensch? Und was ist es, habe ich mich gefragt, das mich davon abhält, mich aus dem Sessel zu erheben und etwas zu tun – wie unbedeutend auch immer – das etwas Positives in der Welt bewirkt?

Natürlich wissen wir, dass unser westlicher Lebensstil auf uns, unsere Nachbarn und die Umwelt negative Auswirkungen hat, aber wir verschließen lieber die Augen davor. Jeden Tag lese ich über Schwermetallablagerungen in Lachs, von Deos mit Krebs erregenden Inhaltsstoffen, von der Zunahme sozialer Ungleichheit oder von übervollen Müllkippen. Fassungslos stehe ich vor den traurigen Fakten unseres verschwenderischen und egoistischen Lebensstils: Weltweit werden jährlich 33 Milliarden US-Dollar für Make-up und Parfüm ausgegeben, wo schon 29 Milliarden US-Dollar pro Jahr ausreichen würden, um den Hunger zu besiegen und sauberes Wasser für alle zu garantieren; oder dass es in den USA mehr Privatautos gibt als Menschen, die einen Führerschein besitzen; oder dass die Hälfte der Weltbevölkerung vom Gegenwert von zwei Dollar am Tag lebt – weniger als ich auf dem Weg ins Büro für einen Kaffee ausgebe.

Aber ich rufe lieber über Teletext die Fußballergebnisse ab oder gehe mit meiner Tochter im Park spazieren, als zu lange über dieses hässliche, negative Zeug nachzugrübeln. Und außerdem, was kann ich schon tun? Deshalb gehen wir doch wählen.

Das war der Hintergrund, als beim Guardian, wo ich als Journalist arbeite, folgende Herausforderung auf mich zukam: Konnte ich – jemand, der ein ganz normales, komfortables Leben in einem Londoner Außenbezirk führt – meine täglichen Gewohnheiten als Konsument zurückschrauben und versuchen, ihre tatsächliche Auswirkung zu verstehen? Konnte ich ein paar Monate lang ein »ethischeres« Leben führen, indem ich behutsamer mit den Ressourcen der Erde umging und für mich selber und meine Umwelt eine positivere Kraft wurde? Konnte ich mich der kleinen, jedoch ständig wachsenden Gemeinschaft derer anschließen, die bewusster und weniger verschwenderisch leben wollten? Den Menschen, die laut dem ethischen Verbraucherbericht 2004 den Konsum von Bio-Lebensmitteln über die Milliarden-Pfund-Grenze angehoben hatten, nachdem es 1999 erst 390 Millionen Pfund gewesen waren, und die 2003 24,7 Milliarden Pfund für ethische Einkäufe ausgegeben hatten?

Hier ging es nicht ums Aussteigen und um ein Leben als Eremit in einer Höhle im schottischen Hochland. Ich bräuchte kein Manifest an meinen Kühlschrank zu hängen, um ständig daran erinnert zu werden. Es steckte einfach nur die Idee dahinter, zu sehen, wohin mich die Reise führen würde. Und ich konnte mich ganz sicher nicht wie ein Weight-Watchers-Champion auf den Tag freuen, an dem ich stolz den Bio-Champagner öffnete und erklärte: »Ich habe es geschafft. Mein Leben ist völlig frei von Schuld.«

Ein Problem erkannte ich jedoch sofort. Ich würde Hilfe brauchen, jemanden, der mich in meinen schwachen, unethischen Hintern trat, wenn ich wankelmütig wurde und aufgeben wollte. Allerdings wollte ich auch nicht, dass mir irgendein Alt-Hippie, der nur Tofu-Burger aß und ständig mit seinem chi in Kontakt war, sagte, was ich tun sollte. Dazu war ich viel zu zynisch. Wenn ich dieses Experiment wagen sollte, wollte ich Profis zur Seite haben, die mir begründet – und am besten noch wissenschaftlich untermauert – erklären konnten, warum ich gewisse Änderungen an meinem Leben vornehmen sollte.

Nach eingehender Überlegung kam ich zu dem Schluss, dass ich in drei wichtigen Bereichen Hilfe brauchte: bei meiner Ernährung, bei den Umweltschäden, für die ich verantwortlich bin, und bei dem Wissen über die Macht, die große Konzerne und die Regierung über uns haben.

Daraufhin meldeten sich drei Leute: Renée Elliott, Aufsichtsratsmitglied der Soil Association und Gründerin der Planet Organic-Bioläden in London; Mike Childs, Marketingleiter bei Friends of the Earth, und Hannah Berry, die für das Verbrauchermagazin Ethical Consumer schreibt und recherchiert. Bei ihnen hoffte ich die Hilfe zu finden, die ich brauchte.

Eine weitere – und wahrscheinlich schwierigere – Hürde stellte meine Familie dar. Wenn ich nicht schon nach dem ersten Wochenende wieder aufgeben wollte, mussten meine Frau Jane und unsere kleine Tochter Esme auch mitmachen. Ich muss leider sagen, dass es bei Jane einige Zeit dauerte, bis ich sie überzeugt hatte, vor allem nachdem ich ihr erklärt hatte, dass das Experiment mit dem Besuch der drei »ethischen Berater« beginnen sollte, die uns zahlreiche Fragen über unseren persönlichen Lebensstil stellen würden. Sie meinte, allein der Gedanke daran, dass jemand ihre Küchenschränke durchwühlen oder fragen würde, welches Klopapier wir benutzten, sei ihr zuwider. Ich stimmte ihr zu, köderte sie jedoch mit dem Versprechen, dass das Experiment meine Aufmerksamkeit dafür wecken würde, wie das Haus sauber zu halten sei.

Als Nächstes mussten wir definieren, was wir mit einem ethischeren Lebensstil meinten. Wir hatten nicht vor, irgendwelche diätähnlichen Regeln aufzustellen (»Wenn du jetzt zu McDonald’s gehst, enttäuschst du nicht nur mich, sondern auch dich selber.«), sondern es ging eher darum, Prioritäten zu setzen und schwierige Entscheidungen zu treffen: Ist Fair-Trade-Kaffee besser als Bio-Kaffee? Soll man nachts lieber Wegwerfwindeln verwenden? Sollte ich in jede Sammelbüchse eine Münze stecken? Was belastet die Umwelt weniger: Mit dem Bus oder mit dem Zug zur Arbeit zu fahren? Soll ich mein Kind Werbung im Fernsehen anschauen lassen?

Ich wusste von Anfang an, dass ich die Meinung und die Erfahrungen anderer Leute hören wollte, die ein ähnliches Lebensexperiment gestartet hatten, deshalb stellte ich auf die Website des Guardian eine Bitte um Hilfe und machte mich daran, ein Web-Tagebuch zu schreiben, das später in eine Kolumne für die Zeitung umgewandelt werden sollte. Aber bald schon baten die

Leute um weitere Informationen über meine persönlichen Umstände, weil sie mir detailliertere und maßgeschneiderte Ratschläge geben wollten. Deshalb versuchte ich auf einer eigenen Website so viele Fragen wie nur möglich zu beantworten:

 

Einige von Ihnen haben mich um mehr Details über mein Leben gebeten, damit Sie mir Tipps und Empfehlungen geben können. Deshalb hier jetzt eine Liste, die so aufrichtig wie möglich, in der Reihenfolge jedoch zufällig ist:

Ich esse Fleisch. Ich rauche nicht. Ich besitze kein Auto. Ich wohne mit meiner Partnerin Jane und unserer kleinen Tochter Esme in einem viktorianischen Reihenhaus mit drei Schlafzimmern. Ich heize mit Gas. Ich fahre mit dem Zug zur Arbeit (eine zwanzigminütige Fahrt). Ich treibe nicht regelmäßig Sport. Bei der Stromversorgung habe ich den grünen Tarif gewählt. Ich arbeite in einem Großraumbüro und sitze den ganzen Tag am Computer. Ich dusche einmal täglich. Ich sehe fern – relativ viel. Ich bevorzuge die Kombination Flugzeug/Mietwagen für Urlaube. Ich spende jeden Monat eine kleine Summe für wohltätige Zwecke über meine Gehaltsabrechnung, um das Finanzamt zu umgehen. Ich gehe wählen, wenn man mich dazu auffordert. Ich kaufe einmal alle zwei Wochen bei Sainsbury’s ein und fahre anschließend mit dem Taxi nach Hause. Alle paar Tage kaufe ich die Dinge des täglichen Bedarfs im Lebensmittelladen in meinem Stadtbezirk ein. Ich trinke ungefähr drei Flaschen Alkohol pro Woche. Ich bin politisch nicht aktiv. Ich esse keine Fertiggerichte, sondern versuche, alle Mahlzeiten frisch zuzubereiten. Ich kenne meine unmittelbaren Nachbarn, sonst aber niemanden in meiner Straße. Ich leiste keine ehrenamtliche Arbeit. Ich habe mein Konto bei einer großen Bank.

Ich war mir absolut nicht sicher, was die Leute aus dieser Liste schließen würden – vermutlich, dass ich ein Angestellter mit einem vorhersagbaren und sicheren Leben in einem Londoner Außenbezirk war.

Was auch immer die Leute dachten, viele erkannten ihr eigenes Leben in meiner Checkliste wieder. Ich erhielt jedenfalls über sechshundert Briefe und E-Mails aus der ganzen Welt von Menschen, die mir erzählten, dass sie sich ebenfalls träge und schuldig fühlten, weil sie nicht in der Lage waren, ein ethischeres Leben zu führen. Manche hatten das Gefühl, erfolgreich eine Wende vollzogen zu haben, wohingegen andere glaubten, gescheitert zu sein oder versagt zu haben. Mir waren alle Zuschriften wichtig, und ob sie nun zustimmend, ablehnend oder auch beleidigend waren, letztendlich beschleunigten sie meinen Wandel. In diesem Buch erzähle ich nun, wie aus meinem Zuckererbsen-Moment ein Zuckererbsen-Drehmoment wurde.

1

Jeder weiß, dass sich in den USA die zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung ihre Henkersmahlzeit aussuchen dürfen. Nun könnte man glauben, dass ihnen angesichts des bevorstehenden Ereignisses jeder Bissen im Hals stecken bleibt, aber tatsächlich nutzen viele die Gelegenheit richtig aus. Warum auch nicht? Wenn man sich über Cholesterin und Fettröllchen keine Gedanken mehr zu machen braucht, schadet es ja niemandem, so viel Salz, Fett, Zucker, rotes Fleisch und Kohlehydrate in sich hinein zu stopfen, wie man hinunter bringt.

Am Abend bevor die ethischen Berater eintreffen, frage ich Jane, ob auch wir unser »letztes Abendmahl« zu uns nehmen sollen, bevor unser Leben auf den Kopf gestellt wird. Ich schlage vor, den Anlass mit einem Festessen aus Dingen zu begehen, von denen wir annehmen, dass man sie uns wegnimmt. Um uns Anregungen zu holen, schauen wir uns an, was die Delinquenten in der letzten Zeit als Henkersmahlzeit bestellt haben. Das ist vermutlich ein bisschen geschmacklos, aber wir fühlen uns schutzlos ausgeliefert. Nachdem wir ein wenig herumgesucht haben, steht fest: vor der Hinrichtung wird vor allem von einem geträumt – von Fast Food, und zwar in großen Mengen. Nehmen Sie zum Beispiel John Hooker, der am 25. März 2003 in Oklahoma hingerichtet wurde. Er wusste offenbar genau, was er wollte – schließlich hatte er viele Jahre Zeit gehabt, darüber nachzudenken.

Drei Hühnerbrüste und drei Chicken Wings von Kentucky Fried Chicken Broccoli-Röschen mit Käsesauce Eine Ofenkartoffel mit saurer Sahne und Schnittlauch Zwei Bacon Cheeseburger Zwei Stücke Kirsch-Käsekuchen Zwei 7-Ups

Von den fünfundsechzig Personen, die 2003 in den USA hingerichtet wurden, bestellten dreizehn Burger, zwölf Brathähnchen und neunzehn Pommes frites. Aus diesen letzten Mahlzeiten kann man vor allem lernen, dass sich Menschen in Zeiten höchster Angst Trostessen zuwenden. Und je größer die Angst, desto mehr isst man.

Sie können unseren Stresslevel interpretieren, wie Sie wollen, aber wir haben vor der bevorstehenden ethischen Beratung so viel Angst, dass wir, statt uns wie üblich selber etwas zu kochen, die gesamte Speisekarte des indischen Takeaways rauf und runter bestellen und dann alles genüsslich aufessen, bis auf den Kopfsalat mit Zwiebeln, der gratis mitgeliefert wird und den wir nie anrühren.

 

Während wir auf die Ankunft der Berater warten, überlegen wir krampfhaft, was wir ihnen zum Mittagessen anbieten sollen. Was isst denn eigentlich ein ethischer Berater? Sind sie Vegetarier, Veganer oder essen sie vielleicht nur Fallobst? Muss alles biologisch sein? Oder Fair Trade? Und was sie wohl trinken wollen?

Jedesmal wenn Gäste kommen, entsteht Hektik. Man geht herum und schüttelt Kissen auf, überprüft, ob im Badezimmer alles sauber ist, gräbt Gästehandtücher und »Gästeseife« aus, schnüffelt, ob etwas Raumspray angebracht ist, räumt die Wäsche vom Wäschereck und lauter so paranoide Dinge. Normalerweise ist Jane anfälliger dafür als ich. Aber jetzt bin auch ich nervös.

»Glaubst du, wir sollten die Fernbedienungen wegräumen?«, frage ich. »Wir wollen doch schließlich nicht, dass sie glauben, wir säßen den ganzen Tag vorm Fernseher. Es stimmt ja auch nicht.«

»Nein, lass sie einfach liegen. Sie müssen ja ganz genau mitbekommen, wie wir leben.«

»Was ist mit den Windelpaketen in Esmes Zimmer?«

»Lass sie da stehen.«

Ich sehe Jane an, dass sie ebenfalls nervös ist, aber entschlossen, sich so zu verhalten, als ob wir uns wegen nichts schämen müssten. Gerade wollen wir wieder anfangen zu debattieren, was wir ihnen denn nun zum Mittagessen anbieten sollen, da klingelt es.

Hannah Berry kommt als Erste. Sie arbeitet für Ethical Consumer, ein Verbrauchermagazin, das alle zwei Monate erscheint und seine Leser über die »sozialen und umweltrelevanten Wirkungen von Produkten und die ethischen Voraussetzungen der Unternehmen, die sie produzieren« informiert. Auch Hannah kommt mir ein bisschen nervös vor, als sie sich in unserem Wohnzimmer hinsetzt. Angesichts ihres Kapuzenshirts, der kurzen Haare und der Jeans muss ich an Wohngemeinschaften, Katzen und Linsensuppe denken.

Ich frage sie, ob sie Tee oder Kaffee möchte, wobei ich feststelle, dass ich damit beginne, die Details unseres Lebens der kritischen Analyse preiszugeben.

»Kaffee, bitte«, erwidert Hannah.

»Wenn Sie möchten, kann ich statt löslichem auch richtigen Kaffee kochen.« Aus irgendeinem Grund habe ich das Gefühl, dass es uns Punkte bei Hannah einträgt, wenn wir frischen Kaffee anbieten. Jane runzelt die Stirn.

Während ich in die Küche gehe, um den Wasserkessel aufzusetzen, spekuliere ich darüber, mit welchen Etiketten Hannah uns bereits versehen hat, einfach nur, weil sie unseren Namen, unsere Adresse, unsere Jobs und so weiter kennt: Mittelschicht, berufstätige Stadtmenschen, die wahrscheinlich bei Sainsbury’s einkaufen, einen Kombi fahren, mehrmals im Jahr Kurzurlaube machen, Pinot Grigio trinken und Cashew-Nüsse essen, während sie sich im Fernsehen Dokumentarfilme anschauen.

Das Wasser kocht gerade, als Mike Childs eintrifft. Er ist der englische Marketingleiter von Friends of the Earth, einem internationalen Netzwerk von Umweltgruppen, und ist von seinem Wohnort in Yorkshire mit dem Zug nach London gekommen. Er trägt Jeans, T-Shirt und ein offenes grünes Hemd und hat das entspannte, sorglose Aussehen eines Umweltaktivisten. Ich stelle ihn Hannah vor und biete ihm etwas zu trinken an, und dann ziehe ich mich mit Jane in die Küche zurück, um zu überlegen, was wir ihnen denn nun zum Mittagessen anbieten wollen. Wir durchwühlen unsere Küchenschränke und den Kühlschrank auf der Suche nach etwas Tollem und Besonderem, das uns ethische Fleißpunkte einträgt, finden jedoch nur Dosen mit Baked Beans, Pastaschachteln und Gläser mit Mango Chutney (wobei ich schuldbewusst an das indische Curry von gestern Abend denke). Jane schimpft mit mir, weil ich das Essen nicht schon früher geplant habe. Ich stecke den Kopf durch die Wohnzimmertür und frage, ob sie irgendwelche Wünsche für das Mittagessen hätten, aber sie antworten nur freundlich und höflich (und nicht im Geringsten hilfreich), wir sollten einfach das zubereiten, was wir normalerweise auch essen würden. Also einigen wir uns auf einen Salade Niçoise: Kopfsalat, ein paar Eier, grüne Bohnen, eine Dose Thunfisch und Oliven. Zumindest ist er gesund, denken wir.

Vor unserem Haus hält ein schwarzes Taxi. Ethische Berater fahren doch nicht mit dem Taxi vor, oder? Sollten sie nicht besser zu Fuß gehen, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmittein fahren? Ich spähe aus dem Fenster und sehe, wie eine schick gekleidete Frau mit schulterlangen blonden Haaren aus dem Taxi steigt. Ich finde, für eine ethische Beraterin sieht sie ein bisschen zu glamourös aus, aber sie kommt auf unser Haus zu.

»Hallo, Sie sind bestimmt Leo«, sagt Renée Elliott, Aufsichtsratsmitglied der Soil Association und Gründerin der Planet Organic-Bioläden in London. Ihr gelassenes Selbstbewusstsein, ihre Kleidung und ihr Benehmen vermitteln den Eindruck der erfolgreichen Geschäftsfrau, was durch ihren amerikanischen Ostküsten-Akzent noch verstärkt wird. Sie ist das genaue Gegenteil der etwas schüchternen und misstrauischen Hannah, die nebenan auf dem Sofa sitzt, und wenn jemand sich mit brutaler Offenheit darüber äußern wird, wie Jane und ich leben, dann bestimmt Renée.

Da jetzt alle da sind, erkläre ich das Experiment für offiziell eröffnet.

»Danke, dass Sie zu uns gekommen sind. Ich möchte zunächst sagen, dass Jane und ich ein bisschen nervös sind bei der Aussicht, was für entsetzliche Dinge Sie aufdecken werden, also seien Sie bitte milde mit uns. Ich bin mir nicht sicher, wie wir vorgehen sollten, aber es erscheint mir sinnvoll, mit Ihnen durch jedes Zimmer zu gehen, sodass Sie sich Notizen machen und uns fragen können, was wir einkaufen, wie wir leben und so. Danach können wir zusammen zu Mittag essen. Wo sollen wir anfangen?«

»Auf jeden Fall in der Küche«, sagt Renée sofort. »Daran kann man so viel erkennen.«

Die anderen beiden nicken zustimmend, und wir begeben uns in die Küche.

Über unsere Küche gibt es nicht viel zu sagen. Sie ist etwa zehn Quadratmeter groß und ein bisschen düster, da wir sie, seit wir vor einem halben Jahr eingezogen sind, noch nicht gestrichen haben. Der Vormieter hat eine Ikea-Küche aus Holz hineingestellt, und der Fußboden ist gefliest. Sie enthält die üblichen Geräte – einen großen Kühlschrank mit Gefrierfach, Gasherd mit elektrischem Backofen, eine Waschmaschine mit integriertem Trockner und eine Geschirrspülmaschine. Für einen Esstisch ist der Raum nicht groß genug, deshalb essen wir an den meisten Abenden mit den Tellern auf dem Schoß vor dem Fernseher. Wenn wir, was selten vorkommt, Gäste zum Essen da haben, stellen wir einen kleinen antiken, ausklappbaren Tisch ins Wohnzimmer. Wir haben vor, die Wand zwischen der Küche und dem Badezimmer im Parterre durchzubrechen, das Badezimmer nach oben zu verlegen und dadurch die Küche zu vergrößern und familienfreundlicher zu gestalten, mit Verandatüren zu unserem kleinen Garten, damit Esme in ihrem Hochstühlchen etwas zu gucken hat.

Wir schildern den Beratern unsere Umbaupläne, als sie mit Klemmbrett und Stift bewaffnet unsere Küche betreten. Esme ist gerade von ihrem Morgenschläfchen aufgewacht und nimmt auf Janes Arm an der Besichtigung teil.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir in Ihren Kühlschrank schauen?«, fragt Renée.

»Äh, nein, bitte«, murmele ich.

Während sie prüfend den Inhalt mustert, komme ich mir vor, als läse sie in meinem Tagebuch. Essen wir Fertiggerichte? Wie lange steht die mit Frischhaltefolie abgedeckte Thunfischdose schon hinten im Kühlschrank? Wussten Sie nicht, dass man gekochtes und rohes Fleisch getrennt aufbewahren muss?

Die Berater nehmen Päckchen mit Zuckererbsen in die Hand und erklären uns missbilligend, wo sie angebaut werden. Sie stellen fest, dass wir zwar Bio-Milch trinken, unsere Eier zwar aus Freilandhaltung, jedoch keine Bio-Produkte seien.

Mit jedem Teil, das sie aus dem Kühlschrank holen, scheinen sich mehr Probleme aufzutürmen: Pestizid-Rückstände, Zusatzstoffe ... Ein wichtiges Thema ist, ob Jane und ich uns nicht besser vegetarisch ernähren sollten. Hannah, die seit ihrem neunten Lebensjahr Vegetarierin ist, legt uns mit erschreckender Detailliertheit dar, was auf unseren Bauernhöfen und Schlachthöfen vor sich geht. Renée jedoch – die ebenfalls Vegetarierin ist – legt Wert auf die Tatsache, dass man diese Entscheidung von sich aus treffen sollte. Ich wende mich an Mike und frage ihn, ob er Fleisch isst. »Nur von einem Tier, das auf den Hügeln und Weiden in meiner Umgebung aufgewachsen ist«, erwidert er. Ich blicke aus dem Fenster und sehe, wie eine in London aufgewachsene Taube in unserem Garten landet.

Ich werde immer nervöser, wenn ich an das Mittagessen denke. Was werden sie mit dem Thunfisch und den Eiern anstellen? Sollten wir lieber etwas anderes zubereiten? Aber was? Kopfsalat und grüne Bohnen? Das ist wohl kaum eine richtige Mahlzeit. Und wie wäre es mit Pasta? Ich bin noch dabei, mir zu überlegen, was für eine Sauce wir dazu essen könnten, als Renée einen unserer Kücheschränke öffnet.

Sie quietscht vor Entzücken. »Ich liebe es, in den Vorratsschränken anderer Leute herumzuschnüffeln.« Sie scheint es ein bisschen zu sehr zu genießen.

Mike und Hannah bleiben ruhiger, als sie zuschauen, wie Renée anfängt, unsere Küchenschränke auf die Arbeitsfläche auszuräumen. Vielleicht dämpfen ja die abgelaufenen Ingwerkekse oder das angebrochene Paket Weizenmehl ihren Enthusiasmus?

Ein paar Minuten lang räumt sie rigoros aus, wobei sie ab und zu unterdrückt aufkeucht und wissend in die Runde blickt, und schließlich türmt sich ein Berg aus Dosen mit Baked Beans und Tomaten, Nudelpaketen (wir zählen sieben verschiedene Sorten, obwohl ich schwören könnte, dass wir immer nur Spaghetti, Fusilli oder Penne essen), Gewürzgläschen und Saftkartons. Auch Brot, Reis, Wein- und Bierflaschen, Nüsse und Trockenobst sowie Tee und Kaffee liegen da, und ich stelle fest, dass vieles unbenutzt hinten im Schrank gelegen hat.

Ein Muster bildet sich heraus: Die Berater durchforsten jeden Winkel und zeigen uns dann auf, wie das, was sie finden, uns, anderen oder der Umwelt schadet. Alles wird unter die Lupe genommen: Wein, Thunfischdosen, Eier, Tiefkühlteig, frisches Obst, Reispackungen, Kekse, sogar die Salz- und Pfeffermühlen.

Ich weiß nicht, wie es Jane geht, aber ich sehne mich bereits nach einem starken Drink, und dabei sind wir noch nicht einmal mit der Küche fertig. Sehnsüchtig blicke ich zu dem Koch-Brandy, der mit den anderen Sachen auf der Arbeitsplatte steht und sich, genau wie wir, sicher ein wenig bloßgestellt und missbraucht vorkommt, Aber da es noch nicht einmal Mittag ist, setze ich Wasser auf, um noch einen Kaffee zu kochen. Das stellt sich jedoch als Fehler heraus.

»Das ist ein guter Zeitpunkt, um mit Ihnen über den Gebrauch Ihrer Küchengeräte zu sprechen«, sagt Renée, die mir zusieht, wie ich das Gas entzünde, um unseren Pfeifenkessel auf die Platte zu stellen. Daran kann sie doch nichts auszusetzen haben – es ist ja schließlich kein elektrischer Wasserkocher. Aber Mike und Renée diskutieren bereits darüber, ob es energiebewusster ist, Wasser auf dem Gasherd oder im Wasserkocher zu erhitzen.

Im Verlauf der Debatte darüber, wie hoch man die Flamme unter dem Kessel einstellen sollte, wirft Hannah ein: »Gas ist im Hinblick auf Kohlenstoffemissionen der konventionellen Stromerzeugung vorzuziehen, es sei denn, Ihr Erzeuger greift vollständig auf erneuerbare Energiequellen zurück. In diesem Fall würde ich einen in England hergestellten Stahlkessel, wie sie Russell Hobbs produziert, empfehlen. Stahl hält länger, gibt keine chemischen Stoffe ins Wasser ab und man kann so wenig Wasser kochen, wie man will.«

Mir dämmert langsam, wie das alles funktioniert – die Berater wägen ab, wie viel Energie und Ressourcen erforderlich sind, um etwas zu produzieren, wie man es im Hinblick auf Energieeffizienz am besten einsetzt, und dann schätzen sie die weitere Umweltbelastung ab. Mit anderen Worten, sie unterziehen alles in unserem Haus einer sogenannten »Lebenszyklus-Analyse«.

Als nächstes sind unsere Waschmaschine und der Geschirrspüler an der Reihe, dann Töpfe, Pfannen und Küchengeräte. Rasch fördern sie einen Anzünder für Crème brûlée, einen Sandwichtoaster und einen Entsafter zutage, die wir überhaupt noch nie gebraucht haben. Ich ertappe Hannah dabei, wie sie die Augen verdreht, als sie in einer Schublade ein Gewirr von Essstäbchen, Korkenziehern, Fleischspießen, Schnitzmessern und was wir uns sonst noch so angeschafft haben findet, wenn wir, inspiriert von Jamie Oliver in den nächsten Küchenladen gefahren sind.

»Sie brauchen nur einen Satz Töpfe und Pfannen«, sagt Hannah. »Wenn Sie also neue brauchen, wählen Sie etwas, was lange hält, wie gusseiserne Töpfe mit ebenem Boden und gut schließenden Deckeln. Und am besten kaufen sie entweder Secondhand-Geschirr oder Keramik aus der Gegend. Denken Sie daran, dass alles, was aus Knochenporzellan – echtem Knochen – hergestellt ist, vegetarischen Gästen möglicherweise zuwider sein könnte.«

Ich komme mir langsam wie ein Kind vor und greife nach jedem Strohhalm, der mir das Gefühl gibt, dass nicht alles in unserem Leben zu Klimawandel, globaler Armut, der Zerstörung des Öko-Systems der Welt oder einer Kombination von allen dreien führt. »Wir besitzen keine Mikrowelle«, erkläre ich. »Das ist doch bestimmt gut, oder?«

Ja, das sei gut, erwidern sie – in gewisser Hinsicht. Man sei sich noch nicht einig darüber, wie sicher sie eigentlich seien, und ihre Herstellung verbrauche auch viel Energie und Ressourcen, aber man könnte damit auch Energie sparen, wenn man sie statt des konventionellen Backofens zum Erhitzen und Erwärmen von Speisen verwendete.

»Ich würde Ihnen allerdings nicht raten, sich deshalb eine Mikrowelle anzuschaffen«, fügt Hannah hinzu.

Ich biete frischen Kaffee an, aber das scheint das Gespräch nur darauf zurückzulenken, wie viel Energie wir verbrauchen. Wir reden über den Stromverbrauch unserer Kühl-Gefrierschrank-Kombination, über unseren Gas-Kombi-Heizkessel, über Waschmaschinenprogramme, ja sogar darüber, dass die kleine Uhr am Herd ständig eingeschaltet ist.

Renée wendet sich bald schon wieder unseren Schränken zu. Sie stößt einen kleinen Schrei aus. O Gott, ist sie auf eine der Mäuse gestoßen, die sich seit kurzem hinter der Spüle eingenistet haben? Aber nein, sie hält eine Flasche mit Bleichmittel hoch, die sie unter dem Becken gefunden hat.

»Hören Sie«, sagt sie, »da stehen auch noch Spülmaschinen-Tabs, flüssiges Waschpulver, Entkalker und desinfizierende Tabletten zur ›kompletten Entfernung von Bakterien‹. Das ist der Beweis dafür, dass unsere Nation geradezu besessen davon ist, alle Keime zu vernichten.«

Die drei machen sich über unsere Reinigungsmittel her.

»Warum bewahren Sie in einem Raum, in dem Sie Essen zubereiten, so viel Gift auf, Leo? «, fragt Hannah und hält eine Dose mit Backofenspray hoch. Die Berater sind sich einig – dieser Schrank ist hochgradig toxisch, und der Inhalt muss dringend ethisch überholt werden.

Bleiche ist eine besonders bösartige Substanz, erklärt Mike. »Offensichtlich benutzen Sie Bleichmittel zum Säubern der Fußböden und der Toilette. Bleichmittel enthält einige sehr wirksame giftige Chemikalien, deshalb ist es ja auch keimabtötend. Es ist sehr stark und sollte nur sparsam verwendet werden.«

Jane hat anscheinend die Nase voll. Sie sitzt auf der Treppe, die von der Diele hinunter in die Küche führt und drückt Esme fest an sich. Vermutlich fragt sie sich, auf was wir uns da eingelassen haben. Um ihr eine Verschnaufpause zu gönnen, schlage ich vor, den Beratern den Garten zu zeigen, während Jane den Salat zubereitet.

Wir sind noch nicht ganz draußen, da spüre ich auch schon, dass das, was sie sehen, sie nicht sonderlich beeindruckt, obwohl der Garten in Südlage an diesem Frühlingstag in der Sonne liegt. Den größten Teil des Gartens nimmt die Holzterrasse ein, die die Vorbesitzer angelegt haben, und der einzige Baum – eine Kirsche – ist leblos und kahl. Von der Größe her handelt es sich bei unserem Garten sowieso mehr um einen Innenhof – da stehen zwei Kübelpflanzen aus dem Gartencenter, einen Sack Holzkohle für den Grill und ein großer Sack Torf.

Renée will die Anlage jedoch unbedingt als leere Leinwand betrachten. »Der Garten ist zwar ein wenig leblos«, sagt sie, »aber es ist wundervoll, dass Sie einen Flecken Grün haben, vor allem mit einem Baby in der Familie.«

Mike stimmt ihr zu. »Sie können sich glücklich schätzen, mitten in London einen Garten zu haben, und Sie sollten möglichst viel daraus machen. Auch ein kleiner Garten kann attraktiv gestaltet werden, und Sie können dort sogar Gemüse anbauen.«

Ich verteidige mich damit, dass wir ja gerade erst eingezogen sind und wegen des Babys noch nicht die Zeit gefunden haben, um etwas anzupflanzen. Die Berater nehmen das positiv auf und meinen, wir könnten uns ja jetzt bemühen, einen ausschließlich ökologischen Garten anzulegen, um möglichst viele Wildtiere anzulocken. Das baut mich ein bisschen auf, und der Enthusiasmus, den alle an den Tag legen, belebt mich. Als wir wieder in die Küche kommen, erkläre ich Jane, nächstes Jahr um diese Zeit würden wir selbst gezogene Produkte essen.

»Das Essen ist fertig, wenn ihr soweit seid«, sagt sie.

Ich fülle Wasser aus dem Hahn in eine Kanne, und wir gehen ins Wohnzimmer.

Als alle Platz genommen haben, hole ich die große Salatschüssel aus Walnussholz, die wir vor ein paar Jahren im Urlaub in Marokko gekauft haben. Eigentlich hatte ich angenommen, dass sie zu einer positiven Bewertung führen würde, weil sie »authentisch« ist, aber die drei sagen nichts. Entweder interessiert sie mehr, was darin ist, oder aber sie haben solchen Hunger, dass ihnen alles andere egal ist.

Nervös warte ich auf ihre Reaktion, als die Schüssel auf dem Tisch steht. Ist ein simpler Thunfischsalat jemals so aufmerksam gemustert worden? Es herrscht eine solche Spannung im Zimmer, als ob ein Michelin-Stern vergeben würde.

»Wer möchte Salat?«, frage ich.

»Das waren doch keine Bio-Eier, oder?«, fragt Renée. Eben noch hatten Jane und ich uns zu unseren perfekten weichen Eiern beglückwünscht.

»Ja, Entschuldigung. Tut mir Leid.« Warum entschuldige ich mich eigentlich? Was glaubt sie denn? Dass sie von unseren eigenen frei laufenden Hühnern im Garten stammen, die sie bloß hinter dem Torfsack nicht gesehen hat?

»Ist das Thunfisch im Salat, Leo? «, sagt die Vegetarierin Hannah.

»Essen Sie keinen Fisch?«, fragt Jane.

»Nein, ich esse weder Fleisch noch Fisch. Nun ja, ganz selten esse ich mal Fisch«, erwidert Hannah höflich.

»Ich gebe einfach jedem eine Portion, und alle können das aussortieren, was sie nicht mögen«, werfe ich ein und häufe Salat auf den ersten Teller, der um den Tisch herum zu Mike weitergereicht wird. Mike dankt mir und beginnt, sich die Zutaten genauer anzusehen.

»Woher stammen diese Bohnen? Sind sie per Luftfracht aus dem Ausland gekommen oder wurden sie bei uns angebaut?«, fragt er.

»Ich weiß es nicht«, erwidert Jane. »Wir haben sie bei Sainsbury’s gekauft. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die Verpackung holen.«

»Ich gehe schon«, sage ich. »Ich muss sowieso das Brot aus dem Backofen nehmen. «

»Haben Sie Brot gebacken?« , fragt Renée beeindruckt.

»Äh, nein, das ist nur eins dieser vorgebackenen Ciabattas. Tut mir Leid.«

Renée schaut uns enttäuscht an.

Ich stürze in die Küche, um die Bohnenpackung aus dem Müll zu fischen und das Brot zu holen.

»Kenia«, sagt Mike, als ich ihm die Packung reiche. Jedes weitere Wort ist überflüssig.

Während alle zögernd anfangen zu essen, dreht sich die Unterhaltung um verschwenderische Verpackung und Nahrungsmittel, die in der falschen Jahreszeit gegessen werden. Ich bin mir nicht sicher, ob die Berater Anspielungen auf unser Essen machen oder ob sie uns belehren wollen. So oder so habe ich meinen ansonsten gewaltigen Appetit anscheinend im Garten vergessen. Nichts kann einem gründlicher den Appetit verderben als zuzuhören, wie Gäste die Bestandteile des Essens auseinandernehmen, das man zubereitet hat.

»Lassen Sie uns von etwas anderem sprechen«, bittet Jane schließlich. »Es gibt doch bestimmt zahlreiche andere Fragen.«

Zu unserer Erleichterung werden jetzt Themen behandelt wie unsere Urlaubsgewohnheiten, wie wir zur Arbeit kommen, bei welcher Bank wir sind, wie wir Esme anziehen, wo wir unsere Kleidung kaufen, ob wir unsere Nachbarn kennen und die Läden in der Nähe nutzen, wie viel Müll wir pro Woche produzieren, ob wir jemals daran gedacht haben, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen, und so weiter.

Eine halbe Stunde später sind die Teller so gut wie leer. Aber ich habe trotzdem immer noch das Gefühl, eine Herde Schafe in ein Gehege voller Wölfe gedrängt zu haben. Ich frage nicht, ob jemand Nachtisch haben möchte.

 

Nach dem Essen bleibt man mit Gästen normalerweise entweder am Esstisch sitzen, um bei Tee oder Kaffee weiter zu plaudern, oder aber man lässt sich im Wohnzimmer nieder. Wir stehen alle auf und gehen gemeinsam ins Badezimmer.

Unter anderem hatten wir beim Essen über unsere Badezimmergewohnheiten gesprochen – wie lange wir duschen oder baden, welche Zahnpasta, Kosmetika und Toilettenartikel wir verwenden. Deshalb möchten die Berater jetzt einen Blick in unser Badezimmer werfen, um sich ein »genaues Bild« davon zu machen. Ich glaube ja, sie sind nur neugierig.

Wie unsere Küche, ist auch das untere Badezimmer (in dem es nur eine Wanne und ein Waschbecken gibt, die Toilette ist oben) ein wenig düster, da wir es beim Einzug nicht renoviert haben. Aber sie sind nicht an den Fliesen interessiert – auch wenn sie einen kurzen Blick auf die Armaturen werfen, um den Wasserverbrauch abzuschätzen –, sondern sie wollen in den Badezimmerschrank schauen.

Ärger liegt in der Luft, als Renée nach Janes geliebten Clarins-Produkten greift. Bitte, kritisier sie nicht, flehe ich im Stillen. Sie beginnt die Liste der Inhaltsstoffe vorzulesen und gibt ihre Kommentare ab. Kosmetika scheinen sie brennend zu interessieren – sie verfügt über ein Vokabular, das ich seit dem Chemieunterricht in der Schule nicht mehr gehört habe, und erklärt einem ganz genau, welcher Schaden damit angerichtet werden kann. Renée inspiziert den gesamten Schrank.

»Wissen Sie eigentlich, was diese Seife mit Ihrer Haut macht, wenn Sie sie benutzen?«, fragt sie. »Und sehen Sie nur, was in dieser Feuchtigkeitscreme enthalten ist!«

Esme rettet den Tag, indem sie zum richtigen Zeitpunkt ihr »Spezialpaket« abliefert. Später frage ich mich, ob es wohl daran gelegen hat, dass Jane sie besonders fest angepackt hat, als über ihre Kosmetika geurteilt wurde. Auf jeden Fall begeben wir uns daraufhin alle in Esmes Zimmer, wo wir alles zum Windelwechseln aufbewahren.

Aber auch davor macht die Analyse nicht Halt: wir diskutieren über Babycreme, Windelmarken und Spielsachen. Es ist schon schwer genug, die zahlreichen Belehrungen von Familienmitgliedern, wie man sein Kind großziehen soll, mit Humor zu nehmen, aber sie von Fremden zu schlucken, ist neu für uns. Wir wissen zwar, dass die Berater nur unser Bestes wollen, aber irgendwie fühlen wir uns als schlechte Eltern gebrandmarkt.

Hannah scheint sich besonders große Sorgen um die potenziellen Giftquellen im Zimmer zu machen. »Das Kinderzimmer ist vor Esmes Geburt offensichtlich frisch gestrichen worden, und es wurde auch ein neuer Teppich verlegt«, sagt sie. »Aber solche Kunstfaserteppiche werden im Allgemeinen für kleine Kinder nicht empfohlen, da sie Spuren gefährlicher Stoffe enthalten können wie zum Beispiel Brom.«

Das löst auch bei Mike und Renée Bedenken aus. Wir sollten auf jeden Fall Produkte aus synthetischen Materialien meiden, erklärt Mike. »Babies und Kleinkinder sind besonders gefährdet durch Chemikalien, aber gerade ihre Pflegeprodukte enthalten oft Chemikalien, die das Hormonsystem durcheinander bringen oder sich im Körperfett ablagern. Sie verwenden besser Wasser als diese Pflegetücher, um Ihr Kind zu säubern. Und meiden Sie auch parfümierte Cremes und Lotionen, die oft aggressive Stoffe enthalten. Und passen Sie auf mit Plastikflaschen, Trinkbechern und Schüsseln. Man hat herausgefunden, dass sie Chemikalien absondern, wenn die Oberfläche zerkratzt ist.« Ich unterbreche ihn, um ihn darauf hinzuweisen, dass wir durchaus Wasser und Watte verwenden, aber die Sachen, die er vorgefunden hat, scheinen uns trotzdem zu verdammen.

Wie die meisten Eltern haben wir geglaubt, alles getan zu haben, damit unser Kind den bestmöglichen Start ins Leben bekommt – wir haben Bücher gelesen, an Geburtsvorbereitungskursen teilgenommen, ein behagliches Kinderzimmer eingerichtet, gestillt und so weiter. Deshalb trifft es uns besonders hart zu hören, dass die Umgebung, die wir so liebevoll für Esme geschaffen haben, Gifte enthält, und dass die Art und Weise, in der wir sie aufziehen, schlecht für die Umwelt ist.

Ich bin mir langsam nicht mehr sicher, wie viel wir noch vertragen können, deshalb bitte ich alle wieder ins Wohnzimmer.

»Haben Sie alles Notwendige gesehen? «, frage ich.

»Wir könnten vermutlich noch stundenlang weitermachen«, erwidert Renée. »Aber ich glaube, wir haben uns einen recht guten Eindruck von Ihrem Leben verschafft. «

Wir kommen überein, dass sie uns jederzeit weitere Fragen stellen und sich mit uns in Verbindung setzen können, wenn sie uns ihre Gedanken mitteilen möchten. Es gibt noch eine letzte Befragung wegen unseres Umgangs mit der Technik – Mike kommentiert ungefragt die Größe unseres Fernsehgeräts –, und dann gehen sie. Ich glaube nicht, dass ihnen klar ist, welche Auswirkung ihr Besuch auf das Leben meiner Familie haben wird.

 

Wie reagiert man auf so etwas? Macht man sich eine nette, beruhigende Tasse Tee? Wir haben keine Fair-Trade-Teebeutel. Nimmt man ein langes, entspannendes Bad? Ein Vollbad verbraucht viel Wasser und Energie, und außerdem ist man den zahlreichen synthetischen Inhaltsstoffen in Toilettenartikeln ausgesetzt. Haut man sich vor den Fernseher und schaut sich etwas wirklich Eskapistisches an? Damit verbraucht man sinnlos Strom und setzt sich außerdem korrumpierender Werbung aus. Geht man einkaufen, um auf andere Gedanken zu kommen? Das brauche ich wohl nicht einmal zu beantworten.

Als die Haustür ins Schloss gefallen ist, blicken Jane und ich uns völlig geschockt an.

»Nun?«, sage ich.

Jane geht mit Esme ins Wohnzimmer und sinkt dort wortlos aufs Sofa. Wenn sie ein solches Gesicht macht, weiß ich aus Erfahrung, dass sie jetzt eine Weile allein sein muss. Ich beginne, den Tisch abzuräumen, und bringe die Teller in die Küche.

Alles steht immer noch auf der Arbeitsplatte herum. Jedes Teil – die Dosen, die Beutel, die Schachteln, die Flaschen, das Geschirr, sogar die leere Plastiktüte, in der der Salat war – scheint mich anklagend anzublicken.

Es ist so, als hätten wir das Haus mit einem Makler zusammen angeschaut – nur umgekehrt. Statt in jedem Zimmer die Vorzüge hervorzuheben, haben wir unser eigenes Haus – und in gewisser Hinsicht auch unser Leben – besichtigt, und das meiste ist kritisiert, ja sogar verurteilt worden. Ist es überhaupt möglich, so zu leben, wie die Berater es vorgeschlagen haben? Kann man alles, was man tut, kauft und isst, so gründlich analysieren? Nichts mehr spontan tun oder ohne über die langfristigen Konsequenzen nachdenken zu können? Ab und zu nehmen sich doch auch sicher die Berater mal frei? Gönnen sie sich nie einen Cappuccino von Starbucks? Erdbeeren außerhalb der Saison? Einen Mietwagen? Und bestrafen sie sich, wenn sie es doch einmal tun? Sollte man ein solches Leben wie eine lange Diät sehen, nur dass man sich statt Schokoladen-Eclairs, Chips und Vollmilch den Treibhauseffekt, Toxine und egoistische Angewohnheiten versagt?

Aber vielleicht sehe ich das ja alles falsch. Vielleicht muss man gar nicht leiden. Gerechterweise muss ich zugeben, dass die Berater ausdrücklich darauf hingewiesen haben, dass Jane und ich glücklich sein müssten mit dem, was wir tun, weil wir sonst zu schnell den Willen zum ethischen Leben verlieren würden – so wie die Leute, die zu schnell eine Diät aufgeben oder nicht mehr ins Sportstudio gehen, in dem sie sich ein paar Monate vorher so enthusiastisch angemeldet haben.

»Sie waren einfach nicht realistisch«, sagt Jane, die in die Küche kommt, um mir beim Aufräumen zu helfen. »Niemand kann so leben.«

»Sie haben eigentlich auch nicht von uns verlangt, dass wir sofort alles übernehmen, was sie gesagt haben.« Ich versuche, sie zu überzeugen. »Im Grunde genommen haben sie uns doch nur klar gemacht, dass alles, was wir tun oder kaufen, auf uns zurückfällt – und häufig eben negativ. Und das sollten wir versuchen zu reduzieren, zu unserem eigenen Besten, für Esme und für die Umwelt. Handle verantwortlich. Ich glaube allerdings nicht, dass wir uns abstrafen müssen, wenn wir ab und zu vom rechten Weg abweichen. Es ist schließlich keine Religion.«

»Na ja, so wie die gepredigt haben, haben sie es aber wohl so gesehen.«

»Warum sollen wir es nicht einfach mit ein paar Dingen versuchen? Nur damit mal was in Gang kommt«, schlage ich vor. »Wir machen einen Schritt nach dem anderen und sehen, wie es funktioniert.«

»Ich will aber auf keinen Fall, dass wir uns zu etwas zwingen, wenn es nicht funktioniert«, sagt Jane. »Und wenn die glauben, dass ich kein Clarins mehr benutze, dann haben sie sich aber geschnitten.«

2

Wo soll man anfangen? Die meisten Einwände der Berater hatten etwas mit unseren Einkaufsgewohnheiten zu tun – der Müll, den wir produzieren, unsere Ernährung, die Chemikalien, denen wir uns jeden Tag durch unsere Haushaltsprodukte aussetzen, die Reisen, die wir machen. Und wenn man bedenkt, dass Jane und ich die meisten Dinge des täglichen Bedarfs bei Sainsbury’s, der einige Kilometer von unserem Haus entfernt ist, kaufen, so wird klar, dass wir vor allem daran etwas ändern müssen, wenn wir unser Leben auf die vorgeschlagene Art und Weise ändern wollen.

Seit die Berater gegangen sind, haben wir viel geredet, aber jetzt, wo wir vor Sainsbury’s stehen, ist auf einmal alles nur zu real. Ich frage mich nervös, wie das wohl ausgehen mag. Wenn Jane und ich zusammen einkaufen gehen, streiten wir uns meistens schon, bevor wir am Ende des ersten Ganges angelangt sind. Die Tatsache, dass wir diesmal jede einzelne Kaufentscheidung hinterfragen müssen, scheint für die Harmonie unserer Beziehung nichts Gutes zu verheißen. Am sichersten ist es, Jane die totale Kontrolle zu überlassen und stumm lächelnd den Einkaufswagen hinter ihr her zu schieben. Schließlich hat sie immer behauptet, dass sie gerne einkauft, während ich mir mindestens ein Dutzend schönere Dinge vorstellen kann. Vielleicht bin ich deshalb so wild darauf, dass dieser vierzehntägige Einkauf drastisch gekürzt wird.

Im Laden nehme ich rasch meine vertraute Position ein und lasse Jane alleine auf die Obst- und Gemüse-Abteilung zusteuern. Sie beginnt mit Salat, Tomaten und Pilzen und wechselt von einer Seite zur anderen, während sie ihre Wahl trifft. Ich sorge dafür, dass der Einkaufswagen in erreichbarer Nähe für sie bleibt, damit sie ihre Waren hineinlegen kann. Wenn ich ehrlich bin, neige ich dazu, so zu tun, als ginge mich das alles nichts an. Dieses Mal ergibt sich allerdings ein Problem: die Ratschläge der Berater gehen mir nicht aus dem Kopf.

 

Mike scheint besonders an unserem Obst interessiert zu sein – eine brasilianische Mango, ein Körbchen mit Erdbeeren aus Kent, grüne Trauben, ein Päckchen Salattomaten und eine »exotische Frucht-Auswahl« aus Südafrika, Kolumbien und Thailand.

»Sie kochen offensichtlich gerne und verwenden viel frisches Obst und Gemüse«, sagt er. »Das ist schon mal ein guter Anfang, aber Sie kaufen alles im Supermarkt, und das bedeutet, dass es häufig importiert oder kreuz und quer durchs Land transportiert worden ist, bevor es ins Regal kommt. Grüne Bohnen werden im allgemeinen aus Simbabwe und Kenia importiert, Spargel wird aus Peru eingeflogen und Äpfel aus Neuseeland und den USA, was bedeutet, dass sie für den Transport verpackt werden mussten. Dadurch entsteht zusätzlicher Abfall, und die Transportmethode trägt außerdem zum Klimawandel bei.«

Er greift nach den getrockneten Aprikosen aus der Türkei. »Nahrungsmittel, die um die halbe Welt transportiert werden, sammeln ›Lebensmittelkilometer‹, die beachtliche Mengen von Kohlendioxyd erzeugen, eins der Gase, das den Klimawandel hervorruft. Auch wenn das Produkt in England gewachsen ist, transportieren die großen Supermarktketten es quer durchs Land, um es zu verarbeiten und zu verpacken, bevor es an den Verbraucher geht. Kleinere, regionale Supermärkte verarbeiten und verkaufen Lebensmittel eher in der gleichen Region.«

Hannah weist uns darauf hin, wie absurd der Import von Bio-Lebensmitteln aus dem Ausland ist. »Einen Nutzen für die Umwelt gibt es nicht mehr, wenn sie von weit her herangeschafft worden sind. Zurzeit kommen 70 Prozent der Bio-Lebensmittel in englischen Supermärkten aus Übersee – selbst während der Zeit der britischen Apfelernte stammen mehr als die Hälfte der Äpfel in den großen Supermärkten aus dem Ausland, wobei einige Sorten zwanzigtausend Kilometer hinter sich haben, ehe sie in unsere Regale gelangen.«

Ich werfe Jane einen Blick zu, um zu sehen, wie sie auf die Kommentare der Berater reagiert. Ehrlich gesagt fühle ich mich angegriffen, und ich spüre, dass auch sie innerlich zusammenzuckt.

Renée scheint jedoch mit den anderen beiden nicht einverstanden zu sein. »So einfach ist es nicht«, widerspricht sie. »Lebensmittel, die mit dem Schiff über lange Strecken transportiert werden, verbrauchen zum Beispiel wesentlich weniger Treibstoff als jeder Kunde, der mit dem Auto zum Supermarkt fährt. Verstehen Sie mich nicht falsch – eins der großen Bio-Mantras lautet, am Ort zu kaufen. Wenn Sie englische Produkte kaufen, unterstützen Sie die Bauern in ihrem Land und kaufen das, was der Jahreszeit entspricht. Fantastisch. Aber ich betrachte die Sache auch unter globaleren Gesichtspunkten. Sehen Sie, wir im Westen verbieten Chemikalien wie DDT, aber es gibt immer noch Unternehmen, die sie herstellen und sie an Entwicklungsländer verkaufen. Dann kaufen und essen wir das Produkt, das sie unter Verwendung dieser Chemikalien anbauen. Wenn Sie also an ökologischen Anbau glauben, müssen Sie die ökologische Landwirtschaft auch in Entwicklungsländern unterstützen, sonst macht es keinen Sinn. Es kann ja schließlich nicht nur darum gehen, dass Ihr eigenes kleines Fleckchen Land in Ordnung ist, oder?«

Hannah blickt zu Boden und kaut auf ihrer Unterlippe. Dieses Argument überzeugt sie offensichtlich nicht, und sie weist darauf hin, dass es immer unser oberstes Ziel sein sollte, lokale Bio-Produkte zu kaufen. »Am besten über den Bio-Versand. So bekommen sie qualitativ gute, gesunde Nahrungsmittel wie frisch geerntetes Obst und Gemüse, nicht so aufwendig verpackt und zu fairen Preisen für die Bauern. Das Nächstbeste sind lokale Produkte von einem Markt oder besser noch, direkt vom Erzeuger, wobei Sie jedoch auf biologische Produkte Wert legen sollten. Wenn Sie keine Bio-Produkte bekommen, sollten Sie wissen, dass Auberginen, Paprika, Kohl, tiefgefrorene Erbsen, Knoblauch, Lauch, Kürbis, Rettich, Mais und Rüben die geringsten Rückstände an Pestiziden aufweisen.«

Und wenn ich nun exotischere Dinge bevorzuge, wie Zitronengras, Limonen und Bananen?

»In der entsprechenden Jahreszeit sollten Sie sich auf jeden Fall für europäische Produkte entscheiden«, sagt Hannah. »Sie sind höchstwahrscheinlich mit dem Schiff und nicht mit dem Flugzeug transportiert worden. Und meiden Sie Lebensmittel aus Diktaturen wie Simbabwe zum Beispiel. Halten Sie Ausschau nach Fair-Trade- und Bioprodukten. Das gilt für Bananen, Ananas, Mangos und Orangen. Wenn Sie sich da entscheiden müssen, sollten Sie Fair-Trade-Produkte gegenüber Bioprodukten vorziehen. Die Arbeiter bekommen fairen Lohn, leben unter akzeptablen Bedingungen und können Gewerkschaften beitreten, und außerdem werden umweltfreundlichere Produktionsmethoden gefördert und angewendet.«

Halten denn Bio-Produkte tatsächlich das, was sie versprechen?, frage ich die Berater. Handelt es sich nicht nur um einen Marketingtrick, um die Mittelschicht zu beruhigen?

»Nehmen Sie Pestizide zum Beispiel«, erwidert Mike. »Supermärkte verlangen bestimmte ästhetische Standards für ihre Produkte, was die Bauern ermuntert, mehr Pestizide zu benutzen. Äpfel sind von Natur aus häufig angeschlagen – während eine perfekte Schale bedeuten kann, dass die Früchte chemisch behandelt worden sind. Wie hoch der Pestizid-Level bei Obst und Gemüse ist, wird getestet, aber mit diesen Tests kann man immer nur ein Pestizid auf einmal nachweisen. Obst und Gemüse können jedoch unterschiedliche Pestizide enthalten, und über die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Kombinationen von Giftstoffen ist nur wenig bekannt. Bis jetzt bemühen sich nur Co-op und Marks and Spencer tatsächlich, ihre Lebensmittel ohne gefährliche Pestizide zu produzieren, und selbst da wird es noch lange dauern, bis die Produkte völlig frei von Pestiziden sind.«

Jane und ich blicken Renée fragend an. Sie verdient schließlich ihren Lebensunterhalt damit, Bio-Produkte zu verkaufen, wenn uns also jemand von ihrem Nutzen überzeugen kann, dann doch bestimmt sie.

»Sind Bio-Obst und -Gemüse besser für Sie?«, fragt sie rhetorisch. »Es ist erwiesen, dass manche Vitamine und Mineralstoffe, wie Vitamin C, Magnesium, Eisen und Phosphor, in Bio-Früchten in höherem Maß enthalten sind, aber das muss noch genauer erforscht werden. Denken Sie jedoch daran, dass ein konventioneller Anbau die Pflanzen durch künstliche Zusatzstoffe mit Nährstoffen versorgt, während Bio-Produkte mit Nährstoffen aus natürlichen Quellen erzeugt werden.

Die Regierung behauptet, die Rückstände an Giften wie Pestizide, Herbizide und Fungizide – und es sind Gifte, die Käfer, Unkraut und Seuchen vernichten sollen – in unseren Nahrungsmitteln seien unbedenklich. Ehrlich gesagt bin ich davon nicht überzeugt, und auch Umweltschützer bezweifeln das. Viele Nahrungsmittel werden mit mehr als nur einer Chemikalie eingesprüht – Cox-Orange-Äpfel zum Beispiel können bis zu sechzehn Mal mit sechsunddreißig verschiedenen Pestiziden behandelt werden. Aber niemand weiß, wie diese Stoffe miteinander interagieren, und welche Auswirkungen sie auf unsere Gesundheit haben. Wenn jemand Ihnen einen Kopfsalat anböte, der mit Chemikalien eingesprüht worden ist, und einen unbehandelten Salat, welchen würden Sie nehmen? Das ist doch keine Frage. Und man kann diese Chemikalien auch nicht einfach abwaschen, weil manche ins Innere der Pflanzen dringen. Ich schäle Obst und Gemüse nicht gerne, wie die Regierung es kürzlich empfohlen hat, weil sich das Beste daran direkt unter der Schale, beziehungsweise in den Fasern der Schale befindet. Ich finde es einfach sinnvoller, Bio-Lebensmittel zu kaufen.«

Jane sagt, sie habe die Vorstellung, Bio-Produkte zu kaufen, auch immer gereizt, aber sie fände sie einfach zu teuer.

»Viele Leute fragen mich, welche Bio-Produkte sie kaufen sollen, wenn sie sich ausschließlich biologische Ware nicht leisten können«, erwidert Renée. »Ich sage immer, kaufen Sie vor allem das, was Ihre Kinder am häufigsten essen. Wenn Esme ständig Äpfel isst, dann kaufen Sie Bio-Äpfel. Wenn Sie sich hauptsächlich von Reis ernähren, kaufen Sie braunen Reis, weil er noch alle Nährstoffe enthält, und vergewissern Sie sich, dass er aus ökologischem Anbau stammt. Biologisch muss nicht unbedingt teuer sein, wenn Sie Karotten, Zwiebeln, Kartoffeln, Bohnen oder Körner kaufen.«

 

Ich halte einen Kopfsalat hoch, den Jane gerade in den Einkaufswagen gelegt hat. »Sieh mal, er kommt aus Spanien. Gibt es keinen Salat von hier?«

Wir schauen uns um, können jedoch nirgendwo Kopfsalat finden, der in England angebaut worden ist. Auch Salat in der Tüte können wir nicht nehmen, weil nirgendwo steht, woher er stammt.

»Sollen wir dann einfach keinen Salat nehmen?«

Normalerweise gehört er zu unseren Grundnahrungsmitteln. Unsere Einkaufsliste ändert sich sowieso kaum, weil wir nur selten von den Zutaten abweichen, mit denen wir unsere Lieblingsgerichte zubereiten. In jeder Woche gibt es bei uns irgendwann unweigerlich Ofenkartoffeln mit Butter, Taramasalata, geriebenem Käse und dazu Salat. Es ist ein einfaches, sättigendes Gericht nach einem anstrengenden Arbeitstag. Wir fühlen uns zwar nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dieses Mal den Salat wegzulassen, entscheiden uns aber tapfer dafür, es zu versuchen.

Während ich Jane folge, Esme fest schlafend im Babytuch an meiner Brust, betrachte ich die Produkte, die so einladend auf den Regalen präsentiert sind. Das Angebot ist uns immer überwältigend erschienen – Melonen, Pastinaken, Birnen, Kiwis, Chilis, Yams, Äpfel. Und dann noch die ganzen verschiedenen Sorten, wie zum Beispiel bei den Äpfeln: Gala, Braeburn, Golden Delicious, Bramleys, Granny Smith und Cox.