Faust I - Johann Wolfgang von Goethe - E-Book
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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Ob in Hollywood oder auf der Bühne – der Faust-Stoff, diese jahrhundertealte Geschichte vom Pakt mit dem Teufel, um Reichtum, Ruhm und Erkenntnis zu erlangen, vermag immer wieder neu zu faszinieren. Vor allem Goethes großes Faust-Drama aus dem Jahr 1808 hat zweihundert Jahre nach dem Erstdruck nichts von seiner Kraft und Aktualität verloren. Denn Faust ist nicht nur der unnahbare Gelehrte, der wissen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, Faust – das sind wir alle mit unserem Verlangen nach Glück und Erfüllung, das uns so ruhelos und verführbar macht.

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Johann Wolfgang Goethe

Faust I

Drama

FISCHER E-Books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Inhalt

ZueignungVorspiel auf dem TheaterProlog im HimmelDer Tragödie Erster TeilNachtVor dem TorStudierzimmerStudierzimmerAuerbachs Keller in LeipzigHexenkücheStraßeAbendSpaziergangDer Nachbarin HausStraßeGartenEin GartenhäuschenWald und HöhleGretchens StubeMarthens GartenAm BrunnenZwingerNachtDomWalpurgisnachtWalpurgisnachtstraum oder Oberons und Titanias goldne HochzeitTrüber Tag FeldNacht, offen FeldKerkerAnhangEditorische NotizDaten zu Leben und WerkJohann Wolfgang Goethe, ›Faust‹Johann Wolfgang Goethe

Zueignung

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!

Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.

Versuch ich wohl euch diesmal fest zu halten?

Fühl ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?

Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;

Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert

Vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert.

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,

Und manche liebe Schatten steigen auf;

Gleich einer alten halbverklungnen Sage,

Kommt erste Lieb und Freundschaft mit herauf;

Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage

Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,

Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden

Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,

Die Seelen, denen ich die ersten sang;

Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

Verklungen ach! der erste Widerklang.

Mein Lied ertönt der unbekannten Menge,

Ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang,

Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,

Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen

Nach jenem stillen ernsten Geisterreich,

Es schwebet nun in unbestimmten Tönen

Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich,

Ein Schauer fasst mich, Träne folgt den Tränen,

Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;

Was ich besitze seh ich wie im Weiten,

Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.

Vorspiel auf dem Theater

DIREKTOR. THEATERDICHTER. LUSTIGE PERSON.

DIREKTOR

Ihr beiden, die ihr mir so oft,

In Not und Trübsal, beigestanden,

Sagt was ihr wohl in deutschen Landen

Von unsrer Unternehmung hofft?

Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,

Besonders weil sie lebt und leben lässt.

Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen,

Und jedermann erwartet sich ein Fest.

Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,

Gelassen da und möchten gern erstaunen.

Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;

Doch so verlegen bin ich nie gewesen;

Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,

Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Wie machen wir’s, dass alles frisch und neu

Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,

Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,

Und mit gewaltig wiederholten Wehen

Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt,

Bei hellem Tage, schon vor Vieren,

Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht

Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,

Um ein Billet sich fast die Hälse bricht,

Dies Wunder wirkt auf so verschiedne Leute

Der Dichter nur; mein Freund, o! tu es heute!

 

DICHTER

O sprich mir nicht von jener bunten Menge,

Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.

Verhülle mir das wogende Gedränge,

Das wider Willen uns zum Strudel zieht.

Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,

Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;

Wo Lieb und Freundschaft unsres Herzens Segen

Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.

Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,

Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,

Missraten jetzt und jetzt vielleicht gelungen,

Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.

Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen

Erscheint es in vollendeter Gestalt.

Was glänzt ist für den Augenblick geboren;

Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren.

 

LUSTIGE PERSON

Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte;

Gesetzt dass ich von Nachwelt reden wollte,

Wer machte denn der Mitwelt Spaß?

Den will sie doch und soll ihn haben.

Die Gegenwart von einem braven Knaben

Ist, dächt ich, immer auch schon was.

Wer sich behaglich mitzuteilen weiß,

Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;

Er wünscht sich einen großen Kreis,

Um ihn gewisser zu erschüttern.

Drum seid nur brav und zeigt euch musterhaft,

Lasst Phantasie, mit allen ihren Chören,

Vernunft, Verstand, Empfindung Leidenschaft,

Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.

DIREKTOR

Besonders aber lasst genug geschehn!

Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.

Wird vieles vor den Augen abgesponnen,

So dass die Menge staunend gaffen kann,

Da habt Ihr in der Breite gleich gewonnen,

Ihr seid ein vielgeliebter Mann.

Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,

Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;

Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!

Solch ein Ragout es muss Euch glücken;

Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.

Was hilft’s, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht,

Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.

DICHTER

Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!

Wie wenig das dem echten Künstler zieme!

Der saubern Herren Pfuscherei

Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.

DIREKTOR

Ein solcher Vorwurf lässt mich ungekränkt;

Ein Mann, der recht zu wirken denkt,

Muss auf das beste Werkzeug halten.

Bedenkt, Ihr habet weiches Holz zu spalten,

Und seht nur hin für wen Ihr schreibt!

Wenn diesen Langeweile treibt,

Kommt jener satt vom übertischten Mahle,

Und, was das Allerschlimmste bleibt,

Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.

Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,

Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;

Die Damen geben sich und ihren Putz zum Besten

Und spielen ohne Gage mit.

Was träumet Ihr auf Eurer Dichter-Höhe?

Was macht ein volles Haus Euch froh?

Beseht die Gönner in der Nähe!

Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.

Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,

Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.

Was plagt ihr armen Toren viel,

Zu solchem Zweck, die holden Musen?

Ich sag Euch, gebt nur mehr, und immer immer mehr,

So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren,

Sucht nur die Menschen zu verwirren,

Sie zu befriedigen ist schwer – –

Was fällt Euch an? Entzückung oder Schmerzen?

DICHTER

Geh hin und such dir einen andern Knecht!

Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,

Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,

Um deinetwillen freventlich verscherzen!

Wodurch bewegt er alle Herzen?

Wodurch besiegt er jedes Element?

Ist es der Einklang nicht, der aus dem Busen dringt,

Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt?

Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,

Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,

Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge

Verdrießlich durcheinander klingt;

Wer teilt die fließend immer gleiche Reihe

Belebend ab, dass sie sich rhythmisch regt?

Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe,

Wo es in herrlichen Akkorden schlägt?

Wer lässt den Sturm zu Leidenschaften wüten?

Das Abendrot im ernsten Sinne glühn?

Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten

Auf der Geliebten Pfade hin?

Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter

Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?

Wer sichert den Olymp, vereinet Götter?

Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.

LUSTIGE PERSON

So braucht sie denn die schönen Kräfte

Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,

Wie man ein Liebesabenteuer treibt.

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt

Und nach und nach wird man verflochten;

Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,

Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,

Und eh man sich’s versieht, ist’s eben ein Roman.

Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!

Greift nur hinein ins volle Menschenleben!

Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,

Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.

In bunten Bildern wenig Klarheit,

Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,

So wird der beste Trank gebraut,

Der alle Welt erquickt und auferbaut.

Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte

Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,

Dann sauget jedes zärtliche Gemüte

Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung,

Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,

Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.

Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,

Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;

Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;

Ein Werdender wird immer dankbar sein.

DICHTER

So gib mir auch die Zeiten wieder,

Da ich noch selbst im Werden war,

Da sich ein Quell gedrängter Lieder

Ununterbrochen neu gebar,

Da Nebel mir die Welt verhüllten,

Die Knospe Wunder noch versprach,

Da ich die tausend Blumen brach,

Die alle Täler reichlich füllten.

Ich hatte nichts und doch genug,

Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.

Gib ungebändigt jene Triebe,

Das tiefe schmerzenvolle Glück,

Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,

Gib meine Jugend mir zurück!

LUSTIGE PERSON

Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls,

Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,

Wenn mit Gewalt an deinen Hals

Sich allerliebste Mädchen hängen,

Wenn fern des schnellen Laufes Kranz

Vom schwer erreichten Ziele winket,

Wenn nach dem heft’gen Wirbeltanz

Die Nächte schmausend man vertrinket.

Doch ins bekannte Saitenspiel

Mit Mut und Anmut einzugreifen,

Nach einem selbgesteckten Ziel

Mit holdem Irren hinzuschweifen,

Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,

Und wir verehren euch darum nicht minder.

Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,

Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

DIREKTOR

Der Worte sind genug gewechselt,

Lasst mich auch endlich Taten sehn;

Indes ihr Komplimente drechselt,

Kann etwas Nützliches geschehn.

Was hilft es viel von Stimmung reden?

Dem Zaudernden erscheint sie nie.

Gebt ihr euch einmal für Poeten,

So kommandiert die Poesie.

Euch ist bekannt, was wir bedürfen,

Wir wollen stark Getränke schlürfen;

Nun braut mir unverzüglich dran!

Was heute nicht geschient, ist morgen nicht getan,

Und keinen Tag soll man verpassen,

Das Mögliche soll der Entschluss

Beherzt sogleich beim Schopfe fassen,

Er will es dann nicht fahren lassen,

Und wirket weiter, weil er muss.

Ihr wisst, auf unsern deutschen Bühnen

Probiert ein jeder was er mag;

Drum schonet mir an diesem Tag

Prospekte nicht und nicht Maschinen.

Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet Ihr verschwenden;

An Wasser, Feuer, Felsenwänden,

An Tier und Vögeln fehlt es nicht.

So schreitet in dem engen Bretterhaus

Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,

Und wandelt mit bedächt’ger Schnelle

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

Prolog im Himmel

DER HERR, DIE HIMMLISCHEN HEERSCHAREN, nachherMEPHISTOPHELES. DIE DREI ERZENGELtreten vor.

RAPHAEL

Die Sonne tönt nach alter Weise

In Brudersphären Wettgesang,

Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

Die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

GABRIEL

Und schnell und unbegreiflich schnelle

Dreht sich umher der Erde Pracht;

Es wechselt Paradieses-Helle

Mit tiefer schauervoller Nacht;

Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Am tiefen Grund der Felsen auf,

Und Fels und Meer wird fortgerissen

In ewig schnellem Sphärenlauf.

MICHAEL

Und Stürme brausen um die Wette,

Vom Meer aufs Land, vom Land aufs Meer,

Und bilden wütend eine Kette

Der tiefsten Wirkung rings umher.

Da flammt ein blitzendes Verheeren

Dem Pfade vor des Donnerschlags;

Doch deine Boten, Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

ZU DREI

Der Anblick gibt den Engeln Stärke

Da keiner dich ergründen mag,

Und alle deine hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

MEPHISTOPHELES

Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst

Und fragst wie alles sich bei uns befinde,

Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;

So siehst du mich auch unter dem Gesinde.

Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,

Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;

Mein Pathos brächte dich gewiss zum Lachen,

Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.

Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,

Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,

Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.

Ein wenig besser würd er leben,

Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein,

Nur tierischer als jedes Tier zu sein.

Er scheint mir, mit Verlaub von Euer Gnaden,

Wie eine der langbeinigen Zikaden,

Die immer fliegt und fliegend springt

Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;

Und läg er nur noch immer in dem Grase!

In jeden Quark begräbt er seine Nase.

DER HERR

Hast du mir weiter nichts zu sagen?

Kommst du nur immer anzuklagen?

Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?

MEPHISTOPHELES

Nein Herr! ich find es dort, wie immer, herzlich schlecht.

Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,

Ich mag sogar die armen selbst nicht plagen.

DER HERR

Kennst du den Faust?

MEPHISTOPHELES

      Den Doktor?

DER HERR

                 Meinen Knecht!

MEPHISTOPHELES

Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.

Nicht irdisch ist des Toren Trank noch Speise.

Ihn treibt die Gärung in die Ferne,

Er ist sich seiner Tollheit halb bewusst;

Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,

Und von der Erde jede höchste Lust,

Und alle Näh und alle Ferne

Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

DER HERR

Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;

So werd ich ihn bald in die Klarheit führen.

Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Dass Blüt und Frucht die künft’gen Jahre zieren.

MEPHISTOPHELES

Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren,

Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt

Ihn meine Straße sacht zu führen!

DER HERR

So lang er auf der Erde lebt,

So lange sei dir’s nicht verboten.

Es irrt der Mensch so lang er strebt.

MEPHISTOPHELES

Da dank ich Euch; denn mit den Toten

Hab ich mich niemals gern befangen.

Am meisten lieb ich mir die vollen frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;

Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

DER HERR

Nun gut, es sei dir überlassen!

Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,

Und führ ihn, kannst du ihn erfassen,

Auf deinem Wege mit herab,

Und steh beschämt, wenn du bekennen musst:

Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange

Ist sich des rechten Weges wohl bewusst.

MEPHISTOPHELES

Schon gut! nur dauert es nicht lange.

Mir ist für meine Wette gar nicht bange.

Wenn ich zu meinem Zweck gelange,

Erlaubt Ihr mir Triumph aus voller Brust.

Staub soll er fressen, und mit Lust,

Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.

DER HERR

Du darfst auch da nur frei erscheinen;

Ich habe deinesgleichen nie gehasst.

Von allen Geistern die verneinen

Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

Des Menschen Tätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

Drum geb ich gern ihm den Gesellen zu,

Der reizt und wirkt, und muss, als Teufel, schaffen.

Doch ihr, die echten Göttersöhne,

Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,

Umfass’ euch mit der Liebe holden Schranken,

Und was in schwankender Erscheinung schwebt,

Befestiget mit dauernden Gedanken.

(Der Himmel schließt, die Erzengel verteilen sich.)

MEPHISTOPHELES

(allein)

Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern,

Und hüte mich mit ihm zu brechen.

Es ist gar hübsch von einem großen Herrn,

So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

Der Tragödie Erster Teil

Nacht

In einem hochgewölbten, engen, gotischen Zimmer

FAUST unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

FAUST

Habe nun, ach! Philosophie,

Juristerei und Medizin,

Und leider auch Theologie!

Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.

Da steh ich nun, ich armer Tor!

Und bin so klug als wie zuvor;

Heiße Magister, heiße Doktor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr,

Herauf, herab und quer und krumm,

Meine Schüler an der Nase herum –

Und sehe, dass wir nichts wissen können!

Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheiter als alle die Laffen,

Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;

Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,

Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,

Bilde mir nicht ein was Rechts zu wissen,

Bilde mir nicht ein ich könnte was lehren

Die Menschen zu bessern und zu bekehren.

Auch hab ich weder Gut noch Geld,

Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;

Es möchte kein Hund so länger leben!

Drum hab ich mich der Magie ergeben,

Ob mir, durch Geistes Kraft und Mund,

Nicht manch Geheimnis würde kund;

Dass ich nicht mehr, mit sauerm Schweiß,

Zu sagen brauche was ich nicht weiß;

Dass ich erkenne was die Welt

Im Innersten zusammenhält,

Schau alle Wirkenskraft und Samen,

Und tu nicht mehr in Worten kramen.

O sähst du, voller Mondenschein,

Zum letzten Mal auf meine Pein,

Den ich so manche Mitternacht

An diesem Pult herangewacht:

Dann, über Büchern und Papier,

Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!

Ach! könnt ich doch auf Bergeshöhn,

In deinem lieben Lichte gehn,

Um Bergeshöhle mit Geistern schweben,

Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von allem Wissensqualm entladen

In deinem Tau gesund mich baden!

Weh! steck ich in dem Kerker noch?

Verfluchtes dumpfes Mauerloch!

Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb durch gemalte Scheiben bricht!

Beschränkt von diesem Bücherhauf,

Den Würme nagen, Staub bedeckt,

Den, bis ans hohe Gewölb hinauf,

Ein angeraucht Papier umsteckt;

Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,

Mit Instrumenten vollgepfropft,

Urväter Hausrat drein gestopft –

Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!

Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich bang in deinem Busen klemmt?

Warum ein unerklärter Schmerz

Dir alle Lebensregung hemmt?

Statt der lebendigen Natur,

Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgibt in Rauch und Moder nur

Dich Tiergeripp und Totenbein.

Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land!

Und dies geheimnisvolle Buch,

Von Nostradamus’ eigner Hand,

Ist dir es nicht Geleit genug?

Erkennest dann der Sterne Lauf,

Und wenn Natur dich unterweist,

Dann geht die Seelenkraft dir auf,

Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, dass trocknes Sinnen hier

Die heil’gen Zeichen dir erklärt.

Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir;

Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

(Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.)

Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!

Ich fühle junges heil’ges Lebensglück

Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.

War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb,

Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen,

Und mit geheimnisvollem Trieb,

Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen?

Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!

Ich schau in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.

Jetzt erst erkenn ich was der Weise spricht:

»Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;

Dein Sinn ist zu, dein Herz ist tot!

Auf, bade, Schüler, unverdrossen

Die ird’sche Brust im Morgenrot!«

(Er beschaut das Zeichen.)

Wie alles sich zum Ganzen webt,

Eins in dem andern wirkt und lebt!

Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Harmonisch all’ das All durchklingen!

Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!

Wo fass ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,

An denen Himmel und Erde hängt,

Dahin die welke Brust sich drängt –

Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht ich so vergebens?

(Er schlägt unwillig das Buch um und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.)

Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;

Schon fühl ich meine Kräfte höher,

Schon glüh ich wie von neuem Wein,

Ich fühle Mut mich in die Welt zu wagen,

Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen,

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,

Es wölkt sich über mir –

Der Mond verbirgt sein Licht –

Die Lampe schwindet!

Es dampft! – Es zucken rote Strahlen

Mir um das Haupt – Es weht

Ein Schauer vom Gewölb herab

Und fasst mich an!

Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.

Enthülle dich!

Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!

Zu neuen Gefühlen

All meine Sinnen sich erwühlen!

Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du musst! du musst! und kostet’ es mein Leben!

(Er fasst das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnisvoll aus. Es zuckt eine rötliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.)

GEIST

Wer ruft mir?

FAUST (abgewendet)

 Schreckliches Gesicht!

GEIST

Du hast mich mächtig angezogen,

An meiner Sphäre lang gesogen,

Und nun –

FAUST

    Weh! ich ertrag dich nicht!

GEIST

Du flehst eratmend mich zu schauen,

Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn;

Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,

Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen

Fasst Übermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust, die eine Welt in sich erschuf,

Und trug und hegte, die mit Freudebeben

Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben?

Wo bist du, Faust, des Stimme mir erklang,

Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Bist Du es? der, von meinem Hauch umwittert,

In allen Lebenstiefen zittert,

Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!

FAUST

Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

Ich bin’s, bin Faust, bin deinesgleichen!

GEIST

In Lebensfluten, im Tatensturm

Wall ich auf und ab,

Webe hin und her!

Geburt und Grab,

Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,

Ein glühend Leben,

So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit,

Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

FAUST

Der du die weite Welt umschweifst,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl ich mich dir!

GEIST

Du gleichst dem Geist den du begreifst,

Nicht mir! (Verschwindet.)

FAUST

(zusammenstürzend)

Nicht dir?

Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!

Und nicht einmal dir!

(Es klopft.)

O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –

Es wird mein schönstes Glück zunichte!

Dass diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schleicher stören muss!

WAGNERim Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand.FAUST wendet sich unwillig.

WAGNER

Verzeiht! ich hör Euch deklamieren;

Ihr last gewiss ein griechisch Trauerspiel?

In dieser Kunst möcht ich was profitieren,

Denn heutzutage wirkt das viel.

Ich hab es öfters rühmen hören,

Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

FAUST

Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;

Wie das denn wohl zuzeiten kommen mag.

WAGNER

Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,

Und sieht die Welt kaum einen Feiertag,

Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,

Wie soll man sie durch Überredung leiten?

FAUST

Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,

Wenn es nicht aus der Seele dringt,

Und mit urkräftigem Behagen

Die Herzen aller Hörer zwingt.

Sitzt ihr nur immer! Leimt zusammen,

Braut ein Ragout von andrer Schmaus,

Und blast die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäufchen raus!

Bewundrung von Kindern und Affen,

Wenn euch darnach der Gaumen steht;

Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

Wenn es euch nicht von Herzen geht.

WAGNER

Allein der Vortrag macht des Redners Glück;

Ich fühl es wohl noch bin ich weit zurück.

FAUST

Such’ Er den redlichen Gewinn!

Sei Er kein schellenlauter Tor!

Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor;

Und wenn’s euch ernst ist was zu sagen,

Ist’s nötig Worten nachzujagen?

Ja, eure Reden, die so blinkend sind,

In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der Nebelwind,

Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

WAGNER

Ach Gott! die Kunst ist lang!

Und kurz ist unser Leben.

Mir wird, bei meinem kritischen Bestreben,