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Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Orientalistik / Sinologie - Islamwissenschaft, Note: 1,5, Freie Universität Berlin (Institut für Islamwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: Der Name Amina Waduds ist vielen erst im Zusammenhang mit dem von ihr geleiteten Freitagsgebet in New York im März vergangenen Jahres bekannt geworden. Das Ereignis wurde in den Medien sensationalisiert, wenngleich die Reaktionen unterschiedlich ausfielen. So titelte die Welt am 21. März 2005 mit „Weibliche Vorbeterin provoziert die islamische Welt“ und suggeriert damit, dass „die islamische Welt“, wie sie hier heißt, ein Problem mit einer Frau als Vorbeterin hat. Auch zahlreiche Zeitungen in muslimischen Ländern berichteten von dem Ereignis. Allen Reaktionen gemeinsam ist jedoch eines: Sie alle zitieren die Stimmen zahlreicher muslimischer Gelehrter, die erklären, warum es islamisch eigentlich illegitim sei, dass eine Frau ein Gebet von Männern und Frauen leitet. In jedem Fall scheint man den Eindruck vermitteln zu wollen, dass das, was Amina Wadud da getan hat, irgendwie „unislamisch“ sei. Vielen Islamwissenschaftlern war sie hingegen durch ihr Buch „Qur’an and Woman“ bekannt geworden, in dem sie den Versuch unternimmt, bestimmte Koranverse, die zur religiösen Legitimierung eines misogynen Frauenbildes und diskriminierender Praktiken benutzt werden können, neu zu interpretieren, wobei sie von einer im Koran verankerten Geschlechtergerechtigkeit ausgeht. Amina Wadud ist in der Tat unter Muslimen umstritten und wird nicht selten des Abfalls vom Glauben bezichtigt, ihre Äußerungen werden als unislamisch und unqualifiziert abgetan, meist ohne dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrem Werk stattfindet. Gleichzeitig gibt es jedoch Gläubige, die in der Argumentation, den Positionen Waduds eine Legitimation und Bestätigung für das finden, was sie sich erhoffen: dass es auch innerhalb eines islamischen Referenzrauhmens möglich ist für Geschlechtergerechtigkeit zu streiten, dass Glaube und Widerstand gegen Diskriminierungen durchaus nicht im Widerspruch zueinander stehen. Die Aufgabe dieser Arbeit soll daher zu einem großen Teil darin bestehen, darzustellen, wie eine feministische Interpretation des Koran aussehen kann, unter welchen Prämissen und mit welchen methodischen Ansätzen sie möglich ist. Nur so kann die Tür zur Teilnahme an einem ernsthaften Dialog mit gläubigen MuslimmInnen geöffnet werden, können Argumente gefunden werden, die nicht die Abkehr von der Religion fordern, sondern eine eingehende Beschäftigung mit ihren Quellen sowie ein Nachdenken über die Vielfalt möglicher Auslegungen.
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Der Name Amina Waduds ist vielen erst im Zusammenhang mit dem von ihr geleiteten Freitagsgebet in New York im März vergangenen Jahres bekannt geworden. Das Ereignis wurde in den Medien sensationalisiert, wenngleich die Reaktionen unterschiedlich ausfielen. So titelte die Welt am 21. März 2005 mit „Weibliche Vorbeterin provoziert die islamische Welt“1und suggeriert damit, dass „die islamische Welt“, wie sie hier heißt, ein Problem mit einer Frau als Vorbeterin hat. Auch zahlreiche Zeitungen in muslimischen Ländern2berichteten von dem Ereignis. Allen Reaktionen gemeinsam ist jedoch eines: Sie alle zitieren die Stimmen zahlreicher muslimischer Gelehrter, die erklären, warum es islamisch eigentlich illegitim sei, dass eine Frau ein Gebet von Männern und Frauen leitet. Während einige Medien die Idee als besonders progressiv darstellen und die Kritiker als wütende, radikalisierte Muslime, sehen andere in der afroamerikanischen Muslima die Stimme des Westens oder der Vereinigten Staaten von Amerika. In jedem Fall scheint man den Eindruck vermitteln zu wollen, dass das, was Amina Wadud da getan hat, irgendwie „unislamisch“ sei. Vielen Islamwissenschaftlern war sie hingegen durch ihr Buch „Qur’an and Woman“ bekannt geworden, in dem sie den Versuch unternimmt, bestimmte Koranverse, die zur religiösen Legitimierung eines misogynen Frauenbildes und diskriminierender Praktiken benutzt werden können, neu zu interpretieren, wobei sie von einer im Koran verankerten Geschlechtergerechtigkeit ausgeht.
Amina Wadud ist in der Tat unter Muslimen umstritten und wird nicht selten des Abfalls vom Glauben bezichtigt, ihre Äußerungen werden als unislamisch und unqualifiziert abgetan, meist ohne dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrem Werk stattfindet. Gleichzeitig gibt es jedoch Gläubige, die in der Argumentation, den Positionen Waduds eine Legitimation und Bestätigung für das finden, was sie sich erhoffen: dass es auch innerhalb eines islamischen Referenzrauhmens möglich ist für Geschlechtergerechtigkeit zu streiten, dass Glaube und
1Alexander, Dietrich: Weibliche Vorbeterin provoziert die islamische Welt. Die Welt, 21.03. 2005. URL: http://www.welt.de/data/2005/03/21/614308.html?prx=1, Stand: 2.03.2006.
2Damit meine ich Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung.
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Widerstand gegen Diskriminierungen durchaus nicht im Widerspruch zueinander stehen.3Wenngleich eine Neuinterpretation des Koran keine hinreichende Voraussetzung für eine Veränderung der Position der Frau in muslimischen Gesellschaften und Gemeinschaften ist, so kann dadurch zumindest der religiösen Legitimation von Diskriminierung etwas entgegengesetzt werden, ohne dabei den islamischen Referenzrahmens zu verlassen. Ein Zusammenhang zwischen Legitimation von Denken und Handeln einerseits und gesellschaftlicher Veränderung andererseits wird auch von mir in dieser Arbeit angenommen, eine Neuinterpretation ermöglicht auch neue Horizonte für den Interpreten.
Die Aufgabe dieser Arbeit soll daher zu einem großen Teil darin bestehen, darzustellen, wie eine feministische Interpretation4des Koran aussehen kann, unter welchen Prämissen und mit welchen methodischen Ansätzen sie möglich ist. Nur so kann die Tür zur Teilnahme an einem ernsthaften Dialog mit gläubigen MuslimmInnen geöffnet werden, können Argumente gefunden werden, die nicht die Abkehr von der Religion fordern, sondern eine eingehende Beschäftigung mit ihren Quellen sowie ein Nachdenken über die Vielfalt möglicher Auslegungen. Zugleich möchte ich betonen, dass die Arbeit Amina Waduds sich nicht in der Interpretation von Koranversen erschöpft, wobei dies der Ausgangspunkt ihrer Beschäftigung mit diesem Thema war.
Es soll zudem der Versuch unternommen werden, zumindest teilweise zu erklären, wie sich die heftigen Reaktionen gegen Amina Wadud begründen lassen5, warum ihr methodischer Ansatz und das damit verbundene Engagement so brisant sind. Warum ist es nach Ansicht Waduds nicht nur möglich sondern sogar wünschenswert, dass Frauen sowohl Frauen als auch Männer im Gebet leiten und warum ist es nach Meinung ihrer Gegner unmöglich? Welche Argumentation führt zu den entsprechenden Vorstellungen über das, was islamisch legitim oder illegitim ist? An welchen Punkten entzündet sich die Diskussion? Meine These zu Beginn dieser Arbeit lautet, dass hinter den unterschiedlichen Meinungen darüber, wie man den Koran interpretieren darf
3Wadud 1999, S. XV-XIX des Vorwortes
4Auf die Definition der Begriffe „Feminismus“ und „Islamischer Feminismus“ werde ich in Kapitel 2.1 eingehen.
5Dabei geht es mir nicht um eine sozial- oder politikwissenschaftliche Erklärung, sondern um die theoretische, argumentative Ebene der Diskussion.
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und welche Schlussfolgerungen über Wesen und Position der Frau zu ziehen möglich sind, bestimmte Annahmen darüber stehen, wie der Mensch Wahrheit erkennen und richtig handeln kann.
Aufbau der Arbeit
Das erste Kapitel dieser Arbeit soll vor allem einen Blick auf das Leben Amina Waduds werfen, um so die mögliche Motivation für ihr Engagement sowie für ihre Denkweise bedeutsame Einflüsse aufzuspüren. Die Informationen über ihren Werdegang, über die Kämpfe in ihrem persönlichen Leben lassen sowohl den Fokus ihrer Arbeit besser verstehen wie auch die Absicht, die hinter ihren Worten und Taten liegt, leichter erkennen, wodurch Missverständnisse eher vermieden werden können. Viele verbinden mit dem Namen „Amina Wadud“ nur das Freitagsgebet in New York. Die Sensationalisierung des Ereignisses hat im innermuslimischem Diskurs zu heftigen Diskussionen über die dahinterliegende Motivation geführt, wobei dem theoretischen Ansatz Waduds kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Alle Informationen zum Leben Waduds habe ich autobiographischen Aufsätzen, Berichten und Randnotizen sowie Interviews und Reportagen aus Zeitungen, Fernsehen und dem Internet entnommen. Bevor ich mich mit ihrer Biographie beschäftige, möchte ich jedoch das Geschehen des 21. März 2005, an dem das Freitagsgebet stattfand, schildern und dabei einerseits auf die Vorwürfe und Argumente ihrer Kritiker sowie andererseits auf Verbindungen zwischen Personen und Organisationen eingehen, die bei dem Ereignis eine Rolle spielten.
Im zweiten Kapitel sollen verschiedene Fragen behandelt werden, die einen Rahmen für die Analyse des Ansatzes Waduds in den darauffolgenden Kapiteln liefern sollen. Das Thema der Feministischen Koraninterpretation berührt mehrere Diskussionsfelder, von denen zwei hier etwas genauer beleuchtet werden sollen. Auf dem ersten Diskussionsfeld geht es um den islamischen Feminismus. Bis heute existieren essentialistische Vorstellungen von einer Unvereinbarkeit der beiden Begriffe „Islam“ und „Feminismus“, wobei sich die Kritiker sowohl unter Muslimen wie auch unter denen finden, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen. Diese Essentialisierungen und Dichotomisierung der Begriffe und damit verbundenen Inhalte soll hier zurückgewiesen werden. Was „Feminismus“ ist, was „islamisch“ ist, kann in
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verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten unterschiedlich definiert sein, eine einzige Definition kann nicht als universal betrachtet werden. Zugleich bin ich der Überzeugung, dass in einer globalisierten Welt6ein bestimmter verbindlicher Konsens im Bereich der Frauenrechte ebenso notwendig ist wie im Bereich der allgemeinen Menschenrechte. Der erste Teil des zweiten Kapitels soll sich mit der Definition des Begriffs „Islamischer Feminismus“ auseinandersetzen sowie einen Blick auf die Vielfalt der unter diesem Label existierenden Ansätze werfen. Hier sollen die Grundlagen für die Beantwortung der Frage geschaffen werden, wodurch sich der Ansatz Waduds gegenüber denen anderer islamischer Feministinnen auszeichnet und wo sie selbst innerhalb dieses Spektrums zu verorten ist.
Das zweite hier anzusprechende und mit dem ersten eng verwobene Diskussionsfeld betrifft den sogenannten progressiven Islam und die Möglichkeiten einer oft als „liberal“7bezeichneten Koraninterpretation. Gegenwärtig entwickelt sich eine Denkrichtung, die auch unter Bezug auf den Koran von einer Vereinbarkeit von islamischen und demokratischen, pluralistischen sowie feministischen Ideen ausgeht. Denker dieser Richtung behaupten oft, der Koran müsse neu interpretiert werden, wobei sie sowohl an gegenwärtige philosophische und linguistische Herangehensweisen wie auch an seit Jahrhunderten existierende, jedoch oft marginalisierte Ansätze der Koraninterpretation anknüpfen. Ähnlich wie in der Diskussion um einen islamischen Feminismus, werden auch die Ansätze progressiver Denker nicht selten als unislamisch und unqualifiziert abgetan, wobei ihnen vorgeworfen wird, Sprachrohr sogenannter westlicher Interessen zu sein. In der westlichen Öffentlichkeit werden liberale Denker oft entweder als Vorhut einer erhofften und angestrebten islamischen Aufklärung gesehen, oder es wird ihnen unterstellt, wie der Wolf im Schafspelz ihr eigentliches Interesse, nämlich die Islamisierung der Gesellschaft, zu verbergen.8In einer als binär perzipierten Welt á la Huntington, in der sich „der Westen“ und „der Islam“ unversöhnlich als unveränderliche Entitäten gegenüber stehen und Islam in erster Linie mit Fanatismus assoziiert wird, wird progressives Denken innerhalb eines islamischen Referenzrahmens als Widerspruch in sich und
6Mit „globalisierter Welt“ meine ich eine Welt, in der alle Menschen potentiell über Massenmedien und Kommunikationsmittel sowie durch globale wirtschaftliche, politische und kulturelle Beziehungen in Verbindung und Abhängigkeit miteinander stehen
7Zur Arbeitsdefinition von „progressiv“ und „liberal“ vgl. Kapitel 2.2 dieser Arbeit.
8Vgl. Taji-Farouki, S. 4-8, 12; Kurzman, S. 5-11
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daher als undenkbar betrachtet.9In diesem Abschnitt möchte ich zunächst versuchen, der Frage nachzugehen, was genau liberales oder progressives Denken ist, ob es Unterschiede zwischen „liberal“ und „progressiv“ gibt, welche Ansätze der Koraninterpretation verfolgt werden. Dabei sollen die Fragen herausgearbeitet werden, um die sich die Diskussion dreht, um so im folgenden Kapitel den Ansatz Waduds besser einordnen und analysieren zu können.
Im dritten Kapitel dieser Arbeit möchte ich den methodischen Ansatz Waduds analysieren, wobei unter anderem folgende Fragen beantwortet werden sollen: Auf welche Denker bezieht sich Wadud direkt? Welche historischen Elemente ihres Denkansatzes können entdeckt werden, insbesondere mit Blick auf die von ihr geforderte Konzentration auf die Prinzipien oder die Absicht des Koran? Welche Probleme bringt ihr Ansatz mit sich, wo ist er kritisierbar, insbesondere in der innermuslimischen Diskussion? Was ist das Besondere an ihrer Herangehensweise, wenn man sie zu der anderer islamischer Feministinnen in Bezug setzt? Um mich diesen Fragen anzunähern, stelle ich zunächst den Ansatz Fazlur Rahmans kurz dar, da sich Wadud als ehemalige Schülerin Rahmans wiederholt auf diesen bezieht und seinen Ansatz in Teilen übernommen hat. Die Vorstellung des Ansatzes Rahmans soll helfen, einige der ethischen und theologischen Vorannahmen einesr solchen Herangehensweise zu analysieren. Hierbei soll ein Blick auf einige Grundkonzepte Waduds geworfen werden, die für ihre Arbeit insgesamt von Bedeutung sind. In der Diskussion der theoretischen Prämissen geht es immer wieder um die Spannung von geoffenbartem Text und historischem Wandel sowie um die Frage, wie der Mensch überhaupt Wahrheit erkennen kann und welche Rolle der Vernunft und dem offenbarten Text bei der Bemühung um Erkenntnis zukommen kann.
Im vierten Kapitel schließlich möchte ich mich direkt dem koranischen Text widmen und mir einige der Interpretationen Waduds genauer anschauen. Dabei soll es um zwei Themenkomplexe gehen. Der erste behandelt die transzendente Dimension der Gleichheit oder Ungleichheit, also die Frage, ob Mann und Frau ihrem Wesen und ihren Fähigkeiten nach gleich erschaffen sind.
9Kurzman, Charles (1999): Liberal Islam: Prospects and Challenges. In: MERIA - Middle East Review of International Affairs. Jg. 3, Heft 3, S. 5-15. URL:
http://www.biu.ac.il/SOC/besa/meria/journal/1999/issue3/jv3n3a2.html, Stand: 10.01.06; Kurzman 1999. Kurzman ist Soziologe an der Universität von North Carolina.
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Für letztere Frage ist auch die Geschichte von Adam und Eva im Paradies von Bedeutung, insbesondere dann, wenn Eva diejenige ist, die zur Sünde verführt. Ein Thema, das innerhalb dieser transzendenten Dimension besonderes Kopfzerbrechen bereiten muss, ist die Belohnung und Bestrafung nach dem Tod und hier vor allem die Belohnung des Mannes mit wunderschönen Jungfrauen. Im zweiten Teil dieses Kapitels möchte ich mich mit den möglichen Interpretationen des Koranverses 4:34 auseinandersetzen, da dieser Vers innerhalb der Diskussion um die Rolle der Frau und um die Legitimation von Gewaltausübung gegenüber Frauen von außerordentlicher Bedeutung ist. Dieser Vers wird immer wieder herangezogen, um die angebliche Frauenfeindlichkeit des Islam zu beweisen, wobei die Protagonisten solcher Anschuldigungen sich wohl in den seltensten Fällen mit dem arabischen Text auseinandersetzen dürften. Der dritte Teil dieses Kapitels setzt sich mit Waduds Vorstellungen der Rollenverteilung von Mann und Frau in Familie und Gesellschaft auseinander. Hier ist insbesondere die Frage interessant, ob und inwiefern Wadud die Geschlechter als biologisch oder sozial unterschiedlich konzeptionalisiert, ob diese Unterschiede für sie konstruiert oder natürlich sind, und welches Familienmodell für sie erstrebenswert ist.
Quellenlage
Was die verwendetete Literatur angeht, so lässt sich zunächst feststellen, dass es kaum wissenschaftliche Artikel gibt, die sich mit Amina Wadud auseinandersetzen. Aus diesem Grund verlasse ich mich auf ihre eigenen Arbeiten sowie auf Informationen aus nichtwissenschaftlichen Quellen wie dem Internet oder Zeitungsartikeln. Weitaus mehr Literatur findet sich zum Thema des Feminismus von Musliminnen, wobei hier das Augenmerk häufig eher auf historischen Entwicklungen liegt und weniger auf dem Phänomen des islamischen Feminismus und der Neuinterpretation der islamischen Quellen. Ein großer Teil der Literatur zum Feminismus von Musliminnen ist daher für diese Arbeit zunächst weniger relevant. Dennoch findet sich hier ausreichendes Material von sogenannten islamischen Feministinnen selbst. Ebenfalls sehr hilfreich sind die Arbeit von Barbara Stowasser. Der progressive Islam, wie er von Omid Safi beschrieben wird10, erfreut sich hierzulande ebenfalls in der wissenschaftlichen Diskussion keiner großen Beliebtheit. Hierzu sind die beiden Sammelbände
10Vgl. Kapitel 2.2 dieser Arbeit
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von Omid Safi und Farid Esack zu empfehlen, wobei letzterer aufgrund mangelnder Verfügbarkeit nicht in diese Arbeit einbezogen werden konnte. Zur Entwicklung der Fragestellung konnte auf Arbeiten über sogenannte liberale Koraninterpreten der Gegenwart zurückgegriffen werden.
Anmerkung zur Transliteration
Die Transliteration folgt den Vorgaben der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. Namen von Personen der aktuellen Zeitgeschichte werden in ihrer gebräuchlichen Schreibweise übernommen. So behalte ich bei Omaima Abou-Bakr die in ihren Veröffentlichungen benutzte Schreibweise bei, während der erste Kalif Ab Bakr korrekt umgeschrieben würde. Bestimmte arabische Begriffe wie Muhammad, Koran, Hadith und Scharia werden nicht umgeschrieben, da sie auch hierzulande häufig Verwendung finden. Bei Hadith wird der ebenfalls hier gebräuchliche Plural Hadithe benutzt, obwohl die korrekte Schreibweise im Plural ad wäre.
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Etwa einhundert Menschen versammelten sich am 18. März 2005 im Synodenhaus der anglikanischen St. John the Divine-Kirche in der 110. Straße Ecke Amsterdam Avenue in Upper Manhattan, um das islamische Freitagsgebet zu begehen.11Auf den Fotos in der Presse sieht man Männer und Frauen nebeneinander sitzend, sogar Frauen, die ihr Haar offen tragen. Einige waren über Hunderte Kilometer angereist, aus der Türkei, aus Ägypten. Sie wollten Geschichte schreiben, eine Geschichte, die zwar schon andere vor ihnen geschrieben hatten - jedoch ohne das entsprechende Medienaufgebot. Kein Mann, der zum Gebet ruft, kein Mann, der dieubahält, kein Mann, der das Gebet leitet. Stattdessen vier Frauen. Asra Nomani12las die sogenannte „Bill of Rights for Women in the Mosques“ vor, in der sie unter anderem forderte, dass Frauen in der Moschee neben Männern beten, alle Ämter in der Moschee bekleiden und die Moschee durch den Vordereingang betreten dürfen.13Nachdem Suheyla al-Attar in der Moschee zum Gebet gerufen hatte (iqma), hielt Amina Wadud, afroamerikanische Muslima und
11Im Folgenden: URL: http://www.pluralism.org/research/profiles/display.php?profile=73972, Stand: 23.3.2006; URL: http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/4361931.stm, Stand: 06.02.2006; Alexander, Dietrich: Weibliche Vorbeterin provoziert die islamische Welt. In: Die Welt. 21.3.2005. URL: http://www.welt.de/data/2005/03/21/614308.html?prx=1, Stand: 2.03.2006.
12Asra Nomani, ehemalige Journalistin des Wall Street Journal, wurde in Indien geboren, wuchs jedoch im US-Bundesstaat Virginia auf. Sie war eng befreundet mit dem in Pakistan während seiner Recherchen ermordeten Journalisten Daniel Pearl. Als Journalistin schrieb sie u.a. für die New York Times und die Washington Post. Asra Nomani, alleinerziehende Mutter eines Sohnes, ist mit ihrem Buch „Standing Alone in Mecca: An American Women’s Struggle for the Soul of Islam“ bekannt geworden. Außerdem ist sie Autorin des Buches „Tantrika: Traveling the Road of Divine Love“. Nomani engagiert sich insbesondere für die Rechte muslimischer Frauen, so auch in ihrer Moschee in Morgantown, West Virginia. Mehr Informationen unter: http://www.asranomani.com und Wiltz, Teresa: The Woman Who Went to the Front of the Mosque. In: Washington Post. 5.06.2005. URL: http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2005/06/04/AR2005060401646.html, Stand: 2.07.2006.
13Auf ihrer Website findet sich u.a. eine sog. „Bill of Rights for Women in the Bedroom” und die erwähnte „Bill of Rights for Women in the Mosques”. In ersterer fordert sie das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung, Verhütung und freie Wahl des Partners.
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Wissenschaftlerin, die eigentlicheubaund führte das Gebet an. Saleemah Abu’l-Ghafur14leitete dasikr.15Der Inhalt derubaist wohl das Einzige, was nicht den Weg in die Medien gefunden hat, abgesehen von ihrer Benennung Gottes mit He/She/It. Die restlichen Aussagen hätten sich auch kaum für eine Sensationalisierung geeignet, da sie lediglich verschiedene Lobpreisungen Gottes enthalten sowie einige Koranzitate, darunter die Verse 4:1 und 33:35, mit denen Wadud die Gleichheit von Mann und Frau und ihren gemeinsamen Ursprung in Gott hervorhebt.16
Wadud selbst zeigte sich zum Teil gestört durch das große Medienaufgebot während des Gebets, auch in den folgenden Wochen bezog sie nicht Stellung, lehnte alle Anfragen für Interviews ab, lediglich an der vor dem Gebet stattfindenden Pressekonferenz nahm sie teil.17
Etwa 15 Personen hatten sich vor der Moschee versammelt, um gegen das Gebet zu demonstrieren. ‚Allah möge Amina Wadud, Ahmed Nassef18und Asra Nomani verfluchen’, war auf ihren Plakaten zu lesen. Einer der Demonstranten äußerte gegenüber Medien, Amina Wadud habe den Tod verdient und würde in einem islamischen Staat gehängt werden. Drei
14Saleemah Abu’l-Ghafur ist Autorin der Anthologie „Living Islam Out Loud: American Muslim Women Speak“ (2005) und Mitglied im Vorstand der Progressive Muslim Union of North America. Sie befasst sich mit Populärkultur und den Rechten muslimischer Frauen. URL:
http://www.pmuna.org/archives/2004/10/board_of_direct.php#more, Stand: 26.06.2006.
15Iqma ist der zweite Ruf zum Gebet in der Moschee, während an der vorherige Ruf des Muezzins vom Minarett ist. Vor dem Versammlungsgebet wird eine Ansprache (uba) gehalten, die aus zwei Teilen besteht. Die meisten Muslime betrachten fünf tägliche Gebete als religiöse Pflicht: vor Sonnenaufgang (far), zu Mittag, nachdem die Sonne den Zenith erreicht hat (uhr), am Nachmittag (ar), nach Sonnenuntergang (marib) und nach Einbruch der Dunkelheit (i’). Es gibt drei Begriffe für das Gebet. Währendaltdas rituelle Gebet bezeichnet, wird der Begriff du für das persönliche, auch frei formuliertes Gebet benutzt;ikrfür das Gedenken Gottes, seine Erwähnung oder das Bewusstsein seiner ständigen Gegenwart, aber auch für das Wiederholens bestimmter formelhafter Wendungen in der Versenkung. Das Freitagsgebet (alt al-uma) besteht für gewöhnlich nur ausutbaund dem Gebet,ikrist kein integraler Bestandteil. Böwering 2004, S. 925-934.
16Wadud 2006, S. 249-252
17Wadud 2006, S. 248, 252 f.
18Ahmed Nassef ist Chefredakteur der Online-Zeitschrift von Muslim Wakeup, einer Organisation, die sich nach eigenen Angaben für offenen, pluralen Austausch unter Muslimen und mit Nicht-Muslimen und gegen jede Form der Unterdrückung einsetzt. URL: http://www.muslimwakeup.com. Dort findet sich auch ein Artikel, der deutlich Position für das Recht auf homosexuelle Eheschließung einnimmt. Nassef studierte an der UCLA, engagierte sich gegen US-Intervention im Nahen Osten. Beruflich war er viele Jahre im Bereich Marketing und Consulting tätig. Er ist zugleich Stellvertretender Vorsitzender der Progressive Muslim Union of North America.
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Moscheen hatten zuvor die Anfrage, das Gebet bei ihnen stattfinden zu lassen, abgelehnt. So war man auf eine Kunstgalerie ausgewichen. Nachdem diese jedoch eine Bombendrohung erhalten hatte, fand das Gebet letztlich unter großen Sicherheitsvorkehrungen in einem Gebäude der anglikanischen Kirche statt. Finanziert wurde die Aktion durch die Muslim Women’s Freedom Tour19und die bereits erwähnte Online-Zeitschrift Muslim Wakeup. An der Organisation war außerdem die Progressive Muslim Union of North America20(PMUNA) beteiligt, welche zudem eine Kampagne für das Recht der Frau, an Gebeten teilzunehmen und diese zu leiten, begonnen hat. Amina Wadud selbst war bis zum Zeitpunkt des Gebets Mitglied im Beratungsausschuss der Progressive Muslim Union, hat sich später aber von der Organisation distanziert. Auf mögliche Gründe hierfür werden wir an anderer Stelle erneut eingehen.21Dennoch wird sie auf der Website der PMUNA bis heute als Beraterin aufgeführt.22
Die Reaktionen, sei es von Seiten muslimischer Gelehrter oder in Zeitungen und anderen Medien in muslimischen Ländern sowie in Diskussionsforen im Internet, fielen überwiegend kritisch bis feindselig aus. Haarsträubende und offene Anschuldigungen der Häresie finden sich vor allem in Internetforen. So beschloss man, aus Sorge um die Sicherheit Waduds und ihrer Studenten, dass sie für den Rest des Semesters nur noch per Videokonferenz unterrichten könne. Auch ihr Haus wurde zeitweise von der Polizei bewacht.23Gegner kritisierten nicht nur, dass