Festspiel in deutschen Reimen - Gerhart Hauptmann - E-Book

Festspiel in deutschen Reimen E-Book

Gerhart Hauptmann

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Beschreibung

Gerhart Hauptmanns Werk zum hundertjährigen Jubiläum der Befreiungskriege Europas. Ein Auftragsstück der besonderen Art: Regieanweisungen unterteilen das sonst in Akte gegliederte Drama, das 1913 in Breslau uraufgeführt wurde. Erzählt wird das Schicksal Europas zu Zeiten der Freiheitskriege rund um Napoleon Bonaparte. Auch zeitgenössische Charaktere wie Friedrich von Preußen, Hegel, Jahn, Kleist und Büchner kommen zu Wort und zeichnen ein detailgetreues Bild der realhistorischen Ereignisse.-

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Gerhart Hauptmann

Festspiel in deutschen Reimen

 

Saga

Festspiel in deutschen Reimen

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1913, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726956924

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Zur Erinnerung

an den Geist der Freiheitskriege

der Jahre achtzehnhunderunddreizehn,

-vierzehn und -fünfzehn

Aufgeführt bei der Jahrhundertfeier

in Breslau 1913

Dramatis Personae

Der DirektorPhilistiadesDie PythiaEin KnabeEin SeptembriseurDer RitterFriedrich der GroßeNapoleonTalleyrandHegelTurnvater JahnFreiherr vom SteinGneisenauScharnhorstHeinrich von KleistFichteBlücherAthene DeutschlandEin Krypto-NichtgentlemanDer WeltbürgerDie FurieDer AdlerDer JuristJohn Bull

Jakobiner, Trommler, Weiber, Henker, Masken, Chor der Vögel, französische und preußische Soldaten und Offiziere, Marschälle Napoleons, Mütter, Bürger, Studenten, Schreiber, Volk.

Hinter einer Orchestra sind drei stufenweise aufsteigende Bühnen gedacht. Die erste Bühne ist durch einen Vorhang geteilt. Wenn dieser sich öffnet, so ist ein anderer Vorhang, der zugleich die zweite Bühne abschließt, Hintergrund. Geht dieser auseinander, so ist die zweite, höhere Bühne sichtbar, mit einem dritten Vorhang als Hintergrund, der, geöffnet, die dritte, oberste Bühne enthüllt.

Vor den ersten Vorhang – schwarz und mit goldenen Sternen bestickt – tritt der Direktor. Er trägt die hohe Mütze des Magiers und einen Talar, alles ebenfalls mit Himmelszeichen bedeckt. Er führt einen Zauberstab.

Der Direktor.

Nur selten tret' ich selber auf die Bretter

des Welttheaters, das ich dirigiere.

Ich mache gutes, mache schlimmes Wetter,

gewiß, daß mich's persönlich nicht geniere.

Doch auch der allerbeste Apparat

kann nicht für stets vollkommen gelten.

Es bricht ein Rädchen, reißt ein Draht,

und diese beste aller Welten,

die Welt des Scheins, zeigt eine Lücke,

wie die, darein ich jetzt mich drücke.

Mit einem Wort, der Mime, der sonst stets

zu diesem Drama den Prolog gesprochen,

hat leider den Kontrakt gebrochen.

Es geht auch ohne ihn, ihr seht's,

wenn der Direktor nicht zu stolz ist

und außerdem aus gutem Holz ist.

Natürlich werd' ich nicht wortwörtlich jetzt

euch den Prolog herunterleiern.

Ich hab' ihn selber aufgesetzt,

wie üblich bei dergleichen Feiern,

allein, im Kopf hab' ich ihn nicht.

Drum, da ich leichter komponiere,

als Komponiertes memoriere,

jetzt nur ein trockner Vorbericht!

Wie nennt man gleich das Stück? Das Ding ist schwer.

Man kennt die Gattung hierzuland nicht mehr.

Etwa 'nen Mimus, mimische Hypothese,

wie sie Philistion, der Weltverächter,

ersonnen, der gestorben am Gelächter?

Doch wenn ich's in Gedanken überlese,

so find' ich zwar die mimische Ironie,

doch eine mehr moderne Phantasie.

Nun, einerlei: so oder so benannt,

dies Werk lobt seines Autors Kopf und Hand,

und in Gesichten, bunt und wandelbar,

stellt's eines Erdteils Schicksalsstunde dar.

Die Gaukelbühne heißt in diesem Fall

Europa! Doch des Spieles Widerhall

verbreitet sich auf beiden Hemisphären.

Man soll dich, altes Fußgestelle, ehren!

    (Er stampft mit dem Fuße auf die Bühne.)

Denn was du ohne Einsturz schon erduldet,

dafür bleibt dein Direktor dir verschuldet.

Aus dem Vorhang tritt Philistiades, ein schlanker Jüngling, nur wenig bekleidet, mit den Flügeln des Hermes an den Fersen und an der Kopfbedeckung. Er wirft einen großen Rucksack vor die Füße des Direktors.

Philistiades.

Da bin ich wieder, alter Sternengreis,

und harre, deines Herrscherwinks gewärtig.

Du bist noch immer alterssteif und bärtig,

schneeigten Scheitels, jahrmillionenweiß.

Du willst bei tragischer Helden Todesröcheln –

was gilt's, ich rate recht! – in Wut und Streit

einmal, nach langer, langer Fastenzeit,

dein leis sardonisch Kinderlächeln lächeln.

Ein Wink von dir: gleich öffn' ich meinen Ranzen

und lasse alle deine Puppen tanzen.

Der Direktor.

Mein Philistiades, erst sieh dich um!

da unten sitzt ein Riesenpublikum:

nicht mir, ihm, das in andachtsvollem Schweigen

neugierig harrt, magst du die Puppen zeigen.

Sag ihm, mein Bester, wie wir uns das Leben,

mit welchen Kräften, abzuspiegeln streben.

Verschweig auch nichts, mein immer muntrer Sohn,

von unserer Organisation,

auch daß wir uns an Zeit und Ort nichts kehren

und uns um Aristoteles nicht scheren:

Luft, Wasser, Erde, alles ist uns gleich.

Die Truppe ist zu Haus in jedem Reich,

sogar daheim noch über den drei Reichen:

des ist der Stab in meiner Hand das Zeichen.

Philistiades (nach Bedarf Requisiten und Puppen aus dem Ranzen ziehend und vorweisend).

Unser Theater kann groß und klein,

wie du's ansiehst, so kann es sein.

Hier zum Beispiel, handgroß, ein Ball:

er bedeutet die Erde, kreisend im All!

Ihr habt ihn gesehen. Ich leg' ihn beiseite.

Gleich dehnt sich die Erde ins Breite und Weite,

und ihr vernehmet der Sintflutgewässer

Brausen und Rauschen schon lauter und besser,

weitet den Blick von des Meeres Küsten

über fruchtbare Länder, Gebirge und Wüsten.

Deutlich erscheinen die fünf Erdteile,

alsdann, Quadratmeile um Quadratmeile,

die großen Ströme, die großen Städte,

die Häuser, die Straßen, die Kabinette,

und wir erblicken das kleine Insekt,

das in Häusern und Kabinetten steckt.

Doch nein, es handelt sich nicht um Ameisen.

Laßt uns den Herrn der Erde preisen!

Er nennt sich den kleinen Gott der Welt

und mag sich nennen, wie's ihm gefällt.

In nächster Nähe wächst er zum Riesen,

man kann es zum Beispiel sehen an diesen.

    (Er weist einige Püppchen vor.)

Ihr lacht! Euch wird das Lachen vergehn,

bekommt ihr erst ihre Taten zu sehn.

Sie erscheinen steif, doch sie sind beweglich

und ganz unsäglich unverträglich.

Ihr werdet euren Augen nicht trauen,

wie sie einander erschießen, erstechen und über die Köpfe hauen,

sich würgen, morden und massakrieren!

Es ist manchmal, um die Geduld zu verlieren.

Tatsächlich beruht das heutige Stück

auf Blutbädern und Schlachtenmusik,

grausigen Simmelsammelsurien.

Diese Puppen hier sind die nötigen Furien.

Auch haben wir hier die Donnermaschine:

nun, Donner und Blitz gehören zur Bühne!

Hier wären einige Götter und Genien:

zwar behelfen wir uns mit wenigen,

doch einige ihrer gebrauchen wir,

denn unser Mimus spielt im Empire.

Zufällig greife ich aus der Fülle

soeben die Delphische Sibylle,

Talleyrand, den Turnvater Jahn,

deutsche und englische Generäle,

einen Kosaken-Hetman, französische Marschälle.

Auge um Auge, Zahn um Zahn

ist diesmal die allgemeine Parole,

und begegnen sich ihrer zwei,

so traktieren sie sich mit Pulver und Blei

und karessieren einander mit der Pistole.

Hier gibt es Musiker, Philosophen, Dichter,

geruhsame Bürger und Straßengelichter:

Puppen, genau nach dem Leben geschnitzt,

jedwede blutet, wenn man sie ritzt.

Der Direktor.

Halt! nicht allzu übereilig.

Überstürzungen sind nicht kurzweilig.

Reich mir die Püppchen, einzeln, in Ruh,

und auch natürlich den Draht dazu!

Nehmen wir gleich mal diesen Unband.

Dieser Unband ist Nelson genannt.

Er ist ein Schauspieler für Partien,

die sich auf offenem Meere vollziehen.

Solche Mitglieder haben wir nicht gar viele.

Er ist ein Kerl im erhabensten Stile.

Wir heißen ihn scherzhaft den Admiral.

Er stammt von da drüben überm Kanal.

Ein andres Püppchen, etwa das:

Wir nennen es schlechtweg den Marschall Vorwärts.

Diese Puppe hat Kopf, Hand und Herz,

ist manchmal ein bißchen Bramarbas.

Aber man soll einem Haudegen

die Zunge nicht an die Strippe legen.

Eine Feuernatur! Ein brillanter Akteur!

Wißt ihr noch einen solchen, so bringt ihn her.

Nun kommt ein Artikel, extra rar:

ein Preußenkönig, ein Kaiser, ein Zar.

Doch sind diese Püppchen höchst diffizil,

wir lassen sie lieber aus dem Spiel.

Bräche sich eines von ihnen ein Bein,

meine Stellung würde erschüttert sein.

Hingegen ist dieses bedeutend robuster,

sozusagen ein neueres Muster.

Überhaupt dieses Püppchen ist phänomenal:

geheißen der kleine Caporal!

Es ist eigentlich einzig in seiner Art.

Ich schnitt es bei einer Südlandfahrt

aus dem Holze korsikanischer Steineichen.

Es trägt mein eigenes Künstlerzeichen.

Es sollte eigentlich etwas werden,

dergleichen noch nie gewesen auf Erden.

Aber ein alter entlaßner Theatermeister,

Pedro Carbonaro heißt er,

hat mir den Mechanismus verstellt,

und so blieb es ein problematischer Held.

Es kam nach Marseille und von da nach Paris,

wo ich dieses Püppchen hauptsächlich tanzen ließ.

Und es tanzte so proper und so flink,

daß bald ganz Frankreich im Kreise ging.

Ja, ganz Europa geriet ins Tanzen.

Ihr erfahrt es sogleich im großen und ganzen.

Es wackelten Zöpfe, Köpfe und Grenzpfähle,

Kirchtürme, Schilderhäuschen und Thronsäle.

Durcheinander purzelten Thrönchen und Krönchen

und allerlei hohe und niedre Persönchen.

Nun aber war er kein bloßer Scharwenzer,

sondern vielmehr ein Schwerttänzer.

Aber später tanzte er selbst nicht mehr,

er sandte Schwerttänzer vor sich her.