Fidel Castro inkl. Hörbuch - Elke Bader - E-Book

Fidel Castro inkl. Hörbuch E-Book

Elke Bader

0,0

Beschreibung

Sein Leben gleicht einem Abenteuerroman. Fidel Castro überlebte und erlebte all dies: die Batista-Diktatur auf Kuba, Gefängnis, Exil, die Revolution und ihren Sieg 1959, Mordkomplotte, sieben sowjetische Generalsekretäre, zehn US-Präsidenten. Der Kubabesuch des elften, Barack Obama, leitete endlich das Tauwetter in den Beziehungen Kubas mit den USA ein. Weder Wirtschaftsblockaden noch Invasionspläne konnten Castro etwas anhaben. Er steht aber auch für das Ereignis, das die Welt während des Kalten Krieges an den Rand eines Atomkrieges brachte - die Kubakrise. Seine Palmeninsel des Sozialismus mitten in der Karibik hielt sich eisern, über alle Zeitenwenden. Nicht einmal der Zusammenbruch der Sowjetunion beendete das karibische Experiment des Sozialismus, so abhängig er und sein Regime auch vom „großen Bruder“ waren. Von 1959 bis 2008 herrschte Castro über Kuba. Doch all dies hinterließ Spuren - sein Land stand am Rande des Staatsbankrotts, als er es schließlich in den 1990er Jahren für den Tourismus öffnete und Zuckerrohr als Monokultur den Rücken zuwandte. Inzwischen trägt die Insel eher den Charme des Museal-maroden - und Fidel wirkt auf viele mindestens ebenso aus der Zeit gefallen, ein Relikt des Kalten Krieges. In letzter Zeit war er mehr der seltene Kommentator des Weltgeschehens, Weltrevolutionär im Trainingsanzug in Rente. Die Abschlussformel seiner Reden war stets auch sein Lebensmotto: „Vaterland oder Tod“ – bis heute scheidet er damit die Geister. Am 25. November 2016 starb Fidel Castro in Havanna. Kein Denkmal soll für ihn errichtet werden, kein Straßenname, kein Gebäude nach ihm benannt werden. Stattdessen wurde die Parole "Yo soy Fidel" - "Ich bin Fidel" zur kollektiven Identitätsstiftung ausgegeben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 240

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Fidel Castro

Fidel Alejandro Castro Ruz

1926 (oder 1927) - 2016

Biographie

Von Elke Bader

Impressum

Band 10 aus der Reihe Menschen Mythen Macht

Copyright: © 1. Auflage 2017 Griot Hörbuch Verlag GmbH, Stuttgart

Umschlaggestaltung Diana Enoiu, Martin Lohr

Lektorat und wissenschaftliche Beratung: Dr. Mario Faust-Scalisi

Layout und Satz E-Book: Swift Prosys Pvt Ltd

Chennai, Indien

Titelbild: Fidel Castro, akg images.

Alle weiteren Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von akg images Berlin. www.akg-images.de

und imago www.imago-stock.de

sowie Christa Schmalzried und Elke Bader.

Mehr über unsere Hörbücher, Bücher, Sprecher und Autoren unter www.griot-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, auch einzelne Teile, verboten. Das Urheberrecht und sämtliche weiteren Rechte sind der Autorin sowie dem Verlag vorbehalten. Übersetzung, Speicherung, Vervielfältigung und Verbreitung einschließlich Übernahme auf elektronische Datenträger wie CD-ROM, Bildplatte usw. sowie Einspeicherung in elektronische Medien wie Bildschirmtext, Internet usw. ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages unzulässig. Des Weiteren ist es nicht gestattet, Abbildungen dieses E-Books zu scannen, in PCDDs oder auf CDs zu speichern oder in PCs/Computern zu verändern oder einzelnen oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren.

ISBN E-Pub (mit komplettem Hörbuch) 978-3-95998-007-4

ISBN Mobi-Pocket (ohne Audio) 978-3-95998-002-9

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Überfall auf die Moncada-Kaserne

Die Paten

Der geistige Enkel José Martís

Die Geschichte wird mich freisprechen

Der Sohn der Köchin

Schulzeit und Rebellentum

Der Don Quijote des Campus

Der Anwalt der Armen

Gefangenschaft und Amnestie

Zuflucht Mexiko

Granma

In der Sierra Maestra

Totgesagte leben länger

David gegen Goliath

Viva Fidel

Revolutionsjustiz

Mit kühnem Federstrich

Agentenkrieg

Invasion in der Schweinebucht

Die Kuba-Krise. Im Schatten der Atombombe

Liebesgrüße aus Moskau

Standpauken

Flächenbrand

Abschied von Che Guevara

Che Guevaras Vermächtnis

Wir schaffen das

Gesetz gegen die Faulenzerei

Rückenwind

Stellvertreterkrieg

Verblendung

La lucha – Der Kampf

Sozialismus oder Tod

Abschied vom Comandante

Kuba – ein Land im Wandel

Literaturverzeichnis

Fidel Castro

Biographie

Fidel Alejandro Castro Ruz

1926 (oder 1927) - 2016

LEBENSDATEN

Geboren 13. August 1926 (nach anderen, wahrscheinlicheren Angaben: 1927) in Birán, damals Provinz Oriente (ab 1975: Provinz Holguín), Kuba.

Gestorben am 25. November 2016 in Havanna. Beigesetzt auf dem Friedhof Santa Ifigenia in Santiago de Cuba.

Sohn von Ángel Castro y García (*5. Dezember 1875, Galizien, Spanien † 21. Oktober 1956) und seiner damaligen Hausangestellten und späteren Ehefrau Lina Ruz González (*23. September 1903 † 6. August 1963)

Sechs direkte Geschwister:

älter:

Ángela María Castro Ruz (*2. April 1923 - †28. Februar 2012)

Ramón Eusebio Castro Ruz (*14. Oktober 1924 - †23. Februar 2016)

jünger:

Raúl Modesto Castro Ruz (*3. Juni 1931)

Juana de la Caridad (Juanita) Castro Ruz (*6. Mai 1933)

Enma de la Concepción Castro Ruz (*2. Januar 1935)

Augustina del Carmen Castro Ruz (*28. August 1938 – †26. März 2017)

Dazu kommen 5 Halbgeschwister aus der ersten Ehe seines Vaters

mit María Argota y Reyes:

Manuel Castro Argota (*1913 - †1914)

María Lilia Perfidia (Lidia) Castro Argota (*1913)

Pedro Emilio Castro Argota (*1914)

Antonio María Dolores Castro Argota (*1915 †)

und Georgina de la Caridad Castro Argota (*1918 †)

Von diesen überlebten das erste Jahr nur Lidia und Pedro

Emilio.

Dazu kommt ein weiterer Halbbruder, Martin Castro, geboren 1930, aus der Beziehung des Vaters mit der Hilfsarbeiterin Generosa Mendoza

Ehefrauen / Lebensgefährtinnen:

1. Mirta Díaz-Balart Gutiérrez (*1928) von 1948-1955

2. Celia Sánchez, Lebens-und Revolutionsgefährtin (*1920- †1980)

3. Dalia Soto del Valle Jorge (* 1936), Ehe ab 1980 (?)

Kinder:

Mit Mirta Díaz-Balart Gutiérrez:

Fidel Félix Castro Díaz-Balart (* 1949)

Mit Dalia Soto del Valle

Alexis Castro Soto del Valle (*1962)

Alexander Castro Soto del Valle (*1963)

Alejandro Castro Soto del Valle (*1969)

Antonio Castro Soto del Valle (*1971)

Ángel Castro Soto del Valle (*1974)

Aus einer außerehelichen Beziehung mit María Laborde:

Jorge Ángel Castro Laborde (* 1949)

Aus einer außerehelichen Beziehung mit Micaela Cardoso:

Francisca Pupo (*1953)

Aus einer außerehelichen Beziehung mit Natalia (Naty) Revuelta:

Alina Férnandez Revuelta (* 1956)

Kapitel 1

Überfall auf die Moncada-Kaserne

Ihr EPUB-Reader unterstützt keine HTML5 Audio-Tags.

Der Unterkiefer des ausgebleichten Pferdeschädels klappert gespenstisch im Takt der Trommeln. Einem Dämon gleich tanzt das Skelett durch die Gassen, eingehüllt in Stofffetzen und einen Rock aus Palmfasern und Gräsern. Es hüpft und springt inmitten seiner furchterregenden Comparsa, seiner Gruppe. Kleine Glöckchen an den Fußgelenken und um die Taille reihen sich mit ihrem Klang in den schleppenden Rhythmus der Bratpfannen, der Bremsscheiben, Basstrommeln und der Congas ein. Es sind Kokoríkamos1, maskierte Wesen, die die kreischende Menge am Straßenrand erschrecken, sobald ihr Anführer das Zeichen dazu gibt.

Ihnen folgen unheimliche Gestalten, eingehüllt in kapuzenartige Mehlsäcke, die Gesichter mit Rötel und schwarzer Farbe fratzenhaft unkenntlich gemalt. Dazwischen kubanische Schönheiten, grellbunt geschminkt, in farbigen Tüchern und mit viel nackter Haut. Rhythmisch wiegen diese Königinnen aus den Armutsvierteln ihre Hüften im Takt der Musik. Rum fließt in Strömen, ausgetrocknete Kehlen lechzen nach kühlem kubanischem Bier. Es ist Juli, eine schwülheiße Nacht, die Stadt ein tobender, tanzender Hexenkessel: Santiago de Cuba feiert Karneval.2

Karnevalsfigur aus dem Karnevalsmuseum in Santiago de Cuba. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

Und für das, was sie vorhaben, eignet sich dieses bunte, ausgelassene Treiben hervorragend — unter all den Teufeln, Dämonen, kubanischen Schönheiten und gaffenden Menschenmassen würden sie nicht auffallen. Außerdem ließen sich unter riesenhaften Kapuzen, Kostümen und großen Trommeln hervorragend Waffen verbergen.

Karneval in Santiago de Cuba. Bildquelle: Leonide Perez

Während Santiago de Cuba seinen Karnevalsrausch ausschläft, schlagen sie zu. Sie sind an die hundert Männer und zwei Frauen. Seit Tagen bügelten die Frauen3 in einer gemieteten Hühnerfarm nahe der Küstenstadt Siboney die selbstgeschneiderten Armeeuniformen, während die Männer Waffen im Brunnen versteckten. Das Ziel des Angriffes erfahren sie erst kurz vor dem Losschlagen von ihrem Führer.

Am frühen Morgen des 26. Juli 1953, einem Sonntag, rasen sechsundzwanzig amerikanische Limousinen – alles Mietwagen – über die Avenida Garzón. Die Insassen: Unteroffiziere4, zumindest den Uniformen nach. Einzig die flachen Schuhe verraten5, dass sie keine Regierungssoldaten sind. Um 5:15 Uhr haben sie ihr Ziel erreicht: den Kasernenkomplex Moncada, die zweitgrößte Kaserne Kubas.

Vorderseite der Moncada-Kaserne mit Einschusslöchern vom 26. Juli 1953. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

Das erste Auto fährt zum Tor, hält auf die Wachhabenden zu. Es gelingt, sie zu überwältigen und das Kasernentor zu öffnen. Doch von nun an geht der Plan schief. Denn eine zweite Patrouille taucht unerwartet auf. Bereits das nachfolgende Auto schafft es nicht mehr durch das Kasernentor. Diesen zweiten Wagen steuert Fidel Castro, der Anführer der Rebellen. Ein Hüne von einem Mann und mit einer funkelnagelneuen Brille6 – der Aufstand sollte nicht an seiner Kurzsichtigkeit scheitern. Sein belgisches Jagdgewehr in der linken, eine Pistole in der rechten Hand fährt er den Wagen gegen den Bordstein. Er und seine Männer springen aus dem Wagen, erste Schüsse fallen. Alle nachfolgenden Wagen stoppen ebenfalls. Plötzlich geht die Alarmsirene der Kaserne los. Fidel Castro schießt, steht wie eine Festung im Kugelhagel, bleibt wie durch ein Wunder unverletzt und ahnt doch, dass hier schon alles verloren ist. Castro erinnert sich: „Die Alarmsirenen tobten los und verbreiteten einen unaufhörlichen höllischen Lärm, der mit den Schüssen verschmolz. Alle Männer aus den nachkommenden Fahrzeugen stiegen wie geplant aus und drangen in ein langes, relativ großes Gebäude ein. […] Es war nichts anderes als das Militärkrankenhaus, und sie verwechselten es mit dem Ziel, das sie eigentlich hätten einnehmen sollen. […] Das Problem war, dass der Kampf, der sich eigentlich drinnen in der Kaserne abspielen sollte, nun schon draußen losging, und in dieser Verwirrung nahmen einige das falsche Gebäude ein. ..... Ich trat augenblicklich in das Krankenhaus ein, um den Leuten zu sagen, dass sie sich geirrt hatten. […].“7

Am Ende waren sie chancenlos. Fidel Castro befahl den Rückzug. Doch Panik und mangelnde Koordination ließen an die sechzig Rebellen kämpfend im Kasernengelände zurück. Die Aktion war ein Desaster, sie endete in Chaos und Tod. Die Zurückgebliebenen wurden ein Opfer desjenigen, dem ihr ganzer Hass gegolten hatte: des Diktators Fulgencio Batista. Nach ihrer Gefangennahme wurden sie von Batistas Schergen bestialisch gefoltert und umgebracht8. Dieses brutale Vorgehen sickerte trotz Pressezensur allmählich durch. Als auch noch heimlich aufgenommene Fotos der Gemarterten auftauchten, brachte dies die Bevölkerung schließlich gegen den Diktator auf. Ihre heimlichen Sympathien galten fortan den Rebellen. Fidel Castro selbst war zunächst die Flucht gelungen, doch nach fünf Tagen wurde auch er gestellt. Hier hätte jener Mann, der in nicht allzu ferner Zukunft seine Palmeninsel des Sozialismus nach seinen Vorstellungen gestalten sollte, ein frühes und leidvolles Ende finden können. Das Schicksal wollte es anders.

Kapitel 2

Die Paten

Ihr EPUB-Reader unterstützt keine HTML5 Audio-Tags.

Im Frühjahr des Vorjahres, am 10. März 1952, hatte Fulgencio Batista in einem Militärputsch die Macht an sich gerissen. Der mulattische Gernegroß mit dem pomadisierten schwarzen Haar stammte von verarmten Bauern aus der Provinz Oriente im Osten Kubas.

Fulgencio Batista y Zaldívar mit seiner Frau und seinem Sohn an Weihnachten 1937. Bildquelle: AKG

Seine Karriere erfüllt das Klischee des klassischen amerikanischen Traums – vom verarmten Bananenpflücker brachte er es zum Multimillionär. Zunächst im Hintergrund agierend, galt der Feldwebel bereits 1933 als entscheidender Drahtzieher der amerikanisch-kubanischen Politik und brachte es 1940 zum Präsidenten. Damals hatte Batista gemeinsam in einer Allianz mit den Kommunisten sogar an einer der fortschrittlichsten Verfassungen Lateinamerikas mitgewirkt. Diese hatte nicht nur beachtliche bürgerliche Freiheiten garantiert sondern vor allem auch soziale und wirtschaftliche Sicherheiten wie den 8-Stunden-Tag, eine allgemeine Sozialversicherung und einen vierwöchigen Jahresurlaub.9 Batista ließ auch Schulen und Krankenhäuser errichten, Straßen und Brücken bauen. Doch die Kommunisten gerieten unter Generalverdacht, als ihre kläglichen Rechtfertigungsversuche des Hitler-Stalin-Paktes von 1939 ihren Kampf gegen den Faschismus plötzlich als Heuchelei bloßstellten – das blutdürstige „Zwillingsgestirn10“ hatte sich soeben Polen einverleibt. Dies war der Moment für Batista, sein linksrevolutionäres Gewand abzulegen und in ein rechtskonservatives zu schlüpfen. Hatte er anfangs noch Beziehungen zur Sowjetunion gepflegt, wurde er nun zum Vasallen der USA. In der Außenpolitik setzte er ein klares Signal, als er im Schulterschluss mit Washington Hitler-Deutschland 1941 den Krieg erklärte. Nach vier Jahren an der Macht, war jedoch eine weitere Kandidatur für Batista ausgeschlossen, die Opposition übernahm das Ruder und er musste zurücktreten. Batista tat dies als reicher und gemachter Mann. Kuba versank in Korruption, Gewalt, Machtmissbrauch und Pfründenwirtschaft. Das Bild der Karibik-Insel war geprägt von sozialer Armut, arbeitslosen Landarbeitern, militärischem Terror, mafiösen Strukturen und jenen reichen US-Amerikanern, deren Konzerne sich große Landflächen – zwei Drittel davon befanden sich in ihrem Besitz - und dazu noch die einträglichen Minen mit den Bodenschätzen gesichert hatten.

In seinem Schlepptau hatte Batista auch stets jene Herren in blütenweißen Anzügen, die sich selbst die Hände nie schmutzig machten, weil sie die Erledigung ihrer Gegner gerne professionellen Auftragskillern überließen. 1946 fand in Havanna die wohl bedeutendste Gangster-Konferenz seit der Weltwirtschaftskrise statt. Fürstlich tagten die Bosse der größten Mafia-Familien im Luxushotel Nacional de Cuba, am Malecón gelegen, der berühmten Uferstraße Havannas.

Havanna, Hotel Nacional de Cuba. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

Mit von der Partie waren der pockennarbige Lucky Luciano, so illustre Gestalten wie „Drei-Finger-Brown“ – Thommy Lucchese, „der Hinrichter“ Albert Anastasia, die Al-Capone-Erben Charlie und Rocco Fischetti, um nur einige wenige zu nennen11. Last not least der große Gangster-Boss Frank Costello, Vorbild für die Hauptfigur Vito Corleone in Mario Puzos Roman „Der Pate“. Marlon Brando verkörperte ihn im gleichnamigen Film.

Francesco Castiglia alias Frank Costello (1891-1973) bei einer Befragung im Kefauer Committee 1951. Bildquelle: Wikipedia

Gemeinsam beschloss man in Havanna den Auftragsmord an dem Gangster und Playboy Bugsy Siegel, teilte die Netze für den Drogenschmuggel unter sich auf und legte den Grundstein für das Glücksspielgewerbe auf Kuba. Unterhaltsame Höhepunkte zum Abschluss der Konferenz boten zwölf nackte Mädchen, die ihre Talente den Mafiosi andienten, was in eine wüste Orgie ausartete. Ihr folgte der Auftritt eines zwar sehr dürren, ja schmächtigen, doch stimmgewaltigen und zum Pop Idol aufgestiegenen Entertainers: Frankie Boy - Frank Sinatra.12

Auch wenn Lucky Luciano auf Druck der USA 1947 Kuba verlassen musste, das organisierte Verbrechen hatte sich dort bereits fest eingenistet. Einer der smartesten und einflussreichsten Gangster-Bosse war Meyer Lansky.

Meyer Lansky (1902-1983). Bildquelle: Wikipedia

Gejagt vom amerikanischen FBI, fand er schließlich im Kuba seines Duzfreundes Batista Zuflucht. Als dessen Berater sollte Meyer Lansky Havanna zur größten Vergnügungsmetropole ganz Lateinamerikas machen: Nachtclubs, Bordelle, Luxushotels und Spielcasinos füllten ihre Schwarzgeldkonten wie von selbst.

1952, nach all den Jahren des Luxuslebens in Florida, griff Batista in seiner alten Heimat nun wieder direkt nach der Macht. Es waren seine Freunde aus dem Militär und aus den Zirkeln des organisierten Verbrechens, die sich ihm als Steigbügelhalter andienten.

Unter solchen Umständen hätte Batista freilich keine Chance gehabt, die bevorstehenden Wahlen zu gewinnen, denn nicht nur die kubanische Oberschicht verachtete den damals 51jährigen als halbseidenen, korrupten Gangster13. Als Mulatte hatte er im Übrigen noch nicht einmal Zutritt zum exklusiven „Havanna Yacht Club“. Nur mit militärischem Rückhalt gelang ihm schließlich der Staatsstreich. „Wir sind das Gesetz!“ ließ er die wachhabenden Soldaten wissen und bezahlte sie für ihr Stillhalten mit doppeltem Sold14. Ein Leichtes, hatte ihm die Mafia doch dafür ihre Portokasse zur Verfügung gestellt. Die rechtmäßige Verfassung wurde außer Kraft gesetzt, die Opposition durch Druck mundtot gemacht. Und nur zwei Wochen nach seinem Putsch wurde Batista von der US-Regierung als neuer kubanischer Präsident anerkannt. Die Bundesrepublik Deutschland unter ihrem Bundespräsidenten Theodor Heuss verlieh dem Diktator noch im Mai 1957 das Bundesverdienstkreuz – eine peinliche Verfehlung, die bei der Vergabe dieses Ordens allerdings nicht die einzige bleiben sollte.

Vergessen war die Verfassung von 1940, weder Batista noch seinen Geldgebern stand der Sinn nach Reformen sondern nach Reichtum. Hemmungslos füllten sie ihre eigenen Taschen. Kuba verkam zum Sündenbabel, Mädchen aus den Armenvierteln dienten sich für ein paar Dollar Touristen an. Besonders US-Amerikanern bot das freizügig erotische Angebot eine willkommene Abwechslung zur puritanischen Prüderie im eigenen Land. Diese Spaßgesellschaft schien es nicht zu stören, dass sie vergnügt auf den Trümmern der kubanischen Demokratie und ihrer gescheiterten Reformversuche tanzte, während ihre Gastgeber unter das Joch der Diktatur gezwungen wurden.

Fidel Castro beschrieb die damalige Zeit als Jurastudent an der Universität: „Es war eine Atmosphäre aus Macht, Furcht und Waffen“15

Kapitel 3

Der geistige Enkel José Martís16

Ihr EPUB-Reader unterstützt keine HTML5 Audio-Tags.

Er wagte trotzdem den Aufstand: Er war vierundzwanzig Jahre alt und seit 1950 promovierter Anwalt. Und dies gleich in drei Fächern: in Jura, Sozialwissenschaften und Internationalem Recht.17 Zunächst hatte er versucht, die Machenschaften Batistas auf legalem Weg anzuprangern. Er erhob Klage beim Obersten Gericht. Unterstützung erhielt er von den Anführern der beiden Oppositionsparteien, den „Auténticos“ und den „Ortodoxos“18, die wohl die Wahl damals gewonnen hätten. Er scheiterte mit seiner Klage. Die Richter lehnten den Antrag ab. Jetzt brauchte Fidel Castro dringend verlässliche Freunde, nicht nur zu seiner moralischen Unterstützung, sondern auch als Leibwächter.

Aufgeben würde er niemals! Stattdessen suchte er den bewaffneten Kampf gegen den Diktator. Nach alter kubanischer Tradition war er auch bereit, sein Leben für die Freiheit zu geben.

„Patria o Muerte, venceremos!“

„Vaterland oder Tod. Wir werden gewinnen!“

José Martí, Kubas Nationalheld. Die Statue aus Carrara-Marmor von José Vilalta y Saavedra wurde 1905 von General Máximo Gómez im Parque Central von Havanna eingeweiht. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

Sein großes Vorbild war José Martí, Kubas Nationalheld, Dichter, Essayist und Freiheitskämpfer. Der 1853 als Sohn spanischer Einwanderer in Havanna geborene José Martí hatte das Unabhängigkeitsstreben Kubas von der spanischen Kolonialherrschaft unterstützt, in flammenden Essays und Versen gegen die soziale Ungerechtigkeit und die koloniale Sklavenhaltergesellschaft gekämpft und sich für die Gleichheit der Rassen und Geschlechter eingesetzt. Er plädierte dafür, eine diversifizierte Landwirtschaft zu betreiben, anstatt sich weiterhin auf das „Weiße Gold“, die Monokultur des Zuckerrohrs zu verlassen. Bereits damals hatte er hellsichtig vor einer Vorherrschaft der USA in der Karibik und in Lateinamerika gewarnt. Sein Traum war ein freies Kuba gewesen, „Cuba libre“. Nach langen Jahren im Exil, konnte er endlich nach Kuba zurückkehren und gründete 1893 die erste „Revolutionäre Partei Kubas“. Später sollten sich auch die „Auténticos“, die Authentischen, nach ihr benennen. Als einer der ersten fiel José Martí in den Kämpfen um die Unabhängigkeit Kubas 1895. Im schwarzen Jackett, seinem Markenzeichen, und auf einem weißen Pferd war er mitten hinein in die feindlichen spanischen Linien geritten. Heute blickt der in Stein verewigte, achtzehn Meter große Apostel der kubanischen Freiheitsbewegung von seinem Sockel vor einem gewaltigen, einhundert Meter hohen Obelisken auf der Plaza de la Revolución in Havanna auf sein geliebtes Kuba.

Obelisk auf der Plaza de la Revolución in Havanna, grauer Marmor von der Isla de la Juventud. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

Statue José Martís aus weissem Marmor, Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

Es war allerdings nicht Fidel Castro, der das Monument erbauen ließ, sondern ausgerechnet sein Erzfeind Fulgencio Batista.

Guantanamera

Ich bin ein Mensch, aufrecht und wahr,

Und komme von da, wo Palmen wachsen;

Doch ehe der Tod mich verstummen lässt,

singe ich meine Verse aus ganzer Seele.

Mein Vers ist von hellem Grün

Und von einem leuchtenden Rot,

mein Lied ist wie ein verwundeter Hirsch,

der Zuflucht sucht in den Bergen.

Mit den Ärmsten der Erde

will ich mein Los teilen.

Der Wildbach der Berge

lockt mich mehr als das Meer.19

Der Musiker Joseíto Fernández sang diese Verse von José Martí auf eine von ihm komponierte Melodie, die er Guantanamera taufte. Als das Lied in den 1960er Jahren in die USA gelangte, nahm Pete Seeger es auf. Das Lied gehört noch heute zu den bekanntesten lateinamerikanischen Songs und ist die heimliche Nationalhymne Kubas. Tantiemen erhielt der wahre Urheber allerdings nie dafür.

Fidel Castro gehörte damals der Orthodoxen Partei an – den Ortodoxos – und war ihr sogar als eines der ersten Mitglieder beigetreten. 1947 war sie von dem charismatischen Politiker und Rundfunkagitator Eduardo Chibás als Protestpartei gegen Korruption und Mafiaverbindungen gegründet worden. Ihre Ausrichtung war idealistisch revolutionär, sozial und reformorientiert. Man bekannte sich zu den Grundsätzen José Martís und war im Übrigen – insbesondere unter Chibás – auch antikommunistisch. Chibás gab über Jahre hinweg jeden Sonntagabend landesweit in einer populären Radiosendung den Moralisten mit der mahnenden Stimme. Er nahm kein Blatt vor den Mund, wenn er jeweils die Machenschaften der Regierung anprangerte. Im August 1951 hatte er die Aufdeckung eines riesigen Korruptionsskandals für die nächste Radiosendung angekündigt. Doch am Ende konnte er die Beweise nicht erbringen. Er glaubte sich noch auf Sendung, als er sich mit den Worten „Du, kubanisches Volk, erwache“ mit einer Pistole in Bauch und Rückgrat schoss. Tage später erlag er seinen Verletzungen.20

Die Männer, die Fidel Castro für die Rebellion rekrutierte, stammten vor allem aus den Reihen eben dieser „Ortodoxos“. Sie waren, wie er, bereit, mit Waffen gegen die Diktatur vorzugehen. Es waren aber auch einige organisierte Studenten und Kommunisten unter den Männern, zu denen auch Fidel Castros jüngerer Bruder Raúl zählte. Im Gegensatz zu Fidel Castro war Raúl damals bereits ein überzeugter Kommunist mit internationalen Verbindungen. Für den Aufstand in Santiago de Cuba hatte man ihn im letzten Moment21 rekrutiert. Er gehörte zu der Gruppe, die den Justizpalast einnehmen sollte.

Der amateurhafte Versuch vom 26. Juli 1953, die Moncada-Kaserne zu erstürmen, glich einem Himmelfahrtskommando. Doch Fidel Castro sollte sich später vehement gegen die Anschuldigung wehren, mit dieser sinnlosen Aktion die Mehrzahl seiner Männer geopfert zu haben. Auf die Frage, ob der Angriff ein Fehlschlag war, antwortete er:

„Die Moncada-Kaserne hätte eingenommen werden können. Wenn wir sie eingenommen hätten, wäre es das Ende des Batista-Regimes gewesen, keine Diskussion. ... Wenn ich noch einmal einen Angriff auf die Moncada-Kaserne organisieren müsste, würde ich es wieder ganz genauso machen. Das, was dort schiefging, war einzig und allein auf unsere mangelnde Erfahrung im Kampf zurückzuführen. Die haben wir erst später erworben. Der Zufall spielte ebenfalls eine entscheidende Rolle dabei, dass ein Plan, der in Bezug auf Konzeption, Organisation, Geheimhaltung und andere Faktoren außerordentlich gut war, nur aufgrund eines Details scheiterte, das wir sehr leicht hätten überwinden können.“22

Das „Detail“, an dem sie scheitern sollten, war die Patrouille, mit der sie nicht gerechnet hatten. Anstatt sie links liegen zu lassen, hatte Castro den Wagen an den Bordstein gefahren und war seinen Männern zu Hilfe geeilt. Deswegen hatte sich der Kampf vor der Kaserne abgespielt. Der Plan, die Soldaten im Schlaf, barfuß und in Unterwäsche, zu überraschen, konnte nicht mehr ausgeführt werden. Denn der ohrenbetäubende Lärm der Alarmsirenen und der Schüsse hatte sie geweckt. Zu Hunderten waren sie wie die Hornissen ausgeschwärmt.

Moncada-Kaserne, Eingang und Ecke, an der Fidel Castro auf die Patrouille traf. 26. Juli 1953. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

Auch Raúl Castro war mit seinen Männern zunächst die Flucht gelungen. Erst Tage später wurde er gefangengenommen. Zu seinem Glück war da die Gefahr von Tod und Folter schon deutlich geringer23.“ Es ist ein Geistlicher, dem die beiden Castro-Brüder und noch weitere Rebellen ihr Leben verdanken werden: Enrique Pérez Serantes, der Erzbischof von Santiago de Cuba, der als junger Priester den damals achtjährigen Fidel Castro getauft hatte. Zusammen mit einigen Honoratioren aus Havanna forderte er erfolgreich ein Ende der Gewalt - der Diktator ließ das Morden der Gefangenen durch die eigenmächtige Justiz seiner Soldaten einstellen.

Fidel Castro hatte sich zu der Zeit in den Bergen verschanzt. Er dachte nicht daran sich zu ergeben:

„Ich würde mich nicht ausliefern oder mich ergeben […]- Das hatte keinen Sinn, nicht weil ich getötet worden wäre, sondern weil der Gedanke an Kapitulation nicht in unser Konzept passte.“24

Am 1. August wurden Fidel Castro und zwei seiner ihm verbliebenen Männer in ihrem Versteck aus dem Schlaf gerissen. Auf ihre Brust waren Gewehrläufe gerichtet. Eine Militärpatrouille hatte sie aufgestöbert. In dem erbärmlichen Zustand, in dem Castro sich befand, erkannte keiner der Soldaten, wen er vor sich hatte. Instinktiv gab er vor, ein anderer zu sein. Dennoch hätten die Soldaten ihre Gefangenen in ihrer Wut am liebsten gleich gelyncht, wäre da nicht Oberstleutnant Pedro Manuel Sarría gewesen, der Anführer der Patrouille. „Nicht schießen“, befahl er seiner Truppe, und fuhr mit leiser Stimme fort: „Nicht schießen. Ideen tötet man nicht. Nicht schießen!.“25

Noch zweimal sollte der schwarze Oberstleutnant Fidel Castro an diesem Tag das Leben retten. Das zweite Mal, als er sich weigerte, dem zwar höher gestellten - doch als blutrünstiger Mörder verschrienen - Comandante Pérez Chaumont, seinen Gefangenen auszuliefern. Und ein drittes Mal als er entgegen aller Armeebefehle Fidel Castro nicht zur Moncada Kaserne brachte, sondern in das Stadtgefängnis von Santiago de Cuba. Fidel Castro hielt über seinen leibhaftigen Schutzengel später fest: „Wenn er mich zur Moncada gebracht hätte, hätten sie Hackfleisch aus mir gemacht und kein Stück von mir übrig gelassen.“26

Dennoch machte er sich keinerlei Illusionen über seine Situation: „Ich traute ihnen in jedem beliebigen Moment jede Grausamkeit zu.“27

Kapitel 4

Die Geschichte wird mich freisprechen

Ihr EPUB-Reader unterstützt keine HTML5 Audio-Tags.

Am 21. September 1953 begann der Prozess im Justizpalast von Santiago de Cuba. Vor knapp zwei Monaten war er noch von den Rebellen besetzt gewesen.

Justizpalast, Santiago de Cuba. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

Fidel Castro ergriff bereits bei der Beweisaufnahme das Wort und pochte als Anwalt auf sein Recht zur Selbstverteidigung. Was weder Batista noch seine Polizeispitzel so recht glauben mochten, bekräftigte er wagemutig und ohne Furcht vor Konsequenzen: Er und seine Gruppe hatten alleine gehandelt. Geld, Waffen, Munition, die Uniformen, Autos, alles hatten sie sich selbst beschafft. Auch den Ort, Santiago de Cuba, hatten sie bewusst gewählt: Gut 900 Kilometer von der Hauptstadt Havanna entfernt, wähnten sie sich weit genug entfernt von Batistas Truppen und spekulierten zudem auf die Trunkenheit der Soldaten während des Karnevals.

Fahndungsfoto Fidel Castros von 1953. Interessant ist ein Detail rechts am Bildrand: Das Geburtsdatum wurde nachträglich von 1927 auf 1926 ausgebessert. Bildquelle: Christa Schmalzried, Elke Bader

„Die Regierung sagt, dass der Angriff mit solcher Präzision und Perfektion durchgeführt wurde, dass dies die Anwesenheit von Militärexperten bei der Erarbeitung des Plans beweise. Nichts könnte absurder sein! Der Plan wurde von einer Gruppe junger Leute entworfen, von denen niemand militärische Erfahrung hatte.“28

Was allerdings dann geschah, hätten die Machthaber am liebsten hermetisch abgeriegelt hinter den dicken Mauern des Justizpalastes gelassen. Doch zum Auftakt des Prozesses waren Zivilisten, Soldaten und Vertreter der Presse zugelassen. Journalisten unterstanden zwar der Zensur, aber längst hatten sie gelernt, wie auch leise geflüsterte Enthüllungen glaubwürdig ihre Empfänger erreichen konnten.

Fidel Castro während des Verhörs nach dem Angriff auf die Moncada-Kaserne 1953. Bildquelle: AKG

Mit seinem Auftritt verwandelte Fidel Castro die Anklagebank in eine Bühne für sich. Auf die gegen ihn vorgebrachten Anklagepunkte ging er erst gar nicht ein. Stattdessen klagte er an: „Als Anwalt befragte ich alle Zeugen und alle Mörder. Das war Wahnsinn. Sie konnten es nicht ertragen […] ich habe alles angeklagt.“29

Seine Richter waren dem wortgewaltigen Juristen nicht gewachsen. Bereits mit den ersten Worten riss er das Verfahren an sich.

„Meine Herren Richter,

nie hat ein Verteidiger sein Amt unter derart schwierigen Bedingungen ausüben müssen: niemals hat ein Angeklagter sich einer solchen Menge quälender Ordnungswidrigkeiten ausgesetzt gesehen. […] Als Anwalt hat diese Person nicht einmal die Prozessakten einsehen dürfen, als Angeklagter war sie bis zum heutigen Datum unter Umgehung aller Gebote der Rechtsordnung und der Humanität 76 Tage in einer Einzelzelle ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt eingesperrt […]“30

Die Folter und die Ermordung der Gefangenen brachte er zur Anklage, ersparte den Zuschauern und Richtern keines der grausigen Details. Und trotz der traumatischen Umstände ihres Todes, beklagte er seine Kampfgefährten nicht als Opfer des Batista-Systems, sondern erklärte sie zu Märtyrern, denen er Standhaftigkeit, Todesmut und Mannhaftigkeit bescheinigte: „Selbst als man ihnen ihre männlichen Organe genommen hatte, waren sie noch tausendmal mehr Mann alsalle ihre Folterknechte zusammen.“31

Die anwesenden Soldaten fest im Blick, forderte er eine gemeinsame, sinnstiftende Verpflichtung zum Kampf – als das Vermächtnis der ermordeten Kameraden. Die moralische Schwäche des Systems anprangernd, reklamierte er das Recht auf Widerstand gegen eine unrechtmäßige Regierung, die „anstelle von Fortschritt und Ordnung den Staat barbarisch und mit brutaler Gewalt“32 regiere.

„Zunächst einmal ist die Diktatur, die die Nation unterdrückt, keine verfassungsmäßige, sondern eine verfassungswidrige Macht; sie wurde gegen die Verfassung, über die Verfassung hinweg eingeführt, sie ist eine Vergewaltigung der legitimen Verfassung der Republik. Eine legitime Verfassung ist die, die direkt vom souveränen Volk ausgeht.“33

Er lieferte eine gnadenlose Analyse der Missstände, wies auf die Situation der verarmten Bevölkerung hin und zeichnete ein genaues Bild der krassen Gegensätze zwischen dem Heer der Arbeitslosen, dem Elend der verarmten Bauern und dem Prunk und der Verschwendungssucht der Reichen. Unverhohlen forderte er in seinem Plädoyer die Rückkehr zur Demokratie und die Wiedereinsetzung der Verfassung von 1940.

Als geistigen Urheber des Angriffs vom 26. Juli 1953 nannte er den Nationalhelden José Martí, den „Meister“, dessen Worte er verinnerlicht hatte. Zudem berief er sich auf politische Denker und Geistesgrößen wie Martin Luther, John Locke, Jean-Jacques Rousseau und John Milton, in deren Tradition er sich sah. Seinen Kampf für Freiheit stellte er in den Kontext der englischen „Glorious Revolution“ von 1688, der Unabhängigkeitserklärung der USA von 1776 und der französischen Revolution von 1789. Bemerkenswert ist, dass ihm während der Haft kein einziges Nachschlagewerk zur Verfügung gestellt wurde. Es zeigte sich die Brillanz eines Kopfes, der in seiner Verteidigungsrede ganze Passagen aus philosophischen Werken und Gesetzestexten auswendig zitieren konnte. Damit hatte er schon seine Lehrer in der Schule verblüfft – Fidel Castro verfügt über ein nahezu perfektes visuelles Gedächtnis.

„Ich trage die Lehren des Meisters im Herzen, und im Kopf die edlen Gedanken aller Menschen, die die Freiheit der Völker verteidigt haben.“34

Sein Schlussplädoyer unterstrich die historische Bedeutung seiner Person und des Handelns der Rebellen: „Es bleibt dem Gericht noch das größte Problem zu lösen: die Straftat der siebzig Morde, das heißt des größten Massakers, das uns bekannt geworden ist. Die Schuldigen befinden sich auf freiem Fuß, bewaffnet, und stellen eine dauerhafte Bedrohung für das Leben unserer Bürger dar, wenn auf sie nicht das gesamte Gewicht des Gesetzes fällt, […] ich beklage den beispiellosen Makel, der auf unsere Rechtsprechung fallen wird! Was mich selbst anbelangt, so weiß ich, dass das Gefängnis hart sein wird wie nie zuvor für einen Menschen, verschärft von Drohungen, voll niederträchtiger und feiger Wut, aber ich fürchte es nicht, ebenso wenig wie ich die Wut des elenden Tyrannen fürchte, der siebzig meiner Brüder das Leben raubte. Verurteilt mich, es bedeutet nichts, die Geschichte wird mich freisprechen.“35

Er hatte diese über zweistündige Rede frei gehalten36. Erst später wurde sie rekonstruiert und in einer Streichholzschachtel aus dem Gefängnis geschmuggelt, um sie in einer Auflage von vermutlich 10.000 Stück heimlich unter das Volk zu bringen. Seine Verteidigungsrede wurde die Gründungsurkunde der kubanischen Revolution.