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Das fulminante Finale von Janet Clarks Thrillerserie rund um das geheimnisumwitterte Feriendorf Finstermoos! Tiefgehütete Geheimnisse, langvergessene Taten und skrupellose Machenschaften versprechen einen hochspannenden Abschluss der Finstermoos-Reihe. Basti, Valentin, Nic und Mascha wurden von ihrem unbekannten Verfolger in einen Bunker gelockt und dort eingeschlossen - kurz bevor er mit Beton verfüllt werden soll. Erst in letzter Minute kann Luzie ihre Freunde befreien, doch noch immer haben sie keine Ahnung, wer ihnen so entschlossen nach dem Leben trachtet. An Verdächtigen mangelt es nicht, denn das Dickicht aus Lügen und Geheimnissen in Finstermoos ist beinahe undurchdringlich. Obwohl sich die Schlinge um ihren Hals immer weiter zuzieht, sind die fünf entschlossen, die Vergangenheit nicht ruhen zu lassen. Doch wem trauen sie wirklich zu, die Wahrheit bis zur letzten Konsequenz bewahren zu wollen? Finstermoos ist die neue Thrillerserie von Bestseller-Autorin Janet Clark, die neben ihren Jugendbüchern auch erfolgreiche Spannung für Erwachsene schreibt (Ich sehe dich und Rachekind). Atemberaubender Nervenkitzel und Spannung für alle Fans von Krystyna Kuhns Das Tal! "Bedenke das Ende" ist der dritte Band der Finstermoos-Reihe. Die Titel der ersten beiden Bände lauten "Aller Frevel Anfang", "Am schmalen Grat" und "Im Angesicht der Toten".
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Seitenzahl: 268
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Für Irene,
Was bisher geschah …Band 1: Aller Frevel Anfang
Hinter den idyllisch bemalten Häuserfassaden des Bergdorfes Finstermoos lauert eine Wahrheit, die niemand aussprechen darf. So schrecklich, dass sie das Leben der Dorfbewohner verpestet, ganz besonders das der 17-jährigen Luzie, die deshalb ihre große Liebe Basti nur heimlich treffen kann. Umso mehr freut sie sich, als Valentin, ihr Kumpel aus Berlin, zu Besuch kommt. Was Luzie jedoch nicht ahnt: Valentin ist über beide Ohren in sie verliebt und fest entschlossen, Luzie in diesem Urlaub seine Liebe zu gestehen. Doch dann entdeckt Valentin auf der Baustelle seines Vaters eine vor vielen Jahren verscharrte Babyleiche. Die Entdeckung bringt große Unruhe in das Dorf und lockt eine Menge Journalisten an, darunter die Berlinerin Armina Lindemann und ihre Tochter Mascha. Gleich nach der Ankunft lernt Mascha Valentin kennen, als er mit seinem Fahrrad stürzt und sie dabei um ein Haar über den Haufen fährt. Sie freunden sich an und Valentin lädt Mascha zu einem Ausritt mit Luzie und Basti auf den einsamen Mosbichl-Hof ein. Dort lösen der Anblick von Mascha sowie Bastis kreuzförmige Narbe am Oberkörper bei der seltsamen Hofbesitzerin Brigitta eine Schockreaktion aus. Die Freunde reiten los und noch während sie überlegen, was Brigitta so erschreckt haben könnte, kracht ein Schuss durch den Wald. Maschas Pferd geht durch und erst in letzter Sekunde kann Luzie Mascha vor einem Sturz in eine Schlucht retten. Am nächsten Tag finden Valentin und Basti Valentins Vater wie tot in seiner Baugrube liegen. Die Baustelle ist verwüstet und mit Runen beschmiert und Valentin verdächtigt die merkwürdige Brigitta als Täterin.
Die Unfälle reißen nicht ab und Mascha gerät erneut in Lebensgefahr. Sie will abreisen, doch dann bemerkt sie, dass ihre Mutter verschwunden ist. Die Freunde beginnen sich zu wundern: Das sind zu viele Unfälle, zu viele Zufälle – was ist hier los?
Auf der Suche nach der Wahrheit bricht Valentin im Mosbichl-Hof ein und findet eine Zeichnung des autistischen Bruders des Hofbesitzers, Toni, aus der eindeutig hervorgeht, dass ausgerechnet Luzies Vater, der Förster, seinen Vater in die Grube gestoßen hat! Dann findet er auch noch heraus, dass es ebenfalls der Förster war, der sein Fahrrad sabotiert hatte!
Obwohl Bastis Bruder Nic bereits nach Maschas Mutter sucht, brechen auch Valentin, Luzie, Mascha und Basti in die Berge auf, um ihrer Spur zu folgen. Um den Weg abzukürzen, nehmen sie den Lift, doch mitten am Berg stoppt dieser – genau über einer tödlichen Schlucht. Stundenlang hängen sie über dem Abgrund. Erst als es dunkel ist, springt der Lift plötzlich wieder an und trägt sie ins Ungewisse …
Band 2: Am schmalen Grat
Luzie, Basti, Mascha und Valentin springen aus dem durch die Finsternis gleitenden Lift – nicht ahnend, dass es Nic war, der den Lift angestellt hat. Luzie verletzt sich, doch da ein Gewitter naht, müssen sie weiter. Nach einem nervenaufreibenden Marsch finden sie endlich Zuflucht in einer Höhle, wo sie auf ein Lebenszeichen von Maschas Mutter stoßen.
Am nächsten Tag erwischt Basti Valentin bei dem Versuch, Luzie zu küssen. Enttäuscht entschlüpft ihm das große Geheimnis – Valentin könnte Luzies Halbbruder sein! Um seine Aussage zu beweisen, führt er sie trotz des Verbots seines Vaters zu einer geheimen Höhle, in der zwei gruselige Wandbilder Geschichten über die Dorfbewohner erzählen: Maschas Mutter ist schwanger und verzweifelt abgebildet, Valentins Vater neben ihr, während Wolferl Mosbichl ein Grab schaufelt und eine Madonna ein Baby mit einer Narbe trägt, die Luzie an Bastis Narbe erinnert. Auf dem anderen Gemälde entdecken sie Bastis Vater und Krailinger sowie eine Art Göttin, die Mascha ähnelt und von der Madonna ein Baby entgegennimmt. Die verstörten Freunde beschließen, zur Schmugglerhütte weiterzugehen, da diese ebenfalls auf dem Wandbild abgebildet ist.
Nic ist inzwischen zurück im Dorf, doch nachdem er den Rucksack entdeckt, den Basti in der Nacht zuvor aus dem Lift geworfen hat, marschiert er erneut los und folgt ihren Spuren. Bei der Höhle, in der die anderen übernachtet haben, trifft er auf Wolferl, der ebenfalls auf der Suche ist: nach Toni, denn dieser ist seit Valentins Einbruch in seine Scheune völlig außer sich.
Unterdessen steigen die Freunde bergan, doch während einer Pause wird Valentin von einem Unbekannten um ein Haar in eine Schlucht gestoßen. Nervös geht die Truppe weiter und gerät auf der nächsten Etappe in einen Steinschlag, bei dem Basti und Valentin sich verletzen. Zum Glück sind es nur noch ein paar Minuten zur Schmugglerhütte. Dort stößt Nic zu ihnen und sie finden ein weiteres Lebenszeichen von Maschas Mutter. In der Nacht werden Nic und Luzie vor der Hütte angegriffen, wobei Nic seine Axt verliert, ihre einzige Waffe.
Am nächsten Tag trennen sie sich, um zu verhindern, dass sie gemeinsam in eine Falle geraten. Basti, Luzie und Valentin treffen auf Wolferl, der Valentin und Luzie direkt ins Krankenhaus bringt. Dort kommt es zur Aussprache mit Luzies Mutter und Valentins Vater – sie sind tatsächlich einmal ein Paar gewesen und Luzies Mutter ist die leibliche Mutter von Valentins verstorbener Schwester Alex! Luzie und Valentin sind jedoch keine Geschwister.
Auf dem Berg überstehen Mascha und Nic eine Gerölllawine und gehen zum Gletscher weiter. Dort findet Mascha in einer Gletscherspalte eine Tote, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht …
Band 3: Im Angesicht der Toten
Mascha und Nic entdecken in der Gletscherspalte eine tote Frau, die Mascha ähnelt. Entsetzt wollen sie aus der Spalte klettern, als ein Unbekannter das Seil kappt. Unterdessen wartet Basti in Finstermoos auf Nachricht von Nic. Die Bergwacht hat mehrere Suchtrupps auf der Schweizer Seite losgeschickt, auch Bastis Vater läuft eine von drei möglichen Abstiegsrouten ab, nichtsahnend, dass Mascha und Nic in der Gletscherspalte feststecken. Ihre Versuche, sich zu befreien, scheitern kläglich. Dafür findet Mascha heraus, dass die Tote ihre wahre Großmutter sein muss.
Der Abend schreitet voran, Basti wird immer nervöser und ruft Luzie an. Er will sie sehen, doch sie täuscht Müdigkeit vor, denn sie hat gerade von ihrer Mutter erfahren, dass ihre Beziehung zu Basti schlimme Folgen für ihn haben könnte.
Zwischenzeitlich geben Mascha und Nic auf. Ein Hubschrauber der Bergwacht ist über die Gletscherspalte geflogen, hat sie jedoch nicht bemerkt. Wie sollen sie die Nacht in der Kälte überleben?
In Finstermoos findet Basti in Nics Zimmer ein Foto seiner Mutter. Er ist höchst irritiert – auf dem Foto ist seine Mutter gertenschlank, obwohl es in etwa vom Zeitpunkt seiner Geburt stammt – wie kann das sein? Tief in Gedanken macht er sich daran, Nudeln zu kochen, als er k.o. geschlagen wird.
Oben am Berg werden Mascha und Nic vom Förster aus der Spalte befreit und treten den Abstieg an. Währenddessen fährt Luzie zu Basti und findet ihn gefesselt in seinem Haus – nur knapp entgehen die beiden einer tödlichen Gasexplosion. Ein Einbrecher hat die Sachen seines Vaters durchwühlt. In dem Chaos stoßen sie auf ein Foto von der jungen Brigitta.
Nach einem nervenaufreibenden Abstieg, bei dem der Förster zum Helden wird, erreichen Nic und Mascha Finstermoos. Sie beschließen, am nächsten Tag nach Berlin zu fahren, um mehr über die tote Großmutter herauszufinden.
Basti fragt seinen Vater nach dessen Rückkehr nach dem Foto seiner Mutter und wird mit einer unglaubwürdigen Geschichte abgespeist. Dann fällt Luzie auf, dass die Madonna auf dem Höhlenbild Brigitta sein könnte. Basti steigt in die Höhle, um das zu checken. Da kommt Brigitta und übersprayt die Bilder.
In Berlin stellen Nic und Mascha zwischenzeitlich fest, dass in der Wohnung eingebrochen wurde. Sie gehen zur Wohnung von Maschas Oma, wobei Mascha fast vor eine S-Bahn geschubst wird. Doch damit nicht genug – in der Nacht versucht jemand in die Wohnung der Oma einzubrechen. Verängstigt kehren Nic und Mascha nach Finstermoos zurück. Basti wird unterdessen Zeuge eines Streits zwischen Brigitta und Wolferl. Er entdeckt, dass er Brigittas Sohn sein könnte. Am nächsten Tag verlangt Valentin von Basti, dass sie Luzie in die Machenschaften ihres Vaters einweihen, doch als sie Luzies Haus erreichen, ist dort bereits die Polizei. Luzie fühlt sich verraten und verlässt Finstermoos, ohne zu ahnen, dass ein Unbekannter ihre Freunde in den Bunker lockt.
8.August1
Menschenleer.
Hatte sie etwas anderes erwartet um diese Zeit? Viertel nach sechs! Einen so frühen Zug zu buchen konnte nur ihrem Vater einfallen. Luzie stellte ihren Koffer ab. Viel zu hart. Das Klack der Räder auf dem Steinboden hallte überlaut in der morgendlichen Stille. Hastig sah sie sich um. Lachte dann künstlich. Seit wann fürchtete sie sich vor einsamen Orten? Außerdem – was sollte ihr hier passieren? Sie hatte die Nacht fern von Finstermoos verbracht. Sich versteckt, bei Julie, die wieder mal bewiesen hatte, dass sie die absolut allerbeste Freundin war, die man sich nur wünschen konnte – dabei hatte sie sich die letzten Wochen kaum bei ihr gemeldet.
Waren da Schritte? Sie lauschte, heftete ihren Blick auf den Zugang, der zum Bahnsteig führte. Mann, mach dich locker! Selbst wenn jemand die Treppen hochkam – na und? Sie würde wohl kaum der einzige Fahrgast sein und außerdem – abgesehen von ihren Eltern und Julie wusste niemand, dass sie diesen Zug nahm. Ha! Als ob das was aussagen würde! Am Berg waren sie auch angegriffen worden – und da hatten nicht einmal sie selbst gewusst, dass sie zur Schmugglerhütte laufen würden.
Mit einem Mal erklang lautes aufgeregtes Gezwitscher in dem Giebel des alten Bahnhofhäuschens. Luzie fuhr erschrocken zusammen, spürte das schnelle Pochen ihres Herzens. Sie legte den Kopf in den Nacken. Schwarze Schwanzfedern wippten hektisch auf und ab, dann flogen die Vögel einer nach dem anderen davon. Was brachte sie so auf? Ihr Blick scannte den über und über mit gräulich-weißer Vogelkacke verschmutzten Holzbalken. Hatte sich ein Eichhörnchen dorthin geschlichen? Nein. Es war weit und breit kein Tier zu sehen. Ihre Hand verkrampfte sich um den Riemen des Rucksacks. Sie sollte gehen. Irgendwohin, wo andere Menschen waren. Es war zu viel geschehen in den letzten Tagen, um Warnzeichen einfach zu ignorieren. Doch schon vernahm sie Schritte. Diesmal ganz deutlich. Langsame Schritte. Die Treppe hoch. Keuchen.
Und jetzt?
Sie musste sich verstecken! Ihre Augen rasten über den Bahnsteig. Kein Wartehäuschen, nichts, was ihr Sichtschutz bieten könnte. Plan B: Koffer stehen lassen und die Treppe so schnell hinunterrennen, dass niemand sie aufhalten konnte.
Da tauchte ein pinker Haarschopf im Treppenschacht auf. Julie! Was machte die denn noch hier? Luzie kicherte nervös. Nun hatte sie schon Angst vor ihrer besten Freundin – dabei hätte sie ihr Geschnaufe und Gekeuche gleich erkennen müssen. Nur gut, dass sie Finstermoos verließ. Ihre Nerven waren mittlerweile dünner als das Rindercarpaccio im Kronenhof.
Julie kämpfte sich die letzten Stufen hinauf. »Mann! Wozu haben die ’ne Rolltreppe, wenn sie dann nicht funktioniert?«
»Sport am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen«, zog Luzie ihre Freundin auf, obwohl sie ihr am liebsten um den Hals gefallen wäre. »Jetzt kannst du das Schokocroissant nachher ohne schlechtes Gewissen genießen.«
»Sehr witzig.« Julie fuchtelte mit einem Handy vor ihrer Nase herum. »Das ist also der Dank, dass ich dir dein Zeug nachtrage.«
Ach du Schreck! Das war ihr Handy! Luzie griff danach. Wo war sie nur mit ihren Gedanken? »Da…danke«, stammelte sie. Nicht auszudenken, wenn sie erst im Zug bemerkt hätte, dass sie ihr Smartphone vergessen hatte.
»You’re welcome.« Julie ließ sich auf den Koffer fallen, der die plötzliche Belastung mit einem ungesunden Knirschen kommentierte. »Ich wünschte, ich könnte mit«, jammerte sie. »Endlich mal raus aus dem Kaff hier.«
»Und was hält dich davon ab?«
Julie hob die Hand und rieb Daumen und Zeigefinger gegeneinander. Autsch. Hitze breitete sich in Luzie aus. Gegen sie war ein Trampeltier eine Primaballerina. Wie konnte sie nur so unsensibel sein! Als wüsste sie nicht, dass bei Julie solche Ausgaben nicht mehr drin waren, seit ihr Vater seine Arbeit verloren hatte. Sie schaffte es ja nicht einmal mehr, Zeit bei ihr in Finstermoos zu verbringen, da sie sonst ihren Ferienjob verlieren würde.
»Freust du dich? Auf … wie hieß er gleich noch? James?« Julie hatte ihr altes Grinsen wiedergefunden und mimte einen übertriebenen Kussmund.
»Du bist so doof, echt. Ich kenn keinen James.«
»Charles.« Julie hauchte Küsse in die Luft. »Wie der ewige Prinz. Ein besseres Heilmittel gegen Liebeskummer gibt es nicht. Zwei Knutschrunden mit Charles, und Basti ist so was von vergessen.«
Ein Stich durchfuhr Luzie. Basti. Sie neigte ihren Kopf über den Rucksack und verstaute umständlich das Handy. Julie sollte nicht sehen, wie sehr die Erwähnung seines Namens sie traf. Ob sie je über ihn hinwegkommen würde? Sie vermisste ihn ja jetzt schon. Und er? Ob er sie auch vermisste? Sich gemeldet hatte? Ihre Hand zuckte, wollte nach dem Smartphone greifen. Sie warf einen Seitenblick auf Julie. Nein. Sie zog die Hand aus dem Chaos im Inneren ihres Rucksacks. Kein Kontakt. Das hatten sie die letzten zwei Nächte bis zum Erbrechen durchgekaut. Nach England zu flüchten war die richtige Entscheidung. Je weiter weg, desto besser.
Und die anderen? Durfte sie ihre Freunde im Stich lassen? Was, wenn ihnen etwas zustieß? Sie sog ihre Unterlippe ein. Und wie willst du das verhindern? Mit einem energischen Ratsch verschloss sie den Rucksack und streifte sich die Träger über die Schulter. Keinen Rückzieher. Selbst wenn sie wollte – Julie würde sie mit Gewalt in diesen Zug verfrachten.
Laute Stimmen und Getrampel dröhnten durch den Treppenschacht. Julie und sie wandten sich gleichzeitig dem Aufgang zu. Eine Gruppe Jungs erschien auf den Stufen, vielleicht sechzehn oder siebzehn, in der Hand jeweils die gleichen blau-gelben Sporttaschen. Sie schubsten sich gegenseitig und warfen sich reihenweise Schimpfwörter an den Kopf, die vereinzelt mit Gegröle bejubelt wurden.
Julie verdrehte die Augen. »Was ich noch nicht kapiert habe«, sagte sie und trommelte mit den Fersen gegen den Koffer, »warum kriegt dein Vater eine Anzeige, wenn die beiden miteinander gerauft haben? Dann hat doch jeder jedem eine gelangt. Auge um Auge, Zahn um Zahn und so …«
»Der Becker behauptet, dass mein Vater ihn hinterrücks gestoßen hat, weil er ihn umbringen will.«
Ungläubig verzog Julie das Gesicht. »Wer glaubt denn so einen Schrott? Was für einen Grund sollte dein Dad denn haben?«
Luzie zuckte die Achseln. Bisher hatte sie Julie von der Geschichte mit ihrer Mutter, Valentins Vater und Alex, ihrer verstorbenen Halbschwester, nichts erzählt. Das war eindeutig ein fetter Vertrauensbruch. Sie wussten alles voneinander. Steckten im Internat immer zusammen. Und jetzt, kaum hatten sie sich drei Wochen nicht gesehen, verheimlichte sie ihr, dass sie eine Halbschwester hatte – oder vielmehr gehabt hatte! Aber sie konnte es ihr nicht sagen. Weil es nicht ihr Geheimnis war. Sondern das ihrer Mutter. Sie spürte Julies fragenden Blick.
»Papa war gegen den Bau des Ferienhauses«, sagte sie schließlich. Das war zwar dünn als Erklärung, aber zumindest nicht gelogen.
»Das ist doch kein Mordmotiv!«, entrüstete sich Julie.
»Er wollte ihn ja auch nicht umbringen. Der Becker behauptet das nur. Papa ist zur Baustelle, um ihn darauf hinzuweisen, dass er Val aus dem Sperrgebiet raushalten soll. Und da hat der Becker ihn beschuldigt, dass er die Baustelle verwüstet hat. Dann haben sie gestritten. Becker hat ihn angegriffen und dabei ist er in die Grube gefallen und mein Vater ist abgehauen.«
»Er hat nicht geguckt, ob der andere noch lebt?«, fragte Julie.
»Mann, Julie, das ist eine Baugrube, keine Steilklippe. Papa dachte, der klettert gleich wieder raus, um sich weiter mit ihm zu prügeln, und weil ihm das zu blöd war, hat er sich erst mal aus dem Staub gemacht. Und als er sich beruhigt hat und zurück ist, um zu sehen, ob es Becker gut geht, waren Basti und Valentin schon dort.« Luzie nahm ihren Rucksack von der Schulter und massierte sich die Stelle, an der die Träger ihr ins Fleisch geschnitten hatten. Laptop, zwei Bücher, Proviant, iPod, Telefon, Notizbuch, alles, was sie für die Reise brauchte. Schnell zusammengepackt, in einer absoluten Kurzschlussreaktion, und das Ganze mit voller Unterstützung ihrer Eltern. Sie hielt inne. Der Rucksack lag wie ein regloses Tier vor ihren Füßen. Warum war ihr das nicht aufgefallen? Als sie das letzte Mal nach England wollte, hatte sie ihren Vater wochenlang bearbeiten müssen, bis er zugestimmt hatte. Doch diesmal war er sofort darauf angesprungen und hatte alles in die Wege geleitet. Keine sechs Stunden später hatte sie bereits im Zug zu Julie gesessen. Als könnte er sie nicht schnell genug aus Finstermoos fortschicken.
Warum?
Um sie aus dem Rummel rauszuhalten, den Beckers Anzeige unweigerlich auslösen würde? Oder wegen ihrer Freundschaft zu Basti? Oder gab es noch einen ganz anderen Grund dafür?
»Hoffentlich schnallen die Bullen das und lassen die Anzeige fallen. Ist ja wohl zu dämlich, so was.« Julie lächelte schief »Wäre voll Kacke, wenn dein Dad deswegen seinen Job verliert. Dann kannste England und Charles und den Pferdeschnickschnack in Zukunft knicken und wie ich in den Ferien Semmeln verhökern, wenn alle anderen noch in der Heia liegen.« Sie äugte zur Bahnhofsuhr. »Shit! Schon so spät? Ich muss los, Süße!« Sie sprang vom Koffer, der ein erleichtertes Ächzen von sich gab, und umarmte Luzie mit all der Wucht ihrer achtzig Kilo. Wie in einem Schaumgummikokon verschwand Luzie in der Geborgenheit ihrer weichen, molligen Arme und vermisste sie jetzt schon. Dann eilte Julie davon. Ein Kloß setzte sich in ihrer Kehle fest, als der pinke Haarschopf vom Treppenschacht endgültig verschluckt wurde. Wie gern hätte sie Julie einfach in ihren Koffer gepackt.
Sie drehte sich zum Gleis, folgte mit dem Blick den braunen, in hellen Kies gebetteten Holzschwellen, die wie eine umgefallene Leiter den Weg aus ihrer Heimat wiesen. Da ist deine Zukunft. Weit weg von Basti und Julie und Brigitta und den Pferden. Finde dich damit ab.
Ein Seufzer entschlüpfte ihr und sie hob ihren Blick von den Schwellen zu dem Bergpanorama, das sich im fahlen Licht der Morgensonne abzeichnete. Was Basti jetzt wohl machte? Ob er sich gemeldet hatte? Sie öffnete ihren Rucksack und kramte nach ihrem Smartphone. Julie war gegangen und mit ihr das Verbot, das Handy anzuschalten und auf eine SMS von Basti zu hoffen. Endlich hielt sie das Handy in den Fingern. Sollte sie wirklich? War keine Nachricht von Basti da, würde sie enttäuscht sein; war eine da, würde sie nur extra leiden. Sie starrte auf das Handy, dann schaltete sie es schließlich an. Das erste Mal seit ihrem Zerwürfnis mit Basti und Valentin. Sogleich surrte und piepte es ohne Unterlass. Sieben Anrufe und neun Nachrichten – was war denn nun los?
Sie rief die erste Nachricht auf. Sie war von Basti. Ihr Herz machte einen kleinen Satz. Gestern, elf Uhr zwanzig, also kurz nach ihrem Streit.
Luzie, bitte melde dich. Ich weiß, ich habe Mist gebaut, aber es war gut gemeint. Bitte lass es mich erklären.
Wieder Basti, eine halbe Stunde später.
Luzie, geh nicht. Lass uns reden. Bitte. Ich will dich nicht verlieren.
Ihr Magen rumorte. Er wollte sie nicht verlieren. Und sie stand mit gepackten Koffern am Bahnsteig, bereit, in den gebuchten Flieger zu steigen. Jetzt hatte sie den Salat. Sie konnte nicht zurück, ob sie wollte oder nicht. Tränen drückten in ihre Augen.
Noch mal Basti, wieder eine knappe halbe Stunde später.
Muss dringend mit dir reden. Es ist was passiert.
Luzie las die letzte Nachricht noch einmal. Passiert? Das Rumoren in ihrem Magen nahm zu. Das klang nicht gut. Nicht nach allem, was die letzten Tage geschehen war. Der Ton war anders als bei den ersten beiden SMS. Als wäre er in Eile. Oder in Sorge. Verdammt! Sie müsste jetzt bei ihren Freunden sein.
Hektisch öffnete sie die nächste Nachricht. Von Valentin. Sie checkte die Sendezeit. Kurz nach halb eins. Vielleicht brachte er Licht ins Dunkel.
Hi Luzie, wollte dir eine gute Reise wünschen und dir noch mal sagen, wie leid mir alles tut. Ich werde versuchen, das wieder geradezubiegen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, glaub mir, ich würde alles anders machen. Du kannst mich immer anrufen, egal wann. Alles Liebe, Val
Gut. Wenigstens bei Valentin war alles in Ordnung. Und seine SMS klang genau so, wie sie ihn kannte. Lieb und fürsorglich. Geradebiegen. Ja, sie konnte sich sicher sein, dass er genau das versuchen würde. Selbst wenn es ihn in Schwierigkeiten brachte.
Dann eine Nachricht von Mascha, um halb zwei.
Komm bitte sofort zum Bunker. Habe B. gefunden. Warte im Bunker. M
Luzie runzelte die Stirn. Habe B. gefunden? Was sollte denn das jetzt? Sprach sie von Basti? Warum sollte sie Basti gefunden haben? Das machte überhaupt keinen Sinn. Und was meinte Mascha damit, dass sie im Bunker auf sie warten würde? Warum im Bunker? Oder sollte das am Bunker heißen?
Sie biss sich auf die Lippe. Hatte sie überreagiert, als sie Hals über Kopf abgereist war? Dann zwei Nachrichten von ihrer Mutter, die erste um acht Uhr abends.
Luzie, wenn du was von Basti hörst, sag ihm bitte, er soll sich bei seinem Vater melden.
Was??? Was meinte ihre Mutter damit? Ihr Herz schlug schneller. Mit schweißnassen Fingern öffnete sie die zweite SMS.
Luzie, hast du was von Basti gehört? Er ist nicht nach Hause gekommen. Nic auch nicht. Franz macht sich große Sorgen.
Was zum Teufel war da los? Ihre Mutter schickte ihr um Mitternacht eine SMS, weil Basti nicht zu Hause auftauchte? Sie sah von der Nachricht hoch. Lachen drang an ihr Ohr. Getrappel, dann jagten zwei der Jungs an ihr vorbei.
Sie schluckte und hörte die Sprachnachricht ab, die ihre Mutter kurz nach der letzten SMS auf die Mailbox gesprochen hatte.
Luzie, ich weiß, du bist noch mit Julie unterwegs. Aber das hier ist wichtig. Basti und Nic sind nicht nach Hause gekommen. Basti hatte Streit mit seinem Vater. Valentin und Mascha sind abgereist. Niemand ist erreichbar. Niemand weiß etwas. Bitte melde dich!
Die Nachricht war abgehackt und schnell gesprochen, als wäre ihre Mutter in großer Sorge. Mist. Mist. Mist. Zittrig wählte sie Bastis Handynummer. Hi. Hier ist Basti Schranners Mailbox. Hinterlass eine Nachricht, ich rufe zurück. Sie wartete auf den Piepton. »Basti«, rief sie. »Was ist los bei euch? Ruf bitte an!«
Dann wählte sie Valentins Nummer. Mailbox. »Val, ich bin’s, Luzie. Weißt du, was mit Basti ist? Bitte ruf mich an!« Dann Maschas. Ebenfalls die Mailbox. Niemand war erreichbar. Sie linste zur Bahnhofsuhr. Es war gerade mal sechs. Wahrscheinlich schliefen sie noch, immerhin waren Ferien. Sie rief zu Hause an. Anrufbeantworter. Das konnte doch nicht wahr sein!
Unschlüssig starrte sie auf ihr Telefon, als eine blecherne Stimme über ihr den Zug ankündigte. Sie richtete ihren Blick auf die Gleise. Von Weitem sah sie den Zug anrauschen. Viel zu schnell kam er näher.
Was sollte sie tun? Fahren? Bleiben? Den nächsten Zug zurück nach Finstermoos nehmen? Und wenn sich inzwischen alles geklärt hatte? Wenn sie ihren Flug sausen ließ, nur um in einer Stunde zu erfahren, dass wieder alles in Ordnung war? Mascha hatte Basti doch gefunden. Sie rief die SMS auf. Habe B. gefunden. Mit Basti war alles in Ordnung. Sonst hätte Mascha ihr eine zweite Nachricht geschickt.
Oder?
Der Zug fuhr ein. Unschlüssig starrte sie auf ihren Koffer. Gehen oder bleiben? Sie schulterte den Rucksack und steckte das Handy in die Jackentasche. Ihre Hand griff nach dem Koffer. Ihre Füße gingen mechanisch auf die nächste Zugtür zu. Sie war auf dem Weg in ein neues Leben – sie selbst hatte das so entschieden. Gestern. Zusammen mit ihren Eltern. In einem langen Gespräch. Und wenn sie eines in den letzten Tagen gelernt hatte, dann dass impulsive, nicht durchdachte Entscheidungen vor allem eines bedeuteten: Ärger.
2
Die plötzliche Vibration traf Valentins Hinterkopf wie ein Stromschlag. Er drückte sich von der kalten Wand weg und lauschte dem Brummen. Gleichmäßig und tief. Die Ankündigung ihres baldigen Todes. In wenigen Minuten, vielleicht nur Sekunden würde der flüssige Beton durch den Einfüllstutzen fließen und den Vorraum in eine unüberwindbare Mauer verwandeln. Eine meterdicke, schalldichte, hellgraue Mauer, die sie für immer in diesem modrigen Bunker begrub.
Sie hatten verloren.
Seine Eltern würden ihn suchen. Sie würden nie aufgeben, und wenn es nur mehr die Suche danach war, was ihm zugestoßen sein könnte. Und dabei würden sie zwei Meter über seinem Grab wohnen, zwei Meter über seinen Knochen essen, schlafen, trauern.
Sein Vater würde sich nie verzeihen, dass er mit ihm im Streit auseinandergegangen war. Er würde sich Vorwürfe machen. Sich fragen, was er Gott getan hatte, dass er ihm beide Kinder so früh nahm.
Seine Hände glitten über den kalten, lehmigen Boden. Asche zu Asche, Knochen zu Staub. Vier Kontrahenten auf einen Schlag. Es war der perfekte Mord. Keine Leichen, keine Spuren, keine Strafe. Ihr Mörder war wirklich clever. Ein so simpler Trick. Und sie waren ihm alle auf den Leim gegangen. Naiv und leichtgläubig. Oder – eher angespannt und überdreht. Keiner hatte die SMS ihres Mörders infrage gestellt. Nicht einmal er selbst, obwohl es ihm als Allerersten hätte auffallen müssen: Er hatte Mascha nie von dem Bunker erzählt. Nein, er war darauf hereingefallen. Auf die knappe Formulierung, die Dringlichkeit. Auch die zeitliche Abfolge der SMS musste präzise geplant gewesen sein, damit der Mörder jederzeit die Oberhand behielt. Einer nach dem anderen, zack, zack, zack. Ob es Nachlässigkeit gewesen war, Basti als Einzigen nicht zu fesseln? Oder ein winzig letzter Rest an Barmherzigkeit? Hätte Basti ihnen nicht die Handfesseln abgenommen und die Klebstreifen vom Mund gezogen, wären die letzten Stunden noch viel unerträglicher gewesen.
Neben dem Brummen schlich sich nun auch das Kratzen der Betonmischtrommel in ihr Gefängnis. Er hasste dieses Geräusch, hatte es schon als Kind gehasst. Als hätte er unterbewusst schon immer geahnt, dass es seinen Tod bedeuten würde.
Er schloss die Augen. Obwohl es in der Schwärze des Bunkers egal war, ob man die Augen geöffnet oder geschlossen hatte. Wenn er wenigstens den Menschen, die er liebte, noch einmal sagen könnte, wie wichtig sie ihm gewesen waren. Seinem Vater. Seiner Mutter. Luzie. Er würde ihr noch einmal sagen, wie leid es ihm tat. Er wollte sie nie verletzen. Wie gerne hätte er es wiedergutgemacht.
»Ist das der Betonmischer?«, fragte Mascha mit dünner Stimme.
»Ja.« Mehr gab es nicht zu sagen.
»Es tut mir leid«, flüsterte Mascha, als bekäme sie bereits kaum noch Luft. »Ich hab euch da mit reingezogen. Hättet ihr mir nicht bei der Suche nach meiner Mutter geholfen … Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen.«
»Unsinn.« Nic. Ein schleifendes Geräusch verriet, dass er sie näher an sich gezogen haben musste. »Wir sind in eine Falle gelockt worden. Das hat nichts mit dir zu tun.«
»Ja, aber –«
Valentin unterbrach Maschas Protest. »Keiner macht dir einen Vorwurf, also mach dir selber auch keinen.«
»Danke.«
Ein Schniefen, dann legte sich wieder Stille über sie, mit Ausnahme des gedämpften Brummens. Über was sollten sie auch reden? Über Zukunftspläne? Er krallte seine Finger in den Boden. Sicherlich nicht. Über den bevorstehenden Erstickungstod erst recht nicht. Die feuchte Erde drückte sich unter seine Nägel. Erde. Organische Masse. Letztlich war sein Körper nichts anderes. Eine entwickelte Form von Erde, in die er sich bald wieder zurückverwandeln würde.
Oder sollten sie über die Vergangenheit reden …? Nein, nicht darüber reden. Sie ins Gedächtnis zurückholen, ganz für sich, ungestört mit den Erinnerungen aus diesem Gefängnis fliehen.
»Ich will auch was loswerden.« Diesmal war es Nic.
Valentin verschränkte die Beine im Schneidersitz und entlastete sein platt gesessenes Hinterteil. Das Ende musste wirklich sehr nah sein, wenn jetzt reihum das Beichten losging.
»Basti?«, fragte Nic. »Hörst du zu?«
Basti brummte etwas, das Valentin nicht verstand. Offenbar war er mit seinen Gedanken woanders.
»Basti, die Fotos von Mama hinten in meinem Album …«
»Jaaa?«, sagte Basti gedehnt.
»Tut mir leid, dass ich sie vor dir versteckt habe. Ich hatte sie gefunden und musste Papa schwören, sie dir nie zu zeigen. Er hat gesagt, dass er den richtigen Zeitpunkt abwarten will.«
»Schon gut«, sagte Basti. »Eh vorbei.«
»Nein, ich hätte sie dir nicht vorenthalten dürfen. Jetzt wirst du nie erfahren, was es damit auf sich hat.«
»A…aber …« Mascha klang aufrichtig verwirrt. »Das weiß Basti doch.«
»Was weiß Basti?«, fragte Nic, die Stimme erstaunt. »Basti?«
»Dass Brigitta meine Mutter ist.« Basti klang so neutral, als lese er die Abfahrtszeiten des Dorfbusses herunter. Valentin horchte auf. Konnte es sein, dass Basti die Sache mit Brigitta so kalt ließ?
Einen Moment blieb es still. Jemand rutschte nervös am Boden oder an der Wand entlang, dann ertönte von Neuem Nics Stimme.
»P…Papa? Er … und Brigitta?«, fragte er, als wäre die Möglichkeit absolut undenkbar.
»Wolferl ist mein leiblicher Vater.« Wieder blieb Basti knapp und sachlich. Valentin versuchte zu begreifen, was in ihm vorging. Hatte er schon mit seinem Leben abgeschlossen, sodass er durch nichts mehr aus der Fassung zu bringen war?
»Das …« Nic schluckte laut. »Das … verstehe ich nicht. Warum?«, setzte er hinterher.
Die gleiche Frage hatte Valentin sich auch schon gestellt. Warum hatten Brigitta und Wolferl Franz Schranner ihren Sohn überlassen und dann die Geschichte mit Brigittas angeblich verstorbenem Kind in die Welt gesetzt?
Plötzlich vernahm er ein Prusten. Ein Husten. War das Basti? Das Prusten wurde lauter, verwandelte sich in unbändiges Kichern. Immer wieder unterbrochen von Schnauben und Keuchen.
»Basti?«, fragte Nic besorgt.
Valentin hörte, wie Hände auf einen Rücken klopften.
»Das … ist … das …«, keuchte Basti und verfiel wieder in einen Lachkrampf.
Doch keiner lachte mit. Nic und Mascha musste ebenso klar sein wie ihm selbst, dass an Bastis Lachen nichts lustig war. Er hätte genauso gut heulen oder schreien oder den Kopf gegen die Wand schlagen können. Es hätte das Gleiche ausgedrückt: seine Fassungslosigkeit. Valentin ging auf die Knie. Auf allen vieren kroch er auf das Lachen zu. Der lehmige Boden war unangenehm holprig und fühlte sich unter seinen Händen feucht an. Er ertastete einen Schuh und ging in die Hocke, die Hände auf Bastis Knie gelegt.
»Basti? Alles gut?«
»Gut? Bestens!«, kicherte Basti.
Valentin blieb vor ihm in der Hocke und ließ die Hände auf den angewinkelten Knien liegen. Irgendwann würde Basti sich beruhigen.
Schließlich ebbte der Lachkrampf ab und verwandelte sich in kleine, vereinzelte Schluchzer, die Valentin nicht zuordnen konnte. Weinte Basti? Oder waren das einfach die Nachwirkungen des Lachanfalls?
Er konnte nicht sehen, ob Nic Basti die Hand auf den Arm oder um die Schulter gelegt hatte. Aber er nahm es an. Vielleicht war Nic gerade ebenso hilflos wie er selbst, vielleicht wusste auch er nicht, was er Basti sagen sollte. Doch er würde irgendetwas tun, um ihm zu zeigen, dass er nach wie vor der große Bruder war, der sich bis zum Schluss um ihn sorgte.
»Willst du uns sagen, was du so komisch findest?«, fragte Mascha, nachdem der letzte Lachschluchzer eine Weile verklungen war.
»Ihr wollt wissen, warum mein leiblicher Vater mich für tot erklärt und weggegeben hat?« Auf einmal schwang so viel Bitterkeit in Bastis Stimme mit, dass Valentin Mascha für ihre Frage stumm verfluchte. »Weil meine Mutter mich töten wollte.«
»Scheiße«, entfuhr es Mascha.
»Daher stammt meine Narbe. Glasscherben! Alles Bullshit. Nichts als Lügen. Sobald Papa sein verdammtes Maul aufgemacht hat, hat er mich angelogen. Von wegen, ich habe Mamas Charme geerbt und du ihr Aussehen.« Bastis Hände klatschten gegeneinander. »Wolferl dachte, es wäre besser, wenn er mich vor meiner Mutter in Sicherheit bringt.« Er lachte auf. »Das ist doch mal ein Einstieg ins Leben. Herzlich willkommen, Basti Schranner. Ach nein, so heiße ich ja gar nicht. Gregor Mosbichl ist mein richtiger Name. Wisst ihr, was? Wenn wir hier draufgehen, hab ich euch eines voraus: Ich lieg nämlich offiziell schon seit achtzehn Jahren in einem Grab.«
»Das tut mir leid«, sagte Mascha leise. »Ich hätte nicht fragen sollen.«
Wieder klatschte Basti seine Hände gegeneinander. Es klang dumpf, als schlüge er mit der Faust in die Handfläche.
»Ja«, stieß er hervor. »Geht mir genauso. Ich hätte einfach nicht danach fragen sollen. Die tolle Geschichte mit der schönen, verschollenen Mutter aus Südamerika war eindeutig besser.«
Valentins Beine begannen zu kribbeln. Er nahm seine Hände von Bastis Knie und setzte sich auf den Boden. Seltsam, dass Nic noch nichts gesagt hatte. Er musste doch eine Meinung dazu haben. Vielleicht traute er sich nicht, weiter Fragen zu stellen, weil er befürchtete, Basti damit zu quälen.
»Andererseits«, fuhr Basti gepresst fort, »jetzt weiß ich es und ich will auch verdammt noch mal wissen, warum sie das getan hat. Und warum Papa mich aufgenommen hat. Allein deshalb will ich hier RAUS!« Er brüllte das letzte Wort und sprang so plötzlich auf, dass er auf Valentins Fuß trat.
Valentin zuckte zusammen und rutschte zur Seite, bevor Basti weitere Körperteile treffen konnte.