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Atemberaubend geht es weiter mit Janet ClarksThrillerserie rund um das geheimnisumwitterte Feriendorf Finstermoos. Nervenzerreißende Spannung pur! In einer Gletscherspalte finden Mascha und Nic eine Tote, die Mascha zum Verwechseln ähnlich sieht. Wer ist diese Frau und wieso starb sie ausgerechnet in Finstermoos? Neben der Leiche liegt genau die Axt, mit der Nic am Abend zuvor angegriffen wurde – hat ihr unheimlicher Verfolger etwa auch hier sein Unwesen getrieben? Noch bevor Nic und Mascha sich aus der Gefahrenzone bringen können, wird das Seil gekappt, mit dem sie sich in die Spalte abgelassen haben. Die beiden sind unentrinnbar gefangen! Unterdessen warten Luzie, Valentin und Basti in Finstermoos ungeduldig auf Nachricht von den beiden, ahnungslos, dass sie selbst in größter Gefahr schweben. Sie müssen die bedrohlichen Vorfälle der letzten Tage aufklären, bevor sie für immer zum Schweigen gebracht werden ... Finstermoos ist die neue Thrillerserie von Bestseller-Autorin Janet Clark, die neben ihren Jugendbüchern auch erfolgreiche Spannung für Erwachsene schreibt (Ich sehe dich und Rachekind). Atemberaubender Nervenkitzel und Spannung für alle Fans von Krystyna Kuhns Das Tal! "Im Angesicht der Toten" ist der dritte Band der Finstermoos-Reihe. Die Titel der ersten beiden Bände lauten "Aller Frevel Anfang" und "Am schmalen Grat". Mehr Infos rund um Finstermoos unter: www.finstermoos.de
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Seitenzahl: 251
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Was bisher geschah …Band 1: Aller Frevel Anfang
Hinter den idyllisch bemalten Häuserfassaden des Bergdorfes Finstermoos lauert eine Wahrheit, die niemand aussprechen darf. So schrecklich, dass sie das Leben der Dorfbewohner verpestet, ganz besonders das der 17-jährigen Luzie, die deshalb ihre große Liebe Basti nur heimlich treffen kann. Umso mehr freut sie sich, als Valentin, ihr Kumpel aus Berlin, zu Besuch kommt. Was Luzie jedoch nicht ahnt: Valentin ist über beide Ohren in sie verliebt und fest entschlossen, Luzie in diesem Urlaub seine Liebe zu gestehen. Doch dann entdeckt Valentin auf der Baustelle seines Vaters eine vor vielen Jahren verscharrte Babyleiche. Die Entdeckung bringt große Unruhe in das Dorf und lockt eine Menge Journalisten an, darunter die Berlinerin Armina Lindemann und ihre Tochter Mascha. Gleich nach der Ankunft lernt Mascha Valentin kennen, als er mit seinem Fahrrad stürzt und sie dabei um ein Haar über den Haufen fährt. Sie freunden sich an und Valentin lädt Mascha zu einem Ausritt mit Luzie und Basti auf den einsamen Mosbichl-Hof ein. Dort lösen der Anblick von Mascha sowie Bastis kreuzförmige Narbe am Oberkörper bei der seltsamen Hofbesitzerin Brigitta eine Schockreaktion aus. Die Freunde reiten los und noch während sie überlegen, was Brigitta so erschreckt haben könnte, kracht ein Schuss durch den Wald. Maschas Pferd geht durch und erst in letzter Sekunde kann Luzie Mascha vor einem Sturz in eine Schlucht retten. Am nächsten Tag finden Valentin und Basti Valentins Vater wie tot in seiner Baugrube liegen. Die Baustelle ist verwüstet und mit Runen beschmiert und Valentin verdächtigt die merkwürdige Brigitta als Täterin.
Die Unfälle reißen nicht ab und Mascha gerät erneut in Lebensgefahr. Sie will abreisen, doch dann bemerkt sie, dass ihre Mutter verschwunden ist. Die Freunde beginnen sich zu wundern: Das sind zu viele Unfälle, zu viele Zufälle – was ist hier los?
Auf der Suche nach der Wahrheit bricht Valentin im Mosbichl-Hof ein und findet eine Zeichnung des autistischen Bruders des Hofbesitzers, Toni, aus der eindeutig hervorgeht, dass ausgerechnet Luzies Vater, der Förster, seinen Vater in die Grube gestoßen hat! Dann findet er auch noch heraus, dass es ebenfalls der Förster war, der sein Fahrrad sabotiert und damit seinen Sturz verschuldet hatte!
Obwohl Bastis Bruder Nic bereits nach Maschas Mutter sucht, brechen auch Valentin, Luzie, Mascha und Basti in die Berge auf, um ihrer Spur zu folgen. Um den Weg abzukürzen, nehmen sie den Lift, doch mitten am Berg stoppt dieser – genau über einer tödlichen Schlucht. Stundenlang hängen sie über dem Abgrund. Erst als es dunkel ist, springt der Lift plötzlich wieder an und trägt sie ins Ungewisse …
Band 2: Am schmalen Grat
Luzie, Basti, Mascha und Valentin springen aus dem durch die Finsternis gleitenden Lift – nicht ahnend, dass es Nic war, der den Lift angestellt hat. Luzie verletzt sich, doch da ein Gewitter naht, müssen sie weiter. Nach einem nervenaufreibenden Marsch finden sie endlich Zuflucht in einer Höhle, wo sie auf ein Lebenszeichen von Maschas Mutter stoßen.
Am nächsten Tag erwischt Basti Valentin bei dem Versuch, Luzie zu küssen. Enttäuscht entschlüpft ihm das große Geheimnis – Valentin könnte Luzies Halbbruder sein! Um seine Aussage zu beweisen, führt er sie trotz des Verbots seines Vaters zu einer geheimen Höhle, in der zwei gruselige Wandbilder Geschichten über die Dorfbewohner erzählen: Maschas Mutter ist schwanger und verzweifelt abgebildet, Valentins Vater neben ihr, während Wolferl Mosbichl ein Grab schaufelt und eine Madonna ein Baby mit einer Narbe trägt, die Luzie an Bastis Narbe erinnert. Auf dem anderen Gemälde entdecken sie Bastis Vater und Krailinger sowie eine Art Göttin, die Mascha ähnelt und von der Madonna ein Baby entgegennimmt. Die verstörten Freunde beschließen, zur Schmugglerhütte weiterzugehen, da diese ebenfalls auf dem Wandbild abgebildet ist.
Nic ist inzwischen zurück im Dorf, doch nachdem er den Rucksack entdeckt, den Basti in der Nacht zuvor aus dem Lift geworfen hat, marschiert er erneut los und folgt ihren Spuren. Bei der Höhle, in der die anderen übernachtet haben, trifft er auf Wolferl, der ebenfalls auf der Suche ist: nach Toni, denn dieser ist seit Valentins Einbruch in seine Scheune völlig außer sich.
Unterdessen steigen die Freunde bergan, doch während einer Pause wird Valentin von einem Unbekannten um ein Haar in eine Schlucht gestoßen. Nervös geht die Truppe weiter und gerät auf der nächsten Etappe in einen Steinschlag, bei dem Basti und Valentin sich verletzen. Zum Glück sind es nur noch ein paar Minuten zur Schmugglerhütte. Dort stößt Nic zu ihnen und sie finden ein weiteres Lebenszeichen von Maschas Mutter. In der Nacht werden Nic und Luzie vor der Hütte angegriffen, wobei Nic seine Axt verliert, ihre einzige Waffe.
Am nächsten Tag trennen sie sich, um zu verhindern, dass sie gemeinsam in eine Falle geraten. Basti, Luzie und Valentin treffen auf Wolferl, der Valentin und Luzie direkt ins Krankenhaus bringt. Dort kommt es zur Aussprache mit Luzies Mutter und Valentins Vater – sie sind tatsächlich einmal ein Paar gewesen und Luzies Mutter ist die leibliche Mutter von Valentins verstorbener Schwester Alex! Luzie und Valentin sind jedoch keine Geschwister.
Auf dem Berg überstehen Mascha und Nic eine Gerölllawine und gehen zum Gletscher weiter. Dort findet Mascha in einer Gletscherspalte eine Tote, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht …
2.August1
Die schwarzen Augen der Toten starrten leer durch ihn hindurch. Ein Schauder jagte über Nics Rücken. Instinktiv wandte er den Blick ab, fixierte die bläulich weiße Eiswand, die kalt und tödlich oberhalb der Toten schimmerte. Er wich einen Schritt zurück, da vernahm er Maschas unregelmäßige Atemzüge, kurz und gepresst, als verwende sie alle Kraft darauf, nicht wieder loszuschreien. Er zwang sich, seinen Blick auf die Tote zu richten. Das Gesicht war ausgemergelt, die Haut ledrig und dunkel. Die Lippen fest aufeinandergepresst, schob er sich an Mascha vorbei und ging vor der Toten auf die Knie. Erst jetzt fielen ihm die Details auf. Sie musste schon sehr lange hier gelegen haben. Die Schuhe, die Jacke, so etwas trug man schon seit über zwanzig Jahren nicht mehr. Doch das Erschreckendste war die Ähnlichkeit zu Mascha, obwohl das Gesicht der Toten eingefallen war bis auf die Knochen: die großen, von langen Wimpern umrahmten schwarzen Augen, die zierliche Nase, die Lippen, die noch erahnen ließen, dass sie ehemals so voll wie Maschas gewesen sein mussten.
Die Härchen an seinen Armen stellten sich auf. Wie konnte das sein? Eine Tote, die Mascha ähnlich sah? Solch einen Zufall gab es nicht. Er drehte sich zu Mascha, ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Atem noch immer kurz und gepresst, auf ihren Wangen hatten sich hektische rote Flecken ausgebreitet. Sie schien völlig im Bann der Toten zu stehen, unfähig, ihren Blick abzuwenden. Als wäre sie in einem Horrorfilm gefangen. Vielleicht konnte er den Bann brechen, indem er die Tote berührte, indem er Mascha zeigte, dass es nur ein Körper war, nur eine harmlose Hülle, von der keine Gefahr ausging.
Er drehte sich wieder zu der Toten, streckte seine Hand nach ihr aus.
»Fass sie nicht an, bitte!« Mascha fiel ihm in den Arm.
Er zog seine Hand zurück. »Sie ist tot. Es wird sie nicht stören.«
Mascha schüttelte den Kopf. »Ich glaube, sie ist die Frau von dem Bild. Die Göttin, die das Baby in Empfang nimmt.« Sie packte seinen Arm, zerrte ihn hoch, weg von der Toten. Weißer Atem hauchte ihm entgegen. Ihre Hand zitterte. »Lass uns gehen.«
»Warte kurz.« Behutsam löste er ihre Hand von seinem Arm und ging an der Toten vorbei. Neben ihr lag eine rotbraune Umhängetasche auf losem Eis. Daneben große Eisbrocken und kleinere Klumpen, teils zu Schneekristallen zerbröselte und zertrampelte Häufchen.
Er ließ seinen Blick schweifen, entdeckte keine zwei Meter neben der Toten einen hüfthohen Haufen aus Eis und Schnee. Er bückte sich und griff hinein. Er war bröselig und locker, als wäre er gerade erst aufgeworfen worden. Die Leiche hatte hier gelegen, ummantelt vom ewigen Eis, bis sie jemand mit brachialer Gewalt daraus befreit hatte. Vor Kurzem erst, dem guten Zustand der Toten nach. Sein Blick fiel auf einen kräftigen Holzstiel, der seitlich aus dem Eishaufen ragte. Er zog ihn heraus, sah die Initialen F.S. unbeholfen und schief in den Stiel eingeritzt. Die Axt aus der Schmugglerhütte.
Die Axt, die ihm gestern Abend aus der Hand geschlagen worden war.
Angespannt sah Nic sich um. Warum befreite jemand eine Leiche aus dem Eis und ließ sie dann liegen? Er ging die Wand entlang, tiefer in die Spalte hinein, den Blick nach oben geheftet. Schließlich sah er Eisschrauben. Zwei Stück, eine auf etwa vier Metern Höhe, eine direkt am Einstieg, daneben ein einfacher Flaschenzug, wie Basti und sein Vater ihn bei Rettungseinsätzen der Bergwacht verwendeten.
Er winkte Mascha zu sich. Zögerlich kam sie näher, dicht an die Wand gepresst, immer wieder drehte sie den Kopf zu der Leiche zurück, als müsste sie sich vergewissern, dass sie wirklich dort sitzen blieb.
»Hier ist er ein- und ausgestiegen.« Nic zeigte auf die Eisschrauben und die unregelmäßigen Löcher im Eis, die von einem Eispickel und den Eiskrallen stammen mussten, die sich der Kletterer offenbar unter die Sohlen geschnallt hatte.
»Ein Flaschenzug«, murmelte Mascha. »Das war also die Spur.«
Spur? Wovon sprach sie? Verwirrt sah Nic sie an.
»Es muss eine zweite Leiche in der Spalte gewesen sein«, fuhr Mascha fort. »Jemand hat sie weggeschafft. In einem Sack oder auf einer Plane. Das Gewicht würde reichen, um die Rinne zu hinterlassen.«
Nic begriff. Sie meinte die Schneespur zur Spalte hin, die Rinne, die sie beide für eine Minilawine gehalten hatten. Dann … Verflucht! Sein Atem stockte. Sollte Mascha recht haben, konnte der Angreifer von gestern jeden Moment hierher zurückkommen, um die andere Leiche ebenfalls zu holen.
Sie mussten aus der Spalte heraus. So schnell wie möglich. Er packte Maschas Hand. »Komm. Schnell. Wir müssen hier weg!«
»Er kommt wieder, oder?«
»Ja. Und er sollte besser nicht wissen, dass wir sein Geheimnis entdeckt haben.« Nic steckte die Axt in den Schneehaufen zurück und schabte mit der Sohle Eisklumpen über seine Fußspuren im Schnee.
»Komm schon!«, drängte Mascha. Sie hatte bereits das Seil erreicht. »Du zuerst oder ich?«
»Ich«, sagte Nic und schluckte die Panik hinunter, die bei dem Anblick des wackeligen Seils in ihm aufstieg. »Dann kann ich dich hochziehen, falls du es nicht schaffst.«
Er griff nach dem Seil und merkte, wie steif gefroren seine Hände waren. Viel zu steif, um sich sechs Meter an einem Seil hochzuarbeiten, selbst mithilfe der Steigklemme. Er ballte seine Finger zu Fäusten und hauchte sie an. Öffnete sie, hauchte wieder. Dann umklammerte er das Seil erneut und umfasste die Steigklemme. Langsam und konzentriert arbeitete er sich nach oben, die Füße gegen die Wand gestemmt, doch immer wieder rutschte er von dem glatten Eis ab.
Plötzlich hörte er ein Knirschen über sich. Er sah nach oben, die Bewegung brachte das Seil zum Schaukeln. Nicht schwingen. Er keuchte. Sah nach unten. Keuchte heftiger.
Nur zwei Meter bis zum Boden. Trotzdem wurde ihm schummerig. Undeutlich sah er Mascha Zeichen machen.
Sollte er wieder runterkommen?
Sie legte einen Finger an ihren Mund und winkte ihn zu sich. Er entriegelte die Steigklemme und rutschte am Seil hinunter, ließ es los – zu früh. Unsanft landete er auf dem harten Eis. Schon stand Mascha neben ihm und zog ihn tiefer in die Spalte.
»Da oben läuft jemand«, flüsterte sie aufgeregt.
Entsetzt legte er den Kopf in den Nacken, versuchte, etwas zu erkennen. Er hatte genug Fantasie, um sich vorzustellen, was passiert wäre, wenn er, erschöpft vom Hochklettern, den Kopf über den Rand geschoben hätte.
»Ich hol die Axt!«, flüsterte er in ihr Ohr. »Wir überraschen ihn, wenn er absteigt.« Er stürmte los, doch schon im Laufen begriff er, dass es umsonst sein würde.
Es gab keinen Überraschungsangriff. Wer immer dort oben entlanglief, wusste längst, dass sie in der Spalte waren. Ihr Rucksack am Einstieg war nicht zu übersehen.
2
»Du bist was?« Valentins Vater setzte sich so abrupt auf, dass die Triangel über seinem Krankenhausbett wild hin- und herschaukelte.
»Reg dich wieder ab, ist ja nichts passiert.« Vorsichtig lehnte Valentin sich in die frisch aufgeschüttelten Kissen zurück und verdrehte die Augen. Gut, dass die Krankenschwester ihre Abendrunde bereits beendet hatte: Der Gesichtsfarbe seines Vaters nach stieg dessen Blutdruck gerade in bedenkliche Höhen. Warum hatte er nicht die Klappe gehalten? Er hätte sich doch denken können, wie sein Vater reagierte.
»Nichts passiert!« Sein Vater schnaubte wie eine Dampflok. Er griff nach der Triangel, zog sich daran hoch und setzte sich so aufrecht, wie sein Gips es zuließ. »Du wärst fast zu Tode gestürzt!«
»Bin ich aber nicht.« Valentin verdrängte die Angst, die die Worte seines Vaters in ihm auslösten. Er durfte sich von ihm jetzt nicht verrückt machen lassen. Er war nicht gestürzt. Weil Mascha und Luzie ihn gerettet hatten.
»Du musst doch gesehen haben, wer dich gestoßen hat! Wenn ich rausfinde, wer das gewesen ist … Der kann den Rest seiner Tage im –«
»Mann, Paps, jetzt lass gut sein.« Valentin setzte sich ebenfalls auf, zu schnell, denn sofort begann sich das Zimmer um ihn zu drehen. Er schloss für einen Moment die Augen, das Drehen stoppte. »Du weißt auch nicht, wer dich in die Grube gestoßen hat.«
»Ich habe einen partiellen Gedächtnisverlust.«
»Und ich hinten keine Augen.« Valentin legte sich behutsam ins Kissen zurück und fixierte die winzigen Löcher in den Quadraten der Zimmerdecke. Genug erzählt. Daran würde sein Vater erst einmal eine Zeit lang kauen. Es musste für ihn wie die Kurzfassung eines Actionfilms geklungen haben: der Sprung aus dem Lift, Maschas Versuch, den Blitz von ihm wegzuleiten, seine Hängepartie über der Schlucht, der Steinschlag … Und dabei hatte er viele Details ausgelassen – das Wandbild in der Höhle, den Angriff auf Nic, den Kuss …
Er schloss die Augen und holte den Moment mit Luzie zurück. Wie wunderbar es sich angefühlt hatte, sie in seinen Armen zu halten. Ihre weichen warmen Lippen auf seinen zu spüren. Er fuhr mit der Zunge über seinen Mund, spürte Wärme durch seinen Körper strömen. Er liebte sie. Für ihn hatte sich nichts geändert. Abgesehen davon, dass er jetzt wusste, dass sie nicht ihn, sondern Basti wollte. Und Basti sie. Und dass er wahrscheinlich nie eine Chance bei ihr haben würde.
Die Tür wurde aufgedrückt und eine Krankenschwester trat mit dem Essen ein. Er stellte sich schlafend, hörte, wie sie das Tablett abstellte und ein paar Worte mit seinem Vater wechselte. Dann fiel die Tür wieder ins Schloss.
Gab es etwas Blöderes, als sich in die Freundin des besten Freundes zu verlieben?
Ja. Sich in die Tochter der Frau zu verlieben, die sein Vater so schäbig behandelt hatte. Allein aus Loyalität zu ihrer Mutter würde Luzie sich nie für ihn entscheiden. Vielen Dank, Paps.
Der Duft nach Minestrone strömte in seine Nase und weckte seinen Hunger. Er öffnete die Augen und setzte sich im Bett auf.
»Iss, Junge!« Sein Vater hatte seine Suppe bereits ausgelöffelt und kaute ein labbriges Käsebrot zu Tode. »Vielleicht hat dich ja der gleiche Mann angegriffen wie mich«, überlegte er dabei laut. »Wenn ich mich nur erinnern könnte! Aber ich weiß nicht einmal, wie ich zu der Baustelle gekommen bin. Alles weg.«
Valentin beobachtete seinen Vater. Er sah, wie es in dessen Kopf arbeitete. Dass seine Erinnerung ihm einen Streich spielte und partout nicht so wollte, wie er sich das vorstellte, schien ihn an den Rand der Verzweiflung zu bringen. Er hätte ihn erlösen können. Ihm Tonis Zeichnung zeigen, den Beweis, dass der Förster es gewesen war, der ihn in die Grube gestoßen hatte. Aber er würde es nicht tun. Denn aus allem, was sein Vater bisher gesagt hatte, war klar, dass er den Schuldigen vor Gericht zerren und mit einer Schmerzensgeldforderung überziehen würde, die den Angreifer auf Lebzeiten ruinierte. Das allerdings würde Luzies Mutter und Luzie ebenso treffen. Sie wären nicht nur finanziell am Ende, sie würden auch zur Zielscheibe des Dorftratsches werden. Und wenn seinem Vater eines nicht zustand, dann noch mehr Leid über Luzies Mutter zu bringen.
»Ich habe mir auch wegen dieser Schmierereien Gedanken gemacht.« Sein Vater fischte sein Handy vom Nachtkästchen und fuhr mit dem Finger mehrmals über das Display. »Diese Runen. Du hast doch Brigitta Mosbichl in der Grube ein Ritual ausführen sehen. Was meinst du? Wäre sie eine Kandidatin für die Schmierereien?«
»Glaub ich nicht.« Valentin löffelte die Suppe. Warm und köstlich. Er hätte seinem Vater jetzt sagen können, dass der durchgedrehte Toni die Runen gemalt hatte. Aber dann würde sein Vater Wolferl antanzen lassen und einen Mordsstunk veranstalten und mit etwas Pech würde Wolferl ihm einen Tausch anbieten: Er verzichtete auf die Anzeige wegen Einbruch und Diebstahl gegen Valentin, wenn sein Vater ein Auge wegen Tonis Schmierereien zudrückte. Und dann würde sein Vater von den Zeichnungen erfahren und würde sie sehen wollen und es würde genau das eintreten, was er gerade zu verhindern versuchte. Verflixt noch mal!
Er hatte sich schier ein Bein ausgerissen, um herauszufinden, wer hinter dem Angriff auf seinen Vater steckte, und nun, nachdem er all das wusste und sogar beweisen konnte, musste er die Klappe halten und darauf hoffen, dass Basti ebenfalls stillhielt. Er musste ihn so schnell wie möglich deswegen anrufen, sobald er ein paar Minuten allein war.
Und Mascha natürlich. Und Nic. Sie mussten ebenfalls schweigen.
Mascha und Nic. Ob sie schon zurück waren? Sein Brustkorb zog sich zusammen. »Kann ich mal das Telefon haben?«
Sein Vater reichte es ihm. Valentin tippte Bastis Handynummer ein. Mailbox. Wahrscheinlich war es genauso fetzenleer wie sein eigenes. Er versuchte es auf dem Festnetz. Ebenfalls nur der Anrufbeantworter.
»Basti, Val hier. Rufst du auf der Nummer mal zurück, wenn du was von Nic und Mascha hörst?«
Er legte das Telefon wieder auf den Nachttisch seines Vaters.
»Machst dir Sorgen, was, Junge?«
»Ja.«
»Das wird schon. Ich glaube nicht, dass Nic in Gefahr ist. Und diese Mascha – warum soll ihr jemand etwas Böses wollen? Du wirst sehen, in spätestens einer Stunde sind sie auch da.«
Valentin nickte. Was sollte er auch anderes tun, solange er nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken konnte? Sie hatten versprochen, die Wandmalereien in der Höhle nicht zu erwähnen, bis Basti und Luzie grünes Licht gaben. Daran würde er sich halten. Und ohne davon zu erzählen, ergab es keinen Sinn, seinem Vater zu erklären, dass es keinesfalls abwegig war, dass Mascha und Nic verfolgt und angegriffen würden, weil jemand ein Geheimnis zu wahren versuchte.
Er legte sich flach in das weiche Kissen. Schlafen. Das würde ihm guttun. Doch wie? Seine Gedanken kreisten um Mascha und Nic. Ihr Abschied. Pass auf dich auf. Sie hatte es ihm zugeflüstert, bevor sie losgestiefelt waren.
Hatten sie und Nic den Schwarzen Peter gezogen? Waren sie die Gruppe, die es nicht nach Hause schaffen würde?
3
Nic hörte das Knarzen jedes einzelnen Schrittes, das Zermalmen der Eiskristalle unter schweren Stiefeln. Männerstiefel? Jedes Krzzz drang überdeutlich in sein Ohr. Er zog Mascha näher zu sich. Der Mann dort oben durfte sie auf keinen Fall sehen. Falls er eine Waffe hatte, waren sie ihm ausgeliefert wie Schießbudenfiguren.
Die Schritte stoppten.
Genau über ihnen, als wüsste er, dass sie hier in Deckung gegangen waren. Ein Schatten legte sich über den schmalen Streifen Eis, der eben noch hell die Sonne reflektiert hatte. Er spürte, wie Mascha zusammenzuckte, und presste sich mit ihr dichter an die Wand.
Stille.
Nur der Schatten auf dem Eis vor ihnen bewegte sich, nervtötend langsam, ein Stückchen nach links, ein Stückchen nach rechts. Der Mann suchte nach ihnen. Doch um sie hier sehen zu können, müsste er sich tief in die Spalte beugen.
Immer noch Stille.
Der Schatten bewegte sich wieder. Nic wagte nicht, den Kopf zu heben und nachzusehen, ob der Mann sie entdeckt hatte, er wagte nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, selbst zu atmen wagte er nicht mehr.
Da verschwand der Schatten, wieder hörten sie knarzende Schritte, dann ein Schleifen. Ein dumpfer Schlag. Ein neuer Schatten verdunkelte das Eis vor ihnen. Er schaukelte wild hin und her und veränderte mit jeder Bewegung seine Form. Endlich verebbte das Schaukeln und der Schatten legte sich als fester dunkler Fleck auf das Eis.
Über ihnen herrschte erneut Stille. Keine Schritte, kein Knarzen.
Nic spürte Maschas Herzschlag, es pochte ebenso heftig wie sein eigenes. Da knirschten die schweren Schritte von Neuem. Sie bewegten sich zurück, die Gletscherspalte entlang zu dem Punkt, an dem der Mann seinen Einstieg gesetzt hatte.
Die Aufmerksamkeit auf die Geräusche über ihnen gerichtet, lockerte Nic seinen Klammergriff um Mascha. Sie sah ihn an, blickte nach oben und erstarrte. Er folgte ihrem Blick. Über ihnen schwebte ihr Rucksack, verfangen an der Eisschraube.
Dann ein Knirschen, das Schlagen von Metall auf Metall. Nic brachte seine Lippen an Maschas Ohr. Flüsterte. »Er holt die Schrauben und den Flaschenzug aus der Wand.«
»Ist das gut?«, flüsterte sie zurück.
Er zuckte mit den Schultern. Er wusste nicht, was der Mann vorhatte. Aber er wusste, dass sie weit davon entfernt waren, sich in Sicherheit wiegen zu können.
Nic legte seinen Kopf schief und lauschte. Nichts. Definitiv nichts. Er sah auf die Uhr. Der Mann hatte fast eine Stunde dort oben herumgefuhrwerkt. Aber nun herrschte Stille. Seit fast zwanzig Minuten keine Schritte, kein Klopfen, kein Schleifen. Er war weg. Außer er hatte sich auf die Lauer gelegt. Sie würden es erst wissen, wenn sie sich aus der Spalte wagten.
Vielleicht glaubte der Mann, dass sie die Leiche gesehen hatten und weitergegangen waren, den Rucksack nur hatten liegen lassen, um die Spalte zu markieren. Unsinn. Nic schüttelte den Kopf über sich selbst. Wem versuchte er, etwas vorzumachen? Wären sie weiter bergauf gelaufen, hätten sie ihm begegnen müssen. Und nach unten führten keine Spuren. Also war dem Mann klar, dass sie noch in der Spalte sein mussten.
»Haben wir jetzt lange genug gewartet?« Mascha fröstelte, obwohl sie mit unter seine Jacke geschlüpft war. Er rieb die Hände an ihrem Rücken auf und ab.
»Ich glaube, ja.«
»Dann lass uns gehen.«
Nic seufzte. Pest oder Cholera. Blieben sie hier, würden sie erfrieren. Stiegen sie hoch und der Mann lag auf der Lauer, konnte er sie problemlos überwältigen.
Allerdings enthielt die zweite Option wenigstens ein »falls«. Erfrieren würden sie in jedem Fall, angegriffen nur, falls der Mann noch da war.
Er ließ Mascha los und ging zum Seil. Zum ersten Mal in seinem Leben barg der Gedanke, an einem Seil hochzuklettern, mehr Hoffnung als Schrecken. Er griff nach dem Seil, befestigte die Steigklemme weit über seinem Kopf und zog sich hoch.
Überraschend gab das Seil nach. Er fiel rückwärts auf das Eis. »Weg!«, brüllte er. Das Seil schoss mit wilden Schlangenbewegungen auf ihn zu. Schützend riss er die Arme hoch, zog den Kopf ein und spürte den peitschenden Schmerz an seinem Schienbein, als es klatschend aufschlug.
»Verdammt!« Er kauerte auf dem Eis und hielt sich sein schmerzendes Bein.
Schon kniete Mascha neben ihm. »Bist du verletzt?«
Er schüttelte den Kopf. Sein Bein war nicht das Problem. Viel schlimmer war, dass das Seil nicht mehr in der Wand verankert war. Er hätte es wissen müssen. Der Mann wäre nicht gegangen, ohne sicherzustellen, dass sie ihm nicht folgen konnten. Ein Kinderspiel. Er hatte nur den Knoten lösen müssen, mit dem das Seil in der Eisschraube befestigt gewesen war. Und schon waren sie hier gefangen.
Kein Seil, kein Ausstieg.
Kein Ausstieg, keine Wärme.
Keine Wärme, kein Leben.
An Maschas schreckensweiten Augen sah er, dass sie begriffen hatte, wie dramatisch sich ihre Lage in nur einer Sekunde zugespitzt hatte.
4
»Möchtest du auch einen Tee?« Ohne die Antwort ihrer Mutter abzuwarten, brühte Luzie eine zweite Tasse auf und humpelte damit ins Wohnzimmer. Pizza und Tee vorm Fernseher, das war so ziemlich das Einzige, zu dem sie jetzt noch fähig war. Sie stellte eine der Tassen auf das Tablett ihrer Mutter und setzte sich mit der anderen aufs Sofa, pünktlich zu den Sechsuhrnachrichten. Ihre Augen folgten dem Geschehen auf dem Bildschirm, doch sie konnte sich kaum auf den Sprecher konzentrieren. Sechs Uhr. Eigentlich mussten Nic und Mascha inzwischen zurück sein. Seltsam, dass Basti noch nicht angerufen hatte.
Sie streckte sich, grapschte nach dem Telefon auf dem Fenstersims hinter sich und wählte Bastis Nummer. Anrufbeantworter.
»Hallo Basti, ich bin’s, melde dich bitte, wenn du was von Nic und Mascha hörst. Egal wie spät es ist, okay?«
Sie spürte den Blick ihrer Mutter und tat so, als würde sie dem Nachrichtensprecher lauschen. Bevor sie sich nicht mit den anderen abgesprochen hatte, war es das Beste, keine weiteren Fragen zu beantworten. Hoffentlich hielt Valentin dicht. Sein Vater war nicht der Typ, der so etwas auf sich beruhen ließ – gut möglich, dass er einknickte. Besonders nach dem Theater, das Basti und sie ihm vorgespielt hatten. Sie spürte, wie Röte in ihr aufstieg. Dieser verdammte Kuss. Nie in ihrem Leben würde sie den Moment vergessen. Bastis Blick. Seine Enttäuschung. Valentins Enttäuschung, als er begriff, was Bastis Auftritt bedeutete. Ich liebe dich, weil du so bist, wie du bist …Und ich wünsche mir so sehr, mit dir zusammen zu sein. Valentins Worte.
So hatte noch nie jemand zu ihr gesprochen. Ihre Wangen glühten. Schnell beugte sie sich über ihr Tablett und zerteilte die Pizza. Der Käse lief seitlich hinunter und floss in dünnen Fäden über den Teller.
Basti würde solche Worte in tausend Jahren nicht über die Lippen bringen. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn er sein Versprechen einlöste und ab jetzt offen zu ihr stand.
»Hör mal, Luzie«, begann ihre Mutter.
Luzie starrte demonstrativ auf die verheerenden Szenen im Fernseher. Überall auf der Welt Chaos. Nicht nur in Finstermoos. Sie steckte sich ein Stück Pizza in den Mund.
Ihre Mutter seufzte. »Ich weiß, dass du nicht über Basti und dich reden willst, aber –«
»Da gibt es nichts zu reden. Ich lasse mir nicht länger vorschreiben, mit wem ich befreundet sein darf. Was ihr getan habt, ist unglaublich. Ich will darüber nicht einmal nachdenken!« Zorn kochte in ihr hoch. Brodelnd. Schäumend. All die Jahre diese Farce! »Ins Internat, damit ich Basti nicht sehe! Ihr spinnt doch!« Ihre Gabel schlug klirrend auf den Teller.
»Das Problem ist –«
»Dass ihr euch in Dinge einmischt, die euch nichts angehen«, vollendete Luzie den Satz ihrer Mutter. »Ihr führt euch auf wie im neunzehnten Jahrhundert.«
»Das Problem ist, dass der Hauptleidtragende Basti sein wird, wenn Papa seine Drohung wahr macht und Franz’ Geheimnis ausplaudert.«
Basti? Luzie zog ihre Nase kraus. Was sollte das nun wieder? Der Streit herrschte doch zwischen ihrem Vater und Franz.
»Um was geht’s hier eigentlich?«
Ihre Mutter schüttelte bedauernd den Kopf. »Das darf ich dir nicht sagen.«
»Ach! Aber Papa darf Basti fertigmachen.«
»Für Papa bist nur du wichtig. Er sorgt sich um dich.«
»Pf, Sorge! Darauf kann ich gern verzichten!« Es wurde Zeit, dass ihr Vater endlich losließ. Sie war kein Kind mehr. Sie biss von der Pizza ab. »Wo ist er eigentlich?«
»Gestern war er auf der Rüblikopfhütte.« Ihre Mutter sah zur Tür, als würde sie jeden Moment mit ihm rechnen. »Er ist wütend, weil du mit Valentin und Basti los bist. Ich hatte gehofft, er merkt es nicht, aber jemand vom Kronenhof hat sich verplappert.«
Schweigend kaute Luzie ihre Pizza. Sorgen schien ihre Mutter sich nicht zu machen. Es war auch nicht das erste Mal, dass ihr Vater ein paar Tage in den Bergen verschwand. Genau genommen tat er das meistens, wenn sie Krach hatten. Er kannte jede Hütte und jeden Unterschlupf und überall hatte er Notrationen deponiert, falls er von einem Unwetter überrascht wurde und am Berg bleiben musste.
Und doch war die Reaktion ihrer Mutter diesmal anders. Als wäre es ihr egal, wenn ihr Vater nicht mehr zurückkäme. Ein Stich durchfuhr sie. Und ihr selbst? Wäre es ihr auch egal? Sie hielt mitten im Kauen inne. Nein. Wenn ihm etwas zustoßen würde, das wäre schrecklich.
»Weißt du, Schatz«, setzte ihre Mutter erneut an, »ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das alles tut. Ich habe so viel falsch gemacht und ich habe viel zu oft die Augen zugedrückt, weil ich dachte, das wäre die Strafe dafür, dass ich meine Tochter weggegeben habe.«
»Aber –«
»Lass mich ausreden, bitte.« Ihre Mutter stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab und faltete die Hände in ihrem Schoß. »Ich habe den Grabenkrieg zwischen Papa und Franz all die Jahre mitgetragen, weil ich mein eigenes Geheimnis hatte und nicht von Papa verlangen konnte, seines zu lüften, solange ich selbst nicht dazu bereit war. Ich weiß, das ist schwer zu verstehen, aber ich hatte damals einfach Angst vor Papas Reaktion. Philip Becker war ohnehin ein rotes Tuch für ihn. Aber damit ist jetzt Schluss. Sobald Papa nach Hause kommt, werde ich ihm von Alex erzählen, und wenn er dann noch drei Monate in den Bergen schmollt, ist das sein Bier.«
Luzie runzelte erstaunt die Stirn. Diese Tonart kannte sie von ihrer Mutter nicht.
»Und was Basti betrifft: Von meiner Seite aus ist er hier willkommen, aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich Papa davon abhalten kann, seine Drohung wahr zu machen. Damit bringst du Basti in die Schusslinie. Das muss dir klar sein.«
»Aber was …« Luzie brach die Frage ab. Es war sinnlos, sie zu stellen, am Kopfschütteln ihrer Mutter erkannte sie, dass sie die Antwort darauf nicht erfahren würde.
5
Der Eisbrocken schlug gegen den Rucksack, prallte ab und fiel auf den Boden zurück. Nic hob ihn auf. Der Rucksack schaukelte noch ein wenig, dann hing er wieder bewegungslos an der Schraube.
»Wie oft willst das noch versuchen?« Mascha sammelte den Brocken auf und warf ihn zu ihm. »Du kriegst den Rucksack nicht von der Schraube. Du erreichst nur, dass er seitlich hin und her wackelt.«
»Aber den Schlafsack krieg ich runter.« Nic zielte auf den Schlafsack, der bereits zu knapp zwei Dritteln aus seiner Befestigung am Rucksack heraushing. Der Eisklumpen verhedderte sich darin und riss ihn ein Stück weiter mit. Den Schlafsack abzuschießen, brachte sie nicht hier raus, aber er würde sie warm halten und das war das Wichtigste, solange sie keinen Plan hatten, wie sie sich aus der Gletscherspalte befreien konnten. Er warf drei weitere Klumpen hinterher, dann fiel der Schlafsack endlich herab.