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Die neue Romanserie zu Joss Whedons kultiger Sci-Fi-TV-Saga! Im Auftaktband wird Captain Malcolm Reynolds von verbitterten ehemaligen Kriegskameraden entführt und während die Crew der Serenity nach ihrem Skipper sucht, muss ein anderes Mannschaftsmitglied vor Gericht um sein Leben fürchten. Die Firefly-Fortsetzung in Romanform!
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Seitenzahl: 446
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AUSSERDEM BEI PANINI ERHÄLTLICH
Serenity – Zwischen den Welten: Bessere Zeiten
Comicband 1 – ISBN 978-3-86607-984-7
Serenity – Zwischen den Welten: Blätter im Wind
Comicband 2 – ISBN 978-3-95798-228-5
Serenity – Zwischen den Welten: Shepards Geschichte
Comicband 3 – ISBN 978-3-95798-716-7
Serenity – Zwischen den Welten: Keine Macht im Universum
Comicband 4 – ISBN 978-3-7416-0282-5
Nähere Infos und weitere Bände unter:
www.paninibooks.de
Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Titel der Amerikanischen Originalausgabe: „FIREFLY: BIG, DAMN HERO“ by James Lovegrove, published by Titan Books, UK, November 2018
FIREFLY TM AND © 2019 TWENTIETH CENTURY FOX FILM CORPORATION. ALL RIGHTS RESERVED.
Deutsche Ausgabe 2019 by Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.
Geschäftsführer: Hermann Paul
Head of Editorial: Jo Löffler
Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: [email protected])
Presse & PR: Steffen Volkmer
Übersetzung: Claudia Kern
Lektorat: Mathias Ulinski
Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart
Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln
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ISBN 978-3-7367-9961-5
Gedruckte Ausgabe:
1. Auflage, Februar 2019, ISBN 978-3-8332-3771-3
Findet uns im Netz:
www.paninibooks.de
PaniniComicsDE
So sieht’s aus …
Seit ungefähr einem Monat pfeifen wir aus dem letzten Loch. Zoë und mich hat es am schwersten getroffen; wir haben den Sarg unseres Kameraden Tracey Smith aus der Serenity durch den Schnee zu seiner Familie getragen, die stumm zusah. Wir sagten ihnen nicht, dass Tracey bei einer Bande Organschmuggler in Ungnade gefallen war und bei uns Zuflucht gesucht hatte. Oder dass er uns angelogen und beinahe Kaylee umgebracht hätte. Oder dass Zoë und ich auf ihn geschossen hatten. Als er in unseren Armen starb, erinnerte er sich an die Zeit, als wir Soldaten waren. Wir hatten auf der richtigen Seite gestanden, auch wenn es die Verliererseite war, und wir hatten unser Leben riskiert, um alle nach Hause zu bringen. Jetzt ist er tot, und wir haben seinen Verwandten erzählt, dass er ein Kriegsheld war.
Krieg bringt eine Menge Böses. Er bringt die Leute dazu, ihren Zorn mit sich herumzutragen. Er bringt sie dazu, Rache zu schwören. Oder Geschichten darüber zu erzählen, wie die Browncoats geschlagen wurden.
Und vieles geht bei den Nacherzählungen verloren.
Der Vereinigungskrieg endete 2511. Jetzt haben wir 2517 und die Erinnerungen überkommen mich in Wellen. Manchmal bin ich wieder zu Hause auf Shadow und melde mich gerade mit meinen beiden besten Freunden, Jamie Adare und Toby Finn, freiwillig zu den Browncoats. Wir waren so jung, fast noch Kinder. Wir dachten, Krieg bedeutet Freiheit und Ruhm. Und manchmal träume ich von Jamies Schwester Jinny, und wenn ich aufwache, ist mein Herz so hohl wie eine Trommel.
Doch das alles ist längst vorbei und ich habe mehr als genug mit dem Hier und Jetzt zu tun. Inara starrt manchmal so sehnsüchtig in die Ferne – keine Ahnung, was das zu bedeuten hat, aber ich weiß, dass ich sie besser nicht danach fragen sollte. Die Tams sind noch an Bord, und seit wir Medikamente und medizinische Hilfsmittel auf Osiris bekommen haben, versucht Jayne nicht mehr, sie zu verraten. Wenigstens etwas. Shepherd liest immer noch sein Märchenbuch. Zoë ist immer noch mein Erster Offizier, und ich würde auch wahrlich niemand anders wollen. Kaylee sorgt dafür, dass das Schiff funktioniert, und Wash sorgt dafür, dass es fliegt.
Ist das ein gutes oder ein schlechtes Leben? Die Antwort spielt keine Rolle.
Wir haben kein anderes.
Captain Malcolm Reynolds
Wieso kann nichts einfach sein?, fragte sich Mal Reynolds, als er die Kommunikation mit der Gilde der Schiffsbauer beendete. Nach einer Woche im Trockendock war das Shuttle fast vollständig repariert und mit dem richtigen Werkzeug hätte Kaylee den Rest selbst erledigen können. Doch dieses Werkzeug konnten sie sich nicht leisten. Und die Reparaturen waren deutlich teurer als im Kostenvoranschlag beziffert. Natürlich. Wäre trotzdem schön, das Shuttle zurückzubekommen. Bei dem Miet-Shuttle, das sie von der Gilde bekommen hatten, war der Einspritzregulator kaputt, und es schluckte Sprit wie ein Säufer Bier.
Mal hielt sich im Laderaum der Serenity auf, und obwohl die Reparaturzahlung drohend am Horizont stand und er wochenlang verzweifelt nach einem Job gesucht hatte, irgendeinem Job, kamen ihm nun Zweifel, ob er diesen annehmen sollte. Ohrenbetäubende Alarmglocken in seinem Kopf ließen ihn um die Sicherheit und das Leben seiner Besatzung fürchten.
Das Dröhnen rund um den offenen Laderaum der Serenity nahm bedrohliche Ausmaße an, als Frachter und private Raumschiffe gleichzeitig rechts und links von ihm starteten und landeten. Die Vibrationen waren so heftig, dass die Rampe, die zum Laderaum führte, geradezu durchgeschüttelt wurde. Die donnernden Triebwerke wirbelten Dreck und kleine Steine durch die Luft, die auf den Rumpf prasselten.
Die Zustände auf der Eavesdown-Dockanlage von Persephone ließen sich nur mit einem Begriff beschreiben: organisiertes Chaos. Nun ja, nicht besonders gut organisiert. Ausgebrannte Schiffswracks, die in von ihnen selbst verursachten Kratern lagen, säumten die riesige Dockanlage. Es war ein gorramn Wunder, dass es in der Luft nicht häufiger zu Kollisionen kam.
Man hätte glauben können, dass Persephone dank des zollpflichtigen Handels und der Gebühren, die die Schiffe zahlen mussten, eine reiche Welt war, aber dem war nicht so. Die Allianz besteuerte Personen und Firmen mit hämischer Gier. Und wie reagierten die Persephonianer darauf? Indem sie den Tag feierten, an dem sie ihr Leben weggeworfen und sich der Allianz angeschlossen hatten. Das Jubiläum fand an diesem Tag statt. Und wie feierte Mal ihn? Indem er einen weiteren Auftrag von Badger annahm.
Der schmierige Anführer einer kleinen Verbrecherbande war bereit, ihnen dafür einen dürftigen Lohn zu zahlen, dass sie seine gefährliche Fracht durch die halbe Galaxie transportierten und dabei ihr Leben riskierten. Das klang verdächtig nach dem letzten Auftrag, den sie von ihm angenommen hatten. Da war es eine Rinderherde für Sir Warwick Harrow. Die Kühe waren wohlbehalten auf Jiangyin angekommen, zumindest bis die Schießerei losging, bei der Shepherd Book so schwer verletzt wurde, dass er beinahe gestorben wäre. Diese Fracht unterschied sich jedoch von der jetzigen, denn wenn mit ihr etwas schiefging, würden sie alle ihr Leben verlieren.
Parallel zu Badgers Auftrag hatten sie noch einen kleinen Nebenjob angenommen. Mal, Jayne und Zoë würden sich um ihn kümmern, sobald Badgers Fracht verladen worden war. Dazu mussten sie Taggarts Bar aufsuchen, die wüsteste Spelunke auf Persephone, und das am wüstesten Tag des Jahres, dem Tag der Allianz.
So viel zum Thema explosive Mischung.
Knapp zwei Meter entfernt sagte Zoë etwas zu Mal oder versuchte es zumindest, denn sie flüsterte, damit sie niemand belauschen konnte. Zoë war eine Frau, die leise sprach, aber laut schoss. Mal winkte sie heran. Sie ging mit vor der Brust verschränkten Armen zu ihm und beugte sich so weit vor, dass er spürte, wie ihr Atem über sein Ohr strich.
„Das gefällt mir nicht, Sir“, sagte sie abgehackt.
„Ist notiert“, sagte Mal. Ihm gefiel es auch nicht, aber wenn man nur die Wahl zwischen etwas Schlechtem und nichts hatte, dann lächelte man breit und bedankte sich.
Der Gabelstapler hinter den beiden Browncoat-Veteranen ächzte unter der übergroßen Last, die er die Rampe hinauf in den Laderaum beförderte. Das Gewicht drückte so sehr auf die Vorderreifen, dass er fast auf den Felgen fuhr, und sein Auspuff stieß schwarzen Rauch aus. Die Metallkiste war so schwer, dass sich die Gabel unter ihr bog, als wäre sie aus Gummi. Die Kiste war nach vorn gerutscht und wurde nur noch von den Spitzen der Gabel gehalten.
Zoë und Mal wichen mit grimmigem Gesichtsausdruck zurück. Zoë hatte ihre rotbraunen lockigen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug wie immer ihre Lederhalskette über der Lederweste. Mals Haare waren etwas länger, als es die Armeevorschriften verlangten, und er trug seine Hose mit dem Streifen an der Außenseite, die üblichen Hosenträger und ein rotes Flanellhemd, das er in die Hose gesteckt hatte. Er und Zoë hatten die Daumen in ihr Waffengürtel gehakt und sahen aufmerksam zu, wie der letzte von insgesamt fünf Stahlbehältern von dem mühsam dahinkriechenden Gabelstapler über das Schiffsdeck gefahren wurde.
Ebenso aufmerksam beobachteten zwei von Badgers Männern Mal und Zoë von der anderen Seite des Laderaumeingangs. Ihre Hände schwebten über dem Griff ihrer Waffe. Einem Geschäftspartner zu vertrauen war so, wie sich bei einer Klapperschlange darauf zu verlassen, dass sie nicht zubeißt: ehrenwert, aber einfältig.
Hinter den kräftigen Schlägern stand der großspurige Ganove. Badgers Geschäftskleidung bestand aus einer schwarzen Melone, einer abgewetzten Anzugjacke mit Weste, einem weißen T-Shirt, einer schief sitzenden Seidenkrawatte und einem Anstecker am Revers, der wie ein Flamingo geformt war und aus falschem Gold und ebenso falschen Edelsteinen bestand. Badger, dessen Gesicht an das eines Nagetiers erinnerte, war mürrisch, stur und hart, manchmal jedoch auch irritierend herzlich. Genau das trat an diesem Tag besonders deutlich hervor, was sofort Mals Misstrauen erregte.
Der Ganove schien seinen Teil der Abmachung zwar einzuhalten, doch Mal vermutete, dass Badger versuchen würde, ihn irgendwie zu übervorteilen. Würde alles glattlaufen, wäre es auch kein Auftrag wie üblich.
„Schön langsam und vorsichtig neben den anderen Kisten absetzen“, befahl Badger dem Gabelstaplerfahrer. Dann strahlte er Mal an und zeigte ihm seine krummen gelben Zähne. „Mit dem schwierigen Teil sind wir fast durch.“
„Was war noch mal der schwierige Teil?“, fragte Mal. „Die Fracht zu verladen oder darüber hinwegzukommen, dass Sie uns immer noch nicht für die Kühe bezahlt haben, die wir nach Jiangyin gebracht haben?“
„Mal, Mal, Mal.“ Badger klang so liebenswürdig, dass es Mal zur Weißglut trieb und sein Zeigefinger zuckte, als berührte er den Abzug seiner Pistole. „Sind Sie immer noch sauer deswegen?“
„Ziemlich.“
„Okay, das Ding ist khazi gelaufen. Kann keiner was für. So was passiert manchmal. Geschäft ist Geschäft.“
„Ich glaub nicht, dass Sie das Wort so verstehen wie ich.“
„Wissen Sie, was das hier ist?“, sagte Badger und zeigte in Richtung der Kisten. „Wiedergutmachung. Falls es Ihnen nicht aufgefallen ist: Ihr Honorar liegt deutlich über dem, was man normalerweise für so ’nen simplen Transport von einem Planeten zum nächsten bekommt, Reynolds. Wenn das erledigt ist, sind wir quitt.“
„Wäre mir lieber gewesen, wir wären damals schon quitt gewesen.“
„Was soll ich sagen? Es gab einen finanziellen Engpass.“
„Den hatte ich auch, noch mehr, nachdem ich mein Geld nicht bekommen hab.“
„Aber das ist Vergangenheit. Jetzt sind wir wieder Kumpel, richtig?“
Mal knurrte. Er war sehr wählerisch, wenn es um seine „Kumpel“ ging, und Badger würde er nie in diesen erlesenen Kreis aufnehmen.
„Sir“, flüsterte Zoë Mal energisch ins Ohr. „Ich will nicht die Pferde scheu machen …“
„Dann lass es, Zoë.“
„Aber ich sag’s noch einmal, das ist keine gute Idee. Die Fracht ist zu explosiv.“
„Ich weiß, ich weiß“, erwiderte Mal.
Die Kisten waren nicht riesig, vielleicht einen Meter fünfzig mal einen Meter fünfzig, aber sie waren bis zum Rand mit Chemikalien vollgestopft, die man beim Bergbau benötigte.
Sprengstoff.
Hochspezialisierter, hochexplosiver Sprengstoff.
Um genau zu sein, handelte es sich bei der Substanz in den Kisten um eine Kristallverbindung namens HTX-20, eine Abkürzung, die laut Badger für einen langen und komplizierten wissenschaftlichen Namen stand. Als Shepherd Book hörte, welchen Auftrag ihnen Badger anbot, erklärte er Mal, dass er wisse, worum es sich bei HTX-20 handle, und sein Gesichtsausdruck machte deutlich, was er von diesem Zeug hielt.
„Das nennt man nicht umsonst Satans Schneeflocken“, hatte Book hinzugefügt, und Mal hatte sich einmal mehr gefragt, woher ein Mann Gottes solche Dinge wusste.
Badger hatte Mal versichert, dass das HTX-20, solange es in der feuerfesten Styroporisolierung verblieb, mit der die Kisten ausgekleidet waren, keinerlei Gefahr darstellte. Außer natürlich, wenn es mit Wasser in Berührung kam. Oder zu heiß wurde. Oder herumgestoßen wurde. Aber abgesehen davon würde es garantiert nicht explodieren.
Mal ging davon aus, dass Badger die Gefahren, die mit dem Auftrag verbunden waren, nicht untertrieb. Schließlich profitierte er am meisten davon, wenn die Fracht ihr Ziel erreichte, die Rhodium-Mine auf Aberdeen. Trotzdem hielt er inne, als er die schwarz-gelben Gefahrengutstreifen sah, die die Kisten wie ein Hornissenschwarm bedeckten, und darüber die zahlreichen Aufkleber mit Warnhinweisen wie:
ACHTUNG – HOCHEXPLOSIV
INHALT DARF NICHT MIT FLÜSSIGKEITEN IN BERÜHRUNG KOMMEN
ACHTUNG – NICHT TEMPERATUREN ÜBER 100 GRAD AUSSETZEN
ACHTUNG – ZERBRECHLICH
Anders gesagt: Behandle diese Kisten wie neugeborene Babys, sonst wird das Leben schnell uninteressant werden, weil es dann vorbei ist. Mal hasste nichts mehr als Überraschungen, und eine plötzliche Explosion zählt zu den schlimmsten Überraschungen, die man sich vorstellen konnte. Ungefähr so wie eine unerwartete Ehe.
Er schüttelte die negativen Gedanken ab und sah, wie Zoë zusammenzuckte, als der Gabelstapler ihren improvisierten Basketballkorb nur knapp verfehlte. Die Gabel des Fahrzeugs hielt noch, aber es war offensichtlich, dass die Kisten eigentlich zu schwer für sie waren. Mal konnte diesen Auftrag nicht schnell genug hinter sich bringen.
Persephone, ein mittelgroßer Planet am Rand des Sonnensystems der Weißen Sonne, fungierte der Serenity als Art Basis bei manchmal notwendigen persönlichen Treffen. Hier schüttelte man Hände und nahm Fracht auf, schmuggelte hin und wieder auch mal versehentlich ein wahnsinniges, kryogenisch eingefrorenes Genie. River Tam, ein mittlerweile vollständig aufgetautes wahnsinniges Genie lebte sogar an Bord beziehungsweise hüpfte meistens wie ein Gummiball zwischen den Wänden umher. Ihr Bruder Simon fühlte sich auf dem Planeten gelinde gesagt unwohl und nahm seine Schwester noch mehr in Schutz als sonst. Selbst draußen in der Schwärze rechtfertigte er die unberechenbaren Gefühls- und Gewaltausbrüche seiner Schwester gerne damit, dass die Allianz ihr den Verstand geraubt hatte. River konnte also nichts dafür. Mit dieser seltsamen Strategie wollte er anscheinend erreichen, dass Mal River weiterhin erlaubte, an Bord zu bleiben. Doch Mal war es ziemlich egal, warum River wahnsinnig war. Ihn interessierte nur, dass sie wahnsinnig war.
Mal hatte Simon empfohlen, River zu verstecken, solange Badger in der Nähe war, und Simon hatte den Rat nur zu gerne angenommen. Die Allianz verbreitete hin und wieder durch den Cortex, dass sie auf der Suche nach einem geflohenen Geschwisterpaar sei. Bisher schien Badger jedoch nicht zu ahnen, dass er mit der Auslieferung der Tams wesentlich mehr Geld verdienen könnte als mit dem Transport von Kühen oder Sprengstoff.
Das Leben war ziemlich kompliziert geworden. Allein deshalb zog Mal das All vor. In der stillen schwarzen Leere fühlte er sich wohl. Doch es war nicht immer praktikabel. Er musste wenigstens ab und zu landen, um Vorräte aufzustocken und Geld zu verdienen.
Persephone war noch nie eine besonders behagliche Welt, doch seit der Niederlage der Browncoats hatten sich die Zustände drastisch verschlimmert. Die Slums hatten sich ausgebreitet wie Fäulnis in einem überreifen Pfirsich und mit ihnen der Gestank, der über den baufälligen, verwahrlosten Hütten hing. Die Stromversorgung war in diesen Vierteln eingestellt worden, weil ihre Bewohner nicht mehr dafür bezahlen konnten. Nun kochten sie über offenem Feuer und wärmten sich auf an brennenden Fässern. Stinkender Rauch vernebelte den Himmel und verlieh ihm eine blassgelbe Farbe. Um zu überleben, mussten viele Menschen alles stehlen, was sie nicht durch Tausch bekommen konnten. Anständige Bürger schlurften mit eingefallenen Wangen und ängstlich zu Boden gerichtetem Blick neben unerträglich selbstgefälligen, in Satin und Seide gehüllten Reichen her, die ihren Überfluss zur Schau stellten, als hätten sie ihn von Gott persönlich bekommen – nicht, dass es einen Gott gab, jedenfalls nicht für Mal, nicht mehr.
Und wenn es ihn gibt, ist er auf meinem Schiff nicht willkommen, dachte Mal.
Diese planetenweite Gesetzlosigkeit hatte jedoch auch Vorteile; sie erleichterte Mal die Suche nach Aufträgen, die zu ihm passten – hauptsächlich der Schmuggel von Waren, die in der Allianz verboten waren oder unverhältnismäßig hoch besteuert wurden, so etwas in der Art –, und ermöglichte ihm dank einer korrupten, unmotivierten Polizei eine schnelle Flucht, wenn ein Geschäft einmal in die Hose ging.
Vor dem offenen Laderaum breitete sich die Eavesdown-Dockanlage in all ihrer verrosteten, grimmigen Schönheit aus. Die gelbstichige Atmosphäre stank so sehr, dass man fast schon auf diesem unverdaulichen dicken Eintopf aus Raketenabgasen, verbranntem Müll, vergossenem Raketentreibstoff, ungewaschenen Menschen und Tieren und Bergen von gekochten Proteinriegeln kauen konnte. Schiffe, die hier landeten oder in die Schwärze zurückkehrten, wirbelten vergilbte Zeitungen und Styroporteller mit Essensresten auf. Am Rand der Dockanlagen drehten sich bunte Papierschirme. Hunde in den verschiedensten Größen, die zu unbestimmbaren Rassen gehörten, liefen in Rudeln durch die von Schlaglöchern übersäte Straße. Ständig wurde gehupt, oder war das vielleicht ein Esel, der iahte? Hier und da bestachen zwielichtige Schiffskommandanten ganz selbstverständlich Zollbeamte, und Horden verdreckter Menschen krochen wie Ameisen über die Trümmer der Zivilisation. Manche wollten Arbeit, andere Ärger. Mal gestand sich ein, dass er selbst nicht genau wusste, was er im Moment bevorzugte.
Hoban Washburne, Pilot der Serenity und Zoës Ehemann, war nach Schiffszeit am frühen Morgen auf der Dockanlage gelandet. Doch auf Persephone war es bereits halb sechs Uhr abends. Das ohnehin kränklich und traurig wirkende Tageslicht ließ langsam nach und die einsetzende Dämmerung hatte die Farbe eines Blutergusses. Sie waren erst seit einer Dreiviertelstunde auf dem Planeten, aber Mal kam jede Minute, die er mit Badger verbringen musste, wie eine Ewigkeit vor. Er wusste nicht, welcher Aspekt dieses Mannes ihm am meisten auf die Nerven ging – die aggressive Prahlerei, die engstirnige Dummheit oder das fröhliche Auftreten, hinter dem sich eine Persönlichkeit verbarg, die schlichtweg durch und durch verlogen war. Jedenfalls wurde Mal zunehmend dünnhäutiger. Mühsam wandte er den Blick von Badger ab.
„Sir“, drängte Zoë. „Die ganzen Warnaufkleber, Sir?“
„Was für Warnaufkleber? Ich sehe keine.“
„Die, auf die Sie böse Blicke richten, seit die erste Kiste hier abgeladen wurde.“
„Ach, die Warnaufkleber. Leute übertreiben es manchmal. Wegen der Haftbarkeit und so. Die müssen sich absichern.“ Mal versuchte, überzeugend zu klingen, kaufte sich das aber selbst nicht ab.
„Ja, Sir“, sagte Zoë. „Aber was die Flüssigkeiten angeht, Sir. Wenn der Inhalt der Kisten mit Wasser in Kontakt kommt, fliegt er in die Luft. Steht da. Und letzte Woche war doch die Toilette oben beim Freizeitbereich verstopft …“
„Darum hat sich Kaylee doch längst gekümmert“, rief er ihr ins Gedächtnis. „Und nichts ist in die Nähe des Laderaums gelangt.“
„Das stimmt, aber trotzdem …“
„Und die Kisten sehen stabil und wasserdicht aus“, unterbrach sie Mal. Er klang immer noch nicht sehr überzeugend.
„Ganz langsam“, sagte Badger warnend, als der Gabelstapler über das Deck kroch mit seiner Last, die der Radaufhängung nicht guttun konnte.
Alles lief planmäßig und dann auf einmal nicht mehr.
Vielleicht war der Stahl der rechten Gabel schon vor dem Transport der Kisten beschädigt gewesen, vielleicht war er dabei beschädigt worden, jedenfalls gab er plötzlich nach und knickte mit einem haarsträubenden Kreischen nach unten weg. Diese Seite der Kiste sackte ebenfalls herab und rutschte von der noch intakten Gabel. Sie krachte mit einer Kante auf das Deck und kippte dann mit einem gewaltigen Knall, den Mal bis in die Knochen spürte, um. In Panik sprang der Gabelstaplerfahrer aus seinem Gefährt, während Badger in die Hocke ging, die Augen zukniff und sich die Hände auf die Ohren presste.
„Tā mā de!“, brüllte Mal.
Sekunden vergingen.
Und noch ein paar weitere.
Nichts geschah.
„Ups, tut mir leid“, sagte Badger unbekümmert und ließ die Hände von den Ohren sinken. „Lassen wir sie doch einfach da liegen. Währenddessen warte ich darauf, dass sich mein Schließmuskel wieder entspannt.“ Er nickte dem Fahrer scharf zu, der daraufhin in den Gabelstapler stieg, den Rückwärtsgang einlegte und rasch zurücksetzte. Badger zog etwas unter seiner Jacke hervor, das wie eine Warenliste aussah, und blätterte sie durch.
Zoë seufzte.
„HTX-20 explodiert doch erst, wenn man es zu sehr herumstößt, richtig?“, hakte Mal nach.
„Das stimmt. Oder wenn es nass oder heiß wird oder all das andere Zeug. Das sind wir doch durchgegangen, oder? Brauchen Sie einen Auffrischungskurs?“
„Nein, aber die Kiste hat einen ziemlich schweren Schlag abbekommen. Woher wissen wir, dass da drin noch alles in Ordnung ist?“
Badger sah ihn an, als wäre Mal nicht der Hellste. „Wir leben noch.“
Dem ließ sich nur schwer widersprechen.
Als hätte Mal noch nicht genug Probleme, tauchte in diesem Moment River Tam auf dem Laufsteg oberhalb des Laderaums auf.
„Die Kiste will tanzen“, verkündete sie, während sie die Stufen hinunterschlurfte. Sie trug ihren pinken Pullover, einen zerknitterten Rock und wadenhohe Stiefel. In einer Hand hielt sie eine Bambusflöte.
„Geh lieber wieder rauf“, sagte Mal, wobei er darauf achtete, ihren Namen vor Badger und seinen Leuten nicht zu erwähnen. „Der Laderaum ist gerade geschlossen. Dāng ma?“
River schob schmollend die Unterlippe vor. Mal nahm an, dass das Leben auf einem Raumschiff für einen Teenager langweilige Momente haben konnte. Oder langweilige Tage. Oder langweilige Wochen. Doch sie war nicht nur ein Teenager. Sie war eine Jugendliche, die sich selbst Beschäftigung suchte, doch diese war oftmals weder sicher noch harmlos. Meistens reagierte man darauf mit Sätzen wie „Was zur heiligen Hölle ist da gerade passiert?“.
Mal warf Badger einen kurzen Blick zu. Der beobachtete den Austausch sichtlich amüsiert, während er sich den Dreck unter den Fingernägeln rauspuhlte.
„Die Kleine hat ’n Dyton-Akzent so wie ich“, sagte Badger. „Hör ich doch richtig, oder?“
„Worauf Sie einen lassen können“, erwiderte River mit genau diesem Akzent. „Hab Sie ja schon seit ’ner Ewigkeit nich mehr gesehn, alter Sack. Passen Sie auf den Dreck auf“, fügte sie hinzu und deutete mit dem Kinn auf Badgers Hand. „Wir mögen hier keinen Schmutz.“
„Ey, riskier nich so ’ne dicke Lippe“, schmetterte Badger sie ab, aber in Wirklichkeit hatte er seit ihrer letzten Begegnung, als er die Besatzung festgehalten hatte, eine Schwäche für River. „Hab mich heute gewaschen. Sogar hinter den Ohren.“
„Nee, ich meine Ihre DNA“, sagte River. „Wenn wir untersucht werden, finden die Sie.“
„Nett von dir, darauf zu achten“, sagte Badger leise lachend. „Aber meine Seite des Geschäfts ist völlig legal.“
Mal wandte sich an Badger. „Sie wissen, wie’s läuft. Die Hälfte jetzt, den Rest bei Lieferung.“ Mal streckte die Hand aus. Badger ließ einen Beutel mit klimpernden Münzen auf seine Handfläche fallen.
„Fühlt sich ein bisschen leicht an“, sagte Mal. In Wirklichkeit fühlte er sich genau richtig an. Schwierige Kunden wie Badger erwarteten, dass man Stress machte, auch wenn das unnötig war.
„Ist alles drin“, sagte Badger und plusterte sich empört auf.
„Vielleicht sollte ich nachzählen, nur zur Sicherheit“, erwiderte Mal. „Jeder macht mal einen Fehler.“ Er schüttete die Münzen nicht aus. Er starrte Badger nur an. Der Gangsterboss blinzelte zwar nicht, aber nach rund fünfzehn Sekunden zuckte ein Muskel in seiner linken Wange.
Da dieser Punkt an Mal ging, steckte er den Beutel zufrieden in seine Tasche, ohne das Geld zu zählen.
Badger grinste und zeigte dabei wieder seine verfärbten, krummen Vorderzähne. „So“, sagte er. „Wenn wir hier fertig sind, mache ich mich wieder auf den Weg in die Stadt. Heute ist der Tag der Allianz, da werde ich eine Menge Schwarzgebrannten, Engelstränen und anderes nettes Zeug umsetzen. Ich nehme an, Sie haben zu viel zu tun, um in die Stadt zu gehen.“
„Wie kommen Sie denn auf die Idee?“, fragte Mal. Er hatte den Eindruck, dass Badger ihn ausfragen wollte. Es war besser, ihm keine unnötigen Informationen zu geben.
„Hab ich mir halt so gedacht.“ Badger stopfte die Warenliste zurück in seine Tasche.
„Kümmern Sie sich lieber um Ihren Schnaps“, sagte Mal. „Und um Ihre eigenen Angelegenheiten.“
Unbeeindruckt schlenderte Badger zum Rand der Rampe und winkte den Staplerfahrer heran. Der Gabelstapler gehörte zur Serenity und verblieb an Bord. Dann verließ Badger mit seinen beiden Schlägern das Schiff. Einer der Männer setzte sich ans Steuer eines verbeulten Landspeeders, der neben der Rampe stand. Badger stieg neben ihm ein und winkte Mal und Zoë zu, als wäre er der König von Londinium.
„Vielleicht sehen wir uns ja in der Stadt“, rief Badger, als der Motor des Speeders laut aufheulte. „Dann können wir auf einen völlig unnötigen, aber letztendlich unfassbar profitablen Krieg anstoßen.“
„Oder es lassen“, sagte Mal.
„Der Krieg ist vorbei, Captain“, rief ihm Badger ins Gedächtnis. Er grinste Mal an. „Zumindest offiziell.“
Mal antwortete nicht. Leute neigten dazu, ihn an Dinge zu erinnern, die er längst wusste.
Dann tuckerten Badger und seine Lakaien davon und hinterließen graue Abgaswolken, die in die trübe Luft aufstiegen. Mal wusste, dass er dazu neigte, Badger zu unterschätzen, weil der so gorramn dumm war. Aber dumm und gefährlich schlossen einander nicht aus.
Wie man an Jayne sehen konnte.
„Das hätten wir“, sagte Zoë spürbar erleichtert. „Kümmern wir uns um den anderen Job.“
„Wir werden nichts tun, was zu Ermittlungen oder einer Verhaftung führen könnte“, wies Mal Zoë streng an. „Wir werden keine Aufmerksamkeit erregen.“
„Natürlich nicht, Sir“, sagte Zoë.
„Gut“, sagte Mal. „Dann gehen wir jetzt in die Stadt und zerlegen eine Bar.“
Sie hob die Augenbrauen.
„Kleiner Scherz“, sagte er. „Jayne, bist du so weit?“
Jayne Cobb schlenderte in den Laderaum. Er zog die Ohrenklappen seiner gelb-orange gestreiften Pudelmütze herunter und zupfte die Bommel zurecht. Seine Mutter, die kaum lesen und schreiben konnte und Jayne abgöttisch liebte, hatte ihm diese hübsche Kopfbedeckung gestrickt, und sie gehörte zu den wenigen nicht todbringenden Dingen, die er über alle Maßen schätzte. Die Waffe, die in einem schwarzen, an seinem Oberschenkel festgezurrten Nylonholster steckte, fiel in die andere Kategorie seiner Lieblingsdinge. Jayne gab all seinen Waffen Namen. Seine großkalibrige Callahan mit Autolock hatte er Vera getauft, und den schweren 38er-Revolver, der einer Waffe aus dem Bürgerkrieg nachempfunden war, nannte er liebevoll Boo. Jayne ging um River herum und stellte sich neben Zoë und Mal an die Laderampe der Serenity.
„Ich hab keine Ahnung, was ihr beide gegen den Tag der Allianz habt“, sagte er. „Ohne diesen Krieg wären wir nicht hier.“
Mal kommentierte das nicht. Wenn er versuchte, Jayne Ironie zu erklären, konnte er auch gleich versuchen, einem Fisch das Bellen beizubringen.
„Macht uns stolz, Leute!“, rief ihnen eine fröhliche Stimme vom Laufsteg zu. Sie gehörte Kaylee, dem Sonnenschein der Serenity, der zudem eine verblüffend talentierte Mechanikerin war. Dann weiteten sich ihre Augen. „Gāu shā! Wie viele gorramn Warnhinweise kleben denn auf diesen Dingern?“
„Die Kisten sind beschäftigt“, erklärte River sachlich.
Kaylee sah Mal besorgt an, dann die Kisten, dann wieder ihn. „Äh, Captain?“, sagte sie.
„Wir achten drauf, dass alles kühl und trocken bleibt, dann wird nichts passieren, okay?“, entgegnete er.
Kaylee nickte, warf den Kisten aber noch einen Blick zu. Mal nahm an, dass sie die Aufkleber zählte. Und über die Summe nicht erfreut war.
Sie wandte sich River zu, als wollte sie sich von ihren Gedanken ablenken. „Hey, River, Shepherd und ich machen einen Auflauf zum Abendessen. Willst du uns helfen?“
„Okay“, sagte River erfreut und hüpfte die Stufen zu Kaylee hinauf. „Ich schneide alles.“ Sie machte schnelle, hackende Bewegungen mit ihrer Handkante.
„Lasst sie nicht einmal in die Nähe einer Klinge“, warnte Mal. Er nickte Jayne und Zoë zu. „Die Pflicht ruft. Wir müssen in weniger als einer halben Stunde in Taggarts Bar sein. Beeilen wir uns.“
„Genau. Wenn wir früher dort sind, können wir ja zuerst ein bisschen Spaß haben“, sagte Jayne.
Mal schüttelte den Kopf. „Ich weiß genau, was du unter Spaß verstehst, Jayne, und den kannst du vergessen. Wir wollen dort arbeiten, keine Leute verprügeln.“
„Nicht mal ein bisschen?“
„M-mh.“
„Manno.“ Jayne klang wie ein bockiges Kind. „Warum willst du mich bei diesen Ausflügen eigentlich dabeihaben?“
„Weil du so verdammt gut aussiehst.“
Jayne dachte darüber einen Moment lang stirnrunzelnd nach. Dann entschied er, dass sein Captain das ernst gemeint hatte, und grinste. „Ja, stimmt schon.“
„Gorramn Tag der Allianz“, murmelte Zoë.
Der Tag der Allianz war so ähnlich wie der Tag der Vereinigung, wurde aber nur auf Persephone gefeiert. Er sollte an die Unterzeichnung des Vertrages erinnern, mit dem Persephone in die Allianz aufgenommen worden war, und Mal hoffte, dass die Leute ihn nur so begeistert feierten, weil sie einen Tag lang freihatten und sich betrinken konnten. Der Tag der Allianz passte Mal ebenso wenig wie der Tag der Vereinigung. Er passte ihm überhaupt nicht.
Zwischen den Dächern hatte man Leinen gespannt, an denen bunte Allianzfahnen in langen Reihen hingen. Eine Hälfte der Fahne bestand aus einer blauen Fläche, die andere war rot-weiß gestreift. In der Mitte befand sich ein rotes Rechteck mit einem Kreis aus gelben Sternen. Die im Wind flatternden Fahnen sahen aus wie herausgestreckte Zungen, die Mal verhöhnen wollten: Du hast verloren, du hast verloren, du hast verloren … Wimpel in den gleichen Farben hingen von Balkonen und Strommasten, und jeder dreckige Fensterrahmen, in dem es noch eine Scheibe gab, war mit Fahnen beklebt worden.
Mal, Zoë und Jayne trotteten durch eine gewundene Gasse und mussten ständig Leuten ausweichen, die ihnen entgegenkamen. Viele hatten kleine Allianzanstecker aus Plastik an ihren zerschlissenen Mänteln und Hüten befestigt, und nicht wenige hatten zur Feier des Tages ihre alten Allianzuniformen angezogen und stellten stolz Orden zur Schau, die ihnen für die Zerstörung von Browncoat-Stellungen und das Abschlachten von Browncoat-Truppen verliehen worden waren.
Mal ging mit zusammengekniffenen Augen und angespannten Kiefermuskeln neben Zoë her. Er hatte noch nie eine Person kennengelernt, die stoischer auftreten konnte als sie, wahrscheinlich, weil sie aussah, als würde alles in ihrer Umgebung ihr ein wenig auf den Geist gehen. Manche Leute glaubten, dass Mal schwer zu durchschauen war, aber er wusste, dass das nicht stimmte. In seiner Seele steckte eine Verbitterung, die sich bis in sein Herz gebohrt hatte, und er wusste nicht, ob er sie jemals loswerden würde. Aber das störte ihn nicht sonderlich. Sie sorgte dafür, dass er weitermachte. Dass er weiterflog.
Aber sie sorgte nicht dafür, dass er sich keinen Ärger einhandelte.
Vor allem nicht am Tag der Allianz.
Drei angetrunkene junge Frauen, die fast identisch gekleidet waren – hochgeschlossene rote Satinjacke und eine schwarze Hose – liefen auf Mal und Zoë zu. Sie hatten sich die Haare an beiden Kopfseiten zu Knoten zusammengebunden, wedelten mit kleinen Allianzfähnchen herum und kicherten einander an.
„Froher Tag der Allianz!“, schrie eine von ihnen, und die anderen lachten kreischend.
Zoë stieß einen scharfen Fluch aus, als sie sich an ihnen vorbeidrängte, was Mal lächeln ließ. Kaum etwas war lustiger als eine wütende Zoë. Unter normalen Umständen wäre das ein gutes Omen für ihren Barbesuch gewesen. Die Vorstellung, ein paar Allianzverehrern gleich eins überzubraten und das Mobiliar zu zerschlagen, hätte Mals schlechte Stimmung deutlich gebessert. Allerdings hatten sie einen Job zu erledigen und das hatte leider Vorrang.
Er holte Zoë ein und stellte sich dumm. „Was war denn los?“, fragte er.
„Ich hasse dümmliche Frauen, Sir“, sagte sie.
„Die sind wirklich verabscheuungswürdig“, stimmte er freundlich zu.
„Hey, nicht so schnell!“, rief Jayne ihnen nach.
Als Mal sich umdrehte, sah er, dass Jayne die Arme um zwei der betrunkenen Frauen gelegt hatte. Die dritte steckte ein Allianzfähnchen in die Maschen seiner linken Ohrenklappe.
„Was für eine schicke Mütze!“, quietschte sie währenddessen. „Du siehst so süß aus!“
Die blondeste der drei Frauen hob die Hand und versuchte durch wiederholtes Hochspringen, die orangen Bommel der Mütze zu berühren. Jayne grinste von einem Ohr zum anderen, so sehr genoss er die Aufmerksamkeit. Mal und Zoë ignorierten ihn und setzten ihren Weg fort.
„Hey, wartet doch“, rief Jayne hinter ihnen. Die Frauen lösten sich von ihm und liefen lachend weiter.
Jayne, der die Bewunderung der Frauen immer noch genoss, schloss zu ihnen auf. Er rückte seine Mütze zurecht samt der Verzierung, die er gerade bekommen hatte. Das war zu viel für Mal. Er zog das widerwärtige Symbol aus der Mütze, warf es auf den Asphalt und zermalmte es mit dem Stiefelabsatz.
Jayne bückte sich nicht, um es aufzuheben. Anscheinend hatte er sich bereits davon verabschiedet. „Wenn wir mit dem geschäftlichen Teil durch sind, können wir doch noch eine Nacht bleiben, oder? Hier wird so viel gefeiert …“
„Und wir haben einen Laderaum voll mit Chemikalien, die ich gerne so schnell wie möglich loswerden würde“, sagte Mal.
„Ach ja. Weil die uns ja sonst um die Ohren fliegen könnten.“ Jayne lächelte unangenehm, mit gebleckten Zähnen und finsterem Blick. „Die Jobs, die wir manchmal annehmen, sind …“
Verärgert fuhr Mal zu ihm herum. „Sind was, Jayne? Gefährlich? Töricht? So weit unter unserer Würde, dass einem schwindelig wird?“
„Nun, irgendwie schon. Warum geben wir uns damit ab?“
„Weil es die einzigen Jobs sind, die wir annehmen können, ohne aufzufallen. Weil sie uns weiterfliegen lassen, wir nicht im Gefängnis landen und uns niemand eine Schlinge um den Hals legt.“
Jayne winkte ab. „Bleib locker, Mal! Lass das nicht an mir aus! Ich hab deinen Krieg nicht verloren.“
Zoë trat zwischen die beiden, direkt vor Jayne. Sie streckte das Kinn vor und sah ihn mit einem durchdringenden Blick an. „Ich glaube, du solltest schweigen, sonst bringe ich dich zum Schweigen.“
Das war eine ernst gemeinte Drohung, was Jayne auch verstand. „Hab das doch nich böse gemeint“, murrte er. Seine geröteten Wangen verrieten, wie peinlich ihm die Situation war. Jayne gab nicht gerne nach. „Ihr beide lebt in der Vergangenheit, das ist alles. Wie Badger sagte: Der Krieg ist vorbei. Schon seit ’ner Weile. Genießt doch den Frieden.“
Zoë schien darauf antworten zu wollen, riss sich aber zusammen. Sie musterte Jayne abschätzend mit einem Blick, in dem mehr Feuer lag als in den Triebwerken eines Firefly-Transportschiffs.
„Was?“, protestierte er empört. „Ist doch wahr. Der Krieg ist vorbei. Und zu verlieren, ist gar nicht so schlimm. Ich hab schon oft was verloren. Pokerspiele, Beute von Raubüberfällen, ein Pferd, meine Jungfräulichkeit und …“ Er warf einen Blick auf das Fähnchen, das Mal in den Staub getreten hatte. Seine Augen weiteten sich. „O nein!“, stöhnte er, als er sich bückte und die zerrissenen Stücke zusammensuchte. Er zeigte sie Mal anklagend. „Sie hat ihren Wavecode da draufgeschrieben. Siehst du das? Kann man nicht mehr lesen.“
„Verlieren ist nicht so schlimm“, wiederholte Mal. „Außerdem hat sie nichts getaugt.“
„Woher willst du das wissen?“, fragte Jayne.
„Ihr gefiel deine Mütze.“
Jayne baute sich vor ihm auf. „Meine Mutter hat die gestrickt. Du bist doch nur neidisch.“
„Solange du das glaubst“, erwiderte Mal.
Jayne murmelte leise vor sich hin, während er versuchte, das zerrissene Papier zusammenzufügen. Nach ein paar Sekunden gab er frustriert auf und warf die Fetzen in die Luft.
„Okay, hört zu“, sagte Mal, als sie sich Taggarts Bar näherten. „Wir treffen uns um sechs mit Hunter Covington. Dann werden wir ja sehen, ob er es ehrlich meint. Wenn ja, nehmen wir mit, was er uns gibt, dann holen wir Kaylee. Sie wird uns bestätigen, ob das Shuttle repariert ist. Ich zahle die Reparaturrechnung, wir geben das Miet-Shuttle ab, während Wash die Startvorbereitungen trifft.“
„Hat dieser Covington gesagt, was wir für ihn mitnehmen sollen?“
„Er sagte, er wolle das lieber persönlich und nicht per Wave besprechen“, sagte Mal.
Hunter Covington war etwas, das Mal nicht leiden konnte: eine unbekannte Größe. Er hatte um einen Kostenvoranschlag für den Transport „eines kleinen Gegenstands“ zu einem nahe gelegenen Ziel gebeten, das er erst bei einem persönlichen Treffen preisgeben wollte. Mal störte die vage Beschreibung ebenso wie die Vorstellung, mit einem völlig Fremden Geschäfte zu machen, aber da sie sich ohnehin auf Persephone aufhielten, hatte er dem Treffen in Taggarts Bar zugestimmt. Nur ein reicher Mann oder ein Trottel ließ einen potenziellen Auftrag sausen, und Mal gehörte definitiv nicht in die erste Kategorie und seiner Erfahrung nach auch nicht in die zweite.
„Eins ist noch wichtig“, fügte er hinzu. „Wir erwähnen nicht, dass wir möglicherweise in die Luft fliegen werden, bevor wir seine Waren abliefern können. Verstanden?“
„Das ist schlau“, sagte Jayne ernst.
Sie schlenderten an Geschäften vorbei, in denen lebende Schaufensterpuppen in die Farben der Allianz gehüllt waren, Fahnen schwenkten und den Passanten zuwinkten. Die Leute auf der Straße jubelten und winkten zurück.
Etwas weiter die Straße runter gab es ein Geschäft, das sich als Mischung aus Schrotthandel und Pfandhaus präsentierte. Dort hatten Mal und Kaylee schon oft um Ersatzteile für die Serenity gefeilscht. In dem Lebensmittelladen auf der anderen Straßenseite kauften sie normalerweise Proteinblocks, die dann an Bord zu Mahlzeiten verarbeitet wurden. An jedem gorramn Geschäft hing eine Fahne, mit der man den Tag feierte, an dem sich Persephone der Allianz angeschlossen hatte. Vielleicht wollten einige Ladenbesitzer auf diese Weise auch nur verhindern, dass sie von loyalen Allianzanhängern boykottiert wurden. Möglicherweise waren sie wie Mal von Zorn erfüllt. Er hoffte es wenigstens.
Die drei nahmen eine schmale Gasse als Abkürzung, die dank großer Ziegelhaufen noch schmaler wurde. Diese Ziegel mussten wie Lawinen von den Mauern der dreistöckigen Gebäude, von denen die Gasse gesäumt wurde, abgegangen sein. Hoch über ihnen stieß ein Frachter bei seinem mühevollen Aufstieg in den Himmel dunkle Rauchwolken aus.
Als Mal, Zoë und Jayne nach rechts in eine größere Straße abbogen, wurden sie erneut mit betrunkenen Mädchen konfrontiert, die sich Allianzfahnen wie Umhänge über die Schultern gelegt hatten. Sie gingen an ihnen vorbei, aber eine der jungen Frauen drehte sich noch einmal um und rief Mal hinterher: „Willst du meinen Wavecode, Süßer?“
Jayne knurrte leise und tief.
Das verriet Mal, dass ihm noch nicht vergeben worden war. Aber Jayne war nicht nachtragend. Das hatte nichts mit Güte zu tun. Er hatte nur eine eher kurze – und eng gefasste – Aufmerksamkeitsspanne.
Je weiter sie die Straße hinuntergingen, desto schäbiger wurden die Geschäfte. Zwischen ihnen tauchten Gebäude auf, deren Dächer eingestürzt und deren Fenster und Türen mit Brettern vernagelt waren. Nur ein paar Obdachlose lebten in ihnen. Der Rauch wurde dichter. Er kratzte in Mals Kehle und roch, als würden die Einwohner getrockneten Dung verbrennen. Ein Bettler, der im Schneidersitz auf dem Bürgersteig saß, streckte Passanten seine dreckverkrustete Hand entgegen.
Sie gelangten zu einem noch trostloseren Viertel, in dem kaum Menschen zu leben schienen. Ihr Ziel war eine der wenigen Kneipen, die es hier noch gab. Auf dem schief hängenden, handgeschriebenen Schild, das man über dem Eingang angebracht hatte, stand „Taggarts Bar und Lounge“. Ebenso gut hätte dort stehen können: „Ihr, die hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren“. Mal war mittlerweile gezwungen, an solchen Orten Geschäfte zu machen.
Das Dröhnen der Musik und das Stimmengewirr aus der Bar konnte man schon einen halben Häuserblock entfernt hören. Die Vorderseite des breiten, rechteckigen Hauses war einmal weiß verputzt gewesen, nun jedoch von unzähligen Graffiti bedeckt. Nur an wenigen Stellen konnte man unter den Schichten noch weiße Farbe erkennen. Die grünen, aus Metall bestehenden Saloontüren waren verrostet. Die Farbe blätterte ab. Das holografische Fenster summte und knackte in einem wirren, nervtötenden Rhythmus. Unter dem Fenster hatte sich eine violette, klebrig wirkende Flüssigkeit gesammelt, die im Zwielicht glänzte. Hätte Blut sein können.
Taggarts Bar befand sich im Herzen der urbanen Verwahrlosung. An so einen Ort verirrten sich Gesetzeshüter nur, wenn jemand eine Handgranate zündete, und vielleicht selbst dann nicht. Schießereien, die sich in der Bar ereigneten, fanden kaum Beachtung. Die Taugenichtse, die dabei draufgingen, musste man immerhin später nicht mehr verhaften. Schlägereien wurden von der Polizei ignoriert. Solche Kämpfe konnten sich endlos hinziehen und geradezu epische Ausmaße annehmen.
Wie dem auch sei, Zoë war kurz davor, an die Decke zu gehen. Mal erkannte das an ihren angespannten Kiefermuskeln und ihrem gnadenlosen Blick. Würde wohl nicht viel passieren müssen, bevor sie gewalttätig wurde. Und Jayne? Na ja, Jayne war Jayne. Fast so explosiv wie HTX-20.
Im Vereinigungskrieg hatten die Unabhängigen auf Persephone besonders lange und erbittert für ihre Sache gekämpft. Als die Erde-von-einst verbraucht war, hatte sich die Menschheit auf der Suche nach neuen Welten ins All begeben. Sie hatte Monde und Planeten wie Persephone terraformt. Man überließ hoffnungsvollen, leichtgläubigen Siedlern das schlechteste Land, während sich die Eliten das beste sicherten. Diese reichen Bonzen übernahmen auch die Kontrolle über die Regierungen der Planeten, sie verabschiedeten Gesetze zu ihrem Vorteil und schlossen sich schließlich zu einer allumfassenden galaktischen Organisation zusammen, die sie Allianz nannten.
Alle Welten mussten ihr beitreten, das verlangte die Allianz. Neunundneunzig Prozent der Menschen, die auf den Grenzwelten lebten, bekamen nichts von den neuen Technologien und Vorzügen ab, die eine sich ausbreitende Zivilisation normalerweise mit sich brachte – moderne Häuser, ausreichend Nahrung, medizinische Versorgung und Schulen. Stattdessen beutete man sie als billige Arbeitskräfte aus, betrieb Raubbau mit ihren Ressourcen, ließ sie verarmen und verseuchte das Land. Die Bonzen wurden unverschämt reich, die Taschen aller anderen blieben leer. Das war so offensichtlich ungerecht, dass es Mal jedes Mal verblüffte, wenn er jemanden traf, der auf Allianzseite gekämpft hatte – oder die Allianz unterstützte. Inara, seine Companion an Bord, fiel in diese letzte Kategorie.
Sie gehört mir nicht, rief er sich ins Gedächtnis. Inara gehört keinem außer Inara.
Er hatte für das Recht auf ein besseres Leben, für Gerechtigkeit und für die Freiheit aller gekämpft, aber er hatte verloren und war hart dafür bestraft worden. Komischerweise bereute er das nicht, sondern hätte, wenn man ihn vor die Wahl gestellt hätte, noch einmal genauso gehandelt – allerdings nicht mehr mit demselben Funkeln in den Augen.
„Okay, wir sind nur geschäftlich hier“, machte er seinen beiden Besatzungsmitgliedern noch einmal klar. „Nicht zum Vergnügen.“
„Ja, Sir“, sagte Zoë, während Jayne missbilligend den Atem ausstieß.
„Hoffentlich bezahlt dieser Covington unsere Drinks“, sagte Jayne.
„Wenn er das tut“, erwiderte Mal, „dann nur, weil er uns übers Ohr hauen will.“
„Ein kostenloser Drink ist nie schlecht“, widersprach Jayne.
„Aber in dem Fall ist er nicht kostenlos.“
Jayne verstand offensichtlich nicht, was er damit sagen wollte. Egal. Mal ging vor und stieß die Schwingtüren auf. Zoë blieb rechts hinter ihm. Sie tauchten in einen Wirbel aus Gerüchen und Lärm ein. Der Gestank von verschüttetem Bier und Essen, das in ranzigem Fett frittiert wurde, mischte sich mit Tabakqualm, der wie Nebel über den Köpfen der schmuddeligen Gäste hing. Menschen saßen auf Barhockern und Stühlen oder lehnten an der Wand, um nicht umzufallen. Rund fünf Meter breite Ringe verunzierten den Boden. Anscheinend hatten dort früher große Bottiche gestanden. Säure und Bottiche. Mal vermutete, dass sich hier vor der Bar eine Gerberei befunden hatte. Der neue Besitzer hatte nur minimal umdekoriert.
Lauter, rhythmischer und knarzender Lärm drang aus zwei Lautsprechern, die an den Seiten einer flachen Bühne standen, die sich im hinteren Teil der Bar befand. Ein einsamer Musiker saß dort auf einem Stuhl und spielte auf einem Computer-Keyboard. Er hatte ein Mikrofon mit Klebeband an seinem Hals befestigt. Der unbeschwerte Refrain des Lieds war Mal nur allzu vertraut:
Auf allen Welten, nah und fern
Muss niemand einsam sein.
Wie Ochsen vor dem Pflug des Herrn
Sind wir gemeinsam frei.
Er schnaubte wütend. Die Allianzhymne. Der Bastard sang die Allianzhymne, und das auch noch aus vollem Hals. Und die gorramn Betrunkenen, die sich vor der Bühne drängten, schunkelten hin und her und grölten mit. Obwohl sie von einer synthetischen Orgel, Blasinstrumenten und Geigen begleitet wurden, war das Ganze ungefähr so musikalisch wie die ächzenden Abwasserrohre der Serenity, bevor Kaylee sie gereinigt hatte.
Mal schluckte seine Verärgerung hinunter und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Er sah sich in der überfüllten Bar nach Hunter Covington um. Er war noch nicht da.
Zur Sicherheit zog Mal den Fotoausdruck aus der Tasche. Wie aus dem Nichts hatte die Serenity auf einmal ein Jobangebot von jemandem – Hunter Covington – bekommen. Das Honorar war nicht gerade phänomenal, aber Arbeit war Arbeit. Mal hatte Erkundigungen über Covington eingezogen. Dabei war weder etwas herausgekommen, das sein extremes Misstrauen geweckt hätte, noch etwas, das ihn in Begeisterung hätte verfallen lassen. Anscheinend war Covington in Eavesdown bekannt und hatte viele Eisen im Feuer. Deshalb hatte es Mal ein wenig überrascht, dass ihm der Name nicht geläufig war, aber er konnte schließlich nicht jeden Händler, Hehler, Dieb und Betrüger in einer Stadt kennen, die förmlich von ihnen wimmelte.
Auf dem Monitor hatte Covington einen gepflegten und eloquenten Eindruck gemacht mit einer vollen, beinahe schnurrend klingenden Stimme, einer sorgfältig gebundenen Ascot-Krawatte, einem bis auf den Kragen zugeknöpften Seidenhemd mit Weste und einer maßgeschneiderten Samtjacke. Er hatte einen dichten Vollbart und buschige Koteletten.
„Er sieht aus wie die Made im Speck“, sagte Jayne mit einem Blick auf das Foto, das Mal während seines Gesprächs mit Covington gemacht hatte.
„Eher wie die Made, die ein Monopol auf den Speck hat“, meinte Mal. „Und auf die Eier.“
„Ist das wirklich eine gute Idee, Sir?“, fragte Zoë. „Nicht zu riskant?“
„Badgers Auftrag ist wesentlich riskanter“, erwiderte Mal. „Hoffentlich können wir diesen Job irgendwie damit verbinden, damit er profitabler ist und uns weder große Mühen noch Treibstoff kostet.“
„Ich sehe Covington hier nicht“, sagte Jayne, während er sich in der verrauchten Bar umsah.
„Dann warten wir eben“, entgegnete Mal. „Da hinten ist ein Tisch frei.“
Der Tisch war frei, weil die vier, die daran gesessen hatten, sturzbetrunken von ihren Stühlen gefallen waren.
„Sichern wir uns den schnell“, sagte Zoë.
Sie drängten sich durch die Menge und setzten sich, bevor ihnen jemand den Tisch wegnehmen konnte. Überall um sie herum stießen Gäste auf die Allianz an, klopften sich gegenseitig auf die Schulter und verkündeten lautstark die Vorzüge, die sie dank der Mitgliedschaft in der Allianz auf ihrer staubigen Welt genossen. Dass die Begeisterung für alles, was mit der Allianz zusammenhing, immer noch nicht nachgelassen hatte, verblüffte Mal. Waren die Leute wirklich so blind – oder strohdumm? Die Nutznießer des „Allianzwohlstands“ schlugen sich mühsam durch und ließen sich mit Hungerlöhnen abspeisen, von denen sie einen Großteil als Steuern zurückgeben mussten, ohne etwas dafür zu bekommen. Das System war so ausgelegt, dass Geld nur in eine Richtung fließen konnte: nach oben.
„Ob’s hier was Gutes zu essen gibt?“, fragte Jayne. Er hob einen der halb leeren Teller hoch, die auf dem Tisch standen, und roch an den angetrockneten Resten. Der Koch hatte versucht, den Geschmack der Proteinriegel mit einer wilden Mischung aus Gewürzen und Soßen zu verdecken. Jayne warf zwei Blicke darauf, zögerte und stellte den Teller dann wieder auf den Tisch. „Vielleicht spendiert uns Covington ja was zu essen, wenn er kommt.“
„Ich glaube nicht, dass das, was hier serviert wird, essbar ist“, sagte Zoë.
„Ein paar halbwegs hübsche Schlampen wären auch nich schlecht.“
Zoë warf ihm einen Blick zu, mit dem man Diamanten hätte zerschneiden können.
„Nichts gegen dich“, fügte Jayne rasch hinzu. „Ich meinte halbwegs hübsche, unverheiratete Schlampen.“
„Dann ist ja gut“, sagte Zoë lang gezogen. „Ich werde das als Kompliment betrachten.“
„Solltest du.“
„Da uns niemand eine Runde ausgibt“, sagte Mal, „hole ich uns was zu trinken.“
„Hört sich gut an“, sagte Jayne.
Als Mal sich zur Theke vorgekämpft hatte, legte ein Mann, der einen langen senfgelben Staubmantel und einen verbeulten Cowboyhut trug, einen gefalteten Zettel neben seinen Ellenbogen. Es war nicht Covington, aber vielleicht sein Bote.
Mal legte seine Hand auf den Zettel, worauf der Mann in dem senfgelben Mantel sich wortlos abwandte und in der Menge verschwand. Mal bestellte Getränke, und während der Barkeeper Gläser füllte, faltete er den Zettel unauffällig auseinander und warf einen Blick darauf, so als hielte er Karten bei einem Pokerspiel in der Hand.
Draußen. Allein.
– HC
Rechts neben Mal stieß ein weiterer geistig verwirrter Bürger von Persephone auf die Allianz an, schüttete dabei Bier über den Ärmel seines Hemds und verkündete, die Allianz habe ihnen „Frieden gebracht“.
Ganz zu schweigen von Unterernährung und Strahlenkrankheit, dachte Mal.
Er riss sich mühsam zusammen. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Er bezahlte den Barkeeper, nahm die Gläser und machte sich auf den Weg zurück zum Tisch.
„… es wäre allerdings besser gewesen, wenn die Allianz noch ein paar hunderttausend Browncoats mehr umgebracht hätte“, lallte der geistig umnachtete Bürger, wobei er sich an die ganze Bar wandte. „Diesen sogenannten Unabhängigen sind Menschenleben nicht so wichtig. Denen sind sie sogar egal. Dieser verlogene, feige Abschaum hat mehr Zivilisten als Soldaten umgebracht, und ihr wisst, dass ich recht hab! Ich wette, dass jeder hier Freunde und Familie wegen diesen Barbaren verloren hat.“
„Ja!“, schrien die Leute in seiner Nähe und hoben ihr Glas hoch über den Kopf.
Mal konnte sich keine Sekunde länger beherrschen.
„Ey, Moment mal …“, setzte er an, presste aber dann die Lippen zusammen und ging weiter zu seinem Tisch. Niemand hatte ihn bemerkt.
Zoë sah ihn forschend an, als er mit Händen, die nun ein wenig zitterten, die Gläser abstellte.
„Sir?“, sagte sie.
„Mir wurde ein Zettel zugeschoben“, sagte er gerade so laut, dass Zoë und Jayne, aber kein anderer ihn verstehen konnte. „Von einem Kerl mit Cowboyhut und einem eiterfarbenen Staubmantel.“
„Den habe ich gesehen. Der Mantel ist ja nicht gerade unauffällig. Er hat den Hinterausgang genommen. Was steht auf dem Zettel?“
„Der schien von Covington zu stammen. Er wartet draußen.“
„Da ist was faul“, sagte Jayne.
Mal dachte darüber nach. „Muss nicht sein. Hier drinnen ist es sehr voll und sehr laut. Vielleicht will Covington ein bisschen mehr Ruhe und Privatsphäre.“
„Aber Sie sollen allein kommen“, sagte Zoë mit einem Blick auf den Zettel. „Das klingt nicht gut.“
„Stimmt. Aber wenn ich es nicht mache, geht uns vielleicht der Job durch die Lappen. Wartet hier am Tisch! Wir haben alle Commlinks. Ich halte einen Kanal offen. Kommt raus, sobald ihr was hört, das nach Problemen klingt.“
„Wie wäre es mit einem Codewort für den Notfall, Sir?“, schlug Zoë vor.
„Okay. Wenn ich ‚Erdbeeren‘ sage, könnt ihr loslegen.“
„Erdbeeren?“
„Erdbeeren.“
„Und wenn das Wort zufällig im Gespräch vorkommt?“, fragte Jayne. „Sagen wir mal, Covington fragt dich nach deinem Lieblingsobst, und du antwortest automatisch: Erdbeeren. Was dann?“
Mal blinzelte. „Um das Problem kümmern wir uns, wenn es so weit ist.“ Er drückte auf den Sendeknopf an seinem Commlink. „Zoë?“
„Wirklich gut verstehe ich Sie nicht, Sir“, sagte sie, während sie den Finger auf das Empfangsteil in ihrem Ohr legte. „Viele Störgeräusche.“
„Aber du kannst mich ein bisschen hören.“
„Ein bisschen“, bestätigte sie.
„Jayne?“
„Ich höre dich. Gerade so.“
„Das muss reichen.“
Mal fügte der langen Liste von Dingen, die sie brauchten, sich aber nicht leisten konnten, Batterien für die Commlinks hinzu.
„Ich bin gleich wieder da“, sagte er. „Jayne, benimm dich! Zoë, sorg dafür, dass Jayne sich benimmt!“
Mit eingezogenem Kopf und angespanntem Kiefer ging Mal zum Ausgang.
Mann, sind die beiden schlechte Verlierer, dachte Jayne, als er sein Glas austrank. Das Bier bei Taggarts war ziemlich würzig. Der Krieg ist seit Jahren vorbei. Was haben die nur für ’n Problem? Er dachte kurz darüber nach, auch Mals Glas auszutrinken, da es direkt vor ihm stand und Mal draußen war. Er nahm jedoch an, dass Mal ziemlich sauer sein würde, wenn er bei seiner Rückkehr ein leeres Glas vorfand, also ließ er es stehen.
Das Singen und Tanzen ließ nicht nach. Jayne öffnete den Mund, um mitzumachen, bemerkte aber Zoës Blick und überlegte es sich anders.
„Die Browncoats haben mein Dorf in Schutt und Asche gelegt, anstelle es der Allianz zu überlassen!“, schrie ein großer Betrunkener nicht weit von ihnen entfernt.
Jayne konnte verstehen, dass Leute von so etwas angekotzt waren. Seiner Meinung nach waren die Rebellen gesetzlos und unorganisiert; sie hatten nur für Chaos gesorgt. Klar, die Allianz hatte es ein bisschen übertrieben, weil sie damals schon einen Stock im Hintern hatte, aber die Browncoats waren auch keine Heiligen gewesen. Hatte er wenigstens gehört. Er hatte sich im Krieg nicht für eine Seite entschieden, sondern die Soldaten auf beiden Seiten ausgeraubt. Neutralität war profitabel.
„Die haben mein Vieh umgebracht, damit die Allianz es nicht bekommt“, brüllte der Betrunkene.
Jedem anderen Gast in der Bar musste Zoë so gelassen wie Buddha erscheinen. Sie saß ruhig da, nippte an ihrem Drink und musterte die Menschenmenge. Aber Jayne kannte sie ziemlich gut. So gut, dass er den Zorn erkannte, der sich langsam und schleichend in ihr aufbaute.
Vielleicht wurde dieser Barbesuch ja doch noch unterhaltsam.
„Mir fehlen Finger wegen der Browncoats!“, ereiferte sich der empörte Bürger weiter und hüllte die Umstehenden beim letzten „s“ in einen Nebel aus Speichel. Er hob die betroffene Hand, die noch zum Anhalterfahren und Nasebohren taugte. „Sie sagten“ – mehr Speichel – „dass sie für den kleinen Mann kämpfen würden, aber das war nur ein Haufen gāu shā!“ Noch mehr Speichel. „Hinter jedem Baum stand so ein Browncoat und hat gedroht, deine Familie umzubringen, wenn du ihm kein Geld gibst.“
Wenn Jayne damals gewusst hätte, dass die Browncoats so geschäftstüchtig waren, hätte er sich ihnen vielleicht sogar angeschlossen.
„Ja“, stimmte ein anderer Mann zu. „Oder sie wollten deine ganze Familie auslöschen, wenn du nicht ihre Waffen in deinem Keller lagerst.“
Zoë presste die Lippen so fest zusammen, dass die Farbe aus ihnen wich. Jayne lehnte sich zurück, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sah zu, wie sie unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rutschte. Würde sie durchdrehen? Nein. Zoë war nicht wie Mal. Sie fing keine Kämpfe an. Sie beendete sie nur, und das ziemlich gut.
„Dieses ganze Anti-Unabhängigen-Gerede setzt dir zu, hm?“, bemerkte Jayne.
„Nee“, sagte Zoë.
Jayne wusste, wenn er angelogen wurde. „Das muss doch an dir nagen wie eine Ratte. Würde mich nicht wundern, wenn du nach ihr schlägst.“
„Im Gegensatz zu anderen habe ich mich im Griff.“
„Na klar.“
Ein Kerl in einer geflickten Allianzjacke, der eine ungewöhnlich stark gewölbte Stirn hatte, stolperte auf ihren Tisch zu. „Hey, ihr zwei, habt ihr gehört, was die über die mörderischen Browncoats erzählen?“, wollte er wissen.
„Ja, höre ich“, sagte Jayne freundlich.
„Dann hör dir mal das an …“, setzte die Ballonstirn an. Er hielt inne, schwankte vor und zurück wie ein Schilfrohr im Wind und musterte Jayne aus schmalen Augen. „Hey, Earl!“, rief er über seine Schulter. „Komm mal her und sieh dir die Clownsmütze an!“
Jayne blinzelte. „Hä?“, sagte er, ohne die Hände vom Hinterkopf zu nehmen.
Der Kerl, der als Earl angesprochen worden war, stolperte zum Tisch. „Ja, da schlägt’s doch …! Du hast recht, Mitch. Das ist ein scheiß hässliches Ding.“ An Jayne gewandt fuhr er fort: „Würd’s dich stören, diese Missgeburt von deinem Kopf zu entfernen, Partner? ’n paar hier haben ’nen ziemlich empfindlichen Magen.“
Jaynes eingefroren wirkendes Grinsen schmolz dahin.
„Ich weiß nicht, ob ich bei dem Anblick lachen oder kotzen soll“, sagte die Ballonstirn, auch Mitch genannt.
Einige Leute, die das Gespräch verfolgten, lachten amüsiert. „Dieses ganze Anti-Mützen-Gerede setzt dir zu, hm?“, flüsterte Zoë.
„Ja“, sagte Jayne.
„Bleib ruhig! Das können wir uns nicht erlauben. Wir dürfen nicht auffallen.“
Betrunkene Rüpel, die an den umliegenden Tischen saßen, erhoben sich schwerfällig von ihren Stühlen und kamen näher, um sich selbst vom Aussehen dieser Kopfbedeckung zu überzeugen. Sie zeigten auf die Mütze, die Jaynes geliebte Mutter mit ihren eigenen Händen gestrickt hatte, und lachten grölend.