Firlefanz & Co. - Eberhard Traum - E-Book

Firlefanz & Co. E-Book

Eberhard Traum

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Beschreibung

Genau betrachtet fallen viele Ereignisse, die uns das Leben präsentiert, unter einen Begriff wie Mumpitz, Pillepalle oder Firlefanz. Die folgenden Erzählungen werden alle nicht die Welt verändern, aber manchmal, als großer Aufreger oder als herrliche Verrücktheit im Gedächtnis haften bleiben und unser Leben begleiten.

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Seitenzahl: 154

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WIDMUNG

Den Dank, dass ich die folgenden Geschichten aufschreiben konnte, möchte ich den Menschen zukommen lassen, mit denen ich Kontakt hatte oder die sich unbewusst an mir vorbeigemogelt haben.

Manchmal wurde ich, an einigen Stationen des Lebens, Zeuge ihrer kleinen „Katastrophen“ und habe sie aufnotiert.

Genau betrachtet, sind es Ereignisse aus dem Leben, die man gelegentlich einem Begriff wie Firlefanz, Mumpitz und natürlich Pillepalle, zuordnen kann.

Es war nicht zu vermeiden, dass sich einige Personen in der einen oder anderen Geschichte wieder erkennen, wie mein Freund „Russki“.

Allen, die sich angesprochen fühlen, widme ich, mit großer Freude und diebischem Vergnügen, die folgenden Geschichten.

Der Autor

Es gibt so viele Zeitgenossen, denen der Mensch in seinem Leben begegnet. Und alle sind sie für sich einmalig, und so gemein wie liebenswert.

Kapitel – Übersicht

„Auf den Gleisen“

Gedanken eines Pendlers

Die ungeliebte Alternative

Auf leisen Sohlen

„Unter Menschen“

Wenigstens ein Strauß rote Rosen

Pilze – eine Wissenschaft

Suppengrün

Und wo sind die Kiwis?

„Kaum zu glauben“

Schutzkontaktsteckdose kaputt – du versteh’n?

Armand B.

Der Papststuhl

„Überraschungen“

Theo – der weiße Macho

Der Kartoffelbruder

Via della Pace #403

GEDANKEN EINES PENDLERS

Alles wiederholt sich …, fast jeden Tag

Erlebnisse, die alltäglich eine Neuauflage haben, und mit ihren vielen unterschiedlichen Themen meist nicht mal auffallen, weil der Mensch gerade abschaltet oder im Übergang zwischen Aufstehen und Arbeitsbeginn noch nicht aufnahmefähig ist.

Darunter sind Themen, die allgemein mit dem Reisen zu tun haben, dem Zugfahren im Besonderen. Aber manchmal gibt es Ausnahmen – zum Beispiel zwischen Fulda und Frankfurt.

Fahren mit der Bahn ist erholsam, manchmal unterhaltsam, zuweilen aber auch ermüdend. Wie denn das, wird der Eine oder Andere fragen? Weil immer weniger passiert, rein gefühlsmäßig. Alles wird zur Gewohnheit.

Wenn ich jeden Tag die gleiche Strecke fahre, geht der Reiz verloren, den ich noch bei der ersten Fahrt empfunden habe. Die Zeitung liest sich schneller, weil ich nicht mehr aus dem Fenster schaue. Ich habe das Gefühl, jeden Baum, jeden Stein und jede Mauer zu kennen.

Da ist es schon sensationell, wenn plötzlich an der Strecke Baukräne auftauchen und sich eine Baustelle ankündigt. Das ist in der ersten Zeit spannend, da sich jeden Tag etwas verändert, man gerne den Fortschritt miterleben möchte und auf das Ergebnis gespannt ist.

Die Enttäuschung nach zwei Wochen zeichnet sich schon recht früh ab, denn es wird wieder nur eines von den kleinen Häuschen, die schon zu hunderten an der Strecke stehen.

So eine Art Kaninchen-Einfamilienbau. Enge und sparsame Ausführung. Wieder kein Großprojekt mit architektonischen Sensationen.

Und ganz verrückt ist es, wenn eines Tages urplötzlich Gardinen an den Fenstern hängen und schon Leute drin wohnen.

Da hat man mal zwei Tage nicht hingesehen, hat eine rührige Hausfrau das Aussehen verändert.

Dafür sehe ich manche Leute jeden Tag zur gleichen Zeit an der gleichen Stelle. Ich nehme sogar immer den gleichen Waggon und muss aufpassen, dass ich mich nicht im vorderen Drittel des Abteils, das ich ebenfalls immer zielgerichtet ansteuere, auf den falschen Platz setze.

Das erzeugt zumindest warnende Blicke und wird beim ersten Mal noch entschuldigt und geduldet, aber am nächsten Tag kassiert man eine dumme Bemerkung, denn der freie Platz wird vom Nachbarn, der dort immer als Nachbar sitzt, als besetzt deklariert. Das sind alles Gründe für eine gewisse Ermüdung.

Einmal hörte ich einen Sitznachbarn, händeringend nach einem Gesprächsthema suchend, zu seinem Bekannten oder Freund sagen: Wieso mäht denn der Bauer schon so früh die Wiese? Das Gras steht doch noch gar nicht hoch genug!

Der Angesprochene, unkundig in Viehzucht und Ackerbau, zuckte nur still mit den Schultern. Meinst du das steht um zehn Uhr höher? Mit früh meinte ich nicht die Uhrzeit, Olmel!

Ein Bahnhof bedeutete das Ende der Konversation, einer der beiden musste nämlich aussteigen.

„Wir könnten ja mal ein Bierchen trinken!“

„Gute Idee, bis heute Abend - tschüss!“

Ich glaube, die kennen sich nicht mal mit Namen.

Oft bemerkt man nicht einmal mehr, dass es die ganze Fahrt über regnet.

Das gleichmäßige Dahinrollen wirkt wie einschläfernd und viele setzen das fort, was sie eine Stunde vorher jäh unterbrechen mussten. Sie schlafen weiter. Den Kopf nach vorn geneigt und die Hände zum Gebet gefaltet, schnarchen einige sogar.

In manchen Fällen erinnern die Geräusche an die vergeblichen Versuche, einen Außenbordmotor mit 2,4 PS in Gang zu setzen.

Dann kommt vor dem Zielbahnhof, bei einigen von den Schläfern – die innere Uhr funktioniert - so etwas wie Panik auf, da sie beim Öffnen der Augen lange senkrechte Wasseradern an den Fenstern erblicken.

„Ausgerechnet heute habe ich den Schirm nicht dabei und die helle Hose an – und einen ganz wichtigen Termin“, sagte einer verzweifelt. Wie ich feststellte, befand ich mich in guter Gesellschaft. Das tröstet.

Daneben gibt es wieder Reisende, die halten es nicht aus, bis sie endlich im Büro sind und beginnen bereits im Zug, mit dem Laptop auf den Oberschenkeln, den Geschäftspartner zu drangsalieren. Ich will nicht ungerecht sein, aber zu 95% ist die Arbeitswut nicht notwendig und in den 45 Minuten Bahnfahrt auch nicht zu bewältigen. Aber man ist ja so ungeheuer wichtig.

Als wenn das noch nicht genug wäre, schrillt auch noch ständig das Handy. Es wird dann so laut telefoniert, dass man mithören muss.

Erholsam, wenn es sich um Arabisch, Türkisch, Russisch oder einen afrikanischen Dialekt handelt.

Das ersetzt fast Musik.

Die ungeheure Vielfalt der Klingeltöne ist eine ganz andere Qual, die man zu erleiden hat. Verzweiflung entsteht auch zuweilen bei einem der Dialekte aus dem Umland - ……. dann „schickt’s“ aber!

Die Polka oder ein Heavy-Metal Getöse, der Warnruf eines gereizten Dickhäuters oder das Quaken eines Ochsenfrosches, alles Töne, die man in einem Zug, vor allem so früh am Morgen, nicht unbedingt braucht.

Wenn dann der Sitznachbar, beim Ton des Ochsenfroschs, einen irritiert anblickt, lächelt man gequält, wie ertappt, und zuckt mit den Schultern.

Allerdings bringt die stille Konversation nichts.

Manchmal habe auch ich schon versucht, auf der Strecke ein bisschen Schlaf nachzuholen. Ich beneide immer die, die das problemlos schaffen. Aber wenn der böse Nachbar es nicht will …

Mein Gegenüber musste unbedingt seine gestern gemachten Erfahrungen in einem Baumarkt loswerden. Sein Gegenüber, mein Nachbar links von mir, war so interessiert, dass er manchmal an den falschen Stellen mit unpassenden Bemerkungen aufhorchen ließ, womit er signalisierte, dass er zuhört und voll im Thema steht.

Aber der Erzähler merkte es gar nicht und ließ sich durch Zwischenbemerkungen auch nicht aus dem Konzept bringen.

Es war alles so ungeheuer interessant, wie wenn Farbe trocknet. Mein Sitznachbar hatte wenigstens den Schluss mitbekommen und abschließend gelacht.

Erschöpft und zufrieden legte sich der Erzähler nach hinten in seinen Sitz.

Ich habe nur nicht verstanden, warum gelacht wurde, denn der Kassierer im Baumarkt hatte zu viel berechnet, und der Kunde bemerkte es erst Zuhause.

Er musste mit dem Kassenzettel noch mal zum Baumarkt, um sein Geld zu holen.

Aber meine beiden Abteilnachbarn gaben sich zu verstehen, dass es hochinteressant war. Wie schön für sie.

Mein Schlafbedürfnis war da ein anderes Kaliber - subjektiv betrachtet. Aber wen interessierte das?

Aber heute, ja heute war es sehr abwechslungsreich.

In Wächtersbach stieg eine Schulklasse ein, um in den Zoo nach Frankfurt zu fahren. Einige der etwa achtjährigen protzten mit Kenntnissen der Tierwelt, dass einem Hören und Sehen verging. Was wollten die noch im Zoo?

Da wurden Eisbären an den Südpol verfrachtet und Wüstenfüchse als Haustiere gehalten, denn ein Bekannter der Eltern hatte so einen aus dem Urlaub mitgebracht. Eine große „Boa Constructa“ wird fast 30 Meter lang. Die kann Zebras fressen.

Mir rauschten die Ohren, aber es war höchst amüsant und die Hoffnung auf eine kurzweilige Fahrt nicht unbegründet.

Die kurze und lapidare Bemerkung einer kleinen Mitschülerin jedoch: Ich habe Angst vor den großen Trab..., Traran..., Tra…, Tran...- Spinnen, brachte die Gesellschaft zum Schweigen.

Die Lehrerin nahm die Situation zum Anlass, und stellte die Frage: Wie viel Beine hat denn so eine Spinne?

Ein Steppke, schräg gegenüber von mir, meinte, dass es doch egal wäre, ob die zwei oder hundert Beine hat, die Elke bekäme doch sowieso Angst vor der Tarantella! Und nun wussten wir auch alle, wie dieses Ungeheuer heißt. Die Lehrerin etwa auch?

Beim Halt in Gelnhausen wurden die ersten Brote ausgepackt und eine Schmatzorgie von seltener Gleichmäßigkeit verwöhnte meinen Gehörgang.

Kekse und Chips knackten um die Wette, und die Kakaotüte wurde laut schlürfend mit dem Strohhalm geleert.

Man kommt ins Grübeln und wünscht sich, dass zur Abwechslung mal eine hübsche Frau im Zugabteil den Nebenplatz besetzt, so in Berührungsnähe, und dass sie den gleichen Weg hat oder beim Umsteigen das gleiche Verkehrsmittel benutzt.

Nur um in ihrer Nähe noch ein bisschen zu träumen.

Der Tag hätte gleich einen ganz anderen Beginn. Aber so eine Sensation passiert sowieso nur denen, die damit nichts anfangen können.

Nämlich den Schläfern, Lesern der interessanten Headlines der Tageszeitung und ganz alten Herrschaften, jenseits von Gut und Böse.

Oder den weniger attraktiven Frauen, die dann ihre Geschlechtsgenossinnen mustern, als ob sie den Schönen eine Beurteilung ausstellen müssten.

An den mitleidigen Blicken und neidischem Verdrehen der Augen kann man herauslesen: Pah, was ist eigentlich das Besondere an der?

Wenn Verachtung eine reale Waffe wäre, würden die Schönen reihenweise umkippen.

Nein, einem selbst kommt so eine Sensation auf langen Beinen, mit kastanienbraunen Augen, Löwenmähne und einem Lächeln, das Eisberge zum Schmelzen bringt, und zum Ankurbeln der Lebensgeister beiträgt, nicht unter die Augen.

Nichts ist’s, mit der Nase den feinen und betörenden Duft zu atmen und sich dabei zu wünschen, tausend Nasen zu haben, und keine davon verstopft.

Wie man schon erahnen kann, sind das nur die bescheidenen Gedanken eines Pendlers.

DIE UNGELIEBTE ALTERNATIVE

Erfahrungen wider Willen

Für die nächsten drei Tage hatte ich, in weiser Voraussicht, alle Termine abgesagt oder verlegt.

Mich fesselte das jährlich wiederkehrende Vergnügen, mein Auto von der Inspektion abzuholen.

Ohne dieses Wunderwerk der Technik sind alle Unternehmungen zum Scheitern verurteilt, wenn man in einer etwas abgelegenen ländlichen Umgebung wohnt.

Bereits zu Beginn dieses autolosen Tages hatte meine Tochter eine Überraschung für mich parat.

Unterstützt wurde das von meiner Frau, die ganz vergessen hatte, mir die Tatsache rechtzeitig mitzuteilen.

Zuerst war ich schon etwas genervt, als ich hörte, dass für meine Tochter morgens um acht Uhr ein Termin beim Zahnarzt vereinbart wurde, und ich sie bitte begleiten sollte. Dabei hatte ich meinen Tag ohne Auto eigentlich anders eingeteilt. Einmal etwas ausschlafen war mein Wunsch.

Da ein Besuch beim Zahnarzt, wegen Überlastung dieser Berufsgruppe, nur in einem großen Zeitraum von mehreren Wochen zu bekommen war, musste sogar ein schulfreier Tag eingeplant werden.

Meiner Tochter war es recht. Mit zwölf Jahren freut man sich über eine solche Abwechslung noch.

Da ein Mann ja flexibel ist, hatte ich schnell umdisponiert und wollte die Zeit nutzen, um kleine Besorgungen fürs zu Büro machen. Außerdem öffnete die Autowerkstatt erst um 8.30 Uhr.

Die Zahnarztpraxis liegt in der 18 Kilometer entfernten Kleinstadt. Keine Entfernung, aber ohne Auto musste man da erst einmal hinkommen.

Unser kleines Dorf liegt etwa neun Kilometer vom nächsten Bahnhof entfernt. Der Bus dorthin fährt einmal am Vormittag und einmal am Nachmittag. Hin wie auch zurück.

Ungewohnt an diesem besagten Morgen war nur die Zeit. Den Bus in unserem Dorf mussten wir um sieben Uhr besteigen. Für meine Tochter alltäglich, es war ihr Schulbus. Es regnete, ausgerechnet an diesem Tag.

Der Zug war ein RE, wie ich am Fahrkartenschalter lernte. Meine letzte Bahnbenutzung liegt bereits mehrere Jahre, mindestens zwanzig, zurück.

Um es noch einmal zu betonen, das Kürzel RE steht für Regionalexpress, wobei die Bezeichnung Regional zu 100 % zutrifft. Express müsste man neu definieren, aber die treffende Bezeichnung „verspäteter Bummler“ ersetzt es trefflich.

Der Fahrschein für mich kostete 4,20 Euro. Meine Tochter hatte ihre Schülermonatskarte. Im überfüllten Bus tummelten sich Schüler aus mehreren Ortsteilen.

Und da gab es eine Menge Neuigkeiten und viel zu erzählen. Dementsprechend war der Geräuschpegel.

Aber für die paar Minuten sollte das zu überstehen sein.

Ärgerlich war, besonders für einige der Schüler, dass der Zug gerade den Bahnsteig verließ, als wir zusteigen wollten.

Da gerieten wohl etliche Termine durcheinander. Da dies aber nicht zu ändern war, blieben alle cool und die kleinen Stöpsel des IPad wurden in die Ohren gesteckt.

Bis zu unserem Arzttermin war aber noch Zeit.

Das konnten wir ohne Probleme schaffen. Eine halbe Stunde Wartezeit sorgte dafür, dass wir die unerwartet schmucklose Bahnhofshalle genießen konnten.

Wir vertrieben uns die Zeit mit dem Studieren der Plakate. Auf ihnen pries die Bahn ihre vielfältigen Angebote.

Wochenenden im Allgäu für die Familie, Radtouren im Münsterland, eine Woche Sylt, Seniorenfahrten nach Paris … und vieles mehr.

„Das wäre doch was für euch. Mama würde so gern mal nach Paris fahren!“

„Ich auch, aber das dürfen wir erst wenn wir Senioren sind. Das kannst du doch lesen, oder?“

Meine Tochter machte ein Gesicht, als ob sie jetzt angestrengt überlegte, ab wann die Bezeichnung Senior gilt.

Ich fühlte mich noch lange nicht dazugehörig. Ich war erst 45.

„Na ja, bis ihr 70 seid, ist ja noch Zeit!“

Ich freute mich, dass sie mich bis dahin noch als jüngeren Vater betrachtete, vor allem, dass sie schon daran dachte, mich noch recht lange zu ertragen.

Die Angebote waren eine reichhaltige Palette von Möglichkeiten, und es las sich ganz toll. Man bekam richtig Lust aufs Reisen.

„Papa, meine Klassenkameradin Judith ist mit ihren Eltern in den Osterferien mit dem Fahrrad durchs Münsterland gefahren!“

„Hat es ihnen denn gefallen?“

„Die Radtour schon. Es war auch alles gut organisiert.“

„Aber?“

„Als sie wieder Zuhause waren, hatten sie keine Fahrräder mehr. Erst drei Wochen später, mit einer irren Lauferei und viel Papierkrieg.“

„Das macht aber nicht gerade einen guten Eindruck auf die Bahn. Das macht ja im Nachhinein noch Kopfschmerzen.“

„Und Judiths Hinterrad hatte sogar noch einen Plattfuß!“

„Das ist ja wohl der Gipfel.“

Die halbe Stunde ging schnell vorbei. Zum Bahnsteig mussten wir unter den Gleisen durch einen Tunnel, und da ist mir die Lust am Reisen ziemlich vergangen.

Die Treppenanlage war mit Prospekten vom nahe gelegenen Supermarkt bepflastert.

Leere Getränkedosen lagen kreuz und quer herum.

Die Pappboxen eines bekannten Fast-Food-Restaurants lagen auf Stufe fünf von oben. Garniert mit rot gefärbten Pommes.

Erstaunt und wortlos registrierte ich, dass meine Tochter durch und über den ganzen Unrat stapfte, so als ob er gar nicht vorhanden wäre. Dass ihr ein Blatt eines Prospektes, ab Stufe acht von oben, am Absatz hängen blieb, mit einer unbekannten Klebehilfe, hatte sie gar nicht bemerkt.

Ich tappte hinter ihr drauf und befreite sie davon. Im Tunnel hätte ich am liebsten meine Nase mit einer Klammer verschlossen.

Mit einem langen Satz konnte ich gerade noch über die stehenden Pfützen von Urin springen, die recht frisch aussahen. Nur die Ränder waren, gut sichtbar, etwas angetrocknet.

Ein anderer hatte, vor der Treppe nach oben zum Bahnsteig 3, sein Unwohlsein für jedermann sichtbar hinterlassen.

Was er gegessen haben könnte, möchte ich nicht weiter beschreiben.

Wie dem auch sei, ich bin angewidert hinter meiner Tochter hergegangen, die das alles mit einer stoischen Ruhe hingenommen oder gar übersehen hatte.

Ich wollte sie das jetzt nicht fragen. Ich dachte an den Zahnarzt und die Verbindung zu dem sterilen medizinischen Vorhaben als nicht angemessen, um darüber zu reden.

Im Zug fanden wir mit einiger Mühe einen Platz, der uns sauber genug erschien.

Ich blickte auf die Innenwände im Abteil und dachte an moderne Malerei. Aber die Schmierereien waren erkennbar nicht das Werk von Künstlern.

Kleine Hakenkreuze und fremdenfeindliche Parolen konnten nur das Werk von Hohlköpfen sein. Warum musste dieser moderne Zug so ein Image bekommen?

Ich war entsetzt und schaute wortlos auf die vorbeirasende Landschaft.

Derweil blieb mein Ellenbogen an der Sitzlehne kleben. Ein Kaugummi erschwerte mir die Trennung vom Zuginventar. Mir hob es das Frühstück nach oben.

Wie das Leben so ist, stellt man sich in solchen Momenten den passenden Menschen dazu vor.

Mich schauerte es und ich spürte, wie die Spucke des noch feuchten Kaugummis meinen Ärmel durchnässte. Der Mensch mir gegenüber konnte vielleicht nichts dafür, aber er blickte so wissend.

Das machte ihn verdächtig. In der ersten Klasse würde so etwas sicher nicht passieren.

Bevor ich mich da in etwas hineinsteigerte, schloss ich meine Augen und wollte damit alles auslöschen, neue Gedanken fassen. Als ich meine Tochter wenig später ansah, bemerkte ich, dass sie auch einen Kaugummi im Mund hin und her bewegte.

„Astrid, was machst du eigentlich mit dem Kaugummi, wenn du ihn nicht mehr magst?“

„Warum fragst du?“

Gerne hätte ich geantwortet und eine Diskussion begonnen. Aber das verschob ich lieber auf einen anderen Zeitpunkt. Sie wartete eine Antwort von mir auch erst gar nicht ab.

„Papa, ist dir nicht gut?“

„Es geht schon! Ich weiß jetzt aber, weshalb ich schon jahrelang keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzte.“

„Papa, wir sind da!“

Dann packte sie ihren Kaugummi in das Silberpapier, in dem er vorher drin war und warf ihn in den Müll!

Ich freute mich darüber, dass es für Astrid selbstverständlich war, den Kaugummi nicht irgendwo zu entsorgen.

Wie konnte sie eigentlich den Kaugummi mit der Zahnspange …, oder hatte sie ihn nur gelutscht? Ich wollte das nicht unbedingt zum Thema machen, und wie auf Bestellung fiel mir ein Artikel ins Auge, der sich mit der Situation der Bahn beschäftigte.

Man dachte daran, das Angebot der Bahn noch attraktiver zu gestalten. Aber leider müsse man die Preise anheben. Ein Fahrgast sollte wissen, nur höhere Preise garantieren auch menschenwürdige und saubere Verhältnisse.

Man sollte lieber darüber nachdenken, wie man die Menschen, die gezwungenermaßen die Bahn benutzen, in die Überlegungen mit einbezieht.

Muss die Attraktivität denn unbedingt mit einer zusätzlichen Verbindung, vielleicht einmal im Monat nach Belgrad, erreicht werden?

Sollte man nicht lieber das Umfeld attraktiver gestalten? Sollte nicht viel mehr an den Service gedacht werden?

Ich hatte darüber inzwischen eine eigene Meinung und leider keinen Partner zur Diskussion zur Verfügung.

Und da mir mein Auto wieder zur Verfügung steht, wird auch mein Interesse sicher an der Sache erlahmen. Ich ertappte mich, dass auch ich nicht ganz frei bin von der Mentalität: Was-geht-es-mich-an?

Anscheinend denken die Verantwortlichen der Bahn über die Kunden ähnlich. Aber warum sollte ich mich eigentlich als gemeiner Bahnkunde mit solchen Fragen beschäftigen? Ungewollt tue ich es trotzdem.

Thema durch dachte ich und freute mich, dass ich in wenigen Augenblicken meinen fahrbaren Untersatz wieder in Empfang nehmen konnte.

Der Blick meines Meisters verhieß nichts Gutes, denn ich musste am nächsten Tag noch einmal wiederkommen. Ein Teil des Motors, wichtig wie alle Teile dieses komfortablen Gefährts, wurde nicht rechtzeitig geliefert. Zudem hatte man vergessen, mich zu informieren.