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Spiel der Herzen
Susanna lässt Chicago hinter sich, um ihrem gewalttätigen Ehemann zu entkommen. Zufällig sieht sie ein Werbevideo von Clearwater, dem Zuhause der Florida Falcons, und beschließt, dass die schöne Stadt ein guter Ort für einen Neuanfang ist. Dort angekommen bewirbt sie sich bei der berühmten Footballmannschaft als Ernährungsberaterin - und trifft gleich auf Jason.
Jason ist alleinerziehender Vater einer bezaubernden kleinen Tochter und einer der Safetys bei der Defense der Florida Falcons. Doch auch er hat sein Päckchen zu tragen. Er wurde von der Mutter seiner Tochter verlassen und muss nun Profisport und Kind unter einen Hut bekommen. Zudem scheint sein Bruder in ernsten Schwierigkeiten zu sein ...
Susanna und Jason fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Doch die Vergangenheit holt sie ein und droht alles zu zerstören. Werden sie dennoch ihr Glück finden?
Erlebe die knisternde Spannung auf und neben dem Spielfeld mit dem dritten Band der heißen und emotionalen Football-Romance-Reihe rund um die Spieler der Florida Falcons, die dir mit Sicherheit den Kopf verdrehen.
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Spiel der Herzen
Susanna lässt Chicago hinter sich, um ihrem gewalttätigen Ehemann zu entkommen. Zufällig sieht sie ein Werbevideo von Clearwater, dem Zuhause der Florida Falcons, und beschließt, dass die schöne Stadt ein guter Ort für einen Neuanfang ist. Dort angekommen bewirbt sie sich bei der berühmten Footballmannschaft als Ernährungsberaterin – und trifft gleich auf Jason.
Jason ist alleinerziehender Vater einer bezaubernden kleinen Tochter und einer der Safetys bei der Defense der Florida Falcons. Doch auch er hat sein Päckchen zu tragen. Er wurde von der Mutter seiner Tochter verlassen und muss nun Profisport und Kind unter einen Hut bekommen. Zudem scheint sein Bruder in ernsten Schwierigkeiten zu sein …
Susanna und Jason fühlen sich sofort zueinander hingezogen. Doch die Vergangenheit holt sie ein und droht alles zu zerstören. Werden sie dennoch ihr Glück finden?
K A R I T E N E R O
Play me hot
Hastig ziehe ich den Reißverschluss der Reisetasche auf, bis mich die Leere im Inneren anstarrt und fast schon überfordert. Genauso fühle ich mich auch, denn in meinem Kopf wollen sich die zuvor erlebten Minuten nicht zu einem Bild zusammensetzen. Lediglich der Schmerz, der in einem gleichbleibenden Rhythmus über meine rechte Wange, meinen Bauch und Taille pulsiert, zeigt mir, dass das alles real ist. Dass dieser Albtraum gerade seinen Höhepunkt gefunden hat und ich hart auf dem Boden der Realität, die ich seit Jahren nicht wahrhaben wollte, aufgeschlagen bin.
Immer noch unterdrücke ich die Tränen, die sich in meinen Augen aufstauen und endlich an die Oberfläche brechen wollen. Doch das können sie nicht. Das dürfen sie nicht. Sonst würde ich augenblicklich zusammenbrechen. Also ignoriere ich das von Sekunde zu Sekunde stärker werdende Pochen in meinem Fuß – warum musste ich auch umknicken – und torkle auf wackeligen Beinen mit der über den Boden schleifenden Tasche zum Kleiderschrank in meinem Schlafzimmer. Bei den letzten Schritten verlässt mich kurz die Kraft, und ich falle gegen die geschlossene Tür, an deren Griff ich mich festhalte, um zu verhindern, dass ich komplett zusammensacke.
Tief hole ich Luft, damit ich meine Emotionen irgendwie unter Kontrolle halte. »Reiß dich zusammen, Susanna«, ermahne ich mich selbst, drücke mich vom Schrank ab und schaffe es beim Zurücktreten in einen einigermaßen stabilen Stand. Dann endlich ziehe ich mit schwitzigen Händen den Schrank ruckartig auf. Weiterhin scheint mein Kopf leer. Zumindest rede ich mir das ein, denn langsam wollen die Erinnerungsfetzen zurückkehren.
Wie mechanisch ziehe ich die mit Blumenmustern bedruckten Shirts heraus, knülle sie zu einem großen bunten Knäul zusammen und stopfe alles in die Tasche. Das Gleiche tue ich mit einigen Hosen, Unterwäsche und Socken. Leider sehe ich dabei permanent aus dem Augenwinkel seine Hand, die auf dem weichen Hochflorteppich nur noch schwach zuckt.
Meine Atmung wird schneller. Das Bild vor meinen Augen verschwimmt. Das Ticken der unbarmherzigen Uhr in meinem Ohr wird lauter, weil ich das Gefühl habe, mit dem Rücken zur Wand zu stehen. Die nächsten Minuten und mein Handeln werden über Leben und Tod entscheiden.
Was mache ich hier nur? Ich kann ihn doch nicht liegen lassen. Was ist, wenn …?
Ich schlucke. Ohne es steuern zu können, wandert mein Blick zum Fenster. Die Sonne geht bald unter. Sie taucht bereits die Wände unseres Hauses in ein sanft orangefarbenes Licht. Ein Licht, das ich sonst so sehr liebe, aber heute scheint es meinen Untergang einzuläuten.
Immer wieder überlege ich, wie ich am besten so schnell wie möglich von hier wegkomme. Wie ich dieser Hölle, die ich viel zu lange zugelassen habe und für die ich keine Kraft mehr besitze, entfliehen kann. Denn wenn ich jetzt nicht gehe, werde ich es nie tun, sondern weiterhin die blauen Flecke überschminken oder die Jacke über die roten Striemen auf meiner Schulter ziehen. Nein, das kann ich nicht mehr. Es wäre mein Tod, lieber nehme ich seinen in Kauf, wenn es sein muss.
Ohne mich noch einmal zu ihm umzudrehen, humple ich mit starrem Blick aus dem Zimmer, die Tasche weiter hinter mir herziehend. Langsam passiere ich die Treppe, die sich in der Mitte der Etage befindet, und steuere auf das Arbeitszimmer zu, das genau am anderen Ende des Flurs liegt.
Dort angekommen, stütze ich mich an der neuen Couch ab, deren Geruch den ganzen Raum einnimmt. Blut tropft auf das weiße Leder. Vorsichtig taste ich meinen Kopf ab, bis ich an der Schläfe die Wunde ausfindig mache. Erst jetzt realisiere ich, wie hart sein letzter Schlag gewesen und wie abgestumpft ich sein muss, dass ich nicht einmal das Brennen meiner aufgerissenen Haut spüre. Ein weiterer Grund, ihn sofort zu verlassen und nicht über sein Schicksal nachzudenken.
Also laufe ich an der Couch entlang und erreiche seinen Schreibtisch. Ächzend beuge ich mich zu dem obersten Schubfach runter und tippe den Sicherheitscode ein. Es piept, das Schloss entriegelt sich und ich blicke auf einen kleinen Teil unseres Vermögens, das hier in Bündeln gestapelt und als Reserve oder Sicherheit, wie er es immer formuliert, liegt. Jetzt wird es mir dabei helfen, ihm zu entkommen.
Ich lasse den Henkel der Tasche los, greife mit beiden Händen in das Schubfach und stopfe so viel Bargeld wie möglich zwischen meine Klamotten.
Ohne mir eine Pause zu gönnen, schließe ich hastig den Reißverschluss und laufe, meinen immer stärker pochenden Fuß schonend, zurück in den Flur.
Im Schlafzimmer brummt es. Ein dumpfer Knall folgt, Glas zerbricht und ich bleibe wie angewurzelt stehen. Das war die Nachttischlampe! Mein gesamter Körper zittert. Als hätte jemand die Anleitung, wie ich einen Fuß vor den anderen setze, in tausend Schnipsel zerrissen, bin ich unfähig, mich zu bewegen. Ist er wieder wach? Hat er sich hochgerappelt und geht gleich auf mich los?
Ich will das nicht mehr. Ich muss hier raus, weit weg von ihm, von diesem Haus und von diesem Leben. JETZT!
Ich umgreife den Riemen der Tasche fester, setze mich humpelnd in Bewegung und laufe endlich zur Treppe. Verbissen nehme ich jede Stufe einzeln. Die Tasche hinter mir schlägt immer wieder dumpf auf die nächste Stufe. Endlich komme ich unten an und durchquere den endlos wirkenden Flur, in dem die Tasche erbarmungslos über den neu verlegten Holzdielenboden schleift.
Von oben klopft jemand auf den Boden. Alle Haare stehen mir zu Berge. Kaum bin ich an der Eingangstür angekommen, ergreife ich panisch den Schlüsselbund, der auf dem kleinen weißen Tisch neben der Tür liegt. Mit weiterhin zitternden Fingern suche ich den richtigen Schlüssel, um die Tür aufschließen zu können, die ER am liebsten immer doppelt und dreifach verriegelt, als wären alle Bewohner dieses Hauses seine Gefangenen.
Im oberen Flur schleift sich jemand über den Boden. Alles in mir setzt aus, denn ich allein bin seine Gefangene, die an ihn gefesselt ist.
Nun kann ich die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie fließen mir über die Wangen, doch ich halte nicht inne, um sie wegzuwischen. Da! Endlich halte ich den richtigen Schlüssel in den Händen und stecke ihn ins Schloss. Ich öffne die Tür und nachdem auch die Tasche auf dem Treppenvorsprung unserer Stadtvilla steht, schließe ich die Tür und verriegle sie, so wie er es immer fordert.
Noch immer atme ich nicht auf. Nein, sofort hinke ich die drei Treppenstufen hinunter. Die Tasche knallt laut von einer auf die andere Stufe und folgt mir über die hellgrauen Gehwegplatten bis zur Garage.
Kaum betätige ich die zwei grünen Knöpfe an der Seite, öffnet sich der Zugang zum Grundstück. Gleichzeitig fährt ratternd das Tor vor mir hoch, und noch bevor es ganz oben angekommen ist, zwänge ich mich unter dem schmalen Spalt hindurch. Der Schlüssel ist nah genug, sodass die Blinker am Auto aufleuchten und es entriegelt wird. Kopflos zerre ich die Tür des Wagens auf, schmeiße die Tasche auf die Beifahrerseite und starte den Motor.
In mir macht sich ein Gefühl breit, das ich nicht benennen kann. Ich will losfahren, stelle den Fuß aufs Gaspedal … aber ich schaffe es nicht, es durchzudrücken. Alles ist bereit. Die Garagentür und das Tor zu unserer Einfahrt stehen sperrangelweit offen und fordern mich förmlich auf, den Weg in die Freiheit zu nehmen. Wohin? Das ist eigentlich vollkommen egal. Ich könnte überallhin. Die Welt steht mir offen. Aber mein Körper und vor allem mein Fuß auf dem Pedal ist bewegungslos.
Ich sehe in den Rückspiegel, aus dem mir mein Spiegelbild mit dem verschmierten Make-up entgegenstarrt. »Was tue ich hier gerade?«, sage ich mir selbst und spüre mein Gewissen, das mich wie ein immer wiederkehrender Blitz in meinen Gedanken zwackt.
Ich kann ihn doch nicht schwer verletzt liegen lassen und ihn seinem Schicksal überlassen? Wenn ich jetzt gehe und er erneut das Bewusstsein verlieren sollte, wird ihn niemand finden. Er wird einfach so daliegen, eventuell wegen seiner Platzwunde am Kopf verbluten und im schlimmsten Fall …
Erneut rinnen mir die Tränen über die Wangen, weil ich nicht wegkann. Nicht so und nicht jetzt. Ich kann nicht für den Tod eines Menschen verantwortlich sein. Egal, wie kontrollsüchtig und brutal er die letzten sechs Jahre zu mir gewesen ist. Ich … ich … ich kann nicht aus meiner Haut oder aus dieser Rolle ausbrechen – noch nicht.
Kraftlos gleiten meine Hände vom Lenkrad und ich schalte den Motor aus. Ohne der Tasche weiter Beachtung zu schenken, öffne ich die Autotür, steige aus und laufe zurück zum Haus. Das Rattern des sich schließenden Rolltors begleitet mich, bis ich zurück in der Villa bin.
Hier drin ist es totenstill. Kein Geräusch außer dem Rasensprenger, der in regelmäßigen Kreisen das Wasser verteilt, ist durch das geöffnete Fenster in unserem Esszimmer zu hören. Und ich richte meinen Blick nur allzu gern nach draußen, weil ich mich nicht traue, die Treppe nach oben zu schauen.
Ob er noch atmet?
Als würde der Film, in dem ich die Hauptrolle spiele, rückwärtslaufen, lege ich den Schlüssel zurück auf den Tisch, an dem etwas Blut klebt. Ich blicke auch weiterhin nicht zur Treppe, sondern gehe schnurstracks nach links, durch das Esszimmer direkt in die Küche, wo ich nach dem Telefon an der Wand greife, weil mein Handy oben im Bad liegt – und da wird es auch bleiben. Gleichzeitig schalte ich den Fernseher an, um diese unerträgliche Stille zu durchbrechen, die sich mir wie Säure in meine Gedanken brennt.
Ich wähle den Notruf. Es piept nur einmal. Dann nimmt jemand ab.
»Notrufzentrale, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Mein Name ist Susanna Pierce, 07558 Richmond Avenue und ich brauche Hilfe«, antworte ich, während ich das Zittern meiner Stimme unterdrücke. Wie in Trance sehe ich zu dem flimmernden Bildschirm vor mir.
»Mrs Pierce, was ist passiert?«
Ich schlucke schwer, denn die Erinnerungen an die letzte Stunde liegen wie der Morgen im Nebel verborgen. »Mein Mann ist gestürzt, hat sich den Kopf angeschlagen und liegt bewusstlos im Flur.«
»Atmet er?«, will die Frau am anderen Ende der Leitung wissen.
Ich habe keine Ahnung, was ich darauf antworten soll.
»I-ich, weiß es nicht«, flüstere ich nur noch und blinzle die erneuten Tränen weg.
»Bitte bleiben Sie ruhig«, sagt die Notruf-Mitarbeiterin. »Ein Krankenwagen ist bereits auf dem Weg zu Ihnen.«
Ehe sie weiterreden kann, lege ich auf, greife nach dem Geschirrhandtuch, um es nass zu machen, und verfolge die gerade beginnenden Nachrichten.
»Immer noch erschüttern weitere Krankheitsfälle das Land. Bisher zeigen die Erkrankten Erbrechen, Durchfall und Fieber mit teils 40 °C, ohne dass man bisher sagen kann, woher die Fälle stammen oder wie die Erkrankungen übertragen werden. Die Laboruntersuchungen, um den Erreger zu identifizieren, laufen …«
Ich schalte um, denn ich kann gerade nicht noch mehr Leid sehen. Wie automatisch laufe ich zum Backofen, der sich auf Höhe meiner Brust befindet, bücke mich, bis ich mein Spiegelbild darin erkenne, und wische mir über die blutige Schläfe, reibe die verklebten Haare sauber und wiederhole den ganzen Prozess, bis sich das Tuch nicht mehr rot verfärbt. Dabei fixiere ich mich immer stärker auf den Werbespot, der im Fernsehen läuft und den ich in der Spiegelung des Backofenglases sehe.
»Urlaub, Sonne, Strand. Klingt das nach etwas, das Sie schon viel zu lange nicht mehr gemacht und gesehen haben?«
Etwas, das ich schon viel zu lange nicht mehr gemacht habe?
»Dann kommen Sie nach Clearwater, genießen Sie das entspannte Feeling unter der Sonne Floridas. Verlieben Sie sich in die kleinen verwinkelten Straßen unserer Stadt und genießen Sie das unbeschwerte Leben an der Küste.«
Mehrere Sehenswürdigkeiten, wie die Promenaden, ein Stadion und ein beliebter Eisstand werden eingeblendet, ehe ich die Dame, die bisher gesprochen hat, halb nackt und nur mit einem bunten Bikini bekleidet auf einem Liegestuhl am Strand beobachte. Gerade zieht sie freudestrahlend am Strohhalm eines Cocktails.
»Hier bei uns können Sie unbeschwert leben und Feierabend in Dauerurlaub umbenennen.«
Das, was sie danach sagt, höre ich nicht mehr, sondern sehe nur noch, wie sich ihr Mund bewegt.
Unbeschwert leben, hallen ihre Worte durch meinen Kopf. Ja, das würde ich gern. Wenigstens so unbeschwert, dass ich nachts ohne Schlafmittel schlafen kann und tagsüber nicht bei jeder sich etwas zu laut schließenden Tür zusammenzucke, weil ich Angst habe, der nächsten Attacke meines Mannes ausgesetzt zu sein.
Draußen heult eine Sirene und holt mich ins Hier und Jetzt zurück. Nur widerwillig löse ich den Blick vom Clip. Ich drehe mich um, öffne ein Schubfach und nehme ein Haarband heraus, mit dem ich mir sonst beim Zubereiten des Essens die Haare zusammenbinde. Doch heute brauche ich es für etwas anderes. Erneut nutze ich den Backofen als Spiegel und binde das Band so, dass man meine eigene Wunde nicht mehr sehen kann.
Dann scheint die Sirene direkt von unserer Einfahrt anzukommen. Ich hole tief Luft, wische mir die Tränen aus dem Gesicht und nehme erneut meine Rolle als immer glückliche und führsorgliche Ehefrau ein.
Ich gehe zur Tür, verstecke den Schmerz, der mir bei jedem Auftreten durch den Körper jagt, und spule den Film wieder in der richtigen Richtung ab. Doch er wird nicht damit enden, dass ich darauf warte, mich meinem Schicksal zu ergeben.
Wir sind schon wieder viel zu spät.
Mit Sadie auf dem Arm sprinte ich in Richtung Kindergarten und muss bereits an der ersten Ampel eine Vollbremsung einlegen, denn sie schaltet auf Rot. In Gedanken verfluche ich dieses verdammte Hindernis, ehe ich auf meine Uhr blicke, weil mir die Zeit im Nacken hängt. Zum Glück zerzausen Sadies blonden Haare bei dem aktuell herrschenden Wind so sehr, dass keiner mehr erkennt, dass ich in der Hektik vergessen habe, sie ihr zu kämmen.
Kaum schaltet die Fußgängerampel auf Grün, habe ich den ersten Fuß schon auf der Straße.
»Schneller, Daddy«, gluckst sie mit ihrer leicht verwaschenen Aussprache und ringt mir damit ein breites Grinsen ab. Ich liebe es, wenn sie lacht. Noch mehr, wenn ich es bin, der sie dazu bringt. Ganz anders sieht es da bei unseren unruhigen Nächten aus, weswegen ich heute, wie mindestens einmal die Woche, verschlafen habe.
Die Ampel an der nächsten Kreuzung schaltet auf Gelb. Bevor sie wirklich grün ist, stürme ich los. Sadie lacht weiter, und nach der nächsten Häuserfront laufe ich endlich auf das flache Gebäude zu, in dem Sadie betreut wird.
Ms Crush, ihre Erzieherin, steht bereits am Fenster in der oberen Etage und beobachtet mich argwöhnisch. Etwas, das ich gerade gar nicht gebrauchen kann. Trotzdem ist es inzwischen eine unliebsame Routine geworden, der ich nicht entkommen kann.
Ich sehe wieder direkt nach vorn, verdränge das unweigerlich folgende Gespräch und spiele für Sadie, bis wir durch die Eingangstür gehen, den Hubschrauber, in dem ich mich in unregelmäßigen Kreisen um mich selbst drehe.
Im Gebäude angekommen, setze ich sie ab. Sie läuft immer noch wackelig, aber zielsicher zu ihrem Platz an der Garderobe der Delfingruppe und versucht selbstständig, ihre Strickjacke aufzubekommen.
Ich hocke mich vor sie hin und sehe ihr zu. Dabei sollte ich eigentlich einen Zahn zulegen. Doch der Erziehungsratgeber, den ich gerade wälze, hat dazu eine ganz klare Meinung.
Lassen Sie Ihrem Kind so viel selbstbestimmten Spielraum wie nur möglich, damit aus ihm ein starker und selbstbewusster Mensch werden kann.
Wer möchte schon, dass seine Tochter sich später nicht selbst die Schuhe zubinden kann oder, im schlimmsten Fall, ihr Leben nicht auf die Reihe bekommt? Und wenn ich das durch diesen Moment verhindern kann, dann Scheiß drauf, komme ich halt zehn Minuten später und laufe die Extrarunden, die Simon den unpünktlichen Spielern schenkt.
Im nächsten Moment zurrt der Reißverschluss, und die Jacke ist offen.
»Das hast du ganz toll gemacht«, bestätige ich sie positiv und voller Stolz. Der Ratgeber kann nicht oft genug wiederholen, wie wichtig es ist, eine Party für jeden Meilenstein zu feiern, den das eigene Kind erreicht. Also muss es richtig sein. »Das schreit heute Abend nach Pizza.«
Freudig klatscht Sadie in die Hände und quietscht los, bevor ich ihr bei den Schuhen helfe. Dann gehen wir Hand in Hand zu der Tür mit dem riesigen lachenden Delfin, vor der Ms Crush schon bereitsteht und mich mit ihren blauen Augen argwöhnisch mustert.
Wenn sie ihre schwarzen Haare nicht immer so streng nach hinten binden würde, dann würde sie viel netter und auch nicht so alt wirken. Immerhin ist sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren viel zu jung, um den Stempel einer alten verbitterten Schachtel aufgedrückt zu bekommen. Aber vielleicht ist das einfach ihre Art, mir zu sagen, dass ich in ihren Augen nie ein Vorzeige-Dad werde.
Erst als sie Sadie direkt ansieht, verändert sich ihre Miene. »Hallo, Sadie«, begrüßt sie meine Tochter freudig und lässt ihren Blick über ihre Haare schweifen. Sofort zieht sie eine Augenbraue nach oben.
Ich schlucke und warte auf die nächste versteckte Spitze, die ich regelmäßig bekomme, weil ich einfach nicht perfekt bin. Egal, ob es um die richtige Klamottenwahl für Sommer und Winter geht, oder ich einen Zopf nicht genau mittig geflochten habe. Ja, sie vermittelt mir das Gefühl, unfähig zu sein. Und wie jeden Morgen frage ich mich, ob diese Frau irgendein Problem mit mir hat oder ich es mir nur einbilde. Vielleicht hat sie auch selbst eins und muss es an den alleinerziehenden Vätern auslassen, die brav jeden Tag ihre Töchter in den Kindergarten bringen, um danach zur Arbeit zu gehen.
Doch heute bleiben ihre spitzen Bemerkungen aus.
»Guten Morgen, Ms Crush«, grüße ich ebenfalls, auch wenn sie vorrangig zu Sadie gesprochen hat. Kurz sieht sie zu mir auf, folgt meinen Bewegungen, als ich mich hinknie und Sadie einen Abschiedskuss gebe, ehe ich mich wieder erhebe.
»Guten Morgen, Mr Turner.« Sie streckt die Hand aus.
Fragend sehe ich von ihrem Gesicht zu ihren ausgestreckten Fingern und zurück und überlege, was sie mir damit sagen möchte. Sadie läuft bereits in den Raum mit den vielen bunten Spielsachen hinein.
»Der Rucksack«, fügt Ms Crush nun tonlos hinzu und hilft mir auf die Sprünge.
Mein Herz rutscht mir in die Hose, denn er steht noch samt Wechselsachen im Flur unserer Wohnung.
Ohne es steuern zu können, ziehe ich meine Schultern nach oben. Gequält lächle ich ihr entgegen und bete förmlich, dass ich keinen weiteren Meter in Ungnade falle. Denn das Loch, das ihre eisige Art schaufelt, ist so schon tief genug.
»Dann probieren wir es wohl morgen erneut«, sagt sie, schüttelt den Kopf und schließt langsam die Tür.
Verdammt, jetzt hat sie doch noch etwas gefunden, mit dem sie mir zeigen kann, wie wenig sie von mir hält.
»Ich wünsche Ihnen ebenfalls einen schönen Tag, Ms Crush«, sage ich so zuckersüß, wie es für einen gestandenen Sportler, der fast seitlich durch diese viel zu kleinen Kindergartentüren gehen muss, weil sein Kreuz so breit ist, möglich ist. Dabei kann sie mir auch eigentlich den Buckel runterrutschen. Wenn es nach mir ginge, hätte ich Sadie schon lange in einem anderen Kindergarten angemeldet. Aber momentan ist Ms Crush neben mir die einzige Bezugsperson für Sadie. Also werde ich weiterhin in den sauren Apfel beißen und sie zu ihr bringen, egal, wie oft ich nach dem Abgeben und Holen diese bunten Wände mit meinen Faustabdrücken verschönern würde.
Die Tür fällt ins Schloss. Mein ganzer Körper entspannt sich, und ich seufze so laut, dass man mich auf dem gesamten Flur hören kann. Damit ist Hürde Nummer eins des heutigen Tages gemeistert.
Mit diesem befreienden Gedanken verlasse ich den Kindergarten und bleibe an der Ecke zum Stadion vor meinem Lieblingscafé stehen. Hin- und hergerissen frage ich mich, wie weit ich die Zeit noch ausreizen kann, während ich durch die Panoramascheiben blicke, hinter denen die Leute an Zweiertischen sitzen und den viel zu gut zubereiteten Kaffee genießen. Eigentlich ist eh schon alles gelaufen. Da kommt es auf die zehn Minuten mehr nun auch nicht mehr an. Also gehe ich zur Tür und betrete das Lokal.
Wie an jedem Morgen begrüßt mich Leon, der Kassierer. »Hey, Jason, ich dachte schon, du kommst heute nicht.«
Ich grüße nur mit einem Nicken zurück. »Als ob ich mir meinen Kaffee nehmen lasse.«
Er grinst, füllt mir einen Pappbecher voll und reicht ihn mir. Ich gebe ihm einen Zehndollarschein. »Stimmt so.« Eilig verlasse ich das Café, damit ich irgendwann an meinem Ziel ankomme.
Fast schon joggend laufe ich aufs Stadion zu und puste unterwegs auf den Kaffee, in der Hoffnung, dass er schneller abkühlt. Freundlich nicke ich Steve, unserem Wachmann am Haupteingang, zu und gehe direkt in die Umkleide. Ich ziehe mich um, exe viel zu schnell den heißen Kaffee und sprinte zum Spielfeld.
Simon steht am Rand und mustert mich. »Schon wieder?«, fragt er mit hochgezogenen Augenbrauen und sieht argwöhnisch auf die Uhr.
Als wäre ich zurück bei der Kindergärtnerin, verziehe ich das Gesicht zu einem aufgesetzten Lächeln und zucke mit den Schultern. »Der Wecker wollte einfach nicht klingeln«, sage ich unschuldig und versuche, ihn mit dieser billigen Ausrede zu besänftigen. Aber da bin ich bei ihm an der falschen Adresse.
»Wecker hin oder her«, sagt er mürrisch. »Das bedeutet …«
»… eine Strafrunde für jede Minute«, beende ich seinen Satz und bin bereits auf dem Weg, um die zwanzig Runden zu laufen, nach denen ich sowieso erst einmal eine Verschnaufpause brauche, weil ich kein Marathonläufer, sondern einer der Safetys bin, der den gegnerischen Quarterback über den Haufen rennen soll.
Trevor, der genauso selten pünktlich ist wie ich, beendet gerade seine letzte Strafrunde. Wenigstens sitzt einer der Spieler mit mir im selben Boot. Nur dass es bei ihm sogar zwei kleine Mädchen sind, die ihn nachts regelmäßig wachhalten, weil sie lieber mit ihm als mit seiner Frau spielen.
Heute leistet mir auch Chris Gesellschaft, neben dem ich mich einfinde, damit wir gemeinsam unsere Runden drehen können.
»Was verschlägt dich denn in dieses wirklich außergewöhnliche Workout?«, frage ich schelmisch.
Chris streicht sich immer wieder eine seiner bereits durchgeschwitzten schwarzen Strähnen aus seinem makellosen Gesicht und pumpt bereits nach Luft. Ihm fehlt eindeutig die Ausdauer. Er sollte öfter zu spät kommen.
»Mein zusätzliches Bonus-Workout zu Hause«, sagt er und grinst so dreckig, dass ich genau weiß, dass er damit seine neue Freundin und sich meint.
»Ja, so ein Workout wäre es mir auch wert gewesen.« Dabei komme ich nicht drumherum, ihn zu beneiden. Genau das wünsche ich mir. Eine neue Freundin zu haben, mit der ich die ganze Nacht verbringen kann, ohne an den nächsten Morgen denken zu müssen. Meine Gedanken verdunkeln sich.
Oder viel zu schnell feststellen zu müssen, dass man nicht zueinander passt. Oder dass einfach von heute auf morgen die Partnerin, der man jahrelang vertraut hat, verschwindet und einen mit einem Kleinkind sitzen lässt. Leise seufze ich. Genauso sieht mein Leben aus, seitdem ich mit Sadie allein bin. Bis heute verstehe ich nicht, wie es nur dazu kommen konnte.
Trotzdem versuche ich, das Beste aus der Situation zu machen. Was aber nichts daran ändert, dass das Leben, das Chris führt, gerade sehr verlockend für mich klingt, denn manchmal reicht meine eigene Hand für Zärtlichkeiten nicht aus. Manchmal möchte ich lieber die Wärme einer Frau spüren, die nach dem Sex neben mir liegt und mit der ich mich zusammen ausleben kann. Doch da ich nicht auf One-Night-Stands stehe, wird dieser Wunsch noch lange unerfüllt bleiben. Mindestens so lange, wie ich ein kleines Kind zu Hause habe, für das ich das Wort Sicherheit an oberster Stelle stellen muss. Da kann ich nicht jede Woche eine neue Beziehung ausprobieren. Nein, das tut uns beiden nicht gut.
Hinzu kommt, dass ich mich in letzter Zeit viel zu oft dabei ertappe, mich zu sehr in meinen missmutigen Gedanken über Jess zu verlieren. Hoffentlich gelingt es mir, die trüben Gefühle bald abzuschütteln. Immerhin muss ich mich auf das Spiel und die Mannschaft konzentrieren, in der ich bisher teilweise nur stiller Zuschauer gewesen bin. Doch das soll sich ab dieser Saison ändern.
»Und bei dir?«, fragt Chris und holt mich aus meinen Gedanken.
»Ach«, versetze ich und winke ab. »Das Übliche. Meine unruhige Sadie und der erbarmungslose Wecker am Morgen sind und bleiben eine Scheißkombi.«
»Es wird besser«, sagt er aufmunternd.
Allerdings kann ich ihm das nicht ganz abkaufen. Immerhin sieht er seine eigene Tochter nur alle paar Wochen, wenn sie aus Minnesota zu Besuch kommt, wo sie bei ihrer Mutter lebt. Außerdem ist sein Mädchen in der Pubertät und fängt an, ihr eigenes Leben leben zu wollen. Das ist kaum mit einem dreijährigen Wirbelwind vergleichbar, der sich unwissend nach Stabilität sehnt. So steht es zumindest in dem Ratgeber, den ich schon auswendig kann.
»Ja«, antworte ich deswegen nur halbherzig, ehe wir bei Simon ankommen und Chris abbiegt, weil er seine Runden voll hat.
»Bis gleich«, sagt er und wirkt erleichtert, sie geschafft zu haben.
Für mich sind sie mittlerweile mehr als eine Strafe. Es sind die einzigen zwanzig Minuten, in denen meine Gedanken ganz allein mir gehören. In denen ich abschalten darf und über nichts nachdenken muss, weil Sadie gut versorgt bei dieser mich hassenden Erzieherin ist und ich gleich in das Training starten kann, das für mich einen der wenigen Fixpunkte in meinem Leben darstellt.
Die Saison startet in genau einer Woche, und das bedeutet endlich erhöhte Trainingsfrequenzen, geregelte Spiele und dadurch hoffentlich wieder mehr Pünktlichkeit meinerseits. Nicht dass Simon am Ende noch denkt, dass ich das hier nicht ernst nehme. Er weiß zwar um meine familiäre Situation, doch die kann nicht immer meine Entschuldigung sein. Ich bin nicht der einzige alleinerziehende Vater auf diesem Planeten. Und wenn das die alleinerziehenden Frauen unserer Cheerleadermannschaft können, dann packe ich das auch.
Meine Gedanken driften zu den Cheerleaderinnen ab. Vielleicht finde ich ja dort jemanden, der in meine verzwickte Lebenssituation passt. Um den ich mich dann ebenfalls kümmern – muss. Mein Kopfkino stoppt. Denn genau so ist es. Frauen wollen immer Aufmerksamkeit. Sie wollen von einem Mann wie mir auf Händen getragen werden. Aber ich trage nur eine Frau auf Händen, und die nennt mich Daddy. Ja, ich sollte mir endlich vollends eingestehen, dass es vorerst bloß eine Person gibt, der mein Herz gehört, und die heißt Sadie.
Simon pfeift. Ich bin zwar mit meinen Strafrunden nicht fertig, aber das ist das Signal zum Anhalten. Also kürze ich die Runde ab, jogge quer über das Spielfeld und stelle mich an den Rand der Gruppe. Auch Keshaw, unser Co-Trainer, und Allison, unsere Mannschaftsärztin, stehen neben ihm.
Ohne etwas zu sagen, sieht Simon auf sein Klemmbrett und steigert die Spannung, die in der Luft liegt, weil wir alle auf seine Worte warten, die uns jedes Mal wieder in ihren Bann ziehen und vor Motivation strotzen.
»Ihr alle wisst, dass Mike letzte Saison dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen ist. Leider lässt es sein Gesundheitszustand nicht zu, dass er zum Leistungssport zurückkehrt.«
Kurz bleibt es still. Alle scheinen sich an die dramatischen Szenen zu erinnern, die uns als Mannschaft ebenso geprägt und noch enger zusammengeschweißt haben.
»Und da ich das Gefühl habe, dass ihr euch im letzten Jahr ziemlich habt gehen lassen, was das Thema Ernährung und gesunde Lebensgewohnheiten angeht, habe ich vor, dieses Jahr das Ernährungsteam aufzustocken. Ihr werdet zeitnah und im Rotationsprinzip in kleinen Gruppen von unserem Medizin- und Ernährungsteam Tipps erhalten, wie ihr eure Kondition durch eine gesunde Lebensweise verbessern könnt. Und sobald ich eine Diätassistentin für den Job hier im Stadion gewinnen kann, können wir sogar genauere Analysen eures Essverhaltens durchführen.«
Ein missmutiges Raunen geht durch das Team. Dieses Thema kommt jedes Jahr zur Sprache, und jedes Jahr wehren wir uns mit Händen und Füßen dagegen oder hören es uns an, nicken nett und machen genauso weiter wie bisher. Aber diese Saison wirkt Simon noch motivierter, diese Informationen in unsere Hirne zu meißeln, damit wir sie so verinnerlichen, dass wir nie wieder ein Bier anrühren.
Genervt verdreht er die Augen, gibt Keshaw sein Klemmbrett und baut sich vor uns auf. »Ich weiß, ihr hasst dieses Thema. Ihr denkt, dass ich euch die Zigaretten und den Alkohol wegnehmen will.«
Die meisten Spieler nicken.
»Da ich aber selbst gern mit euch die Gläser erhebe, hat das nichts damit zu tun«, beschwichtigt er das Team. Besonders Chris, der schon mit verschränkten Armen dasteht, die perfekte Abwehrhaltung einnimmt und damit locker unsere gesamte Defense übernehmen könnte.
»Ich will einfach, dass ihr euch und euren Adoniskörpern auch gelegentlich mal etwas Gutes, oder besser gesagt, das Richtige gönnt.«
»Also Frauen«, ruft Chris von der Seite, und alle lachen. Selbst Simon kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Immerhin sitzt seine Angebetete oben in einem Büro und wartet bestimmt nur darauf, dass er sie zu einem Rollenspiel animiert.
»Frauen tun uns auch gut, aber das tut ein Salat mit Nüssen ebenso.«
Bevor Chris den Mund zum nächsten Konter aufmachen kann, lässt sich Simon von Keshaw das Klemmbrett vor die Nase halten und teilt die Teams ein.
»Leroy, Keyce, Blair und Simmons. Ihr seid Gruppe eins und habt ab der kommenden Woche Laufbandtesttraining. Chris, Trevor, Mikosh und Jason.« Er sieht auf. »Ihr seid Gruppe zwei und werdet die Ersten sein, deren Essverhalten genauer unter die Lupe genommen wird. Seid also bitte gnädig mit der Person, die sich zutraut, euch neben mir Regeln vorzugeben. Bringt gute Laune mit und versucht, das Wort Vergraulen aus eurem Wortschatz zu streichen.«
Chris winkt ab. »Als ob wir das schaffen.« Dabei zeigt er auf Allison, die junge Assistenzärztin, die neben Simon steht. »Hier kommen nur starke Persönlichkeiten ins Team. Und jeder, der dem nicht gewachsen ist, hat bei uns einfach nichts verloren.«
Unbeeindruckt sieht Simon ihn an und räuspert sich. »Mhm, ja, sehr nette Ansicht, aber die hilft uns auch nicht weiter, da wir froh sein können, überhaupt jemanden für den Posten begeistern zu können, weil fast jeder weiß, wie schwer es ist, eine Truppe wie euch zu bespaßen. Also behalte deine flachen Witze für dich, oder besprich sie heute Abend mit deiner Liebsten, wenn du ihr zeigst, was für ein toller Hengst du doch bist.«
Wieder geht Gelächter durch die Reihen. Davon lässt sich Chris jedoch nicht beeindrucken, der, seitdem Mike nicht mehr aktiv spielt, meint, seinen Platz des Alphamännchens in der Mannschaft einnehmen zu müssen. Dabei gebührt dieser Posten ganz allein Leroy, der nah bei Allison steht und seine Muskeln spielen lässt. Seit Ende der letzten Saison sind die beiden ein Paar. Doch egal, wie oft er es täglich versucht, sie geht nie auf seine Spielchen während des Trainings ein. Ihre Professionalität ist wirklich bewundernswert, dabei spricht ihr Blick eine ganz andere Sprache.
»Wenn es keine weiteren Fragen gibt, dann geht das Training weiter«, sagt Simon und zieht meine Aufmerksamkeit zurück auf sich. »Also auf eure Plätze und los.«
Ich drehe mich um und jogge weiter. Ernährungsberatung? Gesunde Essgewohnheiten mit Salat und anderem Grünzeug? Sag das mal meiner Tochter, wenn sie wieder einen Heulkrampf bekommt, weil ich ihr keine Nudeln koche.
Mit angewinkelten Beinen sitze ich in der Dusche und lasse das warme Wasser auf mich niederprasseln. Leider werden nicht alle Spuren dieser Nacht gänzlich von meinem Körper verschwinden, egal, wie sehr ich mir das auch wünsche. Die blauen Flecken und Blutergüsse, die sich unter meiner Haut befinden, werden mich noch länger begleiten. Genauso wie die schmerzhaften Erinnerungen an die letzten Stunden.
Wann der Krankenwagen genau weggefahren ist oder wie spät es ist, weiß ich nicht, denn obwohl ich gerade allein bin, lassen mich die gedanklichen Ketten, die in diesem Haus über all die Jahre geschmiedet worden sind, einfach nicht los.
Ich könnte längst weg sein. Mit dem Auto quer durchs Land reisen oder mich in einen der Busse setzen. Gleichzeitig scheint in meinen Gedanken eine Art Mauer zu existieren, die es mir fast unmöglich macht, dieses Haus und all das Gute, das ich an diesem Ort erlebt habe, tatsächlich hinter mir zu lassen.
Ja, war denn wirklich alles so schlecht, oder war der gestrige Abend eventuell meine Schuld? Habe ich meinen Mann zur Weißglut getrieben, weil ich dieses verfluchte schwarze Kleid nicht anziehen wollte? Wenn ich es getan hätte, dann würde ich jetzt nicht hier sitzen und darüber nachdenken müssen, ob mein Mann die Folgen des Sturzes überleben wird, für den ich verantwortlich bin.
Erneut laufen Tränen meine Wangen hinab, die sich sofort mit dem restlichen Wasser vermischen und still in den Abfluss fließen.
Abrupt schwingt die Tür vom Bad auf, und ich schrecke auf. Meine Atmung gerät aus dem Gleichgewicht. Ist er zurück? Folgt jetzt die Strafe für mein Fehlverhalten oder …?
Das vertraute Gesicht von Maya, unserer Haushälterin, taucht hinter der Glasscheibe auf. »Mrs Pierce, ist alles in Ordnung?«
Ich antworte ihr nicht, denn meine Gedanken drehen eine neue Runde im Karussell. Trotzdem lege ich meine Hände intuitiv auf die Stellen meines Körpers, die nicht so aussehen, wie sie es sollten, um nicht preiszugeben, dass dieses Leben gleichzeitig Himmel und Hölle ist.
»Mrs Pierce?«, spricht sie mich erneut an. In ihrem Blick liegt die pure Besorgnis, die durch ihre vielen Falten nur noch stärker unterstrichen wird. Sie dreht sich um, ist kurz verschwunden und als sie wieder vor mir auftaucht, öffnet sie die Duschtür, dreht den Wasserhahn zu und streckt mir ein großes Badehandtuch entgegen, das sie aus dem Schrank im Schlafzimmer geholt haben muss. Abrupt reiße ich die Augen auf. Dann hat sie das viele Blut gesehen.
Sie faltet es auf und legt es mir über den zitternden Körper. »Soll ich Ihnen helfen, Mrs Pierce?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein«, krächze ich. »Ich komme sofort.«
Wenig überzeugt wirkend nickt sie und verlässt das Bad, um wahrscheinlich ihre übliche morgendliche Routine aufzunehmen.
Eigentlich will ich die Dusche, diesen kleinen geschützten Raum, in den ich mich zurückgezogen habe und der mir zwar das falsche, aber trotzdem ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, nicht verlassen. Doch irgendwann muss ich mich den Problemen, die in diesem Haus mehr als offensichtlich erkennbar sind, stellen. Also rapple ich mich auf, wickle das Handtuch um meinen Körper und verlasse die Dusche. Am Spiegel über den Waschbecken halte ich inne. Die meisten Spuren sind bereits verblasst oder unter dem Handtuch versteckt. Vor allem meine rechte Rippenseite schmerzt bei jedem Atemzug. Dafür hat das Pochen in meinem Fuß ein wenig nachgelassen. Ich hole tief Luft, bringe den Strudel aus Emotionen kurz zum Stillstand und verlasse das Bad. Trotzdem begleitet mich das mulmige Gefühl wie ein Schatten, der immer mit mir verbunden ist.
Auf dem Flur in der oberen Etage ist es still. Dafür höre ich Maya bereits in einem der anderen Zimmer herumwirbeln. Mit schweren Schritten laufe ich über den Teppichboden. Dann erkenne ich ihren Schatten, der sich durch das Schlafzimmer bewegt, und alles in mir erfriert erneut zu Eis.
Ich habe mich schon vorhin, als die Sanitäter da waren, nicht in den Raum getraut. Danach bin ich gleich ins Bad, damit mich meine düsteren Gedanken nicht heimsuchen. Aber jetzt scheint es kein Hindernis mehr zu geben, das mich vor dem schützt, was mich gleich erwartet.
»Mrs Pierce?«, fragt Maya erneut.
»J-ja?«
Schritte werden lauter. Dann steht sie mit einer Hand am Türrahmen vor mir. »Was ist passiert?«
Wieder diese Frage und wieder diese Wand, gegen die ich mich gedanklich presse, weil ich will, dass die Erinnerungen wie ein Schnellzug an mir vorbeirauschen, ohne mir die grausamen Bilder zu zeigen.
Wieso auch immer zeige ich hinter mich. »M-mein Mann ist gestürzt. Ich habe den Rettungsdienst gerufen, und sie haben ihn mitgenommen. Er kommt bestimmt bald wieder.«
Er kommt bestimmt bald wieder. Meine eigenen Worte hallen in meinem Kopf nach.
Gleichzeitig verschwindet die Besorgnis in Mayas Blick. »Es wird mit Sicherheit alles gut, Mrs Pierce.« Sie zeigt ins Schlafzimmer. »Ich beseitige das Blut. Dann sieht alles wieder wie neu aus.«
Ich folge ihrer Handbewegung, beuge mich vor und blicke auf den großen roten Fleck neben der Bettseite meines Mannes und dann auf die weiteren Blutspuren, die sich bis zur Tür erstrecken.
Sofort wird mir übel. Ich drehe mich weg, presse mich gegen die Wand und atme so schnell ein und aus, dass mir schwindelig wird.
»Mrs Pierce?«
Ich kann diesen Namen nicht mehr hören. Ich kann dieses Blut nicht sehen und ich kann nicht länger in einem Haus leben, in dem ich es geschafft habe, dass nicht einmal die Haushälterin mitbekommen hat, dass mich mein Mann, den ich seit zehn Jahren kenne, mich sechs Jahre lang misshandelt hat. Vielleicht will sie es auch nicht sehen, doch das ist egal. Es schmerzt so oder so.
Hier bei uns können Sie unbeschwert leben und Feierabend in Dauerurlaub umbenennen.
Die Worte aus der Werbesendung ertönen erneut in meinen Gedanken. Ich brauche keinen Dauerurlaub, aber ich brauche einen Ort, an dem ich unbeschwert leben kann. Und solange ich den Elan und den Mut dazu habe, muss ich hier weg. Sonst verkümmere ich in diesem Leben, das man nicht einmal als solches bezeichnen kann.
»Maya«, säusele ich so gut ich kann. »Wären Sie so lieb und würden mir ein paar frische Sachen aus dem Schrank geben?«
»Natürlich.« Sofort geht sie los. Ich höre, wie sie die verschiedenen Schränke öffnet und schließt. Dann steht sie wieder neben mir und reicht mir die ordentlich zusammengelegten Kleidungsstücke.
»Bitte.«
»Vielen Dank.« Ich nehme sie ihr ab und laufe zurück ins Bad, in dem ich mich hastig umziehe, mir kurz die Haare kämme und dann zurück in den Flur stürme, um in das Arbeitszimmer meines Mannes zu laufen. Dort sammle ich all meine Dokumente, Ausbildungsnachweise und Ausweise zusammen, die ich beim ersten Mal vergessen hätte. Nur das Handy lasse ich absichtlich liegen. Anschließend eile ich die Treppen hinunter und greife am Eingang sofort nach den Schlüsseln für das Auto.
»Maya, ich bin kurz weg«, rufe ich nach oben. Und komme hoffentlich nie wieder.
Noch ehe sie antwortet, bin ich zur Tür hinaus, drücke wie bereits in der Nacht die beiden Knöpfe, steige ein und starte den Motor. Doch dieses Mal blockiert mein Fuß nicht und ich fahre los.
Zwei Tage später sitze ich einem Bus Richtung Florida. Meinen Wagen habe ich zwei Querstraßen vom Busbahnhof entfernt geparkt. Und nachdem ich zweimal umgestiegen bin, starre ich nun gedankenverloren aus dem Fenster. Der Werbespot, den ich gesehen habe, spielt sich in Dauerschleife in meinem Kopf ab. Dass ich bereits fast achtundvierzig Stunden unterwegs bin, habe ich nur durch das Auf- und Untergehen der Sonne mitbekommen. Gleichzeitig hat die lange Fahrt dafür gesorgt, dass sich der Sturm in meinem Kopf gelegt hat und ich ein ganz klein wenig freier atmen kann, denn die Ketten, die ich jahrelang getragen habe, sind ab. Und doch habe ich das Gefühl, dass sie weiterhin um meine Handgelenke liegen und mich zurückziehen wollen. Und ab und zu ertappe ich mich dabei, wie ich genau das auch will.
»Clearwater Beach«, verkündet der Fahrer durch die Lautsprecher und zieht mich damit aus meinen düsteren Gedanken.
Ich blicke aus dem Fenster. Gerade fahren wir am Ortsschild von Clearwater vorbei, und ich umgreife den Gurt meiner Tasche fester, weil ich dort angekommen bin, wo das Leben einfacher sein soll.
Meine Augen brennen von den vielen Tränen, die ich vergossen habe. Ich glaube sogar, dass ich gerade gar nicht mehr in der Lage bin zu weinen, egal, ob ich es wollen würde oder nicht. Und das ist gut so, denn ich will nicht zurückblicken oder an das zurückdenken, was in Chicago gewesen ist. Ich hoffe, dass ich auch für meinen Ehemann irgendwann nur noch eine blasse Erinnerung bin, die es nicht wert ist, ihr nachzujagen.
Mein Blick schweift in die Ferne und ich genieße die ganzen fremden Eindrücke, die auf mich einwirken. Erst jetzt realisiere ich, dass das Meer vor mir immer größer wird. Goldorange spiegelt sich die aufgehende Sonne auf der Wasseroberfläche und taucht die Umgebung in ein angenehmes Licht. Es erweckt die schlechten Erinnerungen zum Leben und meine Hand beginnt von Neuem zu zittern.
Ich schlucke, schüttle den Kopf und sehe diese Sonne als etwas Gutes. Etwas, das ich früher geliebt habe und es wieder tun kann.
Der Bus biegt ab, und die Sonne verschwindet. Sie wird durch das große Gebäude verdeckt, an dessen Ecken große Fahnen mit der Aufschrift Florida Falcons