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Als eine männliche Leiche, versenkt mit einem Anker, aus dem Meer gefischt wird, würde Detective Inspector Hal Challis am liebsten den Fall jemand anderem überlassen. Er ist frustriert wegen seiner Liebesbeziehung und zudem genervt von seinen Kollegen bei der Polizei, die er unsauberer Geschäfte verdächtigt. Immer öfter zieht er sich in einen Hangar zurück, wo er an seinem alten Flugzeug herumbastelt und wo auch seine Flugplatzbekanntschaft Kitty arbeitet. Doch dann entdeckt Challis seltsame Luftaufnahmen, die Kitty mit Drogengeschäften und Mord in Verbindung bringen. Der melancholische Hal Challis zögert, ist hin- und hergerissen, bis ihm keine Wahl mehr bleibt: Um weiteres Unglück zu verhindern, muss er eingreifen.
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Seitenzahl: 395
Als eine männliche Leiche aus dem Meer gefischt wird, würde Detective Inspector Hal Challis am liebsten den Fall jemand anderem überlassen. Er ist frustriert wegen seiner Liebesbeziehung und zudem genervt von seinen Kollegen bei der Polizei. Aber bald wird ihm klar: Um weiteres Unglück zu verhindern, muss er eingreifen.
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Garry Disher (*1949) wuchs im ländlichen Südaustralien auf. Seine Bücher wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter zweimal der wichtigste australische Krimipreis, der Ned Kelly Award, viermal der Deutsche Krimipreis sowie eine Nominierung für den Booker Prize.
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Peter Torberg (*1958) studierte in Münster und in Milwaukee. Seit 1990 arbeitet er hauptberuflich als freier Übersetzer, u. a. der Werke von Paul Auster, Michael Ondaatje, Ishmael Reed, Mark Twain, Irvine Welsh und Oscar Wilde.
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Garry Disher
Flugrausch
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Ein Inspector-Challis-Roman (2)
E-Book-Ausgabe
Unionsverlag
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Originaltitel: Kittyhawk Down (2003)
© by Garry Disher 2003
© by Unionsverlag, Zürich 2024
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Martina Heuer
ISBN 978-3-293-30355-3
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Cover
Über dieses Buch
Titelseite
Impressum
Unsere Angebote für Sie
Inhaltsverzeichnis
FLUGRAUSCH
1 – Auf dem Nationalparkschild stand »Bushrangers Bay 2,6 km« …2 – Ellen Destry wäre Ostersamstagabend lieber daheim geblieben …3 – Nachdem Dwayne Venn festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht …4 – Es war elf Uhr nachts, Challis hockte vor …5 – Nachdem Dwayne Venn verhört und ins Untersuchungsgefängnis gebracht …6 – Ostersonntagnachmittag. Mostyn Pearce fütterte sein Frettchen Blur …7 – Challis duschte, zog sich an und machte sich …8 – »Er muss betrunken gewesen sein oder so was.«9 – Ostermontag. Zwei Tage waren seit der Verhaftung am …10 – Dienstag. Für die meisten Menschen bedeutete das wieder …11 – Challis schlief schlecht und wachte am Dienstagmorgen zeitig …12 – Als Challis und Destry die Treppe hinaufkamen …13 – Pam Murphy saß diesmal hinterm Steuer, aber nur …14 – Heute wurde der Einmischer von noch größerem Missmut …15 – »Deine Haare sind immer noch ziemlich blond vom …16 – Scobie fuhr vom Flugplatz zurück nach Waterloo. »Was …17 – Diesmal fuhren Pam und Tankard einen Zivilwagen …18 – Es war nervenaufreibend, sicher, gleichzeitig aber auch befreiend …19 – Das hier war doch kein Mord, was also …20 – Ellen kam erst spät nach Hause; das Essen …21 – Als Pam Murphy am Mittwochmorgen gegen acht Uhr …22 – Zwei Streifenpolizisten hatten den Mord-Selbstmord-Anruf überprüft und meldeten …23 – Pam Murphy stand in einem Haus in Tyabb …24 – Special Operations und ihre Spürhunde suchten das offene …25 – Tessa Kane hatte sich bemüht, den Direktor und …26 – Am Mittwoch war die Einsatzzentrale für die Suche …27 – Immer dasselbe beim Klinkenputzen. In der einen Hälfte …28 – Donnerstagnacht wurde Munros verbeulter Toyota auf dem Parkplatz …29 – Tankard gab nicht auf. Vielleicht sollte er Pam …30 – Tankard war erst von den Männern der Special …31 – Kaum war Dwayne Venn auf Kaution freigekommen …32 – »Ich habe versucht, Sie auf dem Revier zu …33 – Eine Durchsicht der Einreiseunterlagen und Passagierlisten der Fluglinien …34 – Als Carl Lister sagte, er wolle informiert werden …35 – Challis arbeitete am Dienstagnachmittag bis gegen vier Uhr …36 – Am Mittwochmorgen war Larrayne gedrückter Stimmung, den Tränen …37 – »Kitty hat häufig bis spät hier gearbeitet« …38 – Es war schon dunkel, und Pike war völlig …39 – Donnerstagmorgen maulte Aileen Munro: »Sie schon wieder.«40 – »Du frierst dir die Titten ab hier draußen« …41 – Pam Murphy erstattete Meldung, und die Detectives und …42 – Es war früher Nachmittag, das Telefon klingelte …43 – Letzten Abend hatte Challis im Auto auf der …44 – »Und es gibt keinen Zweifel?«, fragte Scobie am …45 – Als Challis wieder in der Einsatzzentrale in Waterloo …46 – »Wie gehts John Tankard?«47 – Die folgenden drei Tage waren voller Verhöre …Mehr über dieses Buch
Über Garry Disher
Garry Disher: Gedanken über die Arbeit am Schreibtisch
Garry Disher: »Ich genieße es, im deutschsprachigen Raum auf Lesereise zu gehen.«
Über Peter Torberg
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Ich möchte mich bei den Kriminalpolizisten und bei der uniformierten Polizei von Victoria bedanken, die viel Zeit für mich hatten, als ich Hintergrundinformationen für dieses Buch sammelte. Jede Abweichung von der üblichen polizeilichen Vorgehensweise (wie zum Beispiel die Einführung eines örtlichen Inspectors der Mordkommission) geht ganz allein auf mein Konto.
Auf dem Nationalparkschild stand »Bushrangers Bay 2,6 km« und »Cape Schank 5,4 km«. Hal Challis zwängte sich durch die Schranke, die die Mountainbiker abhalten sollte, und ging den Pfad entlang; das Buschland war warm, die Vegetation färbte sich an diesem Ostersamstagnachmittag im Frühherbst rot und gelb.
Bushranger.
Das klang nach Gewaltverbrechen und Romantik. Durchaus zutreffend, denn Challis war wegen eines Mordes und wegen der Liebe schon einmal hier gewesen.
Herbst. »Fall«, wie die Amis sagen. Besser ließ sich diese Jahreszeit und sein jetziges Leben nicht beschreiben. »Fall.« Ringsherum waren schon die ersten Blätter von den Bäumen gefallen. Seit dem gestrigen Karfreitag war sein Lebensmut in den Keller gefallen, und in der Liebe war alles falsch gelaufen. Und er dachte an die Leiche, die fiel, die durchs Wasser fiel.
Im Weitergehen scheuchte Challis eine kleine Schlange auf. Challis war groß, schlank, aber grobknochig und wirkte ein wenig altmodisch in Jeans, abgewetzter Fliegerjacke und Lederschuhen. Die Sonnenbrille war nicht modisches Accessoire, sondern schützte einfach seine Augen. Er hatte noch nie ein T-Shirt als Unterhemd getragen oder das Haus in Trainingshose verlassen. Er hatte noch nie ein Paar Laufschuhe besessen. Seine Haare waren glatt, dunkel und bewegten sich ein wenig im Wind. Einmal im Monat ließ er sie sich von einer jungen Frau schneiden, die bei ihrem Vater in einem Frisiersalon in Waterloo arbeitete. Sie schnitt gut und war aufmerksam, und für zehn Dollar schickte sie ihn mit einem säuberlich frisierten Kopf wieder hinaus in die Welt. An diesem Tag also fiel Challis äußerlich nicht auf, und er nickte den Menschen, die ihm auf dem Wanderpfad entgegenkamen, ernst und höflich zu. Ostersamstag, 17 Uhr 30. Zu dieser späten Uhrzeit strömten die Paare und Familien zum Parkplatz zurück. Nur Challis ging in die andere Richtung. Er war froh, die Straßen der Halbinsel hinter sich lassen zu können, die vermutlich mit Urlaubern verstopft waren. Nur sehr wenigen fiel auf, wie angespannt er war, so als hüte er ein Gewirr aus Gefühlen, und die Sonnenbrille verbarg den schon gewohnheitsmäßig müden, unbeeindruckten und zweiflerischen Ausdruck auf seinem Gesicht.
Challis hätte auch was Besseres mit seiner Zeit anfangen können. Er hätte mit Tessa Kane eine Osterwanderung entlang den Stränden der Halbinsel machen können, doch gestern hatte er einen Rückzieher machen müssen, und damit war seine Stimmung in den freien Fall geraten. Er hätte daheim sitzen und lesen oder die Blätter zusammenharken können, doch am frühen Nachmittag hatte er sich dabei ertappt, wie er darauf wartete, dass das Telefon klingelte und ihm weitere schlechte Nachrichten aus dem Frauengefängnis brachte, wo seine Frau acht Jahre abzusitzen hatte. Also hatte er das Haus verlassen. Er hätte auch Freunde besuchen können, doch die hatten alle Kinder, und Ostern war eine Zeit familiärer Verbundenheit und Streiterei, und niemand wollte einen vierzigjährigen Single bei sich herumhängen haben.
Also dachte er an Mord. Als der für die Halbinsel zuständige Inspector der Homicide Squad war es sein Job, an Mord zu denken. Tatsächlich gab es davon zwei, beide relativ lange her, beide ungelöst. Beim ersten gab es noch nicht mal eine Leiche, nur einen dringenden Verdacht. Vor zehn Monaten – im Juni des vergangenen Jahres – war die zweijährige Jasmine Tully verschwunden. Sie lebte mit ihrer Mutter Lisa und deren Lebensgefährten in einer heruntergekommenen Fischerhütte am Stadtrand von Waterloo. Das CIB in Waterloo verdächtigte Bradley Pike, den Lebensgefährten. Als es ihnen nicht gelang, Pikes Alibi zu erschüttern oder irgendwelche Beweise aufzuspüren, hatten sie Challis hinzugezogen. Challis hatte Brad Pike ebenfalls im Verdacht, und er hatte Stunden vergeblich damit zugebracht, sein Alibi zu erschüttern. Fälle, bei denen es um Kinder ging, waren die schlimmsten. Challis hasste so etwas. Am Ende fühlte er sich immer müde und nutzlos.
An der Bushrangers Bay war er allerdings wegen des anderen Mordes.
Und wegen der Liebe. Wenn Tessa Kane sich an den Zeitplan hielt, den sie sich vorgenommen hatten, dann würde sie etwa um diese Zeit von Cape Schank aus den Weg antreten. Vielleicht würde er ihr begegnen. Vielleicht würde sie mit ihm reden wollen.
Vielleicht auch nicht.
Beim zweiten Mord gab es eine Leiche; Tessa Kane hatte sie auf der Titelseite ihrer Zeitung die »Ankerleiche von Flinders« genannt. Unglücklicherweise war dieser Name allen im Gedächtnis geblieben, und nun nannte selbst Challis sie so.
Sie war vor etwa sechs Monaten von einem Fischer aus Flinders gefunden worden. Als der Fischer seinen Anker einholen wollte, fiel ihm das ungewöhnliche Gewicht auf. Er hievte ihn weiter an Bord und entdeckte einen zweiten Anker, der sich in den Flügeln seines eigenen Ankers verfangen hatte. Doch der allein machte noch nicht das zusätzliche Gewicht aus. An diesem zweiten Anker hing eine Leiche – sie war angegurtet, ein Unfall war das also nicht.
Der Fischer rief über Handy die Polizei an und dümpelte eine Stunde lang im Meer vor der Bushrangers Bay, bis eine Polizeibarkasse eintraf und den Fall übernahm.
Keiner kannte den Toten. Challis sah die Leiche, bevor der Rechtsmediziner an ihr herumsägte. Das Fleisch war schwammig, aufgedunsen und fiel wie bei einem gekochten Huhn fast von den Knochen. Nur die Fingerspitzen des rechten Daumens und Zeigefingers waren noch brauchbar, zwar aufgeweicht und schrumplig, doch das Labor hatte Flüssigkeit unter die Haut spritzen und sie so weit dehnen können, dass man brauchbare Fingerabdrücke nehmen konnte. Keinerlei Übereinstimmung mit dem nationalen Register. Als sich der Eindruck verstärkte, dass die Zähne möglicherweise im Ausland behandelt worden waren, hatte Challis es über Interpol versucht, über den Home Office National Computer in Großbritannien und übers FBI.
Nichts.
Die Kleidung – Jeans, T-Shirt, Unterwäsche und Nikes – war in asiatischen Billiglohnbetrieben für den australischen Markt hergestellt worden. Zu kaufen gab es sie an jeder Straßenecke.
Der Mann war Mitte dreißig gewesen. Jemand hatte ihm den Schädel eingeschlagen, bevor er ins Wasser geworfen worden war; mehr wusste Challis nicht. Der Mann wies zudem Stichwunden in der Bauchgegend auf, aber die Todesursache war Ertrinken, wie der Rechtsmediziner feststellte, dem das viele Salzwasser in der Lunge auffiel. Der Schlag gegen den Kopf? Möglicherweise sollte der das Opfer betäuben. Die Stichwunden? Vielleicht, um so dafür zu sorgen, dass die Verwesungsgase entwichen und die Leiche unter Wasser blieb.
Der Schlag war möglicherweise mit eben jenem Anker ausgeführt worden, mit dem die Leiche auf den Grund sank, vermerkte der Rechtsmediziner in seinem Bericht, nachdem er die Form des Abdrucks im Schädel mit dem Ankerschaft verglichen hatte. Mit dem Anker sollte der Körper unter Wasser gehalten werden, bis die Fische die Knochen sauber geputzt hatten. Glücklicherweise war der Fischer zwei oder drei Tage später an der Stelle vorbeigekommen. Oder auch unglücklicherweise, denn das Opfer zu identifizieren und mögliche Täter zu finden bereitete Challis massive Kopfschmerzen.
Zumindest der Anker verriet Challis ein paar Dinge: Die Leiche war versenkt, nicht über eine Klippe geworfen worden, und das ersparte ihm die Mühe, die mögliche Abdrift der Leiche aufgrund der Gezeiten und der Küstenlinie schätzen zu müssen.
Und da war noch etwas. Das Opfer trug eine Rolex Oyster. Silber, mit Gliederarmband. Nicht gerade die teuerste Rolex, aber echt, keine Fälschung aus Singapur oder Bangkok für zehn Dollar. Falls die Rolex auf ein gewisses gesellschaftliches oder finanzielles Niveau hindeutete, dann war dies der einzige Hinweis darauf. An der Kleidung und an den Nikes war dies jedenfalls nicht abzulesen.
Challis marschierte weiter, und die Ankerleiche ging ihm im Kopf herum wie eine schimmernde Erscheinung, die sich eines Tages klar zeigen, Stofflichkeit annehmen und ihm die Geschichte ihrer letzten Tage und Minuten erzählen würde, bevor sie zum Sterben ins Wasser geworfen worden war.
Auf dem grasbewachsenen Hang oberhalb des Pfades konnte Challis Kängurus grasen sehen. Er nickte einer jungen Familie zu, trat beiseite, um ihnen Platz zu machen, und fragte sich, wie er sich entscheiden sollte, wenn er an der Weggabelung an der Spitze der Klippe oberhalb der Bucht angekommen war. Zum Strand hinuntergehen und mit den Elementen plaudern, in der Hoffnung, den Fall zu lösen? Weiter in Richtung Cape Schank gehen und darauf hoffen, Tessa zu begegnen?
Langsam setzte die Abenddämmerung ein. Challis konnte Lichter auf dem Wasser und die Lichter von Phillip Island am Horizont erkennen. Vom Meer her kam ein kühler Herbstwind. Challis zog den Reißverschluss seiner Windjacke zu. Er war hungrig, müde, verfroren, deprimiert – und all dies wegen eines einzigen Telefonanrufs.
Jeder normale Durchschnittsmensch wäre vielleicht nicht um sieben Uhr früh am Karfreitag ans Telefon gegangen. Aber Challis war Inspector bei der Homicide Squad und ging immer ans Telefon. Also bekam er zu hören, wie seine Frau, die im Gefängnis ihre Telefonkarte benutzte, ankündigte, sie wolle sich das Leben nehmen.
Ihr Mut sank immer zu den Feiertagen. Ihr Mut befand sich im Fall.
Challis war zwanzig Minuten lang am Telefon geblieben und hatte sie reden lassen, damit sich ihre Depression wieder löste. Aber dann war es doch geschehen. Er lag gerade mit Tessa im Bett, als der Anruf kam, und eine Stunde später – als die Stimmung zur Liebe verflogen war und er sich gerade mit Tessa darauf vorbereitete, zu einer zweitägigen Wanderung entlang den Stränden der Halbinsel aufzubrechen – riefen Challis’ Schwiegereltern an und teilten ihm mit, ihre Tochter habe die Telefonkarte durchgebrochen und versucht, sich damit die Pulsadern aufzutrennen, und läge nun im Gefängniskrankenhaus. Sie schwebe nicht mehr in Lebensgefahr, doch Challis’ Anwesenheit würde ihr vielleicht gut tun, und ob er wohl … falls er nicht gerade anderweitig …
Challis hatte eingewilligt.
»Es ist an der Zeit loszulassen, Hal«, hatte Tessa gesagt, ihm dann mitgeteilt, dass sie allein losmarschieren würde, und war losgefahren.
Als Challis am Nachmittag von dem Besuch bei seiner Frau zurückgekehrt war, hätte er sich beinahe doch noch auf den Weg gemacht.
Vielleicht hätte er das wirklich tun sollen. Er war nicht besonders gut darin, solche Dinge einzuschätzen, aber im Nachhinein fand er, dass das wohl besser gewesen wäre als jetzt, einen Tag danach, wo das alles in Tessa weitergegärt und sie in Gedanken und im Herzen nur noch mehr gegen ihn aufgebracht hatte.
Völlig verunsichert machte er plötzlich kehrt und ging zurück zu seinem Wagen.
Fast 18 Uhr … Auf der Heimfahrt hörte er Nachrichten. Zwei Asylbewerber waren aus dem neuen Internierungslager in der Nähe von Waterloo ausgebrochen. Challis schüttelte den Kopf, als er sich den Ärger vorstellte, die Streitereien, die Mehrarbeit für Ellen Destry und ihre Detectives im CIB.
Ellen Destry wäre Ostersamstagabend lieber daheim geblieben, doch sie war Detective Sergeant auf dem Revier in Waterloo, und sie konnte den Hunger spüren, der in Dwayne Venn aufstieg.
Venn fuhr gern zu drei, vier der beliebten lauschigen Knutschplätze auf der Halbinsel, parkte im Dickicht der Bäume neben der Straße und griff dann die Pärchen in ihren Autos an. Im wässrig grünen Licht der Nachtsichtferngläser sah er genauso aus wie so ein herumschleichender Irrer in einem Slasherfilm aus Hollywood, doch bei den beiden letzten Malen, als das CIB ihm auf den Fersen blieb, hatte er nur zugeschaut. Bisher hatte er noch nicht mal seinen kleinen Kumpel zum Spielen hervorgeholt.
Ellen zweifelte langsam am Wahrheitsgehalt von Pam Murphys Information. »Vielleicht hat Ihr Informant uns nur einen Voyeur geliefert, keinen Vergewaltiger«, hatte sie letzte Woche zu der jungen uniformierten Polizistin gesagt, nachdem sie wieder mal drei Stunden in der Dunkelheit auf der Lauer gelegen hatten.
Aber Venn war ein übler Bursche, und im Spätsommer hatte es bereits zwei Vergewaltigungen mit Messern gegeben, die auf unkontrollierte Gewalt hindeuteten. Und nun begann Tessa Kane, Challis’ Zeitungsfreundin, in ihrem Blatt Fragen zu stellen, also würde Ellen diesen Burschen so lange unter Beobachtung halten, wie es das Budget erlaubte. Senior Sergeant Kellock hatte sich am Nachmittag die Zahlen einmal ein bisschen genauer angeschaut und ihr gesagt: »Zwei Constables, Murphy und Tankard, mehr kann ich nicht abstellen, jetzt, wo diese Fanatiker aus dem Internierungslager ausgebrochen sind.«
Fanatiker? Als Nächstes würde er sie »Windelköppe« oder »Sandnigger« schimpfen, wie irgend so ein Redneck im Film. Der Lagerdirektion zufolge handelte es sich um zwei Iraker, einen Ingenieur und einen Taxifahrer. Aber deren Flucht sollte nicht Ellens Sorge sein – noch nicht. Ihr Augenmerk lag darauf, Venn zu ertappen.
Also lag sie wieder im Unterholz, wo man sie nicht sah, von wo aus sie aber den Zivilstreifenwagen des Reviers, einen blauen Falcon, als Umriss in der Dunkelheit erkennen konnte. Im Gebüsch auf der anderen Seite befand sich John Tankard, einer der beiden Polizisten. Pam Murphy saß zusammen mit dem Detective Constable Scobie Sutton auf dem Rücksitz des Falcon. Sie mimten das Liebespaar. Sie trugen weder Hemd noch Bluse. Pams BH war schwarz, was aus irgendeinem Grunde auf Leidenschaft und Hingabe deutete, wenn man der Werbung glauben wollte. Alle vier waren bewaffnet und standen per Ohrhörer und Mikro in Funkkontakt miteinander. Dem flüchtigen Auge durften die Mikros, die Sutton und Murphy trugen, wie aufeinander abgestimmte Halsketten erscheinen.
»Destry in Position«, sagte Ellen leise.
Scobie murmelte ihr ins Ohr: »Sutton in Position.«
»Murphy in Position.«
»Tankard ebenfalls.« Man konnte sich darauf verlassen, dass Tankard es stets anders machte als alle anderen.
Dann warteten sie. Sie befanden sich hundert Meter von der Touristenstraße entfernt, die den Zugang zu dem Beobachtungsposten freigab. Es herrschte nur wenig Ortsverkehr – an diesem Ostersamstagabend waren alle unten an der Flachküste, strömten herdenweise zu Partys, in Pubs, Restaurants und ins Kino.
In diesem Augenblick kam ein Van angefahren. Er blieb eine halbe Stunde stehen, man konnte leise Musik hören, und als der Wagen wieder davonklapperte, hinterließ er eine Marihuanawolke. Auf der Port Phillip Bay waren Lichter zu erkennen, und jenseits des schwarzen Wassers glomm der ferne Horizont über den Vororten Melbournes. Federwolken verdeckten Sterne und Mond.
Ellens Aufmerksamkeit schweifte ab. Zu Hause in Penzance Beach feierte ihre Tochter eine Party. Ellen machte sich Sorgen. Es war Larraynes siebzehnter Geburtstag, und Ellen wollte feiern, dass es ihrer Tochter nun besser ging. Vor etwas mehr als einem Jahr war Larrayne von einem Mann entführt worden, der zuvor schon drei Frauen verschleppt und ermordet hatte. Vor der Entführung war sie ein Bündel von pubertären nervösen Stimmungsschwankungen gewesen, doch seitdem war sie ruhiger und fleißiger geworden und blieb lieber zu Hause. Mit der Party wollte Ellen auch die Tatsache feiern, dass Larrayne das Gesindel abgeschüttelt hatte, mit dem sie in der Schule rumgehangen hatte, und neue Freundschaften pflegte. Die neuen Freunde waren anständige Kinder, aber neben all dem anderen Mist, der in letzter Zeit des Nachts auf der Halbinsel vorgefallen war, hatte es auch Fälle von Partycrashing gegeben, die in Gewalt endeten.
»Wir könnten die Party bei der Polizei anmelden«, hatte Ellen vorgeschlagen.
»Sweetheart«, hatte ihr Mann entgegnet, »wir sind die Polizei.«
Alan Destry war Senior Constable bei der Verkehrspolizei. Seine Karriereaussichten waren trübe. Er hatte das Examen zum Sergeant versiebt und war mit einer Detective Sergeant verheiratet, die auf der Karriereleiter davonkletterte. Wenn er sie bei irgendwas schlagen konnte, ganz gleich, wie trivial, fühlte er sich gleich ein wenig besser.
Heute verdiente er sich ein paar Zusatzpunkte, indem er zu Hause blieb und eine Horde feiernder Teenager beaufsichtigte. Ellen konnte sich seine mürrische Präsenz an der Haustür durchaus vorstellen, wenn sie eintrafen, wie er sie beäugte, ihre Jackentaschen, Handtaschen und Backpacks nach Alkohol und Drogen filzte.
Alkohol war durchaus erlaubt. Allerdings nicht so viel, dass Larraynes Freunde sich besaufen und unangenehm werden konnten.
Ganz anders stand es mit Drogen. Es gab Beweise dafür, dass ein größeres Netzwerk die Halbinsel überzogen hatte: eine steigende Zahl von Verhaftungen wegen Besitz und Handel, vermehrte Überdosen, Berichte von Ecstasy und Amphetaminen, die auf Rave-Partys verhökert wurden. Die Rave-Szene machte Ellen Angst. Der Eintritt war billig, etwa fünfzehn Dollar, um den DJ zu bezahlen und eine Reihe von Dixi-Klos zu mieten, und die Partys fanden häufig in abseits gelegenen Fabrikanlagen statt, in denen es an den einfachsten Sicherheitsvorkehrungen, wie zum Beispiel Sprinkleranlagen, fehlte. Die Kids erzählten sich die Orte untereinander weiter, ihnen gefiel das Zusammengehörigkeitsgefühl, das durch die Musik, die Drogen, die Geheimnistuerei, durch den Anstrich, sich außerhalb des Etablierten zu befinden, noch verstärkt wurde. Die Drogen waren zudem billig und leicht zu haben, Ecstasy wurde für fünfzig Dollar die Pille verhökert, und die Wirkung hielt stundenlang an. Die Kids hielten Ecstasy für harmlos und liebten den Kick, die Fähigkeit, die ganze Nacht durchzutanzen und sich unbesiegbar zu fühlen. Sie hegten einen rührenden Glauben an die Reinheit des Stoffs, ohne zu ahnen, dass er wahrscheinlich von einer Bikerbande in irgendeiner Hinterhofgarage zusammengepanscht wurde und Heroin enthielt, Speed und die Pferdedroge Ketamin, alles mit Traubenzucker oder Koffein gestreckt. Das Risiko einer Vergiftung war groß, auf längere Sicht konnte es zu Hirnschäden kommen, und auf den Partys selbst vergaßen die Kids zu trinken, trockneten aus, gingen ein tödliches Risiko ein.
Larrayne war auf einem solchen Rave gewesen. Er war gut organisiert und öffentlich angekündigt gewesen, aber die Dealer seien auch dort gewesen, erzählte sie.
Ellen sah auf die Uhr. Viertel vor elf. Wo blieb Venn? Angenommen, Venn war tatsächlich der Vergewaltiger, dann zog er gern ein Messer aus dem Stiefel, riss die Wagentür auf, scheuchte das Liebespaar auf und verlangte Geld. Dann drohte er, der Frau Stücke aus dem Fleisch zu säbeln, wenn sie sich nicht ganz entkleidete, ihrem Freund Handschellen anlegte und ihm einen blies. Schließlich schob er der Frau den Messergriff in die Vagina und verschwand, nachdem er ihr büschelweise Schamhaare abgeschnitten und alles Geld eingesackt hatte, das das Pärchen bei sich hatte.
Ellen wollte Venn um alles in der Welt aus dem Verkehr ziehen.
Dann sah sie ihn. »Er ist da«, murmelte sie.
Sie hatte den Motor gehört und zuerst geglaubt, es würde sich um ein vorbeifahrendes Fahrzeug handeln, doch dann tauchte ein tiefer gelegter schwarzer Pick-up mit Überrollbügeln in ihrem Fernglas auf, bremste an der Zufahrt, wendete, kam erneut vorbei und ließ ihr gute Sicht auf beide Nummernschilder. Dann sah sie, wie der Wagen endlich abbog, an dem Falcon der Polizei vorbeischlich und ein Stück weiter mit der Schnauze zur Ausfahrt stehen blieb. Der Pick-up sah schnell und hart aus, genau wie sein Fahrer.
Ein Zugriff würde auf jeden Fall erfolgen. Glotzte Venn nur, um zu sehen, was Sutton und Murphy so trieben, würden sie ihn wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses drankriegen und ihn so lange bearbeiten, bis er die Vergewaltigungen gestand. Doch Ellen wollte ihn möglichst auf frischer Tat ertappen, um ihm Bedrohung, unrechtmäßigen Einsatz von Handschellen und Vergewaltigung vorzuhalten und eine sichere Verurteilung zu gewährleisten, ohne ihre Leute zu gefährden.
Venn öffnete die Fahrertür. Ellen nahm den Feldstecher von den Augen und sah nichts; Venn hatte die Innenbeleuchtung ausgeschaltet. Ellen hielt das Fernglas wieder vor die Augen und sah, dass Venn dunkle Jeans trug, dunkles T-Shirt und leichte Stiefel aus dem Armeeladen. Eine Kapuzenmütze schmiegte sich wie ein Pelz kurzer schwarzer Haare an seinen Schädel. Venn war groß, aber leichtfüßig. Ellen begriff, welche Angst er anderen einflößen konnte, einer gegen zwei.
»Er nähert sich dem Ford von hinten, Scobie«, murmelte sie in ihr Mikro.
»Verstanden.«
Die Bestätigung war nur ein Flüstern. Ellen sah, wie Venn an den Falcon trat und damit verschmolz, als er sein Gesicht an die Scheibe presste und Sutton und Murphy halb nackt vor sich sah. Dann sah Ellen, wie er einen Schritt zurückging, schnell in seinen rechten Stiefel griff, sich dann aufrichtete, den Hosenschlitz öffnete und seinen Penis hervorholte.
»Achtung.«
Venn brüllte nicht. Zeugen seiner früheren Überfälle berichteten, dass er stets leise und mit ruhiger, aber vor Drohung geradezu knisternder Stimme sprach. Ellen Destry sah, wie er die Tür an Pam Murphys Seite öffnete, und hörte ihn sagen: »Fröhliche Ostern! Siehst du die Klinge, du Hengst? Damit schneid ich deiner Freundin die Kehle durch, wenn du mir Ärger machst. Kuck dir das hier mal an, Süße. Den schieb ich dir in Fotze, Arsch und Mund, und dein Freund wird verdammt nochmal zuschauen.«
»Tun Sie ihr nicht weh«, sagte Sutton mit Furcht in der Stimme.
Venn hält Pam das Messer an die Kehle, dachte Ellen. Und er hat sich entblößt. Sie konnte seinen Rücken in der offenen Tür sehen. Dann sah sie, wie seine Hand, die wohl den Penis gehalten hatte, plötzlich in die Gesäßtasche seiner Jeans glitt.
Handschellen.
»Siehst du die, Süße? Mach damit deinem Hengst die Hände hinterm Rücken fest. Na los! Zackig, sonst stech ich dich ab.«
»Tun Sie ihr nicht weh.«
»Schnauze. Also, Süße, lass mal sehen, was du zu bieten hast.«
Er tat einen Schritt zurück, schlitzte in derselben Bewegung Pams Rock auf, und Ellen sagte: »Los, los, los.«
John Tankard war der Erste. Er donnerte seinen Schlagstock auf Venns Arm. Das Messer fiel zu Boden. Venn stöhnte, presste sich den Arm an die Brust und wimmerte.
In diesem Augenblick traf ihn Pam Murphys Fuß zwischen den Beinen.
Das machte Venns kleinen Spielkameraden nicht sonderlich glücklich.
Nachdem Dwayne Venn festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht worden war, streckte sich Pam Murphy auf der Bank im Spindraum aus, so ausgepowert war sie. Sie war allein, was ihr nur recht war, aber sie wusste, das würde nicht lange so bleiben. Immer trat jemand seine Schicht an oder machte Feierabend, holte oder verstaute was. Es gab zwar getrennte Duschen und Umkleideräume, aber der Spindraum in Waterloo war für Männer und Frauen gleichermaßen. Er war Treffpunkt, Schauplatz, Brunftstätte für sexhungrige junge Männer und Frauen, und normalerweise mied sie ihn wie die Pest, doch jetzt war es ihr egal, müde wie sie war.
Die Tür zischte an ihrem pneumatischen Öffner auf, und John Tankard kam herein. Ihm hatte schon vorhin die Zunge herausgehangen. Es lag an dem schwarzen BH. An ihrem nackten Oberkörper, als sie vor zwei Stunden hinten in den Falcon stieg, um Dwayne Venn zu überführen.
»Gutes Resultat heute«, sagte er.
Sie beobachtete ihn aus müden, schweren Augen. Er machte den Gürtel an seiner Uniformjacke auf und löste den Revolver, die Handschellen und all den anderen Dienstkrempel, der an einem baumelte und den Rücken belastete.
»Ja«, murmelte sie.
Und das stimmte auch. Zweifellos würde irgendein Klugscheißer von Anwalt Venn auf Kaution herausholen, aber eine Anklage wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung, Freiheitsberaubung, Angriff mit einer tödlichen Waffe und allem anderen, was ihm sonst noch vorgehalten werden konnte, war ihm sicher. Außerdem würde er auf der Liste der Sexualstraftäter landen, was ihm lebenslang offizielles Augenmerk einbrachte, wann immer es auf der Halbinsel auch nur den Anschein eines Sexualverbrechens gab.
Pam ging im Geiste Venns Profil durch: zweiundzwanzig Jahre alt, fit trotz einer Grundernährung aus Bier, Hamburgern und Amphetaminen, arm, mangelhafte Bildung, Gesicht wie eine Kinderzeichnung. Er würde noch vor Erreichen des Durchschnittsalters sterben – an Alkohol, schlechter Gesundheit, Arbeitsunfall, Autounfall. Tausende wie er lebten in schäbigen Mietblocks. Seine Eltern hatten es nicht besser gewusst, er wusste es nicht besser, seine Kinder würden es nicht besser wissen. Junge Männer und Frauen wie Dwayne Venn verbrachten ihr Leben in Gerichtssälen, Gefängnissen, Mietshäusern, auf Sozialämtern. Sie zogen nie fort aus ihrer Gegend. Ihre Freunde kannten sie schon seit der Schule – Freundschaften beruhten auf Nähe, Vertrautheit und gemeinsam erlittenen Benachteiligungen. Kinder bekamen sie mit sechzehn oder siebzehn. Sie waren verschwiegen, gewalttätig, der Albtraum eines jeden Polizisten.
Als Pam auf die Peninsula kam, überraschten sie die vielen Querverbindungen. Waterloo war zwar die größte Stadt im östlichen Bereich der Halbinsel, wirkte aber im Vergleich zu ihrer Heimatgegend, den ruhelosen inneren Vororten von Melbourne, eher wie ein großes Dorf. Nur ein Beispiel: Venn lebte mit Donna Tully zusammen. Donna war die Schwester von Lisa Tully. Lisa hatte mit Bradley Pike zusammengelebt, bevor dieser ihre kleine Tochter umbrachte und die Leiche verschwinden ließ – falls er es gewesen war; Brad Pike war der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der behauptete, es nicht gewesen zu sein. Nun lebte Lisa bei Donna und Venn. Sie wollte nichts mehr mit Brad Pike zu tun haben, hatte sie gesagt, und sie hatte sogar eine Verfügung erwirkt, dass er nicht in ihre Nähe kommen durfte, doch erst kürzlich hatte Pam Brad Pike in der Gesellschaft von Venn und den Tully-Schwestern gesehen.
Im Pub, um genau zu sein. Das stelle sich einer vor. Sie waren alle zusammen in die Schule gegangen. Vielleicht reichte das schon als Bindung. Pam kapierte das einfach nicht.
Dabei war es Pike gewesen, der Venn verpfiffen hatte. Pike hatte sie eines Tages auf der Straße angehalten und ihr eine hanebüchene Geschichte erzählt, dass er verfolgt werde, und gefragt, was man dagegen unternehmen könne, und plötzlich hatte er ihr gesagt, Venn sei der Liebespärchenvergewaltiger. Nein, er wollte nicht ins offizielle Verzeichnis der Informanten. Er wollte auch seinen Namen vor ihren Bossen geheim halten. Sie respektierte das, aber ehrlich gesagt war er seltsam, sie alle zusammen waren seltsam.
O nein. John Tankard setzt sich ans andere Ende der Bank neben ihre ausgestreckten Füße. Die Holzbeine und die gepolsterte Sitzfläche bogen sich zitternd unter Tankards Gewicht. Pam hatte ihre Schuhe ausgezogen, und nun wischte sein massiver Oberschenkel kurz über ihre Fußsohlen, Polyester, von seinem fleischigen Körper von innen erwärmt. Hastig zog sie die Beine an.
Himmel. Sie war zu müde für so etwas.
»Soll ich dir die Füße massieren?«
»Nein danke, Tankard.«
»Oder soll ich mich ans andere Ende setzen und dich mit geschälten Trauben füttern?«
»Was willst du, Tank?«
»Nur ein wenig Konversation treiben.«
»Lass es bleiben.«
Nach einer Weile sagte er: »Das war gut, heute Abend. Sonst wischen wir samstagnachts nur die Kotze aus dem Streifenwagen.«
»Ja.«
Tankard verstummte. Er machte winzige Bewegungen, die durch die Bank zu Pam übertragen wurden wie Verschiebungen tief im Erdinnern. Sie war fast eingeschlafen, als sie ein geöltes Klicken und ein leises, gut geschmiertes Sirren hörte.
Tankard hatte seinen Dienstrevolver gezogen.
»Steck ihn weg, Tank«, sagte sie und bedauerte es sofort. Schließlich war er der König der zweideutigen Anspielungen.
Aber er fragte nicht, was er denn wegstecken solle, und auch nicht, wohin er es denn stecken solle. Stattdessen machte er »Peng, peng«, und der Revolver klickte trocken. Die Kammer war leer.
Entsetzt setzte sie sich auf. Er hatte den Revolver auf ihren Bauch gerichtet, mit dem wirren, verschwollenen Blick eines Mannes, den der Anblick nackter Haut erregt.
»Richte das Ding woandershin!«, brüllte sie und rutschte von ihm fort.
Klick.
»Man richtet nie zum Spaß eine Waffe auf jemanden, das weißt du.«
Klick.
»Hör auf damit«, sagte sie.
Klick.
Völlig erschüttert sprang sie von der Bank auf und schrie: »Du Arschloch!«
Tankard schien wie aus einer Trance zu erwachen – Erregung? Macht? Die Waffe selbst? Vielleicht eine Mischung aus allem. Was immer es auch war, er löste sich davon und sagte verärgert. »Beruhige dich, sie ist nicht mal geladen.«
»Eines Tages wird sie es sein«, entgegnete Pam, ohne das Zittern in ihrer Stimme unterdrücken zu können.
John Tankard wohnte im hinteren Teil eines Blocks aus vier ähnlichen Bauabschnitten in der Salmon Street. Von seiner Wohnung aus konnte er einen Hinterhof sehen, eine stumpfrote Backsteinmauer und gammelige Fallrohre aus PVC. Die Vorderwohnungen gingen auf unkrautüberwucherten Rasen, einen Radweg und Jachten im Trockendock hinter einem von Maschendraht umzäunten und verschlossenen Hof hinaus, aber dafür war die Miete höher. Außerdem war seine Hinterwohnung wie ein toter Winkel in der Welt, ein Versteck vor all dem Scheiß da draußen.
Er schaltete den Fernseher ein und ließ sich aufs Sofa sinken, auf die übliche Stelle an der rechten Armlehne, neben einem kleinen Flohmarktschränkchen, auf dem das Telefon inmitten von kreisrunden Bierdosenspuren stand. Auch das Sofa war vom Flohmarkt; er hatte beides gekauft, als er in diese Wohnung gezogen war. Er hatte das Vinyl mit einem Klebeband repariert, das farblich halbwegs dazu passte, aber das Band löste sich an manchen Stellen, und man konnte sehen, wo der Spalt im Bezug war.
Spalten sind ein Sinnbild meines Lebens.
Woher zum Teufel war das denn jetzt auf einmal gekommen? Er war doch noch nicht mal besoffen, hatte seit dem Mittag kein Bier mehr getrunken.
Aber solch ein Spalt hatte sich doch vorhin im Spindraum geöffnet, oder nicht? Als er mit seiner Waffe auf Pam Murphy zielte und leer abdrückte.
Lieber hätte er ihren anderen Spalt gesehen, ha, ha. Er hatte schon vor einer Weile aufgehört, sie für eine Lesbe zu halten. Sie hockten Tag für Tag zusammen im Streifenwagen, und er genoss ihre körperliche Nähe. Wenn sie nicht hinschaute, begutachtete er ihre Figur in der unvorteilhaften Uniform. Ihre bloßen Arme im Sommer und Frühherbst. Ein-, zweimal hatte er aus dem Augenwinkel mitbekommen, wie sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Das war entweder unbewusst geschehen und hatte mit ihm nichts zu tun, oder es war eine unbewusste Reaktion auf seine Nähe, denn schließlich waren ihre Schenkel kaum einen Meter von ihm entfernt. Oder sie wollte ihn anmachen.
Tankard blätterte durch die ungeöffnete Post der Woche. Ein paar Rechnungen und Kreditkartenabrechnungen und die neueste Ausgabe der Sidearm News aus den USA. Als er nach Informationen über die Glock 17 gesucht hatte, war er beim Surfen im Internet auf eine Werbung für dieses Magazin gestoßen, hatte es abonniert und sich leise gefragt, ob das Ganze nicht eine Abzocke war und er eines Tages feststellen musste, dass sein Girokonto leer gefegt worden war, doch das Ganze war völlig einwandfrei, und nun trudelte das Magazin regelmäßig ein und wirkte als Gegenmittel gegen all den Mist, mit dem er sich bei der Arbeit herumschlagen musste.
Über das Magazin hatte er sich andere Sachen mit der Post kommen lassen. Hirschlederhalfter, Nachtsichtfernglas, Wadenhalfter für einen Dolch; Sprühdosen mit Mace. Pistolennachbildungen: eine Uzi, eine Sig Sauer, eine Heckler & Koch.
Dazu noch eine Südstaatenfahne – und verdammt wollte er sein, wenn er nicht in den letzten sechs Monaten sechs Südstaatenfahnen gesehen hatte, normalerweise in irgendeiner verratteten Junkiewohnung. Heute Abend zum Beispiel war er mit Pam zu dem heruntergekommenen Schindelhaus gefahren, in dem Dwayne Venn mit den Tully-Schwestern wohnte, und dort im Wohnzimmer hing an einer Wand eine Südstaatenfahne, an den anderen Wänden hingen Fotos von Sitting Bull und Cochise, hier und da lagen Indianerperlenketten, Decken und anderer Ethnoplunder herum.
Die Welt war voller Versager, deren Leben ein solcher Mist war, dass sie sich in eine Zeit und ein Leben hineinträumten, wo es Mut gab, absolute Gewissheiten, etwas Reines und Nobles.
Und ich? Ich hol mir das von einer Waffe in der Hand, dachte Tankard. Wie heute Abend.
Es gab da eine heiße, dunkle Stelle in seinem Kopf – und davon kribbelte es ihn im Schritt –, wo er sich vorstellte, Pam Murphy niederzuschießen. Er stellte sich vor, dass es spritzte, wie bei einer Ejakulation. Nicht notwendigerweise zerstörerisch – auch wenn das dazugehörte. Eher eine Art von Gefühlsstau. Tankard war nicht länger ein fetter, verschwitzter, unappetitlicher müder Cop mit krummem Rücken, sondern so groß, taff, drahtig und undurchschaubar wie der Indianerhäuptling, der General Custer am Little Big Horn ausradiert hatte.
Dabei habe ich im Dienst noch nie eine Kugel abgefeuert, dachte er, die meisten Cops haben das nicht, und die meisten werden es auch nie tun.
Verdammt, sein Rücken tat ihm weh. Er legte sich auf den Fußboden, stellte sich seine Wirbelsäule als eine Reihe von Knoten in einem Seil vor und versuchte, einen nach dem anderen wieder zu lösen.
Er schlief ein und wachte vor Kälte um drei Uhr früh auf.
Es war elf Uhr nachts, Challis hockte vor der Glotze und dachte daran, ins Bett zu gehen, als Tessa Kane, noch in voller Montur, an seine Tür klopfte. Wanderstiefel, Jeans, gefütterte Jacke. Sie sah nicht wütend aus, aber sie lächelte auch nicht, und ihr Gesicht wirkte unter der lebhaften Intelligenz, die sich dort stets aufhielt, ein wenig traurig, so als hätten sich die Enttäuschungen, die sich seit gestern früh aufgestaut hatten, bis an die Oberfläche vorgearbeitet.
Er machte ihr einen Scotch, ging wie auf Eiern, versuchte sie zu verstehen. Aber Tessa verlor kein Wort darüber, dass er sie enttäuscht hatte, als er zu seiner durchgeknallten Frau eilte, statt mit ihr auf die Wanderung zu gehen.
Der Wind war eisig geworden, als Challis von der Bushrangers Bay zurückkehrte, deshalb hatte er Feuer gemacht, und nun war das Haus warm und bot Schutz vor der windigen Nacht. Er wusste nicht, was er zu ihr sagen sollte. Ab und zu nippte sie an ihrem Scotch, blieb ganz still und stumm, doch schließlich vertrieb sie mit einem Grinsen die trübe Stimmung und wühlte in ihrem Rucksack herum. »Ich bin auf dem Weg hierher noch schnell im Büro vorbei«, sagte sie. »Hab noch einen Haufen Briefe und Mitteilungen durchzuforsten.«
Das war schon besser. Bei manchen ihrer Besuche las sie ihm alles Mögliche vor. Schon bald war ihr Schoß voller Umschläge, E-Mail-Ausdrucke und Textauszüge. Sie blätterte geistesabwesend durchs Papier, und er schaute ihr zu.
»Irgendwelche Post vom Einmischer?«, fragte er leichthin.
Tessa hatte ihm von dem Mann erzählt, der sie mit anonymen Briefen und Anrufen bombardierte. »Der Einmischer« war ein passender Name: Er pochte geradezu krankhaft obsessiv auf gute Manieren, Recht und Ordnung und den gesunden Menschenverstand. Er meldete gern schlechte Autofahrer, Müllsünder, faule Kommunalarbeiter, lahmarschige Bürokraten, Wandalen, Grundstückseigentümer, die im Frühling vergaßen, den Rasen zu mähen. Unglücklicherweise musste man ihm in den meisten Fällen einfach Recht geben. Letzten Sommer zum Beispiel wollte er wissen, welche Leuchte – »die Anspielung ist beabsichtigt« – das kontrollierte Abfackeln des Naturreservates an der Penzance Beach Road angeordnet hatte, als für den nächsten Tag heiße Nordwinde vorhergesagt worden waren. Das daraus resultierende Buschfeuer hatte das halbe Reservat niedergebrannt, Grasland und Zäune, und hatte erst ein paar hundert Meter vor einem Schindelhaus Halt gemacht.
»Diesmal Müll am Straßenrand«, sagte Tessa, ohne Challis eines Blickes zu würdigen.
»O nein«, stöhnte er.
Sie wedelte mit einem Brief in der Faust. »Müllsäcke auf der Five Furlong Road, um genau zu sein. Er hat doch tatsächlich in den Müllsäcken gekramt und einen Brief gefunden, den er netterweise beigefügt hat.« Sie rümpfte die Nase. »Stinkt nach vergammeltem Fisch. Er stammt vom Amt für öffentliche Sicherheit und ist adressiert an eine gewisse Donna Tully; darin wird nach dem Status ihres Zusammenlebens mit einem gewissen Dwayne Andrew Venn gefragt. Der Einmischer will, dass ich Venn und Ms. Tully im Progress als Müllsünder anprangere. Er schreibt auch, er habe eine Kopie an den Bezirk geschickt in der Hoffnung, dass der Anklage erhebt.«
Challis nickte. Zumindest redete Tessa wieder mit ihm. Er fragte sich, ob ihr die Bedeutung des Namens Tully aufgefallen war. Bestimmt. Sie hatte ausführlich über das Verschwinden von Lisa Tullys Kind berichtet und ihren Lesern gegenüber keinen Zweifel daran gelassen, dass sie glaubte, Bradley Pike würde dahinter stecken.
Was Dwayne Venn anging, so überlegte Challis, ob er ihr von Ellen Destrys Observierung erzählen sollte.
Nein.
»Der Einmischer regt sich einfach über alles auf«, sagte Tessa. »Über das Genie, das an der Kreuzung Coolart Road und Myers Road ›Vorfahrt beachten‹-Schilder hat aufstellen lassen statt Stoppschildern. Die Frau auf Peninsula FM, die immer ›Jaah‹ sagt statt ›Jahr‹ und ›sonst‹ statt ›ansonsten‹. Über die Bewohner der Upper Peninsula, die keine geteerten Straßen oder Wasseranschlüsse wollen und sich für was Besseres halten. Er lebt anscheinend in einem Zustand dauernder Rage.«
Was ihr aber egal sein konnte. Die wöchentlichen Briefe des Einmischers waren im Progress schon zu einer Institution geworden und lockten weitere Leserbriefe an. Tessa neigte zu der Ansicht, wenn etwas funktionierte, sollte man auch nichts daran ändern.
Challis schaute zu, wie sie weiter die Papiere auf ihrem Schoß durchging, und während er von der anderen Seite des Kaminfeuers hinübersah, entspannte sich ihr nachdenkliches, kluges, flinkes Gesicht und ließ ein schüchternes, hübsches Lächeln erkennen. »Was gibts?«, fragte er.
Vielleicht blieb sie über Nacht. Vielleicht auch nicht.
Sie wedelte mit einem Blatt. »Das ist die Korrekturfahne der Kolumne vom kommenden Dienstag.«
Er ging am Kamin vorbei, ließ seine Finger über ihre Hand streichen, nahm ihr das Blatt ab und kehrte wieder zu seinem Sessel zurück. Tessa schrieb eine wöchentliche Kolumne für den Progress. Diesmal hatte sie sich auf die abgedrehten Typen, die Spinner gestürzt.
Wenn man den Spinner und dessen kunstvolle Art eingehend würdigen und zwischen einem richtigen und einem Gelegenheitsirren unterscheiden will, dann sollte man das am besten gemeinsam mit einem engen, gleich gesinnten Freund tun. Erst kürzlich ging ich mit einem solchen Freund in Rosebud shoppen, und wir begegneten dort einem Mann, der ein Frettchen an der Leine führte. Unsere Reaktion kam spontan und simultan. Wir schauten uns an und murmelten: »Spinner.«
Doch die Begriffe ändern sich. Früher mal war ein Mann mit einem riesigen Schlüsselbund am Gürtel ein Spinner. Heute hängen nur noch ein paar Handwerker und fehlgeleitete alte Schwuchteln Schlüsselbunde an ihren Gürtel.
Challis grinste. Er war der »gleich gesinnte Freund« gewesen. »Nett«, sagte er und bemühte sich, wieder gleich gesinnt zu sein.
Tessa machte sofort ein mürrisches Gesicht, und ihre Züge verhärteten sich. Sie setzte sich aufrecht hin, schlug die Arme übereinander und sah ihn direkt an. »Wie gings der werten Gattin?«
»Sei nicht so«, sagte Challis, der sich sofort verdrießlich und klein fühlte.
»Wie denn?«
Er wandte sein Gesicht zu den Flammen im Kamin.
Tessa setzte nach: »Großer Notfall, oder? Besteht der Hauch einer Chance, dass sie auf der Intensivstation liegt?«
Challis wurde vor Zorn ganz rot. »Sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten, wenn du es unbedingt wissen willst.«
»Ja, aber in welchem Umfang und womit?«
Er zögerte mit einer Antwort.
»Kaum ein Kratzer?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Also kein ernsthafter Versuch. Kein vernünftiger tiefer Schnitt am Handgelenk.«
Challis seufzte. »Nein.«
»Ein Hilfeschrei?«
Challis schnappte: »Irgend so was.«
Tessas Stimme wurde sanft. »Es ist langsam an der Zeit loszulassen, Hal.«
Challis ging durchs Zimmer zur Whiskyflasche. »So einfach ist das nicht.«
»Natürlich ist es das. Deine Frau zieht an der Strippe, und du kommst. Sie sagt: ›Spring‹, und du fragst: ›Wie hoch?‹«
»Das zweite Mal hat sie mich gar nicht angerufen, sondern ihre Eltern. Also halt doch einfach den Mund, verdammt.«
Das »verdammt« klang einfach nicht richtig. Es sorgte für einen Misston, klang eher gezwungen, unehrlich.
Challis sah den Schmerz, den er verursacht hatte: Tessa wandte sich von ihm ab, starrte einsam und verärgert in die dunklen Schatten in den Zimmerwinkeln. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme tief und hohl. »Ich hatte mich so auf unsere Wanderung gefreut. Nahezu perfektes Wetter, der richtige Begleiter. Aber das wissen wir ja, stimmts?«
Challis erwiderte nichts. Er nippte trübselig an seinem Scotch und wanderte in Gedanken all die Jahre an einen Ort in einer Zeit zurück, die ihn nicht mehr losließ. Er war damals einer von vier CIB-Detectives in einer Stadt in der alten Goldminengegend nördlich von Melbourne. Seine ruhelose und schnell gelangweilte Frau hatte sich mit einem seiner Kollegen eingelassen. Der Kollege verliebte sich in sie, lockte Challis an einen verlassenen Ort und versuchte ihn umzubringen. Nun schlurfte der Kollege mit einem von einer Kugel zerschmetterten Oberschenkelknochen auf einem Gefängnishof herum, und Challis’ Frau saß acht Jahre ab, versuchter Mord.
Ab und zu rief sie an und sagte, dass es ihr Leid täte, dann, dass es ihr nicht Leid täte und sie es jederzeit wieder versuchen würde. Sie brauchte ihn, sie hasste ihn. Er war zu gut für sie, er war nur ein Haufen Mist. Die meiste Zeit verzehrte sie sich nach ihm und was er repräsentierte und nach den gemeinsamen Zeiten, bevor alles schief ging. Challis wollte sie nicht zurück, er liebte sie nicht mehr, aber er fühlte sich verantwortlich, so als hätte er ein besserer Mann sein sollen, zumindest die Art von Mann, bei dem sie ihren Liebhaber nicht hätte bitten müssen, ihn umzubringen. Wie Tessa Kane immer wieder sagte, es war an der Zeit, sie abzuschütteln. Endlich Zeit, sich scheiden zu lassen.
»Und ihre Eltern waren auch da, nehme ich an?«
»Ja.«
Eigentlich mochte Challis die Eltern seiner Frau. Sie waren verwirrt, entschuldigten sich ständig, quälten sich so wie er damit herum, sie seien irgendwie verantwortlich für alles, und es tat ihnen Leid, dass ihre Tochter einem derart netten Mann so etwas hatte antun wollen.
Tessa schnaubte. Challis fand nicht, dass es verächtlich klang, sondern eher nach dumpfem Schmerz und Neid, so als habe sie das Gefühl, keinerlei Ansprüche auf ihn zu haben. Er stellte seinen Scotch hin. »Tess …«
»Unterwegs ist mir was Komisches passiert. Willst du es hören?« Sie sah ihn an und blinzelte sich lächelnd die Tränen aus den Augen.
Erleichterung durchflutete ihn. »Natürlich.«