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Wussten Sie, dass · der Gründer des Pariser Luxuslabels Hèrmes aus Krefeld stammt? · Franzosen pro Sekunde 3,3 Kilo Seife verbrauchen? · der Eiffelturm eigentlich Nouguier-Koechlin-Turm heißen müsste? Frankreich, das ist für viele immer noch das Land rotweinseliger Baskenmützenträger und freiheitsliebender Gauloisesraucher. Wo die Lavendelfelder der Provence fröhlich blau schimmern, 500 Käsesorten locken und Feinschmecker an Froschschenkel kauen. Dort, wo die Leute leben »wie Gott in Frankreich« – das Land von Haute Cuisine und Haute Couture! Doch was steckt hinter den Klischees? Frankreichkenner Jörg Zipprick blickt für uns hinter die Kulissen der Grande Nation. Lustige Listen, skurrile Statistiken und profundes Hintergrundwissen.
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Seitenzahl: 224
Jörg Zipprick
Frankreich für die Hosentasche
Was Reiseführer verschweigen
FISCHER E-Books
»Reisen veredelt den Geist und räumt mit unseren Vorurteilen auf.« Das Zitat wird Oscar Wilde zugeschrieben. Und letztendlich mag er damit recht haben.
Die Frage, wohin wir reisen, bringt manchmal jedoch unsere Vorurteile erst richtig zum Brodeln. Frankreich, das ist für viele immer noch das Land rotweinseliger Baskenmützenträger und freiheitsliebender Gauloiseraucher, wo die Stangenbrote morgendlich von Achselhöhlen durchnässt werden, und man tapfer den Anglizismen trotzt. Das Land von Savoir-vivre, Pariser Chic, heißblütigen Dauerstreiks, Nouvelle Vague, Amour fou, Haute Couture und Haute Cuisine. Dort, wo die Leute leben »wie Gott in Frankreich«. Wo die Lavendelfelder der Provence fröhlich blau schimmern, fünfhundert Käsesorten locken und Feinschmecker an Froschschenkeln kauen, bevor sie eine Portion Schnecken in sich hineinschütten.
Nun werden Vorurteile ja nicht von der starken Hand des Zufalls in unser Bewusstsein gehämmert – was Frankreich betrifft, muss man die politisch vollkommen inkorrekte Aussage treffen: Da ist irgendwo was dran. Sicher, die Zahl der Baskenmützenträger hat sich besorgniserregend verringert, und das Baguette wird inzwischen in Papier eingeschlagen. Der vermeintliche Lavendel sind heute Lavandinpflanzen. Schneckengerichte und Froschschenkel machen sich rar. Aber der Eiffelturm steht noch am alten Platz, die guten Käse gibt es noch, wenn man sie denn zu finden weiß. Und vielerorts wird weiterhin sehr gut gekocht, übrigens nicht nur in teuren Sternerestaurants, sondern auch zu Hause, bei ganz normalen Franzosen. Ein paar Jahrzehnte Globalisierung haben die französische Lebensart nicht kleingekriegt. Hier ist man stolz auf kulturelle Eigenarten – und hier darf man es sein. Solcher Stolz wird andernorts gern als Arroganz gesehen.
Auf den folgenden Seiten geht es um nationale Eigenheiten, Vorlieben und Spleens, Lieblingsorte, skurrile Sportarten, versteckte Handwerksbetriebe und besondere Museen, die man gern übersieht, wenn man nur mal zügig in den Urlaub fährt. Um all das, was sich nicht unbedingt sofort erschließt und prompt in den Vordergrund drängelt. Und vielleicht wird ja auch das eine oder andere Vorurteil untermauert.
Je vous souhaite bonne lecture!
Staatsname: République Française, kurz La France
Beiname:L’Hexagone, das Sechseck – weil man mit etwas gutem Willen im Umriss einer Frankreichkarte auch ein Sechseck sehen kann.
Flagge: Die blauweißrote Tricolore
Nationalhymne:La Marseillaise, komponiert von Claude Joseph Rouget de Lisle (1760–1836). Ursprünglich trug die zukünftige Nationalhymne ein paar Wochen lang auch Namen wie »Kriegsgesang der Rheinarmee«.
Staatsform: Nach der Verfassung vom 4. Oktober 1958 eine unteilbare, soziale und demokratische Republik. Staat und Kirche sind streng getrennt. Der Präsident wird durch direkte Wahl auf fünf Jahre gewählt. Vor einer entsprechenden Reform unter Jacques Chirac im Jahr 2000 betrug diese Amtszeit sogar sieben Jahre. Chirac selbst war der erste Präsident, der 2002 ein sogenanntes quinquennat, eine fünfjährige Amtszeit, antrat.
Der Präsident hat den Vorsitz im Ministerrat und kann die Auflösung der Nationalversammlung verfügen. Der Premierminister führt die Regierungsgeschäfte. Frankreich wird streng zentralistisch verwaltet, d.h., hochrangige Entscheidungen fallen in Paris. Wichtigste Verwaltungseinheit ist das département (das sich mit Bundesland nur höchst unvollkommen übersetzen lässt). Davon gibt es 101. In der offiziellen Numerierung (die man an den Autokennzeichen erkennt) sind es zwar »nur« 95, aber Korsika ist in 2A (Corse-du-Sud) und 2B (Haute-Corse) eingeteilt. Zudem gibt es die Überseegebiete Guadeloupe (971), Martinique (972), Guyana (973), La Réunion (974) und Saint-Pierre-et-Miquelon (975). Im Jahr 2011 wurde die Komoreninsel Mayotte zum 101. Département (976).
Staatsfläche:675000 km2 inklusive der DROM-Gebiete (Départements et régions d’Outre-Mer), COM (Collectivités d’Outre-Mer) und TAAF (Terres australes et antarctiques françaises). Der europäische Teil Frankreichs misst 551500 km2.
Damit ist Frankreich das drittgrößte Land Europas, nach Russland und der Ukraine.
Bevölkerung: Knapp 65 Millionen
Drei Viertel davon wohnen in der Stadt, insgesamt leben 50 Prozent der Franzosen in gerade mal dreißig Städten. Die Geburtenrate liegt etwa bei 13/1000.
Sprache: Französisch, wichtigste Dialekte sind Elsässisch, Baskisch, Flämisch, Korsisch, Bretonisch und Provenzalisch.
Hauptstadt: Paris, départment75
Die fünf größten Städte:
Paris: über 2240000 Einwohner intra Muros, weitere 10,5 Millionen leben in der Banlieue, der Umgebung von Paris.
Marseille: über 850000 Einwohner, dazu 1,7 Millionen in der Umgebung.
Lyon: knapp 500000 Einwohner, 2,2 Millionen leben im Ballungsraum.
Toulouse: 453000 Einwohner, 1,2 Millionen leben in den Vororten.
Lille: 227000 Einwohner plus mehr als 1,1 Millionen in der Umgebung.
Grenzen: Insgesamt 4082 km Grenzen mit Spanien, Belgien, der Schweiz, Deutschland, Luxemburg, Andorra und Monaco.
Religion: Staat und Kirche sind in Frankreich streng getrennt. Offizielle Zahlen zur Religionszugehörigkeit gibt es nicht, dafür aber Schätzungen, die stark schwanken können:
Christen: 44–66 %
Muslime: 2–10 %
Juden: 0,5–1 %
Andere: 1–11 %
Konfessionslos: 4–42 %
Bodenschätze: Kohlevorkommen gibt es bei Lille und in Lothringen, dort liegen ebenfalls Eisenerzlager. In Lacq in den Pyrenäen befindet sich ein großes Erdgasvorkommen. Erdöl gibt es im französischen Südwesten und dem Pariser Becken.
Industrie: Automobil-, Chemie-, Nahrungsmittel- und Maschinenindustrie sind neben dem Tourismus die wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes. Zu den industriellen Zentren zählen die Pariser Banlieue, Nordfrankreich, Lothringen, die Umgebung von Lyon und Marseille.
Landwirtschaft: Auf 32 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche werden in erster Linie Weizen, Zuckerrüben und Mais angebaut. Der Anbau von Reis ist in der Camargue üblich. Rinder-, Schweine- und Geflügelzucht ist ebenfalls weit verbreitet. Frankreich ist eines der führenden Weinanbauländer der Welt.
Außenhandel: Wichtigste Handelspartner sind Deutschland, Belgien, Italien, Spanien, die USA und China. Als begehrteste Exportgüter gelten Flugzeuge und Helikopter, Medikamente und Automobile.
DROM-Gebiete:
Französisch-Guayana
Guadeloupe
Martinique
Mayotte
La Réunion
Saint-Martin: Französischer Teil der Insel nordöstlich der Antillen, seit dem 22. Februar 2007 eigenständig, gehörte früher zum Département Guadeloupe. Der andere Teil von Saint-Martin gehört zu den Niederlanden.
COM: Folgende Gebiete gehören nicht zur Europäischen Union, der Euro ist dennoch anerkanntes Zahlungsmittel:
Saint-Barthélemy (eigenständig seit dem 22. Februar 2007, seit 2012 assoziiertes Gebiet der EU)
Saint-Pierre-et-Miquelon
COM (auch diese Gebiete gehören nicht zur Europäischen Union, gezahlt wird in CFP-Franc):
Wallis und Futuna
Französisch-Polynesien (POM)
Franzosen
arbeiten wenig.
essen gerne gut.
sind arrogant und egozentrisch.
sind Frauenhelden.
machen nur sparsam von Wasser und Seife Gebrauch.
sind grandiose Liebhaber/innen.
Statistisch gesehen sieht es so aus:
Franzosen arbeiten im Schnitt 1661 Stunden pro Jahr. Das sind 120 Stunden weniger als die Italiener, 186 Stunden weniger als die Deutschen und 239 Stunden weniger als die Briten.[1]
McDonald’s France serviert jeden Tag 1,8 Millionen Mahlzeiten in 1285 Schnellrestaurants. 33 Prozent der Franzosen besuchen regelmäßig Restaurants, während nur 19 Prozent regelmäßig in den Fastfoodläden zu Gast sind. Rund 68 Prozent kochen gern, und mehr als die Hälfte (58 Prozent) essen weniger als einmal pro Monat Tiefkühlkost.
Und: 69 Prozent der Franzosen sind stolz auf ihre Gastronomie. Zum Vergleich: Nur 53 Prozent sind stolz auf Kunst und Literatur, selbst die Haute Couture muss sich mit 22 Prozent der Gastronomie geschlagen geben.[2]
Laut einer Umfrage des Pew Research Centers in Washington unter Bürgern aus acht EU-Ländern glauben die Franzosen, sie seien die arroganteste Nation in Europa. Kurios: Nach derselben Umfrage ist Frankreich für die Franzosen auch die am wenigsten arrogante Nation des Kontinents. Italien, Spanien, Griechenland, Polen und Tschechien wählten Deutschland an die Spitze der Arroganzhitliste, während die sprichwörtliche französische Überheblichkeit von Briten, Deutschen und wie gesagt den Betroffenen selbst bestätigt wurde.
Jede Sekunde werden 3,3 Kilo Seife in Frankreich verbraucht. Macht pro Jahr 104000 Tonnen. Also etwa 1,6 Kilo pro Einwohner. Der Seifenverbrauch in Deutschland beträgt 120000 Tonnen, was 1,48 Kilo pro Einwohner entspricht.
Gut 75 Prozent der Franzosen leben in einer Paarbeziehung. Acht Prozent hingegen sind noch nie eine Beziehung eingegangen. Und 74 Prozent der Franzosen sind mit ihrem Sexualleben zufrieden. Genauer gesagt sind 30 Prozent »sehr zufrieden« und 44 Prozent »zufrieden«.[3]
Frankreich führt mit 84,7 Millionen Besuchern jährlich die Weltrangliste der Tourismusnationen an. Die eifrigsten Frankreichreisenden sind Deutsche, Briten, Belgier, Italiener, Niederländer, Schweizer und Spanier – in dieser Reihenfolge. Verglichen mit den 13 Millionen Deutschen, nehmen sich die 3,1 Millionen Frankreichfreunde aus den USA geradezu mickrig aus.
74 Prozent wollen in Frankreich bleiben.
24 Prozent zieht es in die europäischen Nachbarländer.
4 Prozent möchten nach Afrika.
Australien, Asien, Nord- und Südamerika kommen nur für 1 % oder weniger der Franzosen als Reiseziele in Frage.
Das könnte auch finanzielle Gründe haben. Das durchschnittliche Reisebudget eines Franzosen beträgt pro Jahr 775 Euro.[4]
»Warum französische Frauen nicht dick werden«, »Warum französische Frauen jünger aussehen«, »Warum Französinnen nicht alleine schlafen«, »How to be Parisian wherever you are« … Und so viele mehr. Alle diese Bücher, die sich durchaus gut verkaufen, singen lautstark ein Chanson auf eine angeblich gar wundersame Kreatur: die Französin.
Und die sieht, zumindest in Büchern, immer ein wenig aus wie die junge Sophie Marceau, trägt den letzten Pariser Chic, flirtet auf Teufel komm raus mit den Männern, die ihr ohnehin nachlaufen, reüssiert im Beruf und hat brave, fleißige Kinder in die Welt gesetzt, die sich sowohl auf dem Schulhof als auch im Dreisternelokal zu benehmen wissen. Verglichen mit ihrem Sexualleben erscheinen unsere bundesdeutschen »Pornostars« als Betschwestern. Deshalb werden schließlich die ganzen Bücher über sie geschrieben.
Lasst die Zahlen sprechen:
19,7 Prozent der Französinnen sind übergewichtig (19,3 Prozent der Männer).[5]
Die durchschnittliche Französin ist 1,63 Meter groß und wiegt 63 Kilo (Männer 1,75 Meter, 77 Kilo).
Eine Miss France ist 13,9 Zentimeter größer als die Durchschnittsfranzösin.
Eine Französin hat statistisch gesehen 2,01 Kinder. Die bekommt sie im Schnitt mit 30,01 Jahren.
Ihre Lebenserwartung beträgt 84,8 Jahre (Männer 78,2 Jahre).
49 Prozent der Französinnen sind berufstätig.
76 Prozent der jungen Frauen verfügen über ein bac (baccalauréat), das französische Äquivalent zum Abitur (Männer 64 Prozent).
12 Prozent der beruflich aktiven Französinnen sind leitende Angestellte (Männer 19 Prozent).
Eine berufstätige Französin verdient 20 Prozent weniger als ihr männliches Äquivalent.
Eine berufstätige Französin in leitender Position (cadre) verdient 23 Prozent weniger als ihr männliches Äquivalent (Beamtinnen 21 Prozent).
80 Prozent der Menschen, die trotz Berufstätigkeit unter die Armutsschwelle fallen, sind Frauen.
80 Prozent der Mütter mit einem Kind, das jünger als drei Jahre ist, stehen im Erwerbsleben.[6]
Laut Studien des französischen Textilinstituts tragen 20,6 Prozent der Französinnen Kleidergröße 40, gefolgt von 16,6 Prozent mit Kleidergröße 42.
Aufgrund stetiger Gewichtszunahme haben etliche Marken still und heimlich die Kleidergrößen geändert. Eine 40 aus dem Jahr 1970 ist heute eine 38.
Eine Umfrage der Fédération française du prêt-à-porter féminin (FFPAPF) brachte gar skandalöse Fakten zutage. Danach gibt die typische Französin pro Monat 63 Euro für Kleidung aus. Nichts im Vergleich zu Amerikanerinnen mit ihren monatlichen 144 US-Dollar. Nur 15 Prozent der Französinnen geben pro Monat hundert Euro oder mehr für Bekleidung aus.
Außerdem ziehen sie ihre Jeans (22 Prozent wollen sich nicht von diesem Kleidungsstück trennen) bei weitem dem kleinen Schwarzen (9 Prozent) vor.
Und: 45 Prozent der Befragten erklärten, dass Mode von Schauspielern, Marken und Medien popularisiert wird. Die viel gerühmten großen Couturiers landeten erst auf Platz vier. Nimm das, Coco Chanel!
Ganze 45 Prozent der Männer und 29 Prozent der Frauen geben in Umfragen zu, dem Partner untreu zu sein. Dieser nationale Durchschnitt von 37 Prozent wird in den Regionen Languedoc-Rousillon und Provence-Alpes-Côte d’Azur deutlich übertroffen (44 Prozent). Poitou-Charente heißt die Region, in denen Treue nur ein Wort ist: Fast die Hälfte (49 Prozent) gehen dort fremd. Besonders treu sind hingegen die Menschen der Region Franche-Comté (25 Prozent Fremdgänger).[7]
Apropos: In Frankreich kehrt seit einigen Jahren das Stundenhotel zurück. Inzwischen gibt es etwa 1500 Hotels, in denen Gäste sich tagsüber einmieten können. Frei werden die Räume in den drei, vier Stunden zwischen Abreise der alten und Anreise der neuen Gäste. Für viele Kunden der Tageszimmer dürfte dieser Zeitrahmen ausreichend bemessen sein. Solche Day-use-Hotels kosten ab 42 Euro pro Tag. Günstiger ist das Pariser Love Hotel, das mit entsprechender Dekoration versucht, ein wenig Atmosphäre zu schaffen. Da gibt es die Fototapete Venedig, das »infernalische Zimmer« oder das »Bollywood Kamasutra«. Den Damen bietet dieses »Haus der Liebe« für einen niedrigen zweistelligen Betrag allerlei Kostüme und Kostümchen. Wer tatsächlich seinen Fishnet-Catsuit zu Haus vergessen hat, kann ihn hier mieten.
Im Vatikan wird regelmäßig ein lesenswertes Werk herausgegeben. Das »Lexicon recentis Latinitatis«, also gewissermaßen das Lexikon modernen Lateins. Darin werden Begriffe aus der Jetztzeit in die Sprache der alten Römer übersetzt. Aus Manager wird dann procurator, die Hot Pants verwandeln sich in eine »äußerst kurze weibliche Hose« (brevissimae bracae femineae) und der Flirt mutiert zur »leichten Liebe« (amor levis). Der Jumbo Jet ist ein aeronavis capacissima. Hätten die Römer über Handgranaten verfügt, hätten diese »Handfeuerwurfkörper« (pyrobolus manualis) geheißen.
In Frankreich hat die Académie française, gegründet 1635, eine ähnlichen Aufgabe. Vierzig Mitglieder, in aller Bescheidenheit »Unsterbliche« genannt, widmen sich der »Vereinheitlichung und Pflege der französischen Sprache«. Auch heute noch tragen sie ein mit grünen Olivenblättern üppig verziertes Gewand und ein Schwert.
Diese vierzig gebildeten Menschen führen tagaus, tagein einen Kampf um Sprachreinheit, machen Bits und Bytes zu octets, den Computer zum ordinateur, die E-Mail zur courriel (für courriel éléctronique, also Elektropost). Der Hashtag ist ein mot-dièse, Big Data werden zu mégadonnées und das Bashing ist éreintage. Zum allseits beliebten Shitstorm hatte sich die Académie vor Redaktionsschluss nicht geäußert, tempête de m*rde kommt in den Sinn. Es sei denn, die Unsterblichen entscheiden sich für das vornehmere tempête d’insultes. Nur in einem Punkt hört die Sprachlogik auf: Die »Unsterblichen« erlauben sich tatsächlich, das Zeitliche zu segnen. Stirbt ein Unsterblicher trotz seines Titels, wird ein Nachfolger gewählt, der als erste Amtshandlung eine Lobrede auf den Verflossenen halten muss.
Solch unverantwortliches Ableben verstößt in jeder Beziehung gegen den Wortsinn. Bitte jetzt keine Ausreden à la »ihr Geist lebt in Wörterbüchern« weiter. Unsterblichkeit ist nun mal unendliches Leben in physischer oder spiritueller Form. Und bisher hat diese noch kein Sterblicher erreicht.
Dépaysé
Verwirren, befremden, in eine andere Welt versetzen – so richtig trifft es kein Wörterbuch. Dépaysé heißt wörtlich so viel wie »entlandet«, schließlich meint pays das Land. Und wenn man sein Heimatland verlässt, dann ist man dépaysé. Das ist keinesfalls abfällig gemeint: Viele Franzosen schwärmen davon, wie dépaysé sie im Urlaub waren.
Vachement, La Vache
Zugegeben, die offiziellen Übersetzungen von vachement sind mit »total« oder »echt« relativ zutreffend. Nun ist la vache aber ja »die Kuh«. Und wer mit jemandem vache ist (être vache avec quelqu’un), tut jemandem Böses an. Was das alles mit der Kuh zu tun hat? Keine Ahnung.
Le pied
Le pied ist eigentlich »der Fuß« und damit einfaches Basisvokabular. Sagt jemand c’est le pied, also »das ist der Fuß«, oder gar je prends mon pied, also »ich nehme meinen Fuß«, meint er damit etwas sei großartig oder besonders genussvoll. Angeblich stammt der Ausdruck von der alten Maßeinheit Fuß, man nimmt also »ein Maß Genuss«.
Avoir le cafard
Wörtlich: eine Kakerlake haben. Im übertragenen Sinne heißt dies, man sei depressiv. Angeblich stammt der Ausdruck aus den »Blumen des Bösen« (»Les Fleurs du Mal«, 1857) von Baudelaire und wurde über die Jahrzehnte populär.
Chou
Den Gemüsegarten der französischen Sprache betreten wir mit dem Kohl (chou). Ja, chou-fleur ist Blumenkohl, wenn Ihnen jemand von der anderen Rheinseite aber erklärt, Sie seien chou oder gar sein chou, dann sind Sie für ihn etwas ganz, ganz Besonderes. Ein Kleinkind kann ein petit chou sein. Wundern Sie sich nicht über Formulierungen wie tu es vachement chou. Dann sind Sie nämlich besonders liebevoll oder aufmerksam, jedoch nicht »kuhlich Kohl«, wie es die wörtliche Übersetzung erforderte.
Avoir la pêche
»Einen Pfirsich haben« heißt »in Form sein«. Naher Verwandter: avoir la frite, also »die Fritte haben«. Allerdings ist die Fritte momentan nicht mehr allzu modern.
Avoir un cœur d’artichaut
Wenn Ihnen die französische Freundin eröffnet, sie hätte ein »Artischockenherz«, dürfen Sie sich nicht auf das Abendmenü freuen. Madame will damit sagen, dass sie sich leicht verliebt.
Mettre du beurre dans les épinards
»Butter in den Spinat« gibt ein Franzose, wenn er seine Lebensbedingungen verbessert.
Les carottes sont cuites
Die Karotten sind gekocht. Dann ist man auf gut Französisch in einer ausweglosen Situation. Früher wurde die Redewendung sogar für baldiges Ableben verwendet. Naher Verwandter im Gemüsegarten ist la fin des haricots – das Ende der Bohnen.
Heimat
Wird in Frankreich mit »Vaterland« (la patrie) oder »Ursprungsland« (le pays d’origine) übersetzt. Doch so richtig treffend ist die Übersetzung nicht. Laut Duden ist Heimat ja »Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt (oft als gefühlsbetonter Ausdruck enger Verbundenheit gegenüber einer bestimmten Gegend).« Das ist kein Wort, das ist ein Konzept. Und im Französischen ein langer Satz.
Leitmotiv
Man kann es zwar mit principe directeur übersetzen – dennoch hat sich der deutsche Begriff höchst erfolgreich in die französische Sprache eingeschlichen.
Gelehrte Menschen verorten seinen Ursprung im 16. und 17. Jahrhundert: Verlan, die Umkehrung des Wortes l’envers, das seinerseits »das Umgekehrte« heißt, ist für Außenstehende eine rätselhafte Sprachverwirrung. Da werden die letzten Silben zu den ersten, aus français (Franzosen) werden céfrans, aus femme (Frau) wird meuf. Weil das allein noch nicht verwirrend genug ist, würfelt man die umgekehrten Wörter als »Verlan des Verlan« nochmals durcheinander: Mère (Mutter) zum Beispiel wird erst zu reum und danach zu meureu oder reumeda. Dazu gesellen sich diverse Verballhornungen aus dem Englischen oder Arabischen: Excuse me wird zu skuzmi, das arabische tbib zu toubib und damit zum Jugendwort für médécin (Arzt), chouia steht für un peu (ein wenig). Dabei kennen Franzosen normalerweise keinen Spaß in Sachen Sprache. Nach typisch gallischem Selbstverständnis ist le français nämlich bei weitem das schönste Idiom des bekannten Universums. Der Erzfeind, der dieses Schmuckstück menschlichen Zungenschlags belagert, stammt oft aus England und Amerika. Unvergessen sind die legendären Initiativen des Ministers Jacques Toubon aus den 1990er Jahren. Der wollte den bösartigen Sprach-Usurpatoren per Gesetz beikommen, zum Beispiel Jeansshops zu magasins en pantalon de tôle de Nîmes und Striptease in spectacle de deshabillage umbenennen. Gewiss: So einheitlich, wie es die Wörterbücher gerne hätten, war die französische Sprache nie. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts kam das patois, das Plattfranzösisch der Leute vom Lande, nach Paris, gefolgt vom argot, einer Art Gaunersprache. Bis hoch ins Milieu der Haute Bourgeoisie wird inzwischen fast jedes Wort abgekürzt, was mehr als drei Buchstaben hat: manif ist eine manifestation (Demonstration), petit déj das petit déjeuner (Frühstück), blème ein problème. Verkündet eine junge Dame, sie gehe jetzt zur fac, sind Ausländer peinlich berührt und Eltern beunruhigt. Gemeint ist natürlich die faculté, die Universität, auch wenn die Abkürzung wie ein englisches Four-letter-word gesprochen wird. Solche Abkürzungen verschwinden manchmal so schnell, wie sie entstehen: Wer den Boulevard Saint-Michel heute noch Boul’Mich nennt, macht sich zum Spott der Pariser Jugend.
Da stehen manche Eltern ihrem Nachwuchs buchstäblich sprachlos gegenüber, verzweifelt der Zugereiste am Slang. Wer kennt schon sämtliche Begriffe für policier (Polizist) von poulet über keuf bis zu kisdé?
Soziologen hingegen werten Verlan gern als Aufbegehren der Unterprivilegierten gegen die Bourgeoisie, die das Drehfranzösisch zumindest in SMS und anderen Kurznachrichten jedoch längst adoptiert hat. Selbst die Kunst hat das Verlan erobert: Der außerordentlich populäre belgische Musiker Paul van Haver nennt sich Stromae, die Dreh-Form von Maestro.
Dennoch gibt es noch einen Rest Hoffnung für das bedrohte Hochfranzösisch: Verlan teilt den Vorteil aller Kinderkrankheiten und hört ab einem bestimmten Alter oft von selbst auf.
Prix Goncourt – zehn Euro machen Millionen
Zehn Euro sind heutzutage nicht mehr viel Geld. Gefühlt stellt sich sogar der Eindruck ein, dass zehn Euro immer weniger wert sind. Und doch können zehn Euro über Karrieren entscheiden, über das Schicksal von Schriftstellern, Lektoren oder Verlagshäusern, wenn sie nur als Preis von der Jury des Prix Goncourt vergeben werden. Denn ein Goncourt sorgt für Auflage: Zwischen 300000 und 400000 Exemplare werden im Durchschnitt von einem mit diesem Preis ausgezeichneten Buch abgesetzt – erfolgreichster Goncourt-Preisträger aller Zeiten ist André Malraux mit über drei Millionen verkauften Exemplaren von »La Condition humaine«. In Verlagskreisen sagt man, ein Goncourt entspräche sechs bis acht Millionen Euro Umsatz. Edmond de Goncourt stiftete den Preis 1896 testamentarisch zum Andenken an seinen 1870 verstorbenen Bruder Jules. Jährlich sollte fortan das beste Prosawerk mit 5000 Goldfrancs ausgezeichnet werden – wegen der Inflation bleiben den heutigen Preisträgern gerade mal die erwähnten zehn Euro. Von der Summe her kein Vergleich mit dem Grand Prix Paul Morand der Academie française, der den Gewinner gute 45000 Euro reicher macht, selbst nicht mit dem Renaudot, bei dem die Jury den Gewinner zum Mittagessen einlädt – aber, wie gesagt, die Auflage macht’s. Auch ein Renaudot taugt für 220000 verkaufte Bücher. Die Juroren des Goncourt können sich über die Inflation jedenfalls nicht beschweren. 1915 vereinbarten sie mit dem Restaurant Drouant ein Festpreismenü, heute müssen die Literaten für die Speisefolge gerade noch Centbeträge bezahlen.
Im Prinzip soll ein junger, aufstrebender Autor mit dem Goncourt ausgezeichnet werden. Nun ist »jung« bekanntlich relativ und hängt nicht zuletzt vom Alter der Jurymitglieder ab: So wurde 1984 die Siebzigjährige Marguerite Duras Preisträgerin, 1981 wurde der Siebenundsechzigjährige Lucien Bodard geehrt.
Vor der Bekanntgabe des Goncourt-Preisträgers im November steigt die Spannung. Zeitungen drucken Listen mit den aussichtsreichsten Kandidaten, Literaturfreunde diskutieren die möglichen Resultate – und greifen manchmal auch zu schlagkräftigeren Argumenten: 1977 warf der frustrierte Schriftsteller Jacques Thieuloy einen Molotowcocktail ins Haus von Jurymitglied Françoise Mallet-Joris. Sechs Jahre später wurden versteckte Mikrofone im Tagungsraum der Jury gefunden. Dass Verlagshäuser den Preisträger im Voraus kennen möchten, ist allerdings verständlich. Seit 1949 kursiert in der Branche die Angst vor einer Blamage. Damals hatte ein Lektor des Verlagshauses Juillard das wenig später mit dem Goncourt ausgezeichnete Werk »Week-end à Zuydcoote« (»Wochend in Zuidcoote«) von Robert Merle entrüstet abgelehnt.
In französischen Nachrichtensendungen wimmelt es von Adressen. Da macht der Quai eine Mitteilung, und aus Matignon erschallt dieses oder jenes. Ein Grundvokabular:
Sénat
In Frankreich besteht das Parlament aus zwei Versammlungen: der Nationalversammlung und dem Senat. Letzterer stimmt über Gesetze ab, die entweder von der Regierung vorgelegt werden oder einer parlamentarischen Initiative entstammen. Sitz des Senats ist das Pariser Palais de Luxembourg, erbaut 1799.
Assemblée nationale
Die 577 Mitglieder der Nationalversammlung tagen im Palais Bourbon, das von 1722 bis 1728 für die Tochter Ludwigs XIV. erbaut worden ist. Anders als die Mitglieder des Sénats können sie die Regierung stürzen, so wie es 1962 mit der Regierung Pompidou geschehen ist.
Elysée
Der Palais de l’Elysée ist Amts- und Wohnsitz des französischen Staatspräsidenten. Dieser Prachtbau nördlich des Champs-Elysées wurde 1718 bis 1722 für den Grafen von Evreux errichtet. Ludwig XV. schenkte ihn der Marquise de Pompadour.
Quai d’Orsay
Kurzform für das Außenministerium, das an der Adresse 37, Quai d’Orsay residiert. Wird auch Le Quai genannt. Neben prachtvollen, meist in Gold gehaltenen Sälen findet man im ersten Stock auch zwei bestens ausgestattete Art-nouveau-Badezimmer samt Dusche.
Matignon
Sitz des Premierministers in der Rue de Varenne 57 in Paris. Der Amtssitz wurde 1722 bis1724 für Christian Louis de Montmorency-Luxembourg errichtet.
Quai des Orfèvres
Kein Ministerium – und mit Goldschmieden (Orfèvres