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Der bekannteste investigative Restaurantkritiker Europas blickt in die Töpfe der Sterneküche und auf den Hype, den Köche ums Kochen machen.
Der "Schlächter der Köche" wird er in Italien genannt: Restauranttester Jörg Zipprick hat 20 Jahre lang hinter die Kulissen der Spitzengastronomie geschaut. Er erzählt von interessanten Begegnungen mit berühmten Köchen wie Frédy Girardet oder Eckart Witzigmann, exquisiten Menüs und Gourmet-Restaurants, die fast keiner kennt. Aber er wird auch da konkret, wo alle anderen schweigen: beim Niedergang der Sterne-Küche.
Große Köche, die beste Zutaten versprechen, kaufen drittklassige Ware oder tricksen ihre Gäste aus: Rotzunge wird als Seezunge serviert, Abfälle werden als Stopfleber verkauft, veredelt wird mit glutamathaltigen Gewürzmischungen. Während ein Koch früher ein guter Handwerker war, muss er heute ein Medienprofi sein, der Kochen vielfach nur noch vorspielt.
Auch die Rolle des Restaurantkritikers nimmt Jörg Zipprick kritisch aufs Korn. Heute ist man nicht mehr kundiger Vorkoster, sondern Claqueur gernegroßer Herdmeister, bei denen Private Equity Fonds eingestiegen sind, die als Anzeigenkunden auf die Berichterstattung Einfluss nehmen wollen. Trotzdem gibt es sie noch, die wirklich erstklassige Gourmet-Küche, die nicht immer teuer sein muss. Jörg Zipprick verrät in dem Buch auch, wo man sie findet.
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Seitenzahl: 433
Jörg Zipprick
Ein Restaurantkritikerpackt aus
Lübbe Digital
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen WerkesLübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG© Februar 2011 by Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, KölnUmschlaggestaltung: Christina Hucke unter Verwendung eines Fotos von Hartmuth SchröderLektorat: Dr. Barbara Werner van BenthemDatenkonvertierung: Fotosatz Amann, AichstettenISBN 978-3-8387-2331-0Sie finden uns im Internet unter www.luebbe.deBitte beachten Sie auch: www.lesejury.de
Inhalt
Prolog: Die Herren mit den weißen Westen
oder Das kommt davon, wenn man zu neugierig isst
Die lange Ankunft
Was wohl am Essen Spaß macht?
Der Entenwürger von Nantes
Geschichten aus den Lehr- und Wanderjahren
Getestet und geprüft
Wie zum Teufel wird jemand Restaurantkritiker?
Essen auf der Überholspur
Wie Menüs, Restaurants und Köche bewertet werden
Der kleine Esser Immersatt
Testessen ist ein Kampf gegen das Gewicht
Arbeitsbiene, kulinarisch
Alltag eines Vorschmeckers aus der dritten Reihe
Der Topf der verlorenen Seelen
Von Krustentieren, ihren Lieferanten und ihren Köchen
Kochende Kritiker?
Warum Kritiker nicht professionell Menüs zubereiten können müssen
Der Koch, der fast drei Mal starb
Begegnungen mit Alain Ducasse
Kalter Käse
Der Besuch im angeblich »besten Restaurant der Welt«
Gutes aus deutschen Landen?
Warum das Ausland nie über hiesige Köche spricht
Arriba España
Die neue »Küchenmacht« lässt es mächtig brutzeln
New York, New York
Mehr als Pizza, Dim Sum und Burger
Kleine Korruption unter Freunden
Werden Kritiker von Köchen bezahlt?
Bilder sind nur Träume
Wie ein Fotograf Redaktionen, Leser und Köche manipulieren kann
Der größte Führer aller Zeiten
Oder: Glanz und Elend des Guide Michelin
Ein Koch tritt ab
Der Selbstmord des Bernard Loiseau
Gesetz gegen Genuss
Wie Europas Gütesiegel normale Industrieprodukte adeln
Unbezahlbar
Kennt gutes Essen keinen Preis?
Die Schein-Heiligen
Wie Spitzenköche Industrieprodukte preisen
Der Bauch Europas
Ein Händler von Europas größtem Markt redet Klartext
Pfusch mit dem Fisch und Trüffel-Schweinerei?
Wie Restaurants ihre Zutaten verbal veredeln
Die gar nicht stillen Stars
Was bei der kulinarischen Elite so alles in die Töpfe wandert
Ein vorletzter Mohikaner
Wie Pseudo-Philosophen produktbewusste Köche ersetzen
Kleine Lügen unter Gentlemen
Recherchen in der verschworenen Gemeinschaft des Leckerlands
Katzenfutter de luxe
Vom Ursprung einer Avantgarde-Spezialität
Der rote Teppich zum Schafott
Ein Koch wird vom eigenen Berufsstand mundtot gemacht
Ein Kessel Böses
Wieso Geschmack nur noch Illusion ist
Märchenerzähler
Wie wird man »bester Koch der Welt«?
Zutat 1: Eine Portion Dreistigkeit
Zutat 2: Die fabelhaften 50
Zutat 3: Sternenregen
Zutat 4: Der eigene Wissenschaftler
Zutat 5: Multiplikatoren
Zutat 6: Die Kommunikationsabteilung
Die Dicke Ente schließt
Bei einem britischen Koch erkranken 529 Gäste
Viva Italia!
Oder: Italiens Verbraucherschützer ermitteln
Das Zwei-Parteien-System
Für oder gegen Industriemethoden in der großen Küche?
Wenn die Teller Trauer tragen
Die gute Küche stirbt in Stille
Epilog: Jetzt bitte keinen Nachschlag
Prolog: Die Herren mit den weißen Westen
oder Das kommt davon, wenn man zu neugierig isst
Das Telefon klingelte. Wieder einmal. Das Telefon hatte an diesem Tag schon etwa 252Mal geklingelt. Griff ich zum Hörer, schnaufte jemand und legte anschließend auf. Überließ ich das Gespräch dem Anrufbeantworter, wurde nicht einmal geschnauft.
Es gab nur wenige Gruppen von Menschen, die sich durch meine Recherchen gestört fühlen könnten. Die meisten gehörten einem Berufsstand an, den ich einst verehrt hatte. Viele davon waren Köche, Spitzenköche sogar. Auch ihre Lehrlinge oder Lieferanten kamen als Anrufer in Frage.
Früher, da hatte ich einen Traumberuf gehabt: Essen gehen und dafür bezahlt werden! Was für ein Privileg! Essen muss ja jeder. Gut, ich musste auch darüber schreiben, wenn ich Geld für das Essen erhalten wollte. Aber es gibt Schlimmeres als bei Tisch zu sitzen und sich von wohlmeinenden Weißmützen füttern zu lassen. Zumal ich jung in dem Job angefangen hatte und über Jahre die Speisekarte sozusagen von oben bis unten genießen konnte: Top-Köche in Paris, London, New York oder Barcelona durfte ich beschreiben, mit Krabbenfischern in Charleston grillen, Kaviar- und Abalone-Farmen besuchen, Rohmilchkäse an Loire und in der Provence beim Reifen zusehen. In Mexiko hatte ich Millefeuille von Jicama (eine lokale Knollensorte) und Mango gekostet, in Thailand Kochkurse belegt und dabei karamellisierten Schweinebauch mit Palmzucker und Piment angereichert. Touren zu den Restaurants von Marrakesch, Moskau, Kuala Lumpur rundeten meine Restaurantkenntnisse ab. Es ging mir gut; zumindest so lange, bis mein Magen den Appetit und mein Hirn die Lust am Superlativ verlor. Schließlich war seit Jahren jeder beschriebene Träger einer Kochmütze mindestens »erstaunlich«, wenn nicht »genial«.
Wenn ein Kritiker einen Koch lobt, dann ist er, der Schreiber, erst einmal der Größte. Kritisiert er den Koch, ist er ein Unmensch. Wenn der Koch jedoch befürchten muss, sein Kritiker könnte schreiben, dass vermeintliche Handwerkskunst nur noch Teil der Entertainment-Industrie ist, dann wird Letzterer nur noch als Zielscheibe gesehen. Über Geschmack lässt sich unter zivilisierten Menschen nicht streiten, meinen Sie? Irrtum! Menschen schlagen sich wegen Geschmacksfragen gegenseitig die Zähne ein.
Die Gastronomie von heute lebt von Mythos und Wortgeklingel; was dahinter steckt, wird sorgsam verborgen. Und die Köche sorgen mit ihrem ständischen Bewusstsein (»kein Koch darf schlecht über einen anderen reden«) täglich dafür, dass jeder Missstand unter die Küchenfliesen gekehrt wird.
Ich war zu neugierig gewesen, das war mein Fehler. Monatelang hatte ich regelmäßig Profimärkte besucht, die sonst nur von Köchen und Einkäufern frequentiert werden. Ich wusste, was die Profis kauften, wo sie es erwarben und wer ihnen all das verkaufte. Sie würden staunen, was für ein reichhaltiges Angebot es jenseits von Fleisch und Fisch, Obst und Gemüse auf Profimärkten gibt. Ein paar Köche würden Kritik einstecken müssen, Telefonklingeln hin oder her. Die Herren der Herde hatten ein fieses, unappetitliches Süppchen zusammengerührt. Ich hatte es noch warm vorgefunden und wollte es in ein paar Tagen einem größeren Publikum servieren. Das schmeckte gewissen Köchen nicht. Einer der ganz großen Herdmeister hatte es sogar geschafft, über einen befreundeten Journalisten ein gefälschtes Interview mit mir in der spanischen Tageszeitung Vanguardia zu lancieren. Aus einer simplen Plauderei über Kaffee wurde eine Liebeserklärung an einen Top-Koch. Es war ebenso beunruhigend wie schmeichelhaft. Allein die Aussicht auf einen Blick hinter die Kulissen verschreckte das gastronomische Establishment so sehr, dass mir im Ausland das Wort im Hals verdreht wurde. Köche können so etwas bewirken, denn Köche sind heute mächtig. Zehn Jahre kulinarischer Boom auf allen Fernsehkanälen, auf Kunstausstellungen und zahllosen Food-Festivals hatten nicht nur eine »Kochindustrie« mit multiplen Vermarktungsmöglichkeiten geschaffen, sondern deren Protagonisten zu Übermenschen stylisiert: Der Koch ist Rockstar, Künstler, Magier und Philosoph zugleich und neuerdings zudem Experte für so gut wie alles. Bald wird uns ein Mitglied dieses Berufsstandes Finanzkrisen, Innenpolitik und bewaffnete Konflikte über einer Vorspeise erklären. Solche Spitzen- und Fernsehköche sind mächtiger, als wir gemeinhin denken.Weil das Publikum sie liebt. Weil ihr Gesicht Auflage und Einschaltquoten verspricht. Und weil sich in ihren Lokalen die Crème de la Crème der Wirtschaft trifft, darunter einige meiner Arbeitgeber. Einer meiner französischen Kollegen ist einmal 14Tage frei gestellt worden, weil er einen weltbekannten Spitzenkoch kritisiert hatte; die Weißmütze und der Verleger hatten das nach drei Gläsern Armagnac, zwei Flaschen Wein, alles natürlich untermalt von einem ebenso leckeren wie kostenlosen Menü, unter sich beschlossen. Das kommt vor, auf dem kleinen Dienstweg geht wirklich vieles.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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