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Wie steht es um das feministische Projekt in der Gesellschaft? Ist die Geschlechtergerechtigkeit schon weitgehend verwirklicht? Ist der Diakonat für Frauen in der katholischen Kirche eine realistische Perspektive? Die Debatten um die Gleichstellung und die Rollen von Frauen in Gesellschaft und Kirche(n) werden zum Teil emotional und kontrovers geführt. Das aktuelle Themenheft 3/2017 greift die Diskussionslage auf: Frauen – Standpunkte, Debatten, Perspektiven.
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Seitenzahl: 261
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Schwerpunktthema:
Frauen – Standpunkte, Debatten, Perspektiven
Ansgar Kreutzer
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Edeltraud Koller
Ist der Feminismus überholt?
1 Einleitung
2 Das Verständnis von „Feminismus“
3 Einige Erfolge des Feminismus
4 Ablösung des Feminismus durch den Postfeminismus?
5 Feminismus – ein weiterhin notwendiges Projekt
6 Ergebnis in drei Thesen
Eva Fleischer / Andrea Trenkwalder-Egger
Freiheit und Notwendigkeit für Männer und Frauen aus der Care-Perspektive
1 Einleitung
2 Ursprung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung
3 Organisation von Care
4 Pflege als Aufgabe von Familien
5 Männer und Frauen sowohl als Pflege- und Betreuungsbedürftige als auch Pflegende
6 Männer und Frauen als informell Pflegende
7 Care als „gendered process“
8 Soziale Rechte und Care
9 Vom Homo Oeconomicus zum bedürftigen Menschen
Andrea Qualbrink
Frauen in kirchlichen Leitungspositionen. Hemmnisse, Herausforderungen und Perspektiven
1 Einleitung
2 Der Stand der Dinge
3 Hemmnisse und Herausforderungen
4 Perspektiven
Martina Bär
Gottebenbildlichkeit und Geschlechtergerechtigkeit aus freiheitstheoretischer Perspektive
1 Fehlende Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Katholischen Kirche
2 Würde des Menschen und Grundrechte
3 Anerkennung und Geschlechtergerechtigkeit
4 Gottebenbildlichkeit und Egalität der Geschlechter
Margit Eckholt
Neue Bewegung in der Frage nach dem Frauendiakonat?
1 Das 2. Vatikanische Konzil und die Ämterfrage neu in Bewegung bringen
2 Das Votum der Würzburger Synode und theologische Debatten um den Frauendiakonat in der Nachkonzilszeit
3 In Bewegung bleiben – pastorale und theologische Debatten um den Frauendiakonat heute
Katharina Ganz OSF
Ordensfrauen und Frauenorden. Zwischen Abschieden und Aufbrüchen
1 Spagat zwischen Selbstfürsorge und Sendung
2 Diakonische Präsenz in der Welt
3 Klöster als Anders-Orte
4 Vernetzung und politische Lobbyarbeit
5 Fazit
Abhandlungen
Gunter Prüller-Jagenteufel
„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.“Dietrich Bonhoeffer und das Judentum
1 Bonhoeffers Stellung zu „den Juden“
2 Bonhoeffers Stellung zum Judentum als Religion
3 Schlussgedanke
Hildegard Wustmans
Überraschende Begegnungen im öffentlichen Raum. Erzähl mir was, ich hör dir zu – ein Straßenseelsorgeprojekt in Linz
Literatur
Ines Weber
Aktuelle theologische Bücher
Rezensionen
Eingesandte Schriften
Aus dem Inhalt des nächsten Heftes
Redaktion
Kontakt
Anschriften der Mitarbeiter
Impressum
„Wiedervorlage“ ist ein Begriff aus der Verwaltungssprache. Wiedervorlagen sind notwendig, wenn ein Prozess noch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis gelangt ist. Die Fragen nach den Positionen von Frauen in der Gesellschaft und nach den Rollen von Frauen in der Kirche scheinen sich gerade in solchen „Wiedervorlage-Prozessen“ zu befinden. In Österreich wird zwanzig Jahre nach einer ähnlichen Initiative derzeit ein sogenanntes Frauenvolksbegehren in Gang gesetzt, um die Politik an noch nicht verwirklichte Frauenrechte zu erinnern. Auch Wiedervorlagen zur „Stellung der Frau in der Kirche“ sind zu beobachten. Besonders die Diskussion um einen möglichen Diakonat der Frau hat in der katholischen Kirche erneut an Fahrt aufgenommen. Vor kurzem hat der Bischof der deutschen Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, die Diakonin als „Zeichen der Zeit“ bezeichnet. Im Vatikan wurde eine viel beachtete Studienkommission zum Diakonat der Frau eingesetzt.
In diesen offenen Diskussionslagen verortet sich das aktuelle Themenschwerpunktheft der Theologisch-praktischen Quartalschrift. Sein inhaltliches Profil besteht darin, die gesellschaftlichen und kirchlichen Debatten – angesichts einer Kirche, die sich selbst programmatisch als „Kirche in der Welt von heute“ (Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils) betrachtet – auch in ihren Zusammenhängen zu sehen.
Den Auftakt macht die Frankfurter Moraltheologin Edeltraud Koller. Sie zieht Bilanz: Was ist aus dem gesellschaftlichen Projekt der Frauenemanzipation geworden? Der Feminismus ist in dieser Hinsicht zwar durchaus eine Erfolgsgeschichte; indes sind so viele Ziele der Geschlechtergerechtigkeit noch unerfüllt geblieben, dass es verfrüht erscheint, schon ein „postfeministisches“ Zeitalter auszurufen. Eine zentrale Frage der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bleibt die gerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Eva Fleischer und Andrea Trenkwalder-Egger, beide FH-Professorinnen am Management Center Innsbruck mit Arbeitsschwerpunkten in Sozialer Arbeit, verweisen darauf, dass häusliche Pflege noch zu 70 % von Frauen geleistet wird und fordern als Konsequenz ein Umdenken im Menschenbild. Werden alle Menschen als bedürftig und als potenziell Pflegende angesehen, könnte ein solcher Gesinnungswandel zu anderen, geschlechtergerechteren Verteilungen der Pflegearbeit führen. Der Beitrag von Andrea Qualbrink aus Graz bildet konzeptionell ein Scharnier zwischen gesellschaftlichen und kirchlichen Fragen. Die Autorin vergleicht Frauen in Leitungspositionen in der Wirtschaft und in der Kirche. Dabei stellt sie überraschende Parallelen fest, auch was die anstehenden Herausforderungen und adäquaten Maßnahmen zur Förderung von Frauen in Führungspositionen angeht. Martina Bärs Artikel setzt grundsätzlich an. Auf zwei Begründungsebenen argumentiert die Systematische Theologin aus Bern für Geschlechtergerechtigkeit. Einmal lässt sie sich – aus philosophischer Sicht und in Einklang mit dem Menschenrechtsethos – aus der gleichen Würde aller Menschen ableiten. Zum andern entspricht die Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit jedoch auch dem jüdisch-christlichen Menschenbild, wie es sich in der theologischen Rede von der Gottebenbildlichkeit der Menschen darstellt. Die Osnabrücker Systematische Theologin Margit Eckholt greift die lebhaften kirchlichen und theologischen Diskussionen um den Diakonat der Frau auf. Sie referiert den Diskussionsstand vom II. Vatikanischen Konzil an bis zur Einsetzung der Studienkommission zum Diakonat durch Papst Franziskus im Jahr 2016. Ihre Überlegungen münden in ein Plädoyer für die Notwendigkeit von Diakoninnen in der katholischen Kirche – gerade „in modernen, globalisierten und von verschiedensten ‚Exklusionen‘ bestimmten Zeiten“. Der abschließende Artikel des Themenschwerpunktes richtet seinen Blick auf einen wichtigen Bereich der Präsenz von Frauen in der Kirche und in der Gesellschaft: auf die Frauenorden. Die Generaloberin der Oberzeller Franziskanerinnen, Katharina Ganz, beschreibt nüchtern und faktenorientiert die zum Teil dramatischen Ab- und Umbrüche, denen Frauenorden heutzutage ausgesetzt sind. Zugleich entdeckt sie in inspirierender Weise die darin liegenden Chancen zu Neuaufbrüchen.
Zwei thematisch freie Beiträge empfehle ich zur Lektüre: Gunter Prüller-Jagenteufel zeigt die biografisch und theologisch beeindruckende Parteinahme Dietrich Bonhoeffers für die Juden und das Judentum zur Zeit des nationalsozialistischen Terrors. Hildegard Wustmans stellt mit dem Straßenseelsorgeprojekt „Erzähl mir was“ eine pastorale Idee vor, die zur Nachahmung einlädt. Unter der Rubrik „Das aktuelle theologische Buch“ findet sich ein Literaturbericht von Ines Weber, der eine gute Orientierungshilfe in der Flut von Neuerscheinungen zum Reformationsjubiläum 2017 bietet.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
unsere Autorin Andrea Qualbrink verweist zum Ende ihres Artikels auf das Hirtenschreiben „Zu Fragen der Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft“, das die deutschen Bischöfe bereits im Jahre 1981 veröffentlicht haben. Das Dokument bringt die beiden Dimensionen unseres Heftes, die Rollen von Frauen in der Gesellschaft und in der Kirche, in einen engen Zusammenhang: „Die Kirche soll Modell für das gleichwertige und partnerschaftliche Zusammenleben und -wirken von Männern und Frauen sein.“ Folgt man den Bischöfen in diesem hohen Anspruch, wird deutlich: Die Frauenfrage ist keine kirchliche und theologische Marginalie. Der Umgang der Kirche mit den Frauen ist entscheidender Ausweis ihrer Glaubwürdigkeit.
Im Namen der Redaktion wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre unseres aktuellen Themenheftes und zugleich eine erholsame Sommer- und Urlaubszeit!
Ihr Ansgar Kreutzer
(Chefredakteur)
Edeltraud Koller
Haben sich die früher oft provokativ geführten feministischen Bemühungen, eine Angleichung der Geschlechter zu bewirken, nicht bereits weitgehend überlebt? Ist nicht von den grundsätzlichen Zielen und Forderungen sehr viel erreicht worden und die Bilanz durchaus positiv? Edeltraud Koller, Juniorprofessorin für Moraltheologie, legt hier zunächst prägnant Begriff und Anliegen des Feminismus dar und stellt sich der Frage, ob wir uns nicht bereits im „Postfeminismus“ befinden. Sie zeigt, dass einiges dafür spricht, nicht vom Ende des Feminismus zu reden, sondern ihn „mit seiner ethisch motivierten Perspektivität und dem damit verbundenen gesellschaftlichen Anliegen“ als weiterhin notwendiges Projekt zu sehen. (Redaktion)
Die Diskussion um die Situation der Frauen steht im Kontext des Grundsatzes, dass kein Mensch aufgrund des Geschlechts benachteiligt werden darf. Wenn die Gruppe der Frauen gegenüber jener der Männer benachteiligt ist – und das gilt auch für Mädchen gegenüber Buben –, dann stellt diese Situation eine Verletzung dieses Grundsatzes und daher für moderne Gesellschaften einen untragbaren Zustand dar.
Es ist der Feminismus, der die Gleichstellung der Frauen bei gesellschaftlichen Positionen, Rechten und Chancen beharrlich und vehement verlangt. Allerdings scheint das Verbot geschlechtsbedingter Benachteiligungen zu bedeuten, dass diese feministische Forderung wenigstens in modernen Demokratien zur allgemeinen Auffassung geworden ist. Braucht es also das feministische Interesse an der Überwindung der Diskriminierung und Unterdrückung der Frauen – also den Feminismus – überhaupt noch? Mehr noch: Ist es mittlerweile nicht angemessener, die feministischen Anliegen als Themen der Geschlechtergerechtigkeit und der Genderorientierung zu behandeln, also auf Männer auszuweiten?
Zunächst werden der Begriff und das Anliegen des Feminismus dargestellt. Die anschließende Skizze von Erfolgen des Feminismus führt zur Frage, ob die feministischen Forderungen weitgehend eingelöst sind und wir uns deshalb im Postfeminismus befinden. Im letzten Schritt wird die These vertreten, dass der Feminismus ein weiterhin offenes Projekt ist.
„Feminismus“1 ist der Allgemeinbegriff für das gesamte Feld der Bemühungen zur Beseitigung der geschlechtsbedingten Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen.2 Er gründet auf der Wahrnehmung, dass Frauen gesellschaftlich in verschiedener Hinsicht den Männern nach- und untergeordnet sind,3 und auf der Einsicht, dass geringere Chancen der Frauen auf gesellschaftliche Teilhabe und individuelle Lebensgestaltung in Machtverhältnissen gründen, die durch Strukturen und Handlungen immer wieder neu hervorgebracht werden und ausgesprochen stabil sind.4 Das gemeinsame Ziel im ganzen Spektrum der Ausprägungen feministischen Denkens und Handelns besteht im Wandel der Machtstrukturen.
Diese Grundausrichtung auf Gesellschaftsveränderung ist bedeutsam.5 Wenn dieser Grundzug beachtet wird, kann „Feminismus“ nicht bereits durch das Thema „Frauen“ definiert werden. Für die Identifikation von „Feminismus“ ist zudem nicht entscheidend, ob sich die jeweiligen VertreterInnen selbst als FeministInnen bezeichnen. „Feminismus“ kann auch nicht einfach mit ausgewählten Ausprägungen oder einzelnen Feministinnen gleichgesetzt werden. Den Kern des Feminismus bildet vielmehr das gesellschaftlich-politische Interesse an der Erkenntnis der Marginalisierungsprozesse von Frauen und an deren Überwindung.
Feminismus existiert dabei nur im Plural vielfältiger Formen des Engagements (praktischer Feminismus) sowie unterschiedlicher Ansätze und Theorien (wissenschaftlicher Feminismus). Praktischer Feminismus begegnet in Gestalt der emanzipatorischen Frauenbewegungen, des frauenpolitischen Einsatzes und der feministischen Haltung als tragendes Element der Identität. Wissenschaftlicher Feminismus sucht durch feministische Theoriebildung die Voraussetzungen für frauen-unterordnende Denk- und Gesellschaftsstrukturen zu erkennen und „die Möglichkeiten der Veränderungen des traditionellen, hierarchisch strukturierten Geschlechterverhältnisses“6 zu erarbeiten.
Ethisch formuliert liegt das Charakteristikum des Feminismus in der Perspektivierung der Frauen und Mädchen vor dem Hintergrund des moralischen Anspruchs der Geschlechtergerechtigkeit.7 Die Perspektivität feministischen Denkens und Engagements erwächst aus einer vorrangigen Option für die „traditionell benachteiligten Frauen“8 und trägt zur Wahrnehmung und Gewichtung von Fragestellungen in den Wissenschaften sowie zur Motivierung von gesellschaftlicher Mitwirkung wesentlich bei.9
Der Feminismus hat also seinen Dienst getan, wenn Geschlechtergerechtigkeit realisiert ist und die Benachteiligung der Frauen Vergangenheit ist. Tatsächlich sind viele herkömmliche Forderungen umgesetzt.
Erstens liegt ein Erfolg feministischen Engagements in der Durchsetzung der Forderung, dass die Menschenrechte für Männer und Frauen gelten. Die Einsicht, dass Frauen Trägerinnen der Menschenrechte sind, ist die grundlegende Errungenschaft des Kampfes um die Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert. Beispielsweise konnte der Umstand, dass in den französischen Menschen- und Bürgerrechten 1789 nur Männer intendiert waren,10 lange kaum als Ausschluss der Frauen in den Blick kommen, weil der Lebens- und Rechtsbereich der Frauen die Sphäre des Privaten war und daher das Nicht-Vorkommen bei den Rechtsformulierungen für die „fremde“ Sphäre der Öffentlichkeit und Politik nicht als sozialer Ausschluss oder Verwehren von Rechten wahrgenommen wurde.11 Das gleiche Wahlrecht von Bürgern und eben auch von Bürgerinnen bedeutete somit eine Erschütterung der gesellschaftsstrukturierenden Auffassung, „die Frau“ sei nicht für Öffentlichkeit und Politik geschaffen,12 und ist als Erfolg der Gesellschaftsveränderung zu lesen.
Zweitens findet die feministische Forderung der 1960er- und 1970er-Jahre, Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen zu überwinden, in vielen Ländern ihren Niederschlag im Recht.13 So hat das Gleichstellungsgebot etwa in Österreich, Deutschland und der Schweiz Verfassungsrang.14 Entsprechend hat auch die Europäische Union Gleichstellung und Gleichbehandlung als gemeinsame Aufgabe im Vertrag von Lissabon festgeschrieben,15 in der Grundrechte-Charta verankert16 sowie in entsprechenden EU-Richtlinien17 und in nationalen Gesetzen konkretisiert. Das Rechtssystem als Instrument zur Gleichstellung der Frauen zeigt Schwerpunkte:18 a) formale Gleichstellung in konkreten Rechten, wie z. B. das Verfügungsrecht von Ehefrauen über das eigene Geld; b) Schutz vor frauenspezifischen Gefährdungen, wie Mutter- oder Frauenarbeitsschutz; c) Förderung der Ebenbürtigkeit, etwa das Partnerschaftsmodell im Ehe- und Familienrecht; d) rechtliche Regeln zur expliziten Förderung von Frauen, d. h. Abbau von veränderungsresistenten Benachteiligungen durch Begünstigungen, wie Einführung von Frauenquoten. Der Erfolg liegt nicht allein in den Rechtsnormen als solchen; die Maßnahmen zielen darüber hinaus auf die Förderung von Leitorientierungen der Partnerschaftlichkeit und der Chancengleichheit.19
Drittens darf die Einsicht als Erfolg gelten, dass Bemühungen um die Rechte und Chancen der Frauen in die Gesamtgestalt des Geschlechterverhältnisses integriert bleiben.20 Der Feminismus hat zum zentralen Ziel der „Erweiterung der Freiheitsgrade von Frauen, aber auch von Männern“21 beigetragen und beispielsweise Impulse für die Gestaltung nicht nur der Frauenrolle, sondern auch der Männerrolle gegeben. Dass neue reale oder angestrebte Freiheitsgrade sich für Individuen und Gesellschaft als anspruchsvoll und irritierend darstellen können, spricht nicht dagegen, die Beiträge zur Eröffnung von Erfahrungs-, Teilhabe- und Teilgabemöglichkeiten beider Geschlechter zu den Erfolgen zu zählen. Denn die Verständigung über Geschlechterordnungen erachtet der Feminismus von jeher als notwendig.
Viertens liegt ein Erfolg im mittlerweile seit Jahrzehnten in Politik und Wissenschaften anzutreffenden Fokus auf Geschlechter bzw. Gender. Insbesondere die Geschlechterforschung basiert auf dem feministischen Projekt. Die wissenschaftliche Gender-Perspektive gilt als bedeutsam, wobei sie nicht zwingend mit einem gesellschaftspolitischen bzw. -ethischen Interesse einhergeht. Auch im Bereich der Politik ist in vielen Ländern die Kategorie „Geschlechter“ aufgenommen. Hierbei haben selbst Menschen, die sich nicht explizit feministisch verstehen, ein Bewusstsein davon, dass gesellschaftsgestaltende Prozesse im Hinblick auf das Ziel von Gerechtigkeit einer geschlechter-differenzierten Betrachtung und des Blicks auf Frauen bzw. Mädchen bedürfen.
Angesichts dieser Erfolge stellt sich die Frage, ob der Feminismus mittlerweile obsolet ist, weil herkömmliche Forderungen des Feminismus weitgehend in Recht und gesellschaftliche Orientierung transformiert sind. Das heißt in der aktuellen Begrifflichkeit: Befinden wir uns im Postfeminismus?
„Postfeminismus“ heißt die Auffassung, wonach wir uns in einer Phase nach dem herkömmlichen Feminismus befänden. Vier Verständnisse scheinen mir in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung zu sein:22
Erstens bezeichnet „Postfeminismus“ das Ende der feministischen Bewegungen. Da die Emanzipations- und Gleichstellungsforderungen des klassischen Feminismus in Gestalt der Frauenbewegung der 1960er- und 1970er-Jahre verwirklicht oder politisch integriert seien, hätten folgerichtig die emanzipatorischen Bewegungen und das „Label“ Feminismus ihre Bedeutung verloren. So erweisen sich ehemalige feministische Hauptforderungen als politisches Mainstream-Bekenntnis und als Gleichstellungspolitik.23 Postfeminismus in diesem Sinne setzt die Unscheinbarkeit der emanzipatorischen Frauenbewegung mit dem Verschwinden des Feminismus gleich, koppelt also den Feminismusbegriff eng an die klassische Form der Bewegungen.
Zweitens bedeutet „Postfeminismus“ die Distanzierung der jüngeren Generation vom herkömmlichen Feminismusverständnis und die Betonung der Vielfalt feministischer Identität. Postfeministinnen verstehen sich als Feministinnen, versuchen den Feminismus aber neu zu definieren. Sie verbinden den Begriff des Feminismus mit einer Überbetonung der Opferrolle der Frauen und mit einer nicht hilfreichen Kampfansage „Frauen gegen Männer“.24 „Postfeminismus“ meint demgegenüber den „neuen“ Feminismus, dessen Vertreterinnen sich selber als emanzipiert erfahren und statt Frauensolidarität die individuelle Identitätskonstruktion als Frau betonen.
Drittens drückt „Postfeminismus“ die Auffassung aus, dass der Feminismus gescheitert sei und seine eigene Ablösung durch ein vor-feministisches, konservatives Frauenbild begünstigt bzw. herbeigeführt habe. Hier sind auch die explizit anti-feministischen Positionen zuzuordnen, die mit „Postfeminismus“ das Ende des Feminismus behaupten, „auf eine Rückkehr zu traditionellen geschlechterhierarchischen Lebensmustern abzielen“25 und insbesondere die gesellschaftlichen Impulse des Feminismus abzuwehren suchen.
Viertens kann Postfeminismus die These von der Ablösung des Feminismus durch die Gender Studies bezeichnen. Dieses Verständnis bezieht sich auf den akademischen Bereich. Gender Studies sind „eine Wissenschaft von der Geschlechterunterscheidung“26 mit der erkenntnisleitenden Frage, „welche Rolle die Kategorie ‚Geschlecht‘ in einer Gesellschaft spielt“27. Wenn ich vorhin die Bedeutung von „Geschlechter“ als feministischen Erfolg bezeichnet habe, so spitzt dieser Postfeminismus-Begriff das Verhältnis von Feminismus und Geschlechterforschung zu einer Ablösung zu. Beispielsweise grenzt der Soziologe und Genderforscher Stefan Hirschauer Geschlechterforschung scharf gegen den Feminismus ab, der sich in einem „politischen Bewusstsein eingebunkert“28 habe und den Geschlechterkampf aufrechterhalten wolle.29 Postfeminismus in diesem Sinne bezeichnet nicht die Gender Studies, sondern die Deutung der Geschlechterforschung als Fortschritt nach dem als einseitig-ideologisch bewerteten Feminismus.
Somit erklären verschiedene postfeministische Positionen den Feminismus für beendet. Freilich begleitet den Feminismus schon immer die Rede von seinem Ende.30 Tatsächlich spricht m. E. einiges dafür, den Feminismus als offenes Projekt zu betrachten.
Die erwähnten postfeministischen Positionen bedeuten noch nicht, dass der Feminismus mit seiner ethisch motivierten Perspektivität und dem damit verbundenen gesellschaftspolitischen Anliegen obsolet ist.
Zunächst ist evident, dass die Ziele der Gleichbehandlung und Gleichstellung noch nicht erreicht sind. Diese Einsicht wird in der Regel auch von den VertreterInnen der Postfeminismus-Thesen 1, 2 und 4 geteilt. Belegt wird das Faktum, „dass die Forderung nach symmetrischen Bedingungen nirgendwo voll umgesetzt ist“31, durch regelmäßige Statistiken und Berichte. Das heißt: Die formale Gleichstellung sowie die spezifischen gesetzlichen Regelungen gewährleisten nicht deren praktische Einlösung.
Zentrale Probleme liegen nach wie vor in der gesellschaftlichen Schlechterstellung der Frauen: So belegen sowohl EU- als auch OECD-Statistiken – selbst unter Berücksichtigung der jeweiligen Berechnungsmethoden – einen großen Verdienstabstand zwischen den Geschlechtern deutlich zulasten der Frauen.32 Zudem zeigen sich bei der gesellschaftlichen Verteilung von Machtpositionen geringere Chancen der Frauen, in hohe Ämter oder wirtschaftliche Leitungspositionen zu kommen.33 Ein weiteres Problem sind Gewalthandlungen, insbesondere geschlechtsspezifische Gewalt34 und Menschenhandel35, denen Frauen und Mädchen überproportional häufig ausgesetzt sind. Des Weiteren betreffen Armut und Armutsgefährdung – in der EU und in verstärktem Ausmaß weltweit in den als arm eingestuften Ländern – Frauen im Vergleich zu Männern häufiger und stärker.36 Was auch für die anderen Beispiele zutrifft, zeigt sich an der „Armut“ deutlich: Sie wird durch mehrere Faktoren verursacht und verstärkt, die besonders die Frauen betreffen. Das sind auch in reichen Ländern die Merkmale Alleinerzieherin, Teilzeitarbeit, niedrigere bzw. fehlende Rente, finanzielle Abhängigkeit vom Ehemann/Lebenspartner, und vielfach in Entwicklungsländern zudem die Faktoren „kein Verfügen über eigenes Einkommen“, „Ausschluss von Land- und Vermögenszugang“ und „Benachteiligung im Erbrecht“.37
Diese Beispiele behaupten nicht, es würden keine Männer betroffen sein, sie bedeuten aber, dass die Benachteiligung die Gruppe der Frauen bedeutend stärker und häufiger trifft und nicht erklärbar ist ohne die Kategorie „Geschlecht“. Feminismus hat dabei die Funktion, mit seiner Perspektive auf die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen darauf zu drängen und daran mitzuwirken, sowohl Elemente der Geschlechterasymmetrie in ihrer Wechselwirkung zu identifizieren als auch die Veränderung von Wahrnehmungs, Deutungs und Handlungsmustern sowie von Strukturen zu fördern.
Den Wechselwirkungen wird dabei noch größere Beachtung zu schenken sein. Ein aktuelles Konzept ist „Intersektionalität“, das davon ausgeht, dass die Wirkungen von mehreren Unterdrückungen oder Benachteiligungen nicht bloß summarisch erfasst werden dürfen.38 Vielmehr sucht „Intersektionalität“ die Verwobenheit von und die Interdependenzen zwischen Benachteiligungen, deren Mechanismen und Kontextabhängigkeit sowie das komplexe Zusammenwirken von Benachteiligung, Macht und Privilegierung zu erfassen. Dieses Konzept findet als Analysekonzept in den Gender Studies, aber auch in anderen Wissenschaften Anwendung. Feministische Zugänge betonen hierbei den Faktor „Frauen und Mädchen“ inklusive seinem Zusammenspiel mit anderen Kategorien. Gerade im feministischen Interesse an den gleichen Chancen auf eigene Lebensgestaltung und der Verwobenheit der jeweiligen Faktoren in den individuellen Situationen scheint ein deutlicher Fokus auf den Faktor Frau/Mädchen und seinen Interdependenzen gefordert.
Weniger die Beseitigung von Benachteiligungen als vielmehr die Erreichung von Handlungszielen steht im Vordergrund, wenn Gendersensibilität in einzelnen Handlungsfeldern betont wird. Beispielsweise verdient die noch junge Gendermedizin aus feministischen Gründen größere Beachtung, insofern sich abzeichnet, dass sich durch Berücksichtigung geschlechterdifferenter Symptome und Ursachen Möglichkeiten der erfolgreicheren Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten eröffnen.39 Ein weiteres Beispiel ist die Verstärkung der Geschlechterperspektive in der Sozialen Arbeit, etwa im Hinblick auf Suchtverhalten, -gefährdung, -prävention und -therapie, oder im Hinblick auf die Prävention von und den Umgang mit Gewalt an Frauen, an Männern, durch Frauen und durch Männer.
Diese Hinweise sollen genügen, um festzuhalten, dass die Genderperspektive verstärkt in Praxis und Wissenschaft integriert und interdisziplinär ausgerichtet werden muss. Allerdings braucht keine Konkurrenz zwischen Gender Studies und Feminismus konstruiert werden, denn die Genderforschung kann feministisch arbeiten oder in anderen Bereichen feministisch aufgegriffen werden.
Der Artikel hat nach einer Antwort gesucht, ob der Feminismus noch sinnvoll ist. Das Ergebnis kann nun zusammengefasst werden:
1) Ein Feminismus, der sich den aktuellen Herausforderungen widmet und auf der Höhe der aktuellen Geschlechterforschung ist, ist gesellschaftlich verdienstvoll. Er hat eine Funktion für die gerechte und gute Gestaltung der Gesellschaft, indem er die gesellschaftliche Entwicklung am Angelpunkt der strukturell benachteiligten Frauen und Mädchen fokussiert. Dabei erweisen sich die Forderungen nach Emanzipation und Gleichberechtigung der Geschlechter als nach wie vor aktuell, stellen sich aber nunmehr stärker als komplexes Zusammenspiel von Geschlecht und anderen Faktoren dar.
2) Der Feminismus ist eine der Grundlagen für umfassende Geschlechtergerechtigkeit. Gemäß dem Faktum, dass der Anspruch der Gerechtigkeit nicht auf einen Teil der Menschheit beschränkt, also nicht „teilbar“ ist, sind die feministischen Anliegen nicht optional, sondern ethisch gefordert. Dabei kann es dem Feminismus um keine Einschränkung der Gerechtigkeit auf Frauen gehen. Vielmehr hat er das Potenzial, im Fokus auf Frauen und Mädchen für gesellschaftliche Ungerechtigkeiten insgesamt zu sensibilisieren sowie zur Beseitigung von Ungerechtigkeit und Hindernissen für die gelungene Lebensführung zu motivieren.
3) Gender Studies stellen eine entscheidende Bezugswissenschaft für grundsätzlich jedes feministische Engagement dar. Sie unterstützen das Verständnis der Kategorien „Geschlechter“, „Geschlechterordnung“ und „Frauen“. Zudem kann die Aufnahme der Erkenntnisse der Geschlechterforschung helfen, blinde Flecken in der feministischen Reflexion zu vermeiden und so dem Anspruch zu genügen, dass feministische Theorie und Praxis selber geschlechtssensibel und -gerecht sein müssen.
Die Autorin:Edeltraud Koller, geboren 1970, Mag.-Studium der Theologie und Wirtschaftspädagogik in Linz, danach Pastoralassistentin. Ab 2001 Universitätsassistentin an der Katholischen Privat-Universität Linz und Promotion im Fach Moraltheologie; 2001– 2006 Referentin am Sozialreferat der Diözese Linz; zudem Tätigkeit unter anderem an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz, an Fachhochschulen und an der Universität Luzern; seit 2015 Juniorprofessorin für Moraltheologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M.; Publikationen zum Thema: Was meint „geschlechtergerechte Entlohnung“? Sozialethische Überlegungen, in: Amosinternational 7 (2013) H. 3, 3 – 9; Die Frauen im Blick. Vielfältige Lebenssituationen von Frauen heute – ein Thema für ChristInnen, in: Momente – Spuren – Wege. Frauenleben sichtbar gemacht, hg. v. Frauenkommission der Diözese Linz, Linz 2008, 89 –104; weitere wichtige Publikation: Gutes Leben durch die Wirtschaft? Eine theologisch-ethische Kritik der Dominanz der Ökonomie – dargestellt am Einfluss der Rede vom „ökonomischen Sachzwang“ auf die menschliche Orientierung und Sinnerfahrung (Schriftenreihe für Wirtschafts- und Unternehmensethik 19), München–Mering 2008.
Weiterführende Literatur:
– Ruth Becker / Beate Kortendiek (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, 3. erweiterte und durchgesehene Aufl., Wiesbaden 2010. In diesem umfangreichen Handbuch sind übersichtliche Artikel zu den Grundlagen- und Detailthemen der Frauen- und Geschlechterforschung zu finden. Es lohnt sich für alle, die sich mit dem Themenfeld beschäftigen wollen.
Das Themenheft der Zeitschrift Amosinternational 3/2013 befasst sich unter dem Titel „GeschlechterGerechtigkeit“ in vier Hauptartikeln mit Entlohnung, Machtpositionen, Migration und Bildung. Die Beiträge sind von der Perspektive der christlichen Sozialethik geleitet.
1 Zur Begriffsgeschichte vgl. Christiane Streubel, Radikale Nationalistinnen. Agitation und Programmatik rechter Frauen in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M.–New York 2006, 62–67. Vgl. auch Barbara Thiessen, Feminismus: Differenzen und Kontroversen, in: Ruth Becker / Beate Kortendiek (Hg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, Wiesbaden ³2010, 37–44.
2 Vgl. Herta Nagl-Docekal, Geschlechtergerechtigkeit: Wie könnte eine philosophische Perspektive für die theologische Debatte von Relevanz sein?, in: ThQ 195 (2015) H. 1, 75–94, hier: 77.
3 Vgl. Barbara Thiessen, Feminismus: Differenzen und Kontroversen (s. Anm. 1), 38.
4 Vgl. ebd.
5 Vgl. Christa Schnabl, Nach dem Patriarchat. Gesellschaftskritik und Gesellschaftskonzeptionen im Feminismus, in: JCSW 45 (2004), 143–169, hier: 143.
6 Ebd. Vgl. auch Irene Dölling, 30 Jahre feministische studien: Wie mit dem feministischen Erbe umgehen?, in: Feministische Studien 31 (2013), H. 1, 29–34, hier: 33.
7 Vgl. Christa Schnabl, Nach dem Patriarchat (s. Anm. 5), 143 f.
8 Ebd.
9 Vgl. ebd.
10 Vgl. z. B. Hannelore Schröder, Olympe de Gouges‘ „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ (1791). Ein Paradigma feministisch-politischer Philosophie, in: Herta Nagl-Docekal (Hg.), Feministische Philosophie, Wien–München 1990, 202–228, hier: 216–218.
11 Vgl. Konrad Hilpert, Menschenrechte: Männerrechte – Frauenrechte?, in: JCSW 34 (1993), 35–72, hier: 43.
12 Vgl. ebd.
13 Vgl. etwa Herta Nagl-Docekal, Feministische Philosophie im post-feministischen Kontext, in: Hilge Landweer u. a. (Hg.), Philosophie und die Potenziale der Gender Studies. Peripherie und Zentrum im Feld der Theorie, Bielefeld 2012, 231–254, hier: 233 f.
14 Vgl. Österreichische Bundesverfassung, Art. 7 (1)–(2), Art. 13 (3); Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 (2)–(3); Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Art. 8 (2)–(3).
15 Vgl. Europäische Union, Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union, in: Amtsblatt der Europäischen Union 53. Jg./30.03.2010, 13–45, hier: Art. 2; dies., Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, in: Amtsblatt der Europäischen Union 53. Jg./30.03.2010, 47–199, hier: Art. 8, Art. 153i, Art. 157; http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2010:083:FULL&from=DE [Abruf jeweils: 28.02.2017].
16 Vgl. Europäische Union, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, in: Amtsblatt der Europäischen Union 53. Jg./30.03.2010, 389–403, hier: Art. 21, Art. 23 (s. Anm. 15).
17 Vgl. die Liste der Gleichbehandlungsanwaltschaft Österreich: http://www.gleichbehandlungsanwaltschaft.at/site/7246/default.aspx [Abruf: 28.02.2017].
18 Vgl. zum Folgenden Herta Nagl-Docekal, Geschlechtergerechtigkeit (s. Anm. 2), 76; Konrad Hilpert, Menschenrechte (s. Anm. 10), 61 f.
19 Vgl. Konrad Hilpert, Menschenrechte (s. Anm. 11), 61.
20 Vgl. ebd., 38.
21Sabine Hark / Ina Kerner, Der Feminismus ist tot? Es lebe der Feminismus! Das „False Feminist Death-Syndrome“, in: querelles-net 21 (2007); https://www.querelles-net.de/index.php/qn/article/view/510/518 [Abruf: 28.02.2017].
22 Für einen Überblick vgl. Birgit Haas, Der postfeministische Diskurs: Positionen und Aspekte, in: dies. (Hg.), Der postfeministische Diskurs, Würzburg 2006, 7–61.
23 Kritisch diagnostiziert Irene Dölling, dass die feministische Frauenbewegung „verebbt und zur staatlichen Gleichstellungspolitik mutiert“ sei. Irene Dölling, 30 Jahre feministische studien (s. Anm. 6), 33.
24 Vgl. Herta Nagl-Docekal, Feministische Philosophie im post-feministischen Kontext (s. Anm. 13), 231– 233. Zum Vorwurf an den klassischen Feminismus vgl. z. B. Meike Lobo, Die feministische Selbstdemontage, in: ZEIT ONLINE, 07.03.2016; http://www.zeit.de/kultur/2016-03/feminismus-kritik-debatte-frauen [Abruf: 28.02.2017].
25Herta Nagl-Docekal, Feministische Philosophie im post-feministischen Kontext (s. Anm. 13), 233. Zur Inszenierung des Anti-Feminismus vgl. Birgit Haas, Der postfeministische Diskurs (s. Anm. 22), 9 –14.
26Stefan Hirschauer, Wozu Gender Studies? Ein Forschungsfeld zwischen Feminismus und Kulturwissenschaft, in: Forschung & Lehre 21 (2014) 11, 880 – 882, hier: 880.
27Marianne Heimbach-Steins, Die Gender-Debatte – Herausforderungen für Theologie und Kirche, Köln 2015, 10.
28Stefan Hirschauer, Wozu Gender Studies? (s. Anm. 26), 882.
29 Vgl. ebd.
30 Vgl. dazu Sabine Hark / Ina Kerner, Der Feminismus ist tot? (s. Anm. 21).
31Herta Nagl-Docekal, Geschlechtergerechtigkeit (s. Anm. 2), 76 f.
32 Vgl. Eurostat Statistics Explained, Gender pay gap statistics, Nov. 2016; http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Gender_pay_gap_statistics; OECD, Gender wage gap (indicator), 2017; https://data.oecd.org/earnwage/gender-wage-gap.htm [Abruf: 28.02.2017]; Edeltraud Koller, Was meint „geschlechtergerechte Entlohnung“? Sozialethische Überlegungen, in: Amosinternational 7 (2013) H. 3, 3 – 9.
33 Vgl. Sonja Sailer-Pfister, „Hüter der gläsernen Decke“ – oder warum Frauen nicht oben ankommen. Zur Verteilung von Macht- und Führungspositionen, in: Amosinternational 7 (2013) H. 3, 10 –17.
34 Vgl. Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung. Ergebnisse auf einen Blick, Luxemburg 2014.
35 Vgl. UNODC, Global Report on Trafficking in Persons 2014, Vienna 2014; http://www.unodc.org/documents/human-trafficking/2014/GLOTIP_2014_full_report.pdf [Abruf: 28.02.2017].
36 Vgl. Sonja Kodelitsch, Armut ist weiblich, in: Bundesministerium für Gesundheit (Hg.), Österreichischer Frauengesundheitsbericht 2010/2011, Wien 2011, 416 – 427.
37 Vgl. UNSD, The World’s Women 2015: Trends and Statistics. Chapter 8: Poverty, 179 –199; http://unstats.un.org/unsd/gender/downloads/WorldsWomen2015_chapter8_t.pdf [Abruf: 28.02.2017].
38 Vgl. Gabriele Winker / Nina Degele, Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld 2009, hier: 10; Helma Lutz u. a., Fokus Intersektionalität – eine Einleitung, in: dies. (Hg.), Fokus Intersektionalität. Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzeptes, Wiesbaden ²2013, 9 –31, hier: 17 f.
39 Vgl. z. B. Mariacarla Gadebusch Bondio / Elpiniki Katsari (Hg.), „Gender-Medizin“. Krankheit und Geschlecht in Zeiten der individualisierten Medizin, Bielefeld 2014.
Eva Fleischer / Andrea Trenkwalder-Egger
In diesem Artikel gehen die Autorinnen zunächst der Frage nach den historischen Wurzeln der geschlechtsbezogenen Zuweisungen von Care nach. Daran schließen sich Überlegungen zu geschlechtsspezifischen Zuschreibungen an, die sowohl auf der individuellen Ebene wie auch in der sozialstaatlichen Organisation von Care-Aufgaben wirken. Wie mögliche Alternativen aussehen könnten, wird am Ende des Beitrags vorgestellt. (Redaktion)
„Care-Revolution“, „Care-Krise“, „Caring-Communities“, „Palliative Care“ – Care ist ein Begriff, der von verschiedenen Gruppen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft aufgegriffen wird, um ein umfassendes Phänomen zu beschreiben. Auch wenn einzelne Diskurse spezifische Aspekte betonen, so ist doch allen Zugängen eines gemeinsam: Care umfasst immer zwei Dimensionen. Kurz gesagt: Care ist immer Haltung / Beziehungsgeschehen und Tätigkeit zugleich. Einerseits ist die Ebene der Care-Beziehung relevant, welche die Qualität der Beziehung zwischen fürsorgender und Fürsorge empfangender Person bestimmt. Dieser liegt eine spezifische Care-Ethik zugrunde. Andererseits ist die Ebene des konkreten Tuns im Fokus, die eine „auf einen anderen Menschen gerichtete, unterstützende Tätigkeit in einem informellen oder professionellen Kontext“1 umfasst. Diese kann sich auf Phasen des Lebenszyklus beziehen, wie etwa Sorge für Kinder oder ältere Menschen, aber auch auf besondere Lebenssituationen, in denen Hilfeprozesse erforderlich sind, die soziale, psychische und physische Probleme bewältigen helfen sollen. Care umfasst also nicht nur alltägliche Hilfestellungen etwa für Kinder, sondern auch Bereiche wie Sozialarbeit und Pflege. Zunächst ist Care geschlechtsneutral, allerdings hat sich geschichtlich eine geschlechtsbezogene Zuweisung von Care entwickelt, die bis heute Arbeitsmarkt und Hausarbeit prägt.
In diesem Artikel gehen wir zunächst der Frage nach den historischen Wurzeln der geschlechtsbezogenen Zuweisungen von Care nach. Anschließend erläutern wir am Beispiel der Care-Arbeit im Bereich der informellen Pflege in Österreich, wie und welche geschlechtsspezifischen Zuschreibungen und Praxen sowohl auf individueller Ebene wie auch in der sozialstaatlichen Organisation von Care weiterhin wirksam sind, und wie diese derzeit zu geschlechtsbezogener Ungleichheit führen. Wir schließen mit Überlegungen zu möglichen Alternativen ab.
Die aktuelle Einteilung in eine bezahlte Erwerbsarbeit und eine unbezahlte bzw. schlecht bezahlte Fürsorgearbeit, die noch immer weitgehend einer geschlechtsspezifischen Zuschreibung folgt, hat ihren Ursprung in der griechischen Antike. So unterscheidet Aristoteles zwischen Polis, dem Ort, an dem öffentliche Debatten stattfanden, und Oikos, der Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft. In der Polis versammelten sich die freien Männer, um gesellschaftlich relevante Problemlagen zu lösen. Diese Freiheit der Männer war nur deshalb möglich, weil Frauen und Sklaven für den Bereich der Notwendigkeit als zuständig galten, indem sie die für den Lebenserhalt notwendigen Arbeiten erledigten.2
Diese dichotome Einteilung in zwei Gegensatzpaare verbunden mit einer Über-und Unterordnung von Mann und Frau, Freiheit und Notwendigkeit, Kultur und Natur, Geist und Materie strukturiert nach wie vor unser westliches Denken.3
Eine Renaissance erfuhr die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im ausgehenden 18. Jahrhundert. Mit der Deklaration der Menschenrechte sollte die Position des Individuums gestärkt werden. Damit aber die Dominanz der Männer über die Frauen erhalten blieb, wurde die Gesellschaft in zwei Sphären geteilt: eine öffentliche von Männern dominierte Sphäre, in welcher die Menschenrechte galten, und eine Privatsphäre, in die bürgerliche Frauen zurückgedrängt wurden. Es setzte eine Entwicklung ein, in der „die Familie immer privater, Arbeits- und Organisationswelt immer ‚öffentlicher‘ wurden“4