Fräulein bitte zahlen - Sigrid Mahlknecht Ebner - E-Book

Fräulein bitte zahlen E-Book

Sigrid Mahlknecht Ebner

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Beschreibung

Geschichten von Frauen, die im letzten Jahrhundert im Gastgewerbe in Südtirol gearbeitet haben. Von der Jukebox, vom ersten Fernseher im Dorf, der viele Gäste angelockt hat, bis hin zu den ersten Bussen aus Deutschland in den Fünfzigerjahren und dem Boom in den Achtzigern – die Tourismusgeschichte zeigt die Entwicklung Südtirols vom Nachkriegsland bis hin zur heutigen hochentwickelten Tourismusdestination. Die fünf Frauen stammen aus verschiedenen Orten und geben durch ihre Erinnerungen Einblicke in die Zeit des touristischen Aufschwungs. Ihre Geschichten, erlebt in einer Zeit des Umbruchs und Aufbruchs, erzählen aber auch von einer neuen Rolle der Frau in der Südtiroler Gesellschaft - mit all ihren Sonnen- und Schattenseiten. Dabei hatten die Baristinnen und Kellnerinnen, wie sie damals genannt wurden und zum Teil noch werden, immer schon mehrere Rollen zu spielen, wie Serviererin und Beraterin, aber auch Psychologin oder dekoratives Element. Der Bogen wird gespannt von der einfachen Bedienerin, ausgenutzt und allzu oft bedrängt, bis hin zur Jungunternehmerin, die sich ihren Traum, den eigenen Betrieb aufzubauen und zu führen, erfüllt. Bars, Gasthäuser, Restaurants, Alm- oder Skihütten, so vielfältig das Gastgewerbe sich auch entwickelt, die Freundlichkeit und das Entgegenkommen der Mitarbeiterinnen in Service und Küche waren und sind die entscheidenden Faktoren des Fremdenverkehrs. „Fräulein, bitte zahlen“ erinnert an schöne, aber auch an lustige und traurige Momente im Alltag jener Frauen, die den Tourismus in Südtirol entscheidend geprägt haben.

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Die Drucklegung dieses Buches wurde ermöglicht durch die Südtiroler Landesregierung/Abteilung Deutsche Kultur.

Inhalt

Von Venedig ins Sarntal

Anna K., Jahrgang 1941, Sarnthein

Fräulein, bitte zahlen!

Berta P., Jahrgang 1942, Welschnofen

Der Mut der Unwissenden

Elisabeth M., Jahrgang 1943, Passeiertal

Fast siebzig Jahre im Gastgewerbe

Ida G., Jahrgang 1942, Percha

Grüß Gott in Südtirol

Linde M., Jahrgang 1943, Algund

Vom sonnigen Süden in die Berge

Marinella V., Jahrgang 1968, Jesolo

Von Venedig ins Sarntal

Anna K., Jahrgang 1941, Sarnthein

Meine ersten Jahre

Dass ich ein Leben lang im Gastgewerbe arbeiten würde, hätte ich nie geglaubt, wenn mir das in meiner Jugend jemand gesagt hätte. So gegensätzlich zu später waren meine ersten Lebensjahre, dass ich es wohl kaum für möglich gehalten hätte.

Ich bin gebürtig aus Villanders im Eisacktal. Dort habe ich eine schöne Kindheit verbracht, mit meinen Eltern und meinen vielen Geschwistern. Ich war die Jüngste von sieben Geschwistern, da war immer etwas los bei uns daheim. Wir wohnten auf einem Bauernhof, den meine Eltern bewirtschafteten, also mitten in der Natur. Meine Geschwister und ich mussten von klein auf mithelfen. Die Arbeit war hart, wir mussten auf dem Feld arbeiten und im Stall helfen. Die Kühe waren zu melken, der Stall war sauber zu halten, und überall musste geputzt werden. Arbeit gab es genug, die ging nie aus. Kochen durfte ich aber daheim nie, zum Herd wurde ich nicht gelassen, diese Arbeit übernahm einzig und allein meine Mutter. Ich hätte neben der vielen Arbeit im Stall und auf dem Feld auch keine Zeit dafür gehabt.

Im zarten Alter von 18 Jahren habe ich meinen späteren Ehemann kennengelernt. Er war Tischler und hat Hausmühlen hergestellt, mit denen man Getreide mahlen konnte. Mein Vater hat eine solche Mühle erworben. Josef, den wir alle Seppl nannten, hat diese Mühle bei uns auf dem Hof aufgestellt. So lernten wir uns kennen. Ich gefiel ihm sofort, doch wir haben erst acht Jahre später geheiratet. Inzwischen konnten wir noch Geld verdienen.

Bis ich 24 Jahre alt war, lebte ich in Villanders.

Anschließend besuchte ich ein Schuljahr lang eine Haushaltungsschule in Sarns, also vom Oktober bis zum Frühling. Dort wohnte ich in dieser Zeit. In dieser Schule haben wir alles gelernt, was eine Frau damals wissen und können musste, um einen Haushalt zu gründen. Für mich war das alles neu, da ich bisher kaum solche Arbeiten verrichtet hatte. Doch ich sog alles in mich auf und freute mich, endlich diese praktischen Dinge zu erlernen. Ich habe immer alles rasch begriffen, so konnte ich mit den anderen Mädchen, von denen die meisten schon mehr Erfahrung in der Hauswirtschaft mitbrachten, bald gut mithalten. Neben Kochen und Putzen wurden wir in der Gestaltung des Gartens und im einfachen Servieren und schönen Decken des Tischs unterrichtet. Sogar das Ausnehmen eines Fisches haben wir praktisch geübt. So konnte ich danach fast alles brauchen, was ich gelernt hatte, nicht nur zu Hause, sondern auch in meiner späteren langjährigen Tätigkeit im Gastgewerbe.

Dann gab es eine große Veränderung für mich, die mein weiteres Leben bestimmen sollte: Ohne richtig Italienisch zu sprechen und zu verstehen, fuhr ich nach dem Abschluss der Haushaltungsschule in die wunderschöne Stadt Venedig, die für immer meine Lieblingsstadt bleiben sollte.

In Venedig

Eine meiner Schwestern und ihr Mann waren schon einige Jahre lang in Venedig in einem großen Hotel tätig, als sie mich fragten, ob ich nicht auch eine Saison dort arbeiten wollte. So könnte ich vor der Hochzeit noch etwas Geld verdienen. Venedig … dort war ich noch gar nie gewesen, ich kannte die berühmte Stadt nur aus Erzählungen und von den Bildern, die meine Schwester und mein Schwager mir gezeigt hatten. Ich wusste, dass man dort auf dem Wasser wohnte und dass die Stadt am Meer lag, aber sonst hatte ich noch keine Vorstellung von dieser Stadt. Der Chef des Hotels suchte ein Zimmermädchen, diese Arbeit sollte ich nun dort ausüben.

Das Hotel lag neben der „Accademia“ direkt am Kanal. Es war wunderschön. Als ich das erste Mal dort war, glaubte ich, kaum meinen Augen zu trauen, so bezaubernd und groß war alles. Das imposante Haus beeindruckte mich ebenso wie die vielen Menschen, die dort ein und aus gingen. Es war alles so anders, als ich es bisher gewohnt gewesen war. Das Hotel war eigentlich ein venezianischer Palazzo aus dem 17. Jahrhundert. Trotz der Lage im historischen Zentrum war es von blühenden Gärten umgeben. Die Zimmer waren im typischen venezianischen Stil eingerichtet und boten einen unglaublichen Ausblick auf den Kanal und auf die Gärten. Nach dem Krieg war der Palazzo in ein Hotel umgewandelt worden. Ich fühlte mich wie in einem Märchen, so schön war es.

In Venedig wurde ich sehr freundlich und herzlich aufgenommen. Ich wurde von Anfang an wie ein Teil der Familie behandelt, als ob ich dazugehören würde. Mein Chef und seine Angehörigen ließen uns nie spüren, dass sie unsere Vorgesetzten waren, sondern uns wurde mit ausnehmender Freundlichkeit begegnet, das Arbeitsumfeld war von Wertschätzung und Vertrauen geprägt. Mit unserem „Capo“ lebte seine ganze Familie im Hotel, seine Eltern, die Kinder und seine nette, junge Ehefrau. Diese arbeitete als Lehrerin, im Gastbetrieb hat sie kaum geholfen. Sie kümmerte sich um ihren Beruf und um die Kinder.

Im Herbst arbeitete ich dann in Bozen bei einer Familie im Haushalt, bis zum April, als es mich wieder für eine Saison nach Venedig zog. Im Winter darauf arbeitete ich wieder bei der Bozner Familie. Inzwischen hatte ich einiges gespart, und am 1. Mai 1967 war es endlich so weit: Seppl und ich feierten unsere Hochzeit. Ich zog zu meinem Mann nach Sarnthein, dem Hauptort des Sarntals. Seine Familie lebte seit Generationen dort. Ich war 26 Jahre jung und habe mich schnell eingewöhnt. Ich war das Leben in einem Dorf seit jeher gewohnt, und da habe ich mich im Sarntal bald wohlgefühlt, auch dank der guten Beziehungen zu Seppls Familie. Mein Mann führte eine Tischlerwerkstatt, dort habe ich mitgeholfen. Doch der Ertrag war bei Weitem nicht so gut, wie wir gewünscht hatten. Deshalb arbeitete ich eine weitere Saison in Venedig, um unser Familieneinkommen aufzubessern.

Inzwischen kam unsere Tochter auf die Welt, und so ist mein Mann schließlich auch nach Venedig gezogen: Ich arbeitete weiterhin als Zimmermädchen, er arbeitete als Kellner. Für meinen Mann war das eine weitreichende Entscheidung, da er als Tischler bisher eine völlig andere Arbeit ausgeübt hatte. Aber das gute Gehalt, bei Weitem mehr, als wir in Südtirol verdienen konnten, überzeugte ihn letztendlich. Diese Entscheidung haben wir nie bereut. Wir verdienten in Venedig sehr gutes Geld, und ich war froh, als wir wieder alle drei zusammen sein konnten.

Unsere kleine Familie hatte keine Dienstwohnung, sondern wir bewohnten im obersten Stock ein Zimmer. Sonst durften wir uns im ganzen Haus frei bewegen, wir waren wie zu Hause. In dem großen Hotel arbeiteten sehr viele Menschen in der Küche, in der Bar, im Saal und wie ich in den Zimmern. Man schrieb inzwischen das Jahr 1970, ein neues Jahrzehnt brach an, und ich war begeistert von meinem neuen Aufgabenbereich. Fast zehn Jahre meines Lebens sollte ich hier verbringen.

Die ersten fünf Jahre habe ich als Zimmermädchen gearbeitet. Ich machte die Betten in den Gästezimmern, reinigte die Zimmer und achtete darauf, dass alles hübsch und wohnlich wirkte. Es gab sehr viel Arbeit, das Hotel hatte über 20 Zimmer, auf drei Stockwerke verteilt. Wir waren mehrere Zimmermädchen und trugen alle dieselbe Kleidung, diese erschien mir ausgesprochen elegant. Wir trugen ein grünes kurzes Kleid, darüber hatten wir keine Schürze an. Es gab keine Standardfrisur, diese Wahl blieb jeder selbst überlassen, ich trug meine Haare damals schon kurz. Wenn wir jemanden im Gang trafen, grüßten wir, und die meisten Gäste grüßten freundlich zurück. Wenn sie mit unserer Arbeit zufrieden waren, und das war wohl meistens der Fall, ließen sie im Zimmer ein ansehnliches Trinkgeld zurück. Sauberkeit und Ordnung waren die wichtigsten Ziele unserer Arbeit, und ich hatte in der Haushaltungsschule diese Werte kennengelernt. Fast andächtig machte ich oft die Betten mit der wunderschönen Wäsche mit Stickereien und faltete die Seidenpyjamas der Gäste zusammen. Der Stil war zwar überall derselbe, aber trotzdem war jedes Zimmer ein bisschen anders eingerichtet. Schlichte Eleganz, so könnte man die Einrichtung wohl am besten beschreiben.

Mein Mann hingegen bediente im Saal. So sahen wir uns untertags bei der Arbeit nicht ständig, da ich in den Zimmern und mit dem Bügeln der vielen Wäsche beschäftigt war und er im Speisesaal.

Nach einigen Jahren kam unser Chef eines Nachmittags zu mir ins Bügelzimmer und fragte mich, ob ich nicht etwas anderes machen möchte. Er schlug vor, dass auch ich bedienen sollte. Er sah, dass ich fleißig und immer guter Laune war, da wollte er mich direkt zu den Gästen schicken. Ich freute mich über diesen Aufstieg, der mit einer finanziellen Besserstellung verbunden war, und sagte gerne zu.

Mein Mann, der die Arbeit mittlerweile bereits seit Jahren beherrschte, freute sich mit mir und erklärte mir alles. Am meisten Sorgen machte mir zu Beginn meiner neuen Tätigkeit, dass ich weder Englisch noch Französisch sprach. Italienisch hatte ich in den letzten Jahren natürlich sehr gut gelernt, ich verstand alles und konnte mich bestens unterhalten. Durch den täglichen Kontakt mit meinen Arbeitskolleginnen war es mir leichtgefallen, diese schöne, melodische Sprache zu erlernen. Aber ansonsten beherrschte ich keine Fremdsprachen, und da im Hotel zahlreiche Gäste aus Frankreich, England und sogar Amerika ein und aus gingen, hoffte ich, dass das kein allzu großes Problem darstellen würde.

Aber da hatte ich mir völlig umsonst Sorgen gemacht: Obwohl ich die Worte nicht verstand, begriff ich von Anfang an fast alles, was die Gäste mir mitteilen wollten. Sie halfen mir, wo sie nur konnten, mit Gestik und Mimik, und außerdem konnten viele von ihnen ein paar Brocken Italienisch sprechen. Verstanden haben wir schließlich in allen Sprachen, was wir wirklich gebraucht haben − was die Leute wollten, haben sie uns vermittelt, notfalls mit Händen und Füßen. Bald lernte ich so fast nebenbei ein bisschen Englisch und Französisch, durch die geduldige Art der Gäste lief das alles problemlos. Die Engländer wollten allerdings meistens nur Englisch reden.

Die Arbeit mit den Menschen hat mir sofort gut gefallen. Von selber hätte ich mich nicht getraut, darum zu fragen, aber insgeheim hatte ich mir schon lange gewünscht, wie mein Mann und die feschen Bedienungen durch den Saal zu schreiten und dort zu arbeiten. So kam mir das Angebot des „Capo“ mehr als gelegen.

Das Ambiente war angenehm, alles war ruhig, die Gäste unterhielten sich mit leisen Stimmen, im Hintergrund lief gedämpfte Musik. Es waren durchwegs Leute mit Geld, vor allem ältere, gestandene Leute. Unsere Touristen aus fernen Ländern genossen den Aufenthalt in der Stadt ihrer Träume. Die nicht gerade niedrigen Preise führten wohl dazu, dass sich hier höfliche Gäste befanden. Mir gegenüber benahm sich kein einziger Gast je unhöflich.

Ich war dafür zuständig, das Essen auszutragen. Ich servierte die verschiedensten duftenden Speisen auf wunderschönen Silbertellern, üppige Fleischgerichte, köstliche Süßspeisen und natürlich frischen Fisch in allen Varianten. Ich wünschte den Herrschaften einen guten Appetit, und viele führten ein kurzes Gespräch mit mir. Ich entwickelte bald ein Gespür für die Menschen, merkte, dass es einige gab, die lieber beim Essen ihre Ruhe hatten, und wieder andere, die sich freuten, ein paar Worte mit mir zu wechseln.

Unsere Gäste waren zum Großteil Hausgäste, die bei uns wohnten − Gäste aus der ganzen Welt, einige mit Namen, die ich gar nicht aussprechen konnte, aber alle sehr elegant und gewohnt, sich in so einer Gesellschaft zwanglos zu bewegen.

Die Menüwünsche der Gäste aufgenommen hat der Chef immer selber. Ich erinnere mich nie daran, dass er je einen Teller ausgetragen hätte, in all den Jahren nicht, in denen ich im Hotel arbeitete. Seine Aufgabe war eine andere: Er koordinierte, delegierte, führte, er unterhielt die Gäste und sorgte dafür, dass alles klappte.

Das Menü besprach der „Capo“ regelmäßig mit dem Chefkoch. Er ging dann von Tisch zu Tisch und berichtete den Gästen, was an diesem Tag zur Auswahl stand. Es gab keine Menükarte, der Chef schrieb auf, was die Gäste wünschten, gab den Zettel in der Küche ab, und alles klappte immer reibungslos. Mehrere Menüs standen täglich zur Auswahl, meistens eines mit Fleisch und eines mit Fisch. Einen „Orderman“ gab es noch nicht, alles funktionierte auf die gute alte Art. Die Servietten waren aus Stoff, jeden Tag wurden sie in diesem noblen Hotel gewechselt. Sogar die Betten wurden jeden zweiten Tag frisch bezogen. Außerdem gab es schon eine Spülmaschine, eine riesengroße, so eine, wie ich sie zuvor noch nie gesehen hatte. Das war äußerst praktisch für das Küchenpersonal.

Das Hotel befand sich mitten im Zentrum von Venedig und war nur per Boot erreichbar. Die Gäste parkten ihre Autos im Parkhaus. Viele kamen mit dem Zug oder mit dem Flugzeug, darunter viele Amerikaner, Engländer und Franzosen, die den Großteil der ausländischen Gäste bei uns ausmachten. Es gab einen direkten Zug von Paris nach Venedig, der sehr beliebt war.

Im Winter kamen viele Professoren zu uns, zwei Tage lang hielten sie ihre Vorlesungen an der Universität, die ganze Woche über haben sie hier gewohnt, die Universität hat alles für sie bezahlt. Sie kamen ganz alleine, ohne ihre Familien, die über ganz Italien verteilt waren.

Alle weiblichen Bedienungen trugen einen schwarzen Rock, eine weiße Bluse und darüber eine weiße Jacke. Nie verwendeten wir eine Schürze. Die Jacke war tailliert und sehr elegant. Die Männer trugen ein weißes Jackett zu einer schwarzen Hose.

Die Leute sagten „Signorina“ zu mir, da ich so jung aussah, als sie dann aber bemerkten, dass ich verheiratet war, „Signora“. Anstrengende Gäste waren kaum darunter, da hatten wir meistens Glück. Wir sind immer mit allen gut ausgekommen. Mir fiel auf, wie ruhig es trotz der vielen Menschen war, auch abends, wenn man ausgegangen ist, waren zwar zahlreiche Leute auf den Straßen, aber trotzdem herrschte kein großer Lärm, sondern alle schritten stilvoll durch die Stadt. Belästigt wurde ich nie, mit meinem Ehemann in der Nähe. Betrunkene gab es in unserem Hause nicht. Die meisten Gäste blieben zwei oder drei Tage, nur wenige hielten sich längere Zeit bei uns auf. Mir fällt eigentlich überhaupt nichts Negatives ein, wenn ich an meine schönen Jahre in Venedig denke. Sonst wären wir wahrscheinlich nicht so lange dort geblieben.

Durch das gute Gehalt und die großzügigen Trinkgelder konnten wir uns in diesen Jahren einiges zusammensparen, vor allem weil wir kaum Ausgaben hatten, da wir im Hotel freie Kost und Logis hatten. Von den Gästen bekam unsere kleine Tochter zahlreiche Geschenke wie Puppen und Kleidchen. Alle freuten sich über das hübsche blonde Mädchen.

Einen freien Tag hatten wir von Anfang an dann, wenn gerade nicht so viel im Hotel zu tun war. Wir hatten frei, wenn es eben möglich war, manchmal auch zweimal in der Woche einen halben Tag, das wurde nicht so genau genommen. Aber es war alles einvernehmlich. Wir besuchten an unseren freien Tagen gerne das Lido, natürlich mit unserer kleinen Tochter im Schlepptau, die das sehr genoss. Manchmal besuchten wir auch das Theater, es war unglaublich beeindruckend. Die Familie des „Capo“ begleitete uns sogar in das Opernhaus „La Fenice“, das war ein unvergessliches Erlebnis. So viel Schönheit auf einmal, die Musik, die Räumlichkeiten, die Roben der Frauen!

Unsere Tochter hat sehr gut Italienisch gesprochen, sie hörte ja den Großteil des Tages nichts anderes. Ich habe immer bewusst mit ihr Deutsch gesprochen, aber sie hat auf Italienisch geantwortet. Sie besuchte den italienischen Kindergarten in Venedig und war häufig mit ihren Freundinnen zusammen, vor allem mit der Enkelin des Chefs, die in ihrem Alter war, so unterhielten sie sich immer auf Italienisch. Sie hat in ihrer Muttersprache zwar alles verstanden, wollte aber nicht Deutsch sprechen, weil sie es nicht gewohnt war.

Als sie ins Schulalter kam, habe ich sie nach Hause ins Sarntal geschickt, damit sie die deutsche Schule besuchen konnte. Das Schuljahr verbrachte sie zu Hause bei meiner Schwägerin, und im Sommer kam sie zu uns nach Venedig. Diese Trennung war nicht immer einfach für uns, aber es war die beste Lösung.

In der Schule lief es anfangs nicht besonders gut für unsere Tochter. Sie musste sich erst eingewöhnen, für sie war es am schwierigsten von uns allen. Sie hatte zu Beginn große Probleme mit der deutschen Sprache. Dafür war sie mündlich natürlich in Italienisch sehr gut. Das war für sie keine leichte Zeit, aber dann hat sie sich wie jedes Kind eingewöhnt und wurde ein fröhliches Mädchen mit vielen Freundinnen. Das zeigte uns, dass es sicher gut gewesen war, nicht länger mit ihrer Heimkehr zu warten, weil es dann noch schwieriger für sie gewesen wäre.

Inzwischen war ich wieder schwanger, mein Sohn kündigte sich an. Bis zum siebten Monat arbeitete ich weiter als Bedienung, dann fuhr ich nach Hause ins Sarntal, um dort das Kind zur Welt zu bringen. Seine ersten Lebensmonate verbrachte ich dort, endlich wieder bei meiner Tochter.

Mit meinem Sohn im Gepäck fuhr ich einige Monate später wieder in meine Wahlheimat Venedig zu meinem Mann, der nach wie vor dort arbeitete. Was für eine große Freude! Das ganze Haus, von der Familie des „Capo“ über die Angestellten bis hin zu den Gästen, freute sich mit uns.

Mit einem Baby war die Situation aber gar nicht so einfach, wie ich mir sie vorgestellt hatte. Ich hatte kein Kindermädchen, sondern das ging alles so nebenbei. Familiär eben. Alle halfen ein bisschen mit und kümmerten sich gemeinsam um das Baby, das das nicht zu stören schien.

Doch wir wussten alle, es war Zeit für eine Veränderung. Mit zwei Kindern war es nicht mehr so einfach wie vorher. Ich arbeitete inzwischen in Teilzeit, meine Arbeitgeber waren sehr entgegenkommend, und doch konnte es nicht immer so bleiben, wie es war. Da entschieden mein Mann und ich nach reiflicher Überlegung schweren Herzens, unser geliebtes Venedig zu verlassen und wieder nach Hause ins Sarntal zu ziehen. Es war Zeit, ich wollte, dass unsere Familie wieder zusammen ist, auch unsere Verwandten wünschten sich, dass wir endlich wieder heimkommen würden. Wir wollten nicht ein Leben lang in Venedig in einem Zimmer leben, sondern uns etwas Eigenes aufbauen. Außerdem wollte ich bei meiner Tochter sein.

Nach fast zehn Jahren in dieser Idylle, in diesem traumhaft schönen Hotel mit den netten Menschen, fiel mir der Abschied sehr schwer, obwohl ich überzeugt war, das Richtige zu tun. Der „Capo“ und seine Verwandten versprachen, uns bald im Sarntal zu besuchen. Mein Mann blieb noch ein Jahr in Venedig, dann kam er zurück zu uns.

Im Sarntal

Als ich wieder in Sarnthein lebte, war das eine Riesenumstellung für mich, in jeder Hinsicht. Ich suchte mir bald eine neue Arbeit. Ich fand eine Beschäftigung in einer Büglerei im Dorfzentrum, ganz in der Nähe unseres Hauses. Bügeln konnte ich, das hatte ich gelernt und jahrelang in Venedig ausgeübt. Wenn es auch nicht so eine abwechslungsreiche Arbeit war, so war ich doch froh, dass ich etwas bei uns um die Ecke gefunden hatte. So konnte ich Familie und Beruf gut vereinbaren. Vormittags kümmerte ich mich um das Baby und den Haushalt, nachmittags habe ich gearbeitet. Meine Tochter besuchte vormittags die Schule, am Nachmittag sorgte sie für ihren kleinen Bruder. Falls etwas sein sollte, konnte sie problemlos zu mir in die Büglerei kommen. Aber es ging immer alles gut, sie war sehr verlässlich und kümmerte sich gut um ihren kleinen Bruder.

Etwas oberhalb der Büglerei befand sich die Bar „Hubertus“. Während meiner Arbeit hörte ich, dass die Pächter die Bar nicht mehr weiterführen wollten und dass Nachfolger für sie gesucht wurden. Da habe ich sofort reagiert. Ich habe mich gleich vorgestellt, auch mein Mann war Feuer und Flamme für mein Vorhaben: Ich wollte mit ihm diese Bar pachten. Bald war es entschieden, und im Jahr 1980 haben wir die Bar neu eröffnet. Für mich wurde so ein Traum wahr. Durch unsere Erfahrungen in Venedig wollte ich auch hier einen schönen Ort errichten, an dem sich die Leute wohlfühlten und sich in einem schönen Ambiente treffen konnten, um sich angenehm zu unterhalten.

Nun folgten 20 Jahre in dieser Bar. Von meinen Vorstellungen musste ich mich allerdings bald verabschieden.

In der Bar „Hubertus“

Ich freute mich so sehr auf unsere neue Aufgabe, endlich waren wir unsere eigenen Chefs! Aber vorerst mussten wir das Lokal völlig renovieren. Wir hatten in Venedig einiges gespart, Landesförderungen haben wir noch keine erhalten. Heute bekommen alle für alles Mögliche Förderungen, und niemand ist mehr zufrieden. Aber wir haben uns alles noch selbst erarbeitet.

Das Lokal war sehr schön und befand sich in guter Lage. Der Barbereich, in dem sich die lange Theke, die wir „Budl“ nannten, befand, war geräumig. Zusätzlich gab es noch zwei Säle. Draußen im Freien befand sich ein großer Garten mit einigen Holztischen. Wir richteten alles liebevoll her, damit sich unsere Gäste bei uns wohlfühlen sollten. Ich hatte in Venedig gelernt, dass zufriedene Gäste das Beste sind, das einem im Gastgewerbe passieren kann.

Allerdings hatte ich nicht mit der unterschiedlichen Art der Gäste in Venedig und in Sarnthein gerechnet. Hier hatten wir ein ganz anderes Publikum. Da war ich schon ganz erstaunt, weil ich so einen „Rumpel“ vorher noch nie gesehen hatte. Da ist es schon ein wenig anders zugegangen als in meiner Traumstadt. Vor allem in den ersten Jahren war der Kontrast für mich so groß, dass ich manchmal sogar heimlich ans Aufhören dachte. Ich hielt aber immer durch, bis zuletzt, auch wenn es nicht immer einfach sein sollte.

Die meisten Einheimischen waren sehr freundlich und freuten sich, dass wir die Bar neu eröffneten. Einige munkelten zwar, „da kommen jetzt die Sarner aus Venedig zurück und glauben, wer sie sind“, aber darauf haben wir einfach nicht reagiert. Neid muss man sich verdienen, am besten nicht beachten, ich höre heute noch nicht zu, wenn die Leute schlecht über einen reden. Neid steckt oft