Fräulein Professor - Else Ury - E-Book

Fräulein Professor E-Book

Else Ury

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Beschreibung

"Du würdest deinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre!" Wer kennt diesen Satz nicht? So ergeht es auch der kleinen Ruth, die tagtäglich mit ihrer Zerstreutheit kämpft. Doch was es bedeutet einen unüberlegten Satz zu sagen, muss Ruth schnell herausfinden, als sie sich darauf beruft, dass an ihrer vergesslichen Art lediglich ihr Professorenblut schuld ist. Dies nimmt die Mutter zum Anlass, um die kleine Ruth regelmäßig vor allen bloßzustellen. Doch ihr Großvater, der Professor, sieht dies anders. Wie können sie Ruths Zerstreutheit in Produktivität umwandeln und gleichzeitig dafür sorgen, dass das Mädchen den fürs Abendessen gekauften Aufschnitt nicht versehentlich wieder mit der Post verschickt?-

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Seitenzahl: 46

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Else Ury

Fräulein Professor

 

Saga

Fräulein Professor

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1917, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726884531

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

In das stille Zimmer mit den blitzblanken altväterischen Mahagonimöbeln flirrte die Mittagssonne. Sie huschte über den großen Schreibtisch und malte wie ein unnützer Junge goldene Schnörkel auf die gelehrten Folianten und Schriften, die dort aufgestapelt lagen. Schließlich tanzte der Übermut sogar dem alten Herrn Professor Niman ohne jegliche Rücksichtnahme auf der Nase herum. Der hob den weißhaarigen Kopf von seinem griechischen Buche und machte: »Hatschi – hatschi.« Dann holte er umständlich seine silberne Tabaksdose hervor und nahm zierlich zwischen Daumen und Zeigefinger ein Prischen.

Mit einem Male schien es noch heller und sonniger in dem alten Gelehrtenstübchen zu werden. Eine frische jugendliche Stimme klang vom Korridor herein: »Großväterchen, ich habe den besten Aufsatz – eine glatte eins – und im heutigen französischen Extemporale weiß ich bis jetzt noch keinen halben Fehler!«

Da wurde auch schon die Tür aufgestoßen, und ein blondes Mädel, die schwarze Büchermappe unter dem Arm, den Hut schief auf dem Kopf, trat herein, ließ aber die Tür hinter sich weit offen.

Großvaters runzliges Gesicht wetteiferte jetzt mit der lieben Sonne draußen. Ja, seiner jungen Enkelin schien es, als ob ein noch viel wärmeres Leuchten von den lieben alten Zügen ausginge.

Gerade wollte sich Ruth einen der geschweiften hochbeinigen Stühle heranziehen, und wie alltäglich die Schulerlebnisse mit ihrem besten Freunde durchsprechen, da rief aus der Küche die Mutter: »Ruth, decke doch flink mal den Tisch, Kind! Dann kannst du auch mir hier draußen noch etwas helfen; Marie ist bei der Wäsche.«

Richtig, heute war ja Waschtag! Daran hatte Ruth gar nicht mehr gedacht, sonst hätte sie sich mehr beeilt, nach Hause zu kommen. Sie warf Hut und Mappe irgendwo hin, mitten hinein in die peinliche Ordnung des Stübchens und eilte mit einem vertröstenden »nachher, Großväterchen!« zur Mutter hinaus.

Die stand am Herd und legte die letzte Hand an das Mittagessen.

»Hast du auch den Zimt zum Milchreis nicht mitzubringen vergessen, Ruth?« wandte sie sich zu der geschäftig Teller und Gläser aufstellenden Tochter.

»Bewahre, Mutter! Heute liefere ich dir den Beweis, daß mein Gedächtnis kein Sieb ist, wie du immer sagst. Na, wo habe ich denn die Tüte hingesteckt?«

Sie begann alles mögliche aus ihrer Kleidertasche hervorzuziehen; ein Paar Handschuhe, drei Taschentücher, einen Radiergummi, einen Fingerhut, einen Bindfaden und ein Badepüppchen der kleinen Schwester. Die Zimttüte war nicht dabei.

»Ich werde sie in die Mappe getan haben.«

Spornstreichs ging es zu Großvaters Stube zurück, und hier begann jetzt ein wüstes Auskramen und Umherstreuen der Schulbücher. Kopfschüttelnd sah der alte Herr zu.

»Ruth, weißt du, was Wandalismus ist?«

»Jawohl, Wandalismus ist die Zerstörungswut, mit der das Volk der Wandalen unter König Geiserich im Jahre 455 in Rom gehaust hat«, kam die Antwort glatt heruntergeschnurrt. »Großväterchen, ich räume nachher alles wieder auf«, setzte sie aber schnell hinzu, als sie den sprechenden Blick gewahrte, mit dem der Großvater sein zerstörtes Ordnungsreich überflog.

Was wollte sie denn eigentlich? Was suchte sie denn überhaupt hier? Hing es irgendwie mit den Wandalen zusammen? Nein – – –

»Ruth, wo bleibt der Zimt?« ertönte es aus der Küche in die Überlegungen des zerstreuten Fräuleins hinein.

Ach ja, der Zimt! Den mußte sie doch wohl beim Kaufmann drüben haben liegen lassen; anders konnte es nicht sein. Geschwind den Hut aufgestülpt und die drei Treppen hinunter! Das gab wieder eine Strafpredigt wegen ihrer zerfahrenen Gedanken!

In der Materialwarenhandlung war keine Tüte gefunden worden. Ruth mußte sich dazu bequemen, den Einkauf noch einmal zu machen, diesmal natürlich aus eigenen Mitteln.

»Mädel, es ist nur gut, daß dein Kopf angewachsen ist, sonst würdest du auch den sicher eines schönen Tages verlegen«, empfing die Mutter sie vorwurfsvoll. »Schau, was da oben auf dem Bratofen liegt!«

Eine kleine weiße Tüte prangte dort, eine Zwillingsschwester von der, die Ruth in der Hand hielt. Aber wie sie da hingekommen war, das blieb dem jungen Mädchen ein Rätsel.

»Wahrscheinlich hast du sie in Gedanken dort abgelegt. Den Schaden mußt du selber tragen. Du wirst nicht eher von deinem Fehler geheilt, als bis du vielleicht einmal ein teures Lehrgeld gezahlt hast.«

»Mütterchen, nicht böse sein! Ich kann doch nicht dafür, daß ich Professorenblut in mir habe.« Ruth machte ein drollig zerknirschtes Gesicht.

»Was, jetzt soll gar unser Großvater schuld an deiner Zerstreutheit sein? Na, nun mach aber, daß du weiterkommst, Mädel! Und daß nichts auf dem Tisch fehlt, hörst du ...«

Der Milchreis dampfte auf dem Familientisch. Um ihn hatten sich die Hungrigen eingefunden. Teilweise waren es sogar sehr hungrige, denn Knabenmagen zwischen zwölf und siebzehn Jahren zeigen um Mittag stets eine geradezu bewunderungswürdige Leere.

Obenan sah Großväterchen, ihm zur Seite seine Tochter, die frühverwitwete Frau Doktor Klein. Großpapa zur Linken hatte natürlich Ruth, der erklärte Liebling, ihren Platz. Ihr schloß sich Nesthäkchen, die achtjährige Marianne, an, während Bruder Edmund, der lange Primaner, am anderen Tischende unter den vier Pensionären der Mutter den Vorsitz führte.

»Ruth, soll ich den Reis etwa mit der Suppenkelle auffüllen?« Halb neckend, halb ernsthaft fragte es die Mutter.

Unter allgemeinem Lachen sprang das gedankenlose Töchterchen auf, vertauschte die Suppenkelle mit dem Vorlegelöffel und sammelte die sorgsam zu jedem Besteck gelegten Suppenlöffel ein.