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Sharon könnte glücklich sein. Sie ist Christin, hat eine kleine lebhafte Familie und folgt ihrer Berufung als Autorin. Doch unter der Oberfläche ist die junge Frau unsicher: Die Angst, niemand könne sie mögen, und das ständige Vergleichen mit anderen rauben ihr alle Freude. «Du brauchst mehr Selbstbewusstsein! Gott liebt dich, das musst du nur glauben», sagt ihr Umfeld. Aber Sharon merkt: An fehlender Bestätigung liegt es nicht! Sie macht sich auf die Suche nach der Wurzel ihres Problems: Wieso bin ich so unselbstsicher? «Free of Me» ist ein kleines Handbuch, das Sharon Hodde Miller für Frauen geschrieben hat, die frei davon werden wollen, alles im Leben persönlich zu nehmen und auf sich zu beziehen. «Ich habe gelernt, dass es zwei tiefliegende Gründe für Unsicherheit gibt. Manchmal, ja, da geht es um fehlende Selbstannahme. Du kannst die Wahrheiten, die Gott über dich ausspricht, noch nicht glauben. Und an diesem Punkt will Gott uns heilen! Aber es gibt auch noch einen zweiten, eher unbekannten Grund für schmerzhafte Unsicherheit, und das ist das ständige Kreisen um sich selbst.» In «Free of Me» beschreibt Sharon, wie Selbstbezogenheit wichtige Bereiche ihres Lebens sabotierte, und erzählt von vier praktischen Schritten, die ihr geholfen haben, sich neu auf Gott und andere auszurichten. - Ein neuer Fokus, dank dem sie Sicherheit gefunden hat: nicht in sich selbst, sondern bei Jesus. Sharon Hodde Miller ist dreifache Mutter, Autorin, Bloggerin und Rednerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Ike leitet sie die junge Gemeinde «Bright City Church» in Durham, North Carolina. Sharon hat einen theologischen Doktortitel auf dem Gebiet «Frauen und Berufung» und brennt dafür, Frauen in ihren Begabungen zu unterstützen und zu fördern. Sie liebt mexikanisches Essen und «sammelt» Freundinnen, mit denen man lachen kann, bis einem die Luft wegbleibt.
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Seitenzahl: 289
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Sharon Hodde Miller Free of Me
Für meine drei Gründe zur Freude: Ike, Isaac und Coen. Euch lieben zu dürfen,
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Copyright 2017 by Sharon Hodde Miller Originally published in English under the title «Free of Me» by Baker Books, a division of Baker Publishing Group, Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A. All rights reserved.
© 2020 by Fontis-Verlag Basel
Die Bibelstellen wurden, soweit nicht anders angegeben, folgender Übersetzung entnommen:
Hoffnung für alle® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®, Herausgeber: Fontis-Verlag Basel
Übersetzung: Daniela Bernhardt-Lohfink Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, Langgöns Bilder Umschlag: Look Studio, Ann and Pen/Shutterstock.com E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg
ISBN (EPUB) 978-3-03848-664-0
Einleitung
Teil 1: Abgelenkt – von mir selbst!
1. Das Mädchen im Spiegel
2. Mich selbst vergessen
Teil 2: Sieben Spiegel
3. Wenn es bei Gott um dich selbst geht
4. Wenn es bei deiner Familie um dich geht
5. Wenn es bei deinem Aussehen um dich geht
6. Wenn es bei deinem Besitz um dich geht
7. Wenn es bei deinen Freundschaften um dich geht
8. Wenn es bei deiner Berufung um dich geht
9. Wenn es bei deiner Gemeinde um dich geht
Intermezzo
Teil 3: Frei von sich selbst werden
10. Lobpreis: Warum uns die Liebe zu Gott frei macht
11. Liebe zu anderen: Warum sie uns freisetzt
12. Die eigene Lebensaufgabe finden: Wenn Freiheit Gestalt annimmt
13. Leidenschaft: Warum die Demütigen so frei sind
14. Sich selbst vergessen, ohne sich zu vernachlässigen
Epilog
Anmerkungen
«Es geht nicht um dich.» – So lauten die bekannten Eröffnungsworte im Bestseller Leben mit Vision von Rick Warren. Als ich begann, den Menschen von der Vision für dieses Buch zu erzählen, kamen mir diese Worte immer wieder ganz wie von selbst in den Sinn, weil sie meine persönliche Reise gut beschreiben. Ich konnte nicht ignorieren, dass die Leute die Ohren spitzten, wenn sie diesen Satz hörten. Er brachte etwas in ihnen zum Klingen, so als wäre «Es geht nicht um dich» eine Botschaft, die die Menschen brauchten.
Dennoch fragte ich mich, ob der Satz nicht zu gewagt ist. «Es geht nicht um dich» kann nach Tadel klingen – eine Botschaft, die ich nicht vermitteln möchte. Ich zog meine Freundin Karen zu Rate, eine Schriftstellerkollegin und weise Glaubensgefährtin. «Ist das zu provokativ?», fragte ich sie. «Meinst du, so ein Satz hat seine Berechtigung? Haben heutige Christinnen und Christen die Ohren, die es braucht, um diese Worte zu hören?»
«Ich liebe den Satz!», erklärte sie, ohne zu zögern. «Ich denke, seine Botschaft vermittelt etwas, das wir dringend brauchen, eine Botschaft, die die Menschen hören wollen.»
Karen weiß – und Gott hat es auch mich über die Jahre hinweg gelehrt –, dass es zwei Arten gibt, «Es geht nicht um dich» zu sagen. Die erste klingt wie eine Zurechtweisung, eine, bei der mit erhobenem Zeigefinger gewedelt wird, und die sich gewöhnlich gegen die «jungen Leute heutzutage» richtet.
«Es geht nicht um dich» kann aber auch anders gesagt und gehört werden, und dann kann es Freiheit bedeuten: Die Freundin, die dich abweist, das Elternteil, das dich verletzt, der Chef, der dich beleidigt, und der Nachbar, der dir gegenüber unhöflich ist – bei nichts von alledem geht es um dich. Die Zerbrochenheit dieser Menschen, ihre Wut, die kalten, stechenden Worte – es geht dabei nicht um dich, sondern es hat mit diesen Menschen selbst zu tun. Auch wenn dein Haus nicht so groß ist, wie du es gerne hättest, oder dein Dienst nicht so erfolgreich, oder dein Name nicht so bekannt: Es geht dabei – Gott sei Dank – nicht um dich. Denn es ist so: Deine Ehe, deine Berufung, dein Leben hier auf der Erde, nichts davon dreht sich eigentlich um dich. Es geht bei allem in unserem Dasein um Gott, vom Anfang bis zum Ende, und das ist eine der besten Nachrichten, die es auf der Welt gibt.
Dinge auf sich zu beziehen, die gar nichts mit einem selbst zu tun haben, kann schrecklich belastend sein. Und ein Leben, in dem sich der Fokus hauptsächlich aufs eigene Ich richtet, ist bedrückend schwer. Tief im Innern wissen wir alle, dass alles viel einfacher wäre, wenn wir aufhören könnten, den Menschen gefallen zu wollen, wenn wir aufhören könnten, immer mithalten zu müssen, wenn wir aufhören könnten, uns auf unsere Fehler zu konzentrieren, und wenn wir Ablehnung nicht zu ernst nehmen würden. Könnten wir uns doch mehr auf Gott konzentrieren und weniger auf uns selbst schauen, dann würde viel von dem Druck, der auf unseren Schultern lastet, weichen. Nicht wahr?
Die Frage ist jedoch: Wie schafft man das?
Vor mehr als zweitausend Jahren verfasste der römische Dichter Ovid eine Erzählung über Eitelkeit, die als warnendes Beispiel gilt. Im Mittelpunkt steht ein Mann namens Narziss, dessen Erscheinung atemberaubend schön war. Er war mehr als nur gut aussehend – etwa im Sinne eines durchtrainierten Sportlers oder Supermodels. Narziss war betörend schön, und niemand konnte seinen Reizen widerstehen – nicht einmal er selbst. Sein Gesicht war so makellos, dass Narziss sich in sich selbst verliebte, nachdem er sein Spiegelbild in einem Quellwasser erblickt hatte.
Narziss war von seinem eigenen Spiegelbild so gefesselt, dass er es nicht ertragen konnte, sich von ihm zu lösen. Er blieb wie angewurzelt sitzen – verzaubert von dem, was er sah. Stunden wurden zu Tagen und Tage zu Wochen, und sein Körper verkümmerte, bis Narziss sich eines Nachmittags neben seinem Spiegelbild niederlegte und starb.
Im Zeitalter sozialer Medien ist es erstaunlich, wie relevant diese antike Geschichte noch heute ist. Sie hält auch für unsere Zeit viele Lektionen bereit, wobei die erste lautet, dass Eitelkeit keine neuartige Erfindung ist. Eitelkeit kam nicht erst durch Smartphones oder Selfies in die Welt, sondern sie ist so alt wie die Menschheit selbst.
Narziss’ Geschichte verdeutlicht auch, welch starke Anziehungskraft unser eigenes Selbst haben kann, ja, dass es geradezu unwiderstehlich sein kann. Beachte, dass Narziss nicht einfach nur mochte, was er sah, sondern dass er ganz und gar von sich selbst vereinnahmt wurde. Er konnte den Blick einfach nicht von sich selbst abwenden, und das, liebe Leute, ist die menschliche Natur. Wir alle kämpfen gegen die Anziehungskraft, die unser eigenes Selbst hat, ob wir Selbstfokussierung nun als Versuchung erkennen oder nicht. Auch wenn wir sie erkennen, ist mit dieser Gewohnheit schwer zu brechen, denn unser Spiegelbild lockt unaufhörlich.
Eine weitere zeitlose Wahrheit, die sich in dieser Geschichte verbirgt, ist die Gefahr, die von der Ich-Zentriertheit ausgeht. Narziss’ Eitelkeit hielt ihn davon ab, sein Leben zu leben, und Selbstbezogenheit macht dasselbe mit uns. Sie führt zu einem langsamen Absterben unseres geistlichen Lebens, oftmals ohne dass wir es überhaupt bemerken. Selbstbezogenheit verletzt unsere Beziehungen, hat negative Auswirkungen auf unseren Glauben, führt zu Misstrauen und stiehlt uns letztendlich all unsere Freude. Schleicht sich Selbstbezogenheit in unser Leben ein, beeinflusst das unsere Familien, unsere Freundschaften und unsere Arbeit. Sie verwandelt das Schöne in etwas Belastendes.
So erging es mir. Die Selbstbezogenheit raubte mir die Freude. Sie hatte Einfluss auf meine Ehe, meine Berufung und sogar auf meine Beziehung zu Gott. Ich war so sehr auf mein eigenes Image und auf meinen Ruf konzentriert, dass ich innerlich zu verkümmern begann.
Genau wie Narziss konnte ich den Blick nicht von mir selbst abwenden.
Von sich selbst wegzuschauen und den Fokus auf Gott zu lenken, ist viel schwieriger, als es sich anhört. Aus diesem Grund habe ich dieses Buch geschrieben. Unser Blick schweift ganz von selbst nach innen – so sind wir Menschen nun mal gestrickt. Und darum ist Eitelkeit auch so schwer zu bekämpfen.
Nachdem mir meine eigene Selbstbezogenheit bewusst geworden war – sowohl ihre Anziehungskraft als auch die Gefahr, die von ihr ausgeht –, nahm Gott mich mit auf eine lange Reise in die Freiheit. Er brachte mir bei, wie ich meinen Blick wieder auf ihn richten kann, und das hat mein Leben komplett verändert. Als ich begriffen hatte, dass sich das Leben nicht um mich dreht, richtete ich meinen Fokus neu aus – diesmal auf Jesus. Das war eine Erfahrung, die sich so tief in mein Herz eingeprägt hat, dass ich nicht anders kann, als davon zu erzählen.
Auf den folgenden Seiten habe ich mein Bestes gegeben, die Erkenntnisse, für die Gott mir die Augen geöffnet hat, aufzuschreiben. Ich möchte, dass sie für meine Leserinnen und Leser ebenso hilfreich sind wie für mich. Niemand soll sich durch meine Worte verurteilt fühlen, das wäre das Gegenteil von dem, um was es mir geht.
Ich erzähle meine eigene Geschichte: wie bei mir Selbstbezogenheit aussah und welchen Schmerz sie in diversen Bereichen meines Lebens verursacht hat. Außerdem beschreibe ich vier praktische Schritte raus aus der Falle der Selbstbezogenheit.
Jedes Kapitel enthält am Ende einen Abschnitt mit Diskussionsfragen, als Gesprächsgrundlage für Gruppen. Gott hat den Wunsch, dass wir als Christinnen und Christen unseren Glaubensweg gemeinsam mit anderen gehen, und ich kann mir keinen besseren Weg zur Bekämpfung der Selbstbezogenheit vorstellen, als sich mit anderen zusammenzutun. Finde eine Freundin oder mehrere Freunde, denen Aufrichtigkeit, Barmherzigkeit und Wachstum wichtig sind, und begebt euch gemeinsam auf die Reise. Am Ende jedes Kapitels gibt es zusätzlich einen «Vers zum Nachdenken» und ein Gebet, die deinen Blick von dir selbst weg und hin auf Gott lenken sollen.
Ohne den Heiligen Geist ist die in diesem Buch beschriebene Entwicklung nicht möglich, deshalb hoffe ich, dass die Gebete dich an ihn und seine Hilfe erinnern und dich von der Last befreien, Veränderung alleine herbeiführen zu wollen.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich alle Leserinnen und Leser meines Buchs in meine Gebete einschließe. An zahllosen Morgen bin ich aufgewacht und dachte an alle Menschen, die sich gefangen und belastet fühlen durch ihren falschen Fokus. Ich habe Gott gebeten, auf die blinden Flecken im Herzen meiner Leserinnen und Leser zu scheinen und ihnen Mut zu schenken, sich selbst ehrlich zu begegnen – denn dieses Buch fordert dazu auf, etwas sehr Schweres zu tun: der eigenen Eitelkeit direkt ins Gesicht zu schauen. Das ist unbequem und demütigend, aber nur so können wir den Bann unserer Selbstfokussierung brechen. – Es ist den Aufwand wert! Ich bete von Herzen, dass es dein Leben so verändert, wie es meines verändert hat. Ich bete, dass du von deiner Selbstbezogenheit befreit wirst.
Sehnst du dich nach Anerkennung? Sehnst du dich nach Applaus? Sehnst du dich nach Bestätigung, nach Akzeptanz? – All das wird deinen Untergang bedeuten. Der Teufel wird schon dafür sorgen, dass du all das bekommst. Besonders früh, besonders in jungen Jahren, damit du dann zusammenbrichst, wenn du irgendwann keinen Beifall mehr erntest, nicht mehr bestätigt oder akzeptiert wirst und wenn du plötzlich unerwünscht bist.1
– Christine Caine
Das ist meine Geschichte.
«Ich mag klein sein, aber ich bin klug!»
Glaubt man meinen Eltern, dann machte ich diese Aussage im Alter von sechs Jahren. Ich war ein winziges Kind, immer im niedrigsten Bereich der Wachstumskurve des Kinderarztes, kleiner als alle anderen Kinder in meinem Alter. Meine Größe machte mich zu einem leichten Ziel für Spott. Es gab einen Jungen, der mich ständig «Zwerg» nannte, und in der sechsten Klasse wechselten sich meine Klassenkameraden gerne darin ab, mein Fußgelenk mit Daumen und Zeigefinger zu umfassen. Ich war so klein, dass ich als Attraktion auf dem Jahrmarkt hätte auftreten können, aber das störte mich nicht. Ich war selbstbewusst und hart im Nehmen. Ich wusste, dass ich mich behaupten konnte.
Als ich älter wurde, durchlebte ich die typischen tollpatschigen Jahre der Mittelstufe, aber mein Selbstbewusstsein blieb stark. Tatsächlich verließ es mich während der ganzen Highschool nicht, trotz einer heftigen, länger andauernden peinlichen Phase. Mein Selbstbewusstsein überrascht mich bis heute, denn ich war wirklich peinlicher als meine Schulkameraden. Ich weiß, dass jeder das über sich selbst sagt, aber bei mir ist es tatsächlich so gewesen. Nehmen wir nur mal meine Haare. Bis zu meinem ersten Jahr auf der Highschool war meine Frisur nur einen Scherenschnipp entfernt von einem Vokuhila – hinten lang, während sich mein Pony wie eine Schüssel um meine gesamte Stirn zog. Mein Pony war so breit, dass er bis weit hinter meine Ohren reichte. Meine Freunde nannten ihn daher den «Rundum-Pony». Von vorne hatte man den Eindruck, dass er meinen gesamten Kopf umgab. Von der Seite gesehen, erinnerte ich an den Billy Ray der frühen 90er.
Meine Frisur war reine Willkür – im Gegensatz zu den sorgfältig gestylten Haarschnitten meiner Schulkameradinnen. Über so etwas wie Haarschnitte dachte ich zu der Zeit schlicht und einfach gar nicht nach. Ich ließ mir die Haare in einem örtlichen Herrensalon schneiden, dessen Kundschaft ausschließlich aus Männern bestand. – Ein Umstand, der mir nicht zu denken gab. Ich dachte nie: Hm, das sind ja hier alles Männer mittleren Alters. Vielleicht sollte ich mir in so einem Laden nicht die Haare schneiden lassen. Solche Überlegungen lagen außerhalb meines Radars.
Dann waren da noch meine Zähne. Meine Zähne erforderten umfangreiche kieferorthopädische Eingriffe, inklusive «Headgear» (Drahtbogen mit Nackenzug) und Gaumenexpander. Mein Mund sah aus, als hätte ich mich mit einem Maschendrahtzaun angelegt.
Meine Outfits waren da schon eher typisch für die Mittelstufe. Jeden Monat durchkämmte ich die Seiten des «Teen»-Magazins, in der Hoffnung, die abgedruckten Bilder nachstellen zu können. Das war Jahrzehnte vor Pinterest, aber meine Outfits könnte man wohl als das 90er-Jahre-Äquivalent der heute bekannten «Pinterest Fails» beschreiben. In den Tagen des Grunge trug ich gelbe Bauarbeiterstiefel an meinen dürren Storchenbeinen, was mich wie einen Miniatur-Frankenstein aussehen ließ.
Das war ich. Ich war nicht die Hübscheste. Und falls du meinst, ich übertreibe: Es gibt Zeugen! Mit sechzehn Jahren entwuchs ich langsam meiner peinlichen Phase. Die Spange war weg, und der Rundum-Pony war rausgewachsen. So langsam sah ich doch tatsächlich wie ein menschliches Wesen aus. Eines Nachmittags, bei einer Familienfeier, servierte ich Punsch. Eine langjährige Freundin der Familie kam vorbei, um mich zu begrüßen. Ihre Tochter war in meinem Alter, wir waren gemeinsam aufgewachsen.
«Sharon, du siehst wunderschön aus!», rief sie. «Du bist zu einer so hübschen jungen Frau geworden.»
Ich wurde rot, aber es fühlte sich gut an. Normalerweise bekam ich keine Komplimente für mein Aussehen.
Doch dann sprach sie weiter: «Ich weiß noch, wie du früher immer zum Spielen zu uns gekommen bist, und ich dachte, ‹Sharon ist so ein liebes Mädchen. Ich hoffe, sie wächst da noch raus›. Und das bist du tatsächlich!»
Ich glaube nicht, dass man mir noch deutlicher hätte sagen können, dass ich ein hässliches Kind gewesen war. Deswegen überrascht ja auch mein Selbstbewusstsein! Ich wich vom gängigen Schönheits-Standard ziemlich weit ab, aber mein Selbstvertrauen hatte nie darunter gelitten. Ich konzentrierte mich auf die Schule und auf Freunde und tat Dinge, die ich liebte. Ich fühlte mich sicher.
Mein Selbstvertrauen blieb mir während meiner Schulzeit und auch für den Großteil meiner Collegezeit erhalten. Erst als ich mein Studium abgeschlossen hatte und sich kein sofortiger Erfolg einstellte, ließ meine Selbstsicherheit langsam nach. Ich nahm einen Job an, bei dem ich ganz unten auf der Karriereleiter beginnen musste, und ich fühlte mich dadurch klein und unwichtig. Mein Stolz kämpfte damit, dass ich auf der Arbeit so gut wie unsichtbar war, während mein Selbstwertgefühl zwischen Anspruch und Selbstzweifeln schwankte. Ich war es doch gewohnt, die Anführerin zu sein, und nicht das Mädchen, das das Kopiergerät bedient. Das konnte doch alles einfach nicht wahr sein, oder?
In dieser Zeit bahnten sich auch einige romantische Beziehungen an, aus denen aber nichts wurde, und jede Trennung fühlte sich an wie ein persönliches Versagen. Zusätzlich zu diesem Liebeskummer gingen auch einige Freundschaften kaputt, was mein Selbstbewusstsein noch weiter sinken ließ. Erstmals in meinem Leben war ich nicht erfolgreich. Das führte zu einer fundamentalen Identitätskrise. Bis zu diesem Zeitpunkt war Unsicherheit ein seltener Gast in meinem Leben gewesen, aber nun wurde sie zur ständigen Begleiterin.
Doch der K.-o.-Schlag für mein Selbstbewusstsein sollte erst noch kommen. Ein Jahr nach unserer Hochzeit zogen mein Mann und ich von unserem Heimatstaat North Carolina nach Chicago. Dadurch ließen wir einen großen Freundeskreis zurück. Unsere Freunde waren mir immer eine große Stütze, daher hatte ich es eilig, auch in Illinois neue Freundschaften zu schließen. Die Monate zogen dahin, aber ein Freundeskreis war nicht in Sicht. Ich lernte hier und da eine Freundin kennen, aber dann zog sie weg, oder aber unsere Lebensumstände machten es schwer, in Verbindung zu bleiben. Es dauerte gar nicht lange, bis ich mir isoliert und einsam vorkam.
In dieser Zeit schrieb ich mehr, und mein Blog wuchs ständig. Das Schreiben bereitete mir Freude und erfüllte mich, aber ich traf auch Autorinnen und Autoren, die wesentlich erfolgreicher waren als ich. Ihr Einflussbereich war riesig, und sie hatten haufenweise Follower. Im Vergleich zu ihnen ähnelte mein Blog einem Hobby. Mit der Zeit zog mich das Vergleichen immer mehr runter. Meine eigene Unsichtbarkeit machte mir zu schaffen. Die Kombination aus Einsamkeit und Unsichtbarkeit war der Doppelschlag, der mein Selbstvertrauen völlig erschütterte.
Irgendwo zwischen Kindheit und Erwachsenwerden hatte mich mein Selbstvertrauen verlassen. Lange Zeit fragte ich nach dem Warum. Was war diesem «kleinen, aber klugen» Mädchen zugestoßen?
Ich beschloss, es herauszufinden, auch wenn es bedeutete, die frühen Jahre meines Lebens einmal durch eine andere Brille zu betrachten.
Ich hatte immer eine sehr gute Beziehung zu meinen Eltern. Eine Phase, in der ich meine Mutter oder meinen Vater hasste oder sie mir allzu peinlich waren, gab es nicht. Ich glaubte und vertraute ihnen und war nur selten aufsässig. Außerdem lebte ich, um ihnen zu gefallen.
Eigentlich lebte ich dafür, den meisten Erwachsenen in meinem Leben zu gefallen: Lehrern, Trainern, Pastoren, Eltern von Freunden. Ich war ein «braves Kind» und liebte diesen Ruf. Meine Zensuren waren gut, und das machte mich stolz.
Meine Erfolgsbilanz war so makellos, dass ich mich lebhaft an die wenigen Situationen erinnere, in denen ich Schwierigkeiten bekam. In der Vorschule quatschte ich einmal mit meinem «Freund», obwohl ich der Lehrerin hätte zuhören sollen. Das war der einzige Tag, an dem ich keinen Smiley-Aufkleber mit nach Hause brachte. In der achten Klasse besprach ich versehentlich einen Test in Hörweite eines Schülers, der ihn noch nicht gemacht hatte. Es war ohne Absicht geschehen, dennoch drohte meine Lehrerin, mich zum Schulleiter zu schicken. Letztendlich tat sie es nicht, aber die Schande war demütigend.
Das waren die beiden großen «Skandale» meiner Kindheit. Ansonsten habe ich mein Leben auf dem Pfad der Tugend geführt. Ich liebte es, dass meine Lehrer mich mochten. Ich liebte es, dass meine Eltern mir vertrauten. Ich war ein nettes christliches Mädchen, und die Welt war ein freundlicher Ort für Kinder wie mich.
Allerdings gibt es eine besondere Versuchung für uns netten christlichen Kinder. Obwohl mein Selbstvertrauen nicht auf meinem Erscheinungsbild beruhte, stand es auf etwas ebenso Wackligem, nämlich einem tiefen Bedürfnis nach Bestätigung. Eben weil ich so ein braves Kind war, wurde ich häufig gelobt, was schließlich meine Identität bestimmte. Ich brauchte das Lob, und das bedeutete, dass die Grenze zwischen «Gutes tun um der guten Sache willen» und «Gutes tun um des Ansehens willen» zunehmend verwischte. Nach einer Weile war ich mir nicht mehr sicher, ob ich nett zu den Menschen war, weil ich Christus ähnlich sein wollte, oder weil ich die Bestätigung so sehr brauchte.
Die Wahrheit ist, dass ich gemocht werden musste, um mich gut zu fühlen. Meine Identität war an die Meinung anderer gebunden, und ich sehnte mich nach Bestätigung. Infolgedessen entwickelte ich mich zu einer Frau, die es ständig allen recht machen wollte.
Menschen zu gefallen oder es ihnen recht zu machen ist eine merkwürdige Sache, denn scheinbar ist man dabei «auf andere fokussiert», aber eigentlich geht es überhaupt nicht um andere. Es geht nur um einen selbst. Du willst, dass andere Menschen gut über dich denken. Du willst, dass andere Menschen nette Dinge über dich sagen. Du hilfst, tust anderen einen Gefallen, und es fällt dir schwer, Nein zu sagen, weil du nicht möchtest, dass Menschen dir böse sind. Ja, dein Selbstbewusstsein hängt am Wohlergehen anderer, aber letztendlich dienst du nur dir selbst.
Vielen von uns Christinnen und Christen geht es bei unserer Nettigkeit nicht darum, Jesus zu bezeugen, sondern vielmehr, Menschen für uns zu gewinnen. Deshalb ist es auch Freundlichkeit, die in der Bibel als Frucht des Heiligen Geistes beschrieben wird, und nicht Nettigkeit. Und deswegen werden auch die Propheten niemals als «nett» bezeichnet. Wahrheiten auszusprechen und mutig zu leben bedeutet, dass Menschen dich nicht immer nett finden werden. Gott und «nett sein wollen» sind zwei Treuepflichten, die oft miteinander konkurrieren.
Indem ich das Image des netten christlichen Mädchens pflegte, hegte ich auch meine Ichbezogenheit. Ich sorgte mich darum, mein Image und meinen Ruf aufrechtzuerhalten, während ich mich meiner rücksichtsvollen, beliebten und selbstlosen Art rühmte. Ich bemerkte die allmähliche Verschiebung meines Fokus nicht, weil meine Vorstellung von einem egozentrischen Menschen sehr begrenzt war. Egozentrische Menschen waren für mich selbstsüchtig, gemein und blind für die Nöte anderer – und das waren ja definitiv nicht meine Laster. Im Gegenteil! Meine Sorte von Selbstbezogenheit hielt mich nicht davon ab, mich um meinen Nächsten zu kümmern, nein, sie verlangte es von mir. Ich musste akzeptiert werden! Ich musste gemocht werden! Ich brauchte es, dass man gut von mir dachte! Und nett zu Menschen zu sein war eine sichere Strategie, um all das zu bekommen.
So subtil kann der Selbstfokus sein. Er kommt nicht immer wie ein Teufel mit Hörnern daher. Vielmehr schleicht er sich allmählich und ruhig in unsere guten Absichten hinein. Ich wollte ein guter Mensch sein, ich wollte gemocht werden, und dieser Wunsch wurde zum Götzendienst an mir selbst. Ich lebte, um meinem Ruf zu dienen, und solange Menschen mich mochten, fühlte ich mich toll.
Meine ganze Kindheit hindurch basierte mein Selbstbewusstsein auf der Anerkennung, dem Applaus und der Akzeptanz der Menschen. Und davon hatte ich jede Menge bekommen. Für mich funktionierte das System hervorragend.
Bis es nicht mehr funktionierte.
Es ist schwer, nicht in einen Spiegel zu schauen, richtig? Versuch doch mal, an einem Spiegel oder einer reflektierenden Oberfläche vorbeizugehen, ohne dich selbst zu betrachten. Ich verliere bei diesem Spiel fast immer.
Während meiner Collegezeit aß ich mit einer älteren Dame aus der Gemeinde zu Mittag. Sie war für viele Frauen meines Alters eine Mentorin. Wir saßen uns gegenüber und unterhielten uns, während wir aßen. Plötzlich unterbrach sie sich selbst und fragte: «Ist hinter mir ein Spiegel? Du schaust ständig an mir vorbei.»
Sie drehte sich um, und ja, da war er. Ein Spiegel. Während des gesamten Essens hatte ich mich selbst betrachtet.
Wenn ich an diese Geschichte denke, schäme ich mich noch heute, aber es ist ein weitverbreitetes Verhalten. Unser Spiegelbild zu betrachten ist quasi ein menschlicher Reflex. Läuft man an einem Spiegel vorüber, wird man hineinschauen. Das tun wir alle.
Dieser Reflex ist mächtig. Er ist so mächtig, dass wir ihn sogar auf unsere Beziehungen anwenden. Wir behandeln Menschen, als seien sie ein Spiegelbild unserer selbst und unseres Selbstwertes. Ihre Bestätigung und ihr Lob schenken uns ein positives Selbstbild, während ihre Kritik oder ihre Ablehnung bei uns zu einem negativen Selbstbild führen.
Das nenne ich den «Spiegelreflex» – die Tendenz, Menschen als Spiegelbild unserer selbst zu behandeln. Bei mir begann dieser Spiegelreflex damit, dass ich Menschen gefallen wollte, jedoch wurde daraus bald ein Lebensstil. Schließlich verwandelte ich meine Ehe, meine Freundschaften, die Kindererziehung, meine Arbeit und sogar meine Beziehung zu Gott in Spiegel, die mir ein möglichst gutes Bild von mir selbst zurückwerfen sollten. Wenn das passiert, hat dieser «Spiegelreflex» zwei schwerwiegende Konsequenzen.
Zunächst wird dein Selbstbild von Menschen, Besitztümern und deiner Karriere geformt. Du schaust auf diese Dinge, um den eigenen Selbstwert zu definieren. Ist das, was sie dir spiegeln, gut, fühlst du dich super. Ist das Feedback aber schlecht, dann fühlst du dich unsicher.
Die zweite Konsequenz zeigt sich darin, dass du alles auf dich beziehst, selbst wenn etwas gar nichts mit dir zu tun hat. Vielleicht grüßt dich eine Kollegin auf der Arbeit nicht, und sofort vermutest du, dass sie sauer auf dich ist. Vielleicht ist der Kassierer im Supermarkt unfreundlich, und du nimmst es persönlich. Eventuell arbeitest du ehrenamtlich in der Gemeinde mit und bist verletzt, weil dir niemand dankt. Wenn man Menschen wie Spiegel behandelt, erschafft man sich eine Welt, in der es nur um einen selbst geht. Genau das habe ich getan. Ohne es zu bemerken, verwandelte ich mich in einen Menschen, der nur noch sich selbst im Fokus hatte. Aber wie gesagt: All das machte mich in meinen Augen nicht zur Egoistin, daher blieben mir die subtileren Formen meiner Ichbezogenheit, die sich in mein Herz eingeschlichen hatten, verborgen.
Damit bin ich nicht allein. Die meisten von uns haben eine genaue Vorstellung davon, was es bedeutet, ichbezogen zu sein. Normalerweise sind das für uns «die anderen Menschen da draußen»: Narzissten in Reality-Shows oder der Idiot, der zwei Parkplätze für sein Auto beansprucht. Wir sind weniger aufmerksam für unseren eigenen Selbstfokus – vor allem, weil er nicht so offensichtlich ist.
Nehmen wir die sozialen Medien. Studien zeigen, dass sich Facebook direkt auf die persönliche Zufriedenheit auswirkt, da die Nutzer «Likes» und Kommentare als ein Maß für ihren Selbstwert interpretieren. Wie geht es dir, wenn eine Freundin mehr Likes oder mehr Kommentare für ihre Fotos erhält als du? Wir geraten leicht in die Versuchung, uns zu vergleichen: Warum mögen die Leute meine Fotos nicht so sehr? Sind meine Kinder nicht genauso süß? Haben die Leute weniger Interesse an mir? Viele Menschen nehmen diese Vergleiche persönlich und kommen sich klein, unwichtig und übersehen vor.2
Aber es hört nicht bei den sozialen Medien auf. Denken wir doch einmal an die Bereiche Ehe und Beziehungen. Hast du jemals deinen Ehepartner unter Druck gesetzt, etwas zu tun oder auf eine bestimmte Art und Weise zu handeln, damit du in einem guten Licht dastehst? Hat eine ungesunde Romanze dazu geführt, dass du dich heute in einem anderen Licht siehst? Wie sieht es bei Freundschaften aus? Wenn eine Freundin nicht zurückruft oder nicht auf eine E-Mail antwortet, geht dann deine Fantasie mit dir durch, und du stellst dir Fragen wie: «Was habe ich falsch gemacht?» Vielleicht war sie einfach beschäftigt oder hatte einen Notfall in der Familie, aber du ziehst direkt Schlussfolgerungen über dich selbst. Das liegt daran, dass alle unsere Beziehungen als Spiegel funktionieren können – und wie ich zu entdecken begann, hatte ich mir aus ihnen eine ganze Welt konstruiert.
Ich war Narziss. Ich war wie hypnotisiert von meinem eigenen Spiegelbild und litt unter einem langsamen geistlichen Verfall. Dadurch, dass sich meine Beziehungen und mein Schreiben um mich selbst drehten, war mein Selbstvertrauen eng verknüpft mit dem Erfolg oder Misserfolg in diesen Bereichen. Ein erfolgreicher Blog bedeutete, dass ich Wert hatte. Erfolgreiche Freundschaften zeigten, dass ich liebenswert war. Aber das Gegenteil war leider ebenso wahr, und genau das führte jeweils dazu, dass ich mich am Boden zerstört und unsicher fühlte.
Dies ist der natürliche Verlauf aller Götzenanbetung. Wann immer wir etwas über Gott stellen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es sich gegen uns wendet. Sogar wenn dieses Etwas unser eigenes Selbstbild ist. Wenn wir für uns selbst leben – auch wenn es auf die unschuldige Weise des netten christlichen Kindes passiert –, ist es nur eine Frage der Zeit, wann dieser Götze uns verschlingt.
Das war mein Problem. Ich lebte in einer Welt von Spiegeln, und als ich das Problem erkannt hatte, wurzelte es zu tief, als dass ich es hätte lösen können. Ich wollte aufhören, für mich und meinen guten Ruf zu existieren, und mehr für Gott leben, aber dafür musste mein Herz umprogrammiert werden. – Leichter gesagt als getan! So sehr ich es auch versuchte, ich konnte einfach meinen Blick nicht von mir selbst abwenden und ihn auf Gott richten. Ich brauchte Hilfe, aber es sollte seine Zeit dauern, bis ich sie fand.
Vers zum Nachdenken
«Durchforsche mich, o Gott, und sieh mir ins Herz, prüfe meine Gedanken und Gefühle! Sieh, ob ich in Gefahr bin, dir untreu zu werden, und wenn ja: Hol mich zurück auf den Weg, den du uns für immer gewiesen hast.» (Psalm 139,23–24)
Gebet
Vater, Sohn und Heiliger Geist! Getrennt von dir kann ich mich nicht ehrlich kennen. Darum lade ich dich ein, mir ins Herz zu sehen, meine Gedanken zu prüfen und mir die Augen zu öffnen, damit ich mich selbst ehrlich sehen kann. Zeige mir die verwundeten Stellen, die ich gerne ignoriere, und die dunklen Ecken, die ich nicht sehen kann. Nimm du dich ihrer an und kümmere dich um sie, zu meinem Wohl und zu deiner Ehre. Amen.
Diskussionsfragen
Wenn du auf dein Leben zurückblickst, wann hattest du am meisten Vertrauen in dich selbst?
In welchen Bereichen deines Lebens hattest du am meisten mit Unsicherheit zu kämpfen?
Kannst du sagen, wann genau diese Unsicherheiten begannen und warum?
Kannst du Bereiche in deinem Leben benennen, in denen du mit dem «Spiegelreflex» zu kämpfen hast?
Worin liegt für dich der Unterschied zwischen «sich selbst lieben» und «sich auf sich selbst fokussieren»?
Demut bedeutet nicht, gering von sich zu denken – es bedeutet einfach, weniger an sich selbst zu denken.3
– Rick Warren
Ist dir schon einmal aufgefallen, dass sich Bestätigung, die man in einem Lebensbereich erfährt, nicht immer automatisch auf andere Bereiche übertragen lässt? Mein Mann kann mir sagen, dass ich eine tolle Autorin bin, aber wenn ich das nicht auch von meinen Freunden höre, bedeutet mir das nicht so viel. Ein Vater kann seiner Tochter sagen, dass sie hübsch ist, aber das ist nur ein schwacher Trost, wenn sie sich in der Schule den Blicken der Mitschüler ausgesetzt fühlt. Ich kann meinem Mann sagen, dass er ein wunderbarer Pastor ist, aber er braucht auch von der Gemeinde ein positives Feedback.
Mit diesem Problem haderte ich sechs Monate lang, nachdem wir nach Chicago gezogen waren. Ich vermisste meine alten Wegbegleiter so sehr, dass ich es kaum ertragen konnte. Ich hatte die Suche nach neuen Freunden satt und das Gefühl, sowieso nicht viel «bieten» zu können. Freunde zu finden kam mir vor wie eine Partnersuche – und ich war das Mädchen am Rande der Tanzfläche, das niemand auffordern wollte.
Ich werde nie vergessen, wie ich eines Nachmittags nach Hause kam und mich in die Arme meines Mannes warf. «Was stimmt denn nicht mit mir?», heulte ich los. «Ich hatte doch in North Carolina Freunde. Warum finde ich hier keine?» Ich schnappte kurz nach Luft, bevor ich mich weiter über meine Einsamkeit beklagte und mich schlussendlich in einer Pfütze Wimperntusche auflöste. Mein armer Mann dachte wahrscheinlich: «Du hast doch mich! Bin ich denn niemand? Du bist doch nicht alleine in dieser Welt.» Stattdessen legte er seinen Arm um mich und brachte eine Entschuldigung hervor: «Es tut mir leid, dass ich keine Gruppe Mädels bin.»
Das brachte mich zum Lachen. Es war lustig, weil es stimmte.
Ich hatte einen tollen Ehemann, aber das war nicht dasselbe, wie Freundinnen zu haben. Ich brauchte beides. Bestätigung in einem Bereich kompensiert nicht den ganzen Rest – nicht einmal bei Gott. Die Bibel spricht eine Menge Wahrheiten über uns aus – wir sind wunderbar erschaffen, wir werden von Gott gesehen, wir sind geliebt –, aber das reicht uns nicht immer. Die meisten von uns wünschen sich dazu noch von anderer Stelle Bestätigung. Der innere Monolog dazu könnte lauten: «Es ist toll, dass du all diese guten Dinge über mich denkst, Gott … Aber ich hätte trotzdem gerne einen Partner!» Das Wissen allein, dass Gott uns liebt, führt nicht unbedingt immer zu einem Gefühl von Sicherheit in allen anderen Bereichen unseres Lebens.
So ging es mir. Ich hatte nicht nur einen Mann und Eltern, die mich unterstützten, sondern wusste auch, wie sehr Gott mich liebt. Ich wusste, was die Bibel über mich sagt. Ich las christliche Bücher über das Erlangen von Selbstsicherheit und Blogbeiträge darüber, wie besonders ich doch war. Und dennoch: Es war nicht genug. Ich wurde von Selbstzweifeln geplagt und konnte nicht verstehen, warum. Warum «funktionierten» diese Wahrheiten nicht?
In dieser Zeit nahm ich ein Buch von Timothy Keller über das Thema Selbstvergessenheit zur Hand, das ich schon öfter gelesen hatte.4 Der Begriff «Selbstvergessenheit» hat im christlichen Glauben eine lange Tradition, aber es geht dabei nicht darum, die Erinnerung an das eigene Selbst auszulöschen oder so zu leben, als ob das eigene Selbst nicht existieren würde. Der beste Weg, diesen Begriff zu verstehen, ist, über das nachzudenken, was in uns abläuft, wenn wir einen Verlust zu verarbeiten haben. Zunächst ist die Erinnerung alles verzehrend. Man kann nicht aufhören, darüber nachzudenken. Das Gehirn kommt nie zur Ruhe, weil es sich immer wieder dem Trauma zuwendet. Man kann einfach nicht aufhören, sich an das Schmerzhafte zu erinnern.
Mit der Zeit lockert sich jedoch der Griff der Erinnerung. Das Trauma ist nicht mehr das Erste, an was du am Morgen nach dem Aufwachen denkst, und es begleitet dich nicht mehr in jeder Stunde des Tages. Vielleicht stellst du sogar mit der Zeit fest, dass du seit Tagen oder gar Wochen nicht mehr daran gedacht hast. Du wirst nie vergessen, was passiert ist, aber du bist frei davon, dich ständig daran erinnern zu müssen.
Selbstvergessenheit ist etwas ganz Ähnliches. Du wirst dich selbst nie ganz vergessen können, aber du kannst frei davon sein, die ganze Zeit an dich selbst zu denken.5
Diese Analogie ist hilfreich, weil sie uns an die Art von «Freiheit» erinnert, um die es in diesem Buch geht. Aus weltlicher Perspektive bedeutet Freiheit normalerweise Unabhängigkeit, also die Freiheit, zu tun, was man will. Aus biblischer Perspektive ist Freiheit aber das Freisein von Sünde und unserer selbstsüchtigen menschlichen Natur. Es geht darum, nicht so zu leben, wie man es von Natur aus selbst will, sondern für Gott zu leben. Freiheit bedeutet in diesem Sinne, dass du nicht länger an die Tyrannei deines Selbst gebunden bist, sondern dass du frei bist, dich auf Christus zu konzentrieren. Es geht nicht um größere Unabhängigkeit, sondern um größere Abhängigkeit von Gott. Unabhängiger werden vom eigenen Selbst – das ist die Art von Freiheit, für die wir geschaffen wurden.
Ich hatte Timothy Kellers Buch schon ein paar Mal gelesen, aber dieses Mal machte es endlich Klick. Keller hatte die Wurzel meines Kampfes ausgemacht, nämlich, dass ich meine Unsicherheiten ganz falsch angegangen war. Keller erklärt, dass viele der Strategien, die wir anwenden, um Unsicherheit zu bekämpfen, nicht funktionieren, und dafür gibt es einen Grund:
Wenn jemand ein Problem mit geringem Selbstwertgefühl hat, scheinen wir in unserer modernen Welt nur eine