Freimaurerei und katholische Kirche - Richard Mathieu - E-Book

Freimaurerei und katholische Kirche E-Book

Richard Mathieu

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Beschreibung

Die Frage, ob ein Katholik Freimaurer sein darf, wird verschiedentlich beantwortet: Einerseits wird vielfach die Position vertreten, das Verhältnis zwischen Kirche und Freimaurerei sei inzwischen restlos unproblematisch, andererseits findet sich oft die Behauptung, dass Freimaurerei und Kirche unter keinen Umständen miteinander vereinbar seien und die Mitgliedschaft automatisch zur Exkommunikation führe. In dieser Arbeit versucht der Münchner Theologe Richard Mathieu durch die Auswertung der normativen Vorgaben des katholischen Kirchenrechts in ihrer geschichtlichen Genese und aktuellen Ausprägung tragfähige Antworten auf diese Frage zu finden. Dabei sind neben dem Codex Iuris Canonici auch die Erklärungen der Glaubenskongregation und der Deutschen Bischofskonferenz auf ihren Inhalt und ihre Stichhaltigkeit hin überprüft worden.

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Freimaurerei und katholische Kirche

Geschichte und kirchenrechtliche Einordnung eines 300-jährigen Streits

Richard Mathieu

eBook EPUB: ISBN 978-3-96285-137-8

Print: ISBN 978-3-943539-43-1

Copyright © 2015 / 2020 by Salier Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Christine Friedrich-Leye, unter Verwendung einer Zeichnung von Jens Rusch (www.jens-rusch.de)

Satz und Herstellung: Salier Verlag, Bosestr. 5, 04109 Leipzig

www.salierverlag.de

Für Florian, Heiko und Georg

Inhalt

Einleitung

I. Das Phänomen der Freimaurerei

1 Entstehung der Freimaurerei – eine Skizze

1.1 Entstehungsmythen und -theorien: Anfänge der Freimaurerei

1.2 Realhistorische Wurzeln der Freimaurerei

1.3 Freimaurerei in Deutschland

2 Das Ritual

2.1 Vorbemerkungen

2.2 Kleiderordnung

2.3 Ritualstruktur

2.4 Die drei Grade der Johannismaurerei

2.5 Das freimaurerische Ritual – Ertrag unter Vorbehalt

2.6 Der freimaurerische Gottesbegriff – Ein Annäherung

2.7 Die Arkandisziplin – zwischen Offenheit und Verschwiegenheit

II. Katholische Kirche und Freimaurerei

1 Vorbemerkungen

2 Päpstliche Verurteilungen vor dem CIC/1917

2.1 Clemens XII. - In eminenti apostolatus specula (28.04.1738)

2.2 Benedikt XIV. - Providas Romanorum Pontificum (18.05.1751)

2.3 Pius VII. - Ecclesiam a Iesu Christo (21.09.1821)

2.4 Leo XII. - Quo graviora (13.03.1825)

2.5 Pius VIII. - Traditi humilitati nostrae (24.05.1829)

2.6 Gregor XVI. - Mirari vos arbitramur (15.08.1832)

2.7 Pius IX. (16.06.1846 – 07.02.1878)

2.8 Leo XIII. (20.02.1878 – 20.07.1903)

2.9 Freimaurerei und kirchliches Strafrecht vor dem CIC/1917 – Ergebnissicherung

3 Freimaurerei und Kirche im CIC/1917

3.1 Einzelne Normen zu verbotenen, geheimen bzw. freimaurerischen Vereinigungen

3.2 Can. 2335 CIC/1917

3.3 Freimaurerei im CIC/1917 - Ergebnissicherung

4 Entwicklungen während und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil

4.1 Exkurs: „Das Schwedische System“ bzw. Freimaurerei in Skandinavien

4.2 Dialog zwischen Kirche und Freimaurerei in Folge des Zweiten Vatikanums

4.3 Die Lichtenauer Erklärung

4.4 Schreiben der Glaubenskongregation vom 18.07.1974 an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen über Mitglieder freimaurerischer Vereinigungen

4.5 Dialog zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und den Vereinigten Großlogen von Deutschland

4.6 Die Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre vom 17.02.1981

5 Freimaurerei und Kirche im CIC

5.1 Codexreform und Genese des c. 1374 CIC

5.2 Freimaurerei im CIC

5.3 Die Freimaurer im CIC – Ergebnissicherung

5.4 Die Freimaurerei im orientalischen Kirchenrecht

6 Erklärung der Glaubenskongregation über freimaurerische Vereinigungen vom 26.11.1983

6.1 Der rechtliche Charakter der Erklärung der Glaubenskongregation über freimaurerische Vereinigungen vom 26.11.1983

6.2 Inhaltliche Anmerkungen zur Declaratio de associationibus massonicis vom 26.11.1983

6.3 Declaratio de associationibus massonicis – Ergebnissicherung

7 Resümee und Schluss

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Anhang: „Thesen bis zum Jahr 2000“

Anmerkungen

Einleitung

Hinführung

Das Problemfeld der kirchlichen Haltung gegenüber der Freimaurerei und ihr kirchenrechtlicher Niederschlag sind zwar im Zuge und kurz nach der Erarbeitung des Codex Iuris Canonici sowie als Reaktion auf das Schreiben der Glaubenskongregation über freimaurerische Vereinigungen vom 26.11.1983 verschiedentlich thematisiert worden. Allerdings fällt auf, dass die bleibende Aktualität dieser Fragestellung in der kirchenrechtlichen Literatur seit den 80er Jahren kaum wahrgenommen wurde1. Exemplarisch sei verwiesen auf das Generalregister des Archivs für katholisches Kirchenrecht, der „weltweit [...] älteste[n] erscheinende[n] kirchenrechtliche[n] Fachzeitschrift“2, in welchem sich für den Zeitraum von 1982 bis 2006 bemerkenswert wenige Einträge zu dem Stichwort „Freimaurerei“ finden3. Dies mag verschiedene Gründe haben: Einerseits weckt der Begriff nach wie vor noch Assoziationen, die das Themenfeld „Freimaurerei“ zu Unrecht in ein kurioses, mithin unseriöses, einer wissenschaftlichen Betrachtung unwürdiges Feld rücken, in das es zweifelsohne nicht gehört. Andererseits ist unschwer festzustellen, dass sich in diesem Bereich seit dem oben genannten Dokument der Glaubenskongregation nicht viel getan hat, was sicher mit der Erklärung der Kongregation selbst zu tun haben dürfte, die die Veröffentlichung ihr widersprechender Einschätzungen durch andere kirchliche Autoritäten explizit untersagt hatte.

Hinsichtlich dieser Vermutungen ist einerseits zu sagen, dass die Freimaurerei oder Anspielungen auf sie oft in Kontexten erscheint, die sie sich nicht selbst ausgesucht hat und die Außenwahrnehmung dieser schweigsamen, noch um die rechte Öffentlichkeitsarbeit ringenden Vereinigung stark verzerren4. Andererseits ist es zwar in der Tat so, dass es keine nennenswerten kirchlichen Dokumente seit 1983 gab, die das Thema Freimaurerei abermals aufgriffen und gegebenenfalls Anlass zu einer erneuten Problematisierung geboten hätten. Geht man allerdings davon aus, dass die Freimaurerei gewissermaßen auch einen Querschnitt durch die Gesellschaft bildet, dann werden sich unter den etwa 15.000 Freimaurern regulärer Logen allein in Deutschland sehr viele Katholiken finden, die von dem Spannungsverhältnis Kirche – Freimaurerei bewusst oder unbewusst betroffen sind. Die kirchenrechtliche Fragestellung hat also auch, numerisch betrachtet, eine nicht geringe pastorale Relevanz.

Zielsetzung

Die vorliegende Arbeit hebt darauf ab, das Verhältnis zwischen Freimaurerei und katholischer Kirche kirchenrechtlich zu beleuchten. Um dies in angemessener Weise tun zu können, ist eine Betrachtung der, der aktuellen Rechtslage vorausgehenden, historischen Entwicklungen vonnöten. Gleichzeitig bliebe eine solche Darstellung ohne den Versuch, das Phänomen Freimaurerei wenigstens ansatzweise zu erfassen, einseitig und unvollständig. Obgleich die geschichtliche Genese der Freimaurerei nicht im Rahmen dieser Arbeit ausbuchstabiert werden kann, sollen einzelne, wichtige Momente zur Sprache kommen5. Dabei wird u.a. auf eine Darstellung der vielschichtigen, zweifellos interessanten, aber für eine kirchenrechtliche Einordnung nicht unmittelbar erheblichen Zeit des deutschen Nationalsozialismus verzichtet6. Diesbezüglich sei nur andeutend erwähnt, dass es strukturelle Überschneidungen gibt in den Argumentationsmustern des klassischen wie modernen Antisemitismus und der Antifreimaurerei, für die eine Sensibilisierung vielerorts noch aussteht7. Relativ breiter Raum wird der Darstellung der freimaurerischen Ritualistik eingeräumt, weil gerade in diesem Bereich Differenzierungen zwischen den Lehrarten verschiedener Großlogen durch Außenstehende eine leider selten bediente Notwendigkeit sind und andererseits, weil sich die im Rahmen dieser Arbeit kritisch zu beleuchtende Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz vom 12.05.1980 stark auf die Ritualistik bezieht, deren tiefe Kenntnis vorgibt und hieraus maßgeblich ihre Feststellung der Unvereinbarkeit von Freimaurerei und Kirche ableitet. Grundsätzlich gilt zudem, dass „wer das Ritual im Diskurs ausspart, […] freilich auch nicht über dessen Beziehung zu Religion und Religiosität kommunizieren [kann]“8. Angesichts der Tatsache, dass die reguläre Freimaurerei in Deutschland mit insgesamt fünf Großlogen vertreten ist, war es naheliegend, sich in der Darstellung des Rituals sowie in der Bezugnahme auf freimaurerische Grundsätze auf eine Großloge zu beschränken. Sofern nicht anders angegeben, sind daher alle wiedergegebenen Ritualtexte und Auszüge der Freimaurerischen Ordnung der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFAM) zuzuordnen. Diese Großloge ist insofern repräsentativ, als dass sie die mit Abstand meisten Mitglieder vorzuweisen hat. Anliegen und Anspruch des ersten, kürzeren Teils dieser Arbeit ist, die freimaurerische Ritualistik wenigstens einer Großloge in einer Vollständigkeit wiederzugeben, die insbesondere von kirchenrechtlichen bzw. theologischen Arbeiten bisher nicht oder nur eingeschränkt geleistet wurde9.

In einem zweiten Schritt wird der Versuch unternommen, das Verhältnis von katholischer Kirche und Freimaurerei zu untersuchen. Dabei wird zunächst auf die Vielzahl päpstlicher Verurteilungen, beginnend mit der 1738 erschienenen Bulle In eminenti apostolatus specula von Clemens XII., eingegangen. Sodann wird der Inhalt der Apostolischen Konstitution Apostolicae Sedis von Pius IX. aus dem Jahr 1869 thematisiert. Darauf wird in angemessener Ausführlichkeit die Rechtslage im CIC/1917, dort insbesondere can. 2335, untersucht. Es folgt eine Skizzierung der Genese des CIC, in dem die Freimaurerei nicht mehr namentlich genannt wird. Einzugehen ist hier besonders auf c. 1374 CIC, der, obgleich ihm ein expliziter Hinweis auf die Freimaurerei fehlt, sprachlich anknüpft an can. 2335 CIC/1917 und insofern als dessen Nachfolgenorm gilt. In diesem Kontext wird der Inhalt der Erklärung über freimaurerische Vereinigungender Glaubenskongregation vom 26.11.1983 eines vertieften Blickes gewürdigt und der Versuch einer kirchenrechtlichen Einordnung dieses Schreibens unternommen. Des Weiteren ist die Situation eines katholischen Freimaurers auch im Zusammenhang mit c. 915 CIC und einem sich auf diese Norm beziehenden Schreiben des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte (PCI) zum Kommunionempfang wiederverheirateter Geschiedener vom 24.06.2000 zu erörtern.

Abschließend sei angemerkt, dass dieser Text sowohl an interessierte Freimaurer als auch Nicht-Freimaurer gerichtet ist. Vor diesem Hintergrund mögen insbesondere die Annäherungen an das Phänomen der Freimaurerei manchem freimaurerischen Leser redundant erscheinen. In diesem Fall ist es völlig legitim, zu Teil II zu springen, der inhaltlich zwar eine gewisse Kenntnis der Freimaurerei, nicht aber zwingend die Lektüre des ersten Teils dieses Buches voraussetzt. Ritualpassagen werden dort wörtlich zitiert, wo sie eine argumentative Unverzichtbarkeit darstellen, etwa im Hinblick auf die Unvereinbarkeitserklärung der Deutschen Bischofskonferenz, die ihrerseits auf Ritualpassagen Bezug nimmt oder vorgibt, es zu tun. Es sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass dieser Text, wenngleich nicht in restloser Detailliertheit, so doch mit gebotener Ausführlichkeit auf alle drei Grade der Freimaurerei eingeht.

Dieses Buch kann und will keinesfalls den einzelnen Freimaurer bzw. Katholiken vor dem inneren Gerichtshof seines Gewissens präjudizieren. Es wird zudem die zahlreichen genuin theologischen Fragen, die sich im Hinblick auf das Verhältnis von Freimaurerei und Kirche ergeben, nur dort thematisieren, wo sie eine kirchenrechtliche Relevanz haben. Ziel und Zweck dieses Textes ist es, Inhalt, Genese und interpretative Spielräume und Unschärfen der rechtlich-normativen Position der katholischen Kirche zur Freimaurerei zu erfassen und kritisch zu hinterfragen. Damit ist die Frage, ob Freimaurerei und Katholizismus miteinander vereinbar sind oder sein können keineswegs beantwortet, sondern bestenfalls ein perspektivenerschließender Beitrag geleistet. Eine gewisse Nüchternheit liegt zudem in der Natur einer jeden Rechtssprache. Ich bitte insofern den Leser bereits an dieser Stelle um Entschuldigung und hoffe, dass er die Lektüre dennoch als ertragreich empfinden möge. Im Idealfall ist dieses Buch ein Impuls zum fachlichen und vielleicht zum innerkirchlichen Diskurs zur Frage der Kompatibilität von Freimaurerei und Kirche. Es ist jedenfalls keineswegs meine Absicht, mögliche Ergebnisse solcher Diskurse abschließend vorwegzunehmen.

Teil Eins

Das Phänomen der Freimaurerei

1 Entstehung der Freimaurerei – eine Skizze

1.1 Entstehungsmythen und -theorien: Anfänge der Freimaurerei

Wie andere Institutionen, die sich, um ihre herausragende Dignität zu betonen, auf altehrwürdige Traditionen berufen, versuchte und versucht auch die Freimaurerei Bezüge zu kulturhistorischen Schlaglichtern der Menschheitsgeschichte herzustellen.

Überspitzte Äußerungen, ähnlich der Formulierung Lessings in Ernst und Falk, Freimaurerei sei immer gewesen1, finden sich auch in anderer masonischer Literatur: „Die Anfänge der freimaurerischen Geschichte verlieren sich in der menschlichen Urgeschichte, ja die Freimaurerei ist so alt wie die Menschheit überhaupt.“2 Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass derartige Aussagen in Bezug auf die masonische Geschichtsschreibung gegebenenfalls auf den substanziellen Kern der Freimaurerei, ihre Idee abzielen und weniger auf ihre organisatorische Manifestation3.

Ermöglicht wird eine solche, Indizienketten strickende Geschichtskonzeption u.a. durch die teilweise leider dürftige Quellenlage der Entstehungsphase der Freimaurerei4. Symptomatisch hierfür ist beispielsweise die von verschiedenen Großlogen hinsichtlich ihres identitätsstiftenden Charakters unterschiedlich bewertete, weitgehend idealisierende bzw. romantisierende Bezugnahme auf Ritter- bzw. Templertraditionen5, die trotz ihrer unbestreitbaren Ahistorizität weiterhin gepflegt werden6. Diesbezüglich ist anzumerken, dass der Bezug zu Ritter- bzw. Templertraditionen in erster Linie für die Hochgrade von Bedeutung sind, die es z.B. bis zum 11. Grad innerhalb des Lehrgebäudes der auch als Freimaurerorden (FO) bezeichneten Großen Landesloge von Deutschland (GLLvD) gibt, aber innerhalb der mitgliederstärksten Großloge Deutschlands, der AFAM, nicht existieren.

Der freimaurerische Geschichtsschreiber Oskar Posener beginnt seine Darstellung mit einem kritischen Zitat von Fritz Mauthner:

„Die Freimaurer sind allezeit schlechte Geschichtsschreiber ihres Ordens gewesen und haben sich von jeher an zufällige Übereinstimmungen gehalten, um alle möglichen kühnen Geister alter und neuer Zeit für Freimaurer erklären zu können.“7

Womöglich apologetisch fügt er hinzu, dass „seitdem Menschen in Gruppen zusammenleben [es immer etwas gab] was sich mit Freimaurerei vergleichen ließ“8. In masonischen Geschichtsrekonstruktionen dieser Spielart finden sich Jesus Christus, Adam und seine Söhne, die Werkleute des salomonischen Tempelbaus und des Turmbaus von Babel, Moses, Noah u.a.m. als Träger der freimaurerischen Tradition9. Differenzierter formuliert eine Publikation der deutschen Freimaurer, dass eine geschichtliche Verbindung zu antiken Mysterienbünden nicht unmittelbar nachzuweisen ist, aber ein inhaltlicher Zusammenhang insoweit besteht, als dass teilweise bewusste Rückgriffe auf die (vermeintliche) Gedankenwelt antiker Mysterienbünde vollzogen wurden10. Neben den innermasonischen Entstehungsmythen gibt es auch solche aus der antifreimaurerischen Literatur, die, unter Bezugnahme auf die hebräischen Passwörter11, behaupten, die Freimaurerei sei eine jüdische Schöpfung12. Derartige als Verschwörungstheorien zu klassifizierende Behauptungen fallen zusammen mit antisemitischen Topoi des als globalem Drahtzieher agierenden „Weltjudentums“ und verwundern insbesondere auf Grund der Tatsache, dass Juden die Aufnahme in Freimaurer-Logen lange verwehrt blieb13.

1.2 Realhistorische Wurzeln der Freimaurerei

Als tatsächlichen historischen Ausgangspunkt der Freimaurerei sind die mittelalterlichen Bauhütten zu betrachten, deren Blütezeit vom 13. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts anzusiedeln ist1. Allerdings ist auch hier anzumerken, dass „direkte Bezüge selten nachgewiesen“2 sind. Gerade der Übergang von der operativen, also mit der Konstruktion von Sakralbauten befassten, zur spekulativen, also symbolisch arbeitenden, Freimaurerei lässt sich nicht restlos klären. Entsprechend wird in der Forschung verschiedentlich betont, dass sich die Suche nach einem einzigen geschichtlichen Ursprungspunkt als unproduktiv und akademische Sackgasse erweist3.

Das Phänomen sich zu Bruderschaften zusammenschließender Handwerker, anfangs im Umkreis von Klöstern, das wohl mit Recht als einer der historischen Ursprünge der spekulativen Freimaurerei betrachtet wird, ist gut belegt, in Kontinentaleuropa beispielsweise durch die Bruderschaft des hl. Aurelius, die sich 1080 im Kloster Hirsau im Schwarzwald konstituierte. Ausschlaggebend für die allmähliche Bildung solcher Zusammenschlüsse qualifizierter Handwerker war mitunter der architekturgeschichtliche Übergang vom romanischen Baustil zur Gotik. Letztere stellte höhere Anforderungen an die am Bau beteiligten Arbeiter, während der romanische Baustil wesentlich auf die unkomplizierte Anwendung geometrischer Regeln setzte.4

Zwar wird verschiedentlich vermutet, dass die sich später als Dombauhütten bezeichnenden Zusammenschlüsse von Werkmaurern neben den unmittelbar technischen Fertigkeiten auch ein sittliches Traditionsgut entwickelten. Belege hierfür sind allerdings rar und weitgehend uneindeutig in der Auslegung. Die zunächst lose Beziehung und punktuelle Konkurrenzsituation der Zusammenschlüsse untereinander wurde reguliert durch die von Erwin von Steinbach5 († 1318), dem damaligen Straßburger Dombaumeister, einberufene Zusammenkunft zahlreicher Dombaumeister aus England, Frankreich und Italien. Zweck dieser Zusammenkunft war das Bemühen um einen einheitlichen Qualitätsstandard sowie die Ausgeglichenheit in der Verteilung von Bauaufträgen an verschiedene Bauhütten.6

In diesem Zusammenhang werden auch die Erkennungszeichen der Handwerker, mit denen sie sich als anerkannte Mitglieder der Maurerzunft zu erkennen geben konnten, zu sehen sein: Zeichen, Wort und Griff, wie sie in der spekulativen Freimaurerei bis heute existieren und noch immer die Funktion haben, den jeweiligen Bruder in seinem jeweiligen Grad auszuweisen, hatten ursprünglich die vergleichsweise profane Bedeutung der Qualitätssicherung. Die jeweiligen Zusammenschlüsse von Architekten, Steinmetzen und Künstlern entwickelten zudem eine eigene Gerichtsbarkeit, innerhalb derer bestimmte Delikte mit Geldstrafen bis hin zum Ausschluss aus der Dombauhütte geahndet wurden7.

Obgleich sowohl die profane, als auch die masonische Geschichtsschreibung die Dombauhütten des Mittelalters als geschichtlichen Mutterboden der Freimaurerei betrachtet, darf nicht unerwähnt bleiben, dass die kontinentaleuropäischen Bauhütten in der beschriebenen Gestalt keinen dauerhaften Bestand hatten. Der Grund hierfür liegt mitunter darin, dass die Vollendung der Bautätigkeit bzw. das Ausbleiben von entsprechenden Bauaufträgen den Dombauhütten zusehends die Existenzgrundlage bzw. -berechtigung entzog8. Die deutsche Freimaurerei hat ihren unmittelbaren geschichtlichen Ursprung somit nicht in den mittelalterlichen Bauhütten Kontinentaleuropas. Der Rückgang kirchlicher Bauaufträge, die Renaissance und schließlich die Reformation dürfen als Mitursachen für das Zugrundegehen der deutschen Bauhütten betrachtet werden9. Wie zu zeigen sein wird, ist die britische Werkmaurerei Ausgangspunkt der modernen, auch der deutschen Freimaurerei10.

Aus dem 14. Jahrhundert gibt es erste greifbare Belege für das englische Gildenwesen, das in gängigen Entstehungstheorien als Ausgangspunkt der späteren spekulativen Freimaurerei betrachtet wird. Im Letterbook H der Stadt London taucht erstmals in einem auf den 9. August 1376 datierten Eintrag der Begriff freemason auf. Zwar werden die Begriffe mason und freemason weitgehend synonym für Steinarbeiter gebraucht – entsprechend auch die Bezeichnungen Company of masons bzw. Company of freemasons. Allerdings legt die Unerwähntheit des Begriffs freemason in schottischen Dokumenten der gleichen Zeit in Kombination mit dem Umstand, dass in Schottland freestone, also leicht zu bearbeitender Sandstein – nicht bearbeitet wurden, die Vermutung nahe, dass die Bezeichnung freemasons sich ursprünglich auf jene Maurer bezog, deren Aufgabe in der Bearbeitung von Sandsteinklötzen bestand.11

Wohl mit dem Ziel, örtliche Monopole entweder zu schaffen oder zu erhalten, gründeten sachkundige Handwerker, darunter auch Steinmetze, Betriebe, die sich insbesondere durch die restriktive Aufnahmepraxis als auch die Ausbildungsdauer auszeichneten und Wert darauf legten, sich von jenen, als cowans bezeichneten Steinmetzen abzuheben, die keine reguläre Ausbildung in der von den Steinmetzbetrieben vorgesehenen Lehrzeit vorweisen konnten. Die Bedeutung der Steinmetz-Zünfte für ihre Mitglieder war eine vielfache: Im Wesentlichen trug sie zur Sicherung ihrer Einkommensverhältnisse bei, gestaltete die Preisbildung, stellte eine zumindest rudimentäre Gesundheitspflege zur Verfügung und half bei der Finanzierung von Beerdigungen.12

Als Mitglied einer Steinmetz-Zunft durchlief der Auszubildende, beginnend etwa im Alter von 14 Jahren, drei Stufen: apprentice (Lehrling) – craftsmen/journeyman13 (Geselle) – mastermason (Maurermeister). Mit der Beförderung bzw. Erhebung auf die jeweilige Stufe wurde dem Auszubildenden der Eid abverlangt, in Bezug auf die jeweils vermittelten Aspekte maurerischer Methodik Verschwiegenheit zu wahren, nicht nur aus Gründen des Standesethos, sondern im Wesentlichen, um die existenzielle und finanzielle Grundlage der Steinmetz-Zünfte und ihrer Mitglieder z.B. vor den erwähnten cowans zu schützen. Zudem wurden dem Auszubildenden jeweils Zeichen und Passwörter mitgeteilt, die gewissermaßen die Funktion eines Lehr- bzw. Gesellenbriefes hatten. Die Ausbildung umfasste eine Mindestdauer von sieben Jahren, das Mindestalter zur Verleihung des Status eines Meisters lag bei 21 Jahren14, das zugleich das Alter der gesetzlichen Volljährigkeit darstellte. Zu berücksichtigen ist hier auch, dass ein ausbildender Meister durchaus einen wirtschaftlichen Vorteil aus ihm verpflichteten Auszubildenden zog und insofern kein Interesse hatte, sie vorzeitig aus seiner Obhut zu entlassen.15

Die gesellschaftliche Bedeutung der Steinmetze bzw. Maurer überragte jene anderer Zünfte insofern, als dass sie an der Gestaltung und Umsetzung von sichtbaren Manifestationen kirchlicher und staatlicher Macht und Dignität – Kathedralen, Abteien, Kirchen, Stadtmauern – wesentlich beteiligt waren. Infolgedessen waren Steinmetze, in weitgehendem Gegensatz zu anderen Handwerkern, an verschiedenen Baustellen tätig und somit beruflich weniger an eine einzige Örtlichkeit gebunden16. Entgegen der oben dargestellten Etymologie wurde daher bisweilen vermutet, dass der Begriff freemason sich aus der relativen Autonomie und Bewegungsfreiheit der Steinmetze ableitet. Eine ähnlich unwahrscheinliche Erklärung des Begriffs freemason ist die Hypothese, das Wortsegment free sollte eigentlich die besondere Würde der Steinmetze verbalisieren17. Nachweislich intensivierte sich die Symbiose von Maurerzünften und Stadtverwaltungen zunehmend in der zweiten Hälfte des 14. und zu Beginn des 15. Jahrunderts: Die Städte erhielten Steuern und andere Abgaben dafür, dass sie durch Regulierungen den Monopol-Status der Zünfte erhielten. Umgekehrt trugen die Zünfte die Aufgabe, sowohl die Verfügbarkeit als auch den Rahmen des für die Arbeit der Zunftmitglieder zu zahlenden Entgeltes wesentlich mitzugestalten bzw. zu kontrollieren. Dieses System enger Verwobenheit zwischen Stadtverwaltung und Steinmetz-Zunft hielt sich, anders als in Kontinentaleuropa, überwiegend bis ins späte 17. Jahrhundert.18

Nicht nur der handwerkliche, sondern auch der soziale Aspekt der Zünfte war ausschlaggebend für ihre „Corporate Identity“. Hierzu gehörte einerseits ein gewisses Elitebewusstsein sowie andererseits auch Sozialleistungen z.B. an Witwen19 und andere Hilfebedürftige20.

1.2.1 Accepted Masonry – Angenommene Maurer

Operative Maurerei bezeichnet im weiteren Sinne jene Form der Maurerei, die in den beschriebenen Zusammenschlüssen primär mit der Konstruktion von Bauten, insbesondere von Sakralbauten befasst war. Im engeren Sinne ist die operative Maurerei der geschichtliche Ausgangspunkt der als spekulativ bezeichneten Freimaurerei und bezieht sich somit vorrangig auf die – ihrem Ursprung nach – mittelalterlichen, schottischen und englischen Maurerorganisationen. Männer, die sich solchen Vereinigungen anschlossen, ohne ihrer handwerklichen Ausbildung nach Maurer, Künstler oder Architekten zu sein, wie es etwa in Schottland während des 17. Jahrhunderts geschah, werden als nicht operative bzw. – wie in der 1730 erstmals erschienen Verräterschrift Masonry Dissected21 – als Gentleman Masons bezeichnet.22

Im heutigen Sprachgebrauch werden nicht-werkmaurerische Mitglieder als accepted, also angenommen bezeichnet. Hieraus leitet sich beispielsweise auch die Selbstbezeichnung der Alten, Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFAM) ab.

1.2.2 Der Begriff der spekulativen Freimaurerei

Obgleich der Begriff spekulativ sich in aller Regel auf die moderne Freimaurerei bezieht, wie sie sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England konstituierte und auf dem Kontinent Fuß fasste, taucht der Begriff speculatyf bereits im Cooke Manuscript23 auf, einem der ältesten schriftlichen Bezugspunkte masonischer Geschichte. Verschiedentlich wurde daraus abgeleitet, dass die Freimaurerei in ihrer heutigen Form, also der spekulativen, nicht eine Frucht des 18. Jahrhunderts sei, sondern sich bereits zum Abfassungszeitpunkt des Cooke Manuscripts, also der erste Hälfte des 15. Jahrhunderts belegen lasse. In seinem Kommentar zum Cooke MS vermutet Speth24, dass der Begriff speculatyf des 15. Jahrhunderts mit dem Begriff speculative des 18. Jahrhunderts in seiner Bedeutung identisch ist, von Freimaurern tradiert, und nicht im 18. Jahrhundert neu eingeführt wurde. Gleichzeitig anerkennt Speth, dass die zwischen dem Cooke Manuscript und Dokumenten der modernen Freimaurerei liegenden schriftlichen Zeugnisse das Wort speculative nicht aufgreifen und es somit keinen Anlass für die Behauptung einer Kontinuität im Gebrauch dieses Begriffs als (Selbst-)Bezeichnung nicht operativer Maurer gibt. Für die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Begriff der spekulativen Freimaurerei gebraucht wird bzw. ob das Cooke Manuscript als glaubwürdiger Zeuge hierfür betrachtet werden darf, ist es unerlässlich, einen Blick auf den genauen Gebrauch des Wortes speculatyf darin zu werfen. Die ersten Erwähnungen „spekulativer Maurer“25, bzw. „spekulativer Maurerei“26 in ihrem heutigen Sinne finden sich 1757 und 1775.27

Die Erwähnung des Wortes speculatyf ist im Cooke MS einmalig, und zwar in folgendem Satz:

„And after that was a worthy Kynge in Englond that was callyd Athelstone, and his yongest sone lovyd welle the sciens of Gemetry, and he wyst welle that hand craft had the practyke of the sciens of Gemetry so welle as Masons, wherefore he drew hym to conselle and lernyd practyke of that sciens to his speculatyf ffor of speculatyfe he was a master and he yaf hem charges and names as hit is now vysd in Englond and in othere countres.“28

Übertragungen in modernes Englisch stimmen weitgehend darin überein, dass speculatyf(e) hier gewissermaßen die maurerische Theorie meint. Diesem Abschnitt des Cooke MS zufolge war der jüngste Sohn des englischen Königs Athelstone bereits bewandert in der theoretischen Geometrie. Um ihre praktische Anwendung der ihm bereits theoretisch bekannten Geometrie zu erlernen, holt er sich Rat bei masons (wherefore he drew hym to conselle and lernyd practyke of that sciens to his speculatyf). Die Behauptung, der Begriff der spekulativen Maurerei habe eine Tradition, die von der modernen Freimaurerei zu den Konstitutionen der mittelalterlichen Bauhütten zurückreicht, lässt sich jedenfalls nicht mit dem Cooke Manuscript belegen. Der Einwand, auch andere Dokumente hohen Alters gebrauchen das Wort speculatyf, übersieht, dass dies nur dort der Fall ist, wo das Cooke MS ganz oder teilweise wiedergegeben wird, etwa im Woodford Manuscript.29

Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass das Cooke MS buchstäblich bei Adam beginnt, und in einem offenbar bereits vorhandenen Elitebewusstsein bestrebt ist, die eigene Würde durch Bezüge auf Eckdaten der Menschheitsgeschichte zu betonen. Worin allerdings zum Zeitpunkt der Abfassung des Cooke MS die nicht unmittelbar operativen Aspekte der Identität der Maurerei bestanden, ist aus dem Cooke MS nicht zu schließen. Weder ist ersichtlich, ob es bereits eine Ritualistik gab, die der heutigen gleicht, noch ist bekannt, ob die moralisch-ethischen Aspekte, die die Freimaurerei heute zu Recht als für sich identitätsstiftend bezeichnet, damals eine nennenswerte Rolle spielten.

Die Behauptung also, der Begriff der spekulativen Maurerei bzw. des spekulativen Maurers sei bereits im Cooke MS belegt und sei bis in die moderne Freimaurerei hinein tradiert worden, ist letztlich von dem gleichen legitimen aber wenig sachlichen Bestreben geprägt, das auch der Verfasser des Cooke Manuscripts im Sinn hatte, nämlich die geradezu legendarische Rückdatierung der Entstehung der eigenen Zunft, um ihre Würde als menschheitsgeschichtliche Konstante zu belegen.

Im Folgenden ist mit spekulativer Freimaurerei ausschließlich die moderne Freimaurerei, wie sie greifbar zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Erscheinung tritt, gemeint.

1.2.3 Von der operativen zur spekulativen Freimaurerei – eine Annäherung

Eine Untersuchung der geschichtlichen Genese der Freimaurerei wird unweigerlich der Frage nachgehen müssen, aus welchem Grund Nicht-Werkmaurer überhaupt das Bedürfnis hatten, sich Logen anzuschließen. Dabei ist besonders zu beachten, dass Grundsätze und Ritualistik der Freimaurerei dem Aspiranten erst zum Zeitpunkt der Initiation bzw. nach der Selbstverpflichtung durch einen Eid, enthüllt wurden, als sein Interesse sich formte, ihm also zumindest teilweise unbekannt waren30.

Hierzu ist zu sagen, dass, u.a., gerade das „Geheimnis“ eine Motivation für das Bedürfnis nach Mitgliedschaft war. Einerseits gehörten sich geheimnisvoll gebende Gruppierungen und Bewegungen wie das Rosenkreuzertum, Astrologie, Alchemie und ein besonderes Interesse an den verborgenen Inhalten der Johannesoffenbarung zur geistigen Mode des 17. Jahrhunderts. Andererseits machte das Nicht-Wissen über die Freimaurerei sie zu einer geeigneten Projektionsfläche, auf der verschiedenste Sehnsüchte kulminieren konnten. Der walisische Dichter Gorony Owen erhoffte sich, in der Freimaurerei die verborgenen Weisheiten alter Druiden zu finden, der Antiquar Dr. William Stukeley bekennt in seiner Autobiographie, Neugier und der Verdacht, Geheimnisse der Alten zu entdecken, haben ihn dazu veranlasst, sich initiieren zu lassen.31

Da ein Symbolismus, wie er für die Freimaurerei heute identitätsstiftend ist, für das 17. Jahrhundert nicht belegbar ist, ist fraglich, ob das Bedürfnis nach ethischer Weiterbildung ein treibendes Moment für Aufnahmewillige war. Die Genese der auf eine Metaethik zielenden Symboldeutung dürfte ein gradueller Prozess gewesen sein, dessen Stationen durch die Synopse verschiedener Katechismen nebst Prichard visualisiert werden32.

Ein weiteres mögliches Motiv nicht operativer Maurer könnte ein möglicherweise auch amateurhaftes Interesse für Architektur gewesen sein sowie ein Bedürfnis nach Geselligkeit33. Clubs, in denen sich Männer unter Ausschluss des anderen Geschlechts zusammenfanden und gegebenenfalls auch dem Tabak und dem Alkohol frönten, waren im ausklingenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert eine Modeerscheinung, gegen welche die entstehende Freimaurerei nicht restlos gefeit war34.

Der Prozess der Aufnahme von Nichtwerkleuten in die Bauhütten wurde möglicherweise auch durch das große Feuer von 1666 beschleunigt, das London weitgehend in Asche legte. Um den Wiederaufbau voranzutreiben wurde Bauleuten aus andern Teilen Englands sowie aus Kontinentaleuropa vom Parlament die gleichen Rechte zugesprochen, wie sie bis dahin nur die Londoner Maurer-Loge hatte. Um ihrem Bedeutungsverfall entgegenzuwirken, nahm diese verstärkt Nichtwerkleute in ihre Reihen auf. In der Konsequenz vollzog sich auch die graduelle Umgestaltung der Maurerei zur symbolischen Freimaurerei schneller.35

Zudem dürfte die Aufnahme von Nichtwerkleuten auf die finanzielle Lage der Logen zurückzuführen sein, die mit der beginnenden Renaissance nur wenig in ihrer ursprünglichen Kernkompetenz – dem Bauen – beansprucht wurden. Dieses Phänomen lässt sich über England hinaus auch in Schottland, z.B. in Aberdeen und Edinburgh, belegen.36

1.2.4 Die Londoner Großloge und die Anderson‘schen Constitutions

Als offizielles Gründungsdatum der modernen Freimaurerei gilt der 24. Juni 1717, an dem sich vier Logen von London und Westminster, aus Gründen, die sich nicht restlos rekonstruieren lassen, zusammenschlossen37. Von Anderson, dem Verfasser der 1723 veröffentlichten Constitutions of the Free-Masons, erfahren wir, dass sich die vier Gründerlogen von Sir Christopher Wren, einem namhaften Baumeister, der wesentlich für den Wiederaufbau Londons nach dem Brand von 1666 verantwortlich war und in der spekulativen Freimaurerei keine tragende Rolle spielte, vernachlässigt fühlten. Worin die Vernachlässigung bestand, präzisiert Anderson nicht.38

Dierickx vergleicht die Gründung dieser ersten Großloge mit der Begründung der Abtei Monte Cassino durch Benedikt von Nursia im 6. Jh. In beiden Fällen sei den Initiatoren nicht klar gewesen, dass sie für weit mehr als eine lokale Angelegenheit den Boden bereiteten39. Binder weist auf „die anfängliche Bedeutungslosigkeit dieses Zusammenschlusses“40 hin.

Im Auftrag dieser ersten Großloge verfasste James Anderson, ein in Theologie und Philosophie promovierter Prediger an einer Kirche schottischer Presbyterianer, die Constitutions of the Free-Masons41. Obgleich er bei der Gründung der Großloge nicht anwesend war, gehört der aus Aberdeen stammende Anderson zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Freimaurerei. Die erste Auflage der Constitutions erschien 1723, die zweite 1738. Inhaltlich setzt sich dieses Dokument, das insbesondere für die reguläre Freimaurerei noch heute maßgeblich ist, aus einer geschichtlichen Einleitung, den sogenannten Charges, einigen weiterführenden Anmerkungen und freimaurerischem Gesangsgut zusammen. Die geschichtliche Einleitung übernimmt die bereits vorhandenen, z.B. im Cooke Manuscript zu findenden, Legenden und ist „eine traurige Geschichtsklitterung ohne jeden Wert“42. Das Herzstück der Anderson‘schen Constitutions, die Charges of a Free-Mason, gilt für die reguläre Freimaurerei heute als besonders rahmensetzend. Wegen seiner zentralen Bedeutung ist der Absatz concerning God and Religion vollständig wiederzugeben:

„A Mason ist oblig‘d by his Tenure, to obey the moral Law; and if he rightly understands the Art, he will never be a stupid Atheist, nor an irreligious Libertine. But though in ancient Times Masons were charg‘d in every Country to be of the Religion of that Country or Nation, whatever it was, yet ‘tis now thought more expedient only to oblige them to that Religion in which all Men agree, leaving their particular Opinions to themselves; that is, to be good men and true, or Men of Honour and Honesty, by whatever Denominations or Persuasions they may be distinguish‘d; whereby Masonry becomes the Center of Union, and the Means of conciliating true Friendship among Persons that must else have remain‘d at a perpetual Distance.“43

1.2.5 Die United Grand Lodge of England und die Regularität

Die United Grand Lodge of England führt sich zwar historisch auf den am 24.06.1717 gegründeten Zusammenschluss verschiedener Londoner Logen zurück. Die Bezeichnung United Grand Lodge of England (UGLE) gibt es allerdings erst seit 181344. Hinsichtlich der an dieser Stelle nicht zu vertiefenden Entstehungsgeschichte der UGLE ist darauf aufmerksam zu machen, dass sich bald nach der Gründung 1717 ein „Schisma“ zwischen Antients und Moderns bildete. Anlass und Gründe der Zerrissenheit der Freimaurerei waren vielfältig. Die Ausgangskonstellation des Konfliktes lag vermutlich darin, dass es Logen gab, die sich der Londoner Großloge nicht angeschlossen hatten, teilweise, weil sie sich auf irische Bauhütten zurückführten und sich der Londoner Loge nicht verbunden fühlten, teilweise auch, weil sie unzufrieden waren mit Veränderungen, die u.a. durch Anderson eingeführt wurden. Zur Bildung der United Grand Lodge of England in ihrer heutigen Gestalt kam es erst nach Beilegung des Konflikts und der Unterzeichnung der Articles of Union am 25. November 1813 durch je einen Vertreter der beiden Strömungen.45

Den Begriff der Regularität wenden bereits die Anderson‘schen Constitutions in den General Regulations, dort unter VIII., an46. Eine Loge ist regulär, wenn sie von einer Großloge mit dem Konstitutionspatent ausgestattet wurde. Eine Großloge wiederum wird als regulär bezeichnet, wenn sie bestimmte von der UGLE gesetzte Kriterien einhält. Das von der UGLE formulierte Dokument Aims and Relationships of the Craft47 aus dem Jahr 1949 hebt hervor, dass die Einhaltung der sogenannten Basic Principles für die Anerkennung durch die UGLE und somit für die Regularität ausschlaggebend sind. Diese Basic Principles for Grand Lodge Recognition wurden 192948 erstmals verfasst und 198949 überarbeitet. Wegen ihres konstitutiven Charakters sind sie an dieser Stelle wiederzugeben:

„Um als rechtmäßig durch die United Grand Lodge of England anerkannt zu werden, muß eine Großloge folgende Regeln beachten. Sie muß gesetzmäßig durch eine rechtmäßige Großloge eingesetzt worden sein oder durch drei oder mehr selbstständige (private) Logen, jede von ihnen mit dem Patent einer rechtmäßigen Loge versehen (Punkt 1). Sie muß wahrhaft unabhängig und autonom sein mit unbestrittener Vollmacht über die Handwerks (oder Grund-)Freimaurerei (das sind die symbolischen Grade des Angenommenen Lehrlings, Gesellen und Meister-Maurers) innerhalb ihrer Zuständigkeit und in keiner Weise unterworfen sein unter oder die Herrschaft teilend mit irgendeiner Körperschaft (Punkt 2). Freimaurer ihrer Zuständigkeit müssen Männer sein, und sie und ihre Logen dürfen keine maurerische Verbindung zu Logen haben, die Frauen als Mitglieder aufnehmen (Punkt 3). Freimaurer innerhalb ihrer Zuständigkeit müssen an ein höchstes Wesen glauben (Punkt 4). Alle Freimaurer ihrer Zuständigkeit müssen ihre Verpflichtungen auf oder im vollem Anblick des Buches des heiligen Gesetzes (das ist die Bibel oder das Buch, das von dem betreffenden Mann als heilig erachtet wird) ablegen (Punkt 5). Die drei großen Lichter der Freimaurerei (das sind das Buch des heiligen Gesetzes, das Winkelmaß und der Zirkel) müssen aufgelegt sein, wenn die Großloge oder ihre ihr unterstellten Logen geöffnet sind (Punkt 6). Die Diskussion über Religion und Politik innerhalb der Logen muß verboten sein (Punkt 7). Sie muß die festgelegten Grundsätze und Lehrsätze (die ,Alten Landmarken‘50) und die Gebräuche des Handwerks befolgen und darauf bestehen, daß sie innerhalb ihrer Logen befolgt werden (Punkt 8).“51

1.3 Freimaurerei in Deutschland

Eine vertiefte Darstellung der bewegten Geschichte der Freimaurerei in Deutschland, insbesondere während der Zeit des Nationalsozialismus und der Deutschen Demokratischen Republik kann der Umfang der vorliegenden Arbeit nicht leisten. Im Folgenden ist zunächst auf die erste Loge auf deutschem Boden zu verweisen und aufgrund ihrer Bedeutung für das zu untersuchende Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Freimaurerei, die Zusammensetzung der Vereinigten Großlogen (VGL), mit deren Abgesandten die Deutsche Bischofskonferenz von 1974 bis 1980 Gespräche führte, darzustellen. Da die Ritualistik das Konstitutivum der Freimaurerei ist und zugleich heftig von der Deutschen Bischofskonferenz in ihrer Stellungnahme kritisiert wurde, wird ihrer exemplarischen Darstellung breiter Raum gegeben.

1.3.1 Absalom zu den drei Nesseln (1737) – Anfänge der Freimaurerei in Deutschland

20 Jahre nach dem Zusammenschluss von vier bzw. fünf englischen Logen zur ersten englischen Großloge, für den bedauerlicherweise keine Gründungsurkunde überliefert ist, fasste die Freimaurerei erstmals Fuß auf deutschem Boden. Am 6. Dezember 1737 gründen Freimaurer, die bereits in britischen Logen initiiert wurden, im Gasthaus Taverne d‘Angleterre die Loge d‘Hambourg, die seit 1764 unter dem Namen Absalom zu den drei Nesseln1 bis heute besteht. Dank der hervorragenden Quellenlage sind die Gründer der ersten deutschen Loge namentlich bekannt: der niedersächsische Baron Georg Ludwig Freiherr von Oberg, der Arzt Peter Casper, Peter Stüven, zunächst Advokat und später braunschweigischer Legionatsrat, sowie der Importkaufmann Johann Daniel Krafft, Johann Daniel Schultze, und der Besitzer der Taverne d‘Angleterre, Jens Arbien. Zu den Gründern gehörte zudem der spätere Stuhlmeister der Berliner Loge „Zu den drei Weltkugeln“ (aus der die heutige Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ hervorging), Charles Sarry, der weithin als Vater der deutschen Freimaurerei bezeichnet wird2. Die Societé des acceptés maçons libres de la ville de Hambourg, wie sich die Loge d‘Hambourg zunächst nannte, unterstand organisatorisch der Großloge von England und arbeitete entsprechend nach ihrem Ritual.3

1.3.2 Freimaurerei in Deutschland heute

Der Rahmen der vorliegenden Arbeit lässt eine Auseinandersetzung mit allen Vereinigungen, die sich als freimaurerisch definieren, nicht zu. Zwar ist die kirchenrechtliche Einordnung der Mitgliedschaft in solchen Vereinigungen von hoher Relevanz für die Betroffenen4. Allerdings liegt es nahe, sich thematisch auf die reguläre, d.h. die durch die United Grand Lodge of England anerkannte, Freimaurerei zu beschränken, die ohnehin prozentual den größten Teil der Freimaurerei ausmacht. Die Gespräche der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) mit Vertretern der Freimaurerei in den Jahren 1974-1980 fanden zudem ausschließlich mit Abgesandten regulärer Großlogen statt. Da auch diese Gespräche Bestandteil der vorliegenden Untersuchung sind, soll der Fokus wesentlich auf den Vereinigten Großlogen von Deutschland, insbesondere der darin vertretenen Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (AFAM) liegen. In den den Gesprächen zwischen DBK und Freimaurerei folgenden Diskussionen brachte Sebott zur Sprache5, dass „das Festhalten am Gottesglauben als unerläßlicher Bedingung zur Initiation […] für die Freimaurerei gefährlich und dazu unnötig“6 sei. Die Frage des Gottesglaubens in der Freimaurerei ist historisch betrachtet die Ausgangsproblematik7 zwischen UGLE und dem Grand Orient de France (GOdF), der zahlenmäßig größten und zugleich irregulären Spielart der Freimaurerei in Frankreich. Auf Initiative von Frédéric Desmons, einem protestantischen Geistlichen, wurde der Gottesbezug aus dem Ritual gestrichen und zwar mit der Begründung, die Freimaurerei müsse – wenn sie die von ihr propagierte Toleranz ernst nimmt – auch die negative Religionsfreiheit innerhalb ihrer Reihen gewähren. Als Konsequenz für die Ritualgestalt ergab sich z.B. hieraus die Ablösung der Bibel durch ein Buch mit unbedruckten Seiten. Fragt man also nach der Kompatibilität von Freimaurerei und Kirche, wird man das weltanschauliche Profil der zu bewertenden Großloge bzw. des Großorients berücksichtigen müssen. Der Grand Orient de France ist aufgrund seiner hohen Mitgliederzahl eine Ausprägung irregulärer Freimaurerei, deren gesonderte Betrachtung lohnenswert und angemessen wäre. Diese Arbeit hat allerdings weder den GOdF noch andere, auch in Deutschland, in numerisch insignifikantem Maße auftretende, Erscheinungsformen irregulärer Freimaurerei zum Inhalt.

Die in Deutschland vertretenen Großlogen sind zusammengefasst in den Vereinigten Großlogen von Deutschland8 (VGLvD bzw. VGL) deren Gründung am 19.06.1949 stattfand. Derzeit sind in der VGLvD fünf Großlogen vertreten. Diese sind die:

Großloge der Alten Freien und angenommenen Maurer von Deutschland (A.F.u.A.M.v.D bzw. AFAM).Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland, auch Freimaurerorden (GLvD bzw. FO).Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ (3WK).American Canadian Grand Loge (ACGL).