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Zu schön, um tot zu sein: „Fremdkörper“ von Renate Kampmann – jetzt als eBook bei dotbooks. Auf dem Dachboden eines Hamburger Mietshauses wird die mumifizierte Leiche einer attraktiven jungen Frau gefunden. Nichts deutet auf ein Gewaltverbrechen hin. Doch Rechtsmedizinerin Leonie Simon glaubt nicht an einen natürlichen Tod. Denn warum drängt die Mutter der Frau, eine einflussreiche Staatsanwältin, plötzlich darauf, das Verfahren einzustellen? Während Leonie auf immer mehr Ungereimtheiten in der Vergangenheit der Toten stößt, versetzt ein Heckenschütze ganz Deutschland in Angst und Schrecken. Stehen diese Verbrechen in Zusammenhang? Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Fremdkörper“ von Renate Kampmann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag. Die Presse über Renate Kampmann: „Dr. Leonie Simon, Rechtsmedizinerin – wenn Renate Kampmann sie nicht erfunden hätte, würde sie in der deutschen Krimi-Landschaft fehlen!“ Doris Gercke „Besser als Patricia Cornwell.“ Bild am Sonntag „Nichts für schwache Nerven.“ FREUNDIN
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Seitenzahl: 528
Über dieses Buch:
Auf dem Dachboden eines Hamburger Mietshauses wird die mumifizierte Leiche einer attraktiven jungen Frau gefunden. Nichts deutet auf ein Gewaltverbrechen hin. Doch Rechtsmedizinerin Leonie Simon glaubt nicht an einen natürlichen Tod. Denn warum drängt die Mutter der Frau, eine einflussreiche Staatsanwältin, plötzlich darauf, das Verfahren einzustellen? Während Leonie auf immer mehr Ungereimtheiten in der Vergangenheit der Toten stößt, versetzt ein Heckenschütze ganz Deutschland in Angst und Schrecken. Stehen diese Verbrechen in Zusammenhang?
Die Presse über Renate Kampmann:
„Dr. Leonie Simon, Rechtsmedizinerin – wenn Renate Kampmann sie nicht erfunden hätte, würde sie in der deutschen Krimi-Landschaft fehlen!“ Doris Gercke
„Besser als Patricia Cornwell.“ Bild am Sonntag
„Nichts für schwache Nerven.“ FREUNDIN
Über die Autorin:
Renate Kampmann, geboren 1953 in Dortmund, studierte Germanistik und Geschichte. Sie war Dramaturgie-Assistentin bei Peter Zadek am Bochumer Schauspielhaus, arbeitete als Journalistin, Hörspiel-Redakteurin und TV-Producerin. Seit 1995 lebt sie als freie Schriftstellerin in Hamburg. Sie schrieb unter anderem Drehbücher für die TV-Serien Bella Block, Doppelter Einsatz und Das Duo.
Bei dotbooks erscheint Renate Kampmanns Krimi-Reihe rund um Rechtsmedizinerin Dr. Leonie Simon, die folgende Bände umfasst:
Die Macht der Bilder. Ein Leonie-Simon-Roman
Schattenreich. Ein Leonie-Simon-Roman
Fremdkörper. Ein Leonie-Simon-Roman
***
Neuausgabe Oktober 2015
Copyright © 2005 by Kindler Verlag GmbH, Berlin
Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von thinkstock/istock/boule 13
ISBN 978-3- 95824-237-1
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Renate Kampmann
Fremdkörper
Ein Leonie-Simon-Roman
dotbooks.
DER SOMMER WAR ungewöhnlich heiß in jenem Jahr. Die Presse, die Superlative liebte, erklärte ihn zum Jahrhundertsommer, kaum dass das neue Jahrhundert angefangen hatte.
In einer süddeutschen Kleinstadt zeigte das Thermometer schon um zehn Uhr morgens 28 Grad im Schatten. Der Labradorwelpe, der angebunden neben der Eingangstür des Supermarkts kauerte, hechelte zum Erbarmen. Eine ältere Angestellte, kenntlich durch Kittel und Namensschild, kam mit einer Wasserschale aus dem Laden und stellte sie dem kleinen Hund hin. Gierig begann er, das Wasser zu schlabbern. »Ja, das tut gut, mein Süßer, was?«, flötete die Frau und streichelte den mageren Körper des Tieres.
Eine junge Frau bugsierte mühsam einen vollen Einkaufswagen durch die sich nicht automatisch öffnende Ausgangstür des Supermarktes. Im Kindersitz vor ihr schwankte ein etwa zehn Monate altes Baby, das ein Milchbrötchen mit beiden Händen umklammert hielt. Sie steuerte auf die Supermarktangestellte zu. »Was machen Sie mit meinem Hund?«
Auf dem großen und noch halb leeren Parkplatz stand ein grauer Nissan Geländewagen. Das geschlossene Innere durchzogen Rauchschwaden, eine Hand drückte eine Zigarette im bereits überquellenden Aschenbecher aus. Auf dem Beifahrersitz lag ein Gewehr. Keines von der gängigen Art, ungewöhnlich, und ungewöhnlich gut gepflegt.
»Ich hab ihm nur etwas Wasser gegeben. Bei der Hitze sollten Sie den Kleinen nicht in der prallen Sonne warten lassen.«
»Er wird's überleben.« Die junge Frau sah die ältere spöttisch an. »Aber danke für das Wasser.«
»Wie goldig. Ist das ein Junge oder ein Mädchen?« Eine Hochschwangere stoppte ihren Einkaufswagen und streckte entzückt ihre Hand nach dem Baby der anderen aus. Noch bevor ihre Fingerspitzen das weiche Haar des Kindes berühren konnten, fiel ein Schuss.
Die junge Mutter brach lautlos zusammen. Hirn und Knochensplitter spritzten nach allen Seiten. Ihr Baby ließ das Milchbrötchen fallen und fing an zu schreien.
Der graue Nissan rollte gemächlich vom Parkplatz.
In Hamburg brütete die Hitze zwischen den Mauern der Innenstadt und verwandelte den Asphalt in Knetgummi. Wer konnte, saß in einem der Straßencafés und verhalf den Getränkeproduzenten zu einer satten Umsatzsteigerung.
Auf dem Dachboden eines Eimsbütteler Mietshauses lag eine Frau, die schon lange nichts mehr getrunken hatte. Drei Jahre, vier Monate und neun Tage, um genau zu sein. Die heiße, trockene Luft vibrierte, und der Lichtstrahl, der über den eingesunkenen Brustkorb der Frau kroch, zitterte, als ob er sich vor ihr fürchtete. Eine Fliege taumelte über sie hinweg. Vielleicht eine Nachfahrin der Generation, die aus den wenigen Puppen geschlüpft war, die wie kleine Lockenwickler in ihren ausgebreiteten Haaren saßen. Es war sehr still auf dem Dachboden, still und friedlich. Die Frau lag da und wartete. Sie würde noch ein weiteres Jahr warten müssen, aber das war ihr egal. Sie war nicht ungeduldig. Sie hatte alle Zeit der Welt.
IM SCHLAFZIMMER war es warm und stickig. Leonie Simon erwachte, weil sie schwitzte. Und weil es zu hell war. Sie war erst spät zu Bett gegangen und hatte, todmüde, wie sie war, die Vorhänge nicht vollständig zugezogen. Ihr Kopf schmerzte leicht, der Sekt hatte sich wohl nicht mit dem Rotwein vertragen, und es dauerte einen Moment, bis ein Gedanke sich den Weg in ihr Bewusstsein bahnen konnte. Wieso hatte der Wecker nicht geklingelt? Die Sonne erreichte ihr Schlafzimmerfenster zu dieser Jahreszeit nicht vor halb acht. Ächzend drehte sie sich um und öffnete ein Auge. Die Digitalanzeige ihres Radioweckers war erloschen. Hatten die Batterien schlappgemacht? Unsinn. Der Wecker war ans Netz angeschlossen. Das war wieder typisch. Noch keine drei Jahre alt und schon kaputt. Heutzutage war alles auf Verschleiß produziert.
Leonie nahm alle Kraft zusammen und sprang aus dem Bett. Wenn sie verschlafen hatte, wurde es höchste Zeit. Den ersten Termin des Tages hatte sie wahrscheinlich schon verpasst. Sie zog die Vorhänge auf und blinzelte in die grelle Morgensonne. Dieser Sommer versprach so lang und tropisch zu werden wie der letzte. Irgendetwas störte sie plötzlich. Ein Geräusch. Ein unregelmäßiges Tröpfeln. Sie ging zur Schlafzimmertür und öffnete sie. Das Bild, das sich ihr bot, traf auf ihre Netzhäute und sauste den Sehnerv entlang in ihr Gehirn. Leonie schloss die Augen. Das konnte nur ein verspäteter Albtraum sein. Sie versuchte es erneut. Es hatte sich nichts geändert. Sie blickte in eine Badelandschaft. Wasser tropfte von den Decken, lief in feinen Strömen die Wände entlang und bedeckte knöcheltief die Fußböden ihrer Wohnung. Mit Ausnahme des Schlafzimmers, was an der schlampigen Arbeit der Polnisch sprechenden Schwarzarbeiter, die das Haus gebaut hatten, liegen musste. Es gab in keiner Wohnung gerade Fußböden.
Irgendwo inmitten des Seengebietes klingelte Leonies Handy. Sie beachtete es nicht. Paralysiert stand sie eine Ewigkeit auf der Schwelle ihres trocken gebliebenen Schlafzimmers, dann watete sie los. Das Handy hatte inzwischen aufgehört zu klingeln.
Fassungslos registrierte sie die Schäden, die das Wasser angerichtet hatte. Teppiche und Bilder hatten am schwersten gelitten. Der Parkettboden kam an einigen Stellen bereits hoch. Im Eingangsflur funkte es aus dem Sicherungskasten. Eine ungeheure Wut stieg in Leonie hoch. Sie riss die Wohnungstür auf und rannte im Schlafanzug und immer drei Stufen auf einmal nehmend ins Stockwerk über ihr. Mit beiden Fäusten trommelte sie an die Tür der Nachbarn, die über ihr wohnten. Ein erschrocken aussehender junger Mann öffnete die Tür.
Er hielt einen Wischlappen in der Hand.
»Alles klar, Frau Simon. Wir haben's schon gemerkt. Der Waschmaschinenschlauch. Ist aber alles wieder in Ordnung.«
»Was reden Sie für ein Blech?«, brüllte Leonie. »Gar nichts ist in Ordnung. Meine Wohnung ist ein Aquarium. Kommen Sie sofort runter.«
Sie stürmte wieder nach unten. Ihr Nachbar und seine Freundin folgten mit betretenen Gesichtern. »O Gott«, sagten beide wie aus einem Mund, als sie die Katastrophe sahen.
Immer noch kochend vor Zorn, raffte Leonie Jeans und T-Shirt zusammen, verschwand kurz im Bad und zog sich an. Ihr Handy klingelte wieder. Sie fischte es von einer Kommode herunter.
»Simon«, bellte sie ins Telefon. »Ich weiß, dass ich zu spät bin. Und ich habe einen sehr guten Grund dafür.« Sie funkelte ihre Nachbarn böse an. »Auch das noch. Wo muss ich hin? Natürlich kenne ich die Roonstraße. Ist ja praktisch bei mir um die Ecke.«
Leonie patschte barfüßig ins Arbeitszimmer, fischte ihre Zweitschlüssel aus einer Schublade und drückte sie den immer noch hilflos mitten im Wohnzimmer stehenden Nachbarn in die Hand.
»Während ich das tue, wofür ich bezahlt werde, rufen Sie erstens den Notdienst der HEW an. Die sollen sofort jemanden schicken, der meiner Wohnung den Saft abdreht, damit es nicht noch einen Brand gibt. Zweitens wischen Sie diese Schweinerei auf. Drittens informieren Sie Ihre Versicherung und den Hausmeister. Und viertens und letztens buchen Sie mir ein hübsches Hotelzimmer, auf Ihre Kosten natürlich. Diese Bude hier ist nämlich für mindestens ein oder zwei Wochen unbewohnbar.«
Leonie angelte im Flur ein Paar Sandalen aus der Brühe, ihre Handtasche von der Garderobe und verließ die Wohnung, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Trotz der frühen Morgenstunde war es auf dem Dachboden des Altbaus glühend heiß. Kriminalhauptkommissar Kaminski, sein Kollege Stein und die Frauen und Männer von der LKA-Spurensicherung arbeiteten mit hochroten Köpfen. Als Leonie von einem Uniformierten in die Dachstube geleitet wurde, zerrte Kaminski gerade am Reißverschluss seines weißen Spezialanzugs, was ihm einen tadelnden Blick eines Kriminaltechnikers eintrug. Leonie stellte ihren Tatortkoffer auf eine wackelige Kommode neben dem Eingang. Ihr Blick wurde sofort von der Leiche angezogen, die halb liegend, halb sitzend an einem Ledersessel lehnte.
»Ihre Hosenbeine sind nass«, stellte Kaminski fest.
»Was Sie nicht sagen.« Leonie trat neben die reglose Gestalt. Obwohl die Frau vollständig mumifiziert war und aussah, als wäre sie gerade einer altägyptischen Grabkammer entstiegen, waren die Spuren ihrer einstigen Schönheit noch kenntlich.
»Hallo, meine Schöne«, murmelte Leonie und ließ sich auf ein Knie nieder. Sie wandte den Blick nicht von der Toten, während sie ihre Latexhandschuhe überstreifte. »Was ist denn mit dir passiert?«
»Das wüsste ich auch gern«, sagte Kaminski. »Und vor allem wann? In welchem Jahrhundert?«
Leonie antwortete nicht. Vorsichtig begann sie mit der Untersuchung der Mumie.
Die Tote war barfüßig, aber mit einer schwarzen Jogginghose und einer ehemals hellen Leinenbluse bekleidet, die, wie Leonie nebenbei registrierte, falsch geknöpft war. Zu Lebzeiten war die Frau vermutlich gertenschlank und etwa mittelgroß gewesen. Ihr langes, dunkelbraunes Haar lag zum Teil ausgebreitet auf der Sitzfläche des Sessels. In den Haaren klebte eine Hand voll Puppen von Schmeißfliegen, die kurz nach Todeseintritt ihre Eier in Augen- und Mundwinkeln der Verstorbenen ablegten. Die natürliche Mumifikation der Leiche war aber offensichtlich so schnell erfolgt, dass kaum Madenfraß stattgefunden hatte. Leonie riss sich vom Anblick der perfekt geformten Gesichtsknochen los und suchte nach Zeichen für einen gewaltsamen Tod. Die braune, ledrig-harte Haut machte ihre Suche schwierig, Verfärbungen und Hautdefekte waren nicht leicht zu erkennen oder zu bewerten. Weder Kopf noch Hals zeigten offensichtliche Verletzungen. Für weitere Untersuchungen musste der Leiche die Kleidung heruntergeschnitten werden, was im Institut besser zu bewerkstelligen war.
Leonie erhob sich und begegnete Kaminskis Blick, der geduldig abgewartet hatte.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, woran sie gestorben sein könnte. Noch nicht, jedenfalls.«
Sie trat zur Seite, um dem Polizeifotografen Gelegenheit zu geben, die Leiche von allen Seiten abzulichten.
»Und um Ihre erste Frage zu beantworten: Es ist möglich, dass sie zur Jahrhundertwende bereits hier oben lag.«
Eine Kriminaltechnikerin, die neben der Leiche hockte, griff unter den Sessel und holte ein Fünfmarkstück hervor, danach mit äußerster Vorsicht ein zusammengeknülltes Papiertaschentuch, das zwischen einem Sesselbein und der Toten eingeklemmt war. Sie verstaute beides in Tüten.
Kaminski sah ihr dabei zu, dann wandte er sich wieder an Leonie. »Könnte die Kühn den Zeitraum eingrenzen?«
Dr. Kühn war eine forensische Entomologin, mit der Leonie gelegentlich zusammenarbeitete.
»Kaum. Es hat so gut wie kein Madenfraß stattgefunden, nur in einer Generation. Man könnte beinahe von primärer Mumifikation sprechen.«
Bei primärer Mumifikation erfolgt die Austrocknung einer Leiche so schnell, dass Fäulnisprozesse und Madenfraß unterbleiben. Eine so gut erhaltene Mumie bekam Leonie nicht oft zu Gesicht. Sie sah sich um. Der Dachboden war eine Holzkonstruktion. Zwei kleine, schlecht schließende Dachluken ließen Zugluft herein. Auch der Boden bestand aus Holzdielen, die für Belüftung von unten sorgten. Die Luft war extrem trocken, und ein Kamin, wenig mehr als einen halben Meter von der Leiche entfernt, sorgte auch im Winter für Wärme. »Ideales Klima«, sprach Leonie ihre Gedanken aus. Dann betrachtete sie wieder die Leiche. »Was hat sie wohl hier oben gewollt?«
Kaminski zuckte mit den Schultern. »Wir überprüfen gerade die Mietparteien. Sieht aber nicht so aus, als ob einer sie kennt. Der Hausmeister hat die Leiche zufällig gefunden.«
»Wem gehören denn die Sachen hier?« Leonie klopfte auf einen Servierwagen, der seinen letzten Auftritt in den frühen Sechzigern gehabt haben konnte.
»Wusste der Hausmeister nicht. Die Mieter haben keine Schlüssel für den Bodenraum. Der ganze Krempel dürfte eigentlich gar nicht da sein.«
»Die Leiche auch nicht«, sagte Leonie und griff nach ihrem Koffer.
Bevor sie ins Institut fuhr, wollte Leonie in ihrer Wohnung nach dem Rechten sehen. In der Tiefgarage lief ihr der Mann von den Hamburger Elektrizitätswerken über den Weg. Er kam aus dem Raum mit den Stromzählern für jede der dreizehn Wohnungen des Gebäudes, wo er die Zufuhr zu Leonies Wohnung unterbrochen hatte. Solange der Schaltkasten in ihrer Wohnung nicht völlig abgetrocknet war, konnte der Strom nicht wieder angestellt werden.
»Zwei bis drei Tage müssen Sie schon rechnen, junge Frau. Und immer schön lüften.«
Leonie ging zum Fahrstuhl und dachte, im Rückblick werde dieser Wasserschaden vermutlich irgendwann das Zeug zu einer hübschen kleinen Anekdote haben. Im Moment war ihr allerdings nicht nach Lachen zumute. Die Tür zu ihrer Wohnung stand sperrangelweit offen, als sie den Aufzug im vierten Stock verließ. Sie blieb auf der Schwelle stehen und zog ihre Sandalen aus, eine unnötige Vorsichtsmaßnahme, wie sich herausstellte. Ihre Nachbarn hatten das Wasser bis auf den letzten Tropfen von Boden und Möbeln gewischt. Trotzdem herrschte ein Klima wie im tropischen Regenwald.
Mitten im Wohnzimmer stand der Hausmeister, wie immer mit seinem üblichen langärmeligen grauen Arbeitskittel bekleidet. Er klopfte mit der Spitze seiner Birkenstock-Sandale auf ein Parkettholz, das einen hohlen Ton von sich gab.
»Alles locker«, sagte der Hausmeister und sah Leonie betrübt an. »Schade um den schönen Holzboden und um den Teppich.«
Er meinte Leonies chinesische Seidenbrücke, die als formloser Klumpen in einer Zimmerecke lag und langsam die Farbe wechselte. Leonies Wut stieg wieder hoch.
»Ist der Vermieter schon informiert?«, wollte sie vom Hausmeister wissen und bemühte sich, freundlich zu bleiben. Der Mann konnte schließlich nichts dafür, dass ihre Nachbarn Idioten waren.
»Natürlich. Die schicken morgen einen Fachmann für Gebäudeschäden vorbei. Der guckt sich das hier genau an und macht einen Kostenvoranschlag für die Versicherung.«
»Ist das alles?«
»Nein, nein. Heute Nachmittag kriegen Sie eine Trocknungsanlage in die Wohnung. Da werden überall Löcher in den Fußboden gebohrt und Schläuche unter dem Parkett verlegt. In jedes Zimmer kommt so eine Art Turbine, die heiße Luft in die Schläuche bläst. In spätestens drei Wochen ist das Holz wieder trocken. Vorher kann der Maler sowieso nichts machen. Die Wände müssen ja auch abtrocknen.« Er deutete auf den Fenstersturz über der Balkontür. »Da bröckelt's schon. Da muss vorher noch der Maurer ran. Und zum Schluss der Parkettleger. In zwei Monaten haben Sie's hinter sich.«
Zwei Monate. Leonie hätte jetzt gern einen kräftigen Schluck aus der Grappaflasche genommen, die noch von ihrem letzten Geburtstag übrig war.
»Wer bezahlt das alles?«
»Die Gebäudeversicherung. Wegen Ihrer privaten Sachen müssen Sie sich natürlich an die Versicherung Ihrer Nachbarn wenden.« Er seufzte. »Sie glauben nicht, wie oft ich solche Fälle schon erlebt habe. Die Waschmaschinen-Nummer ist sozusagen Standard. Ach, ehe ich's vergesse: Ihre Schlüssel soll ich Ihnen von Ihren Nachbarn zurückgeben.«
Leonie blieb allein in ihrer Tropfsteinhöhle zurück und sah sich ein wenig hilflos um. Es gab nicht viel, was sie tun konnte. Sie nahm die Bilder von den Wänden und teilte sie auf in gar nicht, kaum oder total beschädigt. Dann packte sie ein paar Sachen in eine Reisetasche. Die nächsten Tage würde sie in einem Hotel verbringen müssen, auf wessen Kosten auch immer.
Im Institut für Rechtsmedizin der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf herrschte sommerliche Schläfrigkeit. Viele der Institutsmitarbeiter machten Urlaub, ebenso die Studenten. Auch Professor Cordes, der Direktor, sah nur gelegentlich zwischen zwei Golfpartien herein. Der kleine Parkplatz war dementsprechend leer, als Dr. Leonie Simon die Einfahrt passierte. Sie parkte zwischen der Familienkutsche, die Dr. Gabriel seiner inzwischen vier Kinder wegen fuhr, und Hauptkommissar Kaminskis Motorrad. Leonie entstieg einem fast neuen Golf, dem Nachfolger eines sehr betagten Wagens gleicher Marke, den sie vor einigen Monaten zu Schrott gefahren hatte. Ihre Kollegen fanden ihre Wahl ein wenig phantasielos und hatten sie, je nach persönlichem Geschmack, zu BMW, Volvo oder Citroën überreden wollen. Aber für Leonie waren Autos weder Statussymbole noch Ausdruck einer Lebensphilosophie, sondern reine Gebrauchsgegenstände. Der Golf ließ sich gut fahren und war ein sehr praktisches Auto mit großem Stauraum. Mehr verlangte sie nicht.
Frau Thiele fütterte gerade Othello, Leonies kleinen schwarzen Kater, als sie ihr Vorzimmer betrat. Ein Blick ihrer Sekretärin genügte, um Leonie klar zu machen, dass eine Entschuldigung von ihr erwartet wurde. Sie stellte ihre Reisetasche auf einen Stuhl.
»Tut mir Leid, dass ich heute Morgen am Telefon so gereizt war. Als Sie anriefen, stand ich gerade knöcheltief im Wasser.«
Versöhnt lauschte Frau Thiele ihrem Bericht und erbot sich, ihr ein Hotel für die nächsten Tage zu besorgen. Leonie nahm dankend an und ging auf die Suche nach Kaminski. Sie fand ihn im Büro ihres Kollegen Hinrichs, mit dem er hin und wieder über Motorräder fachsimpelte und Schallplatten aus der Zeit austauschte, als Musik noch mit der Hand gemacht wurde.
»Haben die Herren Lust auf die Obduktion einer mumifizierten Leiche, oder soll ich schon mal allein anfangen?«
Hinrichs machte keine Anstalten, sich zu erheben. »Das wäre doch eine schöne Aufgabe für einen unserer unverbrauchten, ehrgeizigen Assis.«
Kaminski klopfte ihm auf die schmale Schulter. »Du solltest öfter mal mit mir in meine Muckibude kommen, ein paar Gewichte stemmen, ein bisschen Squash, dann klappt's auch mit den Mumien.«
»Ich trainiere meine grauen Zellen. Das solltest du mal versuchen.« Hinrichs wandte sich seinem Computermonitor zu und rief eine Datei auf. Kaminski folgte Leonie auf den Gang. Zusammen gingen sie zum Eingang des Sektionstraktes.
Im Röntgenraum fanden Leonie und Kaminski die mumifizierte Tote. Heidi Zenker, die ältere von neuerdings zwei weiblichen Präparatoren, hatte die Leiche in Empfang genommen und die Aufnahmen bereits angefertigt. Jetzt schob sie die Leiche in den mittleren der drei Obduktionsräume, während Leonie aufmerksam die Röntgenbilder betrachtete. Kaminski versuchte, ihr über die Schulter zu sehen, wozu er sich auf die Zehenspitzen stellen musste.
»Ich sehe nichts.«
»Tja, ich auch nicht. Jedenfalls nichts Entscheidendes.« Leonie tippte auf eine Aufnahme, die Unterschenkel und Füße zeigte. »Die Frau hat sich mal zwei Zehen gebrochen. Längst verheilt.«
»Wie alt mag sie sein?«, fragte Kaminski.
»Das kann ich Ihnen sogar ziemlich genau sagen.« Leonies rechter Zeigefinger fuhr über eine sehr schöne Aufnahme des Brustkorbs. »Die fünf Knochenkerne des Brustbeins sind vollständig miteinander verschmolzen und verknöchert. Das passiert etwa bis zum 22. Lebensjahr, kann auch mal ein oder zwei Jahre länger dauern. Die Verschmelzung der Knochenkerne der Rippenköpfchenepiphysen beginnt circa ab dem 17. Lebensjahr, und zwar zuerst bei den oberen und unteren Rippen, zuletzt bei der vierten bis neunten Rippe. Mit dem 24. oder 25. Lebensjahr ist die Verknöcherung meist abgeschlossen. Das ist hier noch nicht der Fall. Schauen Sie.«
»Das heißt, die Frau ist nicht jünger als 22 und nicht älter als 24?«
»Na, sagen wir mal, nicht jünger als 20 und nicht älter als 27.«
Kaminski starrte auf die Röntgenaufnahmen. »Sonst noch was?«
»Kein Hinweis auf Einwirkung von Gewalt.«
»Kann man nichts machen.«
Auf dem Weg in den größten der drei neuen Obduktionsräume sah Kaminski Leonie von der Seite an und schien etwas sagen zu wollen, räusperte sich aber nur.
»Also fragen Sie schon«, forderte Leonie ihn auf. »Ihre Neugierde bringt Sie doch sonst um.«
Kaminski räusperte sich ein zweites Mal. »Ich hab mich bloß gefragt, wieso Sie vorhin klatschnasse Hosenbeine hatten.«
Leonie drückte auf den automatischen Türöffner des Sektionssaals und erzählte ein zweites Mal an diesem Morgen die Geschichte ihrer häuslichen Sintflut. Heidi Zenker, die vorsichtig die Kleidung der Mumie aufschnitt und in einer Papiertüte der Spurensicherung verstaute, die Kaminski ihr zureichte, zog ein mitfühlendes Gesicht. Kaminski nahm die Sache von der heiteren Seite.
»Sauber ist es jedenfalls jetzt bei Ihnen.«
Leonie ignorierte seine Bemerkung und trat an den Stahltisch. Heidi Zenker legte, einer OP-Schwester gleich, das Sezierbesteck griffbereit, diesmal zwei unterschiedlich große Sägen. Die Tür öffnete sich wieder, und Dr. Arne Matschoss, einer der frisch gebackenen Fachärzte des Instituts, betrat den Raum.
»Ach du meine Güte«, sagte Matschoss. »Das sieht nach Arbeit aus.«
Die Haut vollständig mumifizierter Leichen ist so hart, dass man ihr nicht mehr mit Messern, sondern nur noch mit Sägen beikommen kann.
Leonie begann die äußere Leichenschau in ihr Diktiergerät zu sprechen. Während sie diktierte, untersuchte sie die entkleidete Tote gründlich. Ein forensischer Vorteil bei Mumifikation besteht darin, dass äußere Veränderungen ebenso gründlich konserviert werden wie die Leiche. Aber Leonie konnte keine Hinweise auf ein Tötungsdelikt wie zum Beispiel Strangfurchen am Hals oder Stichverletzungen finden. Eventuelle Unterblutungen wären der Braunfärbung der Haut zum Opfer gefallen. Matschoss griff nach der großen Säge und arbeitete verbissen an der Freilegung der Brust- und Bauchhöhle. Leonie betrachtete das Gesicht der Toten und die gut erhaltene, noch am Schädel festsitzende üppige dunkle Haarpracht.
»Nofretete, wahrscheinlich Nafteta gerufen. Altägyptisch für die Schöne die da kommt.«
»Wie bitte?« Kaminski hatte nur mit halbem Ohr zugehört.
»Ich dachte gerade an Nofretete, die schöne mitannische Prinzessin, die mit dem Pharao Amenophis IV. alias Echnaton verheiratet war.«
Kaminskis Blick wanderte von Leonie zur Mumie und zurück. »Sie haben ja eine blühende Phantasie. Das kommt vom vielen Lesen.«
»Schauen Sie sich das Gesicht doch mal richtig an. Sie hat wunderbar geformte Gesichtsknochen, sie muss eine Schönheit gewesen sein.«
Die Obduktion brachte zum Bedauern von Kaminski keine Todesursache zutage. Die inneren Organe der Bauch- und Brusthöhle waren teils zundrig zerfallen, teils nur noch als dunkelgraublaue Gewebsreste vorhanden. Im Schädel fanden sich einige Larven von Speckkäfern, die durch die von Maden zerfressenen Augenhöhlen eingedrungen sein mussten, und schwärzlich-grünliche, stark autolytische Hirnreste, die nicht mehr sezierfähig waren.
»Also können wir von einem natürlichen Tod ausgehen.« Kaminski griff nach seiner noch sehr dünnen Fall-Aktenmappe.
»Sagen wir's so«, korrigierte ihn Leonie. »Im Moment können wir nicht beweisen, dass es sich um einen nichtnatürlichen Tod handelt.«
»Eben. Und deswegen ist die Sache für mich erledigt. Wissen Sie, wie viele Fälle ich gerade auf dem Tisch liegen habe?«
Leonie zuckte mit den Schultern. Das Klagelied von der chronischen Überlastung kannte sie auch aus der Staatsanwaltschaft. Alle waren überarbeitet, sie auch. Aber das war kein Grund, schlampig zu arbeiten.
»Für einen natürlichen Tod wie Schlaganfall oder Herzinfarkt ist sie ein bisschen zu jung«, gab Matschoss zu bedenken.
»Kommt aber vor«, mischte sich Heidi Zenker ein.
Kaminski zwinkerte ihr zu. »Damit steht's zwei zu zwei.«
Leonie zog die Latexhandschuhe aus und warf sie in einen Abfalleimer. »Die Leiche trug weder Schuhe noch Strümpfe. Und es lag auch nichts neben ihr, jedenfalls nicht, als ich dazukam.«
Kaminski wusste, worauf sie hinauswollte. »Soweit ich bis jetzt weiß, gehört sie zu keiner Mietpartei im Haus. Aber wir sind mit den Befragungen noch nicht fertig. Und natürlich gehen wir die Vermisstenfälle der letzten Jahre durch. Ein Hinweis auf den ungefähren Todeszeitpunkt wäre allerdings eine echte Hilfe.«
Leonie hatte vor, eine Kollegin aus der Anthropologie um ihre Einschätzung zu bitten. Aber so schnell würde sie kein Ergebnis bekommen. Sie überließ die Leiche den beiden Kollegen und begleitete Kaminski zum Ausgang. Hinter der Glastür des Flures, an dem Leonies Büro lag, hockte Othello und gab klagende Töne von sich. Seit die Türen codegesichert und stets verschlossen waren, hatte er es nicht mehr so leicht, frei im Haus herumzustromern, was ihm überhaupt nicht gefiel. Leonie öffnete die Tür für ihn. Zum Dank rieb er seinen Kopf an ihrer Wade und begrüßte danach Kaminski, indem er ihm mit einem gewaltigen Satz auf die Schulter sprang und an seinem Ohr knabberte. Kaminski war der Einzige, der gelegentlich in den Genuss dieses akrobatischen Kunststücks kam. Laut Leonie lag das ausschließlich an seiner geringen Körpergröße, was Kaminski als Ausdruck von schierem Neid abtat und Eifersucht auf alle, die Othello öfter mit seiner Gunst beehrte als seine Herrin.
Kaminski pflückte sich den kleinen schwarzen Kater von der Schulter. »Soll ich ihn mit rausnehmen?«
»Lieber nicht. Wer weiß, wie lange er wegbleibt.«
Leonies Sekretärin hatte jedes Mal schlaflose Nächte, wenn Othello auf Wanderschaft ging.
»Und wegen Ihrer Wohnung ...« Kaminski machte eine Pause. »Also, falls Sie nicht wissen, wo Sie bleiben sollen in den nächsten Tagen ... Wenn Sie wollen, können Sie fürs Erste bei mir unterschlüpfen. Ich bin im Moment sowieso wenig zu Hause.«
Leonie wusste, warum. Kaminski war mal wieder frisch verliebt. Sein neuer Freund behauptete, Philosophie zu studieren, und verdiente anscheinend ziemlich viel Geld als Model für Unterwäsche. Kennen gelernt hatte Leonie ihn, als er zusammen mit Kaminski in dem Fitness-Club auftauchte, wo auch sie sich so oft wie möglich in Form brachte. Wer Jung-Siegfried-Typen mochte, würde Tim attraktiv finden. Er war höflich, freundlich und gebildet und gab sich alle Mühe, auf Leonie einen guten Eindruck zu machen. Trotzdem mochte sie ihn nicht. Natürlich hatte sie Kaminski das nicht gesagt. Sein Privatleben ging sie nichts an, sie waren schließlich nicht befreundet. Umso mehr wunderte sie sich über sein Angebot.
»Danke, Kaminski, das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber ich glaube, ich ziehe lieber in ein Hotel, solange bei mir Regenwaldklima herrscht.«
Eine halbe Stunde später bekam sie dasselbe Angebot von Dr. Paul Unruh, dem DNA-Experten des Institutes. Sie traf ihn in der Bibliothek der Universitätsklinik und stellte fest, dass sich ihr häusliches Missgeschick bereits herumgesprochen hatte.
»Was hast du erwartet?«, fragte Unruh und lächelte sie an.
Sie erwiderte sein Lächeln und wusste, dass er dasselbe dachte wie sie. Nur äußerster Vorsicht und Diskretion war es zu verdanken, dass ihrer beider Liebesverhältnis, das sie seit einigen Monaten unterhielten, noch nicht Stadtgespräch war. Es gab mindestens zwei Gründe für ihre Umsicht. Erstens war Paul verheiratet. Seine Frau hatte nach dem Tod des gemeinsamen Kindes einen Selbstmordversuch unternommen und nur knapp überlebt. Danach war sie zum Pflegefall geworden, und Paul war schließlich gezwungen, sie in ein Heim zu geben. Seine Schuldgefühle waren eine große Belastung für die Beziehung mit Leonie. Zweitens war Leonie nicht sicher, ob sie diese Beziehung überhaupt wollte. Die Umstände waren einfach so kompliziert.
»Paul, du weißt, dass ich nicht zu dir ziehen kann.«
Er sah sie prüfend an, nickte dann und wechselte das Thema. So war es fast immer. Über das, was sie am meisten bewegte, konnten sie nicht miteinander sprechen.
Zurück in ihrem Büro, servierte ihr Frau Thiele die schlechte Nachricht, dass es wegen diverser Kongresse und Messen nicht so leicht war, ein Hotel zu finden, das mehr als ein oder zwei Nächte frei war.
»Da ist zuerst Home & Garden vom 17. bis 20., dann die Hochschulkontaktmesse am 28. und 29., gleichzeitig läuft mehrere Tage der Internationale Kongress der Welttierärztegesellschaft, Sektion Schwein ...«
»Schon gut, Frau Thiele, ich glaube Ihnen«, unterbrach Leonie die Aufzählung.
»Natürlich werde ich's weiter versuchen. Aber falls nötig ... ich meine, wenn Sie wollen, könnte ich Ihnen mein Gästezimmer anbieten.«
Leonie lehnte den heroischen Vorschlag ihrer Sekretärin mit freundlichen Dankesworten ab, ebenso wie die anderen mehr oder weniger ehrlich gemeinten Angebote, die sie im Laufe des Tages noch bekam. Zur allerletzten Not würde sie ihr Nachtlager in ihrem Büro aufschlagen. Zu den Überbleibseln ihrer Studienzeit gehörte auch ein Thermoschlafsack, jedenfalls konnte sie sich nicht erinnern, ihn weggeworfen zu haben. Aber als sie am Nachmittag kurz zu ihrer Wohnung fuhr, um sich davon zu überzeugen, dass der Hausmeister den Mund nicht zu voll genommen hatte, als er den Einbau einer Trocknungsanlage noch am selben Tag versprach, traf sie außer den Handwerkern auch ihren zerknirschten Nachbarn an, der ihr gerade einen Zettel an die Tür heften wollte. In den nächsten Tagen werde sich jemand von seiner Haftpflichtversicherung bei ihr melden, um eine Aufstellung der beschädigten Gegenstände vorzunehmen. Und wenn sie wolle, habe er auch ein Hotel für sie. Wie Leonie bei dieser Gelegenheit erfuhr, war ihr Nachbar beim NDR-Hörfunk angestellt und hatte beste Beziehungen zu einem Hotel am Mittelweg, wo man ab sofort ein Zimmer für sie bereithielt. Die Rechnung würde ebenfalls seine Versicherung übernehmen. Zu diesem Angebot sagte Leonie sofort ja. Eine Nacht im Schlafsack war so verlockend auch wieder nicht.
Während sie sich mit ihrem Nachbarn unterhielt, schleppten die Trocknungsexperten drei große Maschinen in ihre Wohnung und begannen, überall Löcher ins Parkett zu bohren. Dieser Anblick war so deprimierend, dass Leonie froh war, die Leute in der Obhut des Hausmeisters zurücklassen zu können, der ihnen auch die Tür mit seinem Generalschlüssel geöffnet hatte.
Den Rest des Tages verbrachte sie mit dem Diktat von Gutachten und einer Besprechung mit einer Doktorandin. Zwischendurch hatte Kaminski vergeblich versucht, sie zu erreichen. Erst als sie ihr Büro verlassen wollte, fiel ihr ein, dass er um Rückruf gebeten hatte. Sie stellte ihre Reisetasche wieder ab und wollte zum Telefonhörer greifen, als es an ihrer Tür klopfte. Ohne ihre Antwort abzuwarten, betrat eine attraktive brünette Frau von Mitte fünfzig ihr Büro. Leonie kannte die Frau. Oberstaatsanwältin Dr. Sonja Gerhardt-Böttcher arbeitete als Hauptabteilungsleiterin bei der Hamburger Staatsanwaltschaft. Mit ihr und den ihr unterstellten Staatsanwälten hatten Leonie Simon und ihre Kollegen häufig zu tun. Dr. Gerhardt-Böttcher verzichtete auf die üblichen Begrüßungs- und Höflichkeitsfloskeln.
»Ich möchte meine Tochter sehen.«
Leonie sah sie verständnislos an. »Ihre Tochter?«
Das Telefon klingelte. Leonie griff automatisch zum Hörer.
»Entschuldigen Sie bitte. Ja?«
Es war Kaminski. »Doc, wir wissen jetzt, wer die Tote ist. Sie werden's mir nicht glauben, aber ...«
Leonie unterbrach ihn. »Ich rufe Sie gleich zurück.«
Sie legte den Hörer auf und sah die Oberstaatsanwältin an. Selbst am Ende dieses fürchterlichen Tages zuckte im makellos geschminkten Gesicht der Frau kein Muskel.
ES WAR SCHON nach zehn am Abend, als Leonie das kleine Hotel gleichen Namens am Mittelweg betrat. Die Rezeption war entgegen ihrer Befürchtung noch besetzt, und sie nahm erleichtert ihren Schlüssel entgegen. Alles, was sie jetzt wollte, war ein Bett. Das Hotel war von der gemütlich-plüschigen Sorte mit dicken Teppichen und geblümten Tapeten. Ihr Zimmer war klein, aber sie würde ohnehin nur zum Schlafen und Duschen herkommen. Sie entkleidete sich rasch und ließ ihre Sachen achtlos auf den Boden fallen. Im Bad betrachtete sie ihr blasses Gesicht. Sonja Gerhardt-Böttchers Gesicht hatte nicht einmal seine Farbe verloren, als sie auf die Mumie hinabsah, die einmal ihre Tochter gewesen war. So ruhig und kompetent, wie sie auch vor Gericht auftrat, stellte sie ihre Fragen, die Leonie, so gut sie konnte, beantwortete. Das hieß nicht zur Zufriedenheit der Oberstaatsanwältin.
»Sie wollte ein klares Ja oder Nein hören, nicht ein Vielleicht. Ich kann das schon verstehen.«
Leonie hatte sich danach im Fasan, einer Kneipe in der Nähe ihrer Wohnung, mit Kaminski auf ein Bier getroffen.
»Wie sind Sie auf Marlene Böttcher gekommen? Durch einen Nachbarn?«
»Sie steht seit über vier Jahren in der Vermisstenkartei, mit Adresse. Sie wohnte in einer Wohnung im obersten Stock. Außerdem haben wir einen Zettel in der Brusttasche ihrer Bluse gefunden.« Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche. »Das ist natürlich eine Kopie.«
»Hallo, Marlene, denk an den Reiseführer. Wir sehen uns morgen Abend. Love N.«, las Leonie halblaut vor. »Wer ist N.?«
»Wir arbeiten daran.«
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