5,99 €
WEIHNACHTEN MIT CHRISTINE NÖSTLINGER Ein Buch für die ganze Familie! Vom Weihnachtskarpfen, von Buntpapierketten, vom letzten Winter vor Kriegsende und vom ultimativen Beweis, dass es das Christkind tatsächlich gibt. Die große Autorin Christine Nöstlinger erzählt Geschichten und Gedichte, wie man sie sich wünscht: witzig, nachdenklich, ironisch – von Weihnachten heute, wie es früher einmal war und wie es sein sollte. Mit Vignetten von Christina Bretschneider
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 81
Christine Nöstlinger
Fröhliche Weihnachten, liebes Christkind!
Mit Vignetten von Christina Bretschneider
FISCHER E-Books
Advent, Advent,
das Christkind rennt
müde und matt
durch die Stadt,
kommt nicht zum Verschnaufen,
muss eine Hose für mich kaufen.
Bin aber leider kürzer als breit,
und so braucht’s halt viel Zeit,
bis es eine Hose findet, die mir passt.
Hoffe, dass ’s mich deswegen nicht hasst!
Der Nikolaus bringt nur den braven Kindern Zuckerln, Schokolade, Äpfel, Nüsse, Kekse und Mandarinen, den schlimmen Kindern bringt er ein Sackerl mit Erdäpfeln und Kohlen! Das erzählten früher viele Eltern ihren Kindern. Aber am Krampustag brachte ihnen der Nikolaus dann trotzdem ein Sackerl mit guten Sachen, auch wenn sie nicht brav gewesen waren.
Nur der Otto-Hans, das war ein kleiner Bub, der im Nachbarhaus wohnte, bekam jedes Jahr einen roten Krepppapier-Sack mit nichts als Erdäpfeln und Koksbrocken drin. Obwohl die lausige Zeit nach dem Krieg, wo es nur im Schleichhandel gute Sachen gegeben hatte, vorüber war und die Eltern vom Otto-Hans nicht arm waren.
Aber sein Vater war furchtbar streng. Wenn der Otto-Hans am Krampustag seinen Sack vom Nikolaus bekam und enttäuscht sah, dass schon wieder Koks und Erdäpfel drin waren, und wenn er deswegen zu weinen anfing, sagte der Vater zu ihm: »Siehst du, das kommt davon, wenn ein Kind nicht folgen kann, lass dir das endlich eine Lehre sein!«
Dabei war der Otto-Hans gar kein schlimmes Kind. Jedenfalls war er nicht schlimmer als andere kleine Kinder auch. Alle Leute sagten, es sei traurig, dass ein Vater so gemein zu einem Sohn sei. Und der Nikolaus sagte das auch.
Der Nikolaus war der Herr Sokol, unser Hausmeister. Ab Ende November nahm er Krampus-Bestellungen auf. Dann klingelten Mamas aus unserem Haus, dem Nachbarhaus und dem Haus gegenüber an der Sokol-Tür und fragten an, ob der Herr Sokol heuer wieder so lieb sein und, als Nikolaus verkleidet, ihren Kindern ein Sackerl voll Naschereien bringen könnte. Die Mütter sagten dem Herrn Sokol auch, wofür er die Kinder loben und wofür er sie tadeln sollte.
Der Herr Sokol schrieb alles in ein kleines Heft, und wenn er am 5. Dezember als Nikolaus in eine Wohnung kam, holte er das kleine Heft aus seinem Bischofskittel, blätterte drin und murmelte mit verstellter Brummstimme: »Tja … tja … tja … Was haben mir denn meine Engelein, als sie von der Erde zurückkamen, über dieses Kindlein berichtet?« Dann lobte und tadelte er mit erhobenem Zeigefinger drauflos, je nachdem, wie es ihm die Mamas aufgetragen hatten.
Aber der Herr Sokol war ein taktvoller Nikolaus. Wenn er dem Kurti sagen musste, dass der Kurti nicht mehr in der Nacht ins Bett pinkeln solle und nicht mehr mit den Fingern im Hintern stochern, beugte er sich zum Kurti runter und flüsterte ihm das ins Ohr. Und dass die Evi nicht mehr an ihren Nägeln rumbeißen solle, vergaß er überhaupt vorzulesen. Wahrscheinlich, weil er selbst ein Nägelbeißer war und es sich noch immer nicht abgewöhnt hatte. Er lobte lieber!
Richtig böse schimpfte er nur die Kinder aus, die ihn das Jahr über ärgerten. Da rief er dann: »Wenn du nicht aufhörst, jeden Sonntag im Hof Riesenradau zu machen, und euren armen Hausmeister beim Mittagsschlaf störst, wenn du bei der Bassena weiter mit Wasser rumpritschelst und euer armer Hausmeister das G’wascht hinterher aufwischen muss, bringe ich dir nächstes Jahr nichts mehr, dann kommt der Krampus mit der Rute, steckt dich in seinen Sack und nimmt dich in die Hölle mit!«
Dem Herrn Sokol machte das Nikolaus-Spielen großen Spaß. Aber wenn die Mutter vom Otto-Hans kam und ihn »bestellte«, schaute er grantig. Weil es ihm keinen Spaß machte, einem Kind einen Sack mit Erdäpfeln und Koks zu bringen und ihm vorzuhalten, dass es immer noch keine gerade Zeile schreiben kann, dass es keinen Spinat essen will und die Klospülung zu ziehen vergisst, dass es seiner Mutter einmal nicht die Wahrheit gesagt hat und außerdem sofort aufhören soll zu stottern!
Wenn die Mutter vom Otto-Hans abmarschiert war, sagte die Frau Sokol zum Herrn Sokol: »Ich an deiner Stelle tät der was pfeifen, den Auftrag würde ich nicht annehmen.«
Und der Herr Sokol antwortete: »Sie kann ja nichts dafür, das schafft ihr ihr Mann an, und ich kann mich mit dem doch nicht anlegen!«
Der Vater vom Otto-Hans war Postvorstand, der Herr Sokol war Briefträger und dem Postamt zugeteilt, wo der Vater vom Otto-Hans Vorstand war.
Die Frau Sokol sah das nicht als ausreichenden Grund. »Mach dir nicht ins Hoserl«, sagte sie. »Bist ja fix angestellt, er kann dich nicht entlassen.«
»Aber schikanieren kann er mich«, sagte der Herr Sokol.
Worauf die Frau Sokol »Feigling!« sagte, der Herr Sokol zustimmend nickte und sagte: »Wie man ist, ist man halt!«
Einmal, am Tag vor dem Krampustag, schickte mich meine Mutter zur Hausmeisterin rüber, den Schlüssel für die Waschküche holen.
Die Frau Sokol stand beim Küchentisch und bügelte den roten Nikolaus-Kittel mit dem weißen Plüschbesatz auf. Der Herr Sokol saß auf dem Küchenstockerl und bürstete am Nikolaus-Klebebart herum.
Mitten in der Küche stand ein Wäschekorb mit roten, prall gefüllten Sackerln drin. Auf jedem Sackerl steckte ein Namensschild. Vom Herrn Sokol geschrieben, mit einer Stecknadel am Krepppapier befestigt. Der Herr Sokol hatte ja mindestens fünfundzwanzig Kinder zu beteilen, da konnte er sich nicht merken, welches Sackerl ihm welche Mutter gegeben hatte.
Ich war damals nicht mehr in dem Alter, in dem Kinder an den Nikolaus glauben, also störte es die Hausmeister nicht, dass ich reingekommen war.
»Wart ein bisserl«, sagte die Frau Sokol zu mir, »den Schlüssel muss ich von der Brauneder holen, die verkalkte Person hat ihn mir schon wieder nicht zurückgegeben!« Sie stellte das Bügeleisen auf dem Drahtrastel ab und ging aus der Wohnung.
»Willst ein Stück Nussstrudel haben, gerade frisch aus dem Rohr gekommen?«, fragte der Herr Sokol. Ich nickte begeistert. Der Nussstrudel unserer Hausmeisterin war einsame Klasse, viel besser als der, den meine Mutter machte.
Der Herr Sokol legte Klebebart und Bürste weg, schlapfte zur Kredenz und holte ein Messer aus einer Lade und einen Teller aus einem Regal. Mit Teller und Messer schlapfte er aus der Küche, ins Zimmer rein.
Ich schaute in den Wäschekorb. Zuoberst auf dem Sackerlberg lagen zwei Säcke, ein dicker, großer, mit einem Karterl dran, auf das »OTTO-HANS« geschrieben war, und ein kleinerer, mit einem Karterl, auf das »ROSWITHA« geschrieben war. Ich hob den Sack mit dem Otto-Hans-Karterl hoch. Er war schwer, sehr schwer. Viel schwerer, als ein Sack dieser Größe sein kann, wenn Süßigkeiten, Nüsse und Obst drin sind. Also waren heuer wieder nur Erdäpfel und Kohlen drin.
»Willst eine dicke Schnitte oder eine dünne?«, rief der Herr Sokol aus dem Zimmer.
»Zwei dünne, bitte, wenn’s geht!«, rief ich ins Zimmer rein, und während ich es rief, zog ich – ohne viel zu überlegen – die Stecknadeln aus den zwei Karterln, auf denen OTTO-HANS und ROSWITHA stand, und machte mit den Stecknadeln das Otto-Hans-Karterl am Roswitha-Sack fest, und das Roswitha-Karterl am Otto-Hans-Sack. Und kaum war ich damit fertig, kam der Herr Sokol mit dem Nussstrudel in die Küche.
»Tut mir leid«, sagte er, »der ist mir zerbröselt, warmen Nussstrudel soll man halt nicht anschneiden!« Er hielt mir einen Teller mit Nussstrudelbrocken hin, und ich langte zu. Als ich die letzten Brösel vom Teller schleckte, kam die Frau Sokol von der Brauneder zurück und gab mir den Waschküchenschlüssel. Ich sagte: »Danke«, und marschierte ab.
Nun hatte, sagte ich mir, der Otto-Hans endlich mal auch einen Sack mit guten Sachen, und die Roswitha, der blöde Buttenzwerg, kriegte, was ihr gebührte!
Die Roswitha wohnte bei uns im Haus, sie war die Enkeltochter der Hausbesitzerin und ein Rabenaas von einem kleinen Mädchen. Waren wir großen Kinder im Hof, wollte sie mit uns spielen und ließ sich nicht abwimmeln. Gab man ihr bloß einen kleinen Schubser, kreischte sie wie verrückt und schrie: »Oma, die bösen Kinder hauen mich schon wieder!« Und hockten wir großen Kinder bei den Kolonia-Kübeln und besprachen geheime Sachen, schlich sie sich ran, versteckte sich hinter der Kohlenkiste vom Herrn Berger und belauschte uns. Nachher kam sie zu uns und sagte, dass sie gehört habe, was wir uns ausgemacht hätten, und dass das was Verbotenes sei und dass sie uns bei unseren Eltern vertratschen werde und wir Prügel kriegen würden, wenn wir sie nicht mitspielen ließen! Und sie dürfe sowieso immer und überall dabei sein, denn ihrer Oma gehöre das Haus! Das Vertratschen drohte sie uns nicht nur an, sie tat es auch, wenn wir sie nicht mitspielen ließen. Sie tratschte unseren Eltern nicht nur die Wahrheit weiter, sie erfand Lügen über uns, und die meisten Eltern glaubten ihr. Meine Mutter glaubte ihr zwar nicht, aber sie sagte, die Roswitha sei halt das Enkerl von der Hausfrau, und mit der Hausfrau dürfe man keinen Ärger kriegen. Erdäpfel und Kohlen hatte sich das kleine Biest also verdient!
Ich war stolz auf mich und brauchte dringend jemanden, dem ich von meiner schlauen Tat berichten konnte. Macht ja nur den halben Spaß, wenn man etwas Grandioses getan hat, aber einen keiner deswegen bewundert.
Also lief ich zum Franzi in den zweiten Stock. Der war am Nachmittag immer allein daheim. Seine Mutter putzte ab Mittag die Wohnung vom Fleischhauer auf der Hauptstraße.
Der Franzi hörte meine Geschichte an. Während ich erzählte, kicherte er. Aber als ich fertig war, sagte er seufzend: »Das wird in die Hosen gehen!«
»Wieso?«, fragte ich.