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In der Sammlung von fünf Kurzgeschichten entfaltet sich das komplexe Leben faszinierender Charaktere in verschiedenen spannenden Erzählungen. In der ersten Geschichte lernen wir eine 60-jährige Kinderfrau kennen, die in einer wohlhabenden Familie ein Neugeborenes betreut. Unerwartet wird sie in einen Kunstraub verwickelt, der ihrem Leben eine neue Wendung gibt. In der zweiten Geschichte lernen wir eine schwarze Haushaltshilfe kennen, die in Südafrika in einem wohlhabenden Haushalt arbeitet. Bei ihrer Arbeit stößt sie auf einen korrupten Waffenhandel und begibt sich auf eine mutige Reise, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dann tauchen wir in eine Geschichte über verbotene Liebe und Betrug ein. Eine junge deutsche Studentin verliebt sich in einen Türken. Als sie erfährt, dass sie schwanger ist, fliehen sie gemeinsam in die Türkei. Doch ihre Freude schlägt bald in Verzweiflung um, als sie die schockierende Wahrheit erfährt. Von dort geht es weiter mit einem Flug nach Singapur, wo sich der Weg der Protagonistin mit dem einer jungen Inderin kreuzt. Als Passagierin hört sie die traurige Geschichte ihrer Sitznachbarin, die gegen ihren Willen nach Indien zurückkehren muss. Inmitten dieser fesselnden Geschichten taucht in der fünften Erzählung eine einzigartige Perspektive auf, in der eine fühlende Rose von ihrer Verwandlung vom bescheidenen Samenkorn zum Inbegriff der Schönheit berichtet. Durch Beobachtung und Reflexion erzählt die Rose von ihren Erfahrungen mit ihrem Züchter und offenbart eine poetische Erkundung des Daseins.
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Seitenzahl: 77
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FÜNF KURZGESCHICHTEN
BEA ESCHEN
Copyright © 2017 by Bea Eschen
Alle Rechte vorbehalten.
Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung der Autorin in irgendeiner Form oder mit elektronischen oder mechanischen Mitteln, einschließlich Informationsspeicherungs- und Abrufsystemen, reproduziert werden, es sei denn, es werden kurze Zitate in einer Buchbesprechung verwendet.
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin: tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
DIE KINDERFRAU
DER WAFFENDEAL
WIE MEDEA
DER FLUG NACH SINGAPUR
EINE UNBESCHREIBLICH SCHÖNE BLUME
DER BETRUG AN MAX VON BRAUMANN
ORONTIUS, DER GAUKLER GOTTES
MAFALDA, TOCHTER DES GAUKLERS
DAS LEBEN DER SOFIA
ICH, YANA
ICH WAR EINER VIELER SKLAVEN
INS DASEIN GESUNGEN
DER OBSTPFLÜCKER
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
DIE KINDERFRAU
DER OBSTPFLÜCKER
Cover
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DIE KINDERFRAU
Für historische Gemälde interessierte Annabel sich schon immer. Nicht, dass sie sie in irgendeiner Form studiert hätte − nein − Gemälde regten sie zum Nachdenken an. Diese Gedanken waren ihr wertvoll, denn sie bereicherten sie mit Einsichten, die sie ohne die Kunst nicht hätte. Etwas, das viele Menschen durch den Fortschritt der Technologie verlernt hatten. In ihrem Leben hatte Annabel beobachtet, dass die Menschen zunehmend von den Massenmedien in Richtungen gelenkt wurden, die sie ohne deren Einfluss nicht eingeschlagen hätten. Die Menschen verlernten, selbst zu denken, Entscheidungen zu treffen und sich eigene Meinungen zu bilden.
Annabel war sechzig Jahre alt und glücklich, denn sie hatte gut bezahlte Arbeit in einer wohlhabenden Familie gefunden. Sie war Kinderfrau und betreute seit einem Monat den Stolz der Familie: Emma − ganze zehn Wochen alt. Schreien konnte sie schon wie am Spieß!
„Das ist gut für deine kleinen Lungen“, flüsterte Annabel dem Baby zu und gab ihm die Flasche, die sie vorher aufgewärmt hatte. Sie saß hinter einem der großen Wandfenster und genoss die Sicht über den Ozean, während die kleine Emma auf ihrem Arm lag und sich im Milchrausch an sie kuschelte. Annabel schaute liebevoll auf sie hinunter. Sie fühlte eine unerklärliche Sehnsucht in sich aufkommen und sah über das Meer hinaus in die Ferne. Weder Dunst noch Wolken trübten die klare Sicht bis zum Horizont.
Die kleine Emma schlief nach ihrer warmen Milch ein. Jetzt hatte Annabel wieder Zeit, sich den Gemälden an den Wänden zu widmen.
Das Haus war wie ein Palast. Die Zimmer groß mit hohen, weißen Wänden. „Einer Kunstgalerie gleich“, dachte sie und schon stand sie wieder vor ihrem Lieblingskunstwerk:
Das Kreuz im Gebirge, gemalt von Caspar David Friedrich im Jahre 1808.
Wunderschöne, ausdrucksvolle Pinselstriche waren dem Künstler geglückt. Der goldene, verzierte Rahmen schloss das Kunstwerk in seiner Vollkommenheit ein.
Die Hausherrin, Frau von Rennbach, hatte Annabel wissen lassen, dass es das Original sei.
Annabel wagte es nicht, den Wert des Gemäldes zu erfragen. Stattdessen ging sie ins Internet und recherchierte danach. Nun hatte sie es schwarz auf weiß: Ihre Arbeitgeber, die Familie von Rennbach, waren tatsächlich die Besitzer dieses wertvollen Ölgemäldes. Sie hatten es vor drei Jahren für zwanzig Millionen Euro von der staatlichen Kunstgalerie gekauft.
Das ganze Zimmer war dem Maler Caspar David Friedrich gewidmet.
Der Mönch am Meer, Der Wanderer über dem Nebelmeer und Das Eismeer.
Die letzten drei Kunstwerke waren Kopien. Annabel war unglaublich beeindruckt. In Gedanken vertieft verharrte sie vor jedem Kunstwerk. Jedes stellte die Natur als eine Übermacht der Menschen dar. Überwältigend und ein wenig furchterregend.
Langsam ging sie wieder zu dem Original zurück und machte sich Gedanken über den Sinn dieses religiösen Kunstwerkes. „Warum steht das Kreuz an diesem unerreichbaren Platz an der Spitze eines Felsens mitten in der Landschaft? Jesus ist doch für die Menschen gestorben! Verlässt er die Menschheit jetzt nach seinem Tod?“ Annabel glaubte, dass es das sein musste, was Friedrich ausdrücken wollte. „Auch die nach oben gespitzten Tannen betonen die Richtung zum Himmel, und diese göttlichen Strahlen verflüchtigen sich hoch oben in den Wolken. Von dieser Felsspitze hat Jesus eine weite Sicht. Er schaut auf die Menschheit hinunter. Soll das heißen, dass er doch noch für die Menschen da ist, auch wenn Jesus sich von der Erde trennt? Vielleicht spiegelt das Gemälde die Zweifel des Caspar David Friedrichs wider.“ Annabel erinnerte sich an sein Zitat:
„Der Maler soll nicht bloß malen
was er vor sich sieht -
sondern auch was er in sich sieht;
sieht er also nichts in sich -
so unterlasse er auch zu malen
was er vor sich sieht.“
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als die kleine Emma aufwachte. Annabel wechselte der Kleinen schnell die Windel und zog ihr etwas Schönes an, bevor das nette Ehepaar von Rennbach nach Hause kam.
Als Annabel an diesem Abend in der Dämmerung nach Hause ging, fühlte sie sich beobachtet. Nach einem kurzen Zwischenstopp beim Supermarkt kam sie in ihrer Wohnung an. Sie war erleichtert, als sie die Tür hinter sich schließen konnte. „Seltsam, dieser Mann“, dachte sie, als sie aus dem Fenster sah. Sie beobachtete ihn. Groß und schlank war er, bekleidet mit Jeans und T-Shirt. Es gab etwas, das ihr an ihm nicht gefiel, aber sie konnte es nicht deuten. „Habe ich ihn nicht schon gestern gesehen, als ich zur Arbeit ging?“, fragte sie sich im Selbstgespräch. Dann konzentrierte sie sich auf das Kochen, denn an diesem Abend bekam sie Besuch von einer Bekannten.
Ruth und Annabel hatten sich beim Yoga kennengelernt. Plötzlich stand Ruth vor Annabel und fragte, ob es ihr etwas ausmachen würde, wenn sie ihre Sportmatte neben ihre lege.
„Nein, das macht mir nichts aus“, sagte Annabel, „ich freue mich über Gesellschaft.“
Seitdem redeten sie vor und nach dem Sport miteinander. Ruth war sehr nett und brauchte, genau wie Annabel, das Yoga, um ihre steifen Muskeln zu dehnen.
• • •
Es klingelte. Ruth stand vor der Tür, schick gekleidet in einem Kleid mit Blumenmuster und ausgerüstet mit zwei Flaschen Prosecco und einem Kuchen. Der sah so lecker aus, dass einem das Wasser im Mund zusammenlief. Sie öffneten die erste Flasche, stießen mit ihren Gläsern an und lachten sich zu.
„Auf uns“, sagte Ruth mit einem verschmitzten Lächeln.
Annabel hatte eine vegetarische Mahlzeit vorbereitet. Die beiden ließen es sich gut schmecken und öffneten schon bald die zweite Flasche Prosecco.
„Du“, fragte Ruth aus heiterem Himmel, „verdienst du genug bei den von Rennbachs?“
Annabel verschluckte sich heftig. „Woher weißt du denn, dass ich da arbeite?“
„Ich weiß es, weil wir beide das gleiche Interesse teilen“, antwortete Ruth ruhig und bedacht.
„Welches Interesse teilen wir denn noch außer Yoga?“, fragte Annabel.
„Kunst.“ Ruth nahm einen großen Schluck zu sich. Ihr Glas war schon wieder leer.
Annabel fühlte sich plötzlich nüchtern. Ihr wurde klar, warum Ruth da war. Der unbekannte Mann, der ihr gefolgt war, kam ihr in den Sinn.
Annabel fragte kühl: „Was willst du von mir?“
„Mein Freund Klaus und ich haben eine Idee. Du hast ihn heute bemerkt, nicht wahr?“
„Ja, habe ich. Was ist die Idee?“
„Okay, ich schlage es dir jetzt ganz einfach vor. Du kannst entscheiden, ob du es machen willst oder nicht.“
„Ich bin ganz Ohr“, sagte Annabel neugierig.
„Wir wollen das Gemälde Kreuz im Gebirge im Haus der von Rennbachs mit einer Fälschung austauschen. Dein Job wäre es, uns hereinzulassen und die Alarmanlage auszuschalten. Der Tausch wird nicht länger als zehn Minuten dauern.“
Annabel war nicht überrascht. Es stand im Internet, dass das Original seit drei Jahren den von Rennbachs gehörte und sie es in ihrem Haus, Adresse unbekannt, an der Wand hängen hätten.
„Was springt dabei für mich raus?“ Annabel kannte sich plötzlich selbst nicht wieder. „Hab ich das jetzt wirklich gefragt“, dachte sie.
„Zweihunderttausend Euro.“ Ruth hörte sich entschieden an.
„Das reicht leider nicht“, sagte Annabel wie eine Professionelle, „es müssten mindestens fünfhunderttausend sein, sonst gehe ich das Risiko nicht ein.“
„Das darf nicht wahr sein“, dachte sie. „Bin ich das noch?“
Ruth schien etwas geschockt, war aber vorbereitet.
„Können wir uns auf vierhunderttausend einigen?“
„Okay“, sagte Annabel, jetzt etwas schüchterner.