Für uns Mensch geworden - Werner Thissen - E-Book

Für uns Mensch geworden E-Book

Werner Thissen

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Beschreibung

Meditationen, Geschichten und Bildmotive zum Advent, zu Weihnachten und zum Jahreswechsel. Als Seelsorger in einer deutschen Großstadt mitten im Kiez von St. Georg weiß der ehemalige Erzbischof von Hamburg, wovon er spricht, wenn es um Menschwerdung geht. Denn darum geht es an Weihnachten: dass Menschen einander brauchen, um ihre Bedürftigkeit, Schutz- und Heimatlosigkeit zu überwinden, um ein Zuhause für Leib und Seele zu finden. Diese Herausforderung erlebt der Autor beinahe täglich vor seiner Haustür. Er erzählt viele berührende Geschichten, die fern von Kanzelsprache oder theologischer Überhöhung die Bedeutung des Weihnachtsfestes für unsere so krisengeschüttelte Zeit erschließen. "Wenn die Weihnachtsmärkte erst einmal eröffnet sind, die ersten Überlegungen für Weihnachtsgeschenke getroffen und die Frage entschieden, wie der Tannenbaum in diesem Jahr geschmückt werden soll, dann krachen schon bald die Silvesterböller. Die Zeit hält niemand an. Und auch verlängern kann sie keiner. Aber statt Verlängerung ist Vertiefung möglich. Also der Zeit auf den Grund gehen, sie ausloten." (Werner Thissen) Meditationen, Geschichten und Bildmotive zum Advent, zu Weihnachten und zum Jahreswechsel. Als Seelsorger in einer deutschen Großstadt mitten im Kiez von St. Georg weiß der ehemalige Erzbischof von Hamburg, wovon er spricht, wenn es um Menschwerdung geht. Denn darum geht es an Weihnachten: dass Menschen einander brauchen, um ihre Bedürftigkeit, Schutz- und Heimatlosigkeit zu überwinden, um ein Zuhause für Leib und Seele zu finden. Diese Herausforderung erlebt der Autor beinahe täglich vor seiner Haustür. Er erzählt viele berührende Geschichten, die fern von Kanzelsprache oder theologischer Überhöhung die Bedeutung des Weihnachtsfestes für unsere so krisengeschüttelte Zeit erschließen. "Wenn die Weihnachtsmärkte erst einmal eröffnet sind, die ersten Überlegungen für Weihnachtsgeschenke getroffen und die Frage entschieden, wie der Tannenbaum in diesem Jahr geschmückt werden soll, dann krachen schon bald die Silvesterböller. Die Zeit hält niemand an. Und auch verlängern kann sie keiner. Aber statt Verlängerung ist Vertiefung möglich. Also der Zeit auf den Grund gehen, sie ausloten." (Werner Thissen)

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Seitenzahl: 67

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Werner Thissen

Für uns Mensch geworden

Advents-  und Weihnachtsmeditationen

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand

Umschlagmotiv: © Piccia Neri/shutterstock

E-Book-Konvertierung: Rainer Moers Druckvorlagen, Mönchengladbach

ISBN (E-Book) 978-3-451-81012-1

ISBN (Buch) 978-3-451-37517-0

Inhalt

Vorwort

Zur Mitte finden

Wer bin ich?

Komm!

Der ferne und der nahe Gott

Weihnachten ­dreidimensional

Weihnachtserfahrungen

Stille Nacht

Ochs und Esel an der Krippe

Ort und Zeit

Das Zeugnis der ­Märtyrer

Auf der Flucht

Jahresende – ­Wohin sind alle Tage?

Ich bin so frei

Haltbarkeit

Zeitenwende

Das Neue Jahr, ein ­unbeschriebenes Blatt

Vorwort

»Weihnachten kommt immer so plötzlich, und dann ist es schon wieder vorbei«, spottet mein Kerzenverkäufer.

Dabei gibt es doch die Wochen der Adventszeit zur Vorbereitung, die Festtage selbst und dann noch die Zeit »zwischen den Jahren«.

Und doch hat mein Kerzenverkäufer Recht. Wenn die Weihnachtsmärkte erst einmal eröffnet sind, die ersten Überlegungen für Weihnachtsgeschenke getroffen und die Frage entschieden, wie der Tannenbaum in diesem Jahr geschmückt werden soll, dann krachen schon bald die Silvesterböller.

Die Zeit hält niemand an. Und auch verlängern kann sie keiner.

Aber statt Verlängerung ist Vertiefung möglich. Also der Zeit auf den Grund gehen, sie ausloten.

Es geht in der Advents- und Weihnachtszeit um die Menschwerdung Gottes. Aber »Gott wurde Mensch, damit der Mensch Heimat habe in Gott« (Hildegard von Bingen). Die Menschwerdung Gottes zielt auf die Menschwerdung des Menschen. Auf meine Menschwerdung, die es immer auch mit Gott zu tun hat.

Ob mir diese Zeit dazu verhelfen kann, mehr Mensch zu werden, menschlicher?

Der Versuch lohnt sich.

Wenn dann die Weihnachtszeit vorbei ist, hat sie Spuren hinterlassen. Heilsame Spuren für das neue Jahr.

Zur Mitte finden

Viele Bilder erzählen Geschichten. Dieses Bild lädt dazu ein, die Schichten meines Lebens in den Blick zu nehmen.

Ornamentscheibe aus dem Chor der ehemaligen Kölner Dominikanerkirche, um 1280

Dazu kann ich links und rechts an den äußeren Rändern des Bildes beginnen und mich Schritt für Schritt auf die Mitte zubewegen.

Zunächst also die Quadrate an der rechten und linken Seite. Die einzelnen Blätter sind Symbole für das, was in meinem Leben gewachsen ist. All das, was mich beschäftigt hat: meine Aufgaben, meine Vergnügungen und Freizeitbeschäftigungen, Essen und Trinken, Gemeinsames und Einsames, all das, was immer so anliegt.

Zu jedem dieser Quadrate kann ich ein Stichwort schreiben: Schlafen, Frühstücken, Arbeit, Gespräche, Erholung, Projekte, Fernsehen …, all das, was die Stunden ausfüllt.

Dieses Alltägliche berührt nicht unmittelbar das Zentrum des Bildes mit der stilisierten roten Rose. Aber es ist doch darauf hin geordnet und soll nicht aus dem Rahmen fallen.

In einem zweiten Schritt gehe ich von den äußeren Quadraten rechts und links einen Schritt nach innen zu den rot umrandeten Feldern. Links und rechts, oben und unten reichen die gewölbten Dreiecke mit ihren Spitzen bis an die Ecken der rechteckigen schwarzen Umrahmung. Diese bildet die Verbindung zu den Quadraten meiner Alltagserfahrung. Zugleich berühren die roten Linien mehrmals den schwarzen Innenkreis.

Diese vier gewölbten Dreiecke können die Zeit und die Materie symbolisieren, ohne die ich nicht existieren könnte. Zeit – das sind die vier Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Materie – das sind die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde.

Beides, Zeit und Materie, sind Grundbedingungen meines irdischen Daseins. Dass sie umgrenzt sind mit der Farbe der Rose im Innersten des Bildes, kann mir sagen: Auch sie haben mit der Rose zu tun. Aber was sich in ihnen abspielt, folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten.

In einem dritten Schritt komme ich in den schwarzen Kreis. Darin stoße ich auf fünf Kreise von gleicher Größe.

Diese können die fünf Sinne des Menschen symbolisieren: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren. Meine Sinne sind die Einfallstore für die Wirklichkeit, für all das, was von außen auf mich zukommt. Aber meine Sinne helfen mir auch, mich der inneren Wirklichkeit meines Daseins zu nähern.

Die Symbole für die fünf Sinne berühren den innersten Kern des Bildes, die stilisierte Rose. Diese kann ich deuten als ein Zeichen für Jesus Christus: »Es ist ein Ros entsprungen.«

Bei genauem Hinschauen kann ich in der Mitte der Rose Kopf und Brust einer Gestalt erkennen mit dem Kreuzesnimbus. So wird klar, dass mit der Rose in der Mitte des Meditationsbildes tatsächlich der menschgewordenen Gottessohn gemeint ist.

Im Lied »Es ist ein Ros entsprungen« heißt es: »Das Röslein, das ich meine, davon Jesaja sagt«. Im Hören auf das, was der Prophet Jesaja in der Bibel sagt und ebenso die anderen biblischen Autoren, komme ich dieser Rose, dem Symbol für Jesus Christus, näher.

In der nächsten Strophe wird gesagt: »Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß«, also ist der Geruchssinn angesprochen. Und weiter: »Mit seinem hellen Scheine, vertreibts die Finsternis.« Hier wird auf das Sehen hingewiesen.

Auch von Berühren und Schmecken singen wir. Vom Berühren sagt das Lied »Zu Betlehem geboren«: »Mein Herz will ich ihm schenken«. Und weiter: »Darum ich fest mich binde, an dich mein höchstes Gut.«

Vom Schmecken sprechen vor allem die Lieder zur Eucharistiefeier: »Mir armem Gast bereitet hast das reiche Mahl der Gnaden. Das Himmelsbrot stillt Hungersnot …«

Meine Sinne helfen mir, das Geheimnis meines Daseins zu ergründen. In vielen geistlichen Texten, vor allem in der Mystik, werden die Sinne bemüht, um mit Gott in Beziehung zu treten.

Angelus Silesius formuliert das so: »Die Sinne sind im Geist, all ein Sinn und Gebrauch. Wer Gott berührt, der sieht, riecht, hört und schmeckt ihn auch.«

Natürlich gilt das vor allem im übertragenen, bildhaften Sinn. Solche Annäherung an das Geheimnis Gottes mit Hilfe der Sinne können die fünf Kreise ausdrücken. Sie berühren, wenn auch nur am Rande, die Rose in der Mitte, welche Christus symbolisiert.

Mit dem Blick auf das Bild kann ich mich fragen, welcher meiner fünf Sinne mir am meisten hilft, geistliche Erfahrungen zu machen. Das Sehen etwa von Natur und Kunst, das Hören von Texten und Musik, das Schmecken von Speise und Trank, das Berühren von Menschen und Elementen wie Wasser oder Luft, das Riechen von Blumen oder Gewürzen. Meine Sinne können mich etwas vom Geheimnis Gottes erspüren lassen.

Auffallend an diesem Meditationsbild ist, dass trotz der schwarzen und roten Linien, die auch begrenzen, alles miteinander in Verbindung ist. Die pflanzlichen, floralen Formen überziehen das ganze Bild.

Im Schauen auf das Bild lasse ich mich in die Mitte führen. In die Mitte meiner selbst, in die geheimnisvolle Mitte meines Lebens, die Gott erfüllen will.

Solche Konzentration auf die Mitte tut mir gut. Wie oft halte ich mich bei Randerscheinungen auf, bei heutigen Ereignissen, die morgen schon wieder von gestern sind.

Die Flut der Bilder, die täglich auf mich einstürzen, ist gewaltig. Sie drängen mich nach außen.

Dieses Bild führt mich nach innen, zur Mitte, zu dem, der die Mitte meines Lebens sein will.

Bei Angelus Silesius lese ich: »Die Ewigkeit weiß nichts von Jahren, Tagen, Stunden. Ach, das ich doch noch nicht den Mittelpunkt gefunden.«

Gott als Mittelpunkt meines Lebens?

Gott ist der ganz andere. Meine Sinne können ihn nicht erfassen. Aber in der Menschwerdung seines Sohnes Jesus Christus ist er mir nahe gekommen. Jetzt kann in allem Menschlichen Göttliches aufscheinen.

Im längeren Anschauen des Bildes kann mich das Gebetswort begleiten: Christus, du Mitte meines Lebens.

Wer bin ich?

Ich bin mir oft selbst ein Rätsel. Warum reagiere ich so? Warum empfinde ich so? Warum tue ich dieses und unterlasse jenes?

Manche Rätsel in meinem Verhalten konnte ich lösen. Aber Vieles in mir bleibt Geheimnis. Mit diesem Geheimnis will ich immer wieder neu umzugehen lernen.

Papst Franziskus wurde gefragt: »Was macht Ihre Person aus? Wer sind Sie? Wie würden Sie sich charakterisieren?« Ziemlich indiskrete Fragen.

Der Papst hat darauf geantwortet: »Ich bin ein Sünder.« Und dann fügt er hinzu: »Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat.«

Den ersten Teil der Antwort kann ich leicht übernehmen: Ja, ich bin ein Sünder. Vieles in meinem Leben ist nicht so, wie Gott es von mir erwarten kann. Den zweiten Teil möchte ich auch übernehmen: Ich bin vom Herrn angeschaut.