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Auch wenn man zaubern kann, ist das Leben nicht leicht. In Frankfurt am Main kämpft eine junge Frau mit der Gebrauchsanweisung für einen Einweg-Zauberstab, verhandelt mit den Pixies im Grüneburgpark und deckt die Verbrechen der Wunschfee auf. Zum Glück steht ihre Oma ihr dabei zur Seite. Die hier versammelten Kurzgeschichten sind im Rahmen des Instagram-Projektes #kurz_und_phantastisch entstanden.
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Seitenzahl: 92
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E. S. Schmidt
Gargoyles über Frankfurt
Kurzgeschichten
eBook-Ausgabe 2023
Copyright © Esther S. Schmidt, Frankfurt am Main
www.esther-s-schmidt.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Esther S. Schmidt
Satz: Esther S. Schmidt
epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Mitten in einer Schreibblockade stolperte ich auf Instagram über den Hashtag #allesrundumfantasy mit lustigen Themenvorschlägen für Fantasy-Kurzgeschichten. Mein Schreibmuskel begriff diese sofort als Gelegenheit, eine Auszeit von dem bockenden Romanprojekt zu nehmen. Als die Themen nach einem Monat endeten, sammelte ich eigene Themen und veröffentlichte diese unter dem Hashtag #kurz_und_phantastisch – und über mehrere Monate hinweg jeden Montag eine eigene Kurzgeschichte dazu. Soviel zum Thema „Schreibblockade“.
Aus den einzelnen Stories entwickelte sich ein eigenes, kleines urban-fantasy Universum. Manche Nebenfiguren tauchten wieder auf, manche Geschichten setzten vorangegangene fort. Aufgrund der Beschränkungen auf Instagram ist keine dieser Geschichten länger als sechs Seiten. Hier im Buch ist jeder Geschichte die jeweilige Schreibaufgabe vorangestellt.
Der Laden war weg. Also nicht geschlossen oder so, sondern tatsächlich weg. Statt der Eingangstür aus Eiche mit Glaseinsätzen war da nur eine verwaschene Fläche.
„Das kann doch nicht sein!“ Die Fläche war glatt, die Feinstruktur fühlte sich sandig an. Ich roch daran, kostete mit der Zungenspitze, spürte ein leichtes, statisches Prickeln.
Ob das an den neuen Besitzern lag? Bei dem alten Emil hatte ich jedenfalls nie solche Probleme gehabt. Ich trat einen Schritt zurück und legte den Kopf in den Nacken.
Das gesamte Haus war von dieser merkwürdigen Wand bedeckt. Die verwaschene Oberfläche ließ noch die dahinterliegenden Strukturen erkennen: dunkle Fensterhöhlen, helle Stuckfriese. Irgendwie kam mir das vertraut vor. Es sah aus wie … genau! Wie bei Google Streetview, wenn jemand nicht will, dass das eigene Haus erkannt werden kann.
Verpixelt, dachte ich. Das Haus ist verpixelt worden!
Wut wallte in mir hoch. Ich brauchte meine Kristallkugel! Dringend! Aber zum Glück wusste ich, wo diese nichtsnutzigen, kleinen Biester zu finden waren.
In Frankfurt leben die Pixies im Grüneburgpark. Von den Uneingeweihten werden sie oft für Glühwürmchen gehalten, aber wenn du im April Glühwürmchen zu sehen meinst, sollte dir das zu denken geben. Die meisten Menschen denken halt nicht.
Natürlich machte ich einen Umweg über den Gummibärenladen. Wenn du zu Pixies gehst, bring Geschenke mit! Entsprechend happy waren sie. „Gummibärchen!“ – „Süßigkeiten!“ riefen sie mit ihren sirrenden Stimmchen, die so hoch sind, dass nur kleine Kinder sie wahrnehmen können – und eben Menschen, die „das Ohr“ haben. Ein Dichter würde vermutlich „glockenhell“ sagen. Ich finde die Frequenz nur nervig.
Allerdings war es schon ein ganz netter Anblick, wie sie mit ihren Laternchen da so in der Abenddämmerung um mich herumschwirrten. Ich war aber klug genug, die Tüte vorerst geschlossen zu halten. Pixies im Zuckerrausch können richtig gefährlich werden.
Ich erklärte ihnen mein Anliegen, und der Schwarm antwortete mit den Piepsestimmen: „Die waren gemein!“ – „Keine Geschenke mehr!“ – „Doofe Menschen!“
Es dauerte eine Weile, bis ich die Zusammenhänge verstand. Offenbar hatte sich der Baum vor dem Laden zu einem Pixie-In-Treff entwickelt, da der alte Emil ihnen regelmäßig zuckerhaltige Getränke vor die Tür gestellt hatte. Das ist sehr nützlich, denn Pixies verzichten bei ihren Gönnern nicht nur auf Schabernack, sie können sogar richtig hilfreich sein. Man möchte es kaum glauben, wie ordnungsliebend diese chaotische Truppe nachts werden kann.
Offenbar hatte es der alte Emil vor seinem plötzlichen Tod versäumt, seine Nachfolgerin entsprechend einzuweihen. Auch Pixies fallen nicht gerne hinter einmal errungene Standards zurück. Konsumverzicht ist nicht ihre Sache – wobei allerdings ihr Einfluss auf das Klima dank ihrer geringen Größe nicht sonderlich hoch ist.
Ich versprach, den neuen Ladenbesitzern die Sache zu erklären. „Aber dazu muss ich natürlich rein in den Laden.“
Ich radelte zum Laden zurück – ohne meine Gummibärchen. Dafür hatte ich Pixies im Schlepptau, die auf Passanten wie Schmetterlinge wirken mussten. Kaum angekommen hatte der Schwarm im Nullkommanix zumindest die Tür entpixelt. Ich stellte die Sache klar, und die neue Besitzerin, die seit dem Vorabend in ihrem Laden eingesperrt gewesen war, versprach hoch und heilig, die Pixies zukünftig mit Limo und sonstigem Zuckerwasser zu versorgen.
„Nur mit Cola wäre ich zurückhaltend“, empfahl ich ihr. „Die Kombination mit Koffein kann sie ziemlich auf Touren bringen.“
Nachdem so der allgemeine Frieden wiederhergestellt war, bekam ich dann auch endlich meine frisch kalibrierte Kristallkugel zurück, und konnte mich auf den Weg zu meinem Klienten machen.
Eine Woche nach der Episode mit den Pixies bekam ich vom Zauberladen ein Päckchen, dem eine nette Karte beilag: „Als kleines Dankeschön für Ihre Hilfe.“ Aus dem Umschlag rutschte eine längliche Schachtel. Eine Zahnbürste?! Doch als ich die verschnörkelte Schrift entziffert hatte, stellte es sich als Einmal-Zauberstab heraus.
Wegwerf-Produkte sind ja nicht so mein Ding. Zwar besteht ein Zauberstab aus Holz und ist insofern organisch abbaubar, doch mich stört der Aufwand an magischer Energie, die für die Herstellung benötigt wird, und das für einen einmaligen Einsatz. Und dann entsteht bei der Produktion natürlich Ektoplasma, das ja bekanntlich kaum zu recyclen ist. Aber einem geschenkten Barsch schaut man nicht ins Auge.
Die beigelegte Bedienungsanleitung machte klar, dass dieses Produkt Made in Japan war. Sie las sich wie folgt: Leicht beschwingt in Handgelenk. Geben Brennpunkt dabei auf Sache Wollen. Nicht Zerfahrenheit wichtig für erfolgreich von Magisches Wunsch. Auch exakt sein konkret übersteigend wichtig. Verfügbarkeit aus drei Stärken: (1) alletage Sachen (2) verändern Körperlichkeit (3) Tod/Leben.
Nach kurzer Untersuchung fand ich eine kleine 1, eingebrannt im hinteren Ende des Stabes. Ich hatte also einen Alltagsstab und würde damit leider weder meine Fettpölsterchen abschmelzen noch den nervigen Nachbarn in einen Frosch verwandeln können. Dieser Stab wirkte nur auf unbelebte Materie. Aber wofür sollte ich ihn verwenden?
Einige Tage lang überlegte ich hin und her. Die Bügelwäsche? Aber eigentlich ist Bügeln immer eine gute Entschuldigung für einen Fernsehabend. Abspülen? Ich habe eine Spülmaschine, und das ist ja im Grunde genauso gut wie Magie. Klo putzen? Irgendwie widerstrebte es mir, den magischen Freifahrtschein für etwas so Profanes einzusetzen.
Die Gelegenheit ergab sich, als meine Oma mich bat, ihr beim Entrümpeln ihres Kellers zu helfen.
„Die Getränkekisten alle rausschaffen und neben der Garage stapeln. Die Einmachgläser auch – die sauren Kürbisse hab ich noch für deinen Großvater eingelegt, Gott hab ihn selig, aber ich mochte das Zeug noch nie. Ach, und die kaputten Stühle können auch weg …“
Meine Oma ist alte Schule und hält nichts davon, Magie für Dinge einzusetzen, die man mit den eigenen Händen erledigen kann. Heute erkenne ich die Weisheit dahinter, aber hey, ich war jung, ich hatte einen Zauberstab für alletage Sachen, und ich würde ihn benutzen.
Ich wartete also, bis sie den Keller verlassen hatte, dann zog ich den Stab hervor. Leicht beschwingt in Handgelenk. Ich versuchte es. An der Spitze des Stabes flackerte es kurz auf, das war alles. Geben Brennpunkt auf Sache wollen. Ich fokussierte meine Gedanken darauf, dass sich die Gegenstände draußen stapeln sollten und schwang beschwingt den Stab. Diesmal glühte die Spitze etwas länger auf, doch dann erlosch sie stotternd wieder. Musste ich den Wunsch vielleicht laut aussprechen, wie einen Zauberspruch? Ich lockerte mein Handgelenk, räusperte mich und sagte mit großer Geste: „Draußen stapeln.“
Diesmal glühte die Spitze des Stabes weißblau auf. Das magische Licht verursachte keinerlei Schattenwurf. Schon erhoben sich die Getränkekisten und schwebten an mir vorbei zur Tür hinaus. Es funktionierte! Begeistert lief ich nach draußen, und es störte mich nicht, dabei von einem Einmachglas am Kopf getroffen zu werden.
Doch was musste ich sehen? Schön, alles stapelte sich, aber ich hatte nicht gesagt, wie viele Stapel ich wollte! Der Stab machte einen einzigen daraus. Jetzt begriff ich den Satz: Auch exakt sein konkret übersteigend wichtig.
Mit den zwölf Getränkekisten hatte der Stapel schon eine beachtliche Höhe erreicht. Darauf setzten sich jetzt die Einmachgläser – eines auf das andere. Ich schwang den Stab, versuchte, das Geschehen anzuhalten, doch die Spitze glühte munter weiter. Auf die Einmachgläser hinauf schwebten nun die zerbrochenen Stühle, aber damit war es noch nicht vorbei! Nun kamen die Regalbretter angeflogen und türmten sich auf meinen magischen Jenga-Turm. Ich versuchte, den Zauberstab zu zerbrechen, warf ihn zu Boden, trat darauf, doch das Ding war unzerstörbar.
Als die alte Kommode aus dem Keller schwebte, kam endlich meine Oma angerannt. „Was machst du denn?!“
„Ich kann es nicht aufhalten!“, rief ich verzweifelt.
„Ach, Kind!“ Sie förderte aus den Tiefen ihrer Kittelschürze ein Zippo-Feuerzeug zu Tage, schnappte sich den Zauberstab und fackelte das Ding kurzerhand ab. Er schlug Funken wie eine Wunderkerze und als sie ihn zu Boden warf, brannte er tatsächlich von oben nach unten ab. Dann stieß sie mich zur Seite, und der wankende Turm aus Kisten, Gläsern und Möbeln krachte zwischen uns zu Boden.
Meine Oma trat die die letzten Glutreste des Stabes aus. Dann begutachtete sie die Asche und runzelte die Stirn. „Japanisch? Aber Kind!“ Sie musterte mich tadelnd. „Japaner sind Shintoisten. Im Umgang mit Naturgeistern sind sie unübertroffen, aber so ein Billigding für den Harry-Potter Hype …“ Sie sah mich kopfschüttelnd an. „Du solltest es wirklich besser wissen.“
Ich versuchte erst gar nicht, mich zu verteidigen. Zerknirscht machte ich mich an die Aufräumarbeiten – mit meinen eigenen Händen. Dabei war ich noch froh, dass ich keinen Stab der Stufe (3) Tod/Leben bekommen hatte. Da meine Oma neben einem Friedhof wohnt, hätte ich damit glatt die Zombie-Apokalypse auslösen können.
„Schau mal Mami! Ein Einhorn!“ Die Fünfjährige spähte begeistert durch den Zaun, auf dem ich lehnte, hinüber auf die Koppel.
„Nein, Anna-Lisa.“ Mit freundlicher Geduld beugte sich die junge Mutter zu ihrer Tochter hinunter. „Einhörner gibt es gar nicht. Das ist ein Schimmel. So nennt man ein weißes Pferd.“
„Aber es ist doch ein Einhorn“, beharrte die Kleine.
„Es ist bloß ein Pferd. Es hat doch gar kein Horn, siehst du?“
Etwas ratlos sah die Kleine sich um. Ich verstand ihre Verwirrung. Natürlich war da ein Horn. Die meisten Menschen verlieren nur mit dem Erwachsenwerden die Fähigkeit, es zu sehen. Als der verwirrte Blick des Mädchens auf meinen traf, nickte ich beruhigend und formte mit den Lippen lautlos das Wort „Einhorn“.
Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ist Frieda nicht gerade das, was man sich unter einem Einhorn vorstellt. Sie ist zwar weiß und besitzt ein ziemlich langes Horn, aber damit hat es sich auch schon. Die meisten Menschen stellen sich unter einem Einhorn ein Pferd von ätherischer Schönheit vor, voll natürlicher Anmut, mit einer schneeweißen, ständig in einem imaginären Wind wehenden Mähne.