Gaslicht 21 - Agatha Ford - E-Book

Gaslicht 21 E-Book

Agatha Ford

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Beschreibung

In dieser neuartigen Romanausgabe beweisen die Autoren erfolgreicher Serien ihr großes Talent. Geschichten von wirklicher Buch-Romanlänge lassen die illustren Welten ihrer Serienhelden zum Leben erwachen. Es sind die Stories, die diese erfahrenen Schriftsteller schon immer erzählen wollten, denn in der längeren Form kommen noch mehr Gefühl und Leidenschaft zur Geltung. Spannung garantiert! Ich bin für Charles nur ein Hemmschuh und eine Quelle des Ärgers. Dabei wollte ich ihn glücklich machen und ihm bei seiner Arbeit helfen. Aber Charles sagt, etwas sei nicht in Ordnung. Auch die Geräusche, die ich höre, gehören da hinein. Aber ich bräuchte nur zu tun, was er sagt, dann ginge es mir bald gut. Er fordert, daß ich mich soviel wie möglich in dem kleinen Salon im zweiten Stock aufhalte. Aber ich hasse dieses Zimmer. Die Tapete macht mir Angst. Ich weiß, das Muster erinnert mich an etwas, das mir vor langen, langen Jahren Angst gemacht hat – nur weiß ich nicht mehr, was es war… Es war ungewöhnlich heiß für Anfang Juni. Lisa Hales kleiner Wagen flog nur so über die Landstraßen – zumindest soweit es das Gesetz erlaubte. Sie war auf dem Rückweg von Long Island, wo sie sich nach einer Ferienwohnung für den Sommer umgesehen hatte. Zwar hatten ihr die Mathews – Dr. Joel Mathews und seine Frau Helen – angeboten, sie in ihrem Haus hinter den Dünen direkt an der Küste aufzunehmen. Aber nach zwei Jahren Schwesternwohnheim in New York sehnte sie sich nach etwas Eigenem. Vor ein paar Wochen hatte sie dann ein kleines Studiohaus gefunden, das ein Künstler sich in den Garten seines Anwesens gesetzt hatte, um ungestört von der Familie arbeiten zu können. Das große Haus war schon vor längerer Zeit abgebrannt. Über die Fundamente wucherten wilde Rosen. Es lag mitten auf der Insel, dort, wo sich wohlhabende New Yorker in den neunziger Jahren

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Gaslicht – 21 –

Das Haus der Lady Duane

Agatha Ford

Ich bin für Charles nur ein Hemmschuh und eine Quelle des Ärgers. Dabei wollte ich ihn glücklich machen und ihm bei seiner Arbeit helfen. Aber Charles sagt, etwas sei nicht in Ordnung. Auch die Geräusche, die ich höre, gehören da hinein. Aber ich bräuchte nur zu tun, was er sagt, dann ginge es mir bald gut. Er fordert, daß ich mich soviel wie möglich in dem kleinen Salon im zweiten Stock aufhalte. Aber ich hasse dieses Zimmer. Die Tapete macht mir Angst. Ich weiß, das Muster erinnert mich an etwas, das mir vor langen, langen Jahren Angst gemacht hat – nur weiß ich nicht mehr, was es war…

Es war ungewöhnlich heiß für Anfang Juni. Lisa Hales kleiner Wagen flog nur so über die Landstraßen – zumindest soweit es das Gesetz erlaubte. Sie war auf dem Rückweg von Long Island, wo sie sich nach einer Ferienwohnung für den Sommer umgesehen hatte. Zwar hatten ihr die Mathews – Dr. Joel Mathews und seine Frau Helen – angeboten, sie in ihrem Haus hinter den Dünen direkt an der Küste aufzunehmen.

Aber nach zwei Jahren Schwesternwohnheim in New York sehnte sie sich nach etwas Eigenem.

Vor ein paar Wochen hatte sie dann ein kleines Studiohaus gefunden, das ein Künstler sich in den Garten seines Anwesens gesetzt hatte, um ungestört von der Familie arbeiten zu können. Das große Haus war schon vor längerer Zeit abgebrannt. Über die Fundamente wucherten wilde Rosen. Es lag mitten auf der Insel, dort, wo sich wohlhabende New Yorker in den neunziger Jahren Ferienhäuser bauten, um darin die heißen Sommermonate zu verbringen.

Lisa lächelte vor sich hin. Sie stellte sich vor, wie damals eine Reise in die Sommerfrische verlaufen sein könnte. Zuerst die Familie in einer altmodischen Kutsche mit Fransendach, gezogen von zwei Pferden, die nach Rasse und Temperament zusammenpaßten, gefolgt von weniger stilvollen Wagen, die das Haushaltsmaterial, das Gepäck und die Verpflegung transportierten. Das alles ratterte und rumpelte über enge, unebene Straßen.

»Nicht zu einsam, oder?« hatte Dr. Mathews gefragt, als ihm Lisa von ihrer Entdeckung berichtet hatte. »Sind wenigstens Nachbarn in der Nähe?«

»Nahe genug«, hatte sie erwidert. »Eine Baugenossenschaft ist dort am Werk. Junge Paare und deren Nachkommen sind so nahe, daß ich zu Fuß hingehen kann. Es ist eine vollständige Siedlung mit Läden, Tankstelle, allem, was man braucht. Zum Glück aber sehe ich das Ganze nicht, denn dazwischen liegen die mit Sand und Gras bedeckten Maulwurfshaufen, die man auf Long Island Hügel nennt.«

Helen Mathews, eine zierliche, dunkelhaarige Frau, hatte immer noch besorgt dreingeschaut. Vor ihrer Heirat war sie Sozialarbeiterin gewesen. »Ich gehe mit auf die Insel, während Joel an seinem Buch arbeitet«, hatte sie erklärt. »Das Haus liegt so nahe am Mutter- und Kind-Heim, meinem Lieblingsprojekt. Aber wir hätten durchaus Platz für Sie. Ich sehe es nicht gern, daß Sie allein sind.«

»Der Makler, Mr. Creasy, sagte mir, daß auch das alte Haus gleich daneben demnächst bewohnt wird«, war Lisa rasch eingefallen. »Es hat jahrelang leergestanden, aber der neue Besitzer will es aus seinem Dornröschenschlaf erwecken, denn er möchte seine Frau an einen ruhigen Ort bringen. Sie war schwer krank und ist noch recht nervös. Am liebsten hätte er wahrscheinlich gesagt, daß mir die Chance, ein wenig Forschung in dieser Richtung zu betreiben, sehr gelegen kommt. Vielleicht könnte das einen Beitrag zu Ihrem Buch geben, Dr. Mathews.«

Dr. Mathews hatte gelächelt. »Alles ist Wasser auf meine Mühle, und alles, was Sie beitragen können, Lisa, ist hochwillkommen. Schließlich ist das Studium des menschlichen Geistes immer noch in einer Übergangsphase. Es ist wirklich noch gar nicht so lange her, seit Freud, der Vater der Psychoanalyse, seine Wiener Landsleute mit der Entdeckung schockierte, daß das Unterbewußtsein eine ganz beträchtliche Rolle bei unseren geistigen Prozessen spielt.«

Lisa Hale war gerade in der Ausbildung als Schwester in der Psychiatrie. Neben ihrer Arbeit in der entsprechenden Abteilung einer großen New Yorker Klinik studierte sie Psychiatrie. Dr. Mathews, der Leiter der psychologischen Abteilung, war auch Dozent für Psychiatrie. Lisa war also sowohl seine Studentin als auch Schwester in seiner Abteilung. Mehr als einmal hatte er ihr gesagt, daß er sie für eine vielversprechende Schülerin hielt. Als er Urlaub nehmen mußte, um seine Notizen für ein Buch zu ordnen, das über verschiedene Fälle berichten sollte, hatte er Lisa die Chance geboten, bei der Vorbereitung zu helfen.

Nur zu gern hatte sie angenommen.

»Sie werden Ihre Arbeit im Krankenhaus für ein paar Wochen unterbrechen müssen«, hatte Dr. Mathews gesagt. »Aber als meine Assistentin bekommen Sie das gleiche Gehalt. Ich möchte gern, daß Sie in der Nähe unseres Hauses auf der Insel wohnen, denn es gibt keine geregelte Arbeitszeit.«

»Für mich ist es auf jeden Fall eine Art Urlaub.«

»Ich fürchte, es ist eher harte Arbeit«, hatte er lachend erwidert. »Aber überlastet werden Sie hoffentlich nicht sein. Ich habe noch einen Assistenten, er kommt aus dem Westen der Staaten zu uns und hat gerade erst seinen Doktor in Psychologie gemacht. Zusammen werden wir sicher ein gutes Team abgeben.«

Jetzt, da sie voller Erwartung auf ihr kleines Haus zufuhr, sagte Lisa leise ihren künftigen Titel vor sich hin: »Lisa Hale, Schwester in Psychiatrie.«

Dann lächelte sie vor sich hin. »Da haben wir’s«, dachte sie. »Das Studium der Psychiatrie verleitet mich zu Selbstgesprächen. Was würde in diesem Fall ein Psychiater daraus machen? Irgendeine Kindheitserfahrung, lange im Unterbewußtsein verdrängt.«

Es gab nichts, das sie hier auf Long Island an ihre Kindheit erinnerte. Die langweiligen Sandstreifen auf jeder Seite der Straße hatten nichts gemeinsam mit dem üppigen Grün der Sommer in Neu England, wie sie sie von früher kannte. Sie erinnerte sich an Grün und Blüten auf der Farm ihres Großvaters in Berkshire, wo sie aufgewachsen war. Sie war noch sehr jung gewesen, als sie ihre beiden Eltern durch einen Flugzeugabsturz verloren hatte. Offenbar hatte die Südküste von Long Island nichts Vergleichbares aufzuweisen, wogegen an der Nordküste viele Anwesen wunderbar angelegte Gärten und Parks mit blühenden Bäumen und Büschen hatten.

Dr. Mathews Ferienhaus an der Südküste ist gerade das Richtige, um an einem Buch zu arbeiten, überlegte Lisa. Von einem eventuellen Hurrikan abgesehen, scheint sich hier nicht viel zu tun.

Eine Strähne glatten Haares löste sich aus dem braven Knoten, den Lisa tief im Nacken geschlungen hatte. Ihr Haar war blaßbraun und in der Mitte gescheitelt. Etwa total Unauffälliges, wie sie selbst sagte. Sie hatte große, hellgraue Augen, die ihr etwas Unschuldiges verliehen, obwohl ihr Mund verführerisch wirken konnte.

Aber nun näherte sie sich ihrem Feriendomizil. Der Wagen direkt vor ihr bog ab, ohne die Richtung anzuzeigen oder das Tempo zu mildern. Gerade noch konnte sie einem Zusammenstoß entgehen. Sie schlingerte um den anderen Wagen herum und blieb dann stehen. Der Fahrer des anderen Autos hatte sein Fahrzeug vor den großen Steinsäulen zum Stehen gebracht, welche den Eingang zur Auffahrt flankierten.

»Entschuldigen Sie«, rief er und beugte sich über den Beifahrersitz, um besser mit Lisa sprechen zu können. Kühl schaute Lisa in ein hochmütiges Gesicht mit dicht nebeneinanderliegenden Augen und einem sorgfältig getrimmten Schnurrbart über einem arroganten Mund.

Das Gesicht wirkte recht angenehm, aber Lisa war nicht in der Lage, diese Tatsache zu würdigen. Der Schreck saß ihr noch in den Gliedern. Ohne zu lächeln nickte sie, fuhr um den anderen Wagen herum und war wieder auf der Straße. Dann hatte sie ihre eigene Einfahrt erreicht und ihr wurde klar, daß der leichtsinnige Fahrer wahrscheinlich ihr nächster Nachbar war, der Bewohner des großen Hauses, das als Unterkunft für seine nervöse Frau dienen sollte.

Das kleine Studiohaus lag weit hinter dem, was einst das Hauptgebäude gewesen war. Das einstöckige Häuschen hatte nur einen großen Raum, und dahinter, durch Raumteiler abgetrennt, lagen eine Mini-Küche und ein Badezimmer. Zwei Seiten des Wohn-Schlafzimmers bestanden aus Glas, nur ab und zu unterbrochen von Holzbalken in der gleichen Farbe wie das Holzpaneel, das die anderen Wände verkleidete. Zwischen zwei Pfosten war eine Glastür angebracht, die ihrerseits mit Jalousetten ausgestattet war, die in der Nacht auch als Vorhänge dienten.

Der Kamin war aus Felssteinen gemauert, und der Fußboden bestand aus großen, polierten Brettern. Das Bett im Wohnzimmer war aus Holzplanken und in die Wand hineingebaut. Mr. Creasy hatte versprochen, für eine Federkernmatratze und den entsprechenden Rost zu sorgen.

Er hatte Wort gehalten.

Eine Bank aus Korbweide, ein zusammenklappbarer Tisch und die passenden Stühle, ein paar Bücherregale und eine kleine Lampe vervollständigten das Mobiliar des Wohn-Schlafzimmers. Die Wandschränke in Wohnraum und Küche enthielten Küchengeschirr und Töpfe sowie neue Bettwäsche. Der Bestand war recht dürftig. Aber immerhin befanden sich in der Küche sogar ein Besen und ein Mop.

»Mr. Creasy hatte seine Sache gut gemacht«, dachte Lisa, nachdem sie sich umgesehen hatte. Sie hatte in der vergangenen Woche Spätdienst im Krankenhaus und keine Zeit gehabt, sich weiter umzusehen. Sie brauchte noch einen Teppich und Kissen für die Bank aus Korbweide, aber das hatte Zeit.

»Bei der Miete, die der Besitzer verlangt, ist der Ort so gut wie geschenkt«, hatte der Makler bemerkt.

»Na, bei fünfundzwanzig Dollar in der Woche würde ich das nicht gerade behaupten«, hatte Lisa erwidert, »aber es gefällt mir und ist genau das, was ich suchte.«

Sie hatte nur einen Koffer mitgenommen, aber am folgenden Tag sollte ihr großer Koffer nachkommen, und sie konnte sich gemütlich einrichten und am Ende sogar den Garten ein wenig in Ordnung bringen. Dieser Garten! Es waren noch Spuren eines ehemaligen gepflasterten Weges zum großen Haus vorhanden, aber die Steine waren völlig von Unkraut und Rankengras überwuchert.

Den Pfad hätte sie gern freigelegt und mit etwas Leuchtendem eingefaßt, mit Ringelblumen vielleicht. Auch Petunien könnte man unter den großen vorderen Fenstern pflanzen.

Mitten in ihren Plänen brach sie ab und lachte. Sie hatte ganz vergessen, daß sie mit Dr. Mathews und seinem neuen Assistenten arbeiten mußte – wie hieß der Mann doch gleich? Bret oder so. Ach ja, Dr. Bret Kimberley. Lisa fing an, ihren Koffer auszupacken und zog sich ein paar bequeme hellblaue Sporthosen und einen passenden Baumwollpulli an.

Eigentlich war es Zeit zum Abendessen. Sie hatte unterwegs in einer Snackbar ein Glas Milch und einen Sandwich mit Rührei zu sich genommen. Dennoch hatte sie jetzt Hunger. Außerdem wollte sie den kleinen Elektrokocher ausprobieren, der in der Küche auf sie wartete. Eine Tasche voller Lebensmittel hatte sie mitgebracht.

Auch Lampen werde ich kaufen müssen«, stellte Lisa später fest, nachdem sie versucht hatte, beim Schein der Deckenlampe zu lesen. Sie war in eine Geschichte der Psychiatrie vertieft und hatte nicht bemerkt, daß die Dunkelheit hereingebrochen war. Schließlich stand sie auf, um die Jalousien an den bodenlangen Fenstern herunterzuziehen. Dabei wich sie entsetzt zurück, denn von draußen starrte sie ein weißes Gesicht an. Das Gesicht einer sehr jungen Frau, deren Lippen sich bewegten. Aber Lisa konnte keinen Laut hören.

Nach einer kurzen Schrecksekunde machte sie die Tür auf und bat die Frau herein. »Was gibt’s denn?« fragte sie.

Die Besucherin war eher ein Mädchen als eine Frau, stellte Lisa fest, sobald die Fremde im Zimmer war. Etwa zwanzig Jahre. Und sie fuhr fort, lautlos die Lippen zu bewegen, ehe sie endlich einen Satz herausbrachte: »Ich habe solche Angst.«

Instinktiv schloß Lisa die Tür und zog überall die Jalousetten herunter. Die junge Frau zitterte vor Angst.

»Bitte, nehmen Sie Platz.« Lisa nahm ihren Gast am Arm und führte die Frau zu der Korkbank. In den blauen Augen des Mädchens stand das blanke Entsetzen, als ob es eben etwas ganz Schreckliches gesehen hätte. Ihr glattes, helles Haar war in Fransen geschnitten, die ihr fast bis zu den Augenbrauen hingen. Hinten hing das Haar bis auf die Schultern.

»Woher kommen Sie? Hatten Sie einen Unfall?« fragte Lisa. Das Mädchen schüttelte den Kopf und begann zu weinen, dabei deutete es in Richtung des Hauses, das sich hinter dicht zusammengedrängten Bäumen hinter Lisas Studio verbarg. Jetzt fiel ihr auch ein, daß sie beim Herunterlassen der Jalousetten Licht in einem der oberen Fenster gesehen hatte. »Kommen Sie aus dem Nachbarhaus?«

Das Mädchen nickte und bemühte sich sehr, sein Schluchzen unter Kontrolle zu bringen.

»Bitte«, sagte Lisa. »Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn ich nicht weiß, um was es geht. Versuchen Sie doch zu sprechen.«

»Ich habe solche Angst«, wiederholte das Mädchen. »Die Geräusche – sie kamen von oben, direkt über mir, als ob jemand das Haus einreißen wollte. Es geistert in dem Haus.«

Lisa ging ins Bad und kam mit einem Beruhigungsmittel und einem Glas Wasser zurück.

»Trinken Sie das«, sagte sie. »Das wird Ihnen sicherlich helfen. Haben Sie keine Angst, hier sind Sie wirklich völlig sicher.«

Gehorsam trank die junge Frau das Glas aus und bedankte sich. Langsam wurde die Fremde ruhiger. »Ich heiße Harriet Duane«, stellte sie sich vor. »Mein Mann und ich, wir sind erst vor ein paar Tagen eingezogen. Wir sind seit einem halben Jahr verheiratet.« Mit großen, ängstlichen Augen schaute sie Lisa an.

»Wo ist Ihr Mann jetzt?«

»Charles ist zum Einkaufszentrum gefahren. Wir hatten keine Zeit mehr, uns vorher mit Lebensmitteln einzudecken. Irgendwie hatte Charles es sehr eilig, hierherzukommen. Ehe er abfuhr, hörte ich etwas und sagte ihm, daß es in dem Haus spukt…«

»Unsinn«, erklärte Lisa heiter. »Entweder ist es ein Einbrecher oder ein Landstreicher. Ich rufe die Polizei an. Oh, mein Telefon funktioniert ja noch nicht. Wenn Ihr Mann in der neuen Siedlung einkaufen gegangen ist, müßte er bald wiederkommen. Sicher denkt er sich dann, daß Sie hier sind und holt Sie ab.« In diesem Augenblick läutete es an der Haustür. »Sehen Sie, da ist er schon«, sagte Lisa und öffnete.

»Entschuldigen Sie bitte, ich bin Charles Duane. Ist meine Frau… oh, da bist du ja, Darling.« Er betrat das Wohnzimmer und nahm seine Frau in die Arme. Sie klammerte sich verzweifelt an ihn. »Ruhig, ruhig«, flüsterte er und schaute Lisa an. Es war der Mann, mit dem sie am Nachmittag beinahe zusammengestoßen wäre.

»Haben wir uns schon gesehen?« fragte er lächelnd.

Ein nettes Lächeln hatte er, dieser Charles Duane mit dem hochmütigen Gesicht. Der Mann streckte Lisa eine Hand entgegen, mit der anderen hielt er seine Frau fest umschlungen. »Jetzt kann ich mich für den Zwischenfall von heute nachmittag in der richtigen Form entschuldigen. Es tut mir wirklich leid. Sehen Sie, ich war mit meinen Gedanken bei meiner Frau, ich machte mir große Sorgen um sie. Dann war ich so plötzlich vor unserer Einfahrt, daß ich beinahe daran vorbeigefahren wäre. Darf ich Ihnen zu Ihrem umsichtigen Fahren und Ihrer raschen Reaktion gratulieren, Miß…«

»Lisa Hale. Sie brauchen keinen weiteren Gedanken mehr an den Beinahe-Unfall zu verschwenden. Ich fuhr recht dicht hinter Ihnen. Und auch ich war mit meinen Gedanken woanders. Ich überlegte mir nämlich, ob der Makler das Studio hier bewohnbar gemacht hatte, oder ob ich mir anderweitig Unterschlupf suchen müßte. Übrigens, irgend etwas hat Ihre Frau sehr erschreckt.«

»Darling, Harriet«, flüsterte Charles Duane und hielt seine Frau immer noch fest im Arm. »Sie hat oft diese unbegründeten Ängste. Ich hoffe nur, daß sie hier zur Ruhe kommen wird.« Wieder schenkte er Lisa sein gewinnendes Lächeln.

»War Ihre Frau krank?« fragte Lisa freundlich.

Charles Duane drückte Harriets Gesicht an seine Schulter. »Nicht krank, einfach unwohl.« Seine Stimme war voller Zuversicht, und seine Worte schienen für seine Frau bestimmt zu sein und nicht unbedingt als Antwort auf Lisas Frage.

»Ihre Frau denkt, daß es in dem Haus spukt«, erklärte Lisa weiter.

»O nein, das denkt sie sicher nicht«, entgegnete Charles Duane, hob das Kinn seiner jungen Frau hoch und lächelte sie an. »Du weißt doch, daß es in dem Haus nicht spukt, nicht wahr, Darling?« sagte er weich. »Wenn ich dir sage, daß es nicht spukt, dann glaubst du mir’s doch, nicht wahr?«

»Ja«, flüsterte Harriet.

»Gutes Mädchen.« Wieder drückte Charles sie fest an sich.

»Sie sagte, irgendwo von oben kämen die Geräusche…«

»Das sind Eichhörnchen«, fiel ihr Charles Duane ins Wort. »Sie wissen doch, daß sie in leerstehenden Häusern eindringen und Generationen von Jungen aufziehen. Möchtest du ein kleines, niedliches Eichhörnchenbaby sehen, Harriet, mein Liebes? Morgen schauen wir uns nach ihren Nestern um.«

Nachdem die Duanes sich verabschiedet hatten und gegangen waren, und Lisa ihr Bett für die Nacht gerichtet hatte, öffnete sie einige kleine Fenster. Die leicht salzige Luft von Long Island strömte herein. Wie eine strahlende Sonne hing der Mond über den Bäumen des Duane’schen Anwesens.

»Ich denke«, sagte Lisa zu sich selbst, »daß Harriet Duane einen interessanten Beitrag zu Dr. Mathews Buch über psychiatrische Krankheitsfälle abgeben kann.«

*

Inzwischen hatte Lisa geholfen, die Einteilung des Buches festzulegen und das erste Kapitel nach Dr. Mathews Diktat stenographiert. Zwischendurch hatte sie an den Besprechungen zwischen Dr. Mathews und seinem Assistenten, Dr. Bret Kimberley, teilgenommen.

Die Studentin konnte sich noch kein rechtes Bild von diesem Dr. Kimberley machen. Er sah gut aus und hatte, wie sie es nannte, ein gemeißeltes Gesicht. Seine Augen waren grau – oder waren sie am Ende grün oder blau? Sie saßen tief unter gut gezeichneten Brauen. Seine Nase war gerade, die Nasenwurzel breit. Es war die Art Nase, wie man sie bei alten, griechischen Statuen findet. Alles in allem hatte der junge Arzt ein gutes und ernstes Gesicht.

Er lächelte nicht, als er Lisa vorgestellt wurde. Ihr eigenes Lächeln gefror ihr förmlich auf dem Gesicht. Immerhin schaute Dr. Kimberley sie interessiert an. Wahrscheinlich war es der forschende Blick, mit denen er potentielle Patienten anzuschauen pflegte.

Immerhin konnte man gut mit ihm zusammenarbeiten. Er war ein guter Zuhörer, wenn sie eher schüchtern eine Meinung äußerte, und immer bereit, einen Punkt, der sie offenbar verwirrte, näher zu erklären. Nachdem sie ihn in der ersten Stunde mehrere Male mit Dr. Kimberley angeredet hatte, hob er die Hand und unterbrach sie.

»Bret«, erklärte er energisch. »Sie können Dr. Mathews mit Namen und Titel anreden, damit haben wir genug an Formalitäten. Ich werde Sie ganz gewiß nicht ständig Miß Hale nennen, Lisa«, setzte er nachdenklich hinzu. »Lisa, das gleitet förmlich über die Zunge.«

Im nächsten Augenblick aber war er wieder so abwesend, daß sie annehmen mußte, seine Freundlichkeit täte ihm schon leid. Dann kam am zweiten Nachmittag Dr. Mathews mit der Nachricht, daß seine Freunde, die Piersons, ein Haus ganz in der Nähe von Mountauk Point gekauft hätten und die ganze Familie, also Dr. Mathews und seine Frau sowie seine beiden Assistenten, zu einer Einweihungsparty eingeladen seien. Zu Lisas Überraschung bot ihr Bret Kimberley an, sie zu der Party zu fahren. Dankend nahm sie an und ging nach Hause, um sich umzuziehen.

Ihr kleines Studiohaus war nur zehn Minuten Fahrtzeit vom Haus der Mathews entfernt. So war Lisa bereits fertig, als Dr. Kimberley eintraf. Sie trug ein kurzes weißes Seidenkleid in Kimonoart mit schwarzem, japanischen Blütendruck. Bret Kimberley nickte anerkennend, nahm ihr die weiße Kaschmirjacke ab, die sie über dem Arm trug, dazu den Schlüssel und schloß das kleine Haus hinter ihr ab.

Auf dem ganzen Weg zu den Piersons sprachen sie nur von Psychologie. »Mich interessiert ganz besonders die medikamentöse Behandlung geistiger Störungen«, erklärte Bret. »Hier werden derzeit große Fortschritte gemacht, obwohl man sich erst seit etwa zehn Jahren ernsthaft mit dem Problem beschäftigt.«