5,99 €
Susanne Mierau entwickelte unter dem Begriff des „geborgenen Aufwachsens“ einen zeitgemäßen, bedürfnisorientierten und liebevollen Erziehungsstil, der sich am Attachment Parenting orientiert. Für Eltern ist es heutzutage nicht leicht aus all den vielen Anforderungen und Möglichkeiten einen gangbaren Erziehungsweg zu wählen, der sie nicht überfordert, den kindlichen Bedürfnissen gerecht wird und ihnen das gute Gefühl gibt, ihre Kinder bestens auf die Zukunft vorzubereiten. Bindungsorientierte Elternschaft ist dabei ein hilfreicher Leitfaden. Dieses Buch bietet einen großen Baukasten an Hilfsmitteln, aus dem sich Eltern nach Bedarf bedienen können ohne sich an dogmatische Regeln halten zu müssen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 246
Das Buch
Wie kann man den kindlichen Bedürfnissen gerecht werden, ohne die eigenen aus dem Blick zu verlieren? Wie kann man sein Kind auf die Zukunft vorbereiten und ihm gleichzeitig eine freie Entwicklung ermöglichen? Das Geheimnis liegt in einer sicheren Bindung zwischen Eltern und Kind und dem innigen Gefühl der Geborgenheit innerhalb der Familie. Susanne Mierau erklärt, mit welcher Grundhaltung dies gelingt.
Ein einfühlsames Begleitbuch ohne dogmatische Regeln, damit in jeder Familie Geborgenheit entstehen kann.
Uns Eltern verbindet, dass wir uns alle jedes Glück der Welt für unsere Kinder wünschen und unser Möglichstes dafür tun. Doch wie der Weg in eine schöne Kindheit und ein gutes Familienleben im Detail aussieht, wissen wir oft nicht so genau. Dabei helfen schon ein paar kleine Dinge im Alltag, um mehr Geborgenheit zu geben und für eine sichere Bindung zu sorgen,
zum Beispiel: das Kind wahrnehmen die Bedürfnisse des Kindes erkennen auf seine Signale angemessen reagieren Sicherheit im Alltag bieten Empathie zeigen und feinfühlig sein viel Nähe und Körperkontakt geben beobachten und aktiv zuhören Rituale schaffen Zeit lassenEin großartiger Baukasten an Hilfsmitteln, aus dem sich Eltern nach Bedarf bedienen können.
Die Autorin
Susanne Mierau, 1980 geboren, hat Kleinkindpädagogik in Berlin studiert und Weiterbildungen u.a. zur Familienbegleiterin absolviert. Sie arbeitete an der FU Berlin in Forschung und Lehre, bevor sie 2011 eine Praxis für Familienbegleitung und Naturheilkunde eröffnete. Susanne Mierau bloggt nahezu täglich auf ihrem sehr erfolgreichen Blog geborgen-wachsen.de. Sie gibt zudem Workshops für Eltern und Fachpersonal und spricht auf Konferenzen und Tagungen über Elternberatung und kindliche Entwicklung. Sie ist Mutter von drei Kindern und lebt in Berlin.
Susanne Mierau
GEBORGEN WACHSEN
Wie Kinder glücklich groß werden
Kösel
Inhalt
Vorwort
Verbunden von Anfang an – Wie die Melodie unseres Lebens entsteht
Was bedeutet Bindung eigentlich?
Wie das Band des Lebens beginnt
Bonding für Väter
Bonding für Geschwisterkinder
Geborgen gebären, geborgen ankommen
Über das Loslassen
Hilfreich für eine geborgene Geburt
Wenn ein Kaiserschnitt unumgänglich ist
Geborgene Geburten für Väter
Ein neues Kennenlernen
Das Kind verstehen – Signale erkennen und bindungsorientiert beantworten
Wir brauchen keine Babyflüsterer
Auf die Nähe kommt es an
Am Anfang: Wie geht es meinem Baby gerade?
Zuhören von Anfang an
Geborgenheit über Sprache vermitteln
Wenn das Kind anderer Meinung ist
Bindung findet im Alltag statt
Geborgen Schlafen
Gemeinsames Essen ist mehr als nur Nahrungsaufnahme
Körperpflege – eine Zeit des Miteinanders
Familien müssen mobil sein – aber wie?
Verwöhnen, Grenzen setzen und das familiäre Umfeld
Erziehung zu … was eigentlich?
Verwöhnen, was soll das sein?
Jedes Bild hat einen Rahmen – über Grenzen
Die anderen Bezugspersonen
Fördern oder fordern?
Glückliche Eltern, glückliche Kinder?
Eltern und Kinder zuerst
Wir müssen keine Supereltern sein
Zeit für mich
Zeit für uns
Kein schlechtes Gewissen!
Schlusswort
Danksagung
Literatur
Netzempfehlungen
Anmerkungen
Vorwort
Wir alle wünschen unseren Kindern das Beste, von Anfang an: Sie sollen geschützt und glücklich im Mutterbauch heranwachsen, eine leichte Geburt ohne Komplikationen erleben und sanft in der Familie ankommen, wo sie geliebt und umsorgt werden. Das ist es, was wir unter Geborgenheit verstehen.
Geborgenheit ist all das Schützende, Hegende, das liebevoll Umsorgende. Es ist das, was uns ein warmes Gefühl im Herzen gibt und Vertrauen wachsen lässt. Baustein einer sicheren Bindung. Ein Leben gänzlich ohne dieses Grundgefühl lässt sich schwer vorstellen. Und dennoch ist es nicht greifbar: Geborgenheit lässt sich nicht zwangsweise herstellen. Ist ein Kind im Tragetuch, muss es nicht unbedingt geborgen sein, auch nicht, wenn es mit Eltern und Geschwistern im Familienbett schläft. Und nur weil man sein Kind im Geburtshaus zur Welt bringt, hat man es nicht am geborgensten Ort der Welt geboren. Geborgenheit ist etwas, das wir mit unseren ganz eigenen Zutaten selbst herstellen. Es ist ein Familienrezept, das in jeder Familie ein wenig anders aussehen kann. Jeder bedient sich anderer Zutaten, damit das entsteht, was die Familie glücklich macht.
Nicht nur unsere Kinder benötigen etwas von dieser Geheimrezeptur, auch wir Eltern sind darauf angewiesen: von der Schwangerschaft über die Geburt bis zum Erleben unserer Eltern- und Partnerschaft. Auch wir wachsen jeden Tag und benötigen Rückhalt und Anerkennung, genau wie unsere Kinder. Ein liebendes Wort, ein aufmunterndes Zunicken, die Bestätigung eines anderen Erwachsenen, dass wir einfach all das geben, was wir können. Uns Eltern verbindet, dass wir uns alle jedes Glück der Welt für unsere Kinder wünschen und unser Möglichstes dafür tun. Doch wie der Weg in eine schöne Kindheit und das gute Familienleben im Detail aussieht, wissen wir nicht so genau. Was sind denn die Zutaten für das geborgene Aufwachsen? Viele Eltern sind verwirrt: Hausgeburt oder Klinik? Familien- oder Kinderbett? Stillen oder nicht? Oft wird betont, dass diese Entscheidungen einen grundlegenden Einfluss auf die Entwicklung des Kindes nehmen – und sie demnach auch folgenschwere Fehler begehen könnten. Schließlich sind die ersten Lebensjahre die Basis für das gesamte weitere Leben. Nervenverbindungen werden aufgebaut oder eben auch nicht. Es werden die Grundlagen dafür gelegt, wie Kinder später mit ihrer Umgebung umgehen, ob und wie sie lieben und Freundschaften aufbauen, wie sie Glück empfinden. Auf das Bauchgefühl hören – das fällt uns heute nicht mehr so leicht, wenn wir all diese Dinge wissen und berücksichtigen wollen. Und vielleicht rät das Bauchgefühl ja auch genau zu etwas, das bei anderen Eltern im Bekanntenkreis gerade nicht besonders beliebt ist oder das gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt. Oder unser Bauchgefühl steht mit den Gedanken in unserem Kopf in einem schwierigen Konflikt.
Vielleicht vermutest du es schon längst, hast dich aber noch nicht getraut, es wirklich anzunehmen: Es gibt viele Wege zum Glück. Es gibt viele Arten, eine glückliche Elternschaft und eine geborgene Kindheit zu leben. Eine der hilfreichsten Voraussetzungen dafür bringen die meisten von sich aus mit: Sie lieben ihre Kinder. Sein Kind zu lieben und anzunehmen, ist eine gute Basis für eine sichere Bindung, auf der alles andere aufbaut. Wie der Rahmen darum gestaltet wird, kann ganz unterschiedlich sein, solange diese Grundvoraussetzung gegeben ist. Es gibt einige Dinge, die es leichter machen, eine sichere Bindung aufzubauen und zu erhalten. Handwerkszeug, das die Entstehung der sicheren Bindung besonders gut unterstützt. Aber viele Sachen sind nicht zwingend notwendig. Denn Kinder sind auch sehr anpassungsfähig und wachsen immer – schon im Mutterleib – in die Bedingungen der Umgebung hinein. Es ist Zeit, dass wir Eltern uns entspannt zurücklehnen und auf der Basis einiger kleiner und einfacher Zutaten das genießen, was wir uns an geborgener Familie zubereiten.
Als meine Tochter geboren wurde, wünschte ich mir, ihren Bedürfnissen ganz nachzukommen. Ich traf viele Entscheidungen – vom Stillen über das Tragen bis hin zum Schlafen. Als dreieinhalb Jahre später mein Sohn zu Hause in meinem Arm lag, merkte ich, dass für ihn andere Dinge wichtig waren als damals für meine Tochter. Ich ging einen anderen Weg. Und bei meinem dritten Kind gab es nochmals andere Entscheidungen. Trotz der Unterschiede in den Entscheidungen stand immer im Vordergrund, dass meine Kinder eine sichere Bindung aufbauen sollten. Ich merkte: Es gibt ihn nicht, den einen immer richtigen Weg.
Deswegen ist dieses Buch auch keine Anleitung dazu, den einen Weg einzuschlagen, der zwangsläufig zum Glück führt. Es möchte dich dabei begleiten, den für dich ganz persönlich richtigen Weg zu finden, der zu deinen Lebensumständen passt. Es zeigt auf, welche Dinge wirklich wichtig sind und wie du sie auf unterschiedliche Weise ausgestalten kannst, um sie an deine eigenen Bedürfnisse anzupassen. Es zeigt die vielen Zutaten und Rezeptvarianten für geborgenes Wachsen als Familie.
Verbunden von Anfang an
Wie die Melodie unseres Lebens entsteht
Ich frage (werdende) Eltern in meinen Kursen immer, was ihrer Meinung nach eine glückliche Kindheit ausmacht. »Liebe« ist eine der häufigsten Antworten. Aber auch: gesehen zu werden, Berücksichtigung der Bedürfnisse, Zeit mit den Eltern zu verbringen, viel Körperkontakt, sich ausprobieren dürfen, keine Gewalt erleben. Betrachten wir diese Antworten, wird eines klar: All dies sind genau die Zutaten, die für den Aufbau einer sicheren Bindung zuträglich sind. Und andersherum: Eine sichere Bindung zu den Bezugspersonen ist eine gute Voraussetzung, damit die Kindheit als glücklich und geborgen erlebt wird.
Was bedeutet Bindung eigentlich?
Bindung, das ist das Zauberwort der Pädagogik und der Psychologie. Schließlich wird auf sie so vieles zurückgeführt: wie sich kleine Babys bewegen, wie viel Nähe sie brauchen, wie sie auf andere reagieren, ob die Eingewöhnung im Kindergarten langsam oder schnell verläuft. Natürlich auch, wie die Kinder Beziehungen zu anderen Kindern und Erwachsenen aufbauen, und schließlich, wie sie später ihre Partnerschaft leben. Bindung begleitet uns ein ganzes Leben lang und ist eine Grundbedingung für die Entwicklung. »Bindung vor Bildung«, schreibt der Kinder- und Jugendpsychiater Karl-Heinz Brisch und meint, dass Bindung die Basis für jedes weitere Lernen ist. Auf der Grundlage einer sicheren Bindung ist das Kind überhaupt erst fähig, neugierig und freudig die Welt zu entdecken.
Tatsächlich können wir uns Bindung vorstellen wie ein Band, das zwischen Kind und Eltern verläuft. Das, was wir zwischen unseren Kindern und uns spannen, ist individuell und einzigartig, ein unsichtbarer Faden von unglaublicher Intensität. 1 Nicht austauschbar, nicht einfach zu einer anderen Person zu verlagern. Es ist das besondere Garn unseres Lebens, das wir verweben, mit vielen anderen Strängen zur Familie und zu Freunden. Es soll schließlich einen warmen und weichen Teppich ergeben, auf dem wir uns bewegen.
Es ist das Grundbedürfnis eines jeden Menschen, solche Bänder, einen solchen Teppich herzustellen. Doch schon hier fängt das »Kann« an, denn es sind ganz unterschiedliche Wege möglich: Die Person, an die sich das Baby bindet, muss nicht zwangsläufig eines der biologischen Elternteile sein. Es ist auch möglich, dass Adoptiveltern, Großeltern, Pflegeeltern oder andere Personen, die dem Baby Schutz und Zuwendung bieten, diese Bindungspersonen werden. Erste Bindung muss nicht weiblich sein. Zwar wird schon in der Schwangerschaft ein Band aufgebaut, doch ist dies zu Beginn des Lebens aufseiten des Kindes noch sehr variabel. Bei der Auswahl der Personen, an die sich das Baby bindet, ist es nämlich genetisch nicht festgelegt: Bevorzugt werden die Menschen, die eben am meisten Zuwendung zeigen und am stärksten verfügbar sind. Solche, die es nähren und am Leben erhalten. Das muss nicht jemand sein, der es wunderbar und optimal versorgt, sondern lediglich ein Mensch, der die Grundbedürfnisse nach Schutz und Pflege erfüllt. Bindung ist aufseiten des Neugeborenen erst einmal ein Sicherheitssystem, das das Überleben gewährleistet. Der Überlebensinstinkt des Babys ist so groß, dass es sich sogar an Menschen bindet, die nicht feinfühlig und sorgsam mit ihm umgehen, sondern es vielleicht nur gerade so in den Grundbedürfnissen versorgen. Nicht das Vorhandensein einer Bindung sagt also etwas über die Geborgenheit aus, sondern die Art, wie diese Bindung ausgestaltet ist. Dass Babys überhaupt eine Bindung eingehen, ist erst einmal reiner Überlebenstrieb. Jedes Kind hat irgendeine Art von Bindung zu den Hauptbezugspersonen.
Die vielen Arten der Bindung
Wie sich die Qualität der Bindung entwickelt, hängt davon ab, wie genau die Interaktion stattfindet und auf welche Weise das Baby umsorgt wird. Wird prompt, sicher und angemessen auf die Bedürfnisse eingegangen, kann sich eine sichere Bindung entwickeln. Zeigt die Bindungsperson aber stark schwankende Verhaltensmuster oder ist sie sogar ablehnend, bildet sich eine andere Art der Bindung aus, die sich wiederum darauf auswirkt, wie das Baby die Welt erlebt und später von sich aus Kontakte aufbaut. Es wird dann später selbst auch eher ambivalent sein.
John Bowlby und Mary Ainsworth haben in ihren Studien vier Bindungstypen identifiziert, die sich aus der Art, wie Eltern auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen, ausbilden: die sichere Bindung, die unsicher-vermeidende Bindung, die unsicher-ambivalente Bindung und die desorganisierte Bindung. Wenn wir von bindungsorientierter Elternschaft sprechen, ist das Ziel, eine sichere Bindung zwischen Eltern und Kind aufzubauen. Hier bei uns ist diese Form bei etwa 60 bis 65 Prozent der Mutter-Kind-Bindungen anzutreffen. Das ist nicht viel. Es wäre schön und auch für die Gesellschaft wünschenswert, wenn es viel mehr wäre. Doch dieser Prozentsatz ist dem Umstand geschuldet, dass wir so mit Kindern umgehen, wie wir es nicht nur in der eigenen Familie, sondern auch im historisch und soziologisch gesetzten Rahmen erlernt haben und welche Ziele wir mit »Erziehung« verfolgen. Je mehr wir verstehen, welch wichtige Bedeutung die Bindung von Anfang an hat und mit welch kleinen Veränderungen man Einfluss nehmen kann, umso intensiver können wir Bindung aufbauen und umso mehr nähern wir uns einer letztlich für alle besseren Zukunft an.
Die Bindungstheorie
Der britische Kinderarzt und Psychoanalytiker John Bowlby (1907 bis 1990) ist der Begründer der Bindungstheorie. Entgegen den Annahmen der Kollegen seiner Zeit, die nach Sigmund Freud psychische Störungen auf innere Konflikte zurückführten, kam Bowlby zu der Überzeugung, dass die frühen Umwelterlebnisse, also äußere Faktoren und insbesondere die Bindungserfahrungen des Kindes, die psychische Entwicklung beeinflussen. In der Abteilung für Kinderpsychotherapie einer Londoner Klinik beobachtete er nach Kriegsende die traumatischen Auswirkungen von Trennung von oder Verlust der Bindungspersonen auf Kinder. Eine von ihm im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführte Studie über die hohe Säuglingssterblichkeit der Nachkriegszeit in europäischen Waisenhäusern unterstützte seine These, dass mangelnde Beziehungen und Bindungen verletzende bis tödliche Auswirkungen auf Kinder haben.
Seine Mitarbeiterin Mary Ainsworth entwickelte 1970 den »Fremde Situation«-Test: einen Test für Mutter und Kind, durch den das Bindungsmuster bestimmt werden kann. Neben den drei ursprünglichen Mustern, »sichere« Bindung, »unsicher-vermeidende« und »unsicher-ambivalente«, kam etwas später die »desorganisierte« Bindung dazu, die bei Beziehungen mit traumatisierten Eltern auftritt.
Auf Basis der Studien beider Forscher hat sich die Sicht auf das Kind und die Beziehung zwischen Bindungsperson und Kind revolutioniert. Die Bindungstheorie wurde in den folgenden Jahren aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln untersucht und weiterentwickelt und bildet heute die Basis für viele Konzepte der pädagogischen und psychologischen Betrachtung. Es ist mittlerweile unumstritten, dass die frühen Bindungserfahrungen das Fundament der seelischen Entwicklung bilden.
Bei der angestrebten sicheren Bindung kann das Kind seine Bedürfnisse äußern und bekommt verlässliche, prompte und angemessene Antworten darauf. Auf dieser Basis entwickelt sich ein grundlegendes Vertrauen, das auch später Beziehungsmuster prägt und die Basis für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung bildet. Sicher gebundene Kinder verfügen meist über mehr Empathie, Flexibilität und Kreativität, sind ausdauernder und lernen leichter. Mit der Zeit wird das Band immer fester, auf Basis dessen, was das Kind erlebt.
Wenn die Kommunikation aber gestört ist und Bindungspersonen unzuverlässig auf die Bedürfnisse des Babys reagieren, wird das Kind dieses Vertrauen nicht aufbauen und seinerseits auch weniger sichere Bindungen eingehen können. Es wird zwischen der unsicher-vermeidenden Bindung und der unsicher-ambivalenten Bindung unterschieden. Eine unsicher-vermeidende Bindung kann entstehen, wenn auf die Bedürfnisse von Babys in den Situationen, in denen sie Sicherheit und Schutz benötigen, nicht angemessen mit Zuwendung reagiert wird, sondern sie mit diesem Bedürfnis allein gelassen werden und selbstständig damit umgehen sollen. Sie erfahren dann, dass sie von ihren Bindungspersonen nicht ausreichend versorgt werden und vermeiden mit der Zeit zunehmend das Einfordern von Unterstützung, Nähe und Zugewandtheit. Die unsicher-ambivalente Bindung kann durch zwiespältige Signale entstehen: Einerseits wird in den Situationen, in denen das Baby liebevolle Zuwendung benötigt, diese auch durch Körperkontakt gegeben, gleichzeitig aber beispielsweise verbal oder durch die Körperhaltung signalisiert, dass diese intensive Zuwendung unerwünscht ist: Das Baby wird getröstet, bekommt aber gleichzeitig gesagt, dass es sich nicht so aufregen soll, dass es nun aber genug sei oder es keinen Grund habe. Hierdurch fällt es dem Kind besonders schwer, sich schnell wieder zu beruhigen. Das Erkundungsverhalten von unsicher-ambivalent gebundenen Kindern ist eingeschränkt, da die oft ängstlichen Bindungspersonen ihnen vermitteln, dass das Erkunden zwar interessant, aber auch gefährlich sei. Gibt es bei der Erkundung Probleme, weiß das Kind, dass es von der Bindungsperson zwar getröstet, gleichzeitig aber auch für schuldig erklärt wird und vermeidet daher das Erkunden gänzlich. Beide unsicheren Bindungsmuster können sowohl die psychische als auch die kognitive und emotionale Entwicklung negativ beeinflussen. Die desorganisierte Bindung entsteht auf Basis von traumatischen Erlebnissen der Bindungspersonen, die diese nicht ausreichend verarbeitet haben. Weil sie in einigen Situationen von ihrem eigenen Traumata überrollt werden, können sie sich nicht angemessen dem Kind zuwenden und im Gegenteil furchterregend wirken oder das Kind selbst traumatisieren. In anderen Situationen reagieren die Eltern aber auch feinfühlig und sensibel. Auf diese Weise kann das Kind jedoch kein sicheres inneres Bild vom Verhalten der Bindungsperson aufbauen, was zu vielfältigen Problemen im Zusammenleben mit anderen Menschen führen kann.
Auch Kinder, die Gewalterfahrungen machen müssen, haben eine Bindung an ihre Bezugspersonen – aber eben keine sichere. Dies wirkt sich auf ihre Lernfähigkeit, ihr Empfinden und ihre gesamte Weltsicht aus.
Neben der Hauptbindungsperson gibt es für Babys durchaus viele Möglichkeiten, sich auch anderweitig versorgen zu lassen und Bindungen zu weiteren Personen einzugehen. Zahlreiche andere Kulturen zeigen uns: Die Versorgung des Babys ist nicht immer nur Aufgabe der genetischen Mutter, sondern kann durch einen ganzen Stamm, durch viele verschiedene Menschen erfolgen. Sogar in Bezug auf das Stillen sind Babys anfangs nicht ausschließlich auf die eigene Mutter fokussiert, sondern trinken problemlos an der Brust anderer Mütter. Bindung ist also eine sehr vielschichtige Angelegenheit, die beim Kind zwar genetisch vorgegeben ist, aber in der personellen Ausgestaltung sehr verschiedene Formen annehmen kann. Keine davon ist schlechter oder besser, solange die Bedürfnisse des Babys beachtet werden.
Was wir für eine sichere Bindung tun können
Bindung beginnt nicht erst mit der Geburt. Sie beginnt schon viel früher: mit der Schwangerschaft oder eigentlich schon dann, wenn wir uns ein Kind wünschen, wenn wir uns auf den Weg begeben, schwanger zu werden. Schon zu diesem Zeitpunkt machen wir uns die ersten Gedanken darüber, wie wir wohl als Eltern sein würden und wie unser Kind wohl so wäre: Wird es jemandem ähnlich sehen? Wir stellen uns vielleicht vor, wie es in unseren Armen einschläft und wie wir über seine zarte Haut streichen.
Im englischsprachigen Raum wird Bindung etwas differenzierter betrachtet als bei uns: »Bonding« ist dort die Bindung der Eltern an das Kind, »Attachment« die der Kinder an die Eltern. 2 Sprechen wir bei uns von »Attachment«, denken wir allerdings eher an »Attachment Parenting« und damit an eine bestimmte Form des Bindungsaufbaus. Ich bezeichne es daher lieber als »Elternverbundenheit«, weil damit ausgedrückt wird, dass Kinder immer eine Verbindung zu ihren Eltern aufbauen, unabhängig von der Qualität dieser Bindung. Tatsächlich sind die Wege zur Bindung auf beiden Seiten vielfältig und beginnen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Auf beiden Seiten allerdings lässt sich zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung etwas tun, um Geborgenheit und Bindung zu unterstützen. Bindung kann wachsen und braucht manchmal auch einfach Zeit. Und: Es ist nie zu spät, um Geborgenheit zu geben– wie auch immer der Anfang war.
Wie sieht bindungsorientierte Elternschaft aus?
Bindungsorientierte Elternschaft bedeutet nicht, jeden Trend von »Stoffwindeln« über »Breifrei« bis »Kinderwagenverzicht« mitmachen zu müssen. Es bedeutet auch nicht, sich selbst aufzugeben und die Bedürfnisse des Kindes immer in den Vordergrund zu stellen. Bindungsorientierte Elternschaft bedeutet vor allem, das Kind wahrzunehmen, auf seine Signale richtig und angemessen zu reagieren, zur jeweiligen Familie passende Entscheidungen zu treffen und sich auf dieser Basis um eine sichere Bindung zu bemühen. Dabei gibt es einen großen Baukasten an bindungsunterstützenden Hilfsmitteln, aus dem sich Eltern nach Bedarf und Situation bedienen können. Es muss aber nicht immer alles sein. Wir alle sind unterschiedlich, leben in ganz verschiedenen Familienformen: von Alleinerziehenden über klassische oder Patchworkfamilien bis hin zu Regenbogenfamilien in verschiedenen Zusammensetzungen. Wir alle können bindungsorientierte Elternschaft leben, und zwar auf die Art, wie es eben zu uns passt. Es gibt keine Familienform, die per se »bindungsorientierter« wäre als eine andere, und kein Hilfsmittel, das von sich aus eine gute Bindung garantiert.
Wie das Band des Lebens beginnt
Da ist er nun, der positive Schwangerschaftstest. Bedeutungsschwer liegt er in der Hand. Vielleicht ist es das erste Baby, vielleicht auch das zweite, dritte … Mit dieser Bestätigung, mit dem ersten Bild davon, dass nun ein weiterer Mensch in unser Leben tritt, kommen unmittelbar auch Gefühle hoch: Freude und Aufregung, Vorfreude und Glück oder vielleicht auch Angst oder Ablehnung. Wie wird es sein, Mutter/Vater zu werden? Werde ich dieses Kind lieben, wird es mich lieben? Kann ich ein weiteres Kind so lieben wie mein erstes?
Schon in diesen ersten Minuten fangen wir damit an, eine Verbindung herzustellen. Wir stellen uns Fragen, die das zukünftige Leben betreffen, den Schutz und die Versorgung des Kindes. Wir beginnen damit, ein Band zu knüpfen zu dem Leben, das in uns wächst. In den nächsten Wochen, Monaten und Jahren wird es stärker werden – bei einigen schneller, bei anderen langsamer. Jede Bindung ist individuell und hat ihren eigenen Weg.
Das Lied des Kindes selbst vernehmen
Von einem afrikanischen Stamm heißt es, dass das Geburtsdatum nicht jenes ist, an dem das Kind empfangen oder körperlich geboren wird. Es ist der Tag, an dem die Schwangere die ersten Bewegungen des Kindes in sich spürt. Sie zieht sich zurück von ihrem Stamm, um das Lied ihres Kindes zu vernehmen. Sie wartet so lange, bis sie es hört – von ihrem Kind selbst. Sie ruht bei sich und ihrem Kind und hört ihm zu. Hat sie es vernommen, geht sie zurück und bringt dieses eine besondere Lied dem Stamm bei. Die anderen Frauen und Hebammen des Dorfes lernen es, um es während der Geburt und zur Begrüßung des Kindes auf der Welt zu singen. Das gesamte Dorf lernt dieses Lied, um es dem Kind vorzusingen, wenn es das braucht, wenn es sich verletzt hat oder bei besonderen Festen. Am Ende des Lebens wird dieses Lied als Abschied vom ganzen Dorf gesungen. 3
In diesem Beispiel aus Afrika symbolisiert ein Lied eine Verbindung zu den anderen Menschen der Gemeinschaft, von der Zeit im Mutterleib bis zum Lebensende. Vom Wunsch nach einer Schwangerschaft bis zum Ende unseres Lebens reicht die Zeit, in der wir an unser Kind gebunden sind. In gewisser Weise sogar darüber hinaus, denn die Art, wie wir unsere Kinder begleitet haben, trägt sich als Erinnerung und in vielen Impulsen im Umgang mit anderen fort.
Muss ich das Baby in mir sehen, um verbunden zu sein?
Gerade am Anfang, wenn noch keine Bewegungen des Babys wahrnehmbar sind, ist der Kontakt zu ihm schwierig. Aber in einer ruhigen Minute können wir in uns hineinhorchen und die Gedanken zu dem Leben wandern lassen, das in uns wächst. Wie groß mag es jetzt sein? Wann werde ich es wohl zum ersten Mal fühlen?
Viele Eltern wünschen sich gerade jetzt Bilder, wollen das noch so ungreifbare Neue in ihrem Körperinneren sehen, es wirklich real machen. Dass Dinge auch ohne eine Abbildung existieren, ist in unserer heutigen bildlastigen Welt für manche schwer vorstellbar. Schließlich sind wir andauernd von einer Flut von Bildern umgeben, bekommen Fotos vom Mittagessen anderer zugesendet oder Selbstporträts von Freunden in jeder Lebenslage. Neben der Gewohnheit, alles in Bilder zu fassen, spielt beim Kontaktknüpfen auch oft die Angst eine wichtige Rolle: davor, dass es dem Kind nicht gut gehen könnte. Oder vor einer Behinderung des Kindes, den dann zu fällenden Entscheidungen und möglichen Auswirkungen auf das Leben.
In der Schwangerschaft sind drei Ultraschalluntersuchungen vorgesehen, die uns Bilder vom Kind geben können. Nur wenn medizinisch wichtige Gründe vorliegen, werden weitere angeraten. Der Wunsch, sein Baby zu sehen, zählt nicht dazu. Nicht einheitlich geklärt sind die möglichen Auswirkungen dieser bildgebenden Verfahren. Es gibt daher Schwangere, die ganz darauf verzichten, denn die Untersuchungen sind ein Kann, kein Muss. Letztlich liegt es in der Hand der Eltern zu entscheiden, wie viele und welche Untersuchungen durchgeführt werden.
Für die Entwicklung des zarten Bandes zwischen Eltern und ihrem Kind ist es manchmal eine Unterstützung, ein Ultraschallbild vor Augen zu haben, es in der Tasche bei sich tragen zu können und in einem unbeobachteten Moment darüber zu streichen. Denn auch das ist der Aufbau einer Bindung: sich auf das neu wachsende Leben besinnen und es mit Glückshormonen begrüßen zu können. Und gerade für den nicht-schwangeren Elternteil kann es die Möglichkeit sein, an das wachsende Kind zu denken und sich langsam daran zu binden.
Dafür brauchen wir allerdings keine monatlichen Bilder, sondern es reichen durchaus ein paar wenige aus. Schließlich wird schon bald das nur vage Gefühl von handfesten Impulsen abgelöst. Für manche Eltern und besonders die Schwangere ist die Bindung sogar intensiver, wenn sie sich kein Bild von ihrem Kind machen, sondern ganz in der für sie fühlbaren Symbiose mit dem Kind aufgehen können. Schließlich trennt die bildliche Wahrnehmung des Babys auch etwas von dieser Verbundenheit auf: Das Baby wird als Baby betrachtet, die Schwangere als einzelne Person und die Schwangerschaft nicht mehr als natürlicher Zustand der Verbindung von beidem. Welches Vorgehen für die jeweiligen Eltern zur Unterstützung besser ist, muss eine werdende Familie für sich selbst entscheiden.
Bonding in der Schwangerschaft
Spürt die Schwangere etwa ab der 17. Schwangerschaftswoche zum ersten Mal die Bewegung ihres Kindes, ist das der Beginn einer neuen Art von Kommunikation. »Ich bin hier«, sagen die Bewegungen. Im Gegenzug streicht ein Elternteil oder Geschwisterkind über den Bauch: »Wir spüren dich.« Über Berührung findet Kommunikation statt. Wächst das Kind und wird es allmählich enger in der Gebärmutter, werden auf beiden Seiten immer mehr Berührungsreize wahrgenommen. Ein Fuß, der gegen eine Rippe stößt, wird sanft mit einem Händedruck beruhigt. Das Stoßen des Babys wiederum kann auch bedeuten, dass der Stress auf der Arbeit gerade etwas viel ist … Es sind die allerersten Formen eines Zwiegesprächs über die Haut und das Tastempfinden. Eine Kommunikationsform, die ein ganzes Leben lang bestehen bleiben wird. Über Berührungen können wir so viel mehr erreichen und erfahren als über das bloße Bild des sich in uns befindenden Babys. Bindung entsteht auch über Berührung: während und nach der Schwangerschaft. Und gerade später kann sie das Tor zu einer Kommunikation mit größeren Schulkindern sein, die zeitweise nicht reden wollen. In der Schwangerschaft bereits legen wir den Grundstein dafür, miteinander ins Gespräch zu kommen – über die Haut. Und wir lernen mitzuteilen, dass wir verbunden sind.
Wann immer es daher möglich ist, sollten in der Schwangerschaft Momente der wohltuenden Berührung in den Alltag integriert werden. Dies kann am Abend eine entspannende Fantasiereise zum Kind sein. Während harmonische Musik läuft, legen wir die Hände auf den Bauch und spüren zum Kind hin. Je größer es wird, desto eher lassen sich vielleicht auch schon Körpermerkmale erahnen: Ist dies ein Kopf, der sich in die Hand schmiegt, oder ein kleiner Po? Für den Anfang empfiehlt die Bindungsanalytikerin Sabine Schlotz, sich eine Ankerkette zum Kind vorzustellen: In einem Moment der Ruhe kann die Verbindung zum Baby im Körper durch ein goldenes Band oder die Nabelschnur versinnbildlicht werden. Auf diese Weise kann das Band, das noch so zart und im Alltag schwer zu spüren ist, realer gemacht und die (Ver-)Bindung von Anfang an intensiver hergestellt werden. 4
Entspannung ist in unserem Alltag wichtig. Noch wichtiger wird sie in einem Alltag mit Kindern. Deswegen ist es vorteilhaft, schon früh bewusst Entspannungszeiten ins Leben einzubetten, damit man als Eltern auch später nach der Geburt darauf achtet. Bleibt einmal wenig Zeit für solch exklusive Momente, reicht es aber auch, sich die Hand hier und da auf den Bauch zu legen und sich damit zu vergegenwärtigen, dass gerade ein Mensch im eigenen Körper heranwächst. Gerade beim zweiten oder dritten Kind, wenn die reine Bauchstreichelzeit weniger ist als in der ersten Schwangerschaft, können gut die kleinen Momente im Alltag genutzt werden: das Fahren in den öffentlichen Verkehrsmitteln, Wartezeiten, fünf ruhige Minuten in der Mittagspause, die Zeit auf der Spielplatzbank, wenn dem größeren Kind beim Spielen zugesehen wird. Durch diesen Kontakt haben es Eltern leichter, nach der Geburt die Verbindung aufzunehmen. Die Entwicklung der Bindung wird erleichtert, Eltern reagieren feinfühliger und emotionaler. 5
Berührung, das bedeutet nicht nur einfaches Streichen über die Haut, sondern es setzt Hormone frei. Hormone, die uns glücklich machen und Bindung unterstützen. Im Alltag sorgen wir für uns, wenn wir bei Kopfschmerzen unsere Schläfen massieren oder bei Bauchschmerzen die Hand auf den Bauch legen. Bei angenehmen Gefühlen, positivem Körperkontakt, Massagen, dem Stillen, bei angenehmer Körperpflege und in anderen schönen Situationen werden die Glückshormone Dopamin und Oxytocin ausgeschüttet. 6 Oxytocin, dieses Liebeshormon, bewirkt Entspannung, ein Gefühl der sozialen Verbundenheit, es mildert Ängste, senkt den Blutdruck, verringert den Kortisolspiegel, verbessert die Wundheilung, regt das (Nerven-)Wachstum an. 7 Wird Oxytocin ausgeschüttet, fungiert es als Bindungshormon und wir fühlen uns dem Menschen uns gegenüber verbunden.
Nicht erst, wenn das Baby da ist, legen wir die Hand beruhigend und liebevoll auf seinen kleinen Körper, sondern bereits in der Schwangerschaft. Wir senden damit Willkommensgrüße an das ungeborene Kind. Zu jeder Sekunde ist die Schwangere ohnehin mit ihrem Baby in einem Austausch, in einem Gespräch über das, was sie tut und erlebt. Dem Baby im Körper bleibt nichts verborgen.
Stress in der Schwangerschaft