Gebrauchsanweisung für das Münchner Oktoberfest - Bruno Jonas - E-Book

Gebrauchsanweisung für das Münchner Oktoberfest E-Book

Bruno Jonas

0,0
12,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Münchner Oktoberfest ist ein Großereignis der speziellen Art: Jeden Herbst reisen sechs Millionen Menschen aus aller Welt an, um auf einer betonierten Fläche, der »Wiesn«, auf engstem Raum typisch bayerische Mahlzeiten und Getränke zu überhöhten Preisen einzunehmen, zu feiern, anzubandeln, sich zu prügeln – kurz: ein paar Stunden Fröhlichkeit zu genießen. Bruno Jonas leuchtet die Dimensionen dieser Veranstaltung aus – von den Eigenheiten des MVV bis zur Sitzplatzsuche im Bierzelt, der Prominentenbox und dem Laiendirigieren, vom Trachtenkomplettset bis zum »italienischen Wochenende «. Die Dialektik bayerischer Wesensart kommt dabei ebenso zur Sprache wie diverse Rauschzustände und die Wiesn als Sinnbild für die Ewigkeit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.piper.de
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe
1. Auflage 2011
ISBN 978-3-492-95354-2
Ungekürzte Textausgabe 2011 der illustrierten Ausgabe von 2010
© Piper Verlag GmbH, München 2010 und 2011
Umschlagkonzept: Büro Hamburg
Umschlaggestaltung: Birgit Kohlhaas, Egling
Umschlagabbildung: Horst Friedrichs / Anzenberger
Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Alles dreht sich

Beginnen wir mit dem Ende. Also um genau zu sein, mit meinem ganz persönlichen Ende. Es war der letzte Wiesntag. Letzte Gelegenheiten muss man nutzen, habe ich mir gesagt, und bin naus, weil mir eine innere Stimme gesagt hat, dass ich noch einmal naus muss auf die Wiesn, bevor sie vorbei ist. Man sagt in München, dass man »auf die Wiesn naus geht«. Das klingt komisch, weil die Theresienwiese mitten in der Stadt liegt. Aber kein Mensch würde sagen, dass er auf die Wiesn »nei«(= rein) muss. Nein, ein jeder muss naus. Und so war es auch bei mir.

Und schon war ich mittendrin in ihr. Die Wiesn hat mich aufgenommen wie eine Frau, die mich sehnsüchtig erwartet. Eine Riesengaudi habe ich gehabt, eine Stimmung, wie sie ausgelassener nicht hätte sein können. Ich war im Himmel der Bayern und hab gesungen mit einer Stimmkraft, die niemand bei mir vermutet hatte. Am wenigsten ich selber. Who the fuck is Alice?, habe ich aus vollem Hals geschrien, dass man meinen hätte können, ich möchte wirklich wissen, wer die Dame ist, die da next door wohnt. Selbstverständlich habe ich ein paar Maß getrunken. Sowieso. Meiner Erinnerung nach waren es vier. Es gibt aber Zeugen, die behaupten, es wären drei gewesen. Sehr glaubwürdig sind sie nicht, weil sie nämlich alle einen Dampf gehabt haben, dass es nicht mehr schön war. Ich auch, deshalb müssen es vier gewesen sein.

Grad schön war’s. Und auf einmal passiert etwas völlig Unerwartetes. Ich schaue in die Runde an meinem Tisch und verkünde unvermittelt: »So, ich pack’s jetzt!«

»Du packst es jetzt nicht!«, haben meine Spezln vehement widersprochen. »Du bleibst hocken, weil wir noch eine bestellen!«

»Aber so redet man mit mir nicht«, habe ich gesagt und bin aufgestanden. Und zwar gaaanz langsam, quasi in Zeitlupe, es war ein Akt der Selbstbeherrschung, wie ich ihn nur unter diesen Umständen praktizieren kann. Alle haben mich glasig angeschaut und mich für meine varietéreife Aufstehakrobatik bewundert. Es war beeindruckend. Wer in meinem Zustand noch so aufstehen kann, der hat Beifall verdient. Beinahe wäre ich nach vorne gekippt und mit dem Kopf an einem Maßkrug aufgeschlagen, weil ich das Übergewicht bekommen hatte, aber reaktionsschnell, wie ich noch war, konnte ich die Vorwärtsbewegung gerade noch abfangen und so eine Kopfverletzung vermeiden. Das war knapp. »Leck mich am Arsch«, habe ich gesagt, »hab ich einen Dampf.« Meine Freunde nickten begeistert und signalisierten ungeteilte Zustimmung. Ich habe kurz hell aufgelacht und geblasen wie ein Heißlüfter auf Stufe drei … und jetzt fehlen mir ein paar Minuten …

Irgendwie habe ich den Weg aus dem Himmel der Bayern herausgefunden und das Festgelände Richtung Taxistand hinter der Ruhmeshalle an der Bavaria verlassen. Ich habe eine Frau im Arm gehalten. Beziehungsweise sie mich. Da gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Wir wandern also an den Bierleichen zu Füßen der Bavaria vorbei und spazieren hinauf auf den Hügel, bis wir oben angekommen sind. Ich bleib stehen und drehe mich noch einmal um, um zurückzuschauen. Ich lass den Blick über die Wiesn schweifen. Es geht mir wie nach einer langen Wanderung durchs Gebirge, wo ich von einem letzten Gipfel aus auf den zurückgelegten Weg blicke.

Und da erkenne ich die Grundform der Wiesn, das, was sie mir als Ganzes sagen will, das, was sie im Innersten zusammenhält: Alles dreht sich! Ich schaue auf das Riesenrad, wie es sich dreht. Und die Gondeln drehen sich wieder in sich. Das Kettenkarussell, das Teufelsrad, der Hurrican, eine einzige Kreisbewegung. Alles auf der Wiesn dreht sich, und ich mich mit ihr. Es ist der Kreis, ohne Anfang und ohne Ende, der sich ewig drehende Kreis, der die Wiesn auszeichnet. Es hört nie auf! Das Oktoberfest ist ein Sinnbild für die Ewigkeit!

Es ist eine runde Angelegenheit. Man muss es von oben gesehen haben. Steigen Sie ein in das Riesenrad und lassen sich langsam emporheben bis zum höchsten Punkt der Kreisbewegung, und genießen Sie den Blick über die Theresienwiese, und dann betrachten Sie die Geometrie des Geländes. Die Wiesn ist eine Scheibe. Und Sie müssen wahrscheinlich sofort an »Ihren« Homer denken und an den alten Hesiod. Oder auch nicht. Ich gebe zu, dass ich nicht sofort draufgekommen bin. Drauf gebracht hat mich der Sloterdijk. Im zweiten Band der Sphären versucht er, die Menschheitsgeschichte aus der Form der Globen herzuleiten. Eine direkte Wiesnanleitung ist es nicht gerade, als vorbereitende Lektüre für einen Oktoberfestbesuch ist die Abhandlung somit nicht geeignet, aber interessant sind seine Überlegungen schon. Und weil keiner, der die Grundstrukturen unseres Denkens freilegen will, an den alten Griechen vorbeikommt, ankert der Sloterdijk auch bei ihnen. Bei Sokrates, Platon, Aristoteles, beim Hesiod und beim Homer.

Die alten Griechen sahen die Erde als runde Scheibe. Ihr Weltbild hatte darum einen Rand. »Denn woran, wenn nicht an der hervorgehobenen Umfassungslinie, die das Äußerste markiert, soll der Betrachter erkennen, dass er tatsächlich ein Bild des Universums vor sich hat.« Bei diesem Satz aus den Sphären musste ich sofort an den Bavariaring denken, der die Wiesn umfasst und ihr Äußerstes markiert und sie zusammenhält wie der Eisenring das Holzfass. Es war eine Offenbarung! Die Wiesn an sich kann man schon als das Äußerste verstehen, und ohne eine scharfe Umfassungslinie kann dieses Äußerste nicht bestehen. Der Bavariaring hält die Wiesn zusammen und bildet eine Grenze hin zur Stadt. Jeder, der diese Grenze in Richtung Wiesn überschreitet, macht eine Grenzerfahrung von besonderer Qualität. Er betritt eine andere Welt.

Die alten Griechen hatten die Vorstellung, dass die Peripherie der Weltscheibe vom Okeanos umströmt wird. Damit meinten sie nicht einen Ozean, wie wir ihn uns heute vorstellen. Den Okeanos dachten sie sich als Rundstrom, der die Welt umfließt. Die Welt war durch einen Fluss gerahmt. Und beim Anblick des Bavariarings kam mir dieser Okeanos in den Sinn. Der Bavariaring ist ein ausgetrocknetes Flussbett und erfüllt im Weltbild der Wiesneinwohner die Funktion des umströmenden Flusses. Nur fließt kein Wasser, sondern Verkehr. Zwischen Wiesn und Stadt liegt der Verkehrsfluss.

Betrachten wir das Oktoberfest für einen Moment wie eine große Erzählung, die alle Bereiche des Daseins berührt, die zusammenbindet, was Welt und Menschenleben heißt: Liebe, Hass, Kampf, Tod, Krieg und Frieden, Glück und Unglück, Kasino und Gerechtigkeit. Solche Geschichten halt, an denen niemand vorbeikommt, weil das Schicksal waltet, grad wie es ihm gefällt.

Die großen Dichtungen Homers, die Ilias und die Odyssee, fesseln uns bis zum heutigen Tag, weil sie alle menschlichen Nöte und Freuden auf eine Weise formen, dass wir ehrfürchtig staunen müssen, wenn wir sie lesen. Ganz anders, aber von gleicher literarischer Größe sind die Abenteuer des Ritters von der traurigen Gestalt, Don Quichotte, und seines Dieners Sancho Pansa. Und Dante Alighieri hat uns mit der Göttlichen Komödie eine Dichtung geschenkt, die sich mit den vorgenannten auf einer Ebene befindet und noch weniger gelesen wird.

Was haben diese großen dichterischen Vermächtnisse mit dem Oktoberfest zu tun? Quichotte, Dante und Odysseus, spinnt der Beppi? Nein, der Beppi spinnt nicht. Die Wiesn lässt sich anschauen als bayerische Ilias. Sie ist ein einziges Wogen, ein Hin und Her, ein Kampf ums Bier und um Plätze und was weiß ich noch alles. Auch Odysseus weist sehr viele Parallelen zur Wiesn auf und Dante in der Göttlichen Komödie erst recht und der Don Quichotte sowieso: Alle drei laufen orientierungslos durch ihr Leben und wissen nicht mehr, wie sie heimkommen sollen. Dante legt eine Wanderung zurück von der Hölle bis in den Himmel, von ganz unten bis nach ganz oben, der Odysseus legt eine Irrfahrt hin, die ihresgleichen sucht, und der Don Quichotte kennt sich in der Welt überhaupt nicht mehr aus und findet sich hinten und vorne nicht mehr zurecht. Wer Windmühlen für Riesen hält, der kommt doch von der Wiesn, bildlich gesprochen. So wie manche ein Fußballspiel »lesen«, lässt sich das Oktoberfest im Sinne Dantes lesen als einer der neun Höllenkreise, die Dante durchwandern muss. Und schließlich Odysseus, der arme Hund, ihn zieht es ins Offene, und wer einmal lang genug auf der Wiesn war, den zieht es auch ins Offene, doch findet er sich oft in der Enge wieder. Auf der Wiesn gibt es nur einen Weg: von der Enge in die Weite und von der Weite in die Enge. Viele kommen von weit her und finden sich in der Enge. Und viele kommen aus der Enge und suchen das Weite. Und in all diesen Geschichten geht es irgendwie auch immer um irgendein Weib. Das ist die Wiesn!

Die Fülle des Geschehens schreit geradezu nach einer künstlerischen Bearbeitung, einem ebenbürtigen bayerischen Epos, das neben den großen Menschheitsdichtungen bestehen kann. Es gab einige Versuche. Ödön von Horváth hat es probiert mit einem Stück, Karl Valentin hat einige Szenen geschrieben, andere haben einiges dramatisiert, sicher, aber bisher hat sich noch kein Genius gefunden, der das jährliche Geschehen an der Bavaria für die Menschheit dichterisch festgehalten hätte.

Gerade beschließe ich, dieses Versäumnis nachzuholen, und denke über einen passenden Anfang für das Jahrhundertwerk nach, und ich weiß spontan, es ist der sich drehende Kreis, in dem es keinen Anfang und kein Ende gibt, jeder Punkt des Kreises ist Alpha und Omega zugleich, als eine Stimme zu mir sagt: »Komm, geh weiter!«, oder so was wie »Jetzt komm schon!«. Hat die Bavaria hinter mir gesprochen, oder sind das Stimmen aus dem Jenseits? Ruft mich das Jenseits? Der Boandlkramer, der Tod? Der schaut aber heute lustig aus. Ist der schon wieder besoffen? Z’vui Schnaps dawischt, ha? Wos? Ich? Ich habe gar keinen Schnaps getrunken. – Was will er von mir? – Einen Ausweis? – Habe ich. Sowieso! Bitte? … Führerschein? Aha. – Habe ich auch. Ob ich noch Auto fahren will? Heute? Fragt mich der Boandlkramer. Das, äh – glaube ich, schaffe ich heute nicht mehr. Und wenn doch, dann soll er mich sofort verhaften! Hallo, sofort verhaften und heimtragen, bitte! Warum trägt der Boandlkramer eigentlich eine Schusswaffe? Und warum ist der zu zweit? Das Jenseits ist auch nicht mehr das, was es mal war. Habt’s ihr im Himmel drüben so viele Kriminelle, dass ihr eine Pistole braucht’s, ha? Also, wenn das so ausschaut, das Jenseits, dann will ich da nicht hin! Da ist mir das Diesseits hier auf der Wiesn schon lieber. Aber lang dauert’s nicht mehr. Nur noch ein paar Stunden, und die Wiesn ist aus für heuer.

Was wird das für ein Leben sein ohne die Wiesn? Grau, hektisch, voller Müh und Plag, im Fegefeuer des Alltags werden alle armen Sünder schmoren müssen ein ganzes Jahr lang. Bis sie wieder losgeht, die Wiesn. Die Erlösung wird kommen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, die Wiesn wird auferstehen, wie der Herr auferstanden ist am dritten Tage, im September, gell, jawoll, die Wiesn, das Bier … waren es jetzt drei Maß oder doch viere? Auf jeden Fall z’wenig! Oder? Wieso dreht sich eigentlich alles? Mensch, hab ich einen Dampf. Vielleicht hätt ich nach dem Schweinsbraten nicht noch den Kaiserschmarrn und die Bayerische Creme essen sollen … vielleicht waren’s doch fünfe? Kannt scho sei – Hauptsache schee war’s –

Da geht’s lang

Wo komm ich her, wo geh ich hin, wo kauf ich mir die nächste Halbe? Solche Fragen stellt der Bayer selten. Im Normalfall weiß der Bayer immer, wo’s langgeht, weil er sich auskennt in der Welt. Egal, wo er sich gerade befindet, ob in Chicago, Hongkong, Manaus, Moskau oder sonst wo, er weiß, wo er »dahoam« ist. Natürlich in Bayern. Aber warum? Weil er dort bei sich ist. Da er überall bei sich ist, ist er in der Welt daheim. Es ist vor allem die bayerische Sicht der Dinge, die ihm Sicherheit verleiht im Dasein.

Freilich passiert es ihm, dass er unschlüssig ist und überlegen muss, auf welchem Weg er sich befindet und wohin er sich auf seinem Weg nach vorn begeben möchte. Zur Oktoberfestzeit ist es aber für die meisten Bayern keine Frage, woher sie kommen, wohin sie gehen und wo sie sich die nächste Halbe kaufen. Sie kommen von der Wiesn, sie gehen auf die Wiesn, und die nächste Halbe kaufen sie sich bestimmt nicht auf der Wiesn, weil dort nur Maßen ausgeschenkt werden, die meistens, sofern gut eingeschenkt wurde, einem ganzen Liter Bier entsprechen. Und falls doch irgendwo Halbe ausgeschenkt werden, so weist sie der Bayer gleichmütig zurück und bestellt eine Maß.

Aber bis zur ersten kühlen Maß kann es ein beschwerlicher Weg sein, wenn man sich nicht auskennt. Deshalb haben wir ein paar wichtige Vorüberlegungen für Sie zusammengestellt, die Sie unbedingt beachten sollten.

Zunächst sollten Sie wissen: Es gibt nur ein Münchner Oktoberfest, das sich logischerweise in München befindet! Wir wollen gar nicht bestreiten, dass überall auf der Welt große Volksfeste stattfinden, die gewisse Ähnlichkeiten mit unserer Wiesn haben. Immer wieder hören wir, dass es weltweit 2000 Oktoberfeste gibt, aber das Original befindet sich in München und sonst nirgends!

Es könnte sein, dass Ihnen jemand vom Oktoberfest in Berlin vorschwärmt. Das können Sie gleich vergessen! In der Hauptstadt gibt es zwar vor dem Roten Rathaus tatsächlich eine Veranstaltung, die den Namen des Münchner Originals trägt. Es handelt sich dabei aber um eine jämmerliche Kopie, die mit allerhand Ritualen aufwartet, die nur entfernt mit dem Geschehen in München zu tun haben. Wir sagen das nur, weil es schon irregeleitete Fremde gegeben haben soll, die felsenfest davon überzeugt waren, sich ihren Rausch auf dem berühmten Oktoberfest angetrunken zu haben. Wir bestreiten gar nicht, dass sie besoffen waren, aber ein Rausch, der in Berlin erworben wurde, kann nur wenig mit einem Münchner Oktoberfestrausch zu tun haben.

Sollten Sie also von weiter her kommen, so müssen Sie unbedingt darauf bestehen, in München anzukommen. Nun fragen Sie wahrscheinlich: Woran merke ich, dass ich in München bin? Es gibt ein paar untrügliche Merkmale. Sie haben bestimmt davon gehört, dass in München ein Hofbräuhaus steht. Aber ein Hofbräuhaus gibt es nicht nur in München, das gibt es auch in Tokio, in Chicago und in vielen anderen Städten. Um vor einem Hofbräuhaus zu stehen, müssen Sie nicht in München sein.

Hier nun einige sichere Indizien dafür, dass Sie auf dem richtigen Weg sind. München liegt immer an der Autobahn. Entweder an der A9 oder auch an der A8 oder an der A95. Sie können es kaum verfehlen. Wer vom Süden her auf München zufährt, merkt schon Kilometer vorher, dass München nicht mehr weit sein kann, weil sich der Verkehr staut. Stau ist ein absolut zuverlässiges Zeichen dafür, dass Sie in der richtigen Richtung unterwegs sind. Vor München bildet sich regelmäßig ein Rückstau der Fahrzeuge. München zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass oft eine Überzahl von Menschen das Gleiche zur gleichen Zeit am selben Ort vorhat.

Wenn Sie von Norden her in Bayern einfallen, kommt es seltener zu Staus, das liegt daran, dass die Autobahn sechsspurig ausgebaut ist. Aber auch auf dieser Einfallstraße gibt es sichere Anhaltspunkte. Relativ schnell werden Sie ein architektonisches Gebilde passieren, das eine gewisse Ähnlichkeit mit einer riesigen Bettpfanne aufweist. Es handelt sich dabei um die berühmte Allianz-Arena, das Fußballstadion, in dem die Kicker des FC Bayern München immer mal wieder große Erfolge feiern.

Grundsätzlich ist allerdings schon zu überlegen, ob eine Anreise mit dem Auto zur Wiesn sinnvoll ist. Es gibt Parkplätze, aber die sind alle besetzt. Außerdem sollten Sie das Auto stehen lassen, wenn Sie mehr als zwei Maß getrunken haben. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein verkündete zur Freude vieler Gerstenfreunde, dass man mit zwei Maß Bier schon noch fahrtüchtig wäre, wenn man sich lange genug dazu Zeit nähme (ich weiß jetzt nicht, was er damit meint: das Fahren oder das Trinken). Wir wissen nicht, ob er je einen Selbstversuch unternommen hat, aber genützt hat es ihm nicht viel. Er ist schon lange nicht mehr Regierungschef in Bayern. Heute sitzt er als einfacher Abgeordneter im bayerischen Landtag und kümmert sich um andere wichtige Fragen. Mit wie viel Maß ein bayerischer Ministerpräsident noch regierungsfähig ist, wissen wir nicht, und leider hat sich dazu auch bis heute kein maßgeblicher Politiker geäußert. Es soll auch schon Autofahrer gegeben haben, die mit fünf Maß von der Wiesn noch nach Hause gefunden haben. Es macht natürlich einen Unterschied, ob Sie von München nach Aigenstadl heimfahren oder eventuell nach Sydney müssen. Allerdings werden Sie München höchstwahrscheinlich von Australien aus nicht mit dem Auto ansteuern, sondern mit dem Flugzeug anreisen und in Erding auf dem Flughafen landen.

Da müssen Sie allerdings einen kleinen Nachteil in Kauf nehmen. Wer mit dem Flugzeug zur Wiesn kommt, landet etwa 40 Kilometer östlich im Erdinger Moos auf dem Flughafen München, der auf den schönen Namen »Franz Josef Strauß« hört. Den Flughafen hat man deshalb so weit draußen vor der Stadt angesiedelt, weil dadurch den ankommenden Gästen die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich langsam und behutsam auf München und Bayern einzustimmen. Meistens gelingt das sehr gut. Soweit das Flughafenpersonal charakterlich bayerisch disponiert ist, werden Sie am Ausgang skeptisch und mürrisch dreinschauende Uniformierte mit ihren Blicken streifen. Und mancher Beamte wird sich denken: »Bloß guad, dass de alle wieder hoamfahren!« Aber keine Sorge, es wird Sie niemand aufhalten auf Ihrem Weg, der Sie vermutlich zur S-Bahn führen wird. Alternativ können Sie auch mit dem Taxi fahren oder zu Fuß gehen. Es gibt ja immer mehr Menschen, die ihre Grenzen ausloten wollen.

Zu Fuß nach München werden Sie fünf bis sechs Stunden brauchen. Ich vermute aber, dass diesen Gewaltmarsch bisher kaum einer ins Auge gefasst hat. Falls Sie Lust dazu haben, würde ich Ihnen eine Wanderkarte des bayerischen Wandervereins empfehlen, damit Sie sich nicht verlaufen.

Für gläubige Wiesnbesucher bieten sich Pilgerwege an, die, falls Interesse besteht, an den Fernpilgerweg nach Santiago de Compostela angeschlossen sind. Für sie bietet das Oktoberfest einen Zwischenaufenthalt, wobei sie das Oktoberfest als Prüfung nutzen, ob sie in der Lage sind, den teuflischen Versuchungen zu widerstehen. Es scheint wohl einen Pilgerweg zu geben, der die gläubigen Wanderer direkt durch das Hackerzelt, den Himmel der Bayern, führt. Viele können danach nicht mehr weiter und brechen das Pilgern ab, um ihre Läuterung auf der Wiesn fortzusetzen.

Sie können am Flughafen aber auch ein Taxi ordern, um nach München reinzufahren. Seltsamerweise wählen die Taxifahrer immer die kürzeste Strecke und fahren trotzdem zuverlässig einen Fahrpreis von rund 60 Euro heraus. Vielleicht haben Sie Glück und der Mann oder die Frau hinter dem Steuer fragt Sie beim Einsteigen: »Woin’S über Ismaning fahren oder über die Autobahn? Über Ismaning ist es kürzer, dauert aber länger!« Egal, wie Sie sich entscheiden, Sie werden am Ende 60 Euro zahlen.

In München angekommen, können Sie selbstverständlich auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Wenn Sie einen Passanten fragen, wie Sie am schnellsten auf das Oktoberfest kommen, dann wird er Ihnen, falls er ein Ortskundiger ist, bestimmt sagen, dass Sie mit der U-Bahn fahren sollen oder mit der Tram, wie bei uns in München die Straßenbahn heißt. Möglicherweise müssen Sie aber erst einmal die S-Bahn nehmen, um zu einer U-Bahn-Haltestelle zu gelangen. Und manchmal empfiehlt es sich, zunächst mit einem Bus des Münchner Verkehrsverbundes zu fahren, um zu einem S-Bahnhof zu gelangen. In einer Stadt, in der Sie fremd sind, kann die Anreise ganz schön kompliziert sein. Aber nicht in München! An den Haltestellen befinden sich bunte Pläne, in denen Linien eingezeichnet sind. Es gibt mehrere kreisförmige Zonen. Je nachdem, wie viele davon Sie durchfahren müssen, um zu Ihrem Ziel zu kommen, desto mehr müssen Sie dafür bezahlen. Es gibt große und kleine Streifenkarten, es gibt Tageskarten, Wochen- und Monatskarten, es gibt Kurzstreckenkarten und Familienkarten, und es gibt verzweifelte Fahrgäste, die dieses System nicht verstehen. Sollten Sie nicht gleich durchblicken, welche Karte für Sie die richtige ist, fragen Sie einfach einen Einheimischen, der wahrscheinlich auch nicht durchblicken wird. Es gibt nicht viele, die wirklich wissen, wie man am günstigsten fährt. Dagegen gibt es gerade zur Wiesnzeit sehr viele, die ähnliche Probleme haben wie Sie.

Aber es wird niemand gezwungen, mit dem MVV, so nennt der Einheimische liebevoll sein öffentliches Verkehrsnetz, zu fahren. In München herrscht Bewegungsfreiheit, und zwar in einem Ausmaß, wie das nur in Großstädten üblich ist. Es zeigt sich, dass der bayerische Mensch ein Bewegungswesen ist. Er bewegt sich auf vielerlei Arten, zu Fuß, zu Rad, und grade zur Wiesnzeit probiert es der eine oder andere auch mal auf allen vieren. Die Zunahme der Mobilität im urbanen Raum verdeutlicht allerdings auf erschreckende Weise, dass die Bewegungsfreiheit rapide abnimmt mit zunehmender Anzahl der Freiheitsteilnehmer. Gerade zur Oktoberfestzeit erreicht die Liebe zur Bewegungsfreiheit solch ungeheure Ausmaße, dass es zu Behinderungen auf allen Strecken zur Wiesn hin und von ihr weg kommen kann. Zu extremen Stoßzeiten, an Wochenenden beispielsweise, wenn es nur einen einzigen unaufhaltsamen Strom zur Wiesn zu geben scheint, kann es auch zu einer zeitweisen totalen individuellen Bewegungsunfreiheit kommen – zum Stillstand. Der Einzelne ist dann nicht mehr in der Lage, frei zu entscheiden, wohin er sich bewegen möchte, sondern er wird gezwungen, sich mit der Masse zu bewegen. Es wird geschoben und gedrängt, keiner kann, wie er will, aber alle wollen weiter. Nur weiter. Dieser Bewegungszwang wird aber individuell oft nicht als solcher empfunden, sondern als einmalig schönes Wiesnerlebnis. Einen Vorteil hat das ganze Gedrängel aber, man kommt in jedem Fall auf der Wiesn an, auch wenn man sich nicht auskennt.

Da es aber immer auch welche gibt, die genug haben von der großgemütlichen Stimmung und »nur no hoam woin«, ist mit immensen Gegenbewegungen zu rechnen, die ein zügiges und ungehindertes Voranschreiten verhindern.

Wenn Sie es endlich bis an den Rand des Oktoberfestes geschafft haben, dann gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, die Festwiese zu betreten. Entweder Sie kommen aus der U-Bahn, dann kommen Sie von unten und haben das Gefühl aufzutauchen. Oder aber Sie kommen von oben, über den Bavariahügel, dann haben Sie die Möglichkeit, in die Wiesn einzutauchen.

Jeans oder Dirndl

Trachten dominieren das Bild. Kaum einer betritt das Festgelände ohne Lederhosen oder Dirndl. Freilich haben viele der Kleidungsstücke, die auf dem Oktoberfest zur Schau gestellt werden, nur noch entfernt mit einer echten Tracht zu tun. Zum Teil laufen die Leute in einem »voglwuiden« Aufzug herum, der eher an Fasching denken lässt als an das traditionelle Festtagsgewand. Und oft möchte man einfach nicht glauben, zu welcher Entstellung die Leute bereit sind. Wer einen sogenannten Bierfasshut auf dem Kopf trägt, zeigt damit nur, dass er bereit ist, sich zum Deppen machen zu lassen, auch wenn er eine Lederhosen anhat. Mit Tracht hat das überhaupt nichts mehr zu tun. Die Bereitschaft, sich in stillosen Kleidungskombinationen zu zeigen und sich damit zu entwürdigen, hat auf der Wiesn leider zugenommen. Nicht jedem gefällt das. Prinz Luitpold von Bayern, ein Urururenkel König Ludwigs I., ist der Meinung, »die Wiesn degeneriert zu einem Nationalbesäufnis mit karnevalistischen Zügen, und mit dieser Ballermannisierung geht eine Banalisierung einher, die ich nicht gut finde«. Da können wir der Königlichen Hoheit aus Kaltenberg nur zustimmen. Offensichtlich ist es eine Gaudi, sich als Bayer zu verkleiden.

Aber nicht alle sind bereit, dem Trend hinterherzulaufen. Das Tragen der Tracht hatte lange Zeit grade nichts mit trendigem Verhalten zu tun. Wer Tracht trug, demonstrierte genau das Gegenteil davon. Er wollte damit auf die Zeitlosigkeit der bayerischen Kleidung hindeuten. Im bayerischen Bewusstsein gibt es nämlich eine Konstante des Unveränderlichen, des »ewig währenden bayerischen Seins«, das alle Zeiten übersteht. So zumindest glaubt es mancher Traditionsbayer. Und neben vielen anderen Zeichen steht auch die Tracht für dieses zeitübergreifende Gefühl – lange bevor sie trendy wurde.

»Muss das sein?« – fragt schon mal einer beim Zuknöpfen der Lederhosen, wenn die Hirschhornknöpfe sich einfach nicht ins Knopfloch drehen lassen. Muss ich unbedingt diese widerspenstige Krachlederne anziehen, um wiesntauglich zu erscheinen? Es muss nicht sein, aber es darf.

Es gibt auch viele, die in Jeans auf die Wiesn gehen. Dieses Kleidungsstück stammt übrigens ursprünglich auch aus Bayern. Und wenn der Herr Levi Strauss nicht nach Amerika ausgewandert wäre, hätte vielleicht sogar die Jeans gegenüber der Lederhose das Rennen gemacht. Die Lederhose wurde angeblich 1883 in Bayerisch Zell von dem Lehrer Joseph Vogl erfunden. Die Bluejeans wurde schon 1873 patentiert, entwickelt von dem aus dem oberfränkischen Buttenheim stammenden Levi Strauss. Es handelt sich in jedem Fall um zwei Beinkleider bayerischer Herkunft. Wer in der Jeans auf die Wiesn geht, trägt also zumindest vom Ursprung her auch ein bayerisches Gewand. Eine Jeanstracht ist indes im bayerischen Trachtenerhaltungsverband bisher nicht registriert. Schade eigentlich.

Ursprünglich war die Tracht – und für viele traditionsbewusste Bayern ist sie das heute noch – ein festliches Feiertagsgewand, das man nur zu besonderen Anlässen wie Taufen, Beerdigungen und Hochzeiten anlegt. Der Bayer zieht zwar eine Lederhose an, aber ein Gewand legt er an. Diese sprachliche Ausdrucksweise könnte damit zusammenhängen, dass der Kauf einer echten Tracht tatsächlich einer finanziellen Anlage gleichkommt. Die Kosten dafür sind immens. Die Gewänder sind kostbar, sie werden ausnahmslos handgearbeitet. Die von Landstrich zu Landstrich unterschiedlichen Ausformungen und Verzierungen verlangen eine hohe Kunstfertigkeit vom Schneider, und der lässt sich den intensiven Zeitaufwand, den er leisten muss, ordentlich bezahlen. Und weil diese Anschaffungen so ins Geld gehen, werden die Trachtenvereine von staatlicher Seite subventioniert. Andernfalls könnte sich mancher überzeugter Bayer keine Originaltracht leisten. Beispielsweise muss man für handgenähte Hirschlederhosen bis zu 1500 Euro auf den Tisch legen. Um sich voll auszustatten, kommen noch die Haferlschuh, die Wadlstrümpf, das Trachtenhemd, die Joppen und obendrauf auch noch ein Hut dazu, der mit einem Gamsbart bestückt leicht noch einmal so viel kosten kann wie die Lederhose allein. Man will es nicht glauben, aber so ein Gamsbart kostet ein Vermögen. Für außergewöhnliche Bärte zahlt der Liebhaber mehrere Tausend Euro. Für einen gelegentlichen Oktoberfestbesuch wäre eine solche Anschaffung sicher übertrieben. Aber vielleicht packt Sie ja die Lust, jedes Jahr dabei sein zu wollen. Sie wären nicht der/die Erste. Dann käme eine Vollausstattung eventuell in Betracht. Und wenn es Sie juckt, beim Oktoberfestumzug mitzumarschieren, dann kommen Sie um die Tracht sowieso nicht herum. Sie müssten sich nur noch entscheiden, welches Gewand Ihnen zusagt. Es gibt nämlich nicht nur eine Tracht, sondern eine breite Palette an Trachten.

Jede Region schuf sich ihre eigene Tracht, um damit ihrer Identität Ausdruck zu verleihen und um aller Welt zu zeigen, wie einer ausschaut, wenn er beispielsweise aus dem Tölzer Oberland kommt, dem unteren Ilztaler Trachtengebiet zugehört oder am Tegernsee daheim ist. Es gibt sechs verschiedene Gebirgstrachten: die Miesbacher, die Werdenfelser, die Inntaler, die Chiemgauer, die Berchtesgadener und die Isartaler Tracht.

Jede bayerische Tracht hat etwas ganz Eigenes, Unverwechselbares, aber eins ist auf den ersten Blick immer sofort klar: Wer so rumläuft, kann nur aus Bayern stammen. Was aber trotz allem immer auch zweifelhaft ist. Denn viele, die in einer Tracht stecken, entpuppen sich bei näherem Hinsehen als »Fremde«, die sich zum bayerischen Brauchtum hingezogen fühlen.

Oda aba aa wieda net

Schon oft wurde versucht, die Einzigartigkeit der Wiesn zu ergründen. Das Alleinstellungsmerkmal der Wiesn wurde von den verschiedensten Exegeten immer wieder umkreist, aber nie ist wirklich einer zum Kern des ganzen Komplexes vorgestoßen. Umso erstaunlicher ist, dass es mir gelungen ist. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass ich meine Forschungen immer mit dem Maßkrug in der Hand betrieben habe. Nach eingehenden, intensivsten Expeditionen auf das Oktoberfest, die mich in die tiefsten Tiefen unseres Forschungsgegenstandes führten, kann ich nun an dieser Stelle endlich eine überzeugende und schlüssige Erklärung für die Einmaligkeit des Oktoberfests geben, die den wahren Wesenskern dieses Events freilegt und damit den Unterschied zu allen anderen ähnlich aufgezogenen Festen erklärt.

Der zentrale Sinngehalt des Münchner Oktoberfestes manifestiert sich im globalen Angebot einer monokulturellen Geborgenheit im bayerischen Kulturgewand. Die monokulturelle Geborgenheitsofferte zeichnet sich durch ein charakteristisches Merkmal aus. Es besteht in der bayerischen Übermalung und Ausstattung des Geschehens. Für die Dauer des Oktoberfestes bekennen sich Millionen von Wiesnfans zur bayerischen Kultur in allen ihren Facetten als optimaler Lebensform für die globalisierte Welt.

Auf der Wiesn mutieren alle Besucher freiwillig(!) zu Bayern. Jeder bekennt sich durch das Tragen der Trachten zur bayerischen Lebensart und demonstriert damit öffentlich seine Verbundenheit mit dem lustbetonten Lebensvollzug der Bayern. Die bayerische Lebensweise wird damit als höchste Form des Hedonismus anerkannt. Das Oktoberfest steht nicht nur für die kulturellen Eigenheiten des typisch bayerischen Feierns, sondern schafft zumindest für die Dauer des Festes die Anerkennung der bayerischen als vollendete Lebensweise.

Die Wiesnbesucher bekennen sich zu einer monokulturellen Weltsicht. Die Welt schlüpft in die bayerische Lederhose respektive das bayerische Dirndl. Wiesnbesucher geben für die Zeit des Oktoberfestes ihre individuelle Identität als Ausländer auf. Sie sind nicht länger Italiener, Australier, Iren, Japaner, Amerikaner oder Franken. Alle sind Bayern. Der Idealbayer ist der Nichtbayer!

Das bayerische Sein wird als globales Programm, als bayerische Manifestation des lustvollen Lebens propagiert. Das Oktoberfest ist zwar oberflächlich betrachtet nur ein Teil Bayerns, doch in jedem Teil ist das Ganze immer enthalten. Und Bayern ist die Summe seiner Teile. Das Oktoberfest ist ein Teil der Summe des ganzen Bayern.

Doch um welches Phänomen menschlicher Gemeinschaft handelt es sich, wenn jedes Jahr Millionen Menschen aus allen Erdteilen nach München reisen, um dabei zu sein bei dieser alljährlich wiederkehrenden, alle menschlichen Dimensionen sprengenden Gemütlichkeitsveranstaltung? Wenn sie in die bayerische Landeshauptstadt strömen, um auf einer einfachen Wiese unter der Bavaria auf engstem Raum zu feiern und typisch bayerische Mahlzeiten und Getränke zu völlig überhöhten Preisen zu sich zu nehmen? Was macht dieses Oktoberfest zu einem einzigartigen Event, zu einem Must?

Wir könnten diese Fragen jetzt so einfach und prägnant beantworten wie der Bayer, der auf die Frage, was denn am Oktoberfest so außergewöhnlich sei, antwortete: »Wenn’s nix waar, dann waar’s scho lang wieda weg.« Sicher hat der weise Mann damit nicht ganz unrecht. Aber so einfach wollen wir es uns nicht machen. Ein vielschichtiges Phänomen wie unser Oktoberfest verlangt nach einer vielschichtigen und differenzierten Antwort. Dazu müssen wir tief eindringen in die res bavarica, in die »bayerische Sache«, denn das Oktoberfest ist nicht nur an der Oberfläche, sondern durch und durch eine urbayerische Angelegenheit, an der alle bayerischen Eigentümlichkeiten sichtbar werden. Wer also über das Oktoberfest Auskunft geben will, muss sich mit bayerischen Grundbefindlichkeiten befassen.

Ende der Leseprobe