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Zwei große grüne Inseln auf der anderen Seite der Welt, Gletscher und verliebte Vulkane, malerische Weindörfer und 15000 Kilometer Meeresküste: Neuseeland ist das Paradies für Outdoor-Freunde, die Filmheimat der Hobbits, ein Traumziel für Reisende und Auswanderer. Joscha Remus blickt hinter die Kulissen eines Landes, dessen Licht und Landschaften nicht nur Fotografen und Maler verzaubern. Das als erstes das Frauenwahlrecht einführte, in dem Barfußlaufen und Bescheidenheit zum Alltag gehören und es nur selten Hausnummern und Türklingeln gibt. Und in dem man von den Maori in Sachen Umweltschutz noch etwas lernen kann. »Remus erzählt herrliche Geschichten.« NDR Kultur Eindrücklich und in unzähligen Geschichten, die man so in keinem Reiseführer finden würde, berichtet er von einem Land, in dem man Weltmeister im Schafeschnellscheren kürt und beim Wild Food Festival die absurdesten Gerichte verspeist. In dem Bungeejumping und »Zorbing« erfunden wurden und ständig neue, nervenkitzelnde Sportarten dazukommen. In dem Peter Jackson Mittelerde fand und selbst kleine Hobbits sich zu Hause fühlen. Dabei taucht Remus ein in die Lebenswelt der Maori. Er erzählt von einer Literaturszene, deren Stars fast ausschließlich Frauen sind. Davon, wie ein kleiner buckliger, flugunfähiger Vogel zum Wappentier und zum Nationalsymbol wurde. Und von Hundertwassers stillem Örtchen am Ende der Welt. Dieser umfassende und originelle Band zu einem der beliebtesten Fernreiseziele in völlig überarbeiteter Fassung darf in keinem Reisegepäck fehlen!
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Veröffentlichungsjahr: 2024
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Dank an den marixverlag für die Genehmigung des Textabdrucks aus James Cook: »Entdeckungsfahrten im Pazifik« (© 2005 by Edition Erdmann GmbH, Lenningen) im Kapitel »Der Ofen der Menschenfresser – moderne Version«
und an den Heyne Verlag für die Genehmigung des Textabdrucks aus Douglas Adams und Mark Carwardine: »Die Letzten ihrer Art« (Übersetzung von Sven Böttcher; © 1992 Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH) im Kapitel »Schräge Vögel II: der Kākāpō«.
Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe 2024
© Piper Verlag GmbH, München 2012, 2018 und 2024
Redaktion: Matthias Teiting
Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de
Coverabbildung: Mount Taranaki über dem Lake Mangamahoe, New Plymouth (Frank Krahmer/AWL images)
Karte: cartomedia, Karlsruhe
Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee
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Für Ingeborg Remus, die Neuseeland gern gesehen hätte
Cover & Impressum
Karte von Neuseeland
Godzone oder von der Schwierigkeit des Schwärmens
Tierischer Empfang
Bescheiden. Freundlich. Schwarz.
Des Kiwis liebste Farbe
Tall Poppy Syndrome
Wahre Größe
Freiheit und Nonkonformismus
Andersherum oder Die Freiheit der Dinge
Barfuß
Nasenküsse und Augenbrauengrüße
Die Seele baumeln lassen
Das Recht der nackten Meinung
Ganz schön auf Draht
Freiheit und der Anti-Atombomben-Blues
Abenteuer Alltag
Treibholzträume und McMansions
Umzug mit Haus
Tätowierter Santa Claus
Pyjamaverbot im Kino
Konkurrent Australien
Die Welt der schrägen Vögel
Schräge Vögel I: der Kiwi
Schräge Vögel II: der Kākāpō
Schräge Vögel III: der Pūkeko
Urzeit und Unterwelt
Ein lebendiges Fossil mit drei Augen
Die Sterne des Todes
Die Weihnachtsbäume der Unterwelt
Die dunkle Seite
Neuseelands grünes, feuchtes Herz
Es werde Licht
Buddeln für die Zahnprothesenhaftcreme
Bushman’s Toilet Paper
Dunkelbunte Regentage
Die ersten Siedler
Meilensammler Langschwanzkuckuck
Das Wörterbuch der Winde
Der Häuptling des Wasserbergs
Kunst und Leben der Māori
Minimal- oder Ganzkörpertattoo
Sich sammeln
Die Kapa-Haka-Olympiade
The other side I
The other side II
Vom Weben der Träume
Gebt der Natur ein neues Kleid
Wälder, Berge und Flüsse – unsere Vorfahren
Tektonische Tänze und verliebte Vulkane
Das ungeborene Kind von Mutter Erde
Die Erde kocht bunte Suppe
Das achte Weltwunder
Der geplatzte Traum von White Island
Kratertango und Erdbebenkinder
Rugby – das heilige Spiel
Sich freischaufeln. Ein Land erwacht.
Rugby – ein Naturgesetz
Run with your heart
Segeln und Jetski
Bungee-Jumping und Abseiling
Biking, Hiking und Tramping
Joggen wie Shakespeare
Das Leben auf dem Lande
Ein Stiletto als Flaschenöffner
Pupssteuer und Nachhaltigkeit
Bambis und die Helikopterkriege
Possums
Hundertwassers stilles Örtchen
Von Schafen und Lämmern
The Golden Shears
Te Reo Māori und Kiwi-Slang
Brolly, Telly, Nudy
Die Gourmetrevolution
Kunsthandwerklich und glutenfrei
Please bring a plate
Im Restaurant
Würmertrüffel und Bergaustern
Flat White und die Milchschaumpoetin
Essen aus dem Busch
Der Ofen der Menschenfresser – moderne Version
Paradies Waiheke Island
Die Politik des Bienenstocks
Der König von Neuseeland
Neuseeländische Politik ist weiblich
Bitte nennen Sie es nicht Wellywood!
Ein ganzes Volk auf den Beinen
Willkommen in Mittelerde
»Eagle vs Shark« und Pavlova-Western
Literatur – kräftig, klar, authentisch
Katherine Mansfield
Alan Duff
Witi Ihimaera
Neuseeländische Literatur heute
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
New Zealand at its best: Ich liege in einem von Thermalquellen erwärmten Wasserbecken, hoch oben nahe der Welcome Flat Hut auf der neuseeländischen Südinsel. Von meiner Holzhütte sind es bis zu den Hot Pools nur ein paar Schritte durch den Dschungel, über einen schmalen Pfad, eine Art naturgegebener Fußbodenheizung. Vor mir eine in irisierendes Licht gehüllte, schneebedeckte alpine Bergkulisse mit Dreitausenderkette. Im Südlicht glänzen die Pflanzen um das Thermalbecken in beinahe unnatürlich satten Farben. An meinen Beinen und meinem Rücken perlen kleine Kohlesäurebläschen hoch, die mir, als läge ich in einem Champagnerbad, eine zärtliche Rückenmassage verpassen. Ich entspanne mich im warmen Wasser, umgeben von Riesenfarnen und wilden Orchideen, und schlürfe eisgekühlten Feijoa-Saft. Zwei kleine, freundlich turtelnde Robins sitzen auf einem Ast und wärmen ihr Gefieder im aufsteigenden Wasserdampf der Thermalquelle. Einige neugierige Kea-Vögel kommen an den Pool. Einer von ihnen hat eine zum Trocknen ausgelegte Wandersocke von der Veranda der nahen Hütte gestohlen, um sie zum Nestbau zu verwenden. Das Himmelsgewölbe über mir glänzt endlos lightskyblue. Ein lichtes Blau, das mich seit Tagen in Euphorie versetzt.
God’s own Country, nennen die Neuseeländer ihr Land, oder auch schlicht und verkürzt Godzone. Die Māori bezeichnen es als Aotearoa, das Land der langen weißen Wolke. Viele Kiwis sagen, Neuseeland sei nichts anderes als die Steigerung alles Wilden: wild, wilder, wilderness. Dabei sind von den ehemals flächendeckenden Wäldern nur noch ganze fünfundzwanzig Prozent erhalten geblieben, weshalb sich nun die Frage auftut, ob ich von Neuseeland einfach so schwärmen darf, so hemmungslos, wie ich das hier eben getan habe?
Aber natürlich darf man das, wenn man dabei die all der Schönheit zugrunde liegende Wahrheit nicht aus den Augen verliert! Denn natürlich gibt es auch im Paradies einige Schattenseiten, wie das zwiespältige Ziel, Aotearoa bis 2050 raubtierfrei zu machen und Ratten, Hermeline und Opossums vollständig auszulöschen. Dennoch bleibt das Land der langen weißen Wolke ein Sehnsuchtsziel. Denn das Land, in dem Frauen weltweit zum ersten Mal das Wahlrecht erhielten und das sich als einer der ersten Staaten der Anti-Atomkraft-Bewegung anschloss, war auch immer ein Vorreiter und ist mit seinen dreizehn Nationalparks gleichzeitig eines der wichtigsten und innovativsten ökologischen und klimatischen Versuchslabore der Welt. Neuseeland steckt voller Widersprüche.
Schwärmt man aber von Neuseeland, macht sich, insbesondere bei Menschen, die dieses Land gut kennen, schnell eine eigenartige Unruhe breit. Nicht nur, dass einem die Bilder allzu schnell ins Kitschige und Klischeehafte abzugleiten drohen. Vieles scheint übertrieben und unglaubwürdig. Selbst eingefleischte Neuseeländer rümpfen die Nase, wenn sie ein Hochglanzbild der Fjordlandschaft des Milford Sound sehen, mit dem unwirklich pyramidenartig aus dem kristallklaren Wasser wachsenden Zauberberg namens Mitre Peak. Von einem Weltwunder, wie es das staatliche Touristikamt tut, wagt kaum ein junger Neuseeländer zu sprechen, da man weiß, dieser Anblick ist aufgrund von stetem Dunst über dem Fjord an höchstens fünfzig Tagen im Jahr zu haben.
Deutsche Neuseelandautoren warnen eindringlich vor dem leichtfertigen Gebrauch des Wortes Paradies. Verständlich, denn die inflationäre Beschreibung Neuseelands als paradiesisch schreit regelrecht nach einem realistischen Korrektiv, in dem dann die häusliche Gewalt und die Erdbebengefahr nicht fehlen dürften. Und spätestens seit die kitschigen Neuseelandklischees auch in deutsche Wohnzimmer schwappen, wenn nämlich das Fernsehtraumschiff Neuseeland entdeckt und zu seichten Südseeklängen pittoresk vor eine prächtige Südalpengletscher-Fjord-Kulisse gleitet – kleines Lämmlein im Arm einer Schauspielerin darf nicht fehlen –, möchte man die pathetische Beschreibung der Natur sofort einstellen. Zu viel des Schönen, Wahren, Guten. »Das schönste Ende der Welt«, »Das letzte Paradies«, »Gottes eigenes Land«.
Es gibt viele gute Wohlfühlgründe, um ans andere Ende der Welt zu reisen. Neuseeland ist ein Land, in dem es für manche Kinder völlig normal ist, mit einer Horde wilder Delfine im Wasser zu spielen oder in der Schule zwischen Kursen wie Unterwasserpolo und Drachenbootrennen wählen zu können. Ich zumindest hätte mir so etwas als Kind gewünscht. Jedes Buch über Neuseeland ist immer auch ein Buch über unsere Sehnsüchte, unsere geheimen fernen Wünsche, unsere innere Flucht vor dem Alltäglichen. Neuseeland scheint mit seiner atemberaubenden und betörend schönen Naturkulisse wie geschaffen für diese Projektionen. Willkommen in einem giftschlangenfreien Land, in dem Barfußgehen zum Alltag gehört.
Wie leicht könnte einem Neuseeland zu einem reinen Kuriositätenkabinett geraten, mit all seinen seltsamen Käuzen, ungewöhnlichen Menschen, schrägen Vögeln, mit all den Gestrandeten, Außenseitern und raubeinigen Gestalten. Was soll man halten von einem Land, in dem neun Monate nach einem gewonnenen Rugbyländerspiel die Geburtenrate sprunghaft steigt und nach einem verlorenen Rugbyspiel die Börse abstürzt? In dem Sportarten erfunden werden wie Golf Cross, eine Mischung aus Golf und Rugby? In dem es tätowierte Weihnachtsmänner gibt und wo sich die Leute vor lauter Höflichkeit entschuldigen, wenn man sie aus Versehen anrempelt?
Die Diskrepanz zwischen den schönen Abziehbildern Neuseelands, dieser kitschigen Fototapete mit Bergkulisse vor Palmen mit Schaf, und der insbesondere für die indigene Bevölkerung, die Māori, nicht immer ganz so lieblichen Realität hat der Regisseur Lee Tamahori in der Eröffnungssequenz seines Films »Once Were Warriors« (auf Deutsch: »Die letzte Kriegerin«) eingefangen. Die Kamera weilt auf einer schneebedeckten Berglandschaft, einer bukolischen, farbenfrohen Traumkulisse, wie wir sie von zahlreichen Bildern des Landes schon kennen. Dann schwenkt die Kamera nach links auf eine viel befahrene, mehrspurige Autobahntrasse und auf die Māori, die unter dieser Trasse hausen. Das wunderbare Neuseelandbild, das wir zu Beginn des Films gesehen haben, entpuppt sich als ein riesiges Werbeplakat für die Naturschönheiten Neuseelands, das neben der grauen Autobahn steht.
Ich möchte mir das Schwärmen dennoch nicht nehmen lassen, auch wenn ich weiß, dass Neuseeland einige Seiten hat, die weit entfernt vom Ideal des öko-grünen Paradieses sind. Aber zu vieles hier ist tatsächlich wunderschön – für mich immer wieder beeindruckend zum Beispiel ist das neuseeländische Licht. Steht man auf der Südinsel auf einem Berg und schaut in die Ferne, so muss einem dieses besondere Leuchten auffallen, das durch eine völlig klare Luft auf die Erde und Pflanzen, auf die Seen und Gletscher fällt. Längst haben Fotografen und Filmemacher dieses besondere Licht entdeckt und schwärmen von der Weite, die es in seinem Dialog mit der Landschaft erschafft. Als die europäischen Maler, die im 18. Jahrhundert nach Neuseeland kamen und die dortige Landschaft festzuhalten versuchten, mit ihren Gemälden nach England und Schottland zurückkehrten, glaubte ihnen niemand, dass es in Neuseeland, am anderen Ende der Welt, ein derart unglaubliches Licht geben könnte. Im staubbedeckten Europa, auf der fernen Nordhalbkugel, zur Zeit der tiefsten Industrialisierung konnte sich niemand ein solches Leuchten auch nur vorstellen.
Die Luft über Neuseeland ist weitgehend staubfrei, weil es keine großen Industrien im Land gibt und die Meereswinde den wenigen Staub sofort wieder hinaus auf den Pazifik oder die Tasmanische See tragen. Auch heute sind die Bilder der ersten britischen Maler noch Grund genug, dem Licht Neuseelands nachzufolgen und seinen Glanz zu erforschen. Und natürlich darf man schwärmen von dieser Landschaft, ihrem Licht und der unglaublichen Luft, die so klar ist, dass einem selbst ein dreihundert Kilometer entfernter Mount Cook zum Greifen nah erscheint. Eine Luft, die so rein und transparent ist, dass es im Mackenzie-Becken im Zentrum der Südinsel Neuseelands sogar einen internationalen Naturschutzpark für den Sternenhimmel gibt. Ein geschützter Himmelspark für Astrofans und Sternengucker: Auch das ist Neuseeland.
Nach einem langen Flug aus dunklen deutschen Winternächten zeigt mir Neuseeland sein freundliches Gesicht in Form einer feuchten Hundeschnauze. Was gibt es Schöneres, als am Flughafen von Auckland, der Eingangstür zu meinem zweiten Zuhause, standesgemäß von einem fröhlichen Hund begrüßt zu werden? Viele Besucher werden die Schnüffelwunder, all die Harrier, Beagles und Labradore, die an neuseeländischen Airports ihre Dienste tun, nicht sonderlich beachten. Wer aus Europa kommt, hat einen mehr als zwanzigstündigen Flug hinter sich und womöglich andere Dinge im Kopf als ausgerechnet Hunde. Mich jedoch erinnert der Empfang der sogenannten Bio-Security Dogs an die tierisch schönen Begrüßungsrituale, die es früher, in meiner Kindheit, bei mir zu Hause gegeben hat.
Da ich all unsere Vierbeiner einst hemmungslos mit meiner Kinderliebe überschüttet habe, darf es nicht verwundern, wenn ich es zu schätzen weiß, auch an meiner neuseeländischen »Haustür« von Hunden empfangen zu werden. Eine derartige Begrüßung zum Beispiel erwartet mich gleich hinter dem Gate in Auckland, wo ich sofort auch die schönen Māori-Schnitzereien wiedererkenne und die kaum vernehmbare Begrüßungsmusik der Māori, die Waiata, die ganz leise aus den Flughafenlautsprechern erklingt. Wäre man prominent und hieße Emma Stone oder David Beckham, hätte man in Neuseeland, bevor man von den Hunden empfangen wird, übrigens noch ein Anrecht auf einen offiziellen Pōwhiri, eine herzliche und stimmgewaltige Māori-Begrüßung mit allem Drum und Dran inklusive Nasenküssen. Als Normalsterblicher schreitet man ungeküsst voran und sieht auf einem warnenden Plakat in der Empfangshalle des Flughafens, worauf es die kleinen neuseeländischen vierbeinigen Freunde abgesehen haben. Das Bild zeigt die Röntgenaufnahme einer Familie mit Gepäck, und auf der ansonsten schwarz-weißen Aufnahme leuchten allein ein Apfel, eine Orange, eine Banane und der warnende Spruch in grellen Farben:
Last point before we get you.
Die letzte Chance, einen angebissenen Apfel noch auf der Toilette verschwinden zu lassen, bevor die Kontrolle der Bio-Security einen erwischt. Neuseeland muss dringend vor der Einreise unerwünschter Gäste geschützt werden, da bereits kleinste Sporen, Fruchtfliegen oder Motten die endogenen Pflanzen und Tiere des Landes nachhaltig schädigen könnten.
Anfang dieses Jahrtausends kam es durch eingeschleppte Larveneier der Asian Gypsie Moth zu einem fürchterlichen Mottenbefall auf der Nordinsel, was nicht rechtzeitig entdeckt wurde und seinerzeit ganz Auckland monatelang in Atem hielt. In den letzten Jahren kämpften die Hunde von der Bio-Sicherheit vor allem gegen Fruchtfliegen. Das empfindliche ökologische Gleichgewicht der Arche Neuseeland, die wie zwei große Stücke Treibholz in der Südsee schwimmt, ist auf die sensiblen Detektornasen dieser Spürhunde angewiesen. Die kastanienbraune dreijährige Hündin Zeta war einst der Star des Detector Dog Team am Flughafen von Auckland. Zetas hoch spezialisierte Nase fand alles, vom kleinen Pflanzenrest, der in Form einer vertrockneten Rose ins Land wollte, über Fisch und Fleisch bis hin zu Gemüse und Eiern. Beim Geruch von Knoblauch schlug Zetas Hundeherz besonders schnell, denn Knoblauch war ihr Lieblingsgeruch. So stand es auch auf Zetas eigener Businesscard.
Auf den anderen internationalen Flughäfen von Neuseeland gibt es vierbeinige Spione, die im Dienste Ihrer Majestät chinesische Hühnerreste oder unverpackte spanische Tortillachips entdecken und damit ganz Neuseeland vor dem biologischen Super-GAU retten. Am Anfang der über fünfzigjährigen Geschichte der tierischen Schnüffelnasen wurden sie ausschließlich auf das Aufspüren von Betäubungsmitteln trainiert. Nach den Terroranschlägen von New York setzte man neben Drogenhunden dann auch Explosive Detector Dogs ein, die Sprengstoffe detektieren konnten. Auf sie folgten Bargeldspürhunde, die seit ihrer Einführung über 50 Millionen US-Dollar an nicht deklariertem Bargeld in Neuseelands Staatskasse spülten, und ab 2020 kamen noch eigens trainierte Schusswaffenspürhunde hinzu. Mit all diesen Hunden werden Reisende auf den Airports und in den Häfen allerdings kaum in Kontakt kommen – das Berühren aller Spürhunde ist strengstens verboten. Mich jedenfalls interessierten die Bio-Security Detector Dogs am allermeisten. Es sind die wundersamsten Nasen, die ich kenne.
Ich habe mich immer gefragt, wie diese Hunde Obstsorten oder Pilze erschnüffeln können, wie zum Beispiel eine chinesische Morchel, deren Geruch ihnen ja völlig fremd ist, weil sie niemals dafür ausgebildet worden sind. Die Antwort lautet: Hunde können generalisieren. Einmal auf eine Banane, eine Kiwi, einen Apfel oder auf Lamm- und Rindfleisch geschult und mit einem kleinen Snack belohnt, machen sie sich begeistert auf die Suche nach anderem, ihnen völlig unbekanntem Obst und Fleisch. Die Ausbilder, die Dog Handler, können oft selbst kaum glauben, zu was die hochsensiblen Hundenasen so alles fähig sind. So hatte es einst die achtjährige Hündin Jet sogar fertiggebracht, ungeschlüpfte Küken in Enteneiern in einem chinesischen Koffer zu erschnüffeln.
Vor Jahren hatte ich die Ehre, die wohl bekannteste Hundenase Neuseelands kennenzulernen: die berühmte Zane, die einmal ein getrocknetes Blatt gefunden hat, das sich als Lesezeichen in einen Container voller Bücher verirrt hatte. Zane konnte am Flughafen von Christchurch sogar einen winzigen Schnips Zitronenscheibe an der Einreise nach Neuseeland hindern, indem sie den potenziellen Übeltäter in einer verschlossenen Thermoskanne mit heißem Grüntee erschnüffelte.
Neben Zane kam auch Kai, ein Sennenhund-Mischling, in die Schlagzeilen. Mit sechs Wochen wurde er als kleiner, abgemagerter, von Würmern befallener und Flöhen übersäter Straßenhund in Kaikohe aufgegriffen. Er entwickelte sich zu einem der schönsten und besten Detector Dogs ever. Wer also im Urlaub einen jungen armen Streuner findet, der als »Fruchthund« Karriere machen könnte, kann diese Website kontaktieren: nzdetectordogs.co.nz
Wer Nahrungsmittel und Pflanzen an der Grenze Neuseelands nicht richtig deklariert, muss indessen mit empfindlichen Strafen rechnen. Das gilt auch für ökologisch angebaute deutsche Äpfel oder Bio-Knabbernüsse. Man sollte einfach alles angeben, dann erspart man sich unnötige Schweißausbrüche, viel Ärger und obendrein noch Geld, denn selbst der Schmuggel eines einzigen Apfels kann teuer zu stehen kommen. Auch Prominente wie Hilary Swank müssen übrigens zahlen. Als die Oscargewinnerin sich weigerte, einen Apfel und eine Orange zu deklarieren, musste sie dafür 200 Dollar Strafe und die anschließenden Gerichtskosten berappen.
Alles, was fremde Samen, Sporen, Pilze oder kontaminiertes Wasser enthalten könnte, wie Campingartikel, Sportschuhe und Outdoorsachen, ist an der Grenze anzugeben. Man könnte zuvor ja auf Borneo oder Sumatra durch einen Dschungel gestapft sein und ein unerwünschtes Larvenei an der Sohle kleben haben. Die Schuhe müssen auf jeden Fall ins Dekontaminierungsbad, nicht nur am Flughafen, sondern auch bevor man das Naturschutzgebiet Zealandia bei Wellington betritt. Man kann diese Einreiseprozedur verfluchen oder aber mit Humor nehmen, wie dies ein englischer Reisejournalist tat, der aus den sumpfigen Regenwäldern von Borneo und Sumatra nach Neuseeland reiste: »Ich habe meine Schuhe noch niemals so blitzeblank wiederbekommen wie nach dem Bio-Security-Check. Die sahen aus wie neu.«
Die Neuseeländer haben sich sehr lange mit der Frage beschäftigt, was ihr Land eigentlich ausmacht und wodurch sich die neuseeländische Identität auszeichnet. Für all die Dinge, die in Neuseeland erfunden wurden oder mit denen sich Neuseeländer identifizieren – wie das Spielzeug Buzzy Bee, eine hölzerne Honigbiene, das Dessert namens Pavlova oder der famose Draht No. 8 –, haben sie einen eigenen Überbegriff geschaffen: die Kiwiana. Wer etwas über die tiefere Seelenlage der Neuseeländer wissen möchte, sollte jedoch nicht allein auf dieses historisch begründete Sammelsurium von Kuriositäten schauen. Zu den Kiwiana zählen nämlich nicht nur Dinge, sondern auch andere landestypische Indikatoren wie Farben, ein bestimmtes Verhalten oder besondere Grundsätze. Wie der Gleichheitsgrundsatz zum Beispiel.
So fanden sowohl die ersten Polynesier als auch die ersten Europäer in Neuseeland nicht nur ein Paradies vor, sondern auch ein Leben voller Herausforderungen und Härten. Seit James Cooks Entdeckung der beiden Inseln und dem Ansturm darauf waren jeder Nagel und jede Schraube, jeder Hammer und jede Säge sechs bis acht Monate lang mit dem Schiff unterwegs, und jeder Neuankömmling musste gleichermaßen Holz hacken, Felder anlegen und ein Jahr auf die erste Ernte warten, weshalb sich schon bald in der jungen Gesellschaft der ersten Pioniere etwas herausbildete, was die Neuseeländer egalitarianism nennen. Eine Gleichheit unter Gleichen, weit weg von britischen Standeshierarchien und jeglichem Klassendenken. Jeder Neuseeländer fand nicht nur die gleichen Startbedingungen vor, sondern sollte zudem auch vor dem Gesetz gleichgestellt werden. So erhielt anfangs jeder Siedler genau einen Viertel Acre Land zugeteilt (0,1 Hektar). Etwas, was sich in dem Spruch erhalten hat, man lebe auf seinem one quarter acre paradise.
Bis heute beherrscht dieser Gleichheitsgedanke das alltägliche Leben. Mein neuseeländischer Zahnarzt zum Beispiel verdient durchaus etwas mehr als mein neuseeländischer Klempner, trotzdem trainieren beide in ihrer Freizeit im selben Kricketverein und spielen dort, nach eigener Aussage, beide auf gleichem Niveau gleich schlecht. Dieses Gefühl, Seite an Seite zu stehen, ist den Neuseeländern sehr wichtig, egal, welche Schichten es betrifft. Zwar gibt es die Schicht der sogenannten white collar people, der zum Beispiel die Rechtsanwälte angehören. Aber diese Weißkrägen genießen keinen besonderen Status, bekommen keine Extraportion Respekt, nur weil sie Volljuristen sind. Man würde meinen neuseeländischen Zahnarzt und meinen Klempner nach Feierabend in Wellington auf der Cuba Street anhand ihrer Kleidung nicht voneinander unterscheiden können. Beide sind gleichermaßen nett, zuvorkommend, freundlich und hilfsbereit. Und wenn sich beide dann später einmal zur Ruhe setzen, wird auch ihre Pension in etwa gleich hoch sein. Dieser egalitarian state, ein Staat der Gleichen, gehört nach wie vor zum Ideal der neuseeländischen Gesellschaft, auch wenn der neoliberale Turbofinanzkapitalismus in den letzten Jahren gehörig an diesem Gleichheitsgrundsatz geknabbert hat und ihn vielleicht eines nahen Tages zu einer sehnsüchtigen Erinnerung werden lässt.
Ich sitze im ruhigen und gemütlichen Café des Te Papa Museum in Wellington (ein echter Insidertipp, nicht unten ins Touristencafé gehen, sondern das Café im vierten Stock wählen) und denke bei einem short black, einem neuseeländischen Espresso, über die Farbe Schwarz nach, die mich in Wellington und ganz Neuseeland verfolgt. Schwarz ist hier allgegenwärtig. In der Werbung, im Sport, in der Architektur, im Alltag, vor allem aber in der Mode. So fallen mir an Neuseeländerinnen permanent die eng anliegenden schwarzen Sportshirts und Leggings ins Auge. Mir ist klar, dass die Neuseeländer über eine schwarze Schuhcreme namens Kiwi zu ihrer Identität gefunden haben (eine Geschichte, von der noch zu berichten sein wird), aber nun scheinen auch die rabenschwarzen Jerseyshirts der Rugby-All-Blacks auf alles abzufärben, was das Leben der Kiwis so ausmacht. Natürlich hängt dieser einheitliche Farbgeschmack auch mit der neuseeländischen Liebe zum Gleichheitsgedanken zusammen, denn wenn alle in Schwarz rumlaufen, kann ja keiner mehr aus der Masse herausstechen. Es gibt neuseeländische Modedesigner wie Zambesi und NOM*d, die sich seit Jahrzehnten immer wieder der schwarzen und dunklen Mode verschrieben haben. Kritiker sprechen bei Designern, die nur in schwarzen Kreationen denken können, längst von den dark intellectuals.
Als ich im zarten Alter von fünfzehn Jahren zum ersten Mal einen neuseeländischen Leichtathleten namens John Walker in schwarzem Trikot auf dem Bildschirm erlebte, brannte sich auch bei mir die Verknüpfung »Schwarz gleich Neuseeland« tief ins Hirn ein. Neuseeland liebt Schwarz. Es ist das einzige Land der Welt, in dem Schwarz zur Nationalfarbe wurde, was aktuell zu heißen Debatten über die britisch eingefärbte Landesflagge führt. Schwarz verbindet die Menschen Neuseelands, denn Schwarz ist seit jeher auch eine traditionelle Farbe der Māori.
Schwarz ist dermaßen mit der neuseeländischen Psyche verwurzelt, dass auch die Forschung vermehrt der Ursache dieser obsessiven Vorliebe auf den Grund zu gehen versucht. Praktische Gründe gibt es genug. Da wären zum einen die gestrickten knielangen, traditionell schwarzen Westen der Schafscherer. An deren Schneidegeräten klebte immer schon viel Dreck und Öl, und so war es nur sinnvoll, sich während der Arbeit in schützendes Schwarz zu hüllen.
Wer sich mit dem Thema beschäftigt, landet unweigerlich in der Zeit, als Schwarz im Commonwealth noch eine reine Trauerfarbe war. Die spektakuläre Tour der All Blacks, der neuseeländischen Rugbynationalmannschaft, im Jahr 1905 durch Großbritannien und Irland wird heute als farbliche Rebellion gegen das Mutterland England gesehen, dessen Sportler zur damaligen Zeit fast ausschließlich in reinstes Weiß gekleidet waren. Weiß, die Farbe der Unschuld, Weiß, die Farbe des Friedens. Weiße Kricketspieler auf grünem Grund, weiße Tennisspieler, weiße Golfer, weiße Fußballer. Weiß war in England – verblüffenderweise – lange Zeit auch die Farbe der Rugbyspieler, die sich aus diesem Grund vermutlich noch heute ungern, wie wahre neuseeländische Männer dies liebend gerne tun, an matschigen Wintermorgen durchs Rugbygeläuf wühlen. Clevere neuseeländische Mütter setzten sich hingegen bereits Ende des 19. Jahrhunderts dafür ein, dass ihre Kinder schwarze Rugbykleidung trugen, denn das war, was die Wäsche betraf, einfach praktischer. Schwarz wurde bald zum neuen Farbcode für ein ganzes Land.
Das Schwarz der All Blacks färbte sehr früh auf die Farbgebung der Modewelt Neuseelands ab, und als Coco Chanel im fernen Paris 1926 ihr petit noir, ihr kleines Schwarzes, vorstellte, war auch die neuseeländische Damenwelt bald nicht mehr ausschließlich in versnobtem englischen Weiß und kitschigem Ascot-Hellrosa zu sehen. Schwarz machte in Neuseeland selbst vor den traditionell hellen maritimen Sportarten wie dem Segeln nicht halt. Schwarz eroberte die Sportarten Kricket (die Black Caps), das Frauenrugby (die Black Ferns) sowie Hockey (die Black Sticks), um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Und natürlich darf es auch nicht verwundern, wenn die weltweite Vermarktung des Landes Neuseeland mit der Kampagne »100 % pur New Zealand« von der Werbeagentur völlig in schwarze Farben getunkt wird. Allein die Fußballnationalmannschaft, die sogenannten All Whites, verweigern sich in ihrer durchgehend weißen Kleidung dem nationalen Einheitslook. Wahrscheinlich ein weiterer Grund, warum die Fußballer in Neuseeland nicht den gleichen Stellenwert wie die Rugbyspieler genießen und nicht so ernst genommen werden wie die All Blacks.
Eine Freundin sagte mir, ein Neuseeländer habe einer Deutschen, die gerade ins Land gezogen sei, geraten: Auf offiziellen Veranstaltungen in Neuseeland ist es völlig egal, welche Farbe du trägst. Hauptsache, deine Kleidung ist schwarz.