Gebrauchsanweisung für Wein - Carsten Henn - E-Book

Gebrauchsanweisung für Wein E-Book

Carsten Henn

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Beschreibung

Handfestes Weinwissen, unterhaltsam präsentiert Carsten Henn ist weitgereist in der Welt des Weins, in seinem Keller stapeln sich die Flaschen, und er gilt als eine der besten Weinnasen Deutschlands. Doch er trinkt nicht nur Wein, er schreibt auch sehr fundiert und unterhaltsam darüber. Vom Bestsellerautor, Gastrokritiker und anerkannten Weinexperten Zum Beispiel schreibt er über unterschiedliche Rebsorten, Barriquefässer und Schraubverschlüsse, über Weinfarben und Flaschenformen; darüber, wie viele unterschiedliche Weingläser man im Schrank haben sollte, über Bioweine, Modeweine, den Boom der Roséweine und über finanzielle Exzesse beim Weinkonsum. Und darüber, wie merkwürdig ein Besuch beim renommiertesten Weingut der Welt verlaufen kann. Er erklärt, was sein Handy über Wein weiß, wieso eine Katze wie ein berühmtes Bordeaux-Château und wie Wein als Zeitmaschine funktioniert. Was die Südtiroler Rebsorte Lagrein in Australien verloren hat (nämlich absolut gar nichts). Welche Weinlagen vom Klimawandel profitieren und wie der Weingeschmack sich im Lauf eines Lebens wandelt. Und er verrät, wieso manche Weine – wie manche Menschen – mit den Jahren immer reifer und immer besser werden. Für Einsteiger, Profis und Genießer

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© Piper Verlag GmbH, München 2024

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Coverabbildung: pilsferrer

Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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Für Vanessa

Mit niemandem trinke ich lieber ein Glas Wein.

Oder zwei.

Oder drei.

Mit Dank an meine Testleser Dr. Randolf Kauer, Uwe Bende und Gerd Henn für ihre scharfen Augen und herausragenden Gaumen.

»Wein ist Poesie in Flaschen.«

Robert Louis Stevenson

»Wein saufen ist Sünde, Wein trinken ist beten. Lasset uns beten.«

Theodor Heuss

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Aperitif – oder: vorweg

Vier Flaschen für ein Halleluja

Meine Initiation

Eine Reise, die man nicht allein machen sollte

Verkorkte Jahre

Anders als Dosenerbsen: kein Mindesthaltbarkeitsdatum

Die Emanzipation des eigenen Geschmacks

Das kleine Ein-Mal-Wein(s)

Die fünf Farben des Weins

Naturburschen

Der so schön hat geprickelt in mein Bauchnabel

1 – Die Lebensabschnitte eines Weintrinkers

2 – Wein ohne Umdrehungen

3 – Erotik für Weingenießer

4 – Ich kaufe was, das du nicht siehst

5 – Ein Wein für Handwerker?

6 – Der neue Langenscheidt: Deutsch-Wein/Wein-Deutsch

7 – »Das Wichtigste ist im Weinberg«

8 – Alles so schön … rosé hier

9 – Die Paraphernalien des Weinglaubens

10 – Spekulationsblasen finden sich beim Wein nur im Champagner …

11 – Das größte Gewürzregal der Welt

12 – Je oller, je doller

13 – »Abgezapft und originalverkorkt von Pahlhuber & Söhne!«

14 – Bling-Bling

15 – Gebrauchsanweisung für Sommeliers

Begleitende Weinmenüs

16 – The Vintages They Are a-Changin’

17 – Vom Arzt verschrieben!

18 – Prominente Weine

19 – Trinken mit Gottes Segen

20 – Das Handy-Orakel

21 – Warum einfach, wenn es auch schwierig geht?

22 – Große Liebe (große Weine)

23 – Erfahrung ist alles

24 – Der Name der Katze

25 – Was Mickey Mouse so trinkt …

26 – Wie kommt der Schrank ins Glas?

27 – Macht Genuss weise?

28 – Exotik? Um die Ecke!

29 – ABC? CBA!

30 – Die Champagner-Drücker

31 – Wein, schizophren

32 – Vom Glück des Literweins

33 – Mythos Discounter-Schampus

34 – Die Lagrein-Giraffe

35 – Auf die Größe kommt es an

36 – Die Zweieinhalb-Wein-Strategie

37 – Prüm ist Dylan

38 – Kein Wein zu Jubiläen!

39 – Die Wein-Zeitmaschine

40 – Stroh brennt lichterloh

41 – Pinot ist Porno

42 – Ein Quantum Tee

43 – Dänen lügen nicht

44 – Unwetterweine

45 – Wie ich ein Mann wurde

46 – Kling, klingelingeling …

47 – Wilde Tropfenkur

48 – Gut gegen Nordwind

49 – Ein Wein fürs Leben

50 – Licht aus, Blindprobe!

51 – Hokus Vinos!

52 – Die unerträgliche Leichtigkeit des Estrella

53 – Wein, ärgere dich nicht

54 – Wenn der Wein glüht

55 – Darf Hervé das?

56 – Wenn Winzer Briefe schreiben

57 – Riesling auf Reisen

58 – Eine nächtliche Begegnung

59 – Eine kurze Kolumne über die Zeit

60 – Hochspannung beim Weinroulette

61 – Jeder Cent zählt!

62 – Meine Begegnung mit Paris

63 – Wer hat die größte, längste, dickste?

64 – Das Alphatier im Wein

65 – Holz in der Hütte!

66 – Reif für die Insel

67 – Der Wein der Unbeugsamen

68 – Germany zero points, Allemagne zéro point

69 – White wine with the fish? The same prodecure as last year, Miss Sophie?

70 – »Was erlauben Strunz? Ware schwach wie eine Flasche leer.«

71 – The Future’s So Bright, I Gotta Wear Shades

72 – Probieren geht tatsächlich über Studieren

73 – Do you drink in a land down under?

Digestif

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Aperitif – oder: vorweg

Treten Sie ein! Sie können die Schuhe anlassen, aber bedenken Sie, dass meine Katzen Angst vor Schuhsohlen haben und sich dann nicht nähern werden. Vor Wein haben sie keine Angst. Gute Katzen.

Ich hoffe, Sie sind nicht allergisch gegen Katzen? Ansonsten setzen wir uns auf die Terrasse. Eine schöne Flasche habe ich uns schon aufgemacht und karaffiert (mehr dazu in Kapitel 14; im Folgenden verweisen Sternchen und Ziffern auf Infos in späteren Kapiteln). Sie stammt von meinem eigenen Steilst-Weinberg an der Terrassenmosel, wo ich mehrere Jahre lang auf Schieferboden mit wurzelechten Rebstöcken dilettierte. Im Weintrinken bin ich bedeutend besser als im Weinmachen, deshalb habe ich mich irgendwann ganz darauf verlegt.

Um es direkt zu gestehen: Dies ist nicht mein erstes Weinbuch. Ich habe über Supermarktweine geschrieben, über die besten Gewächse Deutschlands, die besten der Welt; ich bin tief in die Weinwelten meiner beiden heimatlichen Anbaugebiete eingetaucht – Mittelrhein und Ahr –; ich habe Tipps dazu gegeben, wie man ein Weinangeber wird oder in zehn Gläsern zum Weinkenner; und ich habe mein persönliches Scheitern als Weinbauer an der Mosel beschrieben und was man für das eigene Leben vom Weinbau lernen kann.

Aber so ein Buch wie dieses habe ich noch nie geschrieben.

Denn dieses Buch ist geschrieben, als wären Sie ein Freund oder eine Freundin, für die ich ein Reiseführer in die Welt des Weins sein möchte. Genau das bin ich auch für viele in meinem Freundeskreis und in der Verwandtschaft (*38), die mich nach Weintipps fragen (*49) oder mir spätabends Fotos von Weinflaschen zusenden und wissen wollen, ob der Inhalt etwas taugt.

Ich werden Ihnen alles erzählen, wovon ich denke, dass Sie es brauchen, um loszulegen. Ich warne Sie vor den Fallstricken, in denen man sich gerne verfängt. Ab und an werden Sie Nummern als Hinweise auf spätere Kapitel entdecken, in denen ich ein Thema erläutere oder vertiefe, eine Anekdote aus meinem Leben als Weinliebhaber erzähle oder einfach vor mich hin sinniere, was auch Ihnen nach ausgiebigem Weinkonsum des Öfteren passieren wird. Der Weg, um sich die Welt des Weins zu erschließen, ist unordentlich, man kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, auf Stamm und Borke und sieht irgendwann vor lauter Wald den Baum nicht mehr.

Dieses Buch bereitet Sie ein wenig auf dieses herrlich lustvolle Durcheinander vor. Ich werde von eigenen Erfahrungen und Erlebnissen erzählen, zum Beispiel davon, wie ich einen Wein für Wei(h)nachten auswähle (*19 und – weil es so ein wichtiges Thema ist – auch *46); Sie werden – hoffe ich zumindest – bei der Lektüre lachen und schmunzeln. Alles über Wein kann kein Buch behandeln, dafür bräuchte es eine Bibliothek. Sie bekommen von mir das Rüstzeug (wir siezen uns noch, aber obwohl unsere Freundschaft noch jung ist, mangelt es ihr nicht an Herzlichkeit) – nicht chronologisch verabreicht, sondern freudvoll und hoffentlich wohldosiert kreuz und quer.

So ging es mir in meinem Leben als Weingenießer oft genug. Kein Tag, während ich in einer kleinen Weinhandlung mit großer Käsetheke jobbte, keine Probe in meinen vinophilen Anfangstagen, bei denen ich nicht etliche Fachbegriffe nicht verstand und sie direkt danach nachschlug – damals in Fachliteratur, heute reicht da das Internet. Überhaupt ist die überwiegende Fachliteratur zum Thema Wein noch immer erstaunlich freudlos und unsinnlich, eher didaktisch und eine lexikalische Präsentation von Fakten. Dabei sind die schreibenden Kolleginnen und Kollegen im persönlichen Kontakt, also bei einem Glas (*9) Wein, zumeist sehr unterhaltsam.

 

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich erstmals das geheime Reich eines Weinjournalisten betrat: das von Joel Payne, damals Chefredakteur des »Gault&Millau Weinguide«, seinerzeit die Bibel des deutschen Weins. Sein Büro war voller wackeliger Weinkarton-Türme, teilweise mit Absendern aus fernen Ländern. Auf den Regalen thronten leere Bouteillen berühmter Güter wie Trophäen eines Großwildjägers, daneben stapelten sich Sachbücher zum Thema Wein und ganze Jahrgänge von Weinmagazinen, davor standen gefüllte Weinflaschen legendärer Güter. Dieser Mann lebte Wein, und er lebte mitten im Wein. Er holte einen Nahe-Riesling aus dem Kühlschrank, der von seiner gestrigen Probe übrig geblieben war, und wir sprachen darüber. Und es war, als würden sich mit den Worten über den Wein neue Aromen aus ihm lösen, neue Räume des Genusses sich öffnen. Da wurde mir klar, dass man über Wein reden muss. Er ist kein eremitisches Getränk, sondern ein narratives.

Noch mehr beeindruckte mich aber der Keller von Jürgen Mathäß, bei dem ich ein Praktikum absolvierte, als er »VINUM«-Chefredakteur Deutschland war. Der Boden seines niedrigen, alten und nur dürftig beleuchteten Kellers bestand aus großen Kieseln, die beim Darübergehen ein knirschendes Geräusch verursachten. Es war kühl, die Luftfeuchtigkeit hoch. Eine fremde, exotische Welt. In steinernen Fächern fanden sich die Weine, größtenteils unsortiert. Jürgen stellte die Qualität der Preziosen nicht heraus, er sagte nur: »Such dir aus, was du heute trinken willst. Egal was.« Ich wollte nicht völlig unverschämt sein und wählte einen Vina Santa Rita Casa Real, einen fantastischen Cabernet Sauvignon aus Chile. Ein noch bezahlbarer, aber großer Wein mit Würze und Länge – und, wie ich wusste, einer der Lieblingsweine von Jürgen. Als guter Gast, dachte ich, denkt man auch ein wenig an den Gastgeber.

Es war nicht zu meinem Schaden.

Nach dem ersten Schluck sprach Jürgen das höchte Lob aus, zu dem ein Pfälzer wie er fähig ist: »Kann man trinken.«

Ja, Genuss lässt sich nur schwer mit Worten transportieren (singen und tanzen lässt er sich allerdings auch schlecht). Aber die Geschichten rund um diesen Genuss lassen sich erzählen.

Doch auch in diesem Buch gibt es Fakten, Fakten, Fakten. Sehen Sie diese einfach als Training an, das Sie benötigen, um eine Sportart, in diesem Fall die des Weintrinkens, korrekt ausführen zu können. Vielleicht hilft das.

Falls nicht, trinken Sie Wein zur Lektüre, damit lassen sich die im Buch verstreuten Fakten gut herunterspülen.

Und eins noch: Wein sollte nicht bierernst sein. Schon geschmacklich wäre das ein Irrweg. Wie alles, was es auch in teuer und rar gibt, wird Wein von manchem zum Distinktionsgewinn genutzt (*31) oder einfach, um auf dicke Hose zu machen. Dabei steht manche teure Pulle nach dem Entkorken (*13) wie der König aus dem Märchen ohne Kleider da. Und manch vermeintlich einfacher Wein macht einen richtig glücklich (*32).

Vier Flaschen für ein Halleluja

Wein sollte man nicht im Kühlschrank lagern, er wird zu oft erschüttert (vor allem in der Kühlschranktür), bekommt zu viel Licht, und die Temperatur verändert sich zu oft, das macht den Korken brüchig und stresst den Wein. Stress lässt ihn altern. Da ist Wein wie wir Menschen. Es gibt sowieso viele Parallelen. Wein ist das menschlichste Getränk. Im Gegensatz zu Whisky, Gin oder Rum verändert er sich mit der Zeit, er reift. Jung ist Wein voller Spannung und Übermut, dann wird er gelassener und irgendwann ungenießbar. Wein hat gern Gesellschaft, Wein muss atmen, und auch beim Wein zählen die inneren Werte mehr als das Aussehen.

Trotz der Kühlschrankregel habe ich immer vier Flaschen darin, die aber stets innerhalb eines Monats getrunken werden. Sehen Sie, über dem Gemüsefach:

Ein Schaumwein, falls es spontan etwas zu feiern gibt.

Ein Chardonnay (*29), falls ich einen Allrounder zum Essen brauche.

Ein Riesling – Kabinett oder Spätlese – mit ein wenig mehr Restzucker, als es die Definition von »trocken« zulässt, weil es manchmal einfach einen Tick süß-saftig sein darf. Was dann nichts mit klebrigen Weinen zu tun hat, wie man sie aus dem untersten Regal im Supermarkt kennt. Oder in Ihrem Interesse: besser nicht kennt!

Ein leichter Roter, zum Beispiel ein Spätburgunder von der Mosel. Ja, ein Rotwein im Kühlschrank. Leichte Rotweine sollte man gekühlt trinken. Und ganz grundsätzlich gilt: Warm werden die Weine von allein.

Bevor man den Wein einschenkt: kurz checken, ob das Glas keinen Fremdgeruch wie Schrank angenommen hat. Das ist nämlich der Gläser liebster Zeitvertreib (*26).

Hier Ihr Riesling, schön kühl, ein säurestarker Jahrgang (*16), der weckt den Mund auf. Und die Lebensgeister gleich mit.

Noch ein Wort, oder besser mehrere, zum Kühlschrank: Wein sollte man, wie gesagt, nicht darin lagern, aber, und das ist ein großes Aber, er ist der perfekte Platz für offene Weinflaschen, die mit einem Korken oder Ähnlichem wieder dicht verschlossen werden. Hier die Erklärung: Ab dem Moment, in dem der Korken einer Flasche gezogen ist, oxidiert der Wein. Die Oxidationsfläche sollte möglichst gering gehalten werden, deshalb sollte der Wein im Kühlschrank stehen statt liegen (wohingegen er im Keller liegen sollte, damit der Korken immer befeuchtet ist, nicht austrocknet und dicht bleibt). Da Oxidation eine chemische Reaktion ist und chemische Reaktionen bei niedrigerer Temperatur langsamer ablaufen, ist der Kühlschrank sinnvoll, und zwar für jede Art Wein, ob rot ob weiß, ob süß oder trocken. Weißweine halten sich allerdings länger als rote, süße halten sich länger als trockene, säurebetonte länger als säurearme.

Bei Rotwein gilt – Pi mal Daumen –: Eine halbe Flasche ist vier Tage haltbar, eine zu drei Vierteln volle sechs Tage, bei Weißwein sind es zwei beziehungsweise drei Tage. Altweine brauchen manchmal sehr lange, bis sie sich mit Luft öffnen, können dann aber wie im Zeitraffer verblühen. Da muss man schnell sein mit dem Trinken, und kein Kühlschrank, keine Gefriertruhe, keine Arktis kann das verhindern.

Falls eine Weinflasche nur noch zu einem Viertel gefüllt ist, sollte man sie übrigens lieber noch austrinken – bekommt man in der Regel gut hin.

Meine Initiation

Mein Weinleben begann nicht mit Deutschlands größter Rebe, dem Riesling, und auch nicht an der Mosel, wo dieser Wein gewachsen ist. Es war Herbst im Ahrtal, die Rebblätter hatten sich verfärbt, das Tal glühte rot und gelb wie ein Kaminfeuer. Ein Ausflug des Chemie-Aufbaukurses, den ich in der elften Jahrgangsstufe des Albert-Schweitzer-Gymnasiums meiner Heimatstadt Hürth gewählt hatte – und in dem die alkoholische Gärung durchgenommen wurde. Wein ist schließlich nichts anderes als vergorener Traubensaft. Eigentlich vergärt er völlig selbstständig. Legen Sie Weintrauben in einen Topf, und irgendwann wird entweder Wein daraus – oder Essig. Je nachdem, ob die Hefen auf den Schalenhäuten oder aber die Essigbakterien schneller sind.

Nach einem schweißtreibenden Spaziergang über den Rotweinwanderweg kam die Belohnung: meine erste Weinprobe – bei der damaligen Staatsweinbaudomäne Marienthal. Ich trank vergorenen Traubensaft, schmeckte aber Erdbeere, Kirsche, Vanille, Pfirsich, Zitrone, Apfel, Haselnuss, Rauch und Brioche. Ich wusste es damals nicht, aber ich war für immer verloren.

Oder besser: Ich hatte für immer gewonnen.

Was ich damals noch nicht wusste, war, dass man nach einer ausgiebigen Weinprobe (*72) einen Reparaturwein trinkt (*5). Aber ich hatte ohnehin noch so viel zu lernen.

Wein ist ein Getränk wie kein zweites auf dieser Welt. Es lässt sich solo genießen, und es begleitet Speisen besser als jedes andere (*53). Wein erfrischt im Sommer und wärmt im Winter, der Wein lindert Sorgen und befeuert das Herz. Wein begleitet einen, Wein können wir besuchen, in seinem Weinberg spazieren (*7), mit seinem Winzer fachsimpeln, der ihn vielleicht über Jahrzehnte erzeugt hat (*23; wenn ich über Winzer schreibe, meine ich stets auch Winzerinnen, von denen es immer mehr gibt), die dicke Katze (*24) streicheln, die am Eingang des Kellers schlummert, in dem der Wein einst reifte. Wein ist viel mehr als ein Getränk.

Wer sich für Wein entscheidet, der bleibt bei ihm ein Leben lang. Es ist kein kurzer Flirt, keine Affäre, keine Liebschaft, es ist eine liebevolle Beziehung, bis der Tod uns scheidet – oder die miserablen Leberwerte.

Und solange die Welt nicht untergeht, gilt: Es gibt immer einen neuen Jahrgang, immer einen neuen Wein. Es ist wie beim Fußball. Bei der einen Weltmeisterschaft blamiert man sich bis auf die Knochen, bei der nächsten holt man den Pott. Wer Wein trinkt, freut sich auf die Zukunft (*71).

Eine Reise, die man nicht allein machen sollte

Wenn Sie dieses Buch erworben oder geschenkt bekommen haben, befinden Sie sich schon auf der Reise zum Wein (*1). Mein erster Rat ist: Suchen Sie sich Reisebegleiter. Es ist zwar eine Reise, auf die man sich auch allein begeben kann, aber mit anderen macht es mehr Freude, selbst wenn sie einen nicht den ganzen Weg, sondern nur einen Abschnitt lang begleiten. Über, mit und durch den Wein habe ich viele Freundschaften geschlossen. Das Reden über Wein, das gemeinsame Genießen großartiger (*22) wie auch schlechter Weine (*25), auch der gemeinsame Rausch haben uns verbunden. Aber das schon gleich eingangs, denn ich möchte hier nichts beschönigen: Alkohol ist gesundheitsschädlich (*17), auch in kleinen Mengen. In größeren Mengen kann er nicht nur physisch, sondern auch psychisch zu gewaltigen Problemen führen.

Und noch etwas will ich nicht schönreden: wer Deutschlands größter Weinhändler ist. Sie ahnen es schon, oder? Es sind die Lebensmitteldiscounter. Und der Durchschnittspreis für eine in Deutschland verkaufte Flasche Wein liegt bei 2,73 Euro pro 0,75-Liter-Flasche.

Jeder Euro, den Sie in dieser Preisklasse mehr ausgeben, lohnt sich. Haben Sie zwei Weine eines Weinguts derselben Rebsorte vor sich und einer kostet zwei Euro mehr, dann schmeckt er in diesem Preissegment auch nach zwei Euro mehr. Bei Weinen, die fünfzehn, zwanzig, dreißig oder gar siebzig, achtzig Euro kosten, ist das dann überhaupt nicht mehr zu sagen (*61). Und am anderen Ende der Preispyramide stehen Weine, die nur an Stammkunden zugeteilt werden, bei denen man mehrere andere Weine kaufen muss, um eine Buddel der begehrten Flüssigkeit zu erhalten (*45), oder Weine, die man nur in Subskription (*4) erwerben kann. Weine, die manche als Geldanlage erwerben, was grundsätzlich eine richtig schlechte Idee ist (*10).

Intern versuchen alle Weingüter, eine der Weinqualität entsprechende Preispyramide aufzubauen. Dabei bedeutet »schmeckt besser« in diesem Zusammenhang meist: komplexer, feiner, balancierter, mit längerem Nachhall. Aber: Manchmal möchte man das ja gar nicht. Und lassen Sie sich nicht einreden, das wäre nicht in Ordnung. Schieben Sie Weinsnobismus von Anfang an einen Riegel vor. Der macht auf lange Sicht nämlich Ihren Weingenuss kaputt. Als Weinsnob darf man sich den Luxus eigenen Geschmacks nicht erlauben, sondern muss trinken, was angesagt und teuer ist. Das ist aber selten genau das, was Ihnen schmecken wird. In der Weinpresse – und da nehme ich mich nicht aus – gibt es Geschmackstrends (*27) beziehungsweise sogar Geschmacksüberzeugungen. Zum Beispiel, dass die besten Chardonnays und Pinot Noirs (*41) von kalkigen Böden stammen oder die besten Rieslinge mit Fruchtsüße auf Schiefer gewachsen sind. Damit verschließt man aber die Augen vor der wunderbaren Vielfältigkeit der Aromen, vor der wunderbaren Fähigkeit von Wein, einen Jahrgang (*12) wiederzugeben.

Verkorkte Jahre

Es gibt Jahrgänge, bei denen selbst echte Luschenwinzer nichts falsch machen konnten. Und andere, bei denen sich die Spreu vom Weizen trennt und nur echte Spitzengüter, die aufwendig in ihren Weinbergen arbeiten, dort viel selektionieren, zum Teil auch im Weingut selektionieren (also die guten von den schlechten Trauben oder Beeren trennen), großartige Weine auf die Flasche bringen – und alle anderen nur mediokres Zeug. Aber die meisten Jahrgänge sind irgendetwas dazwischen. Es gibt Jahrgänge, die als groß gelten, vor allem aber nur heiß und deren Weine alkoholisch waren. Andererseits gibt es Jahrgänge, die als klein gelten, weil sie kühl waren, in denen einige Winzer aber die besten Weine ihrer Karriere abgefüllt haben. Winzer Schmitz hat einen großen Jahrgang, Winzer Müller im nächsten Ort nicht, weil seine Weinberge eine Flussschleife weiter ganz anderes Wetter abbekommen hat. Ein Jahrgang kann herausragend für Eiswein sein, aber schlecht für Trockenbeerenauslesen, wunderbar für Riesling, schlecht für Chardonnay, genial für Sekt und miserabel für spät reifende rote Rebsorten. Jahrgangseinschätzungen und Jahrgangstabellen sind starke Verallgemeinerungen und damit Simplifizierungen.

Aber Jahrgangstabellen haben auch ihr Gutes. Sie geben einem das Gefühl, man hätte die Reifung seiner Weine im Griff und würde sie irgendwann zum perfekten Zeitpunkt, dem des größten Genusses, ins Glas gießen. Ein schöner, das Herz erwärmender Gedanke.

Ein irreführender, aber ein schöner.

Denn jede Flasche reift ein wenig anders heran. Selbst wenn zwei Flaschen des gleichen Weins im selben Keller direkt nebeneinanderliegen, gehen sie irgendwann eigene Wege. Zeit ist relativ. Wein beweist das eindringlicher, als Einstein es je konnte.

Wichtig für die Lagerung von Wein ist es, einen dunklen, erschütterungsfreien Raum mit konstanter Temperatur zu haben, idealerweise kühl und so feucht, dass die Korken nicht austrocknen. Falls Ihr Kellerraum nicht optimal sein sollte, können Klimatüren für eine entsprechende Feuchtigkeit und Temperatur sorgen. Es gibt Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, perfekte Weinkeller zu errichten. Mein eigener, oder besser der meiner Sippe, denn darin lagern auch die Flaschen meines Vaters, ist ein umgebauter Partykeller mit Holzregalen und Plastikkisten, die Fenster sind alle mit Spanplatten abgedunkelt. Hier herrscht das reinste Chaos. Aber immerhin gibt es noch ein paar Tropfkerzen von früher. Die werden ja nicht schlecht.

Aber zurück zum Jahrgang. Je mehr Sie für einen Wein ausgeben, desto relevanter wird er. Wenn Sie also einmal einen großen Latour trinken wollen, zahlen Sie lieber hundert Euro mehr und haben dann einen großen Jahrgang, als das Geld zu sparen und sich immer zu fragen, wie der Wein schmeckt, wenn alles passt. Bei einem Spitzenwinzer prägt der Jahrgang den Wein sehr, aber qualitativ hochwertig wird er immer arbeiten.

Die Unterschiede von Jahrgang zu Jahrgang betreffen unter anderem Parameter wie Säure, Alkohol, Reife. Mancher Jahrgang ist im Schnitt alkoholischer als andere, säurebetonter oder unreifer – weil die Weingüter vor einer angekündigten Schlechtwetterperiode schnell alles gelesen haben. Aber der Stil eines Weines bleibt gleicht. Wenn Ihnen ein Wein gefällt, dann wird er Ihnen in jedem Jahrgang gefallen – natürlich mal mehr, mal weniger. Aber diese Varianz will man ja gerade, dass der Jahrgang schmeckbar ist, dass es nicht wie bei Coca-Cola ist, das immer gleich über die Zunge zuckelt.

Aber glauben Sie nicht, alles probieren zu müssen, glauben Sie an keinen Kanon der großen Weine der Welt. Nur weil ein Wein über tausend Euro kostet, muss er Ihnen nicht schmecken. Ganz im Gegenteil, ich garantiere Ihnen: Wenn Sie Weinnovize sind und einen der vermeintlich »größten« Weine der Welt trinken, werden Sie enttäuscht sein. Um einen solchen Wein verstehen oder gar würdigen, seine feinen Nuancen schätzen zu können, muss man sehr viele andere Weine zuvor getrunken haben. Ich habe zu oft den Fehler gemacht, große Weine zu trinken, obwohl ich noch nicht bereit dazu war. Meine Neugierde war zu groß für meinen Gaumen.

Kommt ein Jahrgang auf den Markt, vermelden alle Winzer weltweit immer, dass es ein sehr guter Jahrgang sei, denn sie wollen das Zeug ja verkaufen. Sie wollen nicht, dass die Weingenießer den Jahrgang auslassen und auf den nächsten warten. Glauben Sie Winzern bei der Jahrgangseinschätzung erst mal kein Wort. Bei der Menge wird übrigens meistens geklagt, nie ist es genug. Was dem Kunden natürlich auch signalisiert: Es ist nicht viel davon da, deck dich lieber ein.

Kennen Sie einen Winzer besser, wird er mit Ihnen aber auch mal offen reden. Dann sind Sie vom Status Kunde zum Status Freund des Weinguts aufgestiegen (*56). Falls Sie allerdings hoffen, über den Umweg des Weins einem Promi die Hand schütteln zu können, der das entsprechende Weingut besitzt, sollten Sie lieber einen anderen Weg einschlagen. Mittlerweile produzieren zwar so einige Berühmtheiten Weine, aber die allerwenigsten davon machen sich im Weingut selbst die Hände schmutzig (*18). Einige geben ihren vermeintlich verkaufsfördernden Namen auch nicht wirklich für Wein her, sondern nur für etwas Weinähnliches (*62).

Anders als Dosenerbsen: kein Mindesthaltbarkeitsdatum

Neben Jahrgangstabellen gibt es auch Trinkzeitempfehlungen. Für ein paar Jahre war ich Chefredakteur des »Gault&Millau-Weinguide« und danach des »VINUM-Weinguide«, die solche Trinkzeitempfehlungen enthielten – obwohl wir es gehasst haben, sie zu geben. Warum? Weil wir im Internet ständig Kommentare wie diesen lesen mussten: »Der ›Weinguide‹ hat gesagt, das Trinkzeitfenster für diesen Wein ist 2008–2012. Jetzt haben wir 2018, und er ist immer noch frisch wie der junge Morgen!« Gar nicht so subtiler Subtext: Diese Pfeifen haben keine Ahnung von Wein!

Was dabei nie begriffen wurde: Eine Trinkzeitraumempfehlung meint mitnichten ein Mindesthaltbarkeitsdatum. Sie ist nicht mehr als ein kompetenter Rat, wann der Wein mit hoher Wahrscheinlichkeit gut zu trinken sein wird. Und diese Einschätzung tätigt man vor dem Hintergrund, dass man als Weinjournalist keine Ahnung hat, wie der Wein gelagert wird, ob in einem perfekt klimatisierten Keller oder im Wohnzimmerschrank am immer mal wieder geöffneten Fenster. Dazu kommt, dass nicht nur jeder Wein, sondern – vor allem bei Weinen mit Korkverschluss – jede Flasche anders (und zudem je nach Flaschengröße unterschiedlich) altert (*35). Auch können sehr gute Weine Phasen durchmachen, sie verschließen sich ein paar Jahre und öffnen sich dann wieder. Faktoren, die Trinkreifetabellen nicht abbilden. Falls Sie solche also lesen, genießen Sie sie mit der gebotenen Vorsicht. Alte Weine transzendieren zudem reinen Geschmack, sie erzählen eine Geschichte, wenn man nur genau zuhört – und zuschmeckt (*39). Und wo wir dabei sind, es gibt noch etwas, um das ein Riesenbohei gemacht wird, das Sie aber ebenfalls mit Vorsicht genießen sollten: Empfehlungen zur Trinktemperatur. Die wirken immer, als würde der Wein nur in einem bestimmten Temperaturfenster von zwei, drei Grad schmecken. Was für einen Stress das bereitet! Natürlich gibt es die ideale Temperatur, aber die ist bei jedem Weintrinker und bei jeder Jahreszeit ein wenig anders. Im Sommer trinke ich meinen Rotwein kühler als im Winter. Weil er mir dann einfach besser schmeckt.

Deswegen können Sie sich auch Kokolores wie Weinthermometer sparen. Ich habe mindestens zwei. Eine Art große Metallschnalle, die an die Flasche klippt, und ein kleines, das man in den Wein oder das Weinglas hängen kann. Beide habe ich nur einmal benutzt und dann nie wieder. Diese ganzen Temperaturtabellen für Weine entmündigen uns Weingenießer nur. Grundsätzlich lagere ich Wein kalt; wenn er ins Glas gegossen wird, ist er sofort ein Grad wärmer, und ab da erwärmt er sich immer weiter. Es ist spannend zu beobachten und faszinierend, wenn er den perfekten Punkt erreicht hat. Aber auch die Weintemperatur ist individuell: Mancher mag seinen Wein wärmer, mancher kühler. Was völlig okay ist. Auch damit Weine nicht zu schnell warm werden, schüttet man die Gläser nicht bis zum Rand voll und packt sie nicht am Kelch an. Darf man Rotwein kühl trinken? Aber natürlich, wenn er Ihnen so besser schmeckt. Für mich macht es nur bei leichten Weinen, also solchen mit wenig Alkohol, Sinn, wohingegen bei einem gehaltvollen, also alkoholischeren, zu viel Kälte zu einem unharmonischen Geschmackseindruck führt. Sie werden das für sich herausfinden, vertrauen Sie Ihrem Geschmack!

Vertrauen Sie sowieso nichts anderem mehr als Ihrem eigenen Geschmack.

Und nicht jedem Trend.

Wie jede Welt des Luxus oder der Kunst liebt auch die des Weins Trends. Sie bewegen sich relativ träge – allerdings schneller, seit es das Internet und Wineporn (*3) gibt –, aber sie existieren. Einst gab es in Deutschland den Trend zum Wein, der im Barrique (*11), also im Eichenholzfass, ausgebaut war. Dann den Trend zu Weinen, die spontan vergoren wurden (berühmt dafür ist zum Beispiel das Mosel-Weingut Joh. Jos. Prüm, *37). Dann den Trend, einen Teil des Weißweins wie einen Rotwein zu verarbeiten, um ihm mehr Phenole mitzugeben. Und aktuell den Trend, den Wein sehr lange auf der Vollhefe zu belassen. Einst war es ein Trend, alkoholstarke Weine an den Start zu bringen, dann war es angesagt, leichte zu trinken. Einst wurden edelsüße Weine in den Himmel gehoben, dann die trockenen, nun die mit leichter Fruchtsüße. Und dann ist da natürlich noch der Trend zu Naturweinen. Oder der Orange-Trend, den Sie im Folgenden noch näher kennenlernen werden.

Diese Trends sorgen für Schwung und Themen sowie neue Weine, über die sich wunderbar reden lässt – übrigens in einer eigenen Sprache (*6); auch spezielle Zaubersprüche für Weinproben existieren (*51). Relevant sind sie vor allem für Weintrinker, die Trends folgen, weil sie nicht wissen, was ihnen schmeckt.

Die Emanzipation des eigenen Geschmacks

Ihr Geruchs- und Ihr Geschmackssinn ändern sich mit den Jahren. Beide werden schlechter. Frauen haben grundsätzlich bei beiden einen evolutionären Vorteil, aber auch bei ihnen kennt die Zeit kein Erbarmen. Ausgleichen kann man den Verlust durch Training. Ich finde, das ist ein fairer Deal.

Aber auch Ihre Vorlieben werden sich ändern: Was Ihnen jetzt gefällt, ist in zehn Jahren vielleicht nicht mehr Ihr Ding. Verharren Sie nicht bei Lieblingsweinen, die längst keine mehr sind. Oder bei säurebetonten Weinen, die Sie nicht mehr so gut vertragen. Die Weinwelt hat auch anderes zu bieten.

Den Aspekt des eigenen Geschmacks möchte ich noch etwas weiter ausführen, denn er ist so unglaublich wichtig. Nicht nur bei Wein, auch bei allem anderen. Mich hat meine Liebe zu Wein viel über das Leben, das Universum und den ganzen Rest gelehrt. Und zu dem Rest gehörte ich selbst.

Jahrelang galt Orson Welles’ »Citizen Kane« als bester Film aller Zeiten – traf er Ihren Geschmack? James Joyce’ »Ulysses« gilt als eines der größten Meisterwerke der Literatur, genau wie Marcel Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. Haben Sie diese Bücher gelesen und – falls ja – genossen? Machen Sie sich frei von Empfehlungen und Legenden. Es sind Hinweisschilder, die sicherlich aus guten Gründen aufgestellt wurden, aber es ist nicht gesagt, dass Ihnen der Weg gefällt. Falls Sie keine säurebetonten Weine mögen, wird der beste Riesling der Welt (wenn es so etwas überhaupt gäbe, was nicht der Fall ist) Sie nicht nur kaltlassen, sondern Ihnen schlichtweg nicht schmecken. Schätzen Sie keine Reifenoten beim Champagner (*30), werden Sie den teuersten Sprudlern einen Prosecco vorziehen. Und das ist auch völlig in Ordnung so. Weinsnobismus dient nur dem Distinktionsgewinn.

Was allerdings eine grundsätzliche Frage ist: Wollen Sie ein industrielles Produkt oder ein handwerkliches? Da Sie dieses Buch lesen, ist Letzteres der Fall. Aber auch gegen ein industrielles Produkt ist nichts zu sagen, wenn jemand damit glücklich ist. Ich bin es nicht. Da trinke ich lieber Bier. Wenn Wein, dann muss er gut sein. Das kann auch ein Tropfen für sechs Euro die Flasche sein, aber keiner, der mit allerlei Mittelchen hingefriemelt wurde. Der zuerst weintechnisch komplett ausgelutscht wurde, um ihm nachher mittels Mittelchen und Pülverchen und Reinzuchthefen einen vorher genau definierten Geschmack zu verpassen.

Das kleine Ein-Mal-Wein(s)

Aber ich erkläre den zwölften Schritt vor dem ersten.

Was ist überhaupt Wein? Vergorener Traubensaft. Theoretisch kann man aus jeder Traube Wein machen, unterschieden wird jedoch zwischen Tafel- und Weintrauben, und nur aus Letzteren kommt etwas mit großer Freude Trinkbares heraus. Es gibt unzählige Rebsorten für Wein, aber entscheidend ist Vitis vinifera vinifera, die Edle Weinrebe, die Echte Weinrebe, eine Liane – ja, richtig gelesen –, die bis zu zehn Metern lang werden kann.

Viele Länder auf dem Erdball betreiben Weinbau, in der Regel liegen sie zwischen dem 30. und 50. Breitengrad (nördliche Halbkugel) sowie dem 30. und 40. Breitengrad (südliche Halbkugel). Allerdings bringt die Klimakatastrophe die Werte stark durcheinander. In einigen klassischen Weinbauregionen wird es immer heißer und trockener, wogegen Länder wie England sich zur Wunschheimat der Pflanze entwickeln. Schon sehr lange ist die Weinrebe eine Kulturpflanze, aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass sie bereits vor 11 500 Jahren domestiziert wurde, und zwar zeitgleich in der Region des heutigen Georgien und im heutigen Irak – rund 1000 Kilometer voneinander entfernt. Weinbau gilt damit als erste vom Menschen domestizierte Kultur.

Die ältesten Weinreben der Welt, die immer noch Früchte tragen, stehen allerdings im Klostergarten des Hampton Court Palace in England und sind 400 Jahre alt. Die Weinhistorie steckt voller Überraschungen. Meine Heimatstadt Köln galt zum Beispiel als Weinfass der Hanse, und einst wurde hier innerhalb der Stadtmauern tatsächlich Wein angebaut. Die Zukunft des Weins verspricht weitere Wunder. Im Süden Englands herrschen mittlerweile ähnliche klimatische Verhältnisse wie früher in der Champagne, und auch die Böden sind vergleichbar. Werden die teuersten Prickler also vielleicht irgendwann englisch sprechen?