Gefangen zwischen Liebe und Thron (Sturmwanderer 2) - July Winter - E-Book

Gefangen zwischen Liebe und Thron (Sturmwanderer 2) E-Book

July Winter

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Beschreibung

**Eine Liebe, bedroht von königlicher Gier** Danielle hätte nie gedacht, dass ihr der geheimnisvolle Fremde, den sie im Wirtshaus ihrer Familie aufgenommen hat, schon bald so wichtig werden würde. Dennoch treibt Brix sie durch seine dreiste und unausstehliche Art fast täglich zur Weißglut. Während sich Danielle über ihre widersprüchlichen Gefühle klar werden muss, droht der machthungrige König Rokariens das Land und damit die Menschen, die sie liebt, in den Abgrund zu stürzen. Nur der Mann, dessen stechend blaue Augen Danielles Innerstes in Aufruhr bringen, kann die perfiden Pläne des Herrschers noch stoppen. Doch dafür muss Brix sich seiner Vergangenheit stellen… //Alle Bände der magischen Fantasy-Reihe bei Impress:    -- Verfolgt von Sturm und Macht (Sturmwanderer 1)   -- Gefangen zwischen Liebe und Thron (Sturmwanderer 2)    -- Gejagt von Schicksal und Verrat (Sturmwanderer 3)    -- Gekrönt von Blut und Göttern (Sturmwanderer 4) -- Sturmwanderer. Alle Bände der romantischen Fantasy-Reihe in einem Bundle!//  Diese Reihe ist abgeschlossen.  

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

July Winter

Gefangen zwischen Liebe und Thron (Sturmwanderer 2)

**Eine Liebe, bedroht von königlicher Gier**Danielle hätte nie gedacht, dass ihr der geheimnisvolle Fremde, den sie im Wirtshaus ihrer Familie aufgenommen hat, schon bald so wichtig werden würde. Dennoch treibt Brix sie durch seine dreiste und unausstehliche Art fast täglich zur Weißglut. Während sich Danielle über ihre widersprüchlichen Gefühle klar werden muss, droht der machthungrige König Rokariens das Land und damit die Menschen, die sie liebt, in den Abgrund zu stürzen. Nur der Mann, dessen stechend blaue Augen Danielles Innerstes in Aufruhr bringen, kann die perfiden Pläne des Herrschers noch stoppen. Doch dafür muss Brix sich seiner Vergangenheit stellen …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

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© privat

July Winter liebte schon als Kind mythologische Geschichten mit tapferen Helden und verfasste bereits im Alter von acht Jahren ihre ersten kleinen Kurzgeschichten. Während des Studiums der Europäischen Literaturen entwickelte sie die ersten Ideen für ihren eigenen Roman und schuf ihre ganz eigene Fantasywelt – unterstützt von Freunden und Familie sowie epischen Soundtracks und einem großen Pott Kaffee. July Winter lebt mit ihrem Partner in der Nähe von Berlin.

Für meinen Papa

Danke, dass du mein Interesse für Geschichte geweckt hast und meine Leidenschaft für fantastische Romane teilst.

Du bist mein Held!

Prolog

Cliffhall, 14 Monate zuvor

»Du brauchst es nicht auszusprechen, Königsbruder. Ich weiß, was auf deiner Seele lastet und welcher Wunsch dein Herz verzehrt.«

Varians Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Sein Atem ging stoßweise, während ihm kalter Schweiß über den Rücken rann. Wieso war er nur hierhergekommen? So oft hatte er sich geschworen, nie wieder die dunklen Treppen hinabzusteigen, sich fern zu halten von jenem kalten Ort, doch er konnte es nicht.

Ihre glitzernden Augen verfolgten ihn des Nachts, während ihre süße Stimme ihn betörte und unnachgiebig seinen Namen rief. Sie entlockte ihm ein Verlangen, dem er nicht widerstehen konnte, welches ihn aus seinem Ehebett zwang und erst bei ihrem Anblick an Intensität verlor.

Insgeheim verfluchte er jenen Tag, an dem er den geheimen Eingang zum unterirdischen See gefunden hatte.

Er verfluchte und liebte ihn zugleich.

»Du weißt nichts über mich«, wisperte Varian und spürte die kalte Höhlenwand an seinem Rücken. Die spitzen Felsen bohrten sich durch seinen Mantel und hinterließen feine Risse auf dem gegerbten Leder.

Ein helles Lachen erklang. So wundersam, wie der erste Vogelgesang eines schönen Frühlingstages, doch gleichsam so schauderhaft, dass sich Varians Nackenhaare sträubten.

Sein Blick schnellte über die ruhige Oberfläche des Höhlensees, so lange, bis sich in seiner Mitte erste feine Wellenringe brachen. Mit jedem Augenblick gewannen sie an Kraft, ihre Spannweite wuchs und reichte bereits nach kurzer Zeit bis an das steinige Ufer heran.

Varian wusste, was nun folgen würde. Er hatte es in den vergangenen Wochen so oft gesehen und doch faszinierte ihn der Anblick wie nichts anderes auf der Welt.

Kurz bevor das dunkle Wasser auf den kargen Boden der unterirdischen Höhle traf, stieg ein weibliches Wesen aus den Untiefen empor. Ihr silbernes Haar umspielte ihre hohen Wangenknochen und unterstrich den Glanz ihrer grünen Augen auf eine unnatürliche Art und Weise. Ihr stechender Blick ließ Varian an Ort und Stelle verharren, während ihre zarten Lippen ein sanftes, trügerisches Lächeln umspielten.

»Und wieso bist du dann hier, Varian de Roux?«, fragte die Frau des Sees und bewegte sich lautlos näher ans Ufer heran.

»Ich …ich weiß es nicht«, erwiderte der hochgewachsene Mann stockend, doch wusste er, dass diese Antwort einer Lüge entsprang.

Er war zu feige, die Wahrheit auszusprechen, er konnte sie nicht einmal gedanklich fassen.

»Du magst dich selbst belügen, doch mich kannst du nicht täuschen. Ich sah, was du gesehen hast und fühlte, was dein Innerstes bewegt. Ich weiß, was dein Herz zerfrisst.«

»Hör auf damit!«

Ein stechender Schmerz durchfuhr Varians Kopf, der ihn zwang, die Augen zusammenzukneifen. Seine Schläfen pulsierten, während ein markerschütterndes Dröhnen durch seine Ohren hallte.

»Ich kann dir helfen, Königsbruder. Ich kann deine Qualen lindern. Doch zuerst musst du die Wahrheit akzeptieren und dich mir öffnen«, säuselte die Seehexe mit melodischer Stimme. Die grausamen Schmerzen versiegten und Varian öffnete erschöpft die Augen.

»Wieso ich?«

Er wusste nicht, ob er die Frage laut ausgesprochen oder lediglich gedanklich formulierte, doch das schien nicht von Bedeutung. Sie verstand ihn. Immer.

»Weil du etwas in dir trägst, das die Wenigsten besitzen. In dir ruht eine Stärke, ein Willen, der mächtiger ist als alles andere. Du würdest bis ans Äußerste gehen, um dein Ziel zu erreichen, um deinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen.«

Varian musste erneut schwer schlucken. Er vernahm den metallischen Geschmack von Blut und sank schwer atmend auf die Knie. Wieso erweckten die Worte dieser Kreatur eine solche Sehnsucht in ihm? Wieso wollte er ihr so gern Glauben schenken?

»Und welcher Wunsch wäre das?« fragte er tonlos und blickte in die funkelnden Augen der Seehexe. Sie strahlten derart geheimnisvoll, dass alles andere in Vergessenheit geriet. All der Schmerz und jedweder Kummer.

»Der Thron Rokariens.«

Ein Beben hallte diesen Worten nach und ließ unzählige glitzernde Tropfen von der Höhlendecke auf die Oberfläche des Wassers hinabregnen, ähnlich einem Sternschauer, der sich am dunklen Firmament verlor.

»Mein …mein Bruder ist König«, erwiderte Varian flüsternd.

»Damian gebührt der Thron.«

»Ja. Und nach ihm wird sein Erstgeborener diesen Platz einnehmen und daraufhin seine eigenen Nachkommen oder aber gar sein jüngerer Bruder«, sprach die Frau des Sees und ließ diesen Worten einen Moment der Stille folgen.

»Für dich ist dort kein Platz vorgesehen. Deine Frau hat es nicht geschafft, dir einen Erben zu schenken.«

»Untersteh dich, von ihr zu reden!« zischte Varian gequält und fuhr sich unwirsch durch das kurze dunkle Haar.

Er liebte Louise. Er tat es wahrhaftig. Dreimal hatte sie ein Kind von ihm erwartet, einen Erben, der in die direkte Thronfolge hätte eingehen können.

Dreimal verlor sie es und nun …nun war es zu spät.

Diesen Gedanken Ausdruck zu verleihen, sie zu verinnerlichen und wahrhaftig zu begreifen, glich einer unbeschreiblichen Pein. Er fühlte sich so zerrissen, so zerfetzt von Trauer, Wut und Neid.

Jeden Tag verbrachte er an der Seite seines Bruders.

Sah, wie sehr das Volk Rokariens Damian verehrte, wie die Fürsten der Regionen ihm Respekt zollten und seinen Befehlen Folge leisteten. Auch wenn seine Frau im Kindbett verschieden war, so hatte sie es dennoch vollbracht, ihm zwei gesunde Jungen zu schenken. Zwei Thronerben.

Einer so stark und hitzköpfig wie Damian selbst, der andere so zart und klug, wie es einst seine Mutter gewesen war.

Die Königslinie schien gesichert, Damian brauchte nichts zu befürchten. Für Varian jedoch blieb kein Platz übrig.

Seine Position als Königsbruder würde mit seinem Tod enden, sein Name in Vergessenheit geraten und lediglich in den Stammbäumen verstaubter Chroniken auftauchen.

Er wusste um dieses Los …und er hasste es. Aus tiefstem Herzen und mit ganzer Seele verfluchte er sein Schicksal und er wusste, dass, wenn es auch nur den Hauch einer Möglichkeit gäbe, den Lauf der Dinge zu ändern, er würde ihn ergreifen. Er würde alles dafür tun. Alles.

Erschrocken über jene Erkenntnis hob Varian den Blick und sah der Seehexe in die katzenhaften Augen.

Ihr Lächeln wirkte zufrieden, fast wissentlich.

»Ich …ich kann das nicht«, stotterte der Königsbruder und griff sich an den Kragen seines Hemdes. Der Atem stockte ihm, er bekam kaum noch Luft.

»Natürlich kannst du es. Du musst es nur wollen. Lass mich dir helfen«, erwiderte die Kreatur sanft und streckte ihm ihre zarte Hand entgegen. Wassertropfen perlten von ihrer hellen, fast durchsichtig schimmernden Haut und glitten lautlos bis zum Nabel hinab. Ihre Hüften und Beine blieben im Dunkel des Wassers verborgen, doch glaubte Varian ab und an ein Schimmern unter der Oberfläche zu erkennen.

Es erinnerte ihn an den Glanz jener Muscheln, die er als Kind an den Küsten Cliffhalls gesammelt hatte.

Unsicher blickte er zwischen den filigranen Fingern und ihren grünen Augen umher.

Er wusste nicht, was er tun sollte. Er fürchtete sich vor dem, was vor ihm lag. Fürchtete, dass er Louise und alles, was ihm teuer war, verlieren könnte, doch tief in seinem Inneren begann er zu begreifen, dass all seine Ängste, die Unsicherheit und der Zweifel von einem einzigen Wunsch übertroffen wurden.

Von einer Sehnsucht, die größer war als alles andere.

Dem Wunsch nach Macht.

»Was soll ich tun?« fragte Varian mit rauer Stimme und fühlte, wie der Wandel des Schicksals schneidend über sein Gesicht zog.

Er ergriff die Hand der Seehexe und spürte, wie ihre kalte Haut sämtliche Wärme aus seinem Körper zog und das Blut in seinen Venen zu erstarren drohte.

Er war verloren.

1. Lebt, liebt, lacht

Danielle

Montelans, 14 Monate später

Danielle konnte ein herzhaftes Gähnen nicht unterdrücken.

Sie hatten in der vergangenen Nacht so lange beisammengesessen, dass sie glaubte, am Ende nur ein oder zwei Stunden geschlafen zu haben.

Am heutigen Morgen war der Himmel mit aufgebauschten Wolken gespickt. Das stetige Grau wich allmählich einem freundlicheren Ton, der Hoffnung auf besseres Wetter versprach. Während die Dunkelheit der Nacht mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne kämpfte, verfärbte sich der Horizont in warme Rot- und Orangetöne. Die Wolken verwandelten sich in reißende Wellen, die sich inmitten eines flammenden Meeres zerschlugen. Von den umliegenden Feldern und Wiesen stiegen seichte Nebelschwaden hinauf und tränkten die Luft mit Feuchtigkeit.

Ein abgeflauter Wind trug den Geruch von nassem Gras über die weiten Ebenen und ließ Danielle tief durchatmen.

Mit einer halbherzigen Bewegung verstreute sie das Hühnerfutter, bevor sie den kleinen Stall nach frischen Eiern durchkämmte. Glücklicherweise besaß die Familie Durand drei wunderbare Legehennen, welche sie niemals enttäuschten und den hungrigen Gästen jeden Morgen ein reichhaltiges Rührei bescherten.

Gerade wollte Danielle aus dem Gehege treten und es fest verriegeln, als sie einen Moment innehielt. Ihr Blick fiel auf den Brunnen im Hinterhof, der ihr Herz unweigerlich einen Takt schneller schlagen ließ. Es war noch kein Tag vergangen, an dem sie genau an dieser Stelle zum ersten Mal von Brix umarmt wurde. Seine Berührung war noch immer so allgegenwärtig, als wäre sie gerade erst geschehen.

Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass da etwas war, das sie auf gar keinen Fall wahrhaben wollte. Ja, sie mochte ihn, das musste sie sich wohl oder übel eingestehen, doch weiter durfte es nicht gehen. Wie auch? Sie kannte ihn schließlich kaum. Sie wusste nichts über seine Herkunft oder seine Vergangenheit. Es war, als wäre er bei seiner Ankunft ein leeres Blatt Pergament gewesen, das sich nun allmählich füllte.

Brix war in vielen Angelegenheiten ein einziger Widerspruch. Nie wusste man, was wirklich in seinem Kopf vorging oder was er als Nächstes zu tun gedachte. Oft waren seine Bemerkungen oberflächlich und nicht zuletzt anzüglich, doch Danielle wusste mittlerweile, dass mehr hinter dieser gut aufgebauten Fassade steckte. Er war zu tieferen Gefühlen fähig. Das bewies er, indem er sie an seinen Erinnerungen teilhaben ließ.

Auch wenn es keinen Beweis dafür gab, so spürte sie dennoch, dass er seine gestrige Zuneigung weder spitzfindig noch anstößig gemeint hatte. Sie entsprang vielmehr einem ehrlichen und fürsorglichen Grund.

»Danielle, Danielle!«

Die Wirtstochter horchte aufmerksam auf und richtete ihren Blick eilig auf den Sandweg, der vom Gasthof ins Dorf führte. Catia winkte ihr freudestrahlend zu und wirkte lebendiger denn je.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Danielle verunsichert, während sie plötzlich in eine herzliche Umarmung gezogen wurde.

»Es ist mehr als alles in Ordnung«, erwiderte Catia und packte sie bei den Schultern.

»Danielle, es ist so weit, endlich ist es so weit!«

»Was ist so weit?«

»Es ist Cedric. Gestern Abend, als er mich vor dem Haus meiner Mutter abgesetzt hat, da …da hat er ihn mir gegeben. Er sagte, dass er nicht mehr länger warten wolle und dass sein Vater einverstanden ist und ich mit in die Schmiede ziehen kann und …«,

Catia hielt in ihrer Aufregung inne und streckte Danielle stolz die rechte Hand entgegen. Ein feiner silberner Ring steckte an ihrem Finger und wirkte dort fast ein wenig fehl am Platz.

Danielle besah das funkelnde Schmuckstück und musste die Worte ihrer Freundin erst einmal verinnerlichen, bevor sie einen glücklichen Jubelschrei ausstieß und Catia in eine innige Umarmung zog. Sie lachten und jauchzten, bis die ersten Freudentränen zu glänzen begannen.

»Du lieber Himmel, was ist denn hier los?«

Maxime riss ruckartig die Tür vom Gasthaus auf und blickte verwirrt drein.

»Werden wir überfallen?«

»Nein, mein Herr, aber wir werden heiraten. Cedric und ich werden endlich heiraten«, rief Catia und schien vor Freude zu platzen.

Auch Maxime brauchte augenscheinlich einen Moment, um zu verstehen, doch dann umspielte ein seltenes Lächeln seine faltigen Mundwinkel.

»Na, das sind doch endlich mal gute Neuigkeiten. Ich gratuliere dir und freue mich für euch.«

»Vielen Dank, ich hatte ja keine Ahnung. Cedric hat mich gestern auf dem Nachhauseweg völlig überrascht.«

»Ich hoffe, er hat dabei wenigstens meinen Namen erwähnt.«

Brix erschien hinter dem alten Wirt und lehnte sich gelassen an den Türrahmen. Allem Anschein nach war er durch ihr Geschrei geweckt worden, denn er sah vollkommen verschlafen aus. Sein cremefarbenes Leinenhemd steckte nur zur Hälfte in der braunen Stoffhose, während sein Haar lieblos nach hinten gebunden war. Unter den blauen Augen ragten dunkle Ringe hervor und sein Bart bedurfte eindeutig einer frischen Rasur. Obwohl seine Erscheinung durchaus nachlässig und ein wenig improvisiert wirkte, musste Danielle dennoch erschrocken feststellen, dass ihr dieses Aussehen ungeheuer gut gefiel. Er hatte etwas Ungestümes, etwas Wildes an sich, das sie mehr und mehr zu reizen schien.

Bei den Göttern, hör auf, ihn derart anzustarren, sonst bildet er sich am Ende noch was darauf ein, schalt sie sich selbst und wandte umgehend den Blick ab.

»Wie meinst du das?«, fragte Catia und zog verwirrt die Stirn in Falten.

»Glaub mir, ohne mein Zureden hätte sich dein großartiger Schmied niemals zu diesem Schritt durchgerungen«, antwortete Brix prahlerisch und trat erhobenen Hauptes an Danielles Seite.

»Ach wirklich?«, fragte diese mit dem sanften, aber durchdringenden Hauch der Ironie.

»Das ist mein voller Ernst. Ohne mich würden wir jetzt keine Hochzeit feiern.«

Brix grinste verschmitzt und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Du unsäglicher Wichtigtuer«, erwiderte Danielle und schüttelte lächelnd den Kopf. Nun wurde ihr auch klar, warum Cedric gestern Nacht unbedingt mit ihm sprechen wollte.

»Und wisst ihr schon, wo ihr die Feierlichkeit ausrichten wollt?«, fragte Maxime an Catia gewandt und lenkte die Aufmerksamkeit zurück aufs Wesentliche.

»Das wissen wir noch nicht genau, ehrlich gesagt hatten wir bisher kaum Gelegenheit, über alle Einzelheiten zu sprechen.«

»Dann lasst mich euch zumindest diese Sorge abnehmen. Eure Hochzeit kann hier im Gasthaus stattfinden«, antwortete der Wirt und lächelte ungewohnt liebevoll.

»Wirklich?«

Die Frage kam sowohl über Catias als auch Danielles Lippen.

»Aber sicher. Wir haben hier ausreichend Platz und so erhalte ich endlich die Gelegenheit, mich für eure Hilfe in den letzten Jahren zu bedanken. Man soll nicht von mir meinen, ich wäre ein schlechter Arbeitgeber.«

Sogleich stieß Catia einen erneuten Freudenschrei aus und sprang dem völlig überrumpelten Wirt in die Arme.

Dieser blickte daraufhin ziemlich unbeholfen drein, doch klopfte er Catia kurz auf die Schulter und trat dann schnellen Schrittes ein Stück nach hinten.

»Ich danke euch vielmals! Diese Hochzeit wird einfach fantastisch«, sprach Catia überschwänglich.

»Ich muss es sofort Cedric erzählen.«

»Aber du bist doch eben erst angekommen«, entgegnete Danielle lachend.

»Richtig, und wenn ich mich beeile, bin ich in einer halben Stunde zurück.«

»Und deine Arbeit?«, fragte Maxime und deutete mit einem Wink seiner Hand ins Gasthaus.

»Glaubt mir, heute werde ich die Arbeit von drei Leuten schaffen. Aber zuerst muss ich Cedric von diesen Neuigkeiten erzählen!«

»Dann geh, um Himmels Willen, aber komm umgehend wieder zurück! Es gibt genug zu tun und ich kann es mir nicht leisten, in Verzug zu geraten. Deine halbe Stunde läuft bereits, Mädchen«, sprach der Wirt streng und schüttelte resigniert den Kopf.

Mit einem strahlenden Lächeln blickte Catia noch einmal zu Maxime und Danielle, bevor sie beschwingt zurück auf die Straße lief und den Weg ins Dorf auf sich nahm.

»Meine Güte, wie hält Cedric es nur mit so viel Frohsinn aus?«

»Ich denke, die beiden ergänzen sich ganz ausgezeichnet«, erwiderte Danielle und lächelte liebevoll. Sie freute sich sehr für die beiden und noch mehr auf die bevorstehende Hochzeit. Solch ein Ereignis war aufregend, das gesamte Dorf würde an den Feierlichkeiten teilnehmen. Sie alle konnten nach den schrecklichen Ereignissen wahrlich eine positive Ablenkung vertragen.

»Nun, da ich davon ausgehe, dass du sowieso nicht brav im Bett bleiben willst, könntest du mir doch ein wenig im Garten behilflich sein?«, fragte sie an Brix gewandt und musste sich ein Schmunzeln verkneifen.

Sie war fast sicher, dass er noch niemals zuvor ein Beet aus der Nähe gesehen hatte.

Dereck

In Anbetracht dieses Angebots überlegte Dereck tatsächlich einen Augenblick lang, ob er nicht einfach seine Verletzungen vorschieben und wieder zurück auf sein Zimmer kehren sollte. Himmel, ihm stand wahrlich nicht der Sinn danach, Gemüse zu ernten oder gar Unkraut zu zupfen, doch er wollte nicht, dass Danielle ihn möglicherweise für verweichlicht hielt. Außerdem war ihm die leise Provokation, die in ihrer Frage mitschwang, nicht entgangen.

»Ich könnte mir nichts Schöneres vorstellen.«

»Wunderbar, dann treffen wir uns in zehn Minuten beim Gemüsebeet im Hinterhof. Bis dahin hast du Zeit, dich ordentlich herzurichten«, antwortete sie mit melodischer Stimme und schritt mit einem zuckersüßen Lächeln an ihm vorbei.

Dereck starrte ihr mit leicht geöffneten Lippen nach. Eigentlich wollte er etwas erwidern, doch beließ er es lediglich bei einem empörten Schnaufen. Danielle wollte schlagfertig sein? Gut, dass konnte er ebenfalls.

***

»Bei den Mächten Rokariens, warum hast du von mir verlangt, mich vor dieser scheußlichen Arbeit zu waschen? Ich sehe bereits jetzt aus, als hätte ich tagelang im Dreck gewühlt«, schimpfte Dereck und warf einen unschuldigen Krautstängel achtlos zur Seite. Danielle blickte erneut von ihrer Arbeit auf und stöhnte genervt.

»Wenn du dich weniger beklagen und mehr zupfen würdest, wären wir beide längst fertig«, antwortete sie und stieß die Hacke kraftvoll in den fruchtbaren Erdboden.

»Ich bin Soldat und Jäger, kein Gärtner«, gab er bissig zurück und betrachtete die vielen grünen Blätter. Was davon sollte er nochmal entfernen und was nicht?

»Den Göttern sei Dank, denn als Gärtner wärst du längst verhungert«, erwiderte Danielle amüsiert und lachte leise auf.

»Und übrigens, das da …«, sie deutete mit dem Zeigefinger auf das Gewächs, das er bereits in der Hand hielt, »ist Möhrenkraut und gehört nicht in den Abfalleimer.«

Dereck funkelte erst Danielle, dann die Pflanze an.

Er konnte es nicht leiden, wenn man ihn kritisierte, doch noch mehr hasste er es, wenn man ihn verbessern wollte.

Danielle

»Ach komm schon, wir machen doch alle mal Fehler.«

Danielle musste all ihre Selbstbeherrschung aufbringen, um nicht auf der Stelle loszuprusten. Brix’ hünenhafte Gestalt wirkte inmitten des kleinen Beets völlig unpassend und sein genervter, beinahe verzweifelter Blick, verlieh ihm irgendwie etwas Liebenswürdiges.

»Bitte, dann geh du halt das nächste Mal auf die Jagd und ich bleibe hier und kümmere mich um euer dummes Gemüse.

Ich bin gespannt, wer von uns beiden dann gut lachen hat«, entgegnete er trotzig und erhob sich schnaufend.

»Ich lasse es gern auf einen Versuch ankommen«, erwiderte sie und zuckte mit den Schultern.

»Ach ja? Und wie willst du das bewerkstelligen? Denkst du etwa, dass du deine Beute, falls du denn überhaupt welche erlegst, zu Fuß nach Hause bringen kannst?«

»Tja, glaub es oder nicht, aber ich bin durchaus in der Lage, ein Pferd zu führen«, antwortete Danielle und reckte das Kinn.

Als sie noch Kinder waren, hatte ihr Marcus heimlich gezeigt, wie man sich auf einen Sattel schwang.

Es dauerte gar nicht lange, da konnte sie bereits eigenständig die Zügel halten. Allerdings lagen diese Tage bereits viele Jahre zurück, doch diese kleine Nebensächlichkeit musste sie Brix ja nicht zwangsläufig unter die Nase reiben.

»Na, das will ich sehen«, sprach er entschlossen und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust.

Danielle spürte augenblicklich, wie ihre Hände schwitzig wurden, doch versuchte sie diesen Umstand so gut es ging zu verbergen. Er wollte sie mit Sicherheit nur aufziehen, um herauszufinden, wie weit er bei ihr gehen konnte. Doch so leicht würde sie ihn nicht gewinnen lassen.

»Meinetwegen. Sobald die Arbeit getan und Zeit dafür ist, werde ich dich davon überzeugen«, erwiderte sie und betete insgeheim, dass dieser Fall niemals eintrat.

Dereck

»Ich nehme dich beim Wort«, entgegnete er grinsend und beobachtete sie genau. Es war mehr als offensichtlich, dass sie ihm etwas vorspielte. Er war geübt darin, Lügen anhand von Körpersprache zu erkennen und Danielle wirkte derart unsicher, dass es sogar ein Blinder erkannt hätte.

***

Der Vormittag verstrich zügig. Nachdem Catia freudestrahlend aus dem Dorf zurückgekehrt war, übernahm sie bereitwillig die Arbeit im Garten, was Dereck mehr als gelegen kam.

Nie wieder würde er auf den Knien im Erdboden wühlen und irgendwelches Unkraut herausreißen. Er fand absolut keine Einwände dagegen, tagelang im Sattel zu sitzen oder wochenlang mit einem Konvoi aus Soldaten durch die Lande zu streifen und auf einem harten Boden zu schlafen, doch Gartenarbeit war definitiv etwas, was er niemals wieder tun würde. Niemals.

Nun begann er stattdessen hinter dem Tresen auszuhelfen, während Danielle in der Küche half.

Ein kühler Windzug streifte seine Wangen und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Eingang des Wirtshauses.

Kaum hatte er den eintretenden Gast erkannt, legte er das nasse Spültuch zur Seite und trocknete sich rasch die Hände ab.

»Hallo Brix, wie geht es deinen Wunden?«, fragte Abel geschäftig und musterte ihn von Kopf bis Fuß.

»Wesentlich besser, dank Eurer Salbe«, erwiderte er und reichte ihm dankbar die Hand.

»Das freut mich zu hören. Eigentlich wäre ich lieber hier, um mich ausschließlich nach deinem Befinden zu erkundigen, doch leider hat mich ein weiterer Beweggrund hierhergeführt. Wärst du so freundlich und würdest Maxime und Danielle holen?«

»Ich bin hier, Abel«, erklang die Stimme des Wirts, welcher just in diesem Moment die Treppe vom Keller hinaufstieg. Auch Danielle trat gefolgt von Catia und Binette in den Gastraum. Zweifelsohne war dieses Haus hellhöriger, als es den Anschein erweckte.

»Ist etwas passiert? Gibt es etwas Neues?«

»Nun, ich bin hier, um den Wunsch einer sterbenden Frau zu erfüllen«, sprach der Arzt bedrückt und zog seinen schwarzen Hut vom Kopf.

»Marie schickt mich. Es ist so weit. Ich hatte gehofft, dass ihr noch ein oder zwei Tage bleiben, doch nachdem ich sie über den Ausgang der Ratssitzung informierte, verließen sie auch die letzten Kräfte. Ihr letzter Wunsch ist es, euch noch einmal zu sehen.«

»Uns. Wieso ausgerechnet uns?«, fragte Danielle und schlang verunsichert die Arme um den Oberkörper.

»Sie möchte die zwei jungen Männer sehen, die ihre Kinder vor dem Tode bewahrten. Ebenso die beiden Frauen, die als einzige auf sie aufmerksam wurden, als sie verzweifelt am Boden lag.«

»Du liebe Güte«, flüsterte Catia betroffen.

»Dann sollten wir keine Zeit verlieren und aufbrechen.« Dereck schien der einzige, der in dieser Situation zu einer gefassten Stimme fähig war. Sein Blick suchte den des Wirts, welcher sogleich verstehend nickte.

»Nehmt den Wagen, dann seid ihr schneller«, sprach er mitfühlend, »wir warten hier auf euch.«

Danielle

»Ich kann nicht glauben, dass sie wirklich stirbt«, gestand Catia traurig und hielt den Blick gesenkt.

»Ich weiß. Mir geht es ebenso«, erwiderte die Wirtstochter bedrückt. Es fühlte sich so merkwürdig an, zu einer Frau zu fahren, die dem Gott des Todes ausgeliefert ist.

Insgeheim fürchtete sie sich vor dieser Begegnung, sie hatte bereits einmal erlebt, wie ein Mensch vor ihren Augen gestorben war. Die Erinnerungen daran waren noch immer schrecklich nah.

»Wir schaffen das schon«, meinte Brix gefasst und presste die Lippen aufeinander. Danielle war erstaunt, wie ruhig er in diesem Moment wirkte.

Entweder ließ er die Situation nicht an sich heran oder er überspielte seine Gefühle wahrlich gut.

Womöglich konnte ein ehemaliger Soldat besser mit dem Tod umgehen als ein einfacher Arbeiter. Sicherlich sah er bereits unzählige Männer auf dem Schlachtfeld sterben, vielleicht war es ihm dadurch möglich, eine gewisse Distanz dazu herzustellen.

***

Als Maximes Wagen klappernd vor Abels Haus vorfuhr, erwartete Cedric sie bereits.

»Ich werde noch einmal nach Marie sehen, bevor ich euch in ihr Zimmer schicke«, der Wundarzt deutete auf eine Tür, die sich an sein Behandlungszimmer anschloss.

»Wenn ihr zu ihr geht, versucht euch so normal wie möglich zu verhalten. Redet ruhig und langsam mit ihr. Habt keine Angst.«

Mit diesen Worten ließ er sie allein zurück. Keiner von ihnen wagte, etwas zu sagen oder auch nur einen leisen Ton von sich zu geben. Es gab keinen Zweifel daran, dass sich ein jeder von ihnen absolut fehl am Platz fühlte.

»Warum will sie ausgerechnet uns noch einmal sehen?«, fragte Catia flüsternd und blickte unsicher in die Runde.

»Vermutlich, weil wir die Letzten waren, mit denen sie Kontakt hatte«, erwiderte Cedric nach einer kurzen Pause.

»Hat sie denn keine weiteren Angehörigen hier?« fragte Brix und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Nein. Ihre Familie kommt nicht aus Montelans, sie kam allein wegen Blaise hierher. Die meisten Leute mieden sie. Niemand wollte mit ihnen gesehen werden, niemand interessierte sich für sie«, antwortete Danielle und spürte den Druck in ihrer Brust. Sie musste viel Kraft aufbringen, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.

Als die Tür zu Maries Zimmer von Abel geöffnet wurde, zuckten sie alle gleichermaßen zusammen.

Die Anspannung schien förmlich greifbar.

»Ihr könnt nun zu ihr gehen, sie erwartet euch«, sprach der Arzt gefasst und rang sich ein Lächeln ab. Noch einmal tauschten sie alle einen Blick miteinander aus, bevor sie sich leise, fast schleichend, in Bewegung setzten.

Dereck

Gedämpftes Licht fiel durch die zugezogenen Vorhänge und verlieh dem kleinen Zimmer eine unverhofft friedliche Atmosphäre. Eine weiße Wachskerze stand entzündet auf dem kleinen Beistelltisch und flackerte sanft. Marie lag vollkommen ruhig in ihrem Bett, ihre Atmung ging gleichmäßig. Ihr schwarzes Haar lag in seichten Wellen um ihr fahles Gesicht und umrahmte es mit trauriger Anmut.

Als die Witwe ihre Besucher erkannte, schlich sich ein schwaches Lächeln auf ihren blassen Lippen. Es war erstaunlich, denn Marie strahlte einen wundersamen Frieden aus, eine Ruhe, die keiner der Anwesenden in diesem Moment nachempfinden konnte.

»Ich freue mich, dass ihr tatsächlich gekommen seid«, wisperte sie leise und mit gebrochener Stimme. Im ersten Augenblick erwiderte niemand etwas, die gesamte Situation erschien so unnatürlich, so vollkommen anders, dass es ihnen regelrecht die Sprache verschlug.

»Aber natürlich, Marie«, erwiderte Cedric schließlich und lächelte traurig.

»Wir sind nur erstaunt, dass du gerade uns sprechen wolltest.«

»Ihr habt meine Kinder gerettet«, entgegnete sie und schluchzte leise.

»Ohne euch wären mein Yanis und meine kleine Aimee nicht mehr hier. Ich werde euch dafür niemals genug danken können.«

»Das ist auch nicht nötig. Wir sind froh, dass wir helfen konnten.«

Dereck war selbst erstaunt, wie leichtfertig diese Worte über seine Lippen gingen, doch sie entsprachen der reinen Wahrheit. Selten wurde er von einer Situation derart ergriffen, er empfand so viel Mitleid für diese arme Frau.

Marie betrachtete ihn daraufhin mit einer solchen Intensität, dass er nur mit Mühe ihrem Blick standhalten konnte.

Es verunsicherte ihn, denn sie schien ihm direkt in die Seele zu blicken. Ein Umstand, der ihn mehr als beunruhigte.

»Bitte, komm zu mir«, sprach sie zaghaft und streckte ihm die hagere Hand entgegen.

Dereck sah fragend zu Danielle, die ebenfalls unsicher dreinblickte. Zögerlich trat er an das Bett, atmete tief ein und erwiderte die Geste.

Ihre dünnen Finger lagen kaum merklich in seiner großen Hand, doch entgegen aller Erwartungen fühlte sich ihre Haut angenehm warm an. Erneut sah sie ihm direkt in die Augen.

Es fühlte sich beinahe so an, als ob sie darin etwas suchte, was für die anderen nicht sichtbar war.

»Du bist nicht der, der du zu sein scheinst, doch du bist dennoch mehr, als du vermutest. Vertrau auf dein Herz und auf die Wahrheit«, flüsterte Marie, doch umspielte ein zaghaftes Lächeln ihre Lippen.

Dereck erstarrte. Ihre Worte brannten sich in seinen Geist und hinterließen dort ein Mal, das ihn umgehend zurückschrecken ließ. Ruckartig zog er seine Hand zurück und besah sie misstrauisch. Was wusste sie über ihn? Was sollten diese Worte bedeuten? Hatte sie ihn durchschaut?

Ungeachtet seiner Reaktion richtete Marie nun ihr Augenmerk auf Danielle und Catia, die stumm am Fußende ihres Bettes standen.

»Ihr beide wart für mich da, als das Unheil über mich und meine Familie hereinbrach. Ihr habt hingesehen, als andere den Blick abwandten. Dafür möchte ich euch von ganzem Herzen danken.«

Danielle trat einen Schritt näher an das Bett heran und lächelte Marie liebevoll entgegen.

»Ich wünschte, wir hätten mehr für euch tun können.«

»Ihr habt mehr für mich getan als die meisten. Ich hörte, dass ihr meinen Yanis aufnehmen werdet. Er ist ein guter Junge. Bitte gebt Acht auf ihn«, sprach Marie, während eine einzige Träne über ihre Wange lief.

»Das werden wir. Ich verspreche es.«

»Nun. Die Zeit ist gekommen. Der Gott des Todes erwartet mich. Ich möchte euch nochmals danken, dass ihr zu mir gekommen seid. Ich wünsche euch das Allerbeste und denkt daran, was auch immer geschehen mag, haltet zusammen. Steht für den anderen ein. Lebt, liebt und lacht und bitte, achtet auf meine Kinder, so wie wir es getan haben und immer tun werden.«

***

An diesem Abend saßen sie gemeinsam in der Küche des Wirtshauses, während Maxime und Binette die Gäste bedienten.

Dieser Tag war wahrlich einzigartig. Bittersüß und herzzerreißend zugleich. Am Morgen noch sprachen sie von Hochzeit und unendlicher Freude, doch schon am Nachmittag rückten Abschied und Tod in den Vordergrund.

Das Leben erschien so launenhaft, so wild und unzähmbar. Jeder Moment konnte der letzte sein. Doch Maries Worte waren eindeutig. Eine Botschaft, die sie nie vergessen würden. Lebt, liebt, lacht und haltet stets zusammen.

An diesem Tag entstand eine Bindung zwischen ihnen, die sie weder geahnt noch bewusst gewollt hatten. Dieses Ereignis verband sie fortan für den Rest ihres Lebens. Es war ein Geschenk von Marie zum Dank für ihre Hilfe.

Dereck sah neben sich zu Danielle, deren tränenverschleierte Augen noch immer ganz gerötet und geschwollen waren, doch sie erwiderte seinen Blick. Sie rang sich ein trauriges Lächeln ab und griff zaghaft nach seiner Hand. Auch Cedric und Catia stimmten in dieses Lächeln ein. Sie alle sahen einander an und spürten die tiefe Verbundenheit.

Dereck ergriff mit der freien Hand einen der vier Krüge, die sich vor ihnen auf dem hellen Eichentisch befanden.

Er blickte in die Runde, während die anderen es ihm gleichtaten.

Nun blieb nur noch eines zu sagen.

»Auf Blaise und Marie, sie werden für immer bei uns sein«, sprach er mit kräftiger Stimme, woraufhin sie ihre Krüge zusammenschlugen und die beiden Verstorbenen für immer in ihre Herzen einschlossen.