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Tiefe Gefühle, sinnliches Verlangen, prickelnde Spannung - tauchen Sie ein in die faszinierenden Welten der Gestaltwandler, Medialen und der Gilde der Jäger. Drei brandneue Erzählungen in einem Band von einer der erfolgreichsten Autorinnen der Romantic Fantasy. Die Anthologie enthält die 3 Novellen "Engelsfluch", "Im Netz der Sinnlichkeit" und "Pakt der Sehnsucht".
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Seitenzahl: 399
NALINI SINGH
Ins Deutsche übertragen von
Nora Lachmann und Petra Knese
Engelsfluch
Als einige abtrünnige Vampire tot aufgefunden werden, befürchtet man in der Gilde der Jäger einen Verräter in den eigenen Reihen. Die Jägerin Sara soll den Täter ausfindig machen. Dabei ist sie auf die Hilfe des geheimnisvollen Deacon angewiesen. Die Situation spitzt sich zu, als Unbekannte es auf Saras Leben abgesehen haben …
Pakt der Sehnsucht
Grace ist eine scheue Wölfin. Da beginnt ihr gerade der Mann den Hof zu machen, von dem sie nie geglaubt hätte, dass sie seine Seelengefährtin sein könnte – denn der Leutnant der SnowDancer ist berüchtigt, ein gefährlicher Draufgänger zu sein.
Im Netz der Sinnlichkeit
Lara, die Heilerin der SnowDancer-Wölfe, muss sich sowohl den himmelhochjauchzenden Freuden als auch den unerwarteten Herausforderungen stellen, die es mit sich bringt, einen großen und schweigsamen Mann zum Gefährten zu haben.
Engelsfluch (Gilde der Jäger)
Pakt der Sehnsucht
Im Netz der Sinnlichkeit
Gilde der Jäger
Der Kader der Zehn
Die mächtigsten Erzengel der Welt, der Kader der Zehn, trafen sich in einem Bergfried mitten in den schottischen Highlands. Niemand, weder Mensch noch Vampir, würde es wagen, in das Territorium der Engel einzudringen, und sollte dennoch jemand so lebensmüde sein, wäre sein Bemühen vergebens. Der Turm war von Engeln errichtet worden, und ohne Flügel gelangte niemand hinein.
Natürlich ließe sich der Nachteil mit Technik wettmachen, doch die Unsterblichen waren selbst alles andere als technologisch rückständig, ansonsten hätten sie sicherlich nicht Äonen von Jahren überlebt. Der Luftraum um den Bergfried wurde sowohl von einer Spezialeinheit von Engeln als auch einem hochentwickelten, computergesteuerten Abwehrsystem überwacht. Die Sicherheitsmaßnahmen für den heutigen Tag hatten den Himmel in ein Meer von Flügeln verwandelt, denn es kam nicht oft vor, dass die zehn mächtigsten Geschöpfe der Welt an einem Ort zusammenkamen.
»Wo ist Uram?«, fragte Raphael und warf einen Blick auf den leeren Platz im Halbkreis.
Michaela antwortete: »In seinem Territorium gab es Probleme, um die er sich sofort und persönlich kümmern musste.« Ihre Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Sie war schön, vielleicht sogar die schönste Frau auf Erden … solange man nicht in ihre Seele sah.
»Uram tanzt nach ihrer Pfeife.« Die Worte waren kaum hörbar, und Raphael wusste, dass sie nur für ihn bestimmt waren.
Mit einem Seitenblick auf Lijuan schüttelte er den Kopf. »Dafür ist er viel zu mächtig. Vielleicht hat sie im Bett das Sagen, aber mehr auch nicht.«
Lijuan lächelte, und dieses Lächeln war bar jeder Menschlichkeit. Sie war die Älteste der Erzengel und hatte schon lange die Fähigkeit verloren, sich auch nur als Sterbliche auszugeben. Raphael nahm eine seltsame Dunkelheit in ihr wahr, die Ahnung von Welten, die über alles Sterbliche und Unsterbliche hinausgingen.
»Und was ist mit uns, sind wir etwa nicht wichtig?«, fragte der indische Erzengel Neha scharf.
»Lass doch, Neha«, sagte Elija in seiner ruhigen Art. »Wir wissen alle, wie arrogant Uram ist. Wenn er es nicht für nötig hält zu kommen, dann verwirkt er damit auch sein Vetorecht.«
Damit gab sich die Königin der Gifte zufrieden. Astaad und Titus schienen sich an Urams Abwesenheit nicht zu stören, nur Charisemnon war nicht so leicht zu beschwichtigen. »Er spuckt auf den Kader«, sagte der Erzengel, und sein schönes Gesicht war wutverzerrt. »Von mir aus kann er gleich auf die Mitgliedschaft verzichten.«
»Sei nicht albern, Chari«, sagte Michaela, und die Art und Weise, wie sie mit ihm sprach, machte deutlich, dass auch er schon einmal in ihrem Bett zu Gast gewesen war. »Zum Kader wird man doch nicht eingeladen. Als Erzengel gehört man automatisch dazu.«
»Das stimmt.« Zum ersten Mal hatte Favashi das Wort ergriffen. Die Stillste unter den Erzengeln regierte über Persien, und zwar so unauffällig, dass ihre Feinde sie meist vergaßen. Deshalb herrschte sie immer noch, während diese schon längst im Grab lagen.
»Genug«, sagte Raphael. »Lasst uns endlich zum Grund dieses Treffens kommen, damit wir wieder in unsere Territorien zurückkehren können.«
»Wo ist der Sterbliche?«, fragte Neha.
»Wartet draußen. Illium hat ihn aus dem Tiefland hergeflogen. Simon wird alt. Innerhalb des nächsten Jahres wird der amerikanische Zweig der Gilde einen neuen Direktor benötigen.«
»Dann lasst die Gilde doch einen wählen«, sagte Astaad achselzuckend. »Was geht es uns an, solange die Aufgaben der Gilde erfüllt werden?«
Die von entscheidender Bedeutung waren. Engel schufen zwar Vampire, aber letztlich lag es in den Händen der Jäger der Gilde, dass diese ihren hundert Jahre währenden Vertrag auch einhielten. In ihrer Gier nach Unsterblichkeit unterschrieben die Menschen den Vertrag leichtfertig, doch nach einigen wenigen Dienstjahren überlegte es sich manch neugeschaffener Vampir anders.
Trotz all der Mythen, die sich um die Engel und ihre unsterbliche Schönheit rankten, waren sie nicht nur ätherische, himmlische Wesen. Sie waren Herrscher und Geschäftsleute, knallhart und erbarmungslos. Für sie stellten Vampire Kapital dar, und das verloren sie nur äußerst ungern. Daher brauchten sie die Gilde und ihre Jäger.
»Es ist aber wichtig für uns«, sagte Michaela mit schneidender Stimme, »schließlich ist der amerikanische Zweig der Gilde neben dem europäischen einer der mächtigsten. Und wenn der nächste Direktor seiner Aufgabe nicht gewachsen ist, müssen wir eine Rebellion fürchten.«
Raphael fand ihre Wortwahl sehr aufschlussreich. Offenbar hatte Michaela Angst, dass ihre Vampire jede sich bietende Gelegenheit nutzen würden, ihrer liebevollen Obhut zu entkommen.
»Das reicht jetzt.« Titus ließ die massigen Muskeln unter seiner glänzenden schwarzblauen Haut spielen. »Führt den Menschen herein und lasst uns hören, was er zu sagen hat.«
Raphael dachte genauso und sandte Illium eine telepathische Botschaft. Schick Simon herein.
Kurz darauf öffnete sich die Tür, und ein hochgewachsener Mann mit dem durchtrainierten Körper eines Soldaten trat ein. Er hatte schlohweißes Haar und ein faltiges Gesicht, doch seine Augen funkelten klar und strahlend blau. Sobald Simon über die Schwelle getreten war, schloss Illium die Türen, damit sie wieder ungestört waren.
Der alte Gildedirektor sah Raphael an und nickte ihm einmal kurz zu. »Ich fühle mich geehrt, dass Sie mich hergebeten haben. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal vor dem Kader stehen würde.«
Ungesagt blieb dabei, dass die meisten Menschen, die es mit dem Kader zu tun bekamen, als Leiche endeten.
»Setzen Sie sich.« Favashi deutete auf einen leeren Stuhl vor dem Halbkreis.
Obgleich der Gildedirektor ohne Umstände Platz nahm, bemerkte Raphael, dass das Alter nicht spurlos an ihm vorbeigegangen war, schließlich hatte er diesen Mann auf dem Höhepunkt seiner Karriere erlebt. Doch er war auch kein alter Mann, würde es nie sein. Simon war ein Mann, den man respektierte. Einst, vor tausend Jahren, hätte ein solcher Mann Raphaels Freund sein können. Mittlerweile aber hatte er gelernt, dass das Leben eines Sterblichen nur einen Wimpernschlag währte.
»Sie wollen sich zur Ruhe setzen?«, fragte Neha hoheitsvoll. Sie war eine der wenigen, die noch Hof hielt – und selbst wenn die Königin der Gifte einen tötete, konnte man nicht umhin, ihre königliche Würde bis zum letzten schmerzhaften Atemzug zu bewundern.
Simon ließ sich von ihr nicht aus der Fassung bringen. Die vierzig Jahre als Gildedirektor hatten ihn selbstbewusst gemacht, zu Beginn seiner Karriere hätten ihn Nehas Worte verstummen lassen.
»Ich muss«, sagte er. »Meine Jäger wären zwar froh, wenn ich im Amt bliebe, aber ein guter Direktor muss das Wohl der gesamten Gilde im Auge haben. Ihr Anführer sollte in der Lage sein, sich notfalls auch an einer Jagd zu beteiligen.« Er lächelte wehmütig. »Ich bin erfahren und stark, doch längst nicht mehr so reaktionsschnell, und ich setze auch nicht mehr leichtfertig mein Leben aufs Spiel.«
»Offen und ehrlich.« Titus nickte anerkennend. Unter Kriegern und ihresgleichen fühlte er sich am wohlsten. Er regierte sein Land mit eiserner Faust und hielt mit seiner Meinung nie hinter dem Berg. »Nur ein mächtiger Feldherr tritt freiwillig zurück.«
Der Gildedirektor nahm das Kompliment mit einer leichten Verbeugung entgegen. »Ich werde immer ein Jäger bleiben und stehe, wie es unser Brauch verlangt, der neuen Direktorin selbstverständlich bis an mein Lebensende zur Verfügung. Allerdings habe ich nicht den geringsten Zweifel an ihren Fähigkeiten.«
»Direktorin?« Charisemnon schnaubte verächtlich. »Eine Frau?«
Michaela zog eine Augenbraue hoch. »Mein Respekt für die Gilde ist gerade um das Hundertfache gestiegen.«
Simon ließ sich nicht dazu hinreißen, auf die Kommentare einzugehen. »Sara Haziz ist aus vielerlei Gründen die beste Wahl für meine Nachfolge.«
Astaad glättete seine Flügel. »Lassen Sie hören.«
»Bei allem Respekt«, sagte Simon leise, »aber das ist nicht Sache des Kaders.«
Diesmal reagierte Titus als Erster. »Sie wagen es, sich uns zu widersetzen?«
Simon blieb unnachgiebig. »Die Gilde ist immer neutral gewesen, und das aus gutem Grund. Unsere Aufgabe besteht darin, Vampire einzufangen, die ihren Vertrag gebrochen haben. Doch im Laufe der Jahrhunderte gerieten wir immer wieder zwischen die Fronten kriegerischer Engel. Nur dank unserer Neutralität haben wir überlebt. Wenn der Kader sich zu sehr in unsere Geschicke einmischt, verlieren wir diesen Schutz.«
»Hübsch gesagt«, sagte Neha.
Simon sah ihr ins Gesicht. »Und doch ist es wahr.«
»Ist die Frau denn fähig?«, fragte Elias. »Diese Gewissheit müssen wir haben, denn ein Sturz der amerikanischen Gilde würde weite Kreise ziehen.«
Vampire würden außer Kontrolle geraten, dachte Raphael. Einige würden vielleicht in ein ganz normales Leben abtauchen, aber andere würden meucheln und morden, weil sie im Herzen Raubtiere waren. Und wenn er es sich recht überlegte, waren Engel im Grunde auch nicht viel besser.
»Sara ist mehr als fähig«, sagte Simon. »Die Jäger stehen vollkommen hinter ihr. Etliche sind im letzten Jahr an mich herangetreten und haben sie als Nachfolgerin vorgeschlagen.«
»Ist Sara eure beste Jägerin?«, fragte Astaad.
Simon schüttelte den Kopf. »Aber die besten Jäger sind selten die besten Vorgesetzten. Sara ist Jägerin von Geburt.«
Raphael nahm sich vor, mehr über die neue Direktorin in Erfahrung zu bringen. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der Gilde kamen die geborenen Jäger bereits mit der Fähigkeit, Vampire zu wittern, auf die Welt. Bei der Jagd waren sie die Besten und verfolgten eine Fährte unbarmherzig wie ein Bluthund.
»Und wird Sara annehmen?«, fragte er.
Simon überlegte einen Moment, bevor er antwortete. »Ich bin mir sicher, dass Sara die richtige Entscheidung treffen wird.«
Für gewöhnlich hatte Sara kein Mitleid mit Vampiren. Schließlich war es ihr Job, sie einzufangen und hübsch verpackt bei ihren Meistern, den Engeln, abzuliefern. Für Leibeigenschaft hatte sie eigentlich nicht viel übrig, aber die Engel machten ja keinen Hehl aus ihrem Preis für die Unsterblichkeit. Wer ein Vampir werden wollte, musste den Engeln hundert Jahre lang dienen. Ohne Ausnahme.
Wer nicht bereit war, ein Jahrhundert lang Sklavendienste zu leisten, sollte einen solchen Vertrag eben nicht unterschreiben. So sah Sara das jedenfalls. Sich hingegen aus dem Vertrag zu winden, nachdem die Engel ihren Teil der Vereinbarung bereits erfüllt hatten, war Betrug. Und für Betrüger hatte Sara nichts übrig.
Doch das Exemplar, mit dem sie sich gerade herumschlug, hatte weitaus gravierendere Probleme, als zu einem stocksauren Meister zurückgebracht zu werden. »Können Sie sprechen?«
Der Vampir hielt sich mit der Hand den fast komplett durchtrennten Hals und sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
»Ja, tut mir leid.« Sie wunderte sich, dass er überhaupt noch am Leben war. Vampire waren nämlich nicht wirklich unsterblich, man konnte sie durchaus töten. Köpfen war eine idiotensichere Methode, aber fast keiner wagte es – was nicht weiter verwunderlich war, schließlich hielten Vampire dafür nicht still. Aufs Herz zu schießen funktionierte auch, sofern man anschließend schnell den Kopf vom Rumpf trennte. Oder verbrennen. Damit war man auf der sicheren Seite.
Aber Saras Aufgabe war es nicht, Vampire umzubringen. Sie spürte sie auf und brachte sie zurück. »Brauchen Sie Blut?«
Der Vampir sah sie hoffnungsvoll an.
»Müssen Sie sich verbeißen«, sagte sie. »Da Sie immer noch am Leben sind, scheinen Sie einer von der harten Sorte zu sein. Sie halten sicher bis nach Hause durch.«
»Nnnnn.«
Ohne weiter auf sein gegurgeltes Unmutsbekenntnis einzugehen, hockte sich Sara neben ihn und schob ihren Arm unter seinen Rücken, um ihm aufzuhelfen. Zwar war der Vampir wesentlich größer als sie, dafür blutete sie aber nicht aus dem Hals und trieb obendrein sieben Tage die Woche Sport. Stöhnend hievte sie ihn hoch und begann den sich sträubenden Vampir zum Auto zu bugsieren.
»Brauchen Sie Hilfe?« Eine tiefe, ruhige Stimme wie alter Whiskey und glühende Kohlen.
Sara kannte weder die Stimme noch die Gestalt, die sich jetzt aus dem Schatten löste. Der Mann war groß und muskulös, hatte breite Schultern und kräftige Oberschenkel, dennoch bewegte er sich mit der Geschmeidigkeit eines geschulten Kämpfers. Und obgleich Sara es mit Vampiren aufnahm, die doppelt so groß wie sie selbst waren, würde sie sich mit diesem Fremden nicht gerne anlegen.
»Ja«, sagte sie. »Wenn Sie mir vielleicht einfach helfen könnten, ihn zum Auto zu schaffen. Es ist dort drüben am Bordstein geparkt.«
Der Fremde schnappte sich den Vampir, der allmählich verständlichere Laute von sich gab, und verfrachtete ihn auf den Rücksitz. »Kontrollchip?«
Sara nahm ihre Armbrust vom Rücken und zielte auf den Vampir. Der Ärmste verkroch sich noch tiefer in den Wagen. Augenrollend ließ Sara die Armbrust sinken und zog eine Halskette hervor, die am Hosenbund ihrer schwarzen Jeans baumelte. »Keine Tricks, sonst schieße ich das nächste Mal wirklich.«
Wie ein Häufchen Elend sackte der Vampir in sich zusammen und ließ sich die Kette mit dem Kontrollchip um den rasch heilenden Hals legen. Die Wirkungsweise des Chips auf den vampirischen Organismus war komplex, das Resultat hingegen simpel: Der Vampir konnte nun nichts mehr ohne Saras ausdrückliche Genehmigung tun. Für die Jäger war der Chip ein Segen, denn selbst dieser verletzte Vampir hätte Sara in null Komma nichts den Kopf abreißen können.
Und Sara hing an ihrem Kopf.
Sie kroch wieder aus dem Wagen heraus, schlug die Tür zu und sah zu ihrem Kollegen auf, denn dass der Mann ebenfalls ein Jäger war, bezweifelte sie keine Sekunde.
»Sara.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen.
Er ergriff sie und hielt sie fest, ohne etwas zu sagen. Sara wollte protestieren, doch etwas tief in seinen dunklen grünen Augen hinderte sie daran. Macht, schoss es ihr durch den Kopf, von ihm ging unglaubliche Macht aus. Als er endlich sprach, war sie so vom Klang seiner sinnlichen Whiskeystimme fasziniert, dass sie kaum hörte, was er sagte.
»Ich bin Deacon. Nach dem, was ich von Ihnen gehört habe, hätte ich Sie mir viel größer vorgestellt.«
Sie zog ihre Hand zurück. »Vielen Dank. Und in Zukunft kann ich gut auf Ihre Hilfe verzichten.«
Die meisten Männer wären jetzt wahrscheinlich beleidigt abgezogen, doch Deacon sah sie bloß aufmerksam an. »Das war nicht abwertend gemeint.«
Warum zum Teufel stand sie hier noch dämlich in der Gegend herum? »Ich muss Rodney seinem Meister übergeben.«
»Sie haben einen ziemlichen Ruf.« Er machte einen Schritt auf sie zu, und sein Blick wanderte zu dem Gurt, der schräg über ihre Brust verlief. »Sie und Ihre Armbrust.«
War das etwa Amüsement, was sie in seinem ach so ernsten Gesicht sah? »Urteilen Sie nicht vorschnell. Meine Bolzen funktionieren genauso wie die Halsketten. Mit der Armbrust halte ich die Vampire auf Abstand, bis sie mit einem Chip ruhiggestellt sind. So schnell wie die heilen, ist das wohl kaum ein Nachteil.«
»Trotzdem hatten Sie noch eine Halskette dabei.«
Sara nahm die Armbrust ab. »Aus dem Weg.«
Er stand so dicht vor ihr, dass sie nichts als seine breite Brust sehen konnte. Ganz kalt ließ sie dieser Anblick nicht. Er war verdammt sexy. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass sie eine Jägerin war und er, wenn auch ein mögliches Gildenmitglied, ein Unbekannter. »Meine beste Freundin schwört darauf.« Sara wusste nicht so recht, was Ellie an diesen Ketten fand. Umgekehrt konnte die Freundin ihre Vorliebe für die Armbrust nicht nachvollziehen. Dennoch hatte Sara ihr versprochen, die Halsketten einmal auszuprobieren, da sich Ellie bei der letzten Jagd mit der Armbrust versucht hatte. »Und jetzt lassen Sie mich durch.«
Endlich rückte er etwas von ihr ab. Weit genug, damit sie die Beifahrertür öffnen und die Armbrust hineinstellen konnte. Rodneys Halswunde war schon fast ganz verheilt, nur hatte er die Rückbank des Mietwagens vollgeblutet. Verdammt. Zwar würde die Gilde für den Schaden aufkommen, aber sie hatte keine große Lust, in diesem Saustall herumzufahren. »Ich muss diese Lieferung hier zustellen.«
»Wir sollten uns vorher noch mal mit ihm unterhalten.«
Sie schloss die Beifahrertür. »Und warum sollten wir das tun?«
»Sind Sie denn gar nicht neugierig, wer ihn so zugerichtet hat?« Er hat geradezu lächerlich lange Wimpern, dachte sie. Dunkel und seidig und bei einem Mann ganz und gar ungerecht.
»Wahrscheinlich steckt eine Gruppe von Vampirhassern dahinter.« Sie runzelte die Stirn. »Diese Vollidioten. Es kommt ihnen nicht in den Sinn, dass sie jemandes Mann, Vater oder Bruder angreifen.«
Er durchbohrte sie weiter mit seinem Blick.
»Was?« Verlegen strich sich Sara übers Gesicht. Zum Glück verbarg ihr dunkler Teint die aufsteigende Röte. Warum reagierte sie nur so stark auf diesen Fremden? Aber gucken war ja schließlich nicht verboten!
»Die haben mir gesagt, Sie hätten olivfarbene Haut, braune Augen und schwarzes Haar.«
So weit richtig. »Wer sind ›die‹?«
»Das sage ich Ihnen, nachdem wir mit dem Vampir gesprochen haben.«
»Zuckerbrot und Peitsche?« Sie kniff die Augen zusammen. »Ich bin doch kein Esel.«
Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. »Der Kameradschaft halber«, sagte er und zog aus seiner ramponierten Lederjacke einen Gildeausweis.
Obgleich sie vor Neugier brannte, wollte sie sich nicht die Blöße geben und deutete bloß lässig auf den Wagen. »Ich steige vorne ein und löse die Halskette.« Unglücklicherweise oder auch vielleicht glücklicherweise vermochten Vampire nicht zu sprechen, wenn sie einen Chip trugen. »Sie setzen sich hinten neben ihn und sorgen dafür, dass er nicht …«
»Ich passe überhaupt nicht in den Wagen rein.«
Sie betrachtete ihn und konnte sich gerade noch zurückhalten, ihn zu bitten, sich nackt auszuziehen, damit sie ihn von oben bis unten ablecken konnte. »Gut«, sagte sie und drängte ihre Fantasien wieder in den hintersten Winkel ihres Gehirns. »Dann machen wir es eben anders. Ich bringe ihn dazu, das Fenster herunterzukurbeln, und Sie nehmen ihn in den Schwitzkasten, während wir uns unterhalten.«
Genau so machten sie es. Als Rodney erfuhr, wer Sara war, wollte sein Mund gar nicht mehr stillstehen.
»Sie schießen auf Leute.« Bei ihm hörte es sich an, als sei sie eine Wahnsinnige. »Mit Pfeil und Bogen!«
»Da sind Sie aber nicht auf dem neuesten Stand. Letztes Jahr bin ich zur Armbrust übergegangen.« Mit einer Armbrust war man schneller. Dennoch trauerte sie ihrem speziell angefertigten Bogen hinterher. Vielleicht würde sie doch wieder zum Bogen wechseln. »Und es tut noch nicht einmal weh.«
»Das sagen Sie.«
Verständnislos blinzelte sie ihn an. »Wie alt sind Sie?«
»Gerade drei geworden.« Bei Vampiren zählte man die Jahre von ihrer Erschaffung an.
Sara schüttelte den Kopf. »Und Sie haben versucht wegzulaufen? Warum zum Teufel tun Sie so etwas Dämliches?« Sein Meister Lacarre war außer sich vor Wut.
Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht. Schien mir eine gute Idee.«
Offenbar hatte Rodney die Weisheit nicht gerade mit Löffeln gefressen. »Okaaay.« Ihr Blick wanderte zu Deacon. Todernst blickte er sie aus seinen nachtschattengrünen Augen an. Dabei war sie sich sicher, dass er nur mit Mühe das Lachen zurückhielt. Sie selbst verbiss sich ebenfalls ein Grinsen und wandte sich wieder dem Vampir zu. »Einfache Frage.«
»Ein Glück.« Rodney entblößte lächelnd seine Reißzähne. Ältere Vampire taten das nie. »Schwierige Fragen mag ich nämlich nicht.«
»Wer hat Sie so zugerichtet, Rodney?«
Er schluckte schwer und blinzelte dann hektisch. »Niemand.«
»Sie haben also versucht, sich selbst den Kopf abzuschlagen?«
»Ja.« Er nickte, also hielt Deacon ihn nicht sehr fest. Aber das spielte keine Rolle, schließlich hatte sie ja ihre Armbrust.
»Rodney«, sagte sie drohend. »Lügen Sie mich nicht an.«
Wieder blinzelte er, und diesmal füllten sich seine Augen mit Tränen. Nun kam Sara sich richtig gemein vor. »Kommen Sie schon, Rodney. Warum haben Sie Angst?«
»Nur so.«
»Nur so …« Sara überlegte, wovor sich ein Vampir wohl fürchten könnte. »War es ein Engel?« Falls es sein eigener Meister gewesen sein sollte, konnte sie gar nichts tun, außer den Dreckskerl bei der Vampirschutzbehörde anzuzeigen. Doch genauso gut war es möglich, dass die Sache auf das Konto von einem von Lacarres Feinden ging. In diesem Fall würde sich der Engel selbst um die Sache kümmern.
»Nein.« Rodney klang regelrecht entsetzt. Offenbar sagte er die Wahrheit. »Natürlich nicht. Die Engel erschaffen uns, da töten sie uns doch nicht.«
Wie naiv war der Junge eigentlich? »Vor wem haben Sie dann solche Angst?« In diesem Moment begegnete sie wieder Deacons Blick und fand darin die Antwort. »Ein Jäger.« Oder jemand, den Rodney irrtümlich für einen Jäger hielt, denn echte Jäger töteten keine Vampire.
»Bitte tun Sie mir nicht weh. Ich habe gar nichts gemacht«, schniefte Rodney.
»Hey.« Sara tätschelte ihm die Schulter. »Mich interessiert nur meine Fangprämie. Wenn Sie tot sind, bekomme ich bloß die Hälfte. Warum sollte ich Sie also umbringen wollen?«
Rodneys Augen leuchteten hoffnungsvoll auf. »Ist das wahr?«
»Ja.«
»Und was ist mit …« Er senkte die Stimme und deutete auf den Arm um seinen Hals.
Zum ersten Mal mischte sich Deacon ins Gespräch. »Ich bin ihr Freund und tue, was sie sagt.«
Sara starrte ihn an, doch Rodney beruhigten die Worte anscheinend. »Ja, Sie sind der Boss«, sagte er zu Sara. »Das merkt man gleich. Meine Mindy hat auch gern die Hosen an. Sie hat gesagt, ich soll weglaufen und wir … wir könnten dann eine Kreuzfahrt machen.«
Sara presste einen Finger auf seine Lippen. »Konzentrieren Sie sich, Rodney. Erzählen Sie mir von dem Jäger, der Sie verletzt hat.«
»Er sagte, alle Jäger hassen Vampire.« Rodneys Stimme wurde immer leiser. »Das wusste ich gar nicht. Mir war klar, dass es Ihr Job ist, uns aufzuspüren, aber ich dachte nicht, dass die Jäger uns hassen.«
»Das tun wir auch nicht«, sagte Sara und hätte ihm am liebsten über den Kopf gestreichelt. »Er hat es einfach aus Gemeinheit gesagt.«
»Meinen Sie?«
»Das weiß ich sogar. Was hat er noch gesagt?«
»Dass die Vampire der Abschaum der Erde sind und dass unsere Gegenwart die Engel beschmutzen würde.« Er verzog das Gesicht. »Aber das kann doch gar nicht sein, sonst würden uns die Engel doch nicht erschaffen.«
Sara stutzte, diese Schlussfolgerung hätte sie Rodney gar nicht zugetraut. »Ja, da haben Sie recht. Also hat er gelogen. Hat er sonst noch etwas gesagt?«
»Nein, er hat bloß sein Schwert gezogen …«
Schwert?
»… und versucht, mir den Kopf abzuschlagen.« Er lehnte sich zurück, Rede beendet.
»Wie sah er aus?«, fragte Deacon.
Rodney fuhr zusammen. Offenbar hatte er die Gefahr in seinem Nacken vergessen. »Das konnte ich nicht sehen. Er trug eine schwarze Maske vor dem Gesicht, und auch sonst war alles schwarz an ihm. Aber er war groß und stark.«
Diese Beschreibung passte auf die Hälfte der Gildenjäger. Als Sara merkte, dass sie nichts mehr aus Rodney herausbekommen würden, legte sie ihm wieder die Kette um und fuhr ihn zu Lacarre. Dabei war ihr nur allzu bewusst, dass Deacon ihr auf einem monstermäßigen Motorrad folgte. Aber er kam nicht mit hinein, als Sara den Vampir ins Haus führte.
Lacarre wartete schon in der Vorhalle des palastartigen Anwesens. »Geh«, befahl er dem Vampir.
Sara nahm ihm die Halskette ab und legte sie Lacarre hin, damit er sie der Gilde zurückgeben konnte. Zerknirscht wie ein Schuljunge schlurfte Rodney davon. Verärgert klappte der Engel seine cremefarbenen Flügel zusammen und nahm einen Umschlag vom Tisch. »Ihr Einzahlungsbeleg. Ich habe das Geld gleich nach Ihrem Anruf, dass Sie Rodney haben, überwiesen.«
Rasch überflog sie den Beleg und steckte ihn ein. »Vielen Dank.«
»Ms Haziz«, sagte er finster. »Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich hätte nie damit gerechnet, dass Rodney einen Fluchtversuch unternimmt. Ich weiß nicht, wie ich ihn bestrafen soll.«
Sara war es nicht gewöhnt, sich mit einem Engel zu unterhalten. In der Regel nahm sie nur den Auftrag entgegen. Meist bekam sie sie nicht einmal dann zu Gesicht. Engel waren viel zu wichtig, um sich mit gewöhnlichen Sterblichen abzugeben, dazu hatten sie ja ihre Vampire. »Kennen Sie eine Mindy?«
Lacarre erstarrte. »Ja. Sie ist einer meiner ältesten Vampire.«
»Ist sie eifersüchtig?«
»Ach so, ich verstehe.« Er nickte. »Ich habe viel Zeit mit Rodney verbracht. Er ist noch so kindlich, und wenn ich ihm nicht etwas auf die Sprünge helfe, schafft er es nicht.«
Sara fragte lieber nicht, wie es Rodney überhaupt durchs Auswahlverfahren geschafft hatte. So viele Menschen wollten Vampire werden, dass es eigentlich alles andere als ein Zuckerschlecken war. »Er ist nicht gerade ein Genie«, sagte sie stattdessen. »Wenn Sie ihn zu hart bestrafen, wird er es vielleicht nicht überleben.«
Lacarre nickte. »Also gut, Gildenjägerin. Ich danke Ihnen.« Damit war sie entlassen.
Wohl fühlte sich Sara bei dem Gedanken nicht, Rodney bei einem Meister zurückzulassen, der zwar nicht mehr stocksauer, aber immer noch verärgert war. Doch schließlich hatte sich Rodney ja aus freien Stücken entschieden, Vampir zu werden. Nun musste er die nächsten siebenundneunzig Jahre Sklavendasein ertragen. Beim Rausgehen lief ihr eine schlanke Rothaarige über den Weg. Die Frau trug einen gewagten scharlachroten Anzug, der so eng saß, dass er genauso gut aufgemalt hätte sein können.
Sara wäre einfach weitergelaufen, doch die Rothaarige hielt sie auf. »Sie haben Rodney zurückgebracht?«
Mindy. »Das ist mein Job.«
Die Vampirin biss die Zähne fest aufeinander. So gut, wie sie menschliches Verhalten imitierte, musste sie schon sehr alt sein. »Ich bin überrascht, dass er so lange überlebt hat. Sonst kann er sich kaum die Schnürsenkel zubinden.«
»Wie ist er überhaupt durchs Auswahlverfahren gekommen?«
Mindy wedelte mit einer Hand. »Mit ihm war alles in Ordnung, bis …« Erst im Nachhinein wurde ihr klar, mit wem sie da eigentlich sprach. »Auf Wiedersehen, Gildenjägerin.«
»Wiedersehen.« Wie interessant, dachte Sara bei sich. Auch wenn es nie offiziell bestätigt wurde, wusste jeder, dass ein winziger Prozentsatz der Kandidaten nach der Verwandlung geistesgestört war. Zum ersten Mal aber war Sara jetzt ein Vampir untergekommen, der einen Teil seiner Intelligenz eingebüßt hatte.
Als sie wieder in ihren Mietwagen kletterte, war Deacon nirgends zu sehen. Sie fuhr zurück in ihr Hotel, und als sie ihren Wagen in der unterirdischen Garage parkte, brachte er sein Monsterbike plötzlich neben ihr zum Stehen. »Wie sind Sie an den Sicherheitsleuten vorbeigekommen?«
Er nahm den Helm ab, öffnete die Lederjacke und schwang sich vom Motorrad. Unwiderstehlich männliche Muskeln. Wie geschaffen, ihre Hände darübergleiten zu lassen. Das Ziehen in ihrem Unterleib wurde stärker. Himmel, der Mann war eine einzige Einladung zum Sex.
Sara holte tief Luft, um sich wieder in den Griff zu bekommen, und steuerte auf den Fahrstuhl zu. Ihre Waffen trug sie in einer Tasche bei sich. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass die Hotelleitung meist recht säuerlich reagierte, wenn sie mit einer Armbrust durchs Foyer marschierte. »Also? Was ist mit der Sicherheitskontrolle?«
»Taugt absolut nichts.«
Sie war ganz seiner Meinung. »Das Hotel lag am günstigsten für diese Jagd.«
Mit diesem Mann in einem Fahrstuhl eingepfercht zu sein war eine gute Übung in Selbstbeherrschung. Wie gut er roch! Der Duft seiner warmen Haut mischte sich mit dem seiner Seife zu einem einzigartigen Aroma – ganz Mann mit einem darunterliegenden Hauch von Stahl –, das sie wie ein Aphrodisiakum umfing. Da sie ja schlecht mit dem Atmen aufhören konnte, hatte sie, als sie endlich den dritten Stock erreichten, bereits eine Überdosis.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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