Geist der schwarzen Tage - Martin von Arndt - E-Book

Geist der schwarzen Tage E-Book

Martin von Arndt

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Beschreibung

Paris im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ein Dibbuk, nach der jüdischen Legende: der Geist eines Toten, der von einem Menschen Besitz ergreift, hat nach jahrelangem Kampf mit dem Geist seines Opfers dessen Bewusstsein getötet und die Oberhand über den Leib gewonnen. Nun will der Dibbuk seine Pläne einer umfassenden Entwerdung alles Lebenden umsetzen. Nach der Legende hat er nur wenige Tage Zeit in dem Körper, um sein Ziel zu vollenden. Nur der Geliebte seines Opfers kann ihn jetzt noch aufhalten. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.

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Martin von Arndt

Geist der schwarzen Tage

Ein Mysterienkrimi

eBook-Ausgabe der 1987 / 2005 erschienenen Print-Originalausgabe

edition enso . Siemensstr. 1 . D-71706 Markgroeningen . [email protected] . https://enso.poetik.de

©2023 Alle Rechte vorbehalten

ISBN 9783757924232

Fonts: Delicious: A font by Jos Buivenga (exljbris, www.exljbris.com); TheMix: A font by Luc de Groot

 

Zum Buch

Paris im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ein Dibbuk, nach der jüdischen Sage: der Geist eines Toten, der von einem Menschen Besitz ergreift, hat nach jahrelangem Kampf mit dem eingeborenen Geist seines ersten Opfers endlich dessen Bewußtsein getötet und die Oberhand über den Leib gewonnen. Mit Hilfe des Körpers will der Dibbuk seine Pläne einer umfassenden Entwerdung alles Lebenden umsetzen. Nach den alten Mysterienlegenden hat er nur sieben Tage Zeit in dem von ihm okkupierten Körper, um sein Ziel zu vollenden, doch der einzige, der ihn jetzt noch aufhalten kann, ist der Geliebte seines Opfers. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.

 

Die Erstveröffentlichung dieses Mysterienkrimis, dem ein postmodernes Spiel mit Elementen von Gothic Novel und jüdischen Mythen zugrundeliegt, erfolgte 1987 unter dem Namen »Sieben Tage Honig«. Die Paperback-Ausgabe, die dieser eBook-Version zugrundeliegt, wurde 2005 im Peter Segler Verlag publiziert; dabei wurde der Text editorisch grundlegend überarbeitet und neu gestaltet. Der Autor dankt Hans-Joachim Griebe für das Neulektorat.

Es gibt ein Mysterium des Fleisches (Baudelaire).

 

Es gibt ein Mysterium des Geistes (Artaud).

 

Es gibt ein Mysterium der Seele (Rimbaud).

 

Heute gibt es keine Mysterien mehr. Man muß sie erst

wiedererschaffen.

 

Die Schimären sind tot.

Aber noch nicht

ausgerottet.

Präludium

Als ich über die Schwelle trat und zu Boden blickte, da ergoß sich Blut zu meinen Füßen, und weil es frisches Blut war, wußte ich, man hatte ihn getötet.

 

Doch weder in der Rue St. Lazare noch im Faubourg war das Echo seiner Schritte vernehmlich geworden. Ich durchmaß eiligen Schrittes die Bibliothek, das Kartenzimmer und die Menagerie, doch waren sie unbeleuchtet, und so mußte ich mich auf meine Intuition verlassen, die mir riet, Stillschweigen zu bewahren und auf ihn zu warten.

 

Irgendwann müßte er doch kommen.

 

Er war tot. Geschlachtet. So dachte ich.

In der Rue St. Lazare brannte noch Licht, also mußte er dort gewesen sein. Aber auch der Faubourg war hell erleuchtet, also konnte er dort gewesen sein. In der Bibliothek roch es nach Anisschnaps. Ich erbrach. Zum zweitenmal an diesem Abend, dachte ich und ging ins Kartenzimmer.

 

Kein Licht.

Das Erste Nocturnum

 

Siquidem omnis impudentia atque culpa tenebrosa est et mortuis pascitur sicut corvus.

(S. Ambrosius)

 

Heute abend spielten sie die Symphonie funèbre et triomphale von Berlioz. Ich erinnere mich ihrer Uraufführung vor dutzenden von Jahren. Ein Publikum, in des Wortes wahrstem Sinne, trifft auf das Genie seiner Tage. Bei den wenigsten der zeitgenössischen Komponisten empfand ich je Hochstimmung, allesamt fehlt es ihnen an Wagemut, an Kraft und Ungebundenheit des Geistes. Berlioz allein: er vermag mit seinen Poemen Innerstes aufzuspüren. Er spricht nicht, er diktiert nicht, er raunt die Geheimnisse der Natur und Kunst und mischt sie, Natur und Kunst, in seiner Retorte. Symphonie funèbre et triomphale: musikalische Alchemie, Nigredo und Albedo, das Ertrinken im Bade der Schwärze, Weißung, Läuterung und Wiederauferstehung in drei kurzen Sätzen. 

Doch diesmal roch es nach Fiasko, und der Abend sollte mir recht geben. Trotz seines Todes. Die Musik büßte jedwede Frische ein, kein Aufbau, kein Gefühl für Tempowechsel, diese eigenartige Leichenstarre des Tonapparates, Totenapparates, wie ein Requiem in einer dem Untergang geweihten flandrischen Kleinstadtkirche (Agnus Dei, und meine eigene Müdigkeit nimmt zu und immer mehr zu). Die lahmen Bläser vor das Standgericht, doch allen voran den Dirigenten erschossen! Armer Hector, du erlebst es nimmer, daß dein Werk verstanden wird. In Paris regiert der Pöbel, der künstlerische allzumal.

Nun, ich werde mich abschminken.

Alles war deplaziert heute abend. Trotz seines Todes deplaziert. Man könnte sagen, ich sei einen Schritt weiter, ich habe abgeschlossen, was viel zu lange schon angedauert. Aber noch bin ich nicht an einem Ende angelangt.

Ich werde mich abschminken.

Das Gefühl, einen Leib zu besitzen, Hände, die warten, sich mit Messern zu versehen, Beine, die achtenswerte Sprünge wagen, ein Haupt, hinter dessen Stirn sich Gedanken regen, die noch zu keinem Menschenalter dort gehaust (mancher mag glauben: Gefühle auch – was, Gefühle?!). Meine Sehkraft ist wiedergewonnen, ich höre und mittle das Gehörte eigenem Bewußtsein. Ich bin Fleisch, wieder Fleisch geworden! Ich nehme Besitz von dieser Ader und zerreiße ihre Berührung mit meinem Herzen.

Ich muß mich abschminken.

Ich spüre keine Schmerzen. Schmerzen liegen mir fern … noch. Ich werde dahin gelangen, Schmerzen zu spüren, ich weiß es, doch wird mir die Zeit lang werden, fürchte ich. Welche Zeit ist mir geblieben? Alle Teufel, ich habe vergessen, was ›Zeit‹ bedeutet … Zeit, Zeit, Zeit, Zeit, Zeit, Zeit, Zeit. Ich verstehe nicht, je öfter ich das Wort wiederhole. Zeit und Zukunft scheinen mir reine Einbildung. Zu sagen: ich werde mich abschminken, ist schierer Unsinn.

Ich schminke mich ab.

Doch halt, wozu abschminken? Ich muß mich betrachten, einen Spiegel! Ah, das Opfer war wohl gewählt, das Gesicht ist ebenmäßig, vielleicht sind die Augen ein wenig zu blank. Wenn er nur nicht soviel Blut verloren hätte … ekelerregend, dieser klebrige, nach alten Messern riechende Saft, widerwärtig wie ein schlechtes Buch (aber nein, nein, ein schlechtes Buch ist entschieden von größerem Übel, und ich verabscheue nichts so sehr wie die Schriften des Mittelmaßes, die heute verfaßt werden; die zeitgenössische Literatur kennt nur die eigene Begrenztheit; aber es ist gut zu wissen, daß niemand nachfolgt, man hüte sich davor, der Menge die Fersen zu weisen).

---ENDE DER LESEPROBE---