Geister aus einer kleinen Stadt - Ivan Ivanji - E-Book

Geister aus einer kleinen Stadt E-Book

Ivan Ivanji

4,9

Beschreibung

In einer kleinen Stadt im Banat, an einem Wasserlauf, der sich gerne Fluss nennen lässt, wiewohl er nur ein Kanal ist, leben die Menschen Ende der dreißiger Jahre im harmonischen, nahezu idyllischen Miteinander, in einem "melting pot" von Sprachen und Religionen. Im Haus des Arztes etwa sprechen die Eltern miteinander ungarisch, mit den Kindern deutsch, mit dem Zimmermädchen serbisch und mit den Patienten nach deren jeweiligen Bedürfnissen. Leicht kommt der serbisch-orthodoxe Pope nicht damit zurecht, dass sich seine älteste Tochter ausgerechnet in den Sohn des jüdischen Apothekers verliebt hat, ebenso wie die jüdischen Bäckersleute und das deutsche Fabrikantenehepaar, deren Kinder, der singende Rechtsanwalt und das blonde Fräulein, zu heiraten beschließen. Doch man einigt sich, und noch nicht einmal die Juden gestehen sich ihre Sorgen darüber ein, dass in Deutschland ein Herr Hitler an die Macht gekommen ist. Dann kommt der Krieg und nichts bleibt, wie es war. Ivan Ivanji lässt die Menschen eines kleinen Balkanstädtchens wiederauferstehen, mit ihren Sehnsüchten und Träumen, mit ihren Vorlieben und unterschiedlichen Lebensstilen. Jeder von ihnen hat eine andere Strategie, sich auf die Zukunft einzustellen - doch kaum einer wird den Nationalsozialismus überleben.

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IVAN IVANJI

Geister aus einer kleinen Stadt

Copyright © 2011 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © ullsteinbild/picturedesk.com Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5076-1 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at

IVAN IVANJI

Geister aus einer kleinen Stadt

ROMAN

PICUS VERLAG WIEN

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten ...

Prolog

Die Bibliothek meiner Heimatstadt im Banat lädt mich jedes Jahr ein, um vor einem nicht besonders großen, aber treuen Publikum zu lesen. Die Direktorin behauptet, ich sei hier einer der meistausgeliehenen Autoren. Die Menschen in meiner Heimat haben nicht viel Geld für Bücher, es heißt auch immer wieder pessimistisch, Gedrucktes käme allmählich aus der Mode. In meinem Geburtsort wird trotzdem immer noch gelesen.

Jahrelang plante ich, wieder einmal einen ganzen Tag dort zu verbringen, um mich umzusehen und, wie ich nicht laut sagen wollte, um nicht pathetisch zu werden, die Pfade meiner Kindheit zu begehen. Es kam aber lange nicht dazu. Nie hatte ich genug Zeit, einen ganzen Tag dafür zu opfern. Das Auto kam mich stets erst am späten Nachmittag abholen, es ging direkt in die Bibliothek auf dem Hauptplatz, danach wurde ich regelmäßig zum Abendessen in ein kleines Wirtshaus eingeladen, wo das Fleisch vom Grill noch immer so schmeckt, wie ich es aus meiner Kindheit in Erinnerung habe, und schon ging es auf Mitternacht zu und man fuhr mich zurück nach Hause, nach Belgrad.

Die Bibliothek lud mich ein, doch auf ihre Kosten über Nacht zu bleiben, ich konnte mir aber nicht vorstellen, in meiner Heimatstadt in einem tristen Hotel zu schlafen. Meine Altersgenossen sind gestorben, viele meiner Kindheitsfreunde übrigens umgebracht worden – allerdings scheint das heute nicht mehr ausschlaggebend, sie wären auch um die achtzig oder mehr und da ist die Garantie unseres Lebens ohnehin abgelaufen. Gute Modelle funktionieren freilich mitunter über die Garantiedauer hinaus.

Die Zuhörer, die zu meinen Lesungen kommen, haben persönlich mit mir nichts zu tun. Vielleicht haben ihre Eltern, bei den meisten wahrscheinlich die Großeltern, die meinen gekannt. In einer Kleinstadt kennen einander fast alle. Zumindest war das vor dem großen Krieg so.

Endlich war es mir gelungen, an einem frühen Nachmittag zu kommen, und ich hatte einige Stunden Zeit. Mit meiner Heimatstadt allein im Zwiegespräch zu sein, gelang mir jedoch nicht. Meine Frau war natürlich mit dabei. Die liebe Direktorin der Städtischen Bibliothek wollte mich begleiten. Mit ihr kam ihre für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Mitarbeiterin, ebenfalls eine nette junge Frau. An unsere Fersen heftete sich ein einheimischer junger Dichter, Redakteur der hiesigen Literaturzeitschrift. Ihm folgte ein weiterer Journalist und kurz darauf ein Team des lokalen Fernsehsenders. Ich stapfte voraus und fühlte mich wie der Kopf eines Kometen, der einen Staubschweif hinter sich herzieht, nicht wie ein alter Mann, der gerne in Ruhe die Stätten seiner Kindheit besuchen will.

Ich wurde dies und jenes gefragt, meine Antworten aber meist nicht abgewartet, man gab sie gleich selbst. Man erklärte mir, was ich über meine Heimatstadt und mich, das Schicksal meiner Eltern und der übrigen Juden wissen sollte. Bald hörte ich nicht mehr hin.

Abgelenkt wurde ich von Gestalten, die links und rechts auftauchten und mir ebenfalls dies und jenes mitteilen wollten. Zuerst glaubte ich, es seien Passanten, dann aber bemerkte ich, dass sie fluid waren, fast durchsichtig, dass sie plötzlich aus dem Nichts auftauchten und genauso überraschend wieder verschwanden. Ich wusste, dass ich meine Begleitung nicht auf sie aufmerksam machen durfte, weil ich sonst, wenn auch wahrscheinlich mit Nachsicht, für verrückt gehalten worden wäre. Was ich ja wahrscheinlich bin. Wem sonst erscheinen Geister am helllichten Tag?

Es waren meine toten Mitbürger, die mir vorwarfen, noch immer nicht genug über sie geschrieben zu haben. Ich sei zu egoistisch gewesen, hätte immer nur aus meinen eigenen Erlebnissen geschöpft und sei ihnen gegenüber untreu geworden. Aber wenn sie noch die Kraft hatten mir zu erscheinen, waren es dann nicht Untote, im Sinne der Schreibkunst?

Ihrer Namen kann ich mich meist beim besten Willen nicht mehr entsinnen, mein Gedächtnis ist, auch was normale, lebendige Menschen, ihre Namen und Gesichter, angeht, schlecht, was mich oft in Verlegenheit bringt, aber an die Geschäfte und Charaktere der Geister erinnerte ich mich ganz gut, einiges aus ihrem Leben wusste ich, und die Art ihres Todes teilten sie mir selber mit.

Die meisten von ihnen bestanden darauf, ihre Hunde auf keinen Fall zu vergessen. Tatsächlich? Oder scheint es mir nur so, weil ich als Kind Hunde geliebt, als Erwachsener gehalten, als Schreibender als Symbole missbraucht habe? Mein Einwand, im Zusammenhang mit tragischen Ereignissen auch über Hunde zu schreiben sei nicht unbedingt logisch, wurde zurückgewiesen, Hunde seien für sie alle eine ziemlich wichtige Nebensächlichkeit gewesen.

Ich will natürlich nicht so tun, als sei ich ein schreibender Hund. Ich bin ein Mensch, der versuchen will, sich zu erinnern, zu verstehen, und der unter anderem auch Hunde erwähnen möchte. Im Laufe meines ziemlich langen Lebens habe ich viele Hunde kennengelernt, manche von ihnen waren sehr intelligent, instinktsicherer als ihre menschlichen Besitzer, aber ihnen zuzumuten, über sich und ihre Artgenossen oder sogar über Menschen aus ihrer Sicht zu schreiben, würde den Rahmen sprengen, den ich mir als Berichterstatter einer ziemlich traurigen Zeit zu setzen habe. Übrigens ist über Hunde sehr viel geschrieben worden. Auch Romane. Zahllose Filme wurden über sie oder mit ihnen gedreht. Und nie ist es wirklich um Hunde gegangen, sondern immer um Menschen und menschliche – allzu menschliche – Eigenschaften. Warum sollte es hier wesentlich anders werden?

Von Kunstwerken, die Juden geraubt worden sind, war weltweit ebenfalls schon viel die Rede. Bibliotheken sind über ihre Leiden vollgeschrieben worden. Freilich auch über Aktien und Fabriken, Banken, Schlösser und Villen, wertvolle Möbel, Brillanten und sonstiges Geschmeide, hübsche Ballkleider, Gemälde und Skulpturen, Klaviere und andere Musikinstrumente, Spazierstöcke, Waffen-, Münz- und Briefmarkensammlungen, Werkstätten und Ordinationszimmer mit medizinischen Apparaten, die ihnen geraubt worden sind. Über ihre Hunde meines Wissens nicht.

Warum nicht? Im Sinne der bürgerlichen Gesetzgebung sind Hunde Wertgegenstände. Sie sind Eigentum. In diesem Fall waren sie jüdisches Eigentum. Und, was vielleicht nicht unwichtig sein sollte, sie wurden geliebt. Im Gegensatz zu Gegenständen, die ja auch geliebt werden können, erwidern Hunde die Menschenliebe sehr heftig. Ein Schiele oder eine Récamiere aus der Zeit der vielen Louis oder sonstwie heißenden Könige und Stilrichtungen oder ein Pianoforte Marke Steinway haben keine Gedanken gehegt und keine Gefühle gehabt. Hunde schon.

Wie Hunde der Juden die Verfolgung und Ermordung ihrer Herrchen und Frauchen erlebt haben, könnte eine neue Sicht ergeben. Oder die alte aus einer neuen Perspektive erscheinen lassen. Übrigens hasse ich dieses Diminutiv, das für die Damen und Herren Hundebesitzer gebräuchlich ist, aber was kann ich dagegen tun?

Altersbedingt wagt man zu behaupten, die meisten Menschen seien unsympathisch, es gebe aber auch sympathische. Und ich füge hinzu, die meisten Hunde sind sympathisch. Natürlich gibt es aber auch höchst unsympathische. Ich habe einige, meist kleine, beißwütige Bell- und Knurrmaschinen gekannt, die ich überhaupt nicht gemocht habe.

Hunde in Judenbesitz dürften nicht wirklich anders gewesen sein als ihre Kollegen in arischer Hand. Was sie erlebt haben, war jedoch anders.

Am Nachmittag in meiner Heimatstadt hatte ich nichts mit lebenden Hunden zu tun, aber die hartnäckigen toten Bürger haben mir die Beschäftigung mit ihnen abverlangt.

Frieden

Glück

Die Mitte des Kinderzimmers beherrscht ein großer, weißer, mit buntem Wachstuch bedeckter Tisch. Auf dieses Tuch wird vorsichtig der weiße Zwergpudel Zucki gesetzt. Die beiden Kindergesichter, die sich über ihn beugen, sind für ihn der Beginn des Lebens. An das noch blinde Gedränge des ganzen Wurfes, mit dem er zur Welt gekommen ist, an das Balgen um die Zitze mit der warmen Milch, an diese ersten Augenblicke seines Lebens kann sich Zucki nicht mehr erinnern, nur im Traum kommt in ihm noch manchmal ein Gefühl der Wärme, des Geborgenseins und der Süße auf der Zunge auf, dann winselt er leise, aber zufrieden im Schlaf.

Für die Kinder, Leo und Laura, ist Zucki vorerst ein weißes Wollknäuel mit drei schwarzen Punkten, zwei Augen und einer Schnauze, die das Gesicht bilden.

»Er hat Pipi gemacht«, stellt Laura nachdenklich fest. Unter Zucki breitet sich auf dem Wachstuch eine kleine gelbe Pfütze aus.

»Du holst jetzt einen Waschlappen aus dem Badezimmer und wischt das selber auf!«, sagt die Mutter belehrend. »Du hast versprochen, dich um den Hund zu kümmern, nicht wahr?«

»Ich habe jedenfalls nichts versprochen!«, stellt Leo ernst fest.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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