Mein schönes Leben in der Hölle - Ivan Ivanji - E-Book

Mein schönes Leben in der Hölle E-Book

Ivan Ivanji

0,0

Beschreibung

Noch einmal blickt der große Chronist und Erzähler Ivan Ivanji zurück auf sein Leben, das ihm als Mosaikwand erscheint, von der sich einzelne Steine bereits gelöst haben. Er lässt den Blick streifen, verweilt an besonders farbigen Stellen und hält dort inne, wo Steine und zuverlässige Antworten fehlen. Hat ihn sein eigener Onkel verraten und an die Nazis ausgeliefert? Ivan Ivanjis Kindheit endet gewaltsam mit dem Einzug des nationalsozialistischen Terrors in seine Familie, als er selbst in ein Konzentrationslager deportiert und seine Eltern ermordet werden. Bilder des Grauens tauchen auf, aber ebenso solche aus glücklichen Zeiten. Ivan Ivanji, der nach dem Krieg im aufblühenden Jugo­­sla­wien als Lehrer, Theaterintendant und Dolmetscher für Tito, als ­Diplomat und Schriftsteller lebte, verwebt die Begegnung mit seinem verstorbenen Vater mit Erinnertem und komponiert so einen großen zeitgeschichtlichen Roman. Ivanji ist stets ein Fragender und Zweifelnder geblieben. Gekonnt zieht er den Leser in sein Spiel mit ungelebten Möglichkeiten, mischt Fantasien mit Fakten und hinterfragt kritisch die Verlässlichkeit der eigenen Erinnerung.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 399

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



IVAN INVANJI

MEIN SCHÖNES LEBEN IN DER HÖLLE

Copyright © 2014 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © Demurez Cover Arts/Ewa Zauscinska Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5200-0 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at

IVAN IVANJI

MEIN SCHÖNESLEBEN IN DERHÖLLE

ROMAN

PICUS VERLAG WIEN

Nicht alles, was in erster Person niedergeschrieben ist, berichtetvon mir; nicht alles in dritter Person betrifft andere.

Hat mich mein eigener Onkel an die Nazis ausgeliefert? Verraten? Oder einfach nur im Stich gelassen? Das ist nicht die einzige Frage, die ich mir stellen werde, es schwirren auch viele andere herum in der Luft, die ich atme, Fragen, die bisher unbeantwortet geblieben sind. Zumindest aussprechen muss ich sie. Auch das ist mehr als nichts, besser, als an ihnen nur zu würgen, um sie am Ende einfach hinunterzuschlucken. Wo wären sie dann, falls sie unverdaulich sind? Ob ich Antworten finden werde, ist eine andere Frage. Die erste Frage.

Es war eine lange Reise. Es ist eine lange Reise, denn vorüber ist sie noch nicht, angekommen bin ich noch immer nicht. Die Endstation kenne ich nicht, aber weit entfernt kann sie nicht mehr sein. Nirgendwo ein Schaffner, den ich fragen könnte. Vor dem Aussteigen habe ich ein wenig Angst. »Ein wenig« ist zu wenig gesagt, aber ich habe genug Erfahrung, ich weiß mit Sicherheit, dass es gelingen wird, dass es noch jedem gelungen ist.

Im Rückblick scheint mir, ich sehe eine riesengroße Wand, die von einem komplexen Mosaik bedeckt ist. Da und dort sitzen einzelne bunte Steine, an manchen Stellen sogar viele, sehr viele in derselben Gruppe, sodass man das Bild, das sie darstellen, das sie als Teil der Gesamtheit dargestellt haben, ganz gut erkennen kann. Diese Bilder möchte ich beschreiben – Bilder, die aus der Erinnerung auftauchen, dem Sturz in den Abgrund des Vergessens entgangen sind. Der Rest des Gesamtbilds ist von der Wand abgebröckelt. Unauffindbar. Vielleicht durch neu anzuschaffende Steine und Mosaikplättchen zu ersetzen. Das könnte ich versuchen, aber die Frage, die zweite Frage, ist, ob neue Bilder, neue Gestalten wirklich hineinpassen würden? Es gibt auch graue, nichtssagende Plättchen, die ich vernachlässigen werde. Links oben ist die Wand sauber und leer. Da gehört noch etwas Neues hin, obwohl nicht mehr viel Platz vorhanden ist. Ich habe oft versucht, über diese Wand zu erzählen, obwohl ich sie nie so genannt habe, nicht erwähnt habe, wie sich die steinernen Flecken zu Bildern zusammensetzen, aber ich versuche es noch einmal.

Sagte ich soeben, es handle sich um eine Wand? Wäre Mauer nicht das passendere Wort? Die Wand begrenzt mein Zimmer, den Raum, in dem sich mein Leben abgespielt hat, abspielt, zu Ende gespielt wird, eine Mauer steht irgendwo draußen im Freien. Vier Wände hat mein Zimmer, drei Ecken hat mein Hut … Wenn man Wand sagt, meint man nur eine Fläche, etwas Zweidimensionales, eine Mauer klingt stabiler, die steht da in allen drei Dimensionen. Auf einer Mauer kann man gehen. Man kann Glassplitter im Malter befestigen, damit es schwieriger wird, über sie zu klettern. Auf einer Wand kann man nicht gehen, aber ein Käfer kann über sie kriechen. Gott, wird es schwierig mit der Sprache, wenn man älter wird und man sie immer ernster nimmt! Ich bleibe trotz des Verlusts der dritten Dimension bei meiner Wand und dem Mosaik.

Soll das jetzt eine lange Beichte werden? Dann wäre ich mein eigener Beichtvater, denn ich selbst bin es, an den ich mich wende, ein gottloser, weil indiskreter Beichtvater, der sein Beichtkind bloßstellt, um auch andere Mitmenschen anprangern zu können.

Was hat mein Leben bestimmt?

Unter Reisen stelle ich mir vor allem Fahrten mit der Eisenbahn vor. Weitaus weniger selbst gelenkte im Auto, obwohl ich sicher mehr Auto gefahren als mit der Bahn gereist bin. Teilweise freilich auch als angeschnallter Fahrgast im Flugzeug oder sogar im Hubschrauber. In Unterseebooten war ich nie. Leider.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!