Geländer Geschichten - Lucie Panzer - E-Book

Geländer Geschichten E-Book

Lucie Panzer

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Beschreibung

"Das trägt mich durch den Tag" – viele der Hörerinnen und Hörer, die die Impulse von Lucie Panzer morgens im Radio hörten, waren begeistert und wurden zu Fans ihrer einfühlsamen Anstöße. Die Geschichten der beliebten Rundfunkpfarrerin gaben Rat, stimmten nachdenklich, konnten trösten, machten Mut und sorgten für Zuversicht und gute Laune. Immer jedoch hatten sie eine klare Botschaft . Denn Lucie Panzers Haltung über-zeugt durch ihren lebensnahen christlichen Glauben. Ihre Geschichten geben Halt bis heute. Sie sind wahre Geländer Geschichten, an denen man sich orientieren und festhalten kann. Ihre stärksten sind in diesem Buch versammelt. Sie wurden in den Programmen SWR 1 oder SWR 4 in den letzten Jahren ausgestrahlt. Lucie Panzer gibt darin Antworten zu den kleinen und großen Fragen des Lebens. Ein richtungsweisendes Buch, das im Leben Halt gibt.

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LUCIE PANZER

GELÄNDERGESCHICHTEN

FÜR HALT UND HALTUNG IM LEBEN

Für meine Kinder

Fabian, Marius, Antonia und Clemens

Und für die Enkelkinder

Laurin, Floris und Madlaina

Matthis, Janne und Ronja,

Jaron und Lucian

Inhalt

Vorwort

Glaube

Paternoster

Vater unser

Im Himmel

Geheiligt werde dein Name

Dein Reich komme

Dein Wille geschehe

Das tägliche Brot

Und vergib uns unsere Schuld

Sorry

Versuchskaninchen?

Verstrickt

Tischgebet

Glaubwürdig

Christusglaube – nicht Bibelglaube

Kinderglaube?

Bildersprache

Wirklich?

Ich glaube

Vom Leben reden

Kinder taufen?

Schwellenangst

Muntermacher

Übungen

Wo ist Gott?

Gekreuzigt

Weihnachten

Der kleine große Unterschied

Verlockend

Vielfältig

Weisheit

Lebensschule

Zu Hause im Glauben

Hilfe für Fremde

Unglückstage?

Was frei macht

Hoffnung

Baustellen

Alles wird gut

Vor großen Aufgaben

Sein Recht fordern

Nicht aufgeben

Etwas riskieren

Das Richtige tun

Aussichten

Gegen den Strom

Dezentral

Arbeiten wie im Paradies

Vielversprechend

Es wird reichen!

Was für ein Mut!

Die Kraft der Musik

Mauern

Seht doch!

Abschied nehmen

Was für eine Perspektive!

Im Zimmer nebenan

Memento mori

Aufgehoben

Keine Peanuts

Engel sein

Glücklich

Wo finde ich Gott?

Leben ist lebensgefährlich

Heimat

Mit Gottes Segen

Zufrieden sein

Heimat gönnen

Gottvertrauen

Liebe

Segen sein

Vorbilder

Gutmenschen

Was macht eigentlich reich?

Anständig

Das Beste für die Stadt

Geben macht selig

Mutmacher

Opfer und Täter

Wunder üben

Recht so!

Zwickmühle

Nicht lügen

Vertrauen – eine zarte Pflanze

Ein Feigenblatt ist keine Lösung!

Nachsichtig

Keine Heiligen

Angeknackst

Langer Atem

Zufallsglück

Heiraten?

Liebe deinen Nächsten …

Liebe duftet

Was es heißt, „groß“ zu sein

Biografie

Impressum

Über das Buch

Halt und Haltung – Orientierung für die wichtigen Momente im Leben „Das trägt mich durch den Tag“ – viele der Hörerinnen und Hörer, die die Impulse von Lucie Panzer morgens im Radio hörten, waren begeistert und wurden zu Fans ihrer einfühlsamen Anstöße.

Die Geschichten der beliebten Rundfunkpfarrerin gaben Rat, stimmten nachdenklich, konnten trösten, machten Mut und sorgten für Zuversicht und gute Laune. Immer jedoch hatten sie eine klare Botschaft . Denn Lucie Panzers Haltung überzeugt durch ihren lebensnahen christlichen Glauben.

Ihre Geschichten geben Halt bis heute. Sie sind wahre Geländergeschichten, an denen man sich orientieren und festhalten kann. Ihre stärksten sind in diesem Buch versammelt. Sie wurden in den Programmen SWR 1 oder SWR 4 in den letzten Jahren ausgestrahlt. Lucie Panzer gibt darin Antworten zu den kleinen und großen Fragen des Lebens. Ein richtungsweisendes Buch, das im Leben Halt gibt. Lucie Panzer ist Pfarrerin und war bis Anfang 2021 ev. Rundfunkbeauftragte für den SWR. Sie lebt in Stuttgart und ist Mutter von vier erwachsenen Kindern und inzwischen Großmutter von acht Enkelkindern. Ihre Bücher sind seit Jahren überaus beliebt.

Vorwort

Vor ziemlich genau fünfzig Jahren habe ich angefangen, über meinen Glauben nachzudenken. Da habe ich begonnen, in der Kinderkirche Geschichten zu erzählen. Geschichten von Jesus. Von der Erschaffung der Welt. Von Mose, Abraham und den Propheten. Und natürlich von Jesus Christus. Freitagabends war Vorbereitung. Da haben wir mit dem Pastor nachgedacht, wie erzählen wir das am besten, damit die Kinder merken: Das sind keine Märchen. Das sind Geschichten von Menschen, die Erfahrungen mit Gott gemacht haben. Für sie war das Vertrauen auf Gott wie ein Geländer. Ein Geländer gibt Halt, wenn man unsicher wird. Die Bibel erzählt von Erfahrungen, die auch in schwierigen Zeiten tragen. Und solche Erfahrungen kann ich ebenfalls machen. Das sollten die Kinder begreifen. Dafür haben wir die richtigen Worte und Methoden gesucht.

Später habe ich eine Jugendgruppe geleitet. Die Jungs und Mädchen haben gefragt: „Glaubst du das wirklich? Und was bringt dir das?“ Gemeint haben sie wahrscheinlich: „Was bringt uns das?“ Da war ich manchmal sprach- und ratlos. Was sollte ich sagen? Was konnte ich sagen? Deshalb habe ich angefangen, Theologie zu studieren. Ich wollte es genau wissen, Antworten finden.

Dann bin ich selbst Pfarrerin geworden – und Mutter. Seit vierzig Jahren versuche ich, in Predigten, Vorträgen und Radiobeiträgen, aber auch am Küchentisch die Antworten weiterzugeben, die ich gefunden habe – und finde. Man ist ja nie wirklich fertig, habe ich gemerkt. Wenn es neue Fragen gibt, muss man neue Antworten suchen. Dann muss man wieder neu schauen, wo man Halt findet und eine Haltung. Fragen haben meine Kinder gestellt. Manchmal bohrende Fragen. Manchmal auch ein bisschen anmaßend: „Ist das dein Ernst?“ Aber wir sind im Gespräch geblieben. Und die Geschichten haben sie gern gehört. Die fallen ihnen heute noch ein, zum Beispiel, wenn sie in einer Kirche sind und die Gemälde und Fensterbilder betrachten, aber wohl auch, wenn sie vor Entscheidungen stehen. Und ich hoffe, sie können sich auch an den alten Geschichten orientieren, wenn sie in Bedrängnis sind.

Jetzt sind sie erwachsen, und es gibt erste Enkelkinder. „Kannst du es nicht mal aufschreiben?“, hat meine Tochter gefragt. „Damit was bleibt? Damit sie irgendwann lesen können, wo die Großmutter Halt gefunden hat, woher sie ihre Haltung hatte zu den Fragen des Lebens undwas sie getröstet hat, wenn es nötig war?“

Jetzt habe ich also Radiobeiträge herausgesucht, die mir besonders wichtig schienen. Sie sind in den Programmen SWR1 oder SWR4 in den vergangenen Jahren ausgestrahlt worden. Darin findet sich vieles von dem, was ich glaube und denke. Antwortversuche. Ich habe sie zusammengestellt für meine Kinder und Enkel und für alle anderen, die sie gerne noch einmal lesen möchten. Damit etwas bleibt. Radio ist ja ein flüchtiges Medium.

Orientiert habe ich mich dabei am Apostel Paulus. Der hat geschrieben: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1. Kor 13,13). Wenn ich es recht überlege: Das ist es, was auch mir bleibt aus den Jahren, die hinter mir liegen.

Glaube

„Die Jungs und Mädchen haben gefragt: ‚Glaubst du das wirklich? Und was bringt dir das?‘ … Was sollte ich sagen? Was konnte ich sagen? Deshalb habe ich angefangen, Theologie zu studieren. Ich wollte es genau wissen, Antworten finden.“

Paternoster

Der Aufzug im Stuttgarter Rathaus ist eine Attraktion. Viele Besucher kommen nur zum Aufzugfahren hierher. Denn es gibt noch einen Paternoster. Davon gibt es in ganz Deutschland nur noch ungefähr zweihundert Stück, habe ich gelesen. Die offenen Kabinen fahren an Stahlseilen pausenlos, links rauf, rechts runter, über mehrere Stockwerke, immer nur für eine, höchstens zwei Personen. Wie sie oben und unten die Richtung wechseln, ist mir schleierhaft, aber es klappt. Ganz Mutige fahren mit und kommen wohlbehalten wieder an. So ein Paternoster fährt ziemlich langsam. Aber er nimmt viel mehr Menschen mit als ein Aufzug, der in jedem Stockwerk anhalten muss.

Paternoster ist lateinisch und heißt „Vater unser“. Die Idee bei der Namensgebung für die Aufzüge war wohl, dass man früher auch das Vaterunser mehrfach hintereinander gebetet hat – wie die Perlen an einer Kette. So kommen auch die Kabinen des Paternosters immer wieder herauf und herunter. Das Vaterunser nimmt auch viele mit. So war es von Anfang an gemeint. Christen beten nicht „Mein Vater“, sondern „Vater unser“. Das erinnert beim Beten daran: Ich bin nicht allein. Das Vaterunser verbindet. Ich bin verbunden mit Schwestern und Brüdern, in allen Ländern und Konfessionen. Überall, wo Christen leben, betet man das Vaterunser. Orthodoxe Christen in Griechenland oder Russland zum Beispiel, Menschen in Afrika oder Amerika, wir hier in Europa, in Deutschland, in meiner Gemeinde, Menschen, die mit mir in einer Kirchenbank sitzen. Sie alle beten „Vater unser“ und wissen: Ich bin nicht die Einzige. Gottes Fürsorge gilt allen Menschen. Wir sind eine Familie. Es sollte keinem meiner Brüder und Schwestern schlecht gehen.

Viele beten das Vaterunser auch, weil es so kurz und knapp ist. Sieben Bitten nur, die aber das ganze Leben umfassen. Alle Hoffnungen und Wünsche sind darin aufgehoben. Es geht um das tägliche Brot. Darin ist alles eingeschlossen, was Menschen zum Leben brauchen. Es geht um die Schuld, die so vieles zerstört, aber auch um ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit, das Gott versprochen hat.

Wenn Sie einmal in Stuttgart sind, gehen Sie ins Rathaus und fahren sie Paternoster! Wenn Sie es noch nie probiert haben, kostet es vielleicht ein bisschen Überwindung beim Einsteigen. So wie beim Beten. Aber es ist ganz ungefährlich. Steigen Sie ruhig ein. In den Paternoster. Vielleicht auch ins Vaterunser. Sie werden sehen: Das bringt einen weiter!

Vater unser

„Vater unser im Himmel“ – so fängt das Gebet an, das Christen beten. In jedem Gottesdienst sprechen das alle gemeinsam, laut, und die meisten auswendig. Aber auch sonst, wenn einem nichts mehr einfällt, wenn das Leben einem die Sprache verschlagen hat oder wenn man einfach Hilfe braucht, dann kann man das Vaterunser beten. Es passt immer. Im Vaterunser ist das ganze Leben drin, finde ich.

In der letzten Zeit habe ich ein paarmal erlebt, dass Menschen die Worte nicht kennen. Bei einer Beerdigung war ich fast die Einzige, die mit dem Pfarrer das Vaterunser gesprochen hat. Dabei habe ich gemerkt: Die jungen Leute dort hätten auch gern Worte gehabt für ihre Trauer. Inzwischen finde ich: Das Gebet müsste in allen Kirchen und Kapellen ausliegen, damit auch die Worte haben, die keine eigenen finden. Das Vaterunser geht so: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. In Ewigkeit. Amen.“

Jesus selbst hat seinen Schülern und Freundinnen gesagt: So sollt ihr beten. Mehr braucht es eigentlich nicht. Er selbst hat „Vater“ zu Gott gesagt und damit gezeigt: Ich vertraue Gott wie einem Vater. Nun sagen allerdings viele: „Gerade das macht mir Schwierigkeiten. Ich kann keinem Vater vertrauen, denn ich kenne eigentlich nur meinen. Und vor dem hatte ich Angst. Wie hätte ich dem vertrauen sollen?“ Das ist schlimm, wenn man so einen Vater hat. Jesus hat an einen anderen Vater gedacht: barmherzig und verständnisvoll. Einen guten Vater eben. Er hat in einer Geschichte erzählt, wie ein guter Vater ist: Da geht es um einen Sohn, der auf eigenen Füßen stehen will, damit der Vater ihm nicht mehr reinreden kann in sein Leben. Aber als das schiefgegangen ist, hat er nur noch einen Ausweg gesehen: zurück. Zurück zum Vater. Und der gibt ihm eine neue Chance. Er sagt nicht: „Ich wusste doch, dass es so kommt. Ich hätte dir das gleich sagen können!“ Nein, der Vater feiert ein Fest vor Freude und stattet den Jungen noch einmal neu aus. Der Sohn soll leben – gut leben. Darum geht es einem guten Vater. Um sonst nichts.

Jesus selbst hat „mein Vater“ gebetet. Er konnte Gott vertrauen wie einem Vater, dem man alles sagen kann. Jeder, der auf Gott vertraut, kann so beten. Mir hilft es, wenn ich es regelmäßig tue. Oft bin ich zu müde für eigene Worte. Dann hält das Vaterunser die Verbindung aufrecht zu Gott, der es gut mit mir meint.

Im Himmel

„Vater unser im Himmel“ – so beginnt das Gebet, dass Jesus seinen Nachfolgern empfohlen hat. „Im Himmel“: daran stören sich heute manche Menschen. „Das ist doch Unsinn“, sagen sie. „Da oben ist nichts.“ Zwar entdecken Forscher immer wieder neue Welten im All. Aber das da oben nicht ein weißbärtiger Mann namens Gott auf seinem Thron sitzt und auf die Welt herunterschaut, das ist längst klar. Der erste Mensch im All, der russische Kosmonaut Juri Gagarin, hat das eigentlich bloß bestätigt. Er habe Gott dort oben nicht gefunden, hat er berichtet. Ich frage mich, wie er wohl darauf gekommen ist, ihn dort zu suchen.

Dass Gott im Himmel wohnt – ich sage das auch manchmal. Kindern vor allem. Auf dem Friedhof zum Beispiel, wenn eines mich fragt: „Wo ist der Opa jetzt? Ist es nicht kalt da unten im Grab und dunkel?“ Dann sage ich: „Da haben wir nur seinen Körper hineingelegt. Den braucht er jetzt nicht mehr. Der Opa, der ist jetzt bei Gott, im Himmel. Da geht es ihm gut.“ Kinder brauchen so einen konkreten Ort, meine ich. Wenn ich nur sagen würde „bei Gott“ – was sollten sie sich darunter vorstellen?

Und ich selbst? Was fange ich mit diesem „Vater unser im Himmel“ an? Ich finde schön, was mir ein Professor für deutsche Sprache erklärt hat, auch wenn es wissenschaftlich vielleicht nicht ganz korrekt ist. Für Himmel sagt man auf Schwäbisch „Hemmel“, hat er gesagt – und das liegt ganz nah bei „Hemmed“, also dem Hemd, das man anhat. Himmel ist, was mir ganz nah ist und mich wärmt. Gott im Himmel – das heißt also nicht, dass er weit weg ist, sondern er umgibt mich, von allen Seiten. Nicht weit weg im Himmel, sondern hier auf der Erde ist er um mich herum.

Das wussten schon die Menschen zur Zeit der Bibel. In einem Gebet heißt es da: „Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir!“ (Psalm 139,5). Die Alten waren gar nicht so dumm, wie wir heute manchmal meinen. Die haben gewusst, dass man nicht ohne Bilder von Gott reden kann, aber dass Gott auch mehr ist als alle Bilder von ihm.

Alexander Gerst, der deutsche Astronaut, der schon zweimal im All war, suchte dort übrigens nicht nach Gott. Aber er hat eine Erkenntnis über unsere Welt und uns Menschen gewonnen. Nämlich, wie erschreckend es ist, von oben zu sehen, dass immer mehr Regenwald gerodet wird, immer mehr Gletscher verschwinden und immer mehr Seen austrocknen. Oben wird ihm immer klar, sagt er, dass man die Steinkugel Erde „locker verpesten kann, dass sie unbewohnbar ist“. Das macht ihm Sorgen, sagt Alexander Gerst. Anscheinend sieht man von dort oben klarer und hat mehr Übersicht. Manchmal denke ich jetzt: Solche Sorgen macht sich vielleicht auch Gott im Himmel um uns Menschen.

Geheiligt werde dein Name

Was ist Ihnen heilig? Sagen Sie jetzt nicht: „Heilig – so etwas gibt es für mich nicht. Ich bin nicht religiös.“ Jeder hat etwas, das ihm so wichtig ist, dass er nichts darauf kommen lässt. Für manche ist das der Mittagsschlaf. Für andere die Familie, der Beruf, der Sport, das Hobby. Irgendetwas ist jedem heilig.

Im Vaterunser beten wir Christen: „geheiligt werde dein Name“. Der Name Gottes also soll heilig sein unter den Menschen, so, dass sie darauf nichts kommen lassen, dass sie keinen Grund haben, verächtlich von ihm zu denken oder zu reden.

„Geheiligt werde dein Name“ – der Name bringt auf den Punkt, was die Identität, das Besondere ausmacht. Gott kann man nicht sehen. Deshalb ist sein Name besonders wichtig, damit man sich etwas vorstellen kann. Welchen Namen hat Gott?

Einmal hat Gott sich selbst vorgestellt, erzählt die Bibel: dem Mose, als der ihn gefragt hat, wie er ihn nennen soll. Da bekommt er zur Antwort: „Ich bin, der ich bin“ (2. Mose 3,14). Ist das ein Name? Nein, jedenfalls nicht so wie Anna oder Peter. „Ich bin, der ich bin“, das bedeutet: Gott ist kein Mann und keine Frau. „Ich bin, der ich bin“ bezeichnet sein Wesen. Der Name sagt, wie Gott ist, nicht, was er ist: Er oder sie ist da für seine Menschen.

Aus lauter Ehrfurcht haben Menschen diesen Namen gar nicht zu nennen gewagt. Sie haben stattdessen „Vater“ gesagt, wie im Vaterunser. Aber auch „Mutter“ oder „Quelle des Lebens“, oder „Herr“, oder „Barmherziger“ und meistens einfach „Gott“. „Gott im Himmel“ sagen heute noch viele, wenn sie sehr erschrocken sind oder Angst haben, manchmal auch, wenn sie sich ärgern. Vielleicht hilft ihnen das ja, ihre Emotionen in den Griff zu kriegen. So hat sich Gott vorgestellt: „Ich bin für dich da, wenn du jemanden brauchst, an den du dich halten kannst.“

„Geheiligt werde dein Name“ beten Christen im Vaterunser. Gott soll etwas Besonderes sein. Von ihm sollen die Menschen voller Hochachtung und Dankbarkeit reden. Das können sie nicht, wo im Namen Gottes Unrecht getan wird, wo die einen sich zu Herrenmenschen machen und andere wie Untermenschen behandeln. Aber wo Menschen im Namen Gottes Gutes tun, da wird sein Name geheiligt. „Brich dem Hungrigen dein Brot. Und die im Elend und ohne Obdach sind, führe ins Haus!“ (Jes 58,7). Das hat zu biblischen Zeiten ein Prophet geraten. Ich glaube, genau das heißt: geheiligt werde dein Name. Wer so betet, sollte auch so handeln.

Dein Reich komme

„Dein Reich komme“ – so heißt die zweite Bitte im Vaterunser. Und so beten Christen im Gottesdienst, bei Beerdigungen, bei Trauungen und Taufen und zu vielen anderen Gelegenheiten.

Was soll das sein, das „Reich Gottes“? Jesus hat davon erzählt. Wenn die Welt zu Gottes Reich wird, dann haben alle, was sie zum Leben brauchen. Die, die schon immer darauf gehofft und darum gebetet haben, aber auch die anderen, die nichts davon gewusst haben oder nichts damit zu tun haben wollten. Es wird sein wie ein großes Fest, und alle werden an einem Tisch sitzen: die Reichen und die Armen, Frauen und Männer, armselige Gestalten und stattliche Persönlichkeiten. Die, die nie eine Chance hatten, und die, die mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurden. Alle an einem Tisch – kein Katzentisch für die Kinder. Kein Dienstbotentisch in der Küche. Und diese neue Welt Gottes, die wächst bereits, hat Jesus erzählt. Mitten unter uns. Überall dort, wo Menschen auf ihn hören und versuchen, so zu leben, wie er es vorgemacht hat. Da wächst Gottes neue Welt. Zuerst ein unscheinbares Samenkorn. Und irgendwann ein großer Baum. Unter seinem Schatten können sich alle versammeln und gut leben. Was für ein schönes Bild! Ich hoffe sehr auf diese „neue Erde, auf der Gerechtigkeit wohnt“ (2. Petr 3,13).

Immer wieder haben Menschen sich gefragt, wie das möglich sein soll. Und sie haben nichts anderes denken können, als dass dazu ein totaler Umbruch nötig sein wird. Die alte, verdorbene Welt muss zuerst einmal zugrunde gehen und mit ihr die bösen Menschen. Dann erst kann etwas Neues beginnen. Auch Jesus hat manchmal so geredet. Anders war es für die Menschen zu seiner Zeit einfach nicht denkbar. Sie konnten sich anscheinend nicht damit abfinden, dass alle mit am Tisch sitzen. Deshalb haben sie aussortiert: die einen ja, andere aber nicht. Viele wissen bis heute ganz genau, wer bestimmt nicht dabei sein wird in Gottes neuer Welt, sondern vorher untergeht in selbstverschuldetem Unheil.

Jesus hat aber auch vom Wachsen geredet und davon, dass seine Nachfolger wie Sauerteig die ganze Welt anstecken werden mit Frieden und Gerechtigkeit. Darauf verlasse ich mich. So wird es kommen, und Gottes neue Welt wird dann Tote und Lebende verbinden. Ich werde das wohl nicht mehr erleben. Aber ich freue mich trotzdem darauf. Und Sie wissen ja: Auch, wenn morgen die Welt unterginge – ich will heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen. Oder eigentlich: begießen, was schon gepflanzt ist, damit Gottes neue Welt wachsen kann.

Dein Wille geschehe

Die Welt ist nicht das Paradies – leider. Menschen behandeln einander wie Raubtiere, viele werden zu Opfern und erleben unglaubliches Leid. Und auch die Naturgewalten schaffen Opfer, wenn es Erdbeben gibt, Wirbelstürme, Tsunamis oder Dürreperioden.

Andererseits beten wir Christen seit Jahrhunderten: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“ Und ich frage mich manchmal: Kann das, was geschieht, der Wille Gottes sein – Leid, Unrecht, Gewalt? Manche meinen, gerade auch die schlimmen Erfahrungen seien von Gott geschickt, als Strafe für die Menschen, die Böses tun. Aber erleiden müssen es alle, auch „Unschuldige“. Kann das Gottes Wille sein, Leiden und Tod für Säuglinge und Kinder? Oder sind das die gewalttätigen Fantasien von Menschen, die so denken?

Ich bezweifle, dass die schlimmen Erfahrungen Gottes Wille sind. Wieso ich darauf komme? Weil Jesus gesagt und gezeigt hat, was Gott will. Dazu ist er in die Welt gekommen. Von ihm höre ich: „Seid barmherzig miteinander!“ – denkt also nicht immer gleich an Strafe, sondern überlegt, wie es besser gehen kann. Jesus hat auch gesagt: „Schafft Frieden“ – seid bereit, den ersten Schritt zu tun, auch wenn das für euch vielleicht erst einmal nach Schwäche aussieht. Ich glaube, so hat Jesus beschrieben, was Gottes Wille ist. Und wie die Welt erst noch werden muss.

Er hat aber auch Ja gesagt zu unserer Welt, die schon zu seiner Zeit nicht das Paradies war. Als die Mächtigen seiner Zeit ihn verfolgt haben, hat er gebetet, dass ihm das Schlimmste erspart bleiben möge. Und dann trotzdem Ja gesagt zu seinem Schicksal. „Dein Wille geschehe!“, hat Jesus gebetet. Er hat sich Gott anvertraut, auch im Leiden.

Ich finde das nicht leicht, sich mit dem Bösen abzufinden, das geschieht. Gottes Wille ist das bestimmt nicht. Aber die Menschen sind frei, zu tun, was sie wollen. Kann ich Gott deshalb Vorwürfe machen? Es sind doch die Menschen, die nicht tun, was gut wäre! Und die Naturkatastrophen? Auch der Natur lässt Gott ihren Lauf. Vieles ist unfassbar schön – und manchmal gibt es Schreckliches. Vielleicht sehe ich das Schöne nur, weil ich auch das Schreckliche kenne?

Ich wünsche mir, dass diese schöne Welt erhalten bleibt für meine Kinder und Enkel, bis die Welt Gottes da ist, in der es das Schreckliche nicht mehr geben wird. Deshalb bete ich auch weiter: „Dein Wille geschehe“. Und ich will dafür tun, was ich kann, damit Gottes Wille geschieht – auch auf Erden.

Das tägliche Brot

„Unser tägliches Brot gib uns heute“, beten wir Christen im Vaterunser. Nicht etwa, weil wir denken, wir könnten uns damit Arbeit und Mühe ersparen. Beten ist kein Zauberspruch. Warum beten wir dann überhaupt dafür? Martin Luther hat eine Anleitung für die Bildung der Christenmenschen geschrieben. In diesem kleinen Katechismus hat er erklärt, wie die Bitte um das tägliche Brot zu verstehen ist: „Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte …; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er’s uns erkennen lasse und wir es mit Dank empfangen.“ Gott ist großzügig, steckt für mich darin. Er gibt Lebensunterhalt für alle, auch wenn man nicht betet. Wenn das, was er gibt, am Ende nicht für alle reicht – dann müssen wir Menschen nach den Ursachen bei uns selbst suchen. Reichen würde es für alle, wir müssten es nur besser verteilen.

Gott will, dass alle Menschen täglich ihr Brot haben – deshalb beten wir ja auch: „unser tägliches Brot“. Nicht nur ich oder meine Familie und meine Freunde sollen genug haben, nicht nur die Menschen in meinem Land. „Unser tägliches Brot“ meint: Alle Geschöpfe Gottes sollen satt werden. Und die Wissenschaftler sagen: Sie könnten alle satt werden – wenn wir nur richtig wirtschaften.

Die Bitte um tägliches Brot meint nämlich auch: „Acker, Vieh, gutes Wetter, Geld und Gut, gute Regierung, gutes Wetter, Frieden, Gesundheit“ und dergleichen mehr, hat Martin Luther in seinem Katechismus erklärt. Heute würde er wohl hinzufügen: zeitgemäße und umweltschonende Anbaumethoden; gerechte Weltwirtschaftsordnung, faire Löhne und Preise, bezahlbarer Wohnraum. Dass das gelingt, dafür gebe Gott seinen Segen.

Gottes Segen und menschliche Arbeit – wenn beides zusammenkommt, dann haben alle ihr tägliches Brot. Genau das wird zum Beispiel in Stuttgart einmal im Jahr gefeiert. Da findet neben dem Cannstatter Volksfest auf dem Wasen alle zwei Jahre das landwirtschaftliche Hauptfest statt. Vor über zweihundert Jahren hat König Wilhelm I. es eingesetzt, aus Dankbarkeit und Freude, weil damals, 1818, nach Jahren mit verheerenden Missernten und Hunger endlich wieder eine ausreichende Ernte eingefahren werden konnte. Zugleich hat der König das öffentliche Wohlfahrtswesen aufgebaut, die Leibeigenschaft aufgehoben, die landwirtschaftliche Schule in Hohenheim gegründet und Preise ausgesetzt für Entwicklungen und Erfolge in der Landwirtschaft.

„Unser tägliches Brot gib uns heute“ – ich glaube, wer so betet, wird auch erfolgreich dafür arbeiten, dass alle genug zum Leben haben. Nicht nur Brot.

Und vergib uns unsere Schuld