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Gelassenheit ist in jeder Lebensphase ein Gewinn, insbesondere aber beim Älterwerden. Dieses Buch zeigt in zehn Schritten den Weg zu ihr auf. Es scheint an ihr zu fehlen: Die fortschreitende Moderne wühlt die Menschen dermaßen auf und wirbelt ihr Leben so sehr durcheinander, dass die Sehnsucht nach Gelassenheit wächst. Sie war ein großer Begriff seit der Antike. In der Moderne aber geriet sie in Vergessenheit. Sie wurde zum Opfer des modernen Aktivismus, des wissenschaftlich-technischen Optimismus. Die Zurückhaltung, die sie verkörperte, galt nicht als Tugend. Eine bestimmte Lebenszeit schien lange wie geschaffen für die Gelassenheit: Das Älterwerden. Aber auch daraus ist eine stürmische Zeit geworden, die Gelassenheit will nicht mehr so ohne Weiteres gelingen. Wie ist sie wiederzugewinnen? Kann die älter werdende Gesellschaft eine gelassenere sein? Der Berliner Lebenskunstphilosoph und Bestsellerautor (Glück) präsentiert ein Buch, in dem es ihm darum geht, Gelassenheit nicht einfach nur zu proklamieren, sondern lebenspraktisch zu zeigen, wie sie erreicht werden kann. Ein Buch für die Zeit, in der Gelassenheit zur begehrten Ressource wird, sowohl für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft.
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Seitenzahl: 88
Wilhelm Schmid, geboren 1953 in Billenhausen (Bayerisch-Schwaben), lebt als freier Philosoph in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Umfangreiche Vortragstätigkeit, seit 2010 auch in China. 2012 wurde ihm der deutsche Meckatzer-Philosophiepreis für besondere Verdienste bei der Vermittlung von Philosophie verliehen, 2013 der schweizerische Egnér-Preis für sein bisheriges Werk zur Lebenskunst. Er studierte Philosophie und Geschichte in Berlin, Paris und Tübingen. Viele Jahre war er tätig als Gastdozent in Riga/Lettland und Tiflis/Georgien sowie als »philosophischer Seelsorger« an einem Krankenhaus in der Nähe von Zürich/Schweiz.
www.lebenskunstphilosophie.de
Twitter @lebenskunstphil
Buchpublikationen
Dem Leben Sinn geben. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen und der Welt, 2013, Suhrkamp Verlag.
Unglücklich sein. Eine Ermutigung, 2012, Insel Verlag.
Liebe. Warum sie so schwierig ist und wie sie dennoch gelingt, 2011, Insel Verlag.
Die Liebe atmen lassen. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen, 2013, Suhrkamp Taschenbuch. Ursprünglich unter dem Titel: Die Liebe neu erfinden, 2010, Suhrkamp Verlag.
Ökologische Lebenskunst. Was jeder Einzelne für das Leben auf dem Planeten tun kann, 2008, Suhrkamp Taschenbuch.
Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist, 2007, Insel Verlag.
Die Fülle des Lebens. 100 Fragmente des Glücks, 2006, Insel Taschenbuch.
Die Kunst der Balance. 100 Facetten der Lebenskunst, 2005, Insel Taschenbuch.
Mit sich selbst befreundet sein. Von der Lebenskunst im Umgang mit sich selbst, 2004, Suhrkamp Taschenbuch.
Schönes Leben? Einführung in die Lebenskunst, 2000, Suhrkamp Taschenbuch.
Philosophie der Lebenskunst – Eine Grundlegung, 1998, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
Was geht uns Deutschland an? Ein Essay, 1993, Edition Suhrkamp.
Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst, 1991, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
Die Geburt der Philosophie im Garten der Lüste, 1987, Suhrkamp Taschenbuch.
Wilhelm Schmid
Gelassenheit
Was wir gewinnen, wenn wir älter werden
Insel Verlag
eBook Insel Verlag Berlin 2014
© Insel Verlag Berlin 2014
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eISBN 978-3-458-73754-4
www.insel-verlag.de
Vorwort
1. Gedanken zu den Zeiten des Lebens
2. Verständnis für die Eigenheiten des Alt- und Älterwerdens
3. Gewohnheiten, die das Leben leichter machen
4. Genuss von Lüsten und Glück
5. Umgang mit Schmerzen und Unglück
6. Berührung, um Nähe zu spüren
7. Liebe und Freundschaft, um in ein Netz eingebunden zu sein
8. Besinnung, um heiter und gelassen zu werden
9. Ein Verhältnis zum Tod, um mit ihm leben zu können
10. Gedanken zu einem möglichen Leben nach dem Tod
Zum Autor
Am Anfang war es nur ein Phänomen, das mich erstaunte, eine Beobachtung, die mich nachhaltig beschäftigte. Als ich meinem 50.Geburtstag näher kam, hielt ich erstmals einen Vortrag über das, was mir zu denken gab: Das Älterwerden. Ältere Menschen sprachen mich daraufhin an: »Schöner Vortrag, junger Mann, aber das alles können Sie doch noch gar nicht wissen!« Meine Überlegungen gingen in der Tat nicht aus dem eigenen Älterwerden hervor, sondern dem meiner Mutter. Ich bewunderte sie dafür, mit welcher Gelassenheit sie es lebte, so bemerkenswert anders als so viele Andere, und ich schaute ihr über die Schulter, um so viel wie möglich von ihr zu lernen, nur für den Fall, dass ich es mal brauchen könnte. Worauf beruhte diese Gelassenheit? Wie konnte ich sie in ferner Zukunft einmal selbst erlangen?
In jenem Vortrag machte ich mich darüber lustig, dass vom »Älterwerden« die Rede ist: Ist älter nicht die Steigerungsform von alt? Wollen Menschen also lieber älter sein statt alt? Wenn ich 60 werde, verkündete ich vollmundig, werde ich mich selbst nicht als »älter« bezeichnen, »alt« zu sein werde mir genügen. Ohnehin würde die Frage des Umgangs mit dem Älterwerden bald nur noch eine historische Erinnerung ans Alter im Moment seines Verschwindens sein, an dem Forscher in aller Welt hart arbeiteten: Ich als einer der Letzten, die das Älterwerden noch erleben dürften. Ich sei freudig bereit, es so zu nehmen, wie es kommen werde, um alle Kraft darauf zu verwenden, so gelassen wie möglich damit zu leben: Es einfach zu akzeptieren, nicht dagegen zu opponieren, es weder schönzufärben noch schlechtzureden, sondern es in seiner ganzen Spannweite zwischen Erleichterungen und Erschwernissen, Schönheiten und Schrecklichkeiten wahrzunehmen, nicht durch eine rosarote Brille, nicht durch eine dunkle, sondern durch eine möglichst klarsichtige, denn die nüchterne Sicht der Dinge ist doch wohl das große Privileg des Älterwerdens!
Mittlerweile ist es so weit, 60, also alt. Die Wahrheit ist: Es fällt mir nicht leicht. Gelassen bin ich nicht. Am 60.Geburtstag überkam mich eine große Traurigkeit über den Abschied von den Fünfzigern, die sehr schön waren und die ich nie mehr erleben werde. Zehn Jahre zuvor betrübte mich schon der Abschied von den Vierzigern, die es in sich hatten, während ich den kommenden Jahren nichts zutraute. Sicher, das sind nur Zahlen, aber sie signalisieren Realitäten, die sich heranschleichen und plötzlich ins Bewusstsein springen: Die vergangene Zeit wird gestreckt, die kommende gestaucht, der Tod rückt näher. Alle gedankliche Vorbereitung darauf kann die Erfahrung nicht vorwegnehmen, wie sich das anfühlt, wenn es ernster wird. Sprüche, die das Älterwerden abzutun versuchen, sind begrenzt wirksam: Man ist so alt, wie man sich fühlt? Klar, aber meist ist man älter.* Das Gefühl kann an diesem Faktum nichts ändern, ganz im Gegenteil: Es stiftet nur dazu an, sich darüber hinwegzutäuschen. Nicht jede Täuschung ist schlecht, aber hier wird letzten Endes nur die Enttäuschung größer, wenn trotz flotter Sprüche gegen die Wahrheit nicht anzukommen ist.
Das Alter stellte ich mir lange Zeit als geruhsames Leben auf einer sonnigen Terrasse vor, zurückgelehnter Blick ins Weite, zufrieden mit mir selbst und der Welt. Was mir bisher fehlt, ist die Terrasse, folglich auch der Rest. Sicher ist nur: Ich will keiner von den Alten sein, die um den Preis der eigenen Lächerlichkeit jung bleiben wollen. Ich will kein Wutgreis sein, der seine Wut über das vergehende Leben an allem auslässt, was auflebt. Ich will nicht in Kampfmontur ausrücken, mit dem fordernden Blick derer, die sicher sind, immer richtig zu liegen, um die letzten Kräfte in Altersaggressionen gegen die Jüngeren abzureagieren, die immer alles falsch machen. Die Jüngeren, bin ich überzeugt, haben immer recht, und wenn nicht, haben sie dennoch recht, soll heißen: Sie haben alles Recht der Welt, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Sollten es schlechte Erfahrungen sein, werden sie daraus lernen.
Gelassen leben kann ein Mensch nur mit dem, was er als wahr akzeptiert – ansonsten benötigt er alle Kraft für die Leugnung des angeblich Unwahren, das dennoch existiert. Ein Aspekt der Wahrheit des Älterwerdens ist, dass dieses Werden mehr als jedes andere mit der Vergänglichkeit konfrontiert ist. Das war immer schon so, aber in moderner Zeit wurde ein Ärgernis daraus, denn alles ist technisch machbar, warum nicht auch die ewige Jugend? Auch ich hätte sie gerne, aber was wäre das für ein Leben? Auch ich hätte das Leben gerne rundum positiv und angenehm, aber wird nicht gerade dadurch das Negative und Unangenehme zum größeren Problem? Statt alle Kräfte im Kampf gegen das Älterwerden zu verpulvern, will ich lieber das in die Falten eingegrabene Leben selbstbewusst vor mir hertragen.
Leben zu lernen mit dem eigenen Altern wird zur neuen Aufgabe, um eine Kunst aus dem zu machen, was einst eine Selbstverständlichkeit war: Art of Aging statt Anti-Aging – eine Kunst des Älterwerdens, um mit diesem Prozess zu leben, statt dagegen anzuleben. Eine Lebenskunst im Umgang mit dem Älterwerden kann helfen, mit den Herausforderungen, die diese Phase bereithält, so zurechtzukommen, dass das Leben schön und bejahenswert bleibt – und wenn nicht mehr das eigene Leben in dieser Zeit, so doch das Leben als Ganzes.
Die Lebenskunst ist seit langem mein Thema, nicht weil ich sie habe, sondern weil ich sie brauche. Der Begriff der Lebenskunst stammt aus der antiken Philosophie, griechisch techne tou biou, techne peri bion, lateinisch ars vitae, ars vivendi, »Kunst des Lebens« im Sinne eines bewusst geführten Lebens. Unter Lebenskunst wird im populären Sprachgebrauch oft das sorglose Dahinleben verstanden. Das ist eine Option für jeden, der davon Gebrauch machen will, aber keine besondere Anstrengung, die den Namen Kunst verdienen würde. Eine andere, anspruchsvollere Option ist die immer neue Orientierung des Lebens im Denken. Eine solche Bewusstheit ist nicht ständig möglich, aber das ist auch nicht nötig, denn es genügt ein Innehalten und Nachdenken von Zeit zu Zeit, jetzt in Bezug auf das Älterwerden: Was bedeutet das? Wie verläuft das? Wo stehe ich im Moment? Was kommt auf mich zu? Wie kann ich mich darauf vorbereiten? Was steht in meiner Macht, was nicht? Lebenskunst als Besinnung, um auch in dieser Phase Sinn zu finden, dem Leben Sinn zu geben und ein bewusstes Leben zu führen – falls es nicht reizvoller erscheint, einfach nur so dahinzuleben.
Das Problem des Älterwerdens in moderner Zeit ist, dass es für sinnlos gehalten, ja, sogar als Krankheit betrachtet wird, die frühzeitig erkannt und entschieden bekämpft werden muss, bis sie endlich irgendwann wegoperiert werden kann. Die Deutung des Älterwerdens als etwas, das keinen Sinn hat, sodass mit allen Mitteln dagegen vorzugehen ist, könnte ein Auswuchs des überschießenden Ichismus in moderner Zeit sein, der das ewig junge Ich propagiert: Ich – für immerdar und ewiglich. Im Bittgebet und Schlachtruf Forever Young (Song der Münsteraner Band Alphaville, 1984, endlos gecovert) kommt das Begehren danach zum Ausdruck. Wenn aber eine Deutung allein zu herrschen beginnt, wird eine andere Deutung zur Pflicht, denn Monokulturen von Deutungen gefährden das Leben: Sie schläfern es ein, nur der Widerspruch erweckt es wieder zum Leben. Eine andere Deutung, die zum Kennzeichen einer veränderten, anderen Moderne werden könnte, ist die, dass das Älterwerden Sinn hat. Welchen?
Ein natürlicher Sinn des Älterwerdens könnte die allmähliche Gewöhnung des Einzelnen an die Tatsache sein, dass sein Leben sich neigt – eine Fürsorge der Natur für ihr Geschöpf, dieses herrische Sensibelchen namens Mensch. Auch die Natur kennt ja das Prinzip Forever Young – sie verfährt dabei nur ganz anders als die moderne Kultur: Ewig jung bleibt sie, indem sie Leben vergehen und neues Leben entstehen lässt. Sie könnte jedes Leben auch mit einem schnellen Schnitt, einem Cut