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Ein Buch, das Mut macht, dem Unglücklichsein seinen Raum zu geben, und das tröstliche Erkenntnisse bereithält. Über das Glücklichsein scheint alles gesagt zu sein. Aber was ist mit dem Unglücklichsein? In der ausufernden Glücksdebatte sind die Schattenseiten des Glucks etwas in Vergessenheit geraten. Stattdessen entstand eine neue Art von Pflicht: die Pflicht zum Gluck. Der Glücksstress, der sich daraus ergibt, macht viele nicht glücklicher. Und was ist mit all denen, die vom Glück allenfalls träumen können? Wilhelm Schmid bezieht kritische Position zur Glücksdebatte, zu der er 2007 mit seinem Bestseller »Glück« beigetragen hat mit der Behauptung, Gluck sei nicht das Wichtigste im Leben. Nun unternimmt er eine Ehrenrettung des Unglücklichseins. Und zeigt Wege auf, wie es besser bewältigt werden kann.
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Seitenzahl: 71
Wilhelm Schmid, geboren 1953 in Billenhausen (Bayerisch-Schwaben), lebt als freier Philosoph in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt. Umfangreiche Vortragstätigkeit, seit 2010 auch in China. Er studierte Philosophie und Geschichte in Berlin, Paris und Tübingen. Viele Jahre war er tätig als Gastdozent in Riga / Lettland und Tiflis / Georgien sowie als »philosophischer Seelsorger« an einem Krankenhaus in der Nähe von Zürich / Schweiz.
Homepage: www.lebenskunstphilosophie.de
Buchpublikationen:
Liebe. Warum sie so schwierig ist und wie sie dennoch gelingt, 2011, Insel Verlag.
Die Liebe neu erfinden. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen, 2010, Suhrkamp Verlag. Unter neuem Titel: Die Liebe atmen lassen, 2013, Suhrkamp Taschenbuch.
Ökologische Lebenskunst. Was jeder Einzelne für das Leben auf dem Planeten tun kann, 2008, Suhrkamp Taschenbuch.
Glück. Alles, was Sie darüber wissen müssen, und warum es nicht das Wichtigste im Leben ist, 2007, Insel Verlag.
Die Fülle des Lebens. 100 Fragmente des Glücks, 2006, Insel Taschenbuch.
Die Kunst der Balance. 100 Facetten der Lebenskunst, 2005, Insel Taschenbuch.
Mit sich selbst befreundet sein. Von der Lebenskunst im Umgang mit sich selbst, 2004, Suhrkamp Taschenbuch.
Schönes Leben? Einführung in die Lebenskunst, 2000, Suhrkamp Taschenbuch.
Philosophie der Lebenskunst – Eine Grundlegung, 1998, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
Was geht uns Deutschland an? Ein Essay, 1993, Edition Suhrkamp.
Auf der Suche nach einer neuen Lebenskunst, 1991, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
Die Geburt der Philosophie im Garten der Lüste, 1987, Suhrkamp Taschenbuch.
Wilhelm Schmid
Unglücklich sein
Eine Ermutigung
Insel Verlag
eBook Insel Verlag Berlin 2012
© Insel Verlag Berlin 2012
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form
(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)
ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert
oder unter Verwendung elektronischer Systeme
verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Manja Hellpap und Lisa Neuhalfen, Berlin
eISBN 978-3-458-79290-1
www.insel-verlag.de
Vorwort
1. Wenn das Glück mich nicht findet
2. Macht Glück immer glücklich?
3. Abschied von der ewigen Zufriedenheit
4. Zur Fülle des Lebens gehört nicht nur Positives
5. Depressiv sein: Die Melancholie
6. Depression: Die Krankheit
7. Leben am Rande des Abgrunds
8. Anleitung zum Leben mit dem Unglücklichsein
9. Melancholie als transzendente Fähigkeit
10. Die kommende Zeit der Melancholie
Informationen zum Autor
»Heute ist nicht mein Tag!« Wer das sagen kann, hat noch einmal Glück gehabt: Bei vielen Menschen dauert das länger als nur einen Tag. Sie müssen mit dem Unglücklichsein leben, sie haben es sich nicht selbst ausgesucht. Gesteigert wird dieser Zustand noch von einer Zeit, die die Menschen glauben macht, sie müssten dauernd glücklich sein. Von den Plakatwänden schreit es herab: »Glück!« Aus den Werbespots blitzt es hervor: »So werden Sie glücklich!« Prospekte versprechen: »Noch mehr Glück!« Bei Reiseveranstaltern ist es zu buchen: »Glücksgarantie!« Zeitungen titeln: »Wie Sie auf Glück umschalten«, um wenig später verwundert zu fragen: »Warum sind wir nicht glücklicher?«
Um nicht missverstanden zu werden: Es ist ein Gewinn, wenn es im menschlichen Leben um Glück gehen darf und nicht mehr nur um Lebenserhaltung und Pflichterfüllung. Aber was ist, wenn das Glück selbst zur Pflicht wird? Die Rede vom Glück hat eine normative Bedeutung gewonnen, malt den Menschen also eine neue Norm an die Stirn: Du musst glücklich sein, sonst lohnt sich dein Leben gar nicht. Wer unglücklich ist, beginnt sich Vorwürfe zu machen, dass ihm etwas fehlt und dass er den Anforderungen des glücklichen Lebens nicht gewachsen ist. Offenkundig hat er versagt. Alle Anderen scheinen es ja zu schaffen, jedenfalls arbeiten sie hart daran, diesen Eindruck zu erwecken. Neid zerfrisst die Seele der Unglücklichen: Nie wird Anschluss an all die Glücklichen zu finden sein, die diesen Planeten bevölkern, sofern den weltweiten Glücksforschungen Glauben geschenkt werden darf.
Eine drohende Diktatur des Glücks lässt keinen Raum dafür übrig, unglücklich zu sein. Ein scharfer Gegenwind schlägt jedem entgegen, der an der Fähigkeit des Glücks zur Alleinherrschaft über das menschliche Leben zweifelt. Es ist ja wahr, dass ein penetranter Pessimismus lästig ist. Aber auch der ostentative Optimismus ist nicht immer lustig. Die Einschüchterung der Unglücklichen geht so weit, dass sie nicht mehr wagen, über ihren Zustand zu reden, ja, mehr noch, überhaupt nur daran zu denken, denn das wäre ein negatives Denken, während sie doch immer alles positiv sehen sollen.
Was sind die Gründe für die Glückshysterie, die immer wieder ausbricht? Ein Grund dafür ist die Flucht ins Glück. Je größer der Druck der äußeren Verhältnisse, desto heftiger fragen Menschen nach ihrem inneren Glück: Bin ich denn glücklich? Warum alle Anderen, nur ich nicht? Wie kann ich künftig glücklich werden? Aber drängende Fragen stellen sich auch mit Blick auf die Schattenseiten des Glücks: Wie viele Menschen werden unglücklich, nur weil sie glauben, glücklich werden zu müssen? Und was ist mit den Vielen, die unglücklich sind und nicht nur damit fertig werden müssen, sondern auch noch damit, dass die ganze Gesellschaft im Glück zu schwelgen scheint? Müssen die Unglücklichen sich nicht ausgeschlossen fühlen, je mehr die scheinbar Glücklichen auf ihrem Glück beharren?
Die um sich greifenden Lobpreisungen des Glücks fordern solche Fragen heraus, denn sie sind, um das pointiert zu sagen, zumindest teilweise asozial. Sie interessieren sich nicht dafür, was sie bei denen anrichten, die durch alle Glücksraster fallen, also bei all denen in der Gesellschaft, erst recht in der Weltgesellschaft, die im Unglück schlimmer Verhältnisse leben müssen. Schattenseiten des Glücks? Kommen nicht vor. Und wenn doch, ist der Mensch selbst schuld. Er verweigert sich mutwillig dem Glück. Er strengt sich nicht genug an. Er hat wohl die vielen Glücksratgeber nicht sorgfältig genug gelesen. Womöglich ist er unfähig zum Glück, ein genetischer Fehler, eine bedauerliche soziale Benachteiligung. Er hat einfach Pech, aber das ist »nicht mein Problem«. Wer unglücklich ist, hat die moderne Pest, er wird behandelt wie ein Aussätziger, man hält sich gerne fern von ihm.
Habe ich nicht selbst mit einem Buch zur verstärkten Aufmerksamkeit auf das Glück beigetragen? Mag sein, aber mit dem Hinweis, dass es nicht das Wichtigste im Leben ist.* Mein Anliegen ist nicht, jede Bedeutung des Glücks fürs menschliche Leben zu bestreiten, sondern seine absolut werdende Bedeutung wieder etwas zu relativieren. Glück ist wichtig, aber wichtiger ist Sinn. Dass es im Leben allein um Glück gehe, ist eine Märchenerzählung derer, die den schwindenden Sinn im modernen Leben durch Glück ersetzen wollen, aber damit ist es definitiv überfordert. Glück ist eine schöne Beigabe im Leben, jeder kann dankbar sein, wenn ihm etwas davon zuteil wird, aber bestenfalls in Teilen können Menschen darüber verfügen. Das Glück hat Grenzen, dem Leben zu viel davon abzuverlangen, ist sinnlos.
Ist es nicht die Aufgabe der Lebenskunst, zum gelingenden Leben beizutragen und die Menschen glücklich zu machen? Ja, zum Teil, aber auch das Misslingen und Unglücklichsein gehört zum menschlichen Leben, schon weil es nicht einfach »weggemacht« werden kann. Gelingen ist keine Notwendigkeit, Scheitern ist immer eine Möglichkeit. Ich bemerke, wie ich immer zusammenzucke, wenn jemand vom gelingenden Leben spricht. Es steht Menschen nicht frei, ein Gelingen für sich in Anspruch zu nehmen, es ist nicht einfach machbar, allenfalls kann etwas halbwegs gelingen. Und ein schönes, erfülltes Leben ist nicht unbedingt identisch mit einem gelingenden. Warum also sich aufs Gelingen und aufs Glück festlegen? Was ist, wenn das Glück mich nicht findet? Was bleibt, wenn das Glück geht, wenn ein Projekt, eine Beziehung, eine Karriere und letztlich ein ganzes Leben scheitert?
Das übermäßige Reden über das Glück nährt die Illusion, es könne ein gelingendes Leben, eine gelingende Beziehung ohne Einbußen und Schattenseiten geben. Das führt dazu, bei einem Scheitern doppelt und dreifach unglücklich zu sein. Wer sich um jeden Preis aufs Glück kapriziert und keinerlei Unglücklichsein akzeptiert, macht sich noch unglücklicher, wenn er bemerkt, dass die Schattenseiten des Glücks nicht einfach auszublenden sind. Im Kampf gegen sie verliert er die Kraft, die nötig wäre, um sie besser zu bewältigen, und die darauf folgende Entkräftung steigert noch das Unglücklichsein.
Das Geschichtsbuch der Menschheit besteht aus einem schmalen Kapitel über das Glück und einem sehr umfangreichen Rest. Dieses Verhältnis verbessern zu wollen, ist unbedingt unterstützenswert, es umkehren zu wollen, ist unrealistisch. Es ist keine Besonderheit des Menschseins, unglücklich zu sein, das können vermutlich auch Tiere. Menschen können jedoch von Alternativen träumen. Sie können wissen, dass es Gründe fürs Unglücklichsein gibt, und wenn sie keine Gründe ausfindig machen, können sie aus diesem Grund erst recht unglücklich sein. Ein Zurück zum Tiersein steht ihnen nicht offen, nur die Anerkennung der Eigenheiten des Menschseins kann ihr Leben reicher und zugleich einfacher machen.