Geliebte ist das falsche Wort. Eine Dreiecksgeschichte - Antje Brauers - E-Book

Geliebte ist das falsche Wort. Eine Dreiecksgeschichte E-Book

Antje Brauers

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Beschreibung

„Geliebte ist das falsche Wort“ ist ein mitreißend offen erzählter Roman über die Höhen und Tiefen einer klassischen Dreiecksbeziehung. Gleichzeitig zeigt Annes Geschichte Wege auf, sich aus einer verhängnisvollen Beziehung zu lösen und zu einem erfüllten, glücklichen (Liebes-)Leben zurückzufinden. Das Buch beschreibt ungeschminkt, warum Frauen und Männer in eine Dreiecksbeziehung geraten und hinterfragt die Verhaltensweisen aller Beteiligten, um schließlich aufzuzeigen, dass es in jedem Fall einen Ausweg gibt. „Geliebte ist das falsche Wort“ ist nicht nur für Geliebte geschrieben, sondern für alle, die sich in einer solch verzwickten Situation befinden. Ein Roman für Ehefrauen, Ehemänner, Freundinnen und Freunde – für alle, die bewusst oder unbewusst unglücklich verliebt sind und die Reife besitzen, sich einen Spiegel vor die Nase zu halten.

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Ein alltägliches Drama in der

Edition BoD

hrsg. von Vito von Eichborn

Antje Brauers ist 1967 in Köln geboren und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Hanau. Nach dem Abitur verbrachte sie ein Jahr in Kalifornien und begann im Anschluss ihre Karriere in Werbe- und Marketingbereichen der Touristikbranche. Mit dem Abschluss ihres nebenberuflichen Marketingstudiums wechselte sie in die Telekommunikationsbranche und war dort mehrere Jahre als Marketing Managerin tätig. Seit Februar 2004 betreibt Antje Brauers ihre eigene Event- und Messeorganisation-Agentur Marcoms Factory. Lesen und Schreiben zählen, neben verschiedenen Sportarten, schon seit der Jugend zu ihren Hobbys. „Geliebte ist das falsche Wort“ ist ihr erster Roman.

Vito von Eichborn war Journalist, dann Lektor im S. Fischer Verlag, bevor er 1980 den Eichborn Verlag gründete, dessen Programm noch heute ein breites Spektrum umfasst: Humor, Kochbücher und Ratgeber, Sachbücher aller Art, klassische und moderne Literatur sowie die Andere Bibliothek. Nach seinem Ausstieg im Jahre 1995 war er u.a. Geschäftsführer bei Rotbuch / Europäische Verlagsanstalt und sechs Jahre Verleger des Europa-Verlags. Seit 2005 ist Vito von Eichborn selbständig als Publizist tätig und fungiert u.a. seit März 2006 als Herausgeber der Edition BoD. Weitere Informationen unter www.vitolibri.de.

Meine Buchhändlerin sagte mir, „ja“, sagte sie …

Ja, Liebesgeschichten haben immer eine Chance. Mit guten Gründen haben sie ja seit Beginn der Literatur einen festen Platz, uns faszinieren auch die historischen Geliebten, von der Pompadour und Lola Montez bis zu Camilla Parker Bowles, und natürlich die Geschichten von nebenan. Weil das rätselhafte Geschehen zwischen Frauen und Männern ebenso immer unbegreiflich bleibt, wie wir immer wieder versuchen, es besser zu verstehen. Und Monogamie entspricht eben nicht dem menschlichen Naturell. Aber die Schilderung sollte nicht abstrakt analysieren, sondern persönliches Erleben muss im Mittelpunkt stehen. Die Leserinnen wollen sich mit den Problemen und Personen identifizieren, die Konflikte müssen gewissermaßen paradigmatisch sein.“

Meine Buchhändlerin hatte wie immer auf den Punkt gebracht, was ihre Leserinnen verlangen. Ich konnte ihr versprechen: „Genau dies macht die Autorin hier: Sie schildert das Geschehen ganz unprätentiös. In diesem geradeaus erzählten kleinen Roman sind die Stationen der Geliebten geradezu prototypisch. In Phase 1 dominieren Euphorie und Hingabe. Phase 2 schildert Abhängigkeit und wachsende Eifersucht. Phase 3 schließlich zeigt immer wieder Hoffnung und quälendes Warten. Wie immer in Dreiecksverhältnissen sind Lügen und schlechtes Gewissen treue Begleiter der Affäre, und …“

„Wie ist denn nun der Plot“, unterbrach mich meine Buchhändlerin, wie sie das immer macht, „wer sind die Protagonisten?“

„Anne, 28, verliebt sich in einer Disco Hals über Kopf in den liebenswürdigen, klugen Victor. Seine feste Freundin ist Stewardess, die Treffen der Verliebten richten sich nach Lydias Flugplan. Lange Gespräche und erotische Leidenschaft werden so intensiv, dass Anne überzeugt ist: Das ist der Mann fürs Leben. Er schwört ihr seine unendliche Liebe und beteuert immer wieder, sich von seiner Frau zu trennen. Doch mit allerlei Ausflüchten verschiebt er immer wieder die versprochene Trennung von seiner Partnerin, während Anne jedes Mal neu darauf hofft, getreu dem Grundgesetz der romantischen Liebe: ganz oder gar nicht.“

„Das hört sich spannend an. Und natürlich habe ich viele Kundinnen, die selbst oder im Freundeskreis betroffen sind – die Statistik spricht von drei Millionen Frauen, die als Geliebte leben. Übrigens nebenbei: Die Männer holen auf. Und wie geht sie aus, die Romanze dieser Schattenfrau?“

„Eines Tages platzt ihr der Kragen, sie macht den definitiven Schritt und trennt sich von ihm. Nach vier Jahren mit all der Wut und Trauer, dem Leid und den Selbstzweifeln befreit sie sich – und geht gestärkt daraus hervor. Und sie …“

Ich hielt an, denn meine Buchhändlerin hatte mich stehen lassen, wie immer, wenn eine Kundin den Laden betritt. Auf dem Weg zum Ausgang hörte ich sie sagen: „… ja, das immerwährende Thema, Fremdgehen, Dreieckskisten, darüber sind Bücher doch immer wieder anregend, nein, nicht als Voyeuristin, mehr als gesellschaftliches Phänomen …“

Eben.

Antje Brauers gelingt es, diese alltägliche Geschichte schnörkellos und direkt zu erzählen – man versteht die Motive der Beteiligten.

Erhellende Lektüre

verspricht

Vito von Eichborn

Der schlimmste innere Kampf,

den ein Mensch mit sich führen kann,

ist der verzweifelte Kampf

zwischen Herz und Verstand.

Inhaltsverzeichnis

Ein braunhaariger Nacken

Wird wohl eine Narbe hinterlassen

Regenbogensonnenschein

Schlaflos, ruhelos, aussichtslos

Alles ist möglich

Geliebte gegen Ehefrau

Heirat nicht ausgeschlossen

Trenn dich

Alles wird wieder gut

Neustart

Erdbeertorte mit Schlagsahne

Epilog: Eine Art Sucht

Ausblick: Am Ende gewinnt immer die Geliebte

Ein braunhaariger Nacken

Es war ein kühler Septemberabend. Anne kämpfte noch mit den Folgen des Fluges, der sie ein paar Tage zuvor von Mexiko zurück nach Frankfurt gebracht hatte. Sie wusste genau, dass sie sich bis in die frühen Morgenstunden im Bett wälzen würde, weil das Einschlafen so schwerfiel. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie bei einem Preisausschreiben das große Los gezogen und zwei Flugtickets zu einem Ziel ihrer Wahl gewonnen. Eine witzige Geschichte, denn die Frage der Ausschreibung war: „Nennen Sie uns die lustigste Frage, die Ihnen je von einem Kunden gestellt wurde.“ Anne hatte ganz spontan auf diese Aufforderung einer Touristik-Fachzeitschrift geantwortet. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie in der Zentrale einer Reisebürokette, die als Kunden Angehörige der in Europa stationierten Amerikanischen Streitkräfte betreute. Auf jedem Kasernengelände hatte die Firma eine Filiale. Die Kollegen erzählten sich immer wieder gern die Geschichte eines amerikanischen Soldaten, der eines Tages in einem der Reisebüros nach den Öffnungszeiten des Schwarzwalds fragte.

Diese Episode hatte Anne die zwei Flugtickets eingebracht. Sie hatte sich für Cancun in Mexiko entschieden und ihre beste Freundin Aly mitgenommen. Es war eine wunderschöne Zeit, zwei unvergessliche Wochen mit Sonnenschein, blauem Meer, weißem Strand und viel, viel Spaß. Zwischendurch waren sie für ein Wochenende nach Mexiko-City geflogen, hatten die Stadt erkundet, ein paar Museen und andere touristische Attraktionen angesehen und waren einkaufen gewesen.

Jetzt waren sie wieder zu Hause, und Anne graute schon vor dem kalten Winter, der bald über Deutschland hereinbrechen würde. Gerade hatte sie die letzte Ladung Urlaubsklamotten gewaschen und überlegte sich, was sie wohl an diesem Abend tun würde, um möglichst spät schlafen zu gehen und damit die Zeitverschiebung schnell zu überwinden.

Da klingelte das Telefon, und der Abend war gerettet: Vier ihrer unzähligen männlichen Freunde wollten in eine Diskothek in der Nähe und überredeten Anne mitzukommen. Sie nahm noch ein ausgedehntes Bad und zog sich in aller Ruhe an. Die Musik war laut, aber gut. Sie tanzten, lästerten über andere Gäste und hatten riesigen Spaß. Auf einmal entdeckte Anne genau vor sich einen wunderschönen Hinterkopf mit kurzen braunen Haaren und einem ausrasierten Nacken. Sie hatte ein Faible für Nacken, eine Eigenart, die ihr manchmal ein bisschen peinlich war.

Unwillkürlich fragte sie sich, ob der Mann, zu dem der Nacken gehörte, sich wohl irgendwann mal umdrehen würde, damit er auch sie entdecken konnte. Ob er wohl auch von vorne gut aussah? Seine Figur konnte sie kaum erkennen, da Leute zwischen ihnen standen, also vergnügte sie sich weiter und spähte immer wieder in seine Richtung. Er war von einer Frauenhorde umgeben, die ihn strahlend anlächelte und seine Aufmerksamkeit suchte, aber er schien sich nicht für sie zu interessieren. Zumindest redete er mit keiner und flirtete auch nicht, soweit Anne das erkennen konnte. Er tanzte einfach ganz gemütlich zur tobenden Musik. Plötzlich wurde es ein bisschen hektisch und eng um Anne: Von hinten drückte sich ein ungehobelter Kerl an ihr vorbei. Bemüht, das Gleichgewicht zu halten, hätte sie fast nicht mitbekommen, dass sich im selben Moment der braunhaarige Nacken vorne an ihr vorbeidrängte.

„Na toll, jetzt kommen sie schon von beiden Seiten“, entschlüpfte es ihr. Sie vernahm nur ein amüsiertes Auflachen, konnte ihn kurz von der Seite erspähen, und schon war er an ihr vorbei und in der Menge untergetaucht.

Da stand sie nun inmitten der feiernden Menschen, und obwohl die Musik sehr laut war, übertönten ihre Gedanken die Lieder. Anne war jetzt achtundzwanzig Jahre alt, nicht hässlich oder, wie es oft in solchen dämlichen Kontaktanzeigen zu lesen war, „tageslichttauglich“, und beruflich sehr engagiert. Sie mochte ihre Arbeit und hatte schon in der Schule von der ganz großen Karriere geträumt. Doch obwohl ihr jeder ihrer Freunde bestätigte, dass sie sehr selbstbewusst sei, hatte sie immer das Gefühl, sich unter Wert zu verkaufen. Die Touristikbranche machte ihr großen Spaß, war aber unterbezahlt. Sie hatte eine wunderschöne Wohnung, die sie immer wieder mit viel Liebe umgestaltete und in die sie einen Haufen ihres hart erarbeiteten Geldes steckte: für neue Möbel, noch mehr Pflanzen, die tausendste Kerze und was sonst noch zur Gemütlichkeit gehört.

Anne konnte voller Überzeugung von sich behaupten, viele Freunde zu haben. Sie pflegte ihre Freundschaften intensiv, und bis dato musste sich noch jeder Mann an ihrer Seite mit dem zweiten Platz nach ihren Freunden zufrieden geben.

Seit nunmehr fünf Monaten war sie der klassische Single. Ihre letzte Beziehung hatte vier Jahre gedauert, aber als es um die große Frage ging, ob sie sich durch einen Ring am Finger offiziell für alle anderen Traummänner dieser Welt unerreichbar machen sollte, stellte Anne fest, dass sie doch lieber noch einmal das Risiko des großen Kampfes im Dschungel der Singlewelt eingehen wollte. Sie war ein glücklicher Single, konnte sich sehr gut mit sich selbst beschäftigen, genoss ihre Freunde, war eine ausgesprochene Leseratte und gehörte nicht zu den Frauen, die das Leben ohne Mann als frustrierend empfanden. Und doch wusste sie, dass sie eines Tages eine Familie wollte. Mit sechzehn hatte sie geplant, dieses Ziel mit siebenundzwanzig erreicht haben zu wollen, aber dann kam doch alles anders. Sie gab sich weitere sechs Jahre Zeit, in denen sie sich erst einmal um ihre berufliche Laufbahn kümmern wollte. Männer konnten warten – ein bisschen wenigstens.

Von einem ihrer Lieblingssongs aus ihren Gedanken gerissen, stellte Anne fest, dass sich ihre männlichen Begleiter alle in Luft aufgelöst hatten. Wahrscheinlich flirteten sie mit irgendwelchen Mädels. Anne schmunzelte: Wer würde wohl ihr nächster Märchenprinz sein? Sie wollte ja nicht gleich in die nächste Beziehung hineinrutschen, aber so ein nettes Verhältnis wäre jetzt doch genau das Richtige. Ein bisschen was zum Flirten, einer, der ihr Ego streichelte und der vielleicht ab und zu Zeit zum Kuscheln hatte. Die Musik zog sie in ihren Bann. Wie gerne wäre sie jetzt auf die Tanzfläche gestürmt, aber ihre Jungs hatten ja Besseres zu tun. Ihr blieb keine andere Wahl: Sie fasste ihren ganzen Mut zusammen und ging einfach allein. Vielleicht würde es ja keiner merken und selbst wenn: Dies war schließlich eine Diskothek und keine Zeig-mir-deine-Jacketkronen-Tanzbar, in der nur Paare erlaubt waren.

Anne war hellwach, fühlte den wunderbaren Rhythmus und tanzte sich richtig ein. Alles um sie herum war ihr jetzt vollkommen egal, vor allem dieses blonde, merkwürdige männliche Etwas, das sie offensichtlich mit seiner schlechten Kopie von altbackenem Breakdance beeindrucken wollte. „Was für eine fürchterliche Vorstellung, dass ausgerechnet so ein Mann auf mich aufmerksam wird“, dachte Anne. „So weit ist es also schon gekommen, dass du alles tun musst, um nur ja kein Interesse bei diesem Bewegungslegastheniker zu wecken.“

Anne schenkte ihm ganz offensichtlich keine Beachtung. Hätte sie gewusst, wie die nächsten fünf Minuten ihr Leben verändern sollten, dann hätte sie genau in diesem Moment die Tanzfläche verlassen. Sonst musste sie doch auch fünfundzwanzigmal am Tag zur Toilette, wieso nicht jetzt? Und sonst gab es auch immer wieder langweilige DJs, die dafür sorgten, dass man hin und wieder verschnaufen konnte, wieso nicht jetzt? Und wo bitte war ihr Schutzengel? Vielleicht lag er noch in Cancun am Strand und hatte absichtlich den Flieger ins kalte Deutschland verpasst.

Aber Anne tanzte weiter, und auf einmal fühlte sie diesen Magneten im Bauch. Ein merkwürdiges Kribbeln, eine plötzliche Anziehung, die sie sich nicht erklären konnte. Ein Gemisch aus Neugier und sexueller Erregung. Sie war völlig perplex und gab sich doch wohlig diesem Gefühl hin. Wie von Geisterhand geführt, bewegte sie sich weiter zum Rhythmus der Musik millimeterweise in eine bestimmte Richtung. Ganz langsam, unauffällig und unbeabsichtigt. Sie hielt den Kopf gesenkt und achtete nicht darauf, von wem oder was sie sich schlagartig so angezogen fühlte. Es war ihr fremd, und sie ließ es geschehen: ein merkwürdiges Zittern in der Magengrube. Es war aufregend und zugleich beängstigend, dauerte ewig und war wahrscheinlich doch ganz kurz. Sie fühlte die Musik, genoss die Bewegungen ihres Körpers, schwelgte in dieser seltsamen Magie. Ihr war, als habe sie getrunken, als sei sie in Trance. Ab und zu schloss sie die Augen und gab sich diesem wunderbaren Gefühl ganz hin.

Minuten vergingen – oder waren es Stunden? Anne hielt den Blick immer noch nach unten gerichtet, und plötzlich blickte sie auf ein Paar Männerschuhe. Sie sah nicht auf, aber sie genoss die Nähe dieses Mannes. Ihre Körper bewegten sich im selben Takt und tanzten immer mehr aufeinander zu, zielstrebig, aber doch vorsichtig, fast schüchtern. Sie vergaß die Zeit, genoss diese unglaubliche Anziehung und wagte nicht, ihn anzusehen. Die Musik, die Menschen um sie herum verschwanden, sie wiegte sich nur im Gefühl desselben Takts mit diesem Mann.

So tanzten sie fast eine halbe Stunde. Ihre Körper berührten sich immer wieder, und Anne fragte sich, ob er es wohl wagen würde, sie anzufassen. Aber nichts dergleichen geschah. Er war mindestens einen Kopf größer als sie, kräftig gebaut und strahlte eine Energie aus, die sie beruhigte und zugleich erregte. Sie wurde neugierig, wollte wissen, wer er war, nahm all ihren Mut zusammen und hob ganz langsam den Kopf, während sie sich weiter zur Musik bewegte. Schüchtern lächelte sie ihn schließlich an. Auch er sah sie an: liebevoll, neugierig und mit einer Intensität, die sie nie vergessen sollte. Es nahm ihr schier den Atem. Was war nur los mit ihr? Warum war er ihr so vertraut, obwohl sie noch nie auch nur ein Wort miteinander gesprochen hatten? Sie war verunsichert, beunruhigt, nervös und fühlte sich gleichzeitig in seiner Nähe so wohl, dass sie am liebsten jetzt, in diesem Moment, auf der Tanzfläche in seine Arme gesunken wäre.

Es war ihr Märchenprinz – der Mann mit dem ausrasierten Nacken. Anne war perplex. Doch wie es ihre Art war, schaltete sie schließlich ihr Gehirn wieder ein und hörte sich sagen: „Mit dir zu tanzen ist ja schon fast erotischer als Sex!“ Was für ein Einstieg, aber so war sie: offen und so ehrlich, dass sie andere manchmal fast schockierte.

Er lachte das Lachen, das sie vorhin schon vernommen hatte, als er sich in der Menge an ihr vorbeigeschoben hatte. Dann sah er sie zärtlich an und antwortete: „Genieß es einfach!“ – „Arroganter Affenarsch“, sagte sich Anne, aber dann ließ sie ihre Gedanken wieder treiben und gab sich ihren Gefühlen hin. Ihr gesamtes Inneres tobte.

Auf der Tanzfläche wurde es immer heißer, und irgendwann stöhnte er auf und fragte sie auf eine seltsam ruhige Art, ob sie nicht etwas zusammen trinken sollten. An der Bar stellte er ihr seinen Bruder vor, der offensichtlich die ganze Zeit in der Nähe gewesen war, den Anne aber bis dahin nicht bemerkt hatte. Sie bestellte sich eine Cola, Victor, der Märchenprinz, nahm eine Cola Light. Innerlich erteilte sie ihm dafür einen Minuspunkt.

Cola Light war eigentlich nur was für Weicheier. Der zweite Minuspunkt folgte, als er sich eine West Light anzündete. Richtige Männer rauchten Marlboro oder Lucky Strike. Aber sie wollte großzügig sein und sah darüber hinweg. Warum eigentlich? Anderen Männern gab sie schon die rote Karte, wenn sie kein Hochdeutsch sprachen, und auch das war nicht gerade Victors Stärke. Doch bei ihm tat sie den hessischen Dialekt als leichte Schwäche ab, und es störte sie nicht sehr.

Annes frische Urlaubsbräune ergab ganz natürlich ein Gespräch über Urlaubziele. Anne erzählte von Mexiko, Victor von einer Türkeireise. Sein Bruder Mike, der mit ihnen am Tisch saß, beobachtete sie, sagte aber kaum etwas. Sie unterhielten sich angeregt über fremde Länder, Tauchen und das Kennenlernen in Diskotheken. Victor redete wie ein Wasserfall darüber, wie er mit Frauen flirtete und auf was sie alles abfuhren. Dabei machte er sich meistens über Annes Geschlechtsgenossinnen lustig. Sie staunte über seine Offenheit und fragte sich, warum er sie in die „Geheimnisse“ der Männer einweihte. Einerseits fand sie seine Lästereien schäbig, andererseits fühlte sie sich geschmeichelt, dass er sich ihr so offenbarte.

Plötzlich ergriff sein Bruder das Wort und fragte sie über ihren Job aus. Als Anne erwähnte, dass sie in der Touristikbranche sei, stutzten beide, und Victor wollte wissen, ob sie beim fliegenden Personal sei. Anne verneinte, gleichzeitig fiel ihr seine fast unmerkliche Erleichterung auf, aber sie schenkte dem keine weitere Beachtung. Mike sprudelte vor Begeisterung darüber, wie sie beide sich auf der Tanzfläche immer näher gekommen seien, und das auf eine so zärtliche und vertraute Art.

Er meinte, es sei einigen Leuten aufgefallen, aber ihnen selbst wohl nicht. Anne lächelte nur und schaute mit hochgezogenen Augenbrauen zu Victor hinüber, der sie die ganze Zeit fast schüchtern am Arm berührte. Mike meinte, sie sollten unbedingt ihre Telefonnummern austauschen, aber niemand hatte einen Kugelschreiber dabei, und eine Bedienung war weit und breit nicht zu sehen.

Da tauchte Oliver, einer von Annes Freunden, auf und erklärte, dass es Zeit sei, nach Hause zu gehen. Es war bereits vier Uhr morgens. Schnell verabredete sich Anne mit Mike und Victor für den folgenden Abend in einer Bar in Frankfurt. Sie ging zur Kasse und bezahlte. Beim Rausgehen meinte Oliver nur: „Lass die Finger von dem.“ Erstaunt fragte Anne, ob er den Mann kenne, aber er antwortete nur: „Nein, aber ich habe kein gutes Gefühl bei ihm.“ Anne war völlig perplex. „Das verstehe ich nicht – du kennst ihn doch gar nicht!“ – „Ich kann es dir nicht erklären, es ist nur so ein Gefühl“, entgegnete Oliver.

Anne dachte nicht weiter über diesen Satz nach und tat das Ganze mit dem Gedanken ab, dass irgendwas Oliver an dem Abend wohl frustriert hatte. Sie war viel zu aufgewühlt über die außergewöhnliche Begegnung und fand sie viel zu spannend, um Victor nicht ein weiteres Mal zu treffen. Außerdem waren sie bereits für den nächsten Abend verabredet.

Anne konnte kaum einschlafen, träumte immer wieder von Victor und dieser seltsamen Situation auf der Tanzfläche. Nachdem sie sich lange hin und her gewälzt hatte, fiel sie endlich in einen unruhigen Schlaf. Am nächsten Morgen rief sie gleich ihre Freundin Beatrice an, erzählte ihr in allen Details vom letzten Abend und der bevorstehenden Verabredung. Abends fuhren beide Frauen schließlich gemeinsam nach Frankfurt.

Wird wohl eine Narbe hinterlassen

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