Gemeinsam statt einsam - Henning Scherf - E-Book

Gemeinsam statt einsam E-Book

Henning Scherf

4,8

Beschreibung

Henning Scherf ist eine Leitfigur unserer Gesellschaft. Er stellt dem allgemeinen Pessimismus seine positive Sicht entgegen. Wir selbst sind die Lösung der Krise. Nicht: Jeder für sich und alle gegen jeden, sondern Helfen, denn gegenseitige Unterstützung tut not. Das gilt im Kleinen und Großen, in der Familie, in der Nachbarschaft, in der ganzen Gesellschaft.

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Seitenzahl: 276

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HENNING SCHERF

Mit Uta von Schrenk

Gemeinsam statt einsam

Meine Erfahrung für die Zukunft

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2009

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Agentur R·M·E /

Roland Eschlbeck, Rosemarie Kreuzer

Umschlagmotiv: © Joerg Sarbach

Datenkonvertierung eBook: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-33327-9

ISBN (Buch) 978-3-451-30255-8

Vorwort

Vor kurzem habe ich den Sozialen Ökohof St. Josef in Papenburg kennen gelernt. Ein Hof mit über 3.000 Schafen, noch viel mehr Hühnern und einem großen Ackerbau. Die Betreiber haben sich in einer Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit und viel Armut vor zwanzig Jahren vorgenommen, mit Langzeitarbeitslosen und Behinderten zusammen einen Betrieb aufzubauen, der alle trägt. Inzwischen gibt es über tausend Mitglieder, die über einen Verein dieses Projekt unterstützen. Hundert Menschen haben in St. Josef einen Ort gefunden, an dem ihnen gezeigt wird, dass sie noch gebraucht werden, dass sie noch etwas können, dass sich Lebensmut lohnt. Als ich dort herumlief und mir alles ansah, dachte ich: Ja, genau so etwas brauchen wir. Wir brauchen Menschen wie den Arbeiterpriester Gerrit Weusthof, der diesen Betrieb ins Leben gerufen hat und heute dort mit Gummistiefeln über den Hof stapft und nach dem Rechten sieht. Wir brauchen Menschen, die Mut machen. Mehr Solidarität hat unsere Gesellschaft bitter nötig. Um diesem Ziel näher zu kommen muss man keine Visionen an die Wand malen. Und man muss nicht die Weltrevolution fordern. Man kann sich auch in der Freiwilligen Feuerwehr, im Altenchor oder im Betriebsrat mit anderen zusammentun, um diese Welt ein Stück weit besser zu machen. Es bleibt immer die Chance, etwas zu verändern. Man muss sie nur sehen und ergreifen.

Ich erlebe viele Menschen, die sich vielleicht früher einmal in sozialen Projekten engagiert haben und die heute sagen: Es hat alles keinen Sinn, man kann ohnehin keinen Einfluss nehmen auf den Lauf der Dinge. Ich halte das nicht nur für selbstschädigend. Es ist auch eine Fehleinschätzung. Meine Erfahrung ist eine ganz andere: Es gibt auch in einer ständig komplexer werdenden Gesellschaft und in unübersichtlicher werdenden Entscheidungssituationen eine Vielzahl von Möglichkeiten, im eigenen Umfeld etwas zu bewegen, anders miteinander umzugehen, mit anzupacken, gemeinsam etwas zu tun und Solidarität zu zeigen. Und sei es nur, dass man einem anderen eben aushilft. Es gibt genügend Beispiele konkreter gelebter Hilfe. Auch diesen vielen kleinen Projekten möchte ich mit diesem Buch Öffentlichkeit und Anerkennung verschaffen – in der Hoffnung, dass sie Schule machen.

Ich habe als Politiker oft von großen Lösungen, von langfristigen Perspektiven, weitreichenden Plänen und gesamtwirtschaftlich funktionierenden Konzepten geredet – und sie mit durchaus gemischtem Erfolg auch umgesetzt oder begleitet. Beim Aushandeln der Agenda 2010 war ich Vorsitzender des Vermittlungsausschusses. Meine Rolle war damals, dafür zu sorgen, dass Hartz IV, Fördern und Fordern und das Fitmachen der Republik für den internationalen Wettbewerb in Bundestag und Bundesrat mehrheitsfähig wurde. Ich habe nach Kräften dafür gesorgt. Und nun sehe ich: Das, was wir damals im guten Glauben beschlossen haben, hat auch viel Kummer über die Menschen gebracht. Wenn man mir jetzt den Vorwurf machen will, ich würde mir nun eine solidarische Politik zusammenträumen, die ich selbst als aktiver Politiker nicht umgesetzt habe, dann kann ich dem nur entgegenhalten: Ja, ich will in dem mir verbleibenden Leben weiter lernen. Ich möchte selbstkritisch mit dem umgehen, was ich gemacht habe – und ich möchte auch Konsequenzen daraus ziehen. Ich kann mich, nun da ich nicht mehr in der Mühle der Tagespolitik stecke, auf handfeste Projekte konzentrieren und muss keine parteipolitischen Rücksichten nehmen. Aus solchen Projekten schöpfe ich heute meine Hoffnung: dass es viele kleine Taten sind, die zusammen eine Großtat ergeben. Was sind diese paar hundert Leute im Emsland, auf dem Ökohof in Papenburg, gegen die Arbeitslosen der Weltwirtschaftskrise? Nichts? Keineswegs. Sie sind ein Anfang!

1. Wie Solidarität zu meinem Lebensthema wurde

Was ist eigentlich Solidarität? Meine Antwort darauf hat mit einer Geschichte zu tun, die ich als kleiner Junge miterlebt habe. Es gab in unserer Kirchengemeinde St. Stephani in Bremen eine Familie Abraham, getaufte Juden. Der Vater ein einfacher, bescheidener Mann, ein Schuhmacher, die Mutter Hausfrau, dazu zwei Töchter in meinem Alter, Anni und Hedwig. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen und ihre rassistischen Gesetze durchsetzten, da wurden auch die vier Abrahams als Juden erfasst. Obwohl Christen, mussten sie den gelben Stern tragen. Diese Vier haben überlebt – in Bremen. Dabei wurden von über 1.400 Bremer Juden mehr als 700 nach Minsk, Auschwitz und in andere Vernichtungslager deportiert und dort umgebracht.

Diese Vier haben überlebt, weil eine kleine Kirchengemeinde zusammengehalten hat. Dabei war die Gestapo ständig dabei, im Alltag der Gemeinde und im Alltag ihrer Mitglieder. St. Stephani war schon damals als Teil der Bekennenden Kirche und als eine linke, pazifistische Kirche bekannt. Die Opportunisten, die Deutschchristen, die für Hitler beteten, Hakenkreuzfahnen aufhängten, ihren Landesbischof Heinz Weidemann Naziparolen reden ließen und sie beklatschten, die saßen im Bremer Dom. Unser Pastor Gustav Greiffenhagen begrüßte jeden Sonntag die Gestapo-Leute von der Kanzel: „Liebe Gemeinde, dort sind die beiden Herren von der Geheimen Staatspolizei, die schreiben alles auf, was hier gesagt wird.“ Greiffenhagen hatte bei dem großen Theologen Karl Barth promoviert, war sein Assistent gewesen und wäre Professor geworden, wenn nicht die Nationalsozialisten seine Karriere beendet hätten. Weil die Kirche ihn nicht bezahlen wollte, übernahm das unsere Gemeinde – so wie es auch bei Dietrich Bonhoeffer der Fall war. Gustav Greiffenhagen hatte sechs Kinder. Und trotzdem war er fest davon überzeugt, die Schutzhaft, in die er durch seine NS-kritische Haltung geriet, auf sich nehmen zu müssen – für seine Kirche, die Verrat am Christentum beging und sich den Nationalsozialisten andiente. Er zeigte seine Verachtung für die Nazis offen und versammelte dadurch auch die Gemeinde hinter sich. Die Mitglieder haben auf ihn gehört; dabei waren sie nicht alle Helden. Sie haben auch gezittert – und sie hatten Grund dazu. Mein Vater und andere Kirchenvorsteher wurden von der Gestapo verhört und über Nacht festgehalten. Überzeugten, widerständigen Christen drohte die Deportation. Und: Sie wussten, was Konzentrationslager waren, sie wussten, was dort geschah. Greiffenhagen hatte es ihnen selbst gesagt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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