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Das alte Lied, für die Bühne neu erzählt: Ein Drama um Liebe und Betrug, große Freundschaft und ihren bitteren Verrat. Und im Mittelpunkt ein unermesslicher Schatz: Der legendäre Schatz der Nibelungen, das geraubte Gold, dessen Glanz alle verblendet. Gemischte Gefühle bei den Hunnen. Kriemhilds sagenhafte Verwandtschaft ist im Anmarsch. Also lässt sich ihr Sohn Ortlieb die alten Geschichten erzählen. Von Siegfried und Brünhild und dem düsteren Hagen. Hagen, der Kriemhild Nacht für Nacht im Traum erscheint. Der sie um ihre Liebe und um ihr Gold gebracht hat. Und der als Einziger weiß, wo es versteckt ist. Das soll er ihr nun verraten. Und dafür ist sie bereit, alles zu opfern…
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Seitenzahl: 97
ALBERTOSTERMAIER
GEMETZEL
Nibelungen-Triptychon Teil 1
Mit einem Vorwort von Nico Hofmann
FISCHER E-Books
In seinem Theaterstück GEMETZEL, das Albert Ostermaier als Auftragsarbeit für die Wormser Nibelungen-Festspiele 2015 geschrieben hat, erzählt Albert Ostermaier das Nibelungenlied aus dem Blickwinkel eines Kindes. Der Wunsch, man könne das bisherige und das zukünftige Leben noch einmal durch die magischen Augen eines Kindes sehen, ist auch der Traum einer totalen Utopie von Unschuld. GEMETZEL ist aber auch ein Stück über die Frauen geworden – es sind die Frauen, die hier im Mittelpunkt stehen und die Welt regieren. Während die Männer in seinem Stück in einer seltsam ängstlichen Verklammerung mit sich selbst verharren und die Macht des Schicksals nicht erkennen wollen, haben die Frauen schon längst die Fäden in der Hand und spinnen daraus langsam ihr blutiges Netz. Der Sehnsucht nach Liebe und Erlösung und einem Ende der Gewalt steht ein bedingungsloser Wille zur Macht gegenüber. In diesem unauflösbaren Dilemma verortet Albert Ostermaier seine Nibelungen.
Albert Ostermaier geht in seinem großen Werk – sei es in der Lyrik, der Prosa oder der Dramatik – immer wieder der Frage nach, wie wir uns in unserer eigenen Lebensdynamik so lange in Schuld und Widersprüche verstricken, bis ein bedrohliches Chaos entsteht, das sich nicht mehr gewaltfrei entwirren lässt. Auch in GEMETZEL greift Albert Ostermaier genau diese Frage auf und entwirft damit ein sehr heutiges Sittengemälde von Verdrängung, Verrohung und der Macht der Gewalt. Das Nibelungenlied ist damit aktueller denn je.
An Albert Ostermaier faszinieren mich seine Kraft, die Energie seiner Sprache und die große Ambivalenz in der Auffassung des Lebens. Wer Albert Ostermaier schon mal bei einer Lesung erleben konnte oder auf dem Fußballplatz – im Kreise der Literaturkollegen als Torwart –, der spürt diese ungeheure Energie von fast schon aggressiver Körperlichkeit und gleichzeitig immenser Zärtlichkeit. Genau davon lebt Albert Ostermaiers Literatur: Sie kommt den Abgründen des Lebens immer wieder sehr nahe und trägt gleichzeitig den großen Wunsch nach Menschlichkeit und Liebe in sich. Auch im Nibelungenlied sind es genau diese Antipoden von brutalster Gewalt und der Hinwendung zur Liebe, zum Geliebtwerden, die uns beide interessiert haben.
Meine Begegnung mit Albert Ostermaier gehört zu den nachhaltigen Erlebnissen in meinem Leben. Das Engagement für die Neuausrichtung der Nibelungen-Festspiele in Worms steht in sehr klarer Verbindung mit dem literarischen Schaffen von Albert Ostermaier. Ohne seine Zusage, für Worms zu wirken, wäre auch mein Engagement nicht möglich gewesen.
Nico Hofmann
Intendant der Nibelungen-Festspiele
Nibelungen-Triptychon Teil 1
ORTLIEB
NARR
KRIEMHILD
BRÜNHILD
ETZEL
DIETRICH
HAGEN / RITTER
GUNTHER
GERNOT
GISELHER
VOLKER
TÄNZERTRUPPE*
NIXEN
ZOFE
DIENER
* Die Tänzer stellen in Teil I jene Szenen aus dem Nibelungenlied nach, die in den serifenlos und fett gesetzten Zwischentexten erzählt werden.
Drei nackte Nixen, ihre Kleider suchend.
ERSTE WASSERFRAUdas Publikum direkt ansprechend
Hochgeborener Ritter Hagen, wir sagen Euch hier, wenn Ihr uns, kühner Held, unsere Kleider wiedergebt, wie Eure Fahrt zum Hunnenhof ausgeht. Wie Wasservögel treiben wir auf den Wellen, Ihr könnt uns ruhig glauben. Die Zukunft rinnt wie Wasser durch unsre Hände.
DRITTE WASSERFRAU
Ihr könnt gut in Etzels Land reiten.
ERSTE WASSERFRAU
Ich gebe Euch mein Ehrenwort, dass Helden niemals besser in irgendwelche Reiche zogen und so großen Ruhm erwarben.
DRITTE WASSERFRAU
Das könnt Ihr wahrlich glauben.
ERSTE WASSERFRAUKleider auffangend
Danke, dass Ihr uns die Kleider zurückgegeben habt.
DRITTE WASSERFRAU
Was freut Ihr Euch?
ZWEITE WASSERFRAU
Ihr freut Euch zu früh.
ERSTE WASSERFRAU
Wollt Ihr nicht die nackte Wahrheit hören?
ZWEITE WASSERFRAUwill ihre Kleider wiederbekommen
Ich will Euch warnen, Hagen. Kommt Ihr zu den Hunnen, seid Ihr verraten und verkauft. Kehrt wieder um!
DRITTE WASSERFRAU
Es ist höchste Zeit für Euch!
ERSTE WASSERFRAU
Weil Ihr kühnen Helden eingeladen seid, um in Etzels Land zu sterben.
ZWEITE WASSERFRAU
Wer dorthin reitet, ist des Todes. Da, ich seh es in seinen Augen, er glaubt mir nicht.
DRITTE WASSERFRAU
Es ist unabwendbar.
Im Lager vor dem Hof.
NARRwie eine Krähe mit den Armen flatternd und um Jung-Ortlieb kreisend
Do sluoc, do sluoc, do sluoc, daz kint, daz kint, kräh, kräh, das kint, da sluoc der helt das kräh kind, kräh, kräh, das krähende, sluoc, sluoc, sluoc das kint, der helt, der gute held das kind, tot, er schlug es tot, der helt, do sluoc, der helt, do, do, do, tot, tot, das kind, do, tot, kräh, kräh, das kind, tot, kräh, sloc, kräh, das kint, tot, tot, der helt guot tot, tot, das kind, das kind, du, do, da, du do da, da du do, do sluoc, do sluc, du do da.
ORTLIEB
Narr, hör auf, wer schlug wen tot? Vor dir steht ein Königssohn!
NARR
Dich sluoc er do tot, tot, tot, die Krähen schreien’s, da hörst du’s nicht, tot, tot, do, do, sluoc.
ORTLIEB
Aber ich leb doch, Narr, ich bin ein Ritter, schau nur, wie stark meine Rüstung ist und wie breit mein Schwert. Ich habe es Siegfried genannt!
NARR
Das Blut fließt ihm von der Klinge auf die Hände zu, kräh, dem guten Held, kräh, da wie du do streckt er sein Schwert in den Himmel, aber die Krähen, kräh, die Krähen erschlägt er nicht damit, dich erschlägt er und dein Kopf, Kind, dein Kindskopf, Kind, kräh, der springt, der springt, wie ein Ball springt er do, ganz geschwind, Kind, springt er in den Schoß, den blutigen Schoß deiner Mutter, der Kopf, Kind, in ihren Schoß und blutet und die Krähen werden weinen, kräh, aber Kriemhild weint nicht, die Krähe, die Küneginne.
ORTLIEB
Du Narr, ich leb doch, beug dein Knie, ich schlag dir den Kopf ab zur Strafe, dass du mir Angst machst. Aber ich habe keine Angst, denn ein wackrer Held wackelt nicht.
NARR
Ein Mord, ein Mord, und alles brennt, die Flügel brennen, die Krähen brennen, ein Himmel voll brennender Krähen, sieh nur, wie sie in der Sonne brennen, Kind.
ORTLIEB
Beug schon dein Knie, damit ich dich endlich erschlagen kann, wie es sich gehört.
NARR
Wollt Ihr mir nicht das Leben schenken? Es waren doch nur die Krähen, denen ich meine Zunge lieh, Herr.
ORTLIEB
Dann lass dir die Zunge abschlagen, Narr, wenn sie mit Krähen spricht.
NARR
Nein, lieber den Kopf, Herr. Sterbt wohl, Herr, und behaltet mich in lebendiger Erinnerung do unten im Himmel und werft mein Haupt in die Luft, damit ich euch allen auf den Kopf spucken mag, wenn der Regen ausbleibt.
RITTER
Nimm, mein Schwert, Herr, es ist aus Eisen.
ORTLIEB
Es ist so schwer.
RITTER
Ich werd Euch helfen, den Narren einen Kopf kürzer zu machen.
ORTLIEB
Ihr fragt gar nicht, was er getan hat?
RITTER
Er ist ein Narr. Eine Fliege. Wenn sie Euch stört, erschlagt sie und reißt ihr die Beine aus.
NARR
Ein Narr ohne Kopf ist wie ein König ohne Land. Ein Land ohne König trägt die Köpfe unter der Hand. Drei Köpfe hatte es, bald hat’s keinen mehr, nur das Blut, das aus den Hälsen schießt. Ein Königreich aus Köpfen gebaut, ein Turm bis zum Himmel, seh ich, um den die Krähen kreisen, Schädel für die Bienen, summ, summ.
ORTLIEB
Er hat gesagt, ich sei erschlagen worden. Ich würde sterben.
RITTER
Keiner wird erschlagen außer ihm. Er verdient sein Brot, alles zu verdrehen. Aber heut beißt du ins Gras, Narr. Herr, ich zeig Euch, wie man’s macht. So, das Schwert …
NARR
Die Burgunder, die Nibelungen kommen!
ORTLIEB
Wartet, edler Recke, Holzköpfe muss man mit Holzschwertern schlagen, überlasst das mir.
RITTER
Der nächste Narr. Was sagst du?
NARR
Die Burgunder kommen. Auf Einladung der Königin. Kriemhilds Brüder kommen.
Barbaren.
ORTLIEB
Meine Onkel! Dir geb ich’s!Er beginnt den Narren zu schlagen.
NARR
Herr, Ihr habt mich erschlagen, alle Kinder sind Narren, also bin ich ein Kind, also bin ich hin, da sluoc er das kint, hin bin ich, tot, Ihr seid ein guter Held, nach dem bald keiner kräht, wenn alles untergeht.
RITTER
Verschwinde, Narr, du hast deinen Spaß zu weit getrieben.
NARR
Nur auf die Spitze, Ritter, nur eine Schwertspitze Salz in Euren Wunden, Herr.
ORTLIEB
Sag, kommen sie wirklich?
NARR
Alle sagen es, es läuft wie ein Feuer durch alle Zungen.
ORTLIEB
Kommt auch ein Drache mit ihnen? Und bringen sie den Schatz mit? Was weißt du über die Nibelungen, sprich! Meine Mutter hat mir nichts erzählt, alle flüstern nur, nur von Siegfried hat meine Mutter Kriemhild mir geschworen, dass er der größte aller Helden war und den Drachen erschlug. Und ihr Blut fließt doch auch in meinem, halb Hunne, halb Nibelung bin ich.
NARR
Nicht Fisch, aber Fleisch.
Wir werden Euch ihre Geschichte zeigen, Herr. Setzt Euch, Herr.
RITTER
Ihr sollt den Jungen nicht verderben.
NARR
Do do do, ein Drache, ein Drache, do! Wie konnt ein Weib aus Rache wohl entsetzlicher tun. Es ist ihr Sohn, er sagt kein Ton. Mehr. Nicht einmal ein Krächzen mehr, kräh, kräh.
RITTER
Herr, müsst Ihr nicht ins Haus. Es ist zu gefährlich für Euch, wenn es dunkel wird, es läuft viel Gesindel rum hier, wenn auch manch guter Held.
ORTLIEB
Lasst mich, bitte, nur ein wenig noch. Ich will die Geschichte zu Ende hören. Bis zum Ende.
Die Tänzer bereiten sich vor. Sie stellen alle Figuren und den feuerspeienden Drachen dar. Sie spielen die Nibelungensage wie eine böse Farce.
ORTLIEB
Wer ist das?
NARR
Das ist Sivrit, Siegfried, der Held, helt, der snelle degen guot, zu seiner besten Zeit, in seiner Jugendblüte Jahre konnt von ihm man wahre Wunder sagen.
ORTLIEB
Aber der ist klein und hässlich und hat eine dicke Lippe. Ist das nicht eher der böse Hagen?
NARRzeigt auf einen schwarzen Ritter
Nein, der dort ist Hagen, von Tronege Hagene, hack, hack, hack. Seine Seele ist so schwarz, dass sie durch die Rüstung drückt. Wenn Ihr ihn aufschneidet, werdet Ihr seine Seele in der Galle finden.
RITTERzieht sein Schwert
Ihr …
NARR
Verzeiht, mein Herr! Ein Spiel. Ich wollte Euch nicht beleidigen, hack. Setzt Euch zu uns und unserm Herrn, Ritter Hack Hack, sie geben der Nibelungen Sage. Der edle Recke dort ist Siegfried.
RITTER
Wahrlich, der sieht ihm gleich.
ORTLIEB
Aber Siegfried war schön und groß wie der Dom zu Worms und hatte Muskeln wie Weinfässer dick und Arme wie Schwerter! Seine Augen leuchteten so blau wie der Himmel an Sommertagen, seine Pupillen waren Falken, die aus ihnen stachen, als wären sie im Sturzflug ihre Beute zu greifen.
RITTER
Sagte Eure Frau Mutter Euch das? Siegfried war …
NARR
Er war ein Niederniederländer. Und die sind klein und hässlich wie der da.
RITTERzu Ortlieb
Was erzählte Eure Mutter über Hagen, den Starken? Hasst sie ihn noch?
NARR
Mein junger Herr, Euer Wunsch sei Wirklichkeit. Hört zu, Siegfried, sivrit, du bist schön, Siechfried. Alle Frauen lieben dich, du bist hinter der Hecke der stärkste Recke der Welt! Hör nur, er bellt! Gut so?
ORTLIEB
Aber er ist doch immer noch der Gleiche!
RITTER