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In seinem philosophischen Hauptwerk "Masse und Macht" beschäftigt sich Elias Canetti mit zwei Schlu?sselbegriffen zum Verständnis unseres Zeitalters. Damit das Zusammenleben funktioniert, folgt die Masse bestehenden Gesetzen – doch kennt die Geschichte auch viele Beispiele, wo sie blind der Macht eines Diktators oder einer Weltanschauung folgt. Aspekte aus Anthropologie, Soziologie und Psychologie durchdringen diese Untersuchung, und der Leser spu?rt, dass hier seine Sache verhandelt, u?ber sein Schicksal nachgedacht wird.
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Seitenzahl: 932
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In seinem philosophischen Hauptwerk beschäftigt sich Elias Canetti mit zwei Schlüsselbegriffen zum Verständnis unseres Zeitalters. Damit das Zusammenleben funktioniert, folgt die Masse bestehenden Gesetzen – doch kennt die Geschichte auch viele Beispiele, wo sie blind der Macht eines Diktators oder einer Weltanschauung folgt. Anthropologische, soziologische und psychologische Aspekte durchdringen diese Untersuchung, und der Leser spürt, dass hier seine Sache verhandelt, über sein Schicksal nachgedacht wird.
Hanser E-Book
Elias Canetti
Masse und Macht
Carl Hanser Verlag
Zuerst erschienen 1960
Text nach Band III der Canetti-Werkausgabe
© 2015/2016 Elias Canetti Erben Zürich, Carl Hanser Verlag München
Umschlaggestaltung: S. Fischer Verlag / www.buerosued.de
Cover: Elias Canetti, London 1963
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Datenkonvertierung E-Book:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
Die Masse
Umschlagen der Berührungsfurcht
Offene und geschlossene Masse
Die Entladung
Zerstörungssucht
Der Ausbruch
Verfolgungsgefühl
Zähmung der Massen in den Weltreligionen
Panik
Die Masse als Ring
Die Eigenschaften der Masse
Rhythmus
Stockung
Langsamkeit oder die Ferne des Ziels
Die unsichtbaren Massen
Einteilung nach dem tragenden Affekt
Hetzmassen
Fluchtmassen
Verbotsmassen
Umkehrungsmassen
Festmassen
Die Doppelmasse: Männer und Frauen. Die Lebenden und die Toten
Die Doppelmasse: Der Krieg
Massenkristalle
Massensymbole
Die Meute
Meute und Meuten
Die Jagdmeute
Die Kriegsmeute
Die Klagemeute
Die Vermehrungsmeute
Die Kommunion
Die innere und die stille Meute
Die Bestimmtheit von Meuten. Ihre historische Konstanz
Meuten in den Ahnenlegenden der Aranda
Formationen von Menschen bei den Aranda
Meute und Religion
Umschlag der Meuten
Wald und Jagd bei den Lele von Kasai
Die Kriegsbeute der Jivaros
Die Regentänze der Pueblo-Indianer
Zur Dynamik des Krieges: Der erste Tote. Der Triumph
Der Islam als Kriegsreligion
Klagereligionen
Das Muharramfest der Schiiten
Katholizismus und Masse
Das Heilige Feuer in Jerusalem
Masse und Geschichte
Massensymbole der Nationen
Das Deutschland von Versailles
Inflation und Masse
Das Wesen des parlamentarischen Systems
Verteilung und Vermehrung. Sozialismus und Produktion
Die Selbstzerstörung der Xosas
Die Eingeweide der Macht
Ergreifen und Einverleiben
Die Hand
Zur Psychologie des Essens
Der Überlebende
Der Überlebende
Überleben und Unverletzlichkeit
Überleben als Leidenschaft
Der Machthaber als Überlebender
Die Rettung des Flavius Josephus
Abneigung von Machthabern gegen Überlebende. Herrscher und Nachfolger
Die Formen des Überlebens
Der Überlebende im Glauben der Naturvölker
Die Toten als die Überlebten
Epidemien
Über das Friedhofsgefühl
Von der Unsterblichkeit
Elemente der Macht
Gewalt und Macht
Macht und Geschwindigkeit
Frage und Antwort
Das Geheimnis
Urteilen und Aburteilen
Die Macht der Verzeihung. Gnade
Der Befehl
Der Befehl: Flucht und Stachel
Die Domestikation des Befehls
Rückstoß und Befehlsangst
Der Befehl an viele
Befehlserwartung
Befehlserwartung der Pilger auf Arafat
Befehlsstachel und Disziplin
Befehl. Pferd. Pfeil
Religiöse Entmannungen: Die Skopzen
Negativismus und Schizophrenie
Die Umkehrung
Die Auflösung des Stachels
Befehl und Exekution. Der zufriedene Henker
Befehl und Verantwortung
Die Verwandlung
Vorgefühl und Verwandlung bei den Buschmännern
Fluchtverwandlungen. Hysterie, Manie und Melancholie
Selbstvermehrung und Selbstverzehrung. Die Doppelgestalt des Totems
Masse und Verwandlung im Delirium tremens
Nachahmung und Verstellung
Die Figur und die Maske
Die Entwandlung
Verwandlungsverbote
Sklaverei
Aspekte der Macht
Von den Stellungen des Menschen: Was sie an Macht enthalten
Der Dirigent
Ruhm
Die Ordnung der Zeit
Der Hof
Der wachsende Thron des Kaisers von Byzanz
Größenideen der Paralytiker
Herrschaft und Paranoia
Afrikanische Könige
Der Sultan von Delhi: Muhammad Tughlak
Der Fall Schreber. Erster Teil
Der Fall Schreber. Zweiter Teil
Epilog
Die Auflösung des Überlebenden
Nichts fürchtet der Mensch mehr als die Berührung durch Unbekanntes. Man will sehen, was nach einem greift, man will es erkennen oder zumindest einreihen können. Überall weicht der Mensch der Berührung durch Fremdes aus. Nachts oder im Dunkel überhaupt kann der Schrecken über eine unerwartete Berührung sich ins Panische steigern. Nicht einmal die Kleider gewähren einem Sicherheit genug; wie leicht sind sie zu zerreißen, wie leicht ist es, bis zum nackten, glatten, wehrlosen Fleisch des Angegriffenen durchzudringen.
Alle Abstände, die die Menschen um sich geschaffen haben, sind von dieser Berührungsfurcht diktiert. Man sperrt sich in Häuser ein, in die niemand eintreten darf, nur in ihnen fühlt man sich halbwegs sicher. Die Angst vor dem Einbrecher gilt nicht seinen räuberischen Absichten allein, sie ist auch eine Furcht vor seinem plötzlichen, unerwarteten Griff aus dem Dunkel. Die Hand, zur Kralle geformt, wird als Symbol für diese Angst immer wieder verwendet. Viel von diesem Sachverhalt ist in den Doppelsinn des Wortes ›angreifen‹ eingegangen. Die harmlose Berührung wie die gefährliche Attacke, beides ist zugleich in ihm enthalten, und etwas vom letzteren klingt im ersten immer mit. ›Angriff‹, das Hauptwort, aber hat sich auf den schlechten Sinn des Wortes ausschließlich beschränkt.
Diese Abneigung vor der Berührung verläßt uns auch nicht, wenn wir unter Leute gehen. Die Art, wie wir uns auf der Straße, unter vielen Menschen, in Restaurants, in Eisenbahnen und Autobussen bewegen, ist von dieser Furcht diktiert. Selbst dort, wo wir ganz nahe neben anderen stehen, sie genau betrachten und mustern können, vermeiden wir, wenn es irgend geht, eine Berührung mit ihnen. Wenn wir das Gegenteil tun, haben wir Gefallen an jemandem gefunden, und die Annäherung geht dann von uns selber aus.
Die Promptheit der Entschuldigung, die man für eine unbeabsichtigte Berührung hat, die Spannung, in der sie erwartet wird, die heftige und manchmal tätliche Reaktion, wenn sie nicht erfolgt, der Widerwille und Haß, den man für den ›Übeltäter‹ empfindet, auch wenn man gar nicht sicher sein kann, daß er es ist – dieser ganze Knoten seelischer Reaktionen um die Berührung durch Fremdes, in ihrer extremen Labilität und Reizbarkeit, beweist, daß es hier um etwas sehr Tiefes, immer Waches und immer Verfängliches geht, etwas, das den Menschen nie mehr verläßt, sobald er die Grenzen seiner Person einmal festgestellt hat. Selbst der Schlaf, in dem man viel wehrloser ist, ist durch diese Art von Furcht nur zu leicht zu stören.
Es ist die Masse allein, in der der Mensch von dieser Berührungsfurcht erlöst werden kann. Sie ist die einzige Situation, in der diese Furcht in ihr Gegenteil umschlägt. Es ist die dichte Masse, die man dazu braucht, in der Körper an Körper drängt, dicht auch in ihrer seelischen Verfassung, nämlich so, daß man nicht darauf achtet, wer es ist, der einen ›bedrängt‹. Sobald man sich der Masse einmal überlassen hat, fürchtet man ihre Berührung nicht. In ihrem idealen Falle sind sich alle gleich. Keine Verschiedenheit zählt, nicht einmal die der Geschlechter. Wer immer einen bedrängt, ist das gleiche wie man selbst. Man spürt ihn, wie man sich selber spürt. Es geht dann alles plötzlich wie innerhalb eines Körpers vor sich. Vielleicht ist dies einer der Gründe, warum die Masse sich so dicht zusammenzuziehen sucht: Sie will die Berührungsfurcht der einzelnen so vollkommen wie nur möglich loswerden. Je heftiger die Menschen sich aneinanderpressen, um so sicherer fühlen sie, daß sie keine Angst voreinander haben. Dieses Umschlagen der Berührungsfurcht gehört zur Masse. Die Erleichterung, die sich in ihr verbreitet und von der noch in anderem Zusammenhang die Rede ist, erreicht ein auffallend hohes Maß in ihrer größten Dichte.
Eine ebenso rätselhafte wie universale Erscheinung ist die Masse, die plötzlich da ist, wo vorher nichts war. Einige wenige Leute mögen beisammengestanden haben, fünf oder zehn oder zwölf, nicht mehr. Nichts ist angekündigt, nichts erwartet worden. Plötzlich ist alles schwarz von Menschen. Von allen Seiten strömen andere zu, es ist, als hätten Straßen nur eine Richtung. Viele wissen nicht, was geschehen ist, sie haben auf Fragen nichts zu sagen; doch haben sie es eilig, dort zu sein, wo die meisten sind. Es ist eine Entschlossenheit in ihrer Bewegung, die sich vom Ausdruck gewöhnlicher Neugier sehr wohl unterscheidet. Die Bewegung der einen, meint man, teilt sich den anderen mit, aber das allein ist es nicht: Sie haben ein Ziel. Es ist da, bevor sie Worte dafür gefunden haben: Das Ziel ist das schwärzeste – der Ort, wo die meisten Menschen beisammen sind.
Es wird manches über diese extreme Form der spontanen Masse zu sagen sein. Sie ist dort, wo sie entsteht, in ihrem eigentlichen Kern, nicht ganz so spontan, wie es den Anschein hat. Aber überall sonst, wenn man von den fünf oder zehn oder zwölf Leuten absieht, von denen sie ihren Ausgang nahm, ist sie es wirklich. Sobald sie besteht, will sie aus mehr bestehen. Der Drang zu wachsen ist die erste und oberste Eigenschaft der Masse. Sie will jeden erfassen, der ihr erreichbar ist. Wer immer wie ein Mensch gestaltet ist, kann zu ihr stoßen. Die natürliche Masse ist die offene Masse: Ihrem Wachstum ist überhaupt keine Grenze gesetzt. Häuser, Türen und Schlösser erkennt sie nicht an; die sich vor ihr versperren, sind ihr verdächtig. ›Offen‹ ist hier in jedem Sinn zu verstehen, sie ist es überall und in jeder Richtung. Die offene Masse besteht, solange sie wächst. Ihr Zerfall setzt ein, sobald sie zu wachsen aufhört.
Denn so plötzlich, wie sie entstanden ist, zerfällt die Masse. In dieser spontanen Form ist sie ein empfindliches Gebilde. Ihre Offenheit, die ihr das Wachstum ermöglicht, ist zugleich ihre Gefahr. Eine Ahnung vom Zerfall, der ihr droht, ist immer in ihr lebendig. Durch rapide Zunahme sucht sie ihm zu entgehen. Solange sie kann, nimmt sie alles auf; aber da sie alles aufnimmt, muß sie zerfallen.
Im Gegensatz zur offenen Masse, die ins Unendliche wachsen kann, die überall ist und eben darum ein universelles Interesse beansprucht, steht die geschlossene Masse.
Diese verzichtet auf Wachstum und legt ihr Hauptaugenmerk auf Bestand. Was an ihr zuerst auffällt, ist die Grenze. Die geschlossene Masse setzt sich fest. Sie schafft sich ihren Ort, indem sie sich begrenzt; der Raum, den sie erfüllen wird, ist ihr zugewiesen. Er ist einem Gefäß vergleichbar, in das man Flüssigkeit gießt, es ist bekannt, wieviel Flüssigkeit hineingeht. Die Zugänge zum Raum sind gezählt, man kann nicht auf jede Weise hineingelangen. Die Grenze wird respektiert. Sie mag aus Stein, aus festem Mauerwerk bestehen. Vielleicht bedarf es eines besonderen Aufnahmeaktes; vielleicht hat man eine bestimmte Gebühr für den Eintritt zu entrichten. Wenn der Raum einmal dicht genug gefüllt ist, wird niemand mehr eingelassen. Selbst wenn er überfließt, bleibt immer noch als Hauptsache die dichte Masse im geschlossenen Raum, zu der die Außenstehenden nicht ernsthaft gehören.
Die Grenze verhindert eine regellose Zunahme, aber sie erschwert und verzögert auch das Auseinanderlaufen. Was an Wachstumsmöglichkeit so geopfert wird, das gewinnt die Masse an Beständigkeit. Sie ist vor äußeren Einwirkungen geschützt, die ihr feindlich und gefährlich sein könnten. Ganz besonders aber rechnet sie mit Wiederholung. Durch die Aussicht auf Wiederversammeln täuscht sich die Masse über ihre Auflösung jedesmal hinweg. Das Gebäude wartet auf sie, um ihretwillen ist es da, und solange es da ist, werden sie sich auf dieselbe Weise zusammenfinden. Der Raum gehört ihnen, auch wenn er Ebbe hat, und in seiner Leere gemahnt er an die Zeit der Flut.
Der wichtigste Vorgang, der sich innerhalb der Masse abspielt, ist die Entladung. Vorher besteht die Masse eigentlich nicht, die Entladung macht sie erst wirklich aus. Sie ist der Augenblick, in dem alle, die zu ihr gehören, ihre Verschiedenheiten loswerden und sich als gleiche fühlen.
Unter diesen Verschiedenheiten sind besonders äußerlich auferlegte zu verstehen, Unterschiede des Ranges, Standes und Besitzes. Die Menschen als einzelne sind sich dieser Unterschiede immer bewußt. Sie lasten schwer auf ihnen, sie zwingen sie mit großem Nachdruck auseinander. Auf einem bestimmten, sicheren Platze steht der Mensch und hält sich alles, was ihm in die Nähe kommt, mit wirkungsvollen Rechtsgebärden vom Leibe. Wie eine Windmühle auf riesiger Ebene, so steht er da, ausdrucksvoll und bewegt, bis zur nächsten Mühle ist nichts. Alles Leben, wie er es kennt, ist auf Distanzen angelegt, das Haus, in dem er seinen Besitz und sich verschließt, die Stellung, die er bekleidet, der Rang, nach dem er strebt – alle dienen dazu, Abstände zu schaffen, zu festigen und zu vergrößern. Die Freiheit jeder tieferen Bewegung von einem zum anderen ist unterbunden. Regungen und Gegenregungen versickern wie in einer Wüste. Keiner kann in die Nähe, keiner in die Höhe des anderen. Fest etablierte Hierarchien auf jedem Gebiete des Lebens erlauben niemandem, an den Höheren zu rühren, sich zum Tieferen anders als scheinbar herabzulassen. In verschiedenen Gesellschaften sind diese Distanzen verschieden gegeneinander ausbalanciert. In manchen liegt der Nachdruck auf den Unterschieden der Herkunft, in anderen auf denen der Beschäftigung oder des Besitzes.
Es kommt hier nicht darauf an, diese Rangordnungen im einzelnen zu kennzeichnen. Wesentlich ist, daß sie überall da sind, daß sie sich überall im Bewußtsein der Menschen einnisten und ihr Verhalten zu den anderen entscheidend bestimmen. Die Genugtuung, in der Rangordnung höher als andere zu stehen, entschädigt nicht für den Verlust an Bewegungsfreiheit. In seinen Distanzen erstarrt und verdüstert der Mensch. Er schleppt an diesen Lasten und kommt nicht vom Fleck. Er vergißt, daß er sie sich selber auferlegt hat, und sehnt sich nach einer Befreiung von ihnen. Aber wie soll er sich allein befreien? Was immer er dazu täte, und wäre er noch so entschlossen, er fände sich unter anderen, die sein Bemühen vereiteln. Solange sie an ihren Distanzen festhalten, ist er ihnen um gar nichts näher.
Nur alle zusammen können sich von ihren Distanzlasten befreien. Genau das ist es, was in der Masse geschieht. In der Entladung werden die Trennungen abgeworfen, und alle fühlen sich gleich. In dieser Dichte, da kaum Platz zwischen ihnen ist, da Körper sich an Körper preßt, ist einer dem anderen so nahe wie sich selbst. Ungeheuer ist die Erleichterung darüber. Um dieses glücklichen Augenblickes willen, da keiner mehr, keiner besser als der andere ist, werden die Menschen zur Masse.
Aber der Augenblick der Entladung, der so begehrt und so glücklich ist, hat seine eigene Gefahr in sich. Er krankt an einer Grundillusion: Die Menschen, die sich plötzlich gleich fühlen, sind nicht wirklich und für immer gleich geworden. Sie kehren in ihre separaten Häuser zurück, sie legen sich in ihre Betten schlafen. Sie behalten ihren Besitz, sie geben ihren Namen nicht auf. Sie verstoßen ihre Angehörigen nicht. Sie laufen ihrer Familie nicht davon. Nur bei Bekehrungen ernsthafter Art treten Menschen aus alten Verbindungen heraus und in neue ein. Solche Verbände, die ihrer Natur nach nur eine begrenzte Zahl von Mitgliedern aufnehmen können und ihren Bestand durch harte Regeln sichern müssen, bezeichne ich als Massenkristalle. Von ihrer Funktion wird noch ausführlich die Rede sein.
Die Masse selbst aber zerfällt. Sie fühlt, daß sie zerfallen wird. Sie fürchtet den Zerfall. Sie kann nur bestehen bleiben, wenn der Prozeß der Entladung fortgesetzt wird, an neuen Menschen, die zu ihr stoßen. Nur der Zuwachs der Masse verhindert die ihr Angehörigen daran, unter ihre privaten Lasten zurückzukriechen.
Von der Zerstörungssucht der Masse ist oft die Rede, es ist das erste an ihr, was ins Auge fällt, und es ist unleugbar, daß sie sich überall findet, in den verschiedensten Ländern und Kulturen. Sie wird zwar festgestellt und mißbilligt, doch wird sie nie wirklich erklärt.
Am liebsten zerstört die Masse Häuser und Gegenstände. Da es sich oft um Zerbrechliches handelt, wie Scheiben, Spiegel, Töpfe, Bilder, Geschirr, neigt man dazu zu glauben, daß es eben diese Zerbrechlichkeit von Gegenständen sei, die die Masse zur Zerstörung anreizt. Es ist nun gewiß richtig, daß der Lärm der Zerstörung, das Zerbrechen von Geschirr, das Klirren von Scheiben zur Freude daran ein Beträchtliches beiträgt: Es sind die kräftigen Lebenslaute eines neuen Geschöpfes, die Schreie eines Neugeborenen. Daß es so leicht ist, sie hervorzurufen, steigert ihre Beliebtheit, alles schreit mit einem und den anderen mit, und das Klirren ist der Beifall der Dinge. Ein besonderes Bedürfnis nach dieser Art von Lärm scheint zu Beginn der Ereignisse zu bestehen, da man sich noch nicht aus allzu vielen zusammensetzt und wenig oder gar nichts geschehen ist. Der Lärm verheißt die Verstärkung, auf die man hofft, und er ist ein glückliches Omen für die kommenden Taten. Aber es wäre irrig zu glauben, daß die Leichtigkeit des Zerbrechens das Entscheidende daran ist. Man hat sich an Skulpturen aus hartem Stein herangemacht und nicht geruht, bis sie verstümmelt und unkenntlich waren. Von Christen wurden die Köpfe und Arme griechischer Götter zerstört. Von Reformatoren und Revolutionären wurden die Bildwerke der Heiligen heruntergeholt, manchmal aus Höhen, wo es lebensgefährlich war, und oft war der Stein, den man zu zertrümmern suchte, so hart, daß man nur halb damit zum Ziel gelangte.
Die Zerstörung von Bildwerken, die etwas vorstellen, ist die Zerstörung einer Hierarchie, die man nicht mehr anerkennt. Man vergreift sich an den allgemein etablierten Distanzen, die für alle sichtbar sind und überall gelten. Ihre Härte war der Ausdruck für ihre Permanenz, sie haben seit langem, man denkt, seit je bestanden, aufrecht und unverrückbar; und es war unmöglich, sich ihnen in feindlicher Absicht zu nähern. Nun sind sie gestürzt und in Trümmer geschlagen. Die Entladung hat sich in diesem Akt vollendet.
Doch sie geht nicht immer so weit. Die Zerstörung gewöhnlicher Art, von der anfangs die Rede war, ist nichts als ein Angriff auf alle Grenzen. Scheiben und Türen gehören zu Häusern, sie sind der empfindlichste Teil ihrer Abgrenzung gegen außen. Wenn Türen und Scheiben eingeschlagen sind, hat das Haus seine Individualität verloren. Jeder kann dann nach Herzenslust hinein, nichts und niemand darin ist geschützt. In diesen Häusern stecken aber gewöhnlich, so glaubt man, die Menschen, die sich von der Masse auszuschließen suchen, ihre Feinde. Nun ist, was sie abtrennt, zerstört. Zwischen ihnen und der Masse steht nichts. Sie können heraus und sich ihr anschließen. Man kann sie holen.
Es ist aber noch mehr daran. Der einzelne Mensch selbst hat das Gefühl, daß er in der Masse die Grenzen seiner Person überschreitet. Er fühlt sich erleichtert, da alle Distanzen aufgehoben sind, die ihn auf sich zurückwarfen und in sich verschlossen. Mit dem Abheben der Distanzlasten fühlt er sich frei, und seine Freiheit ist die Überschreitung dieser Grenzen. Was ihm geschieht, soll auch den anderen geschehen, er erwartet von ihnen dasselbe. An einem irdenen Topf reizt ihn, daß er nichts als Grenze ist. An einem Hause reizen ihn die verschlossenen Türen. Riten und Zeremonien, alles, was Distanzen hält, bedroht ihn und ist ihm unerträglich. In diese vorgebildeten Gefäße überall wird man die Masse zersplittert zurückzuführen suchen. Sie haßt ihre künftigen Gefängnisse, die ihr immer Gefängnisse waren. Der nackten Masse erscheint alles als Bastille.
Das eindrucksvollste von allen Mitteln der Zerstörung ist das Feuer. Es ist weithin sichtbar und zieht andere an. Es zerstört auf unwiderrufliche Weise. Nichts ist nach einem Feuer, wie es vorher war. Die Masse, die Feuer legt, hält sich für unwiderstehlich. Alles wird zu ihr stoßen, während es um sich greift. Alles Feindliche wird von ihm vernichtet werden. Es ist, wie man noch sehen wird, das kräftigste Symbol, das es für die Masse gibt. Nach aller Zerstörung muß es wie sie erlöschen.
Die offene Masse ist die eigentliche Masse, die sich ihrem natürlichen Drang zu wachsen frei überläßt. Eine offene Masse hat kein klares Gefühl oder Bild davon, wie groß sie werden könnte. Sie hält sich an kein Gebäude, das ihr bekannt ist und das sie zu erfüllen hätte. Ihr Maß ist nicht festgelegt; sie will ins Unendliche wachsen, und was sie dazu braucht, sind mehr und mehr Menschen. In diesem nackten Zustand fällt die Masse am meisten auf. Doch behält sie etwas Außergewöhnliches und wird, da sie immer zerfällt, nicht ganz voll genommen. Sie wäre vielleicht auch weiterhin nicht mit dem Ernste betrachtet worden, der ihr gebührt, hätte nicht die ungeheuerliche Zunahme der Bevölkerungszahl überall und das rapide Wachstum der Städte, die unser modernes Zeitalter kennzeichnen, zu ihrer Bildung immer häufiger Gelegenheit gegeben.
Die geschlossenen Massen der Vergangenheit, von denen noch die Rede sein wird, waren alle zu vertrauten Institutionen geworden. Der eigentümliche Zustand, in den ihre Teilnehmer oft gerieten, schien etwas Natürliches; immer war man zu einem bestimmten Zweck beisammen, sei es religiöser, festlicher oder kriegerischer Art, und der Zweck schien den Zustand zu heiligen. Wer einer Predigt beiwohnte, war gewiß im guten Glauben, daß es ihm auf die Predigt ankam, und er wäre erstaunt und vielleicht auch empört gewesen, hätte ihm jemand auseinandergesetzt, daß die große Zahl der anwesenden Hörer ihm mehr Befriedigung gewähre als die Predigt selbst. Alle Zeremonien und Regeln, die zu solchen Institutionen gehören, haben es im Grunde auf ein Abfangen der Masse abgesehen: lieber eine sichere Kirche voll von Gläubigen als die unsichere ganze Welt. In der Gleichmäßigkeit des Kirchenbesuches, der vertrauten und genauen Wiederholung bestimmter Riten sichert man der Masse etwas wie ein gezähmtes Erlebnis ihrer selbst. Der Ablauf dieser Verrichtungen zu festgesetzten Zeiten wird zu einem Ersatz für Bedürfnisse härterer und heftigerer Art.
Vielleicht hätten solche Einrichtungen genügt, wenn die Zahl der Menschen sich ungefähr gleichgeblieben wäre. Aber es liefen immer mehr Leute in den Städten herum, die Vermehrung der Bevölkerungszahl in den letzten paar hundert Jahren ging mit zunehmender Geschwindigkeit vonstatten. Damit waren auch alle Reizungen zur Bildung neuer und größerer Massen gegeben, und nichts, auch die erfahrenste und raffinierteste Leitung nicht, wäre imstande gewesen, sie unter solchen Voraussetzungen zu verhindern.
Alle Auflehnungen gegen überkommenes Zeremoniell, von denen die Religionsgeschichte meldet, sind gegen die Beschränkung der Masse gerichtet, die endlich ihr Wachstum wieder fühlen will. Man denkt an die Bergpredigt im Neuen Testament: Sie spielt sich im Freien ab, Tausende können zuhören, und sie ist, daran kann kein Zweifel bestehen, gegen das begrenzende Zeremonien-Treiben des offiziellen Tempels gerichtet. Man denkt an die Tendenz des paulinischen Christentums, aus den Volks- und Stammesgrenzen des Judentums auszubrechen und zu einem universalen Glauben für alle Menschen zu werden. Man denkt an die Verachtung des Buddhismus für das Kastenwesen des damaligen Indien.
Auch die innere Geschichte der einzelnen Weltreligionen ist an Ereignissen ähnlichen Sinnes reich. Immer ist Tempel, Kaste und Kirche zu eng. Die Kreuzzüge führen zu Bildungen von Massen von einer Größe, wie sie kein Kirchengebäude der damaligen Welt zu halten vermocht hätte. Ganze Städte werden später zu Zuschauern für die Verrichtungen der Geißler, und sie wandern dann erst noch von Stadt zu Stadt. Wesley baut, noch im 18. Jahrhundert, seine Bewegung auf Predigten im Freien auf. Er ist sich der Bedeutung seiner enormen Zuhörermassen sehr wohl bewußt, manchmal rechnet er sich in seinem Tagebuch aus, wie viele ihn wohl diesmal gehört haben mögen. Der Ausbruch aus den geschlossenen Verrichtungslokalen bedeutet jedesmal, daß die Masse sich ihre alte Lust am plötzlichen, rapiden und unbegrenzten Wachstum zurückholen will.
Als Ausbruch bezeichne ich also den plötzlichen Übergang einer geschlossenen in eine offene Masse. Dieser Vorgang ist häufig, doch darf man ihn nicht zu räumlich verstehen. Oft sieht es so aus, als ob eine Masse überfließe, aus einem Raum, in dem sie wohlbehütet war, auf den Platz und auf die Straßen einer Stadt, wo sie, alles an sich ziehend und allem ausgesetzt, sich frei ergeht. Wichtiger als dieser äußere ist aber der innere Vorgang, der ihm entspricht: die Unzufriedenheit mit der Begrenztheit in der Zahl der Teilnehmer, der plötzliche Wille anzuziehen, die leidenschaftliche Entschlossenheit, alle zu erreichen.
Seit der Französischen Revolution haben diese Ausbrüche eine Form bekommen, die wir als modern empfinden. Vielleicht weil sich die Masse vom Gehalt der traditionellen Religionen so weitgehend frei gemacht hat, ist es uns seither leichter, sie nackt, man möchte sagen, biologisch zu sehen, ohne die transzendenten Sinngebungen und Ziele, die sie sich früher einimpfen ließ. Die Geschichte der letzten 150 Jahre hat sich zu einer raschen Vermehrung solcher Ausbrüche zugespitzt; selbst die Kriege sind in sie einbezogen, sie sind zu Massenkriegen geworden. Die Masse begnügt sich nicht mehr mit frommen Bedingungen und Verheißungen, sie will das größte Gefühl ihrer animalischen Stärke und Leidenschaft selbst erleben und benutzt zu diesem Zwecke immer wieder, was sich ihr an sozialen Anlässen und Forderungen bietet.
Es ist wichtig, als erstes einmal festzustellen, daß die Masse sich nie gesättigt fühlt. Solange es einen Menschen gibt, der nicht von ihr ergriffen ist, zeigt sie Appetit. Ob sie diesen auch behalten würde, wenn sie wirklich alle Menschen in sich aufgenommen hätte, kann niemand sicher sagen, doch ist es sehr zu vermuten. Ihre Versuche, bestehen zu bleiben, haben etwas Ohnmächtiges. Der einzig aussichtsreiche Weg dazu ist die Bildung von Doppelmassen, wobei dann eine Masse sich an einer anderen mißt. Je näher sich diese sind, an Kraft und Intensität, um so länger bleiben die beiden, die sich messen, am Leben.
Zu den auffallendsten Zügen im Leben der Masse gehört etwas, was man als ein Gefühl von Verfolgtheit bezeichnen könnte, eine besondere, zornige Empfindlichkeit und Reizbarkeit gegen ein für allemal als solche designierte Feinde. Diese können unternehmen, was immer sie wollen, sie können scharf vorgehen oder entgegenkommend, teilnahmsvoll oder kalt sein, hart oder milde – alles wird ihnen so ausgelegt, als ob es einer unerschütterlichen Böswilligkeit entspringe, einer schlechten Gesinnung gegen die Masse, einer vorgefaßten Absicht, sie offen oder heimtückisch zu zerstören.
Um dieses Gefühl von Feindschaft und Verfolgung zu erklären, muß man wieder von der Grundtatsache ausgehen, daß die Masse, einmal entstanden, rapid wachsen will. Von der Kraft und Unbeirrbarkeit, mit der sie sich ausbreitet, macht man sich schwer eine übertriebene Vorstellung. Solange sie fühlt, daß sie im Wachsen ist – in revolutionären Zuständen zum Beispiel, die mit kleinen, aber sehr hochgespannten Massen beginnen –, empfindet sie alles als Einengung, was sich ihrem Wachstum entgegenstellt. Sie kann zerstreut und auseinandergetrieben werden durch Polizei, aber das hat eine bloß temporäre Wirkung – eine Hand, die in einen Mückenschwarm fährt. Sie kann aber auch von innen her angegriffen werden, indem man den Forderungen, die zu ihrer Bildung geführt haben, entgegenkommt. Schwächere fallen dann von ihr ab; andere, die eben daran waren, zu ihr zu stoßen, kehren auf halbem Weg um.
Der äußere Angriff auf die Masse kann diese nur stärken. Die körperlich Auseinandergetriebenen zieht es um so kräftiger wieder zusammen. Der Angriff von innen dagegen ist wirklich gefährlich. Ein Streik, der irgendwelche Vorteile erzielt hat, bröckelt zusehends ab. Der Angriff von innen appelliert an individuelle Gelüste. Er wird von der Masse als Bestechung empfunden, als ›unmoralisch‹, da er ihrer klaren und sauberen Grundgesinnung entgegenläuft. Jeder, der zu einer solchen Masse gehört, trägt einen kleinen Verräter in sich, der essen, trinken, lieben und seine Ruhe haben will. Solange er diese Verrichtungen nebenher besorgt und nicht zuviel Wesens aus ihnen macht, läßt man ihn gewähren. Sobald er sich aber laut vernehmlich macht, beginnt man ihn zu hassen und zu fürchten. Man weiß dann, daß er die Lockungen des Feindes gehört hat.
Immer ist die Masse etwas wie eine belagerte Festung, aber auf eine doppelte Weise belagert: Sie hat den Feind vor den Mauern, und sie hat den Feind im Keller. Während des Kampfes zieht sie immer mehr Anhänger an. Vor allen Toren sammeln sich ihre neuen Freunde und klopfen stürmisch um Einlaß. In günstigen Augenblicken wird dieser Bitte willfahren; aber sie klettern auch über die Mauern. Die Stadt füllt sich mehr und mehr mit Kämpfern an; doch jeder von ihnen bringt seinen kleinen, unsichtbaren Verräter mit, der sich schleunigst in einen Keller verzieht. Die Belagerung besteht darin, daß man die Zuzügler abzufangen sucht. Für die Feinde außen sind die Mauern wichtiger als für die Belagerten innen. Die Belagerer sind es, die immer daran bauen und sie erhöhen. Sie suchen die Zuzügler zu bestechen, und wenn sie sie schon gar nicht abhalten können, sorgen sie dafür, daß der kleine Verräter, der mitgeht, auf seinem Weg in die Stadt genug Feindschaft mitbekommt.
Das Verfolgungsgefühl der Masse ist nichts anderes als dieses Gefühl doppelter Bedrohung. Die Mauern von außen werden enger und enger gezogen, die Keller von innen mehr und mehr untergraben. Die Verrichtungen des Feindes sind offen und überschaubar, wenn er an den Mauern arbeitet; sie sind verdeckt und heimtückisch in den Kellern.
Aber es ist mit solchen Bildern immer so, daß sie nur einen Teil der Wahrheit treffen. Die von außen Zuströmenden, die in die Stadt hineinwollen, sind nicht nur neue Anhänger, Verstärkung, Stütze, sie sind auch die Nahrung der Masse. Eine Masse, die nicht zunimmt, ist im Zustand des Fastens. Es gibt Mittel, dieses Fasten durchzuhalten; die Religionen haben darin große Meisterschaft entwickelt. Es wird gezeigt werden, wie es den Weltreligionen gelingt, ihre Massen zu halten, auch ohne daß sie sich akut und heftig vergrößern.
Religionen mit universalem Anspruch, die anerkannt worden sind, verändern sehr bald den Akzent ihrer Werbung. Anfangs ist es ihnen darum zu tun, alle zu erreichen und zu gewinnen, die zu erreichen und zu gewinnen sind. Die Masse, die ihnen vorschwebt, ist universal; es kommt auf jede einzelne Seele an, und jede Seele soll die ihre werden. Aber der Kampf, den sie zu bestehen haben, führt allmählich zu einer Art von verborgenem Respekt für die Gegner, deren Institutionen bereits vorhanden sind. Sie sehen, wie schwer es ist, sich zu halten. Institutionen, die ihnen Solidarität und Bestand gewähren, erscheinen ihnen immer wichtiger. Durch die ihrer Gegner angeregt, tun sie alles dazu, selber welche einzuführen; und wenn es ihnen gelingt, werden diese mit der Zeit zur Hauptsache. Das Eigengewicht der Institutionen, die dann ein Leben für sich haben, zähmt allmählich die Wucht der ursprünglichen Werbung. Kirchen werden so gebaut, daß sie die Gläubigen aufnehmen, die bereits da sind. Man vergrößert sie mit Zurückhaltung und Bedacht, wenn ein Bedarf danach wirklich vorhanden ist. Es ist eine starke Tendenz da, die vorhandenen Gläubigen in separaten Einheiten zusammenzufassen. Gerade weil es nun viele geworden sind, ist die Neigung zum Zerfall sehr groß und eine Gefahr, der man immer entgegenarbeiten muß.
Ein Gefühl für die Tücken der Masse liegt den historischen Weltreligionen sozusagen im Blut. Ihre eigenen Traditionen, die verbindlichen Charakter haben, belehren sie darüber, wie plötzlich und unerwartet sie gewachsen sind. Ihre Geschichten von Massenbekehrungen erscheinen ihnen wunderbar, und sie sind es. In den Abfallsbewegungen, die die Kirchen fürchten und verfolgen, richtet sich dieselbe Art von Wunder gegen sie, und die Verletzungen, die ihnen so am eigenen Leibe zugefügt werden, sind schmerzlich und unvergeßlich. Beides, das rapide Wachstum in ihrer Frühzeit und die nicht weniger rapiden Abfälle später, erhalten ihr Mißtrauen gegen die Masse immer am Leben. Was sie sich wünschen, ist im Gegensatz zu dieser eine folgsame Herde. Es ist üblich, die Gläubigen als Schafe zu betrachten und für ihren Gehorsam zu loben. Auf die wesentliche Tendenz der Masse, nämlich zu raschem Wachstum, verzichten sie ganz. Sie begnügen sich mit einer zeitweiligen Fiktion von Gleichheit unter den Gläubigen, die aber nie zu streng durchgeführt wird; mit einer bestimmten Dichte, die in gemäßigten Grenzen gehalten wird, und einer starken Richtung. Das Ziel setzen sie gern in eine sehr weite Ferne, ein Jenseits, in das man gar nicht gleich hineinkommen soll, da man noch lebt, und das man sich durch viel Bemühungen und Unterwerfungen verdienen muß. Die Richtung wird allmählich das wichtigste. Je ferner das Ziel, um so mehr hat es Aussicht auf Bestand. An die Stelle jenes anderen, scheinbar unerläßlichen Prinzips des Wachstums wird etwas davon ganz Verschiedenes gesetzt: die Wiederholung.
In bestimmten Räumen, zu bestimmten Zeiten werden die Gläubigen versammelt und durch immer gleiche Verrichtungen in einen gemilderten Massenzustand versetzt, der sie beeindruckt, ohne gefährlich zu werden, und an den sie sich gewöhnen. Das Gefühl ihrer Einheit wird ihnen dosiert verabreicht. Von der Richtigkeit dieser Dosierung hängt der Bestand der Kirche ab.
Wo immer Menschen sich an dieses präzis wiederholte und präzis begrenzte Erlebnis in ihren Kirchen oder Tempeln gewöhnt haben, können sie es nicht mehr entbehren. Sie sind darauf angewiesen wie auf Nahrung und alles, was sonst ihr Dasein ausmacht. Ein plötzliches Verbot ihres Kultes, die Unterdrückung ihrer Religion durch ein staatliches Edikt, kann nicht ohne Folgen bleiben. Die Störung ihres sorgfältig ausbalancierten Massen-Haushalts muß nach einiger Zeit zum Ausbruch einer offenen Masse führen. Diese hat dann alle elementaren Eigenschaften, die man kennt. Sie greift rapid um sich. Sie führt eine wirkliche statt der fiktiven Gleichheit durch. Sie holt sich neue und jetzt viel intensivere Dichten. Sie gibt, für den Augenblick, jenes ferne und schwer erreichbare Ziel, zu dem sie erzogen war, auf und setzt sich eines hier, in der unmittelbaren Umgebung dieses konkreten Lebens. Alle plötzlich verbotenen Religionen rächen sich durch eine Art von Verweltlichung : In einem Ausbruch von großer und unerwarteter Wildheit ändert sich der Charakter ihres Glaubens vollkommen, ohne daß sie die Natur dieser Änderung selber verstehen. Sie halten es für den alten Glauben und meinen, nur an ihren tiefsten Überzeugungen festzuhalten. Aber in Wirklichkeit sind sie plötzlich ganz andere geworden, mit einem akuten und singulären Gefühl von der offenen Masse, die sie jetzt bilden und aus der sie um keinen Preis herausfallen wollen.
Die Panik in einem Theater ist, wie schon oft angemerkt wurde, ein Zerfall der Masse. Je gebundener die Menschen durch die Aufführung waren, je geschlossener die Form des Theaters, das sie äußerlich zusammenhält, desto heftiger der Zerfall.
Es mag aber auch, durch die Aufführung allein, gar keine echte Masse bestanden haben. Oft fühlt sich das Publikum nicht gepackt und bleibt zusammen, bloß weil es schon da ist. Was das Stück nicht zustande gebracht hat, das bewirkt dann gleich ein Feuer. Es ist Menschen nicht weniger gefährlich als Tieren, das stärkste und älteste Massensymbol. Das Gewahrwerden des Feuers treibt, was immer an Massengefühl des Publikums vorhanden war, plötzlich auf die Spitze. Durch die gemeinsame, unmißverständliche Gefahr entsteht eine allen gemeinsame Angst. Für kurze Zeit besteht so im Publikum eine wirkliche Masse. Wäre man nicht in einem Theater, so könnte man gemeinsam fliehen, wie eine Tierherde in Gefahr, und durch gleichgerichtete Bewegungen die Energie der Flucht erhöhen. Eine aktive Massenangst dieser Art ist das große, kollektive Erlebnis aller Tiere, die in Herden leben und sich als gute Läufer zusammen retten.
Im Theater hingegen muß die Masse auf die gewaltsamste Weise zerfallen. Die Türen lassen nur einen oder wenige Menschen zugleich durch. Die Energie der Flucht wird von selbst zu einer Energie des Zurückstoßens. Zwischen den Sitzreihen kann nur je ein Mensch hindurch, einer ist säuberlich vom anderen getrennt; jeder sitzt für sich, jeder steht für sich, jeder hat seinen Platz. Die Distanz zur nächsten Tür ist für jeden eine andere. Das normale Theater hat es darauf angelegt, die Menschen festzusetzen und ihnen nur die Freiheit ihrer Hände und Stimmen zu überlassen. Die Bewegung der Beine ist soweit wie möglich beschränkt.
Der plötzliche Befehl zur Flucht, der den Menschen vom Feuer gegeben wird, ist also sofort konfrontiert mit der Unmöglichkeit einer gemeinsamen Bewegung. Die Tür, durch die jeder hindurchmuß, die er sieht, in der er sich sieht, scharf abgeschnitten von allen übrigen, ist der Rahmen eines Bildes, das ihn sehr bald beherrscht. So muß die Masse, eben noch auf ihrer Höhe, mit Gewalt zerfallen. Der Umschlag wird an den heftigsten, individuellen Tendenzen deutlich: Man stößt, schlägt und trampelt wild um sich.
Je mehr man ›um sein eigenes Leben‹ kämpft, desto klarer wird es, daß man gegen die anderen kämpft, die einen auf allen Seiten behindern. Sie stehen da wie Stühle, Balustraden, verschlossene Türen, aber mit dem Unterschied, daß sie gegen einen angehen. Sie drängen einen da und dort hin, wo es ihnen paßt, oder eigentlich wohin sie selber gedrängt werden. Frauen, Kinder und alte Leute werden nicht geschont, man unterscheidet sie nicht von den Männern. Es gehört das zur Verfassung der Masse, in der alle gleich sind; und während man selber sich nicht mehr als Masse fühlt, ist man noch ganz von ihr umgeben. Die Panik ist ein Zerfall der Masse in der Masse. Der einzelne fällt von ihr ab und will ihr, die als Ganzes gefährdet ist, entkommen. Aber da er noch physisch in ihr steckt, muß er gegen sie angehen. Sich ihr jetzt zu überlassen, wäre sein Untergang, da sie selber vom Untergang bedroht ist. In einem solchen Augenblick kann er seine Eigenheit nicht genug betonen. Durch Schläge und Stöße weckt er Schläge und Stöße. Je mehr er austeilt, je mehr er bekommt, desto klarer fühlt er sich, desto deutlicher sind die Grenzen seiner eigenen Person auch für ihn wieder gezogen.
Es ist merkwürdig zu beobachten, wie sehr die Masse für den in ihr Kämpfenden den Charakter des Feuers annimmt. Durch den unerwarteten Anblick einer Flamme oder den Ruf ›Feuer!‹ ist sie entstanden; wie Flammen spielt sie mit dem, der zu entrinnen versucht. Die Menschen, die er wegstößt, sind ihm brennende Gegenstände, ihre Berührung ist feindlich, an jeder Stelle seines Körpers erschreckt sie ihn. Wer immer im Wege steht, ist von dieser allgemein feindlichen Gesinnung des Feuers angesteckt; die Art, wie es sich verbreitet, wie es sich allmählich um einen herumarbeitet, wie es einen schließlich ganz umgibt, gleicht sehr dem Verhalten der Masse, die einen auf allen Seiten bedroht. Die unberechenbaren Bewegungen in ihr, das Hervorschießen eines Armes, einer Faust, eines Beines sind wie die Flammen des Feuers, die plötzlich und von überall hervorzüngeln können. Das Feuer als Wald- oder Steppenbrand ist eine feindliche Masse, ein heftiges Gefühl davon läßt sich in jedem Menschen wecken. Das Feuer als Symbol für sie ist in seinen seelischen Haushalt eingegangen und macht einen unveränderlichen Bestandteil davon aus. Jenes nachdrückliche Trampeln auf Menschen aber, das so häufig bei Paniken beobachtet wird und so sinnlos scheint, ist nichts anderes als das Austreten von Feuer.
Die Panik als Zerfall läßt sich bloß abwenden, indem man den ursprünglichen Zustand einheitlicher Massenangst verlängert. In einer Kirche, die bedroht ist, läßt sich das herbeiführen: Man betet in gemeinsamer Angst zu einem gemeinsamen Gott, in dessen Hand es liegt, das Feuer durch ein Wunder zu löschen.
Eine zwiefach geschlossene Masse hat man in der Arena vor sich. Es ist nicht ohne Wert, sie auf diese merkwürdige Qualität hin zu untersuchen.
Die Arena ist nach außen hin gut abgegrenzt. Sie ist gewöhnlich weithin sichtbar. Ihre Lage in der Stadt, der Raum, den sie einnimmt, ist allgemein bekannt. Man fühlt immer, wo sie ist, auch wenn man nicht an sie denkt. Rufe von ihr dringen weithin. Wenn sie oben offen ist, teilt sich manches vom Leben, das sich in ihr abspielt, der umliegenden Stadt mit.
Aber erregend wie diese Mitteilungen auch sein mögen, ein unbehinderter Zustrom in die Arena ist nicht möglich. Die Zahl der Plätze, die sie faßt, ist beschränkt. Ihrer Dichte ist ein Ziel gesetzt. Die Sitze sind so angelegt, daß man sich nicht zu sehr drängt. Die Menschen darin sollen es bequem haben. Sie sollen gut sehen können, jeder von seinem Platz, und sie sollen sich nicht untereinander stören.
Nach außen, gegen die Stadt, weist die Arena eine leblose Mauer. Nach innen baut sie eine Mauer von Menschen auf. Alle Anwesenden kehren der Stadt ihren Rücken zu. Sie haben sich aus dem Gefüge der Stadt, ihren Mauern, ihren Straßen herausgelöst. Für die Dauer ihres Aufenthalts in der Arena scheren sie sich um nichts, was in der Stadt geschieht. Sie lassen das Leben ihrer Beziehungen, ihrer Regeln und Gewohnheiten dort zurück. Ihr Beisammensein in großer Zahl ist für eine bestimmte Zeit gesichert, ihre Erregung ist ihnen versprochen worden – aber unter einer ganz entscheidenden Bedingung: Die Masse muß sich nach innen entladen.
Die Reihen sind übereinander angelegt, damit alle sehen, was unten vorgeht. Aber das hat zur Folge, daß die Masse sich selber gegenübersitzt. Jeder hat tausend Menschen und Köpfe vor sich. Solange er da ist, sind sie alle da. Was ihn in Erregung versetzt, erregt auch sie, und er sieht es. Sie sitzen in einiger Entfernung von ihm; die Einzelheiten, die sie sonst unterscheiden und zu Individuen machen, verwischen sich. Sie werden sich alle sehr ähnlich, sie benehmen sich ähnlich. Er bemerkt an ihnen nur, was ihn jetzt selber erfüllt. Ihre sichtbare Erregung steigert die seine.
Die Masse, die sich selber so zur Schau stellt, ist nirgends unterbrochen. Der Ring, den sie bildet, ist geschlossen. Es entkommt ihr nichts. Der Ring aus faszinierten Gesichtern übereinander hat etwas sonderbar Homogenes. Er umfaßt und enthält alles, was unten vor sich geht. Keiner von allen läßt es los, keiner will weg. Jede Lücke in diesem Ring könnte an den Zerfall, das spätere Auseinandergehen gemahnen. Aber es ist keine da: Diese Masse ist nach außen und in sich, also auf zwiefache Weise geschlossen.
Es ist angebracht, bevor man den Versuch einer Einteilung der Masse unternimmt, ihre Haupteigenschaften kurz zusammenzufassen. Folgende vier Züge sind hervorzuheben:
1. Die Masse will immer wachsen. Ihrem Wachstum sind von Natur aus keine Grenzen gesetzt. Wo solche Grenzen künstlich geschaffen werden, in allen Institutionen also, die zur Bewahrung geschlossener Massen verwendet werden, ist ein Ausbruch der Masse immer möglich und erfolgt auch von Zeit zu Zeit. Einrichtungen, die das Anwachsen der Masse ein für allemal verhindern könnten und die unbedingt sicher sind, gibt es nicht.
2. Innerhalb der Masse herrscht Gleichheit. Sie ist absolut und indiskutabel und wird von der Masse selbst nie in Frage gestellt. Sie ist von so fundamentaler Wichtigkeit, daß man den Zustand der Masse geradezu als einen Zustand absoluter Gleichheit definieren könnte. Ein Kopf ist ein Kopf, ein Arm ist ein Arm, auf Unterschiede zwischen ihnen kommt es nicht an. Um dieser Gleichheit willen wird man zur Masse. Was immer davon ablenken könnte, wird übersehen. Alle Forderungen nach Gerechtigkeit, alle Gleichheitstheorien beziehen ihre Energie letzten Endes aus diesem Gleichheitserlebnis, das jeder auf seine Weise von der Masse her kennt.
3. Die Masse liebt Dichte. Sie kann nie zu dicht sein. Es soll nichts dazwischenstehen, es soll nichts zwischen sie fallen, es soll möglichst alles sie selber sein. Das Gefühl größter Dichte hat sie im Augenblick der Entladung. Es wird einmal möglich sein, diese Dichte näher zu bestimmen und zu messen.
4. Die Masse braucht eine Richtung. Sie ist in Bewegung und bewegt sich auf etwas zu. Die Richtung, die allen Angehörigen gemeinsam ist, stärkt das Gefühl von Gleichheit. Ein Ziel, das außerhalb jedes einzelnen liegt und für alle zusammenfällt, treibt die privaten, ungleichen Ziele, die der Tod der Masse wären, unter Grund. Für ihren Bestand ist die Richtung unentbehrlich. Die Furcht vor Zerfall, die immer in ihr rege ist, macht es möglich, sie auf irgendwelche Ziele zu lenken. Die Masse besteht, solange sie ein unerreichtes Ziel hat. – Aber es ist noch eine dunkle Bewegungstendenz in ihr, die zu übergeordneten und neuen Bildungen führt. Es ist oft nicht möglich, die Natur dieser Bildungen vorauszusagen.
Jede dieser vier Eigenschaften, die man festgestellt hat, kann in größerem oder geringerem Maße vorhanden sein. Je nachdem man die eine oder die andere von ihnen ins Auge faßt, gelangt man zu einer verschiedenen Einteilung der Massen.
Es war die Rede von offenen und geschlossenen Massen, und es ist auch erklärt worden, daß diese Einteilung sich auf ihr Wachstum bezieht. Solange ihr Wachstum nicht behindert wird, ist die Masse offen; sie ist geschlossen, sobald man ihr Wachstum begrenzt.
Eine andere Unterscheidung, von der man noch hören wird, ist die zwischen rhythmischen und stockenden Massen. Sie bezieht sich auf die beiden nächsten Haupteigenschaften, auf Gleichheit und Dichte nämlich, und zwar auf beide zusammen.
Die stockende Masse lebt auf ihre Entladung hin. Aber sie fühlt sich dieser sicher und verzögert sie. Sie wünscht eine relativ lange Periode der Dichte, um sich auf den Augenblick der Entladung vorzubereiten. Man möchte sagen, sie erwärmt sich an ihrer Dichte und hält so lange wie möglich mit der Entladung zurück. Der Prozeß der Masse beginnt bei ihr nicht mit Gleichheit, er beginnt mit Dichte. Die Gleichheit wird hier zum hauptsächlichen Ziel der Masse, in das sie schließlich mündet; jeder gemeinsame Schrei, jede gemeinsame Äußerung drückt diese Gleichheit dann gültig aus.
Ganz im Gegensatz dazu fallen bei der rhythmischen Masse Dichte und Gleichheit von Anfang an zusammen. Alles hängt hier an Bewegung. Alle Körperreize, die zu erfolgen haben, sind vorausbestimmt und werden im Tanze weitergegeben. Durch Ausweichen und Wiederannäherung wird die Dichte bewußt gestaltet. Die Gleichheit aber stellt sich selbst zur Schau. Durch Vorspielen von Dichte und Gleichheit wird das Massengefühl kunstvoll hervorgerufen. Diese rhythmischen Gebilde entstehen rasch, und es ist die physische Ermüdung allein, die ihnen ein Ende bereitet.
Das nächste Begriffspaar, das der langsamen und der raschen Masse, bezieht sich ausschließlich auf die Art ihres Ziels. Die auffallenden Massen, von denen gewöhnlich die Rede ist, die einen so wesentlichen Teil unseres modernen Lebens ausmachen, die politischen, sportlichen, kriegerischen Massen, die wir heute täglich vor Augen haben, sind alle rasch. Sehr verschieden von ihnen sind die religiösen Massen des Jenseits oder die der Pilger; das Ziel bei diesen ist in der Ferne, der Weg ist lang, und die wahrhaftige Bildung der Masse ist in ein weit abgelegenes Land oder in ein Himmelreich verschoben. Von diesen langsamen Massen bekommen wir eigentlich nur die Zuflüsse zu sehen, denn die Endzustände, nach denen sie streben, sind unsichtbar und für Ungläubige nicht zu erreichen. Die langsame Masse sammelt sich langsam und sieht sich selbst als Beständiges in weiter Ferne.
Alle diese Formen, deren Wesen hier nur angedeutet worden ist, bedürfen einer genaueren Betrachtung.
Der Rhythmus ist ursprünglich ein Rhythmus der Füße. Jeder Mensch geht, und da er auf zwei Beinen geht und mit seinen Füßen abwechselnd am Boden aufschlägt, da er nur weiterkommt, wenn er immer wieder aufschlägt, entsteht, ob er es beabsichtigt oder nicht, ein rhythmisches Geräusch. Die beiden Füße treten nie mit genau derselben Kraft auf. Der Unterschied zwischen ihnen kann größer oder kleiner sein, je nach persönlicher Anlage oder Laune. Man kann aber auch rascher oder langsamer gehen, man kann laufen, plötzlich stillstehen oder springen.
Immer hat der Mensch auf die Schritte anderer Menschen gehört, er war sicher mehr auf sie bedacht als auf die eigenen. Auch die Tiere hatten ihren wohlvertrauten Gang. Von ihren Rhythmen waren viele reicher und vernehmlicher als die der Menschen. Huftiere flohen in Herden davon wie Regimenter aus lauter Trommlern. Die Kenntnis der Tiere, von denen er umgeben war, die ihn bedrohten und auf die er Jagd machte, war das älteste Wissen des Menschen. Im Rhythmus ihrer Bewegung lernte er sie kennen. Die früheste Schrift, die er lesen lernte, war die der Spuren: Es war eine Art von rhythmischer Notenschrift, die es immer gab; sie prägte sich von selber dem weichen Boden ein, und der Mensch, der sie las, verband mit ihr das Geräusch ihrer Entstehung.
Viele dieser Fußspuren traten in großen Mengen dicht beisammen auf. Die Menschen, die ursprünglich in kleinen Horden lebten, konnten selbst in der ruhigen Betrachtung solcher Spuren des Gegensatzes zwischen ihrer geringen Zahl und der ungeheuren mancher Herden innewerden. Sie waren hungrig und immer auf Beute aus; je mehr Beute, desto besser für sie. Aber sie wollten auch selber mehr sein. Das Gefühl des Menschen für seine eigene Vermehrung war immer stark. Es ist darunter keineswegs nur zu verstehen, was man mit einem unzulänglichen Ausdruck als Drang zur Fortpflanzung bezeichnet. Die Menschen wollten jetzt, an dieser ganz bestimmten Stelle, in diesem Augenblick, mehr sein. Die große Zahl einer Herde, auf die sie Jagd machten, und ihre eigene Zahl, die sie sich groß wünschten, waren in ihrem Gefühl auf eine besondere Weise verquickt. Sie gaben dem Ausdruck in einem bestimmten Zustand gemeinsamer Erregung, den ich als rhythmische oder zuckende Masse bezeichne.
Das Mittel dazu war zuallererst der Rhythmus ihrer Füße. Wo viele gehen, gehen andere mit. Die Schritte, die sich in rascher Wiederholung an Schritte reihen, täuschen eine größere Zahl von Menschen vor. Sie bewegen sich nicht vom Fleck, sie verharren im Tanz immer an derselben Stelle. Ihre Schritte verhallen nicht, sie wiederholen sich und bleiben über eine lange Zeit immer gleich laut und lebendig. Sie ersetzen durch Intensität, was ihnen an Zahl abgeht. Wenn sie stärker aufstampfen, klingen sie nach mehr. Auf alle Menschen in ihrer Nähe üben sie eine Anziehungskraft aus, die nicht nachläßt, solange sie nicht vom Tanz ablassen. Was immer in ihrer Hörweite lebt, stößt zu ihnen und bleibt bei ihnen versammelt. Das Natürliche wäre, daß immer neue Menschen zu ihnen stoßen. Aber da es bald keine mehr gibt, müssen sie aus sich, aus ihrer beschränkten Zahl heraus, die Zunahme vortäuschen. Sie bewegen sich, als ob ihrer immer mehr würden. Ihre Erregung wächst und steigert sich zur Raserei.
Auf welche Weise ersetzen sie aber, was sie an wachsender Zahl nicht haben können? Da ist einmal wichtig, daß jeder von ihnen dasselbe tut. Jeder stampft auf, und jeder tut es auf dieselbe Weise. Jeder schwenkt die Arme, jeder bewegt den Kopf. Die Gleichwertigkeit der Teilnehmer verzweigt sich in die Gleichwertigkeit ihrer Glieder. Was immer an einem Menschen beweglich ist, gewinnt sein Eigenleben, jedes Bein, jeder Arm lebt wie für sich allein. Die einzelnen Glieder werden alle zur Deckung gebracht. Sie sind sich ganz nahe, oft ruhen sie aufeinander. Zu ihrer Gleichwertigkeit kommt so ihre Dichte hinzu, Dichte und Gleichheit werden ein und dasselbe. Schließlich tanzt vor einem ein einziges Geschöpf, mit fünfzig Köpfen, hundert Beinen und hundert Armen ausgestattet, die alle auf genau dieselbe Weise oder in einer Absicht agieren. In ihrer höchsten Erregung fühlen sich diese Menschen wirklich als eines, und nur die physische Erschöpfung schlägt sie nieder.
Alle zuckenden Massen haben – eben dank dem Rhythmus, der in ihnen vorherrscht – etwas Ähnliches. Der Bericht, der nun einen solchen Tanz zur Anschauung bringen soll, stammt aus dem ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts. Es handelt sich um den Haka der Maori auf Neuseeland, der ursprünglich ein Kriegstanz war.
»Die Maori stellten sich in einer verlängerten Linie auf, vier Mann tief. Der Tanz, Haka genannt, mußte jeden, der ihn zum erstenmal erlebte, mit Schrecken und Angst erfüllen. Die ganze Gesellschaft, Männer und Frauen, Freie und Sklaven, waren durcheinandergemischt, ohne Rücksicht auf den Rang, den sie in der Gemeinde einnahmen. Die Männer waren alle vollkommen nackt, bis auf eine Patronentasche, die sie um den Leib hängen hatten. Alle waren mit Büchsen bewaffnet oder mit Bajonetten, die sie an Speerenden und Stöcken befestigt hatten. Die jungen Weiber, auch die Frauen des Häuptlings, nahmen mit entblößtem Oberkörper am Tanze teil.
Der Takt des Gesanges, der den Tanz begleitete, wurde sehr streng eingehalten. Ihre Beweglichkeit war erstaunlich. Plötzlich sprangen sie vom Boden senkrecht in die Höhe, alle genau zugleich, als wären die Tanzenden alle zusammen von einem Willen belebt. Im selben Augenblick schwangen sie ihre Waffen und verzerrten das Gesicht, und mit den langen Haaren, die Männer wie Frauen bei ihnen oft haben, glichen sie einem Heer von Gorgonen. Beim Niederfallen schlugen sie mit beiden Füßen zugleich laut auf dem Boden auf. Diesen Sprung in die Höhe wiederholten sie oft und immer rascher.
Die Züge wurden auf jede Weise verzerrt, die den Muskeln eines menschlichen Gesichtes möglich ist, jede neue Grimasse wurde von allen Teilnehmern pünktlich übernommen. Wenn einer das Gesicht so streng wie mit einer Schraube zusammenzog, taten es ihm alle anderen sofort nach. Sie rollten die Augen hin und her, manchmal war nur das Weiße davon sichtbar, es war, als würden sie im nächsten Moment aus den Höhlen fallen. Den Mund zerrten sie bis zu den Ohren auseinander. Alle zugleich streckten die Zungen ganz lang zum Munde heraus, nie hätte ein Europäer ihnen das nachtun können; eine frühe und lange Übung hatte sie dazu befähigt. Ihre Gesichter boten einen schrecklichen Anblick, es war eine Erleichterung, den Blick von ihnen abzuwenden.
Jedes Glied ihres Körpers war separat in Tätigkeit, Finger, Zehen, Augen, Zungen so gut wie Arme und Beine. Mit der flachen Hand schlugen sie sich laut bald auf die linke Brust, bald auf den Schenkel. Ohrenbetäubend war der Lärm ihres Gesanges, über 350 Leute nahmen am Tanze teil. Man kann sich vorstellen, welche Wirkung dieser Tanz in Kriegszeiten hatte, wie sehr er den Mut erhöhte und wie er die Abneigung der beiden Parteien gegeneinander auf die Spitze trieb.«
Das Rollen der Augen und das Herausstrecken der Zungen sind Zeichen des Trotzes und der Herausforderung. Aber obwohl der Krieg im allgemeinen Sache der Männer, und zwar der freien Männer, ist, überlassen sich alle der Erregung des Haka. Die Masse hier kennt weder Geschlecht noch Alter noch Rang: Alle agieren als gleiche. Was aber diesen Tanz von anderen ähnlicher Absicht unterscheidet, ist eine besonders extreme Verzweigung der Gleichheit. Es ist, als würde jeder Körper in alle seine einzelnen Teile auseinandergelegt, nicht nur in Beine und Arme, denn das ist oft der Fall, sondern auch in Zehen, Finger, Zungen und Augen, und nun tun sich alle Zungen etwa zusammen und vollführen im selben Augenblick genau dasselbe. Bald sind sich alle Zehen, bald alle Augen in ein und derselben Unternehmung gleich. Die Menschen in jedem ihrer kleinsten Teile sind von dieser Gleichheit ergriffen, und immer wird sie in einer Aktion, die sich heftig steigert, vorgeführt. Der Anblick von 350 Menschen, die zugleich in die Höhe springen, zugleich die Zunge herausstrecken, zugleich die Augen rollen, muß einen Eindruck von Einheit geben, die unüberwindlich ist. Die Dichte ist nicht bloß eine Dichte der Leute, es ist ebenso die ihrer separaten Glieder. Man könnte meinen, die Finger und die Zungen, auch wenn sie nicht zu den Menschen gehörten, würden sich auch für sich selber zusammentun und kämpfen. Der Rhythmus des Haka bringt jede dieser Gleichheiten einzeln zur Geltung. In ihrer Steigerung und zusammen sind sie unwiderstehlich.
Denn alles geschieht unter der Voraussetzung, daß es gesehen wird: Der Feind schaut zu. Die Intensität der gemeinsamen Drohung macht den Haka aus. Aber da der Tanz einmal bestand, ist er auch zu mehr geworden. Er wird von kleinauf eingeübt, hat viele verschiedene Formen und wird bei allen möglichen Gelegenheiten vorgeführt. Viele Reisende sind mit einem Haka willkommen geheißen worden. Einem solchen Anlaß verdankt man den angeführten Bericht. Wenn eine freundliche Truppe zu einer anderen stößt, begrüßen sich die beiden mit einem Haka; und so ernst geht es dabei zu, daß ein unschuldiger Zuschauer jeden Augenblick den Ausbruch der Schlacht befürchtet. Bei den Begräbnisfeierlichkeiten für einen großen Häuptling, nach allen Phasen heftigster Klage und Selbstverstümmelung, die bei den Maori Sitte sind, nach einem festlichen und sehr reichlichen Mahl, springen sie alle plötzlich auf, greifen nach ihren Büchsen und formieren sich zu einem Haka.
In diesem Tanze, an dem alle teilnehmen können, empfindet sich der Stamm als Masse. Sie bedienen sich seiner, wann immer sie ein Bedürfnis danach fühlen, Masse zu sein und vor anderen als solche zu erscheinen. In der rhythmischen Vollkommenheit, die er erlangt hat, erfüllt er mit Sicherheit seinen Zweck. Dank dem Haka ist ihre Einheit von innen her nie ernsthaft gefährdet.
Die stockende Masse ist dicht gedrängt, wirklich freie Bewegung wäre ihr gar nicht möglich. Ihr Zustand hat etwas Passives, die stockende Masse wartet. Sie wartet auf einen Kopf, der ihr gezeigt werden soll, oder auf Worte, oder sie sieht einem Kampfe zu. Auf die Dichte kommt es hier ganz besonders an: Der Druck, der von allen Seiten empfunden wird, mag den Betroffenen auch als Maß für die Kraft des Gebildes dienen, von dem sie nun einen Teil ausmachen. Je mehr Menschen zusammenfließen, um so größer wird dieser Druck. Die Füße können nirgends hin, die Arme sind eingezwängt, frei bleiben nur die Köpfe, um zu sehen und zu hören; die Körper geben einander Anregungen direkt weiter. Ringsherum hat man an verschiedenen Menschen zugleich mit seinem Körper teil. Man weiß, es sind mehrere Menschen, aber da sie auch untereinander so dicht zusammenhängen, empfindet man sie als eins. Diese Art der Dichte läßt sich Zeit; ihre Einwirkung über eine gewisse Dauer ist konstant; sie ist amorph, keinem vertrauten und eingeübten Rhythmus unterworfen. Es geschieht lange nichts; aber die Aktionslust staut und steigert sich und bricht dann schließlich um so heftiger los.
Die Geduld der stockenden Massen ist vielleicht nicht so erstaunlich, wenn man sich die Bedeutung dieses Gefühls von Dichte für sie recht vergegenwärtigt. Je dichter sie ist, um so mehr neue Menschen zieht sie an. An ihrer Dichte mißt sie ihre Größe, aber die Dichte ist auch der eigentliche Anreiz zu weiterem Wachstum. Die dichteste Masse wächst am raschesten. Das Stocken vor der Entladung ist eine Exhibition dieser Dichte. Je länger sie stockt, um so länger fühlt und zeigt sie ihre Dichte.
Von den einzelnen aus gesehen, die eine Masse ausmachen, ist die Weile des Stockens eine des Staunens; man legt die Waffen und Stacheln ab, mit denen man sonst gegeneinander so gut ausgerüstet ist; man berührt sich und fühlt sich doch nicht beengt; Griffe sind keine Griffe mehr, man hat voreinander keine Furcht. Bevor man ausfährt, in welche Richtung immer, will man sicher sein, daß man zusammenbleibt. Es ist ein Zusammenwachsen, für das man Ungestörtheit braucht. Die stockende Masse ist ihrer Einheit noch nicht ganz sicher und hält sich darum so lange wie möglich still.
Aber diese Geduld hat ihre Grenzen. Eine Entladung ist schließlich unerläßlich, ohne sie ist gar nicht zu sagen, ob eine Masse wirklich vorhanden war. Der Aufschrei, wie er früher bei öffentlichen Hinrichtungen üblich war, wenn der Kopf des Übeltäters vom Henker hochgehalten wurde, oder der Aufschrei, wie man ihn heute von sportlichen Veranstaltungen her kennt, sind die Stimme der Masse. Ihre Spontaneität ist von größter Bedeutung. Einstudierte und in regelmäßigen Zeitabständen wiederholte Rufe sind noch kein Zeichen dafür, daß die Masse ihr eigenes Leben erlangt hat. Sie sollen wohl dazu führen, aber sie können äußerlich sein, wie die einexerzierten Bewegungen einer Heeresabteilung. Dagegen ist der spontane, von der Masse nicht genau vorauszubestimmende Schrei untrüglich, seine Wirkung ungeheuer. Er kann Affekte jeder Art ausdrücken; es kommt oft weniger darauf an, um welche Affekte es sich handelt, als auf ihre Stärke und Verschiedenartigkeit und auf die Freiheit in ihrer Folge. Sie sind es, die der Masse ihren seelischen Raum geben.
Sie können allerdings so heftig und konzentriert sein, daß sie die Masse sofort zerreißen. Öffentliche Hinrichtungen haben diesen Effekt; man kann ein und dasselbe Opfer nur einmal töten. Wenn es sich gar um jemand handelt, der immer für unverletzlich galt, so wird an der Möglichkeit, ihn umzubringen, bis zum letzten Augenblick gezweifelt. Der Zweifel, der hier dem Anlaß entstammt, vergrößert das natürliche Stocken der Masse. Um so schneidender und schärfer wirkt dann der Anblick des abgetrennten Hauptes. Der Aufschrei, der darauf folgt, wird furchtbar sein, aber es ist der letzte Schrei dieser ganz bestimmten Masse. Man kann also sagen, daß die Masse in diesem Fall das Zuviel an stockender Erwartung, das sie auf das Intensivste genießt, mit ihrem eigenen, sofortigen Tode bezahlt.
Unsere modernen sportlichen Veranstaltungen sind zweckmäßiger. Die Zuschauer können sitzen; die allgemeine Geduld wird sich selber sichtbar. Sie haben die Freiheit ihrer Füße zum Stampfen und bleiben doch am selben Fleck. Sie haben die Freiheit ihrer Hände zum Klatschen. Eine gewisse Zeitdauer ist für die Veranstaltung vorgesehen; es ist im allgemeinen nicht anzunehmen, daß sie verkürzt wird; so lange wenigstens bleibt man bestimmt beisammen. Innerhalb dieser Zeit kann dann alles mögliche geschehen. Man kann nicht vorher wissen, ob und wann und auf welcher Seite ein Tor geschossen wird; und auch neben diesen begehrten Hauptereignissen gibt es manches andere, das zu lauten Ausbrüchen führt. Die Stimme hört sich oft und bei verschiedenen Gelegenheiten. Dem schließlichen Zerfall aber, dem Auseinandergehen, ist durch die zeitliche Vorausbestimmtheit etwas von seinem schmerzlichen Charakter genommen worden. Auch wird der Geschlagene Gelegenheit haben, Revanche zu nehmen, und es ist nicht alles für immer zu Ende. Die Masse kann sich hier wirklich breitmachen; sich erst an den Eingängen stauen, dann auf den Sitzen stocken; auf allerhand Arten schreien, wenn der richtige Augenblick sich ergibt; und selbst wenn alles vorüber ist, auf künftige, ähnliche Gelegenheiten hoffen.
Stockende Massen viel passiverer Art bilden sich in Theatern. Der ideale Fall ist der, daß man vor vollem Hause spielt. Die gewünschte Zahl der Zuschauer ist von Anfang an gegeben. Sie sammeln sich von selbst, mit Ausnahme der kleineren Stauungen vor den Kassen finden die Menschen getrennt ihren Weg in den Saal. An ihre Plätze werden sie geführt. Es ist alles festgesetzt: das Stück, das gespielt wird, die Schauspieler, die auftreten, die Zeit des Beginns und die Zuschauer selbst auf ihren Plätzen. Zuspätkommende werden mit leichter Feindseligkeit empfangen. Wie eine ausgerichtete Herde, so sitzen die Menschen da, still und in unendlicher Geduld. Doch ist sich jeder seiner separaten Existenz sehr wohl bewußt; er hat gezahlt und bemerkt genau, wer neben ihm sitzt. Vor Beginn betrachtet er sich in Ruhe die Reihe versammelter Köpfe: Sie wecken ein angenehmes, aber nicht zu dringliches Gefühl von Dichte in ihm. Die Gleichheit unter den Zuschauern besteht eigentlich nur darin, daß sie sich von der Bühne her alle dasselbe gefallen lassen. Aber ihre spontanen Reaktionen darauf sind nun eingeschränkt. Selbst der Beifall hat seine vorgeschriebenen Zeiten, und meist klatscht man tatsächlich nur, wenn man klatschen soll. Aus der Stärke des Beifalls allein ist zu entnehmen, wie sehr man Masse geworden ist; er ist der einzige Maßstab dafür und wird von den Schauspielern selber so gewertet.