Komödie der Eitelkeit - Elias Canetti - E-Book

Komödie der Eitelkeit E-Book

Elias Canetti

4,8

Beschreibung

"Die Szenen sind wie in einer Spirale angeordnet, erst längere Szenen, in denen Figuren und Ereignisse sich aneinander erklären, dann immer kürzere. Mehr und mehr bezieht sich alles auf das Feuer; erst aus der Ferne, dann näher und näher, bis eine Figur schließlich selbst zum Feuer wird, indem sie sich hineinstürzt. Der zweite Teil der Komödie, das Leben in einem spiegellosen Land, ergibt sich aus diesem Grundeinfall wie von selbst." Elias Canetti über sein 1934 entstandenes Theaterstück "Komödie der Eitelkeit"

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Über das Buch

»Die Szenen sind wie in einer Spirale angeordnet, erst längere Szenen, in denen Figuren und Ereignisse sich aneinander erklären, dann immer kürzere. Mehr und mehr bezieht sich alles auf das Feuer; erst aus der Ferne, dann näher und näher, bis eine Figur schließlich selbst zum Feuer wird, indem sie sich hineinstürzt. Der zweite Teil der Komödie, das Leben in einem spiegellosen Land, ergibt sich aus diesem Grundeinfall wie von selbst.« Elias Canetti über sein 1934 entstandenes Theaterstück

Elias Canetti

Komödie der Eitelkeit

Impressum

ISBN 978–3–446–25344–5

Entstanden 1934; in Buchform erschienen 1950; uraufgeführt 1965

Text nach Band II der Canetti-Werkausgabe

© 2015, 2016 Elias Canetti Erben Zürich, Carl Hanser Verlag München

Umschlaggestaltung: S. Fischer Verlag / www.buerosued.de

Cover: Elias Canetti beim Vorlesen aus der Komödie der Eitelkeit, Comologno 1935

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de. Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/HanserLiteraturverlage oder folgen Sie uns auf Twitter: www.twitter.com/hanserliteratur

Komödie der Eitelkeit

Drama in drei Teilen

Personen

Erster Teil

Zweiter Teil

Dritter Teil

Personen

in der Reihenfolge des Auftretens

Der Ausrufer Wenzel Wondrak

Fräulein Mai

drei beste Freundinnen

Witwe Weihrauch

Schwester Luise

Barloch, Packer

Anna Barloch, seine Frau

François Fant, Sohn

Franzl Nada, ein alter Dienstmann

Franzi Nada, seine Schwester

Hansi

sechs kleine Mädchen

Puppi

Gretl

Lizzi

Hedi

Lori

Fritz Schakerl, Lehrer

Emilie Fant, Mutter

Heinrich Föhn

ein Paar

Leda Frisch

Egon Kaldaun

Lya, seine Frau

Marie, das Mädchen für alles

Kaldauns Einziges

Der Prediger Brosam

Therese Kreiss, Gemischtwarenhändlerin

Milli Kreiss, ihre Tochter

Fritz Held, Friseur

Josef Garaus, Direktor

S. Bleiss

Erster Teil

Auf einer ganz leeren Bühne steht der Ausrufer Wenzel Wondrak

Und wir, meine Herrschaften, und wir, und wir, und wir, meine Herrschaften, und wir, und wir, wir haben etwas vor. Was haben wir vor? Etwas Kolossales haben wir vor, etwas großartig Kolossales, ganz großartig kolossal, und wir, meine Herrschaften, wir sind ganz kolossal, wir haben etwas vor. Was haben wir vor, meine Herrschaften, und wir, und wir, und wir, meine Herrschaften! Wir glauben, wir sind noch da, heute, heute, ja, aber morgen sind wir nicht da, morgen sind wir überhaupt nicht da, überzeugen Sie sich, sehen Sie nach, werfen Sie einen geliebten Blick auf das achte, neunte, zehnte, elfte Weltwunder! Ich sage elf, ich sage nicht zwölf, aber wenn Sie wollen, sage ich auch dreizehn. Wer wird denn abergläubisch sein, meine Herrschaften, wer wird, wer wird, wer wird denn abergläubisch sein! Treten Sie ein, ich lade Sie höflichst und P. T. ein. Sie können auch lachen, wenn Sie wollen, lachen ist nicht verboten, noch ist das Lachen erlaubt, Sie sollen sogar lachen, lachen wie der Bajazzo, als der ich mich dem hochgeschätzten Publiko verehrlichst vorzustellen gedenke.

Und wir, und wir, und wir, meine Herrschaften, und wir, und wir, hier dürfen Sie, meine Herrschaften, auf Ihr verehrtes Bild zielen. Sie bekommen fünf Bälle. Sie bekommen fünf runde Bälle, fünf runde, harte Bälle, tadellos und intakt. Wenn ich mir erlauben darf, bekommen Sie diese Bälle gratis und franko in die Hand. Ich liefere Ihnen, meine Herrschaften, fünf Bälle in die Hand. Wer zahlt's? Sie nicht! Sie haben da nichts zu zahlen. Sie dürfen gar nichts zahlen. Denn wir, meine Herrschaften, und wir, und wir, und wir, wir nehmen die Bälle in die Hand – und was geschieht mit den Bällen? Worauf zielen Ihre verehrten Hände? Auf Ihre eigenen Bilder! Sie haben vor sich Ihre Bilder, Ihre hochverehrten Bilder. Sie zielen auf Ihre Bilder, und Sie hauen Ihre Bilder kaputt. Hauen Sie nach Herzenslust! Ein unerschöpfliches Lager von Spiegeln steht zur Verfügung. Hinten tragen die Herrschaften ihre Spiegel her. Vorn hauen sie ihre Bilder kaputt. Das ist die wahre Tugend. Das ist das edle Herz. Und wir, und wir, und wir, meine Herrschaften, und wir, wir wollen verschwinden und nicht mehr da sein. Wer versucht es? Wer probiert es? Sie hauen Ihr Bild kaputt. Mein Herr, sind Sie eitel? Dann treten Sie ein! Und wir, und wir, und wir, meine Herrschaften, versuchen Sie Ihr Glück, treten Sie ein, treten Sie ein, der Mensch ist nicht immer ein Schwein, der Mensch kann auch ein Engerl, ein seliges Engerl sein. Und wir, und wir, und wir, meine Herrschaften …

Die Bühne dreht sich mit dem Ausrufer weg. Seine Stimme verhallt langsam.

Fräulein Mai, Witwe Weihrauch, Schwester Luise, drei beste Freundinnen, treten auf. Jede hat ein Paket in Zeitungspapier unterm Arm.

Mai: Hast du deine zählt?

Weihrauch: I net. San eh z'viel.

Luise: Ich meine, das wird übertrieben sein.

Weihrauch: Wann i sag.

Mai: Ich hab meine zählt.

Weihrauch: No, wieviel hast denn?

Luise: Das möcht ich auch gerne wissen.

Weihrauch: Jetzt, was geht des di an, Schwester Luis?

Mai: Ich kann's euch schon sagen.

Weihrauch: No? Wieviel hast denn?

Mai: Was glaubst so?

Weihrauch: Zeig her!

Luise: Das bißchen!

Mai: Du hast ja schon gar nix.

Luise: Ich bitte sehr, ich habe viel, viel mehr.

Fräulein Mai lacht schrill, Witwe Weihrauch dröhnend

Luise: Ich hab sie gezählt.

Weihrauch: Die Schwester Luis hat ihre zählt. Die schamt si net.

Luise: Man wird ja sehen, wer am meisten hat.

Weihrauch: Du, Fräuln Mai, kannst du scho zählen?

Mai: Du bist um drei Jahr älter wie ich. Stimmt's?

Luise: Zeig lieber dein Paket richtig her.

Weihrauch: Wieviel kannst denn du scho habn, Fräuln Mai! Dreißig Stückeln wirst haben!

Luise: Aber bitte, die hat sie gar nicht. Wo nimmt sie dreißig her? Familie hat sie doch keine.

Weihrauch: Wann i nur meine Brüdern und Schwestern zsammzähl, des san scho neune. Jetzt hab i vo jeden vielleicht ein gutes Dutzend. Kannst ausrechnen, wannsd' willst. 9 mal 12, des is 84, na 108. Jetzt kommt erst noch mein Seliger!

Mai: Auf die Familie kommt's net an.

Weihrauch: No, von wo willst sie denn haben, deine, wennsd' keine Familie net hast?

Luise: Ich weiß es. Die Fräulein Mai hat sie von den Kinoschauspielern. Die Fräulein Mai läuft jeden Abend ins Kino. Die geht in jede Vorstellung dreimal.

Mai: Fünfmal, wenn es beliebt.

Weihrauch: No, der Spaß hört sich jetzt auf mit die Kinos.

Luise(liest von einem großen Plakat, das bisher nur in Umrissen sichtbar war, herunter): Kundmachung. Erstens. Nein. Zweitens. Nein. Drittens. Nein. Viertens. Bitte. Sämtliche Kinotheater werden geschlossen. Sämtliche Filmstreifen, Originale wie Kopien, werden der Vernichtung zugeführt. Jegliche Erzeugung von Filmen ist einzustellen. Private Aufführungen in geschlossener Gesellschaft werden mit Zuchthaus von mindestens acht Jahren bestraft.

Mai: Ihr glaubts, ihr könnts mich giften.

Luise: Freilich, wenn jemand keinen Stolz kennt.

Weihrauch: Dann kannst es ewig beleidigen wie's d'willst, es nutzt alles nix.

Mai: Ich bin gern ewig beleidigt, aber jetzt zählts erst zusammen. Ich verlange, daß gezählt wird.

Luise: Aber bitte, ich kann mir's leisten. Ich hab schon lange gespart. Ich habe immer gewußt, daß es so kommt.

Weihrauch: Also ich sag so: die am wenigsten hat, die ist am ewigsten beleidigt.

Mai: Schmutzig ist es da.

Luise: Wo? Auf dem unappetitlichen Erdboden?

Weihrauch: Jetzt was habts denn scho wieder mit der Wascherei? Ich mag mi net alleweil waschen. Jetzt die ganzen Pakete werden do eh verbrannt.

Luise: Aber bitte, ich kann mir's leisten.

Mai: Auf dem Boden? (zögert) Gut.

Alle drei knien nieder, legen ihre Pakete vor sich hin, schnüren sie, die vielfach und sehr fest gebunden sind, auf und beginnen, den Inhalt zu zählen. Sie zählen sehr rasch, um bald bei einer hohen Zahl anzulangen. Sie zählen sehr langsam, weil sie an jedem Bild hängen. Sie bewachen einander scharf. Eigentlich zählt jede den Inhalt von allen drei Paketen zugleich. Zwischen ihr ungleichmäßiges Summen tönt manchmal ein lautes Klirren, Schreie und ein Rauschen wie von sehr viel Menschen.

Luise(zur Weihrauch): Stimmt nicht, du bist erst bei 33.

Weihrauch: Des hab i do eh gsagt: 33.

Luise: Nein, du hast 35 gesagt, du bist aber erst bei 33.

Weihrauch: 34 – mein Schwager Otto. (Hält ihr ein Bild hin) Den hast nimmer kennt. Das war dir der fescheste Mann. Die Adern hat er sich aufgschnitten. Der hat scho früher alleweil gsagt: Wenn er sich die Adern aufschneidet, dann bin ich d'Schuld. Er hat mich heiß geliebt. Der fescheste Mann was mir in der Familie ghabt haben. – 35, 36, 37.

Mai: 46 – Aber net so wie der Rudolfo Valentino. Schaut's euch den an. Da kann man nur sagen: Gut gewachsen und feurige Augen – 47, 48, 49.

Luise: 50 – Aber bitte, das gehört sich auch bei einem Filmschauspieler. – 51, 52, 53.

Weihrauch: 50 – Sonst kennt ja glei jeder kommen – 51, 52, 53.

Luise: 57 – Bitte, dies ist Fliegerhauptmann von Rönnetal mit eigenhändiger Widmung. Ich hab ihn gepflegt. Er wollte immer zärtlich werden. So ein feiner Mensch. Ich hab ihn gesund gepflegt. – 58, 59, 60.

Weihrauch: 60 – No, und was ist jetzt mit ihm? – 61, 62.

Luise: 65 – Wie er gesund war, ist er gefallen. Immer wollte er zärtlich werden. – 66, 67, 68.

Mai: 80 – Mariano Bello, vor dem Autounglück, was er ghabt hat. Da war er noch gut gewachsen und feurige Augen. Nachher habns' ihn zsammenflicken müssen. Da hat er nichts mehr geheißen. – 81, 82, 83.

Weihrauch: 78 – Mein Seliger, wie er mi auf'n Schoß hält. Da war er alt: 25 und i 5. Der hat mi kennt, wie i no gar net in d'Schul gangen bin. Da hat er mi einmal gsehn, beim Photographen, und hat beschlossen bei sich im Herzstüberl: die oder keine. No, und da hat er fufzehn Jahr auf mi gwart. Was hab i ghabt davon? Gar nix hab i ghabt davon, weil zwei Monate nach der Hochzeitsnacht is er gstorbn. Ein fescher Mann, ein sehr ein fescher Mann, aber auf dem Herzen war er net gsund. No, und vertragen hammer si guat. Der war net einmal ewig beleidigt. – Jessas 79, 80, 81.

Luise: 100 – »Dieses Andenken widmet Ihnen Ihr dankbar schuldiger Theodor Buch.« Ein edler Mensch. Ich hab ihn gepflegt. Er ist noch nie mit einer Frau zärtlich geworden. Das war seine Natur. Er war 29 gewesen. Mir hat er alles gebeichtet. Ihnen möchte ich einmal beichten, Schwester Luise, hat er gesagt. – 101, 102, 103.

Eine laute Männerstimme hinten stört die Frauen aus ihrer Beschäftigung auf

Barloch: Da hast no eine! Laufst scho? Laufst no net? Jetzt fangst glei eine kchä-kchä. Ja, mei Lieber, i habs in d'Händ, da kannst net aufkommen dagegen. Bum. Bum. Des hast gspürt, gell ja, des hast gspürt. Frech werdn a no? Des hat mr grad no gfehlt! Da hast no eine und no eine und no eine!

Der Packer Barloch ist indessen auf die Bühne gelangt. Er stößt mit seinen dicken Fäusten einen ungeheuren Ballen vor sich her, der mit Schnüren sauber zusammengebunden ist. Seine Frau Anna läuft hinterdrein, weinerlich und dünn, und zupft vergeblich an den Schnüren, wie um den Ballen zurückzuhalten.

Anna: Das kannst net machn. Das ghört si net.

Barloch: Was ghört si net? Für mich ghört si alles! Jetzt wann i will, hau i die ganze Stadt zsamm. Des ghört si für mi; die ganze Stadt! (Er stößt nach jedem Satz)

Anna: Das gibt ein Unglück.

Barloch: Was, ein Unglück! Nix gibt ein Unglück. Des muß ins Feuer, und des kommt ins Feuer.

Anna: Es ghört do nix dein.

Barloch: Und wer haut's ins Feuer? I!

Anna: Aber das ist ja Diebstahl an fremdem Eigentum.

Barloch: Eigentum? Eigentum? I dank schön, Eigentum. Das ist kein Eigentum nicht. Das ist ein Verbrechen.

Anna: I hörs scho kommen alle. I fürcht mi so.

Barloch: Paß auf, wenn's kommen. Ich bin der große Held. Paß auf.

Man hört viele Menschen sich nähern und glaubt, dem Lärm ein Gemurmel wie Barloch, Barloch zu entnehmen.

Anna: Jetzt hast es. I fürcht mi so.

Barloch: Geh, Tschapperl! Weißt, was i sag, wenns kommen? Sagen tu i nix. Aber eine Rede halten tu i. Meine Herren, ich verbiete mir das! Im Schweiße meines Angesichts schlepp ich mich zusammen. Sie hätten selber sollen, – und ich machs. Die Photographien hab ich persönlich in die Wohnungen aufgeklaubt. Verboten is eh. Obs jetzt früher brennen oder später, das macht nix aus. Verboten is eh. Und verbotene Früchte gehörn si net. Die Frucht meines sauren Schweißes ist dieses Paket, 's is eh no viel zklein, weil für die andern Häuser hab ich keine Zeit net ghabt. Jetzt sagen S' selber, ob ich net recht hab.

Der Lärm ist vorbeigzogen. Die drei Frauen haben indessen mehr gestaunt als gezählt. Plötzlich greift die Witwe Weihrauch in den Haufen der Bilder am Boden, fegt zusammen, was sie kann, und trägt es auf ausladenden Armen zu Barloch hin. Auf dem Weg sagt sie laut: Ein fescher Mann! Sie legt die Bilder auf Barlochs Ballen.

Weihrauch: Des kommt a dazu. Recht habn S'! I sags wie Sie! Mir habn's erst selber hintragn wollen, i und die zwei dorten, was meine Freundinnen sein.

Schwester Luise und Fräulein Mai zucken zaghaft

Barloch: Du gfallst mir.

Weihrauch: So ein fescher Mann!

Barloch: Du gfallst mir. An dir is no was dran. (Er packt sie an Schultern und Rücken) Net so. (Er zeigt verächtlich zu seiner Frau zurück)

Anna: Jetzt hast es! Jetzt kannst die a no mitschleppen.

Luise(mit feuchten Augen): Bitte, er wird zärtlich.

Mai(stockend): Er ist doch nicht gut gewachsen und feurige Augen.

Luise: Aber er wird doch zärtlich.

Beide tragen den Rest ihrer Bilder hinüber

Luise: Bitte sehr. Wir können es uns leisten. Es sind 174 von mir und 166 von der Fräulein Mai. Die Witwe Weihrauch hat auch beinahe 150.

Weihrauch: No, da hab i halt am wenigsten.

Barloch: Kommt alles ins Feuer. Kommt alles ins Feuer. Helfts mit, Leutln. I brauchet euch net. I hab's in meine Ärm. I kennts no dreimal so groß derpacken. Aber i bin net neidig. Helfts alle mit! (zur Witwe Weihrauch) Alstern du kannst amal mithelfen. (Er klatscht ihr eine über den Rücken)

Luise(die mit Hand anlegt): Bitte auch.

Anna: Jetzt helfen alle mit. Jetzt wofür hast di so plagt?

Mai(die neben Anna Barloch zurückbleibt, bezwungen): Gut gewachsen und feurige Augen.

Anna: Jetzt hast es.

Man hört aus der Ferne denAusrufer: Und wir, und wir, und wir, und wir, meine Herrschaften!

François Fant, jung und elegant, tänzelt heran. Hinter ihm derNada-Franzl, ein alter Dienstmann, unter einer schweren Last von Spiegeln keuchend.

Nada: Schwer, schwer, junger Herr.

Fant: Nur weiter, es wird schon gehen.

Nada: Wann i des gwußt hätt, daß S' so viel Spiegeln habn! A so schwer!

Fant: Lieber Freund, entweder oder.

Nada: I mein ja nur.

Fant(bleibt stehen): Übrigens, wenn Sie nicht weiter wollen, ich find auch wem andern.

Nada(erschrocken): Aber i bitt schön, junger Herr, das war net so gmeint. Mit meine grauen Haar. Wer wird denn gleich bös sein?

Fant: Also bitte.

Nada: Jegerl! Jegerl!

Fant: Was haben Sie denn schon wieder?

Nada: Nix.

Fant: Ja wo sind Sie denn? Können Sie sich nicht beeilen?

Nada: I mein, i kann nimmer.

Fant: Wenn Sie noch lang solche Faxen machen, schlepp ich selber was.

Nada: Um Gottes willen, junger Herr, tun S' mir die Schand net an! Mit meine grauen Haar! Wenn d' Schwester des wüßt! Jetzt bin ich schon 56 Jahre Dienstmann.

Fant: Also bitte.

Nada: Es ist ja nur das Alter.

Fant: Jeder tut seinen Teil.

Nada: Recht haben S', junger Herr. Wie –n– i d' Schwester no ghabt hab …

Fant: Jetzt noch das kleine Stückerl.

Nada: Glei! Glei! Die Schwester hat Franzi gheißen und i heiß Franz.

Fant: Also bitte, wirds bald. Wir kommen zu spät.

Nada: Weiter.

Fant: So ists recht, weiter. Jeder tut seinen Teil. Jeder opfert was. Ich opfere meine ganzen Spiegel, das sind 14 Spiegel. Sie helfen mir, die Spiegel tragen, weil Sie sonst nichts zum Opfern haben. Es kann nicht jeder so große Opfer bringen. Was glauben Sie, wieviel die Spiegel wert sind?

Nada: No, die müssen an Wert haben! Die Franzi, was meine Schwester war …

Fant: Was schätzen Sie?

Nada: No, kolossal! Die Franzi …

Fant: Das will ich meinen. Kolossal ist überhaupt nichts dagegen. Die zerhau ich jetzt alle mit einer Hand, mit Bällen heißt das. Elegant.

Nada jappt

Fant: Aufpassen, da kommt ein Stein! Daß Sie mir nichts zerbrechen! Aufpassen, sag ich! Sie schonen die Spiegel gar nicht!

Nada jappt und jappt

Fant (schreiend): Jetzt sind nur noch drei Minuten. Los! Los! Drei Minuten! Dann können Sie faul sein, soviel Sie wollen.

Nada bricht zusammen, die Spiegel klirren

Fant(wütend): Das hat noch gefehlt! Man soll kein Mitleid haben. Ich hätt mir wem andern nehmen können, und das hätt mich auch nichts gekostet. (Er stößt den Alten mit dem Fuß beiseite) Es wird doch nicht alles zum Teufel sein? 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8. 8 Stück sind noch ganz. Es hätt auch ärger ausgehen können. Wer schleppt mir das Zeug jetzt hin?

Franzi Nada, eine alte Dienstmagd, kriecht daher

Fant: No, wo gehts denn hin, Mutterl?

Franzi: I mecht zum Fest. I hab nur nix. Anschaun mecht i's halt, wann i schon nix hab.

Fant: No, wart, da wern mir schaun. Du kannst die Spiegel nehmen, 8 Stück, daß d'auch was zum Hintragen hast.

Franzi: Nein so was! So was! Jetzt krieg ich ehrlich die 8 Spiegel! Nein so was! So was!

Fant(packt ihr die Spiegel auf): Schad is es halt nur um die Scherben.

Franzi: I paß schon auf, junger gnä' Herr, i paß schon auf. Da brauchen S' keine Angst net habn. Mein Bruder war selber Dienstmann.

Fant: Gut gepackt, ja?

Franzi: I dank vielmals, gnä' Herr. Mein Bruder, der was Dienstmann war, den hab i verlorn vor dreißig Jahrn. I dank vielmals, gnä' Herr. Er hat Franzl gheißen, und ich heiß Franzi. Nein so was! I küß d' Hand, gnä' Herr. Jetzt hab i gmeint, ich triff ihn beim Fest, weil ein Dienstmann, der muß do da ztun habn.

Fant: Interessant. Aber jetzt los! Die schönen Scherben.

Franzi: I dank vielmals, gnä' Herr, a so was! I dank vielmals, i küß d' Hand, gnä' Herr, i küß d' Hand, gnä' Herr, gar vielmals.

Fant: Die schönen Scherben. Vierzehn Spiegel hätt ich hingebracht.

Franzi: I küß d' Hand, gnä' Herr. So ein feiner, ein lieber, ein guter gnä' Herr.

Während sie abgehen, hört man denAusrufer: Und wir, und wir, und wir, meine Herrschaften, und wir …

Der alteNadaerhebt sich mühselig und greift seine Knochen ab: Mit meine grauen Haar! So eine Schand! Wenn die Franzi jetzt des gsehn hätt!

Sechs kleine Mädchenkommen dahergehüpft

Hansi: Ich darf mit.

Puppi: Ich darf auch mit.

Gretl: Die derf net mit!

Puppi: O ja, ich darf.

Gretl: Nein, die derf net mit!

Hansi: Ich darf mit.

Lizzi: Schauts her alle, ich hab was!

Hansi, Puppi, Gretl: Zeig!

Lizzi: Nein, ich zeigs nicht.

Hedi: Geh zeig, wenn dus zeigst, darfst du einmal schlecken. (Sie hält ihr ein Bonbon hin)

Lizzi: Erst darf ich einmal schlecken.

Hedi: Gut! (Feierliches Schlecken)

Lizzi: So, jetzt zeig ichs. Aber nur dir. Die andern dürfens nicht sehn.

Gretl: Geh, die ist so neidig.

Lori(die bisher ruhig abseits stand): Die hat ja gar nichts.

Lizzi(dreht sich blitzrasch um): Dir zeig ichs einmal nicht.

Hansi, Puppi, Gretl: Die hat ja gar nix, die tut nur so.

Lizzi: Kommts alle her, ich zeigs euch. Nur die Lange, die darf nicht.

Hansi, Puppi, Gretl laufen hinüber

Lori geht verächtlich noch mehr zur Seite

Hansi, Puppi, Gretl laufen aufgeregt zu Lori hinüber und reden laut durcheinander

Gretl: Die hat eine Photographie von ihrem Vater.

Hansi: Die darf sie verbrennen.

Puppi: Von ihrer Mutter hat sie auch eine.

Hedi: Und vom großen Bruder.

Gretl: Die hat sie mitkriegt von z'haus.

Puppi: Ich hab keine gekriegt.

Gretl: No ja du, du derfst ja gar net mit.

Puppi(fängt an zu weinen): Ich darf mit.

Lizzi: Laßt sie in Ruh! Die darf mit. Ich nehm sie mit. Ich nehm sie mit mir.

Die andern schweigen verlegen. Puppi lacht wieder.

Lizzi(zu Lori): No, hab ich was? Jetzt kannst nix sagen. Kannst was sagen? Nix kannst sagen. Die ist von meinem Papa. Die ist von meiner Mama. Die ist von meinem großen Bruder.

Lori: Gestohlen wirst du sie haben.

Lizzi(schlägt ihr ins Gesicht): Jetzt so gemein! Gemein, gut, sagt mein Papa, aber jetzt so gemein!

Lori(lacht höhnisch): Wieviel hast du? Drei? (Sie holt aus ihrer Bluse ein Paket heraus) Ich hab dreiundzwanzig. (Sie hält sie ihr vor's Gesicht) Gestohlen hab ich's auch nicht. Meine Mutter ist krank, und da geh ich für sie auf's Fest.

Die Mädchen stellen sich alle zu Lori hinüber

Lizzi(zu Puppi): Du gehst auch mit der?

Puppi: Die hat ja dreiundzwanzig.

Lori: Komm, ich nehm dich mit, du darfst mit.

Lizzi: Ich schenk dir das Bild von meinem Bruder.

Puppi zögert

Lori: Und ins Feuer gibst es du, gell?

Puppi: Darf ich den Bruder selber ins Feuer werfen?

Lizzi: Nein, meinen Bruder nicht, meine Mama, die darfst du.

Hansi: Ich nimms.

Gretl: Ich auch.

Hedi: Ich auch.

Puppi: Jetzt krieg ichs!

Lori: Geh, bleib da, ich schenk dir zwei Bilder. (Sie löst das Päckchen aus der Bluse, nimmt zwei Bilder heraus und gibt sie der Puppi)

Puppi(hält den andern die Blätter vor die Nase): Jetzt hab ich zwei!

Hansi: Ich will auch!

Gretl: Ich auch!

Hedi: Ich auch!

Lizzi: Die Mama kannst haben, dafür darf ich noch einmal schlecken.

Hedi: Gut.

Lori: Geh, bleib da, du kriegst auch zwei. (Sie löst wieder ihr Päckchen aus der Bluse und überreicht auch der Hedi zwei Bilder)

Hedi(stößt Puppi):