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Dieses eBook: "Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Autobiografie" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Lena Christ (1881-1920) war eine bayerische Schriftstellerin. Heute ist Lena Christ als bedeutende deutsche und bairische Autorin anerkannt. Mit Erinnerungen einer Überflüssigen, Die Rumplhanni und Matthias Bichler schuf sie drei bleibende Werke. Beeindruckend ist unter anderem die Verarbeitung ihrer eigenen Beobachtungen und Erlebnisse in ihren Büchern, die einen tiefen Einblick in das ärmliche Leben der Arbeiterklasse, der Dienstboten und der Landbevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts geben. Inhalt: Romane: Mathias Bichler Die Rumplhanni Madam Bäuerin Erzählungen: Bauern - Bayerische Geschichten Die Freier Die Scheidung Die blaue Krugel Die Hochzeiterinnen Der Guldensack Der Schatz des Toten Henn um Henn - Hahn um Hahn Die närrische Zeit Die Erbschaft Lord Der Steinriegerbauer Der Räuber Blasius Das neue Hausregiment Die Ostereier der Reiserbuben Der Dorfdummerl Schauer Feierabend Lausdirndlgeschichten Die Blutegel In der Spinnstuben Die Feuersbrunst Beim Weber Der Bettelsack Die Obstlese Das Verbrechen Ich bin wieder da Der verlorene Sohn Die Frau Bas Das Femgericht Das gute Geschäft Die ganze Sippschaft Die Gabler Minna Die Familienfeier Wo ist mein Vater? Autobiografie: Erinnerungen einer Überflüssigen
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Die Rumplhanni, Erinnerungen einer Überflüssigen, Bayerische Geschichten, Madam Bäuerin, Mathias Bichler, Lausdirndlgeschichten...
Meine Kostmutter hat mir gesagt, daß ich am vierten Sonntag nach der Erscheinung des Herrn, also gerade an dem Tag auf die Welt gekommen bin, da in Sonnenreuth der erste Viehmarkt im Jahr ist.
Wer meine Mutter ist, hat sie gesagt, das weiß sie nicht; und von meinem Vater hat sie bis auf den heutigen Tag nichts gesehen. Ich auch nicht; und ich glaube fast, daß es wahr ist, was die alte Irscherin, die Waldhex, gesagt hat: nämlich, daß ich ein Wechselbalg bin, bei dem die Truden und Unhold Gevatter gestanden sind.
Das aber ist einmal gewiß: Ich bin an dem obgemeldeten Tag auf d' Nacht nach dem Gebetläuten vor der Haustür der alten Weidhoferin gelegen und habe durch mein jämmerliches Wimmern die Leut erschreckt. Denn wie der Weidhofer, der Meßmer von Sonnenreuth, vom Gebetläuten heimkommt und zu der Haustür hineinwill, liegt was am Boden. Er stößt mit dem Fuß daran hin, da fängt es an zu wimmern. Der Weidhofer macht's Kreuz; dann aber hebt er das Päcklein auf und trägt's hinein in die Stuben.
Und wie sie den ganzen Haderlumpen auseinandergewickelt haben und haben geschaut, da war's ich.
Und auf einem Zettel ist es gestanden: daß ich heut nacht zur Welt gekommen und noch nicht getauft bin, und daß die Gemeinde schon für mich zahlen wird.
Da hat die Meßmerin gesagt: »In Gott's Nam; zieht man'n halt auf, den Wurm!«
Und sie hat mich am andern Tag aus der Tauf gehoben und hat mir eine Wiegen in ihre Schlafkammer gestellt und an ihre Bettstatt gerückt.
Und einen Namen hat sie mir gegeben, nach ihrem Sinn und Stand, und ich heiße: Mathias Bichler, der Weidhoferbalg. Denn da man keinen Vater noch eine Mutter gewußt hat, die mir hätten ihren Namen geben können, so hat halt die alte Weidhoferin den ihrigen hineingesetzt ins Taufbuch und hat gemeint: »Alt ist er und gut auch, und er wird schon auskommen damit und vielleicht einmal ein rechtschaffener Bauer werden, wie der alte Bichler, Gott hab ihn selig, einer gewesen.«
Aber es ist wohl ein wenig anders gekommen; und ich habe schon von klein auf zu allem andern mehr Lust und Geschick gezeigt als zu einem Bauern.
Auch bin ich nicht, wie andere Bauernkinder, stundenlang auf dem Stubenboden oder im Hausflöz gehockt, zufrieden, wenn man mir einen leinenen Schnuller in den Mund steckte und den Stiefelzieher auf den Schoß legte als Spielzeug. Ich begann vielmehr, kaum ich ein vier, fünf Jährlein alt und Herr über den Gebrauch meiner Glieder geworden war, allerlei Wünsche und Neigungen zu betätigen, die wenig zu einem genugsamen und geraden Bauernwesen paßten.
Am liebsten schlich ich mich in die Künigkammer, die beste Stube des Hauses, in der seit Menschengedenken aller Prunk und Glanz des Weidhofs angehäuft wurde.
Da wühlte ich in den Truhen und Schränken, behängte mich mit seidenen und blumendurchwirkten Tüchern, silbernen Ketten und schimmernden Flachszöpfen, setzte die alte, hohe Pelzhaube des seligen Weidhoferahnls auf und stellte mich so herausgeputzt vor den Spiegel des Glaskastens und betrachtete und beschaute mit viel Ergötzen meine Herrlichkeit. Sodann kletterte ich auf Tisch und Stuhl, nahm die alten, vergoldeten Heiligenbilder von den Wänden, lehnte sie der Reihe nach rings um die Ofenbank und begann, vor diesen auserlesenen Zuschauern die wunderlichsten Tänze und Sprünge auszuführen.
Oder ich trieb mich auf dem Dachboden herum und trug dort alles zusammen, dessen ich irgendwie habhaft werden konnte: Decken, Schüsseln, Messer, Mausfallen, Weichbrunnkrügl, Gebetbücher; ja sogar das Vogelhaus samt dem Hansl und die Blumenstöcke vom Söller schleppte ich dahin.
Dabei hatten alle diese Dinge in meinen Spielen ihre Bestimmung; sei es nun, daß der Vogelkäfig zum Weidhof und die Blumenstöcke zum Obstgarten wurden, oder daß aus den Gebetbüchern ein ganzes Bauerndorf erstand, indem ich sie halb geöffnet auf den Boden stellte, die Messer als Bewohner dieses stillen Orts in die Ritzen des Fußbodens steckte, während ich den Käfig bald zur Kirche, bald zur Schule machte und der flatternde, kreischende Vogel bald zum Schulmeister, Pfarrer oder gar Herrgott erhöht wurde.
Rings um dieses Dorf hing ich dann die Decken über altes Gerümpel und nannte sie das Gebirge, während ich in die Schüsseln von den Bergen aus Quellen, Teiche oder gar Seen erschuf, welche Tat mir freilich einmal eine Tracht Prügel eintrug, als der Weidhofer, der schon überall nach mir gesucht hatte, mich, als ich eben regnen ließ, in dieser seltsamen Gegend fand.
Nun hat mir einmal der Bürgermeister im Zorn darüber, daß ich in seinem Garten die schönsten Frauenbirnen vom Baum gebrockt und in den eigenen Sack gesteckt hab, nachgeschrien, daß ich ein Zigeunerbalg und von teuflischen Gauklern sei.
Auch sonst wies allerlei darauf hin, daß ich kein Bauernblut im Leib gehabt, vielmehr ein loser Vogel und von abenteuerlichem Wesen war, auch jede Kameradschaft mit andern Kindern meines Alters vermied und mich, weiß Gott wo, herumtrieb, daher meine Ziehmutter auch viele Kümmernisse mit mir ausstand.
Sie war ein ruhiges und gottesfürchtiges Weib und hatte das Haus voll Kinder, ohne selber jemals eins geboren zu haben. Es waren lauter fremde, die sie um ein Vergeltsgott und etliche Kreuzer Kostgeld aufzog. Sie fragte nie lange, woher oder von welchen Leuten so ein Wurm kam; mit gutem Herzen nahm sie ihn in die Arme und war ihm eine rechte Mutter.
Wenn ich an den langen Winterabenden in der Stube hockte und mit dem Ziehvater Besen band oder der Mutter das Garn vom Spinnrocken verzwirnte, da erzählte sie oftmals den Mägden von ihren Eltern und deren Schicksalen.
Lebendig steht er noch vor mir, der selige Weidhofer, wie ein knorriger, trutziger Baum, mit allen Bauerntugenden, die seine einzige Tochter, meine Kostmutter, von ihm rühmend berichtete.
Er hatte den Weidhof schon als junger Bursch übernehmen müssen, nachdem ihm der schwarze Tod über Nacht die Eltern und das Gesinde weggeholt hatte. Er war damals gerade im Tirolerland gewesen bei einem Vetter, als ihm flüchtende Bewohner des Heimatdorfes die Hiobsnachricht zutrugen. Kurz darauf holte er sich eine Bäuerin aus der Umgegend, die ihm neben dem stattlichen Brautschatz auch einen sparsamen Sinn und ein Paar riegelsame Arme mitbrachte. Mit ihr hauste er fünfunddreißig Jahre und war zufrieden und angesehen. Und als er ihr nachmals ein verschnörkeltes Grabkreuz und den alten Efeustock auf ihren Hügel setzen mußte, half ihm eine einzige Tochter trauern und den Hof versorgen. Diese Tochter aber war meine Ziehmutter.
Sie war damals ein hageres, gelbhaariges Mädchen, das nüchtern und gelassen alle Dinge nahm, wie sie kamen. Daher sagte sie auch ohne viel Besinnen ja, als der Meßmerkaspar, ein ungeschlachter, aber gutmütiger Mensch, um sie anhielt.
Der alte Weidhofer hätte es nun freilich anders im Sinn gehabt, und der Antrag des mageren Freiers war nicht nach seinem Willen; doch brachte er es nicht über sich, seinem einzigen Kinde dies zu sagen, und so wurde bald still Hochzeit gehalten.
Nach Wunsch und Willen des Weidhofers blieben beide im Haus; denn obschon der immer noch rüstige Alte nicht um alles den Weidhof bei Lebzeiten seinem Schwiegersohn übergeben und sich ins Austragstüblein gesetzt hätte, wollte er doch nicht, daß seine Wabn als Meßmerin in einer Häuslleutwirtschaft ein kümmerliches Brot äße.
Und nachdem er sich als fast siebzigjähriger Greis zu seiner seligen Bäuerin in die Grube gelegt hatte, übernahm der Meßmerkaspar den Hof und nannte sich von nun an Weidhofer.
Seine Ehe mit der immer hagerer und bleicher werdenden Wabn blieb kinderlos, obschon diese die mannigfachsten Gelöbnisse und Wallfahrten unternahm. Schließlich tröstete sie sich und begann, ein innerliches, gottseliges Leben zu führen, las fleißig den Thomas von Kempis und andere fromme Werke und hielt im Haus auf Zucht und Gottesfurcht.
Da hätte sie es denn freilich gern gesehen, daß ich, nachdem ich die ersten paar Hosen auf der Schulbank zerrissen hatte und anfing, ein ziemlich wohlgestalter, kleiner Bursch zu werden, auch zugenommen hätt an Weisheit; denn mein Ziehvater, der Meßmer, jammerte um einen Ministranten. Wohl waren unter den sieben Kostkindern, die sein Weib aufzog, vier Buben; allein, er konnte keinen für dies Amt gebrauchen. Der lange Ambros war so dumm, daß er das Glöcklein nicht einmal bedienen konnte bei der Messe, geschweige denn dem Pfarrer antworten. Der Fritz war noch im Flügelrock, und Hans und Hausl mußten schon aufs Feld.
Da sagte die alte Mutter oft zu mir: »Mathiasl, schau, daß d' gscheiter wirst!«, oder: »Mathiasl, guck, unser lieber Herr braucht'n Knecht!«
Und der Weidhofer, mein Ziehvater, setzte sich mit mir auf die Hausbank und lehrte mich das Konfiteor, das Deo gratias und noch gar vieles.
Oft nahm er auch ein paar alte Milchkännlein und wies mir, wie man den Priester beim Amt bedient und bei der Messe.
Dies alles hätte mir wohl gefallen, und ich begriff schnell und mit gutem Verstand, was er mir zeigte; allein die Leute sagten, daß es eine Sünde sei, wenn so ein hergelaufener Balg am Altar des Herrn bediene. »Wer weiß«, sagten sie, »von wem er stammt, und was für ein gottloses Gewerbe vielleicht seine Eltern getrieben haben!« Und etliche Bauern sagten: »Wir haben selber Buben; wir brauchen keinen gelegten!«
Also durfte ich nicht in die Kirche und zum Altar, und der Weidhofer schickte mich nun mit dem Vieh auf die Weide, und ich wurde der Hüterbub.
Das war freilich keine harte Zeit für mich, und ich hatte viel der Weil für allerhand Dinge, die meinem Sinn damals noch näher lagen als Gebetläuten und Kirchendienen.
Aus Weidenstäbchen schnitt ich mir kleine Pfeifen und brachte es dabei auf eine solche Anzahl, daß ich mit ihnen das Te deum blasen konnte. Sie lagen alle, den Tönen nach geordnet, auf einem Felsblock, und ich vergnügte mich viel mit ihnen.
Oder ich machte Wasserspritzen und Luftpistolen aus Holunderholz und verhandelte sie sonntags nach der Kirche am Gottesackertürl gegen alte Silbergroschen, Glaskugeln, Adlerfedern oder andere Sachen, von denen ich in einem Felsenloch schon ein gutes Häuflein beieinander hatte.
Darinnen saß ich oft stundenlang und unterhielt mich mit diesen leblosen Dingen, als seien sie meinesgleichen.
Ich stellte etliche wunderlich geformte Wurzelstöcke an die Felswand, daß sie die Bauern wären; und die kauften oder verhandelten alsdann die Kostbarkeiten, wobei ich jedem eine andere Stimme lieh und ein anderes Temperament, gerade so, wie ich es an den Festtagen auf dem Kirchplatz von Sonnenreuth gesehen und gehört hatte.
Zu meiner Kinderzeit hat man in Sonnenreuth den Schulzwang noch nicht gekannt; daher auch der Weidhofer, mein Kostvater, seine Pfleglinge, um an Schulgeld zu sparen, kaum sie ein paar Tafeln zerschlagen hatten, wieder von dieser gelehrten Stätte hinwegholte und an die Arbeit spannte. Da mußte denn ein jedes, sei es nun im Stall oder draußen in Feld und Wald gewesen, aus sich selber die Bildung des Verstandes und der Seele vollenden. Zum besseren Gedeihen dieses Werkes gab mir die Ziehmutter eine zerschlissene Fibel, eine alte Legende und das Evangeliumbuch mit auf die Alm, daraus ich dann oftmals meinen hölzernen Freunden in der Höhle vorgelesen und gepredigt habe.
Da geschah es wohl bisweilen, daß das Vieh, während ich in dem Verstecke mit mir selber Jahrmarkt oder Christenlehre hielt, auf und davon ging, so daß ich großen Fleiß brauchen mußte, es wieder zusammenzubringen.
Dabei ist es auch einmal geschehen, daß sich eine Kalbin, die vielleicht aus irgendwelchen Ursache erschreckt geflüchtet war, so sehr verstiegen hatte, daß ich nimmer glaubte, sie lebend wieder zu erlangen. Sie stand blökend auf einem kaum armbreiten Felsvorsprung des Schwarzenbergs und konnte nicht vor noch zurück; ich weiß beim Himmel nicht, wie sie dahin gekommen.
In meiner Not fiel mir ein, ich könnte mich zu unserer lieben Frau vom Birkenstein verloben, und ich versprach ihr sechs von meinen alten Silbergroschen, wenn ich meine Kalbin heil und unverletzt herunterbrächte. Ich weiß aber nicht wie es kam, oder ob sie half: In diesem Augenblick kamen ein paar fremde Gesellen aus einer Felsenrinne hervor und halfen mir das Vieh herunterschaffen.
Es waren aber Pascher oder Schmuggler, die das Revier auskundschafteten; und sie fragten mich des langen und breiten um alle Weg und Steg. Gern und willig gab ich ihnen über alles Aufschluß, froh, daß ich die Kalbin wieder hatte; denn mein Ziehvater, der Meßmer, war ein strenger, jäher Mann, der in der ersten Hitze oft manches tat, was ihn nachher gereute.
Also hatte unsere liebe Frau von mir ein Gelöbnis erhalten, und mich dünkte, daß ich es nun auch alsobald ausführen müsse, wenn ich ihr gefällig sein wollte.
Und ich begann alsbald, mein Felsloch auszuräumen und die Schätze im Sonnenlicht auszubreiten; es war ein gerechtes Häuflein. Aber es wurde mir nicht leicht, mich so ohne weiteres von den schönen, funkelnden Silberstücken zu trennen; immer wieder drehte ich sie zwischen den Fingern, legte sechs in die linke Hand, wog sie, schüttelte sie und schob sie endlich schnell wieder in den Sack, indem ich halblaut vor mich hin sagte: »Nein, diese nicht! Ich suche andere aus!«
Doch auch mit diesen ging es mir nicht besser, bis ich endlich unvermittelt das ganze Häuflein zusammenraffte und wieder in die Höhle steckte.
So trieb ich es acht Tage lang; da kam das Fest Mariä Himmelfahrt. Für diesen Tag hatte ich mir von der Weidhoferin Urlaub zur Wallfahrt erbeten, und sie schickte mir den langen Ambros, daß er für mich zwei Tage den Viehhüter mache.
Der brachte mir in einem Bündel ein Stück Käse, Brot und die Nagelschuhe, dazu mein gutes Jöpplein und den Rosenkranz. Auch ein Wachs und eine dicke Silberkette legte er mir hin und sagte: »Das sollst unserer lieben Frau mitnehmen von der Weidhoferin. Und du sollst ein paar Vaterunser für sie beten und die Meinung machen, daß dies nur grad eine Drangab ist zu der Verlöbnis, die sie getan hat. Und sie kommt schon noch selber, dies Jahr, und tut ihren Dankgott!«
Da gab es mir einen Riß. Meine Kostmutter hatte mir hier ihren kostbarsten Schmuck, ihre Brautkette, für die liebe Frau geschickt, weil sie kurz zuvor bei dem scharfen Hagelschauer ihre Felder wunderbar beschützt hatte; wie durfte ihr nun ich, dem sie nicht weniger wunderbar geholfen hatte, meine paar Silbergroschen verweigern!
So eilte ich denn in die Höhle, steckte eine Hand voll Münzen in meine lederne Hose, schob die übrigen in die dunkelste Ecke und dachte, daß die Himmelmutter wohl mächtig genug sei, mir das Opfer, welches ich ihr hiedurch brachte, hundertfach zu vergelten.
In diesen Gedanken legte ich die Schuhe an, hing die Joppe über die Achsel und sagte: »Ambros, jetzt geh i halt in Gotts Nam. Pfüate Gott!«
Und zum Vieh sagte ich noch, daß ich ihnen einen besonders großen, kräftigen Segen mitbringen wolle und daß ich sie schon einschließen würde in die Andacht.
Dann nahm ich das bunte Sacktuch, in welches das Opfer der Meßmerin eingewickelt war, hing es an meinen Stecken, lupfte mein Hütl und machte mich auf den Weg.
Obgleich ich erst etwa zwölf Jahre zählte und noch nicht über unsere Alm hinausgekommen war, fehlte es mir nicht an Schneid; es war mir genug, daß die Nandl, unsere Schwaigerin, einmal mit der Hand gegen den Wendelstein gewiesen und dabei gesagt hatte: »Siehst Mathiasl, dort hint is unsa liebe Frau vom Birknstoa. Grad unterhalb vom Wendlstoa!«
Darum wandte ich mich sogleich gegen diesen, suchte mir einen Weg, der in der Richtung führte, und trabte frisch dahin, indem ich wohlgemut ein Frauenlied ums andere hinaussang.
Dabei schaute ich immer wieder hinter mich, ob mir keine Kuh oder Geiß nachkämen und horchte auf das immer ferner klingende Geläute des Viehs. Doch bald lag alles weit hinter mir in bläulichen Dunst und Nebel eingehüllt, und ich stieg langsam auf einem einsamen Waldweg, zu dessen Seiten ein kleines Wasser talab floß, bergan.
Eine große Stille war rings um mich her; nur der Schrei des Hähers, das Singen der Waldvögel und das Summen der Hummeln und Wespen tönte an mein Ohr. Kein Mensch begegnete mir; nur ein paar Rehe sprangen erschreckt davon, als sie mich so unvermerkt vor sich sahen. So stieg ich weiter, bis ich, den Wald hinter mir lassend, über eine Almwiese wanderte, mit großen, erstaunten Augen hinabschauend auf eine weite Welt, von deren Größe ich mir keine Vorstellung machen konnte. Wohl an die zehn Kirchtürme erblickte ich da, die bald spitzig wie ein Griffel, bald rund wie unsere Edelbirnen oder sonst wunderlich geformt im Sonnenlicht glänzten.
Ich blieb stehen, stützte das Kinn auf den Stock und sah unverwandt hinab und dachte, was das wohl schöne Orte sein möchten, und ich wäre gern einmal in jedem gewesen. Da erhielt ich plötzlich einen heftigen Stoß von rückwärts, daß ich rittlings über meinen Stecken fiel; und da ich aufsah, stand ein Bauer zürnend und greinend hinter mir und schrie, daß es mir durch alle Glieder fuhr, ich solle schauen, daß ich aus seinem Grund und Boden hinauskäme; und wenn er noch einmal so einen verdammten Ellbacher Lumpen in seinem Rain fände, könnt schon sein...!
Ich erwiderte ihm zwischen Zorn und Schreck, daß ich gar kein Ellbacher sei, ja, daß ich diesen Ort gar nicht wisse. »I bin doch der Weidhoferbalg von Sonnenreuth!« sagte ich; »und ich geh nur grad wallfahrten auf Birkenstein!«
Da schaute er mich erst zweifelnd, dann lachend an und meinte: »Wie sagst? Vom Weidhofer z'Sonnenreuth?«
Und als ich, wieder aufstehend, nickte, sagte er, dann solle ich nur da weitergehen: »Gleich da hinten bei dem Zwiefiturm ist Fischbachau; balst dich a weni schleunst, nachher gehst es leicht in zwo Stund!«
Ich nickte wieder, und nachdem ich ihm noch mürrisch »Pfüa Gott« gesagt, lief ich davon.
Der schmale Wiesenpfad führte wieder in einen Wald, und ich eilte nun, ohne zu rasten, dahin, bis ich auf eine breite Straße kam, an der ein Wegweiser nach Ellbach und Durham zeigte. Indem ich nun bald auf den Weg, bald auf die Tafel blickte, donnerte ein Schuß durch die Berge und gleich darauf noch mehrere. Ich dachte, daß es gewiß Böller sein möchten, und hörte aufmerksam auf die Richtung, woher sie kamen. Da drang plötzlich, erst verworren, dann immer deutlicher, lautes Beten an mein Ohr, ich blickte mich um, da sah ich eine große Schar Männer und Frauen die Straße heraufkommen, Fahnen und Kreuze tragend und den glorreichen Rosenkranz betend. Voran gingen zwei Priester im Chorhemd; etliche Ministranten mit roten, goldverzierten Schulterkrägen folgten ihnen und trugen kranzgeschmückte Statuetten der Heiligen auf langen Stangen, und dahinter reihten sich die Beter. Sie schritten alle gebeugt, und der Schweiß stand vielen auf dem Gesicht, doch hielten sie eine schöne Ordnung; und es gingen auf der rechten Straßenseite die Frauen und auf der linken die Männer hintereinander, also daß die ganze Straßenbreite leer zwischen ihnen blieb. Ein Mann im Chorrock lief mit einem langen, silbernen Stab beständig den Zug entlang und schrie mit großem Nachdruck immer die ersten Worte eines jeden Ave Maria hinter sich, worauf die Beter alle zu gleicher Zeit einfielen; und es war die Ordnung also, daß die Männer den Gruß vorbeteten, die Frauen aber mit der Bitte nachkamen.
Ich zog mein Hütlein, ließ sie an mir vorüber und folgte ihnen, überzeugt, daß es Wallfahrer seien, die gleich mir die Mutter vom Birkenstein heimsuchten.
So war es auch; und wir zogen unter dem Geläute der Glocken durch die Orte, und es kam mir vor, als trabte eine große Schafherde vor mir her, der ich als ein junges Hündlein oder wie ein krummgehendes Lamm folgte. Doch zog ich auch meinen Rosenkranz aus dem Sack und schrie mit vieler Kraft mein »Gegrüßt seist du, Maria« hinter den Betern, so daß sich endlich die letzten umsahen und mir ganz freundlich und ermunternd zunickten.
Immer noch krachten die Böller; und ich dachte, daß es nun nicht mehr weit sein könne bis zu dem Ort, wo sie abgefeuert wurden; denn sie donnerten hart, und ihr Schall brach sich unmittelbar an allen Wänden.
Langsam bewegte sich der Zug bergan, vorüber an kranzgeschmückten Häusern, und von allen Seiten strömten Pilger herbei und schlossen sich ihm an. Und während ich, neugierig einen vollbesetzten Wirtsgarten betrachtend, gedankenlos noch meine Ave Maria schrie, verschwanden droben allmählich die Fahnen und Statuetten hinter den Birken eines von Menschen dichtumlagerten Felsens, von dem das Geläute silberner Glocken tönte, der Glocken der Kapelle unserer lieben Frau vom Birkenstein.
Allmählich zerteilte und löste sich der Zug in Gruppen, und ich schob mich behende durch die Versammlung vor dem Kirchlein; denn ich wollte meine Aufgabe vollbracht haben. Darum stieg ich sogleich die schmale Holztreppe hinauf, die zu einem Wandelgang führte; der zog sich rings um das Kirchlein und war an Decke und Wänden mit Votivtafeln und Gemälden dicht behangen. Ein niederes Tor stand weit geöffnet, und der Duft von Weihrauch und Kerzen drang heraus. Ich zwängte mich durch einen dichten Knäuel von Bäuerinnen und schlüpfte ungeachtet ihrer erzürnten Mienen und Reden hinein in die Kirche.
Eine tiefe Stille war hier trotz der großen Zahl der Betenden, und man hörte nichts als das Fallen der Rosenkranzperlen und das Knistern seidener Schürzen und Kopftücher. Nur manchmal begann irgendein Weiblein zu seufzen oder zu hüsteln, oder es entstand ein kleines Geräusch durch eine abrinnende Opferkerze. Ich empfand diese Stille und die Schwüle in dem winzigen, vollgepfropften Raum ganz beängstigend und suchte, da mir zudem auch jeder Blick auf den Altar durch die Erwachsenen unmöglich war, in die Nähe desselben zu gelangen. Ich schob mich daher bald hier, bald dort an einer seidenen Schürze vorbei, trat wohl auch manchmal einem oder dem andern auf die Zehen, bat diesen oder jenen Bauern, mich durchzulassen, und brachte es am Ende zustande, daß ich mich an der Stufe des Hochaltars befand.
Heißa! Riß ich da die Augen auf! In einem magischen roten Licht, umgeben von goldgeflügelten Cherubinen und kleinen Engeln, die auf rosenrot leuchtenden Wolken schwebten, stand die Mutter mit dem Kind. Beide trugen goldene, steingeschmückte Kronen und reichverzierte Prunkmäntel; insonderheit der schwere, weitausgebreitete Purpurmantel unserer lieben Frau erregte in mir Staunen und Verwunderung. Das Bild schien mir zu schweben, und bei dem unsteten Schein der vielen Kerzen glaubte ich fast, es lebe; denn es stand frei, hoch über dem Altar, und hielt ein Zepter mit so lieblicher Gebärde, wie nur ein lebendes Wesen dies tun kann. Und ich dachte, wie es doch möglich gewesen wäre, ein solch köstliches Werk zu schaffen und aus dem ungefügen Holz zu schneiden; denn der Weidhofer hatte mir erzählt, daß es holzgeschnitzt und bemalt sei. Und mit einem Male trat ein Wunsch auf meine Lippen, an den ich noch nie zuvor gedacht: Ich möchte ein solcher Meister werden, wie der dieses Bildes einer gewesen. Inbrünstig sagte ich ihn drei-, viermal vor mich hin, und das letztemal muß ich es wohl laut getan haben; denn eine Stimme hinter mir flüsterte erzürnt: »Bist net glei stad!«
Ich wandte erschreckt den Kopf, und es war mir, als sei ich aus einem Himmel gerissen worden; die ganze Andacht war dahin, und ich dachte an nichts mehr, als wie ich am schnellsten aus den Augen dieser Menschen käme. Da trat eine dicke Bäuerin vor und legte mit vielen Kniebeugen und ehrfürchtigen Gebärden eine dicke Kerze und ein verschnürtes Päcklein auf den Altar. Sogleich folgten noch etliche, und ich erinnerte mich dabei, daß ich nun auch mein Opfer hinlegen müsse.
Also holte ich erst meine Silbergroschen aus dem Sack und legte sie abseits von den andern Gaben auf den Altar; sodann band ich das Tuch auf und wollte schon das Wachs herausnehmen. Aber da fiel mir ein, daß ich auch etwas zu beten hätte, und ich sagte nun, indem ich das Tüchlein geöffnet mit beiden Händen hielt, was mir meine Kostmutter aufgetragen; dann leerte ich es zu meinen Groschen aufs Altartuch und drückte mich hierauf durch die Menge wieder dem Ausgange zu.
In diesem Augenblick krachten wieder die Böller, läuteten die Glocken, und ein Chor sang das Pange lingua, begleitet von Posaunen und Geigen. Auf dem freien Platz hinter der Kapelle war ein Altar und eine Kanzel errichtet worden, und eben gab der Pfarrer den Segen mit dem Allerheiligsten.
Nun strömte alles herbei; die Kapelle und der Wandelgang leerten sich, und die Menge lagerte sich auf Felsblöcken oder im Grase und hörte auf die Worte des Evangeliums. Da dachte ich bei mir, daß es nun wohl besser sein möchte, wenn ich wieder in die Kapelle ginge; denn ich verstand damals noch nicht gar viel von Predigten und mußte nicht selten dabei dem Schlaf wehren. Also trat ich abermals ins Kirchlein und setzte mich betrachtend und staunend in die vorderste Bank ganz nahe der Mauer, die mit Gemälden und Bildern überreich geschmückt war.
Und wieder überkam mich dieses seltsame Gefühl, und ich betete und wünschte, daß ich immer in einem solch heiligen Haus weilen könne. Dabei schaute ich starr auf das Bild der Mutter, deren liebliches Gesicht durch das flackernde Licht bald zu lächeln, bald zu trauern schien; und ich merkte nicht, wie eine verborgene Tür sich drehte und ein Arm sich herausstreckte.
Da klirren meine Silbergroschen am Altar; ich blicke hin und sehe, wie eine rote Hand sie zusammenrafft und mit ihnen verschwindet. Gleich darauf erscheint sie wieder und packt auch das übrige; ich stoße einen Schrei aus und stürze aus der Kirche und davon, fest überzeugt, daß der Teufel leibhaftig der Mutter Gottes ihre Gaben geraubt.
Mein Entsetzen war so groß, daß ich ohne Besinnen die Holzstiege hinablief, mitten durch die andächtig der Predigt lauschende Menge, und weder sah noch hörte, als etliche mich anschrien und versuchten, mich aufzuhalten.
Durch ein felsiges Tal sprang ich dahin und hielt nicht inne, bis ich, schweißbedeckt auf einer einsamen, sumpfigen Wiese angelangt, bei jedem Tritt tief in dem nassen Moor versank. Das bestärkte mich noch in dem festen Glauben, daß hier der Böse umgehe und besonders mir Verderben bringen wolle; und ich begann, mich zu bekreuzen und unsere liebe Frau anzurufen. Der Frost schüttelte mich, und es peinigte mich ein großer Durst, während ich langsam einen Fuß um den andere durch den Morast zog.
Nach geraumer Weile wurde der Boden wieder fester, und ich kam endlich auf einen breiten, vielbetretenen Wiesenweg, dem ich, in trübe und abenteuerliche Gedanken versunken, nachging. Alle Geschichten aus der Heiligenlegende fielen mir ein, in denen der Teufel sein unheimliches Handwerk getrieben, die gottseligsten Personen geschüttelt, in die Höhe geworfen, geschlagen und zertreten hatte, wie er den Bauern das Vieh im Stall verzaubert, daß es blutige Milch gab, und aus frommen Frauen die ärgsten Hexen und Unhold gemacht hatte, so daß sie von Stund an Mensch und Vieh nur noch übel wollten. Ja, der alte Pfarrer von Sonnenreuth hatte ihn selber leibhaftig gesehen damals, wie ihn der hochwürdige Herr Bischof aus einem krummbeinigen, buckligen Menschen hinausgetrieben hatte; wie eine feurige Katze sei er aus dem Maul des Besessenen herausgefahren, hätte gar jämmerlich geschrien und sei mit einem schrecklichen Fluch verschwunden.
Die Haare hatten sich mir damals gesträubt, und gar, als uns der Herr Pfarrer aus einem Buch vorlas, wie es drunten in der Hölle zuginge, und was für greuliche Arbeit die Teufel und Oberteufel daselbst zu verrichten hätten, da schüttelte es mich wie einen Hollerstrauch im Wind; denn da stand es schwarz auf weiß, wie die armen Verdammten in Öl und Pech gesotten, in glühende Feueröfen geworfen, mit Nattern und Klapperschlangen zusammengesperrt und auch sonst gezwickt und zerschunden werden, ohne daß sie jemals einen Augenblick Ruhe oder Erleichterung in dieser Pein haben. »Und es sind aber sieben Kreise in der ewigen Hölle«, heißt es weiter in diesem Buch, »die gleich sieben unendlichen Ringen den Pfuhl des obersten Teufels Luzifer umschließen. Und ein jeglicher Ring ist bewohnt von einer Legion Unterteufel, über welche ein Oberteufel die Herrschaft führt. Und es sind aber die Ringe also, daß in jedem eine besondere Art von Sünde gestraft und gepeinigt wird. Die Hoffart mit Zwicken und Brennen und in Kot Treten; der Geiz mit Nattern und Schlangen und sonst allerhand schädlich Gewürm; die Unkeuschheit mit großen Hagelsteinen und brennendem Pechregen; der Neid mit Stoßen und Schmeißen in siedendes Öl und Darinniederdrucken mit teuflische Gabeln; die Völlerei mit Hunger und großer Kält, also daß die blutigen Zähren, so der Verdammte weinet, ihm an den Leib gefrieren, und sein Bauch knurret aus übergroßem Verlangen nach Speis; der Zorn mit Geißlen und Verschließen in einen Kessel, allda Pech mit Hanfgarn gesotten und mit teuflische Besen verzwirnet ist, und kein End nicht hergehet aus aller Wirrnis und Pein; die Trägheit mit großen Steinen, so ihnen von den Teufeln auf den Rucken gebunden, und die sie schleppen müssen durch ihren Höllenring ohne Rasten und Absetzen in alle Ewigkeit.«
Ein Böllerschuß riß mich aus der Betrachtung; vom Birkenstein klang Läuten herüber und mahnte, den menschgewordenen Gott bei der Wandlung anzubeten.
Ich schlug das Kreuz und lief darnach meinen Weg dahin, etliche Bauern grüßend, ein paar Dirnen, die mit ihren feuerroten Unterröcken prangten, auf den Weg nach dem Wallfahrtsort weisend und an nichts denkend, als daß ich wieder bei meinem Vieh und meinen Schätzen sein möchte. Gegen Abend kam ich wieder an die Weidhoferalm und ging sogleich in die Hütte; da mich aber die Nandl, unsere Schwaigerin, erblickte, ließ sie erschreckt den Melkeimer fallen und schrie: »Mariand Joseph! Der Mathiasl! Ja Bua, wo kimmst denn du her?«
»Vom Birkenstein«, sagte ich und erzählte ihr mein Erlebnis. Da glaubte auch sie nicht anders, als daß hier der Teufel einmal wieder ein böses Werk getrieben habe, und meinte, daß ich mich nun wohl hüten und vorsehen müsse, denn das sei klar, daß er es auf mich abgesehen hätte.
Indem wir noch miteinander sprachen und ich in einen Hafen voll Milch ein gerechtes Stück Brot einbrockte, kam der lange Ambros zur Tür herein; aber kaum daß er mich ersehen, tat er einen halblauten Fluch und lief wieder hinaus. Ich schrie ihm nach, doch hörte er nichts mehr, auch war er nirgends mehr darnach zu sehen.
Da fiel mir mein Felsenloch ein, und zugleich dachte ich an meine Schätze; ich lief hin, griff in alle Ecken und fand nichts mehr. Es war alles dahin. Starr vor Entsetzen konnte ich nichts denken und sagte nur das Wort Teufel etlichemale stumpfsinnig für mich hin.
Ein Lachen hinter mir erschreckte mich; ich sah mich um und in das höhnische Gesicht des langen Ambros. »Da suchst umsonst«, rief er voll Spott und verschwand. Da packte mich ein Grimm; ich stürzte hinaus, ihm nach und packte ihn, gerade als er sich von einem verwachsenen Kiefernbaum in eine Felsenrinne hinablassen wollte. »Wo is mei Sach?« schrie ich voll Wut und schüttelte ihn, daß er Mühe hatte, sich zu halten. »Was weiß ich«, sagte er höhnisch und gebot mir, ihn loszulassen.
Ich ließ ihn frei und wiederholte meine Frage; in diesem Augenblick aber sprang er vom Baum, ergriff mich und begann mit mir zu ringen und mich gegen die Felsrinne zu schieben. »Wart, ich werd dirs gleich zeigen, wo's ist!« knirschte er und trat ein wenig zurück; noch ein kurzes Ringen, ein Stoß, und nach einem heftigen Schmerz am Kopf wußte ich nichts mehr.
Rings um mich war es Nacht, als ich die Augen wieder öffnete; ich lag hart, und Steine und Gestrüpp bedeckten mich. Meine Hände tasteten im Dunkeln matt herum, und ich fühlte, daß ich durchnäßt war; doch wußte ich nicht, ob es ein Wasser war oder mein Blut, in dem ich lag. Ein dumpfer Schmerz wühlte mir im Haupt, und ich schloß die Augen wieder, indem ich abermals wähnte, in eine Tiefe zu fallen.
Als ich wieder klar denken konnte, war es heller Tag, und ich sah, daß ich in einem seichten Wasser lag, welches über Felsen und Geröll talab floß. Brombeerstauden stachen und zerkratzten mich, meine Glieder schmerzten, und mein Mund war verschwollen und verklebt. Es dürstete mich, und ich versuchte, meine Lippen zu netzen, aber meine Arme gehorchten dem Willen nicht mehr und fielen kraftlos herab, so oft ich versuchte, sie zu erheben. Da begann ich, um Hilfe zu seufzen und Gott anzurufen, denn ich wähnte, daß mein Ende nahe sei. Ich lieh meinem inbrünstigen Gebet Stimme und stöhnte laut und lauter: »Herrgott hilf! Maria hilf!«, bis mein Haupt abermals, der Sinne beraubt, zurückfiel ins Wasser.
Da ich wieder erwachte, sah ich über mir einen bemalten Betthimmel; die gekrönte Jungfrau blickte auf mich hernieder, und lustige Engel umschwebten sie und hielten ihr Gewand. Geblümte Vorhänge hingen zusammengeschoben von dem Baldachin herab, und ein rothaariges Mädchen band sie eben an den gedrehten Säulen des Lagers fest.
Ich blickte verwundert bald auf das Mädchen, bald auf mein Bett, und es war mir, als träumte ich; aber das Mädchen redete mich, da es meine Augen offen sah, sogleich an und fragte: »Hast du Durst? Liegst du gut?«
»Ja«, sagte ich bloß; da brachte sie mir ein Krüglein mit einem Trank und meinte: »Gut schmecken tut's ja nicht; aber die Hitze nimmt's!«
Ich trank gierig, und sie stützte mir dazu mein Haupt mit dem Kissen, indem sie ihren Arm darunterschob. Dann legte sie mich wieder hin, holte sich das Spinnrad aus der Ecke, in der ich auch einen alten Hausaltar erblickte, setzte sich neben das Bett und spann.
Da überkam mich eine große, wohlige Ruhe; meine Wunden brannten nicht mehr wie vordem, und ich fühlte, daß ich nun wieder lebte und gesund würde.
Nach einer Weile, während der ich nur das Schnurren des Spinnrads, das Summen der Fliegen und das hackende Ticktack der hohen Standuhr vernahm, tat sich die Tür auf, und ein altes, runzliges Weib trat lautlos ein und ging auf mein Lager zu.
»Er ist munter!«, meinte sie, da sie meine offenen Augen sah; »jetzt muß er aber essen, der Bursch!«
Ich versuchte zu reden und fragte, wo ich denn sei. Da sagte sie: »Gut aufgehoben. Frag nicht und sorg dich nicht; du mußt wieder werden.«
Darauf nahm sie mir meine Kopfbinde ab, tauchte sie in eine Schüssel und legte sie mir wieder an; auch strich sie etliche Pflaster auf leinene Lappen und beklebte damit meine Wunden und sagte dazu: »Einen guten Gsund hast schon, Bub! Das hält der zehnte nicht aus! Ich hab schon gefürchtet, daß ich dem Totengräber das Maß bringen müßt für deine Gruben; aber jetzt hast du's gewonnen!«
Darauf kniete sie sich an das Bett und betete dieses Gebet:
»Es reiten siebenundsiebzig Diebe hinaus, Sie reiten für eines Menschen Haus. Gott der Herr sprach: Ihr Reiter, wo wollt ihr hinaus? Wir wollen in eines Menschen Haus Und wollen ihm nehmen sein Fleisch und sein Blut. Und wollen ihm nehmen sein Freud und sein Mut. Gott der Herr sprach: Siebenundsiebzig Fürsten, das sollt ihr nicht tun, Ihr sollt ihn lassen liegen und ruhn. Ihr sollt ihm lassen sein Fleisch und sein Blut Und sollt ihm lassen sein Freud und sein Mut.
Es gehe über dich bald der Segen Gottes des Vaters, der Segen des Sohnes und der Segen des heiligen Geistes. Amen. Es sollen vergehen deine siebenundsiebzig Fieber im Namen des höchsten Gottes. Amen.«
Sodann stand sie auf und besprengte mich mit einem geweihten Wasser und machte das Zeichen des Kreuzes über mich.
Nun brachte das rote Mädchen ein Schüsselchen mit Milch und brockte ein weißes Brot hinein. Darnach setzte sie sich an mein Bett und gab mir löffelweise zu essen.
»Guck«, sagte sie; »unser Vogel frißt wieder! Gilt's, er lernt auch wieder fliegen, Mutter?«
»Wann ihm die Flügel wieder geleimt sind, kanns schon sein«, meinte die Alte und mischte ein Pulver und rührte es ins Wasserkrüglein; »'s hitzige Fieber darf er freilich nimmer kriegen, der Bursch, sonst wachsen ihm andere Fittig, wähn ich!«
Und dann gab sie mir wieder zu trinken und wünschte mir eine geruhige Weil und einen baldigen Gsund.
Hierauf setzte sie sich in den Sorgenstuhl hinter dem bläulichen Kachelofen, steckte sich eine große Hornbrille auf die Hakennase und las schweigend in einem alten dicken Buch, während das Mädchen wieder zu spinnen begann.
Ich lag ganz still und sah den Fliegen zu, wie sie ihren Reigen um die bunte Perlenampel tanzten, die am Fenster hing und in der Abendsonne glänzte, bis mich ein guter Schlaf übermannte.
Den andern Morgen, da ich eben erwachte, trat ein bleicher Bursch zur Tür herein und blickte sich um in der Kammer; und da er mich in meinem Bette liegen sah, fragte er mich, ob ich die Jungfer Kathrein nicht gesehen hätte. Ich wußte nicht, um was es galt, also sagte ich ihm: Nein, und ich kenne niemand dieses Namens.
Da trat das rothaarige Mädchen mit meiner Morgensuppe zur Tür herein; doch kaum sie jenen erblickte, tat sie einen Schrei und lief sogleich wieder hinaus.
Der Bursch schaute ihr lachend nach und rief: »Lauf nur, Jungfer, ich erwische dich ja doch noch!«
Dann ging er aus der Kammer, und ich hörte ihn draußen noch rufen und schreien und merkte daraus, daß er die Jungfer hätte haben mögen, daß sie aber nicht willens war, ihm zu eigen zu sein.
Da sie nun nach einer geraumen Weile mit roten Augen wieder hereinkam und mir meine Schüssel Milch eingab, begann ich, sie eindringlich zu betrachten.
Sie war wohl an die fünfzehn Jahre alt und hoch und schlank gewachsen, hatte ein milchweißes Gesicht und ein Paar feine, rote Lippen. Ihre Augen sahen mich freundlich an; doch an dem unruhigen Blick des Mädchens erkannte ich, daß sie sich fürchtete und in Sorge war.
Also fragte ich sie: »Warum hast d' denn geweint?«
Sie sagte: »Weil ich ein Unglück hab.«
Ich fragte wieder: »Wer ist der Bursch gewesen?«
»Dem reichen Ödhofbauern sein Bub«, erwiderte sie; »er hätt mich freien mögen.«
»Bist du denn die Jungfer Kathrein?« fragte ich wieder.
»Ja«, sagte sie; »und ich mag ihn nicht, weil er heut die und morgen die hat zum Gespons.«
Ich freute mich, daß sie ihn nicht mochte, und sagte: »Du bist brav, weil du bei mir bleibst. Ich mag dich.«
Zugleich wollte ich mich aufsetzen und ihr meine Zärtlichkeit bezeigen; aber ich konnte nicht. Da sagte ich zu ihr: »Heb mich auf, ich möcht dich streicheln!«
Dies gefiel ihr so wohl, daß sie sich über mich neigte und ihr Gesicht auf meine Wange legte, mich einen lieben Dalken hieß und mit ihren feinen Händen über meine Finger strich, daß mir ganz wohl und warm dabei wurde.
Ich hielt den Atem an und rührte mich nicht und dachte nichts weiter, als daß es so gut sei. Und da sie gehen wollte, bat ich: »Bleib noch da!«
Aber sie mußte fort, und ich lag wieder allein, bis die Alte im Kirchengewand und Kopftuch in die Kammer trat.
»Ei!« sagte sie zu mir, während sie ihre gute Schürze abband und eine rauhe, alte dafür umtat; »hat der Bursch schon aufgehört zum Schlafen! Hast du schon was gegessen?«
»Ja«, sagte ich; »die Jungfer Kathrein hat mir schon was gegeben.«
Da fuhr sie in die Höhe: »Was tausend! Jungfer Kathrein! Wer hat dir das geschafft, daß du die Dirn so benamsen sollst?«
»Niemand«, sagte ich; »aber es ist einer dagewesen, der sie so geheißen hat; und dann hat er geschrieen und sie hat geweint.«
Da lachte sie kichernd und meinte: »Ja, ja! Sie wär ihm wohl gut genug aufs Stroh! Aber...«
Das andere murmelte sie in sich hinein und machte dazu ein böses Gesicht, warf die Sachen in der Kammer durcheinander und fuhr mit den Händen herum, daß ich mich vor ihr fürchtete und plötzlich fragte: »Wer seid Ihr? Bei wem bin ich?«
Da lachte sie wieder, wehrte mir mit beiden Händen kopfschüttelnd ab und lief hinaus.
Nun überfiel mich eine große Angst, und ich schrie, so laut ich konnte, nach der Jungfer. Sogleich kam diese herein und fragte nach meinem Begehr.
»Ich möcht heim zu meiner Ziehmutter!« sagte ich; »ich fürcht mich bei euch. Deine Mutter ist wie eine Hex...«
Das letzte flüsterte ich nur und sah ängstlich nach der Tür, wo die Alte zuvor verschwunden war.
Kaum aber waren die Worte meinem Mund entkommen, da schrie das Mädchen laut auf und weinte und klagte: »O Unglück! O Schand!«
Ein heftiges Mitleid mit der Jammernden erfaßte mich, und ich bat sie, doch aufzuhören mit dem Weinen, und ich hätte ihr nicht weh tun wollen.
Aber sie ließ sich nicht mehr trösten und schwur, daß sie dies Haus verlassen werde und fremd wohin gehen. Und dann sagte sie mir, daß sie gar nicht die Tochter der Alten sei, sondern nur ein hergelaufenes Mädchen, das die Pflegemutter wohl einmal irgendwo aufgelesen hätte. Eigentlich sei ja die Ziehmutter das beste Weib unterm Himmel; die gäb gewißlich ihr Leben für ihr Pflegekind; aber – sie sei halt doch eine verrufene Waldhex.
Ich erschrak bei diesem Namen auf das heftigste, denn ich gedachte meiner Ziehmutter und ihrer Erzählungen von der alten Irscherin, der Waldhex, von der es hieß, daß sie Kindern die Hände abhaue und diese an Räuber und Diebe verkaufe als ein Zaubermittel gegen Verfolger, und daß sie auch sonst viel schändliche Dinge treibe.
Stockend fragte ich. »Wie heißt denn deine Ziehmutter?«
»Sie ist die alte Irscherin!« sagte sie und meinte, da ich erblassend ihren Arm ergriff: »Du brauchst aber keine Furcht vor ihr zu haben; sie tut niemandem was, am wenigsten dir. Wenn du das gespürt hättest, wie sie dich damals in dem Felsenloch auf die Schultern genommen und hergebracht hat, wie sie dich in ihr eigenes Himmelbett gelegt und gewartet hat und gepflegt, wie sie die vielen Tage und Nächte bei dir gewacht hat und dein hitziges Fieber gekühlt und dich besänftigt hat, wenn du in deinen unsinnigen Träumen gerungen hast mit einem andern und getobt und geheult; wenn du das alles gespürt hättest, sag ich, du könntest dich nicht fürchten vor ihr!«
Staunend vernahm ich alles dies und fragte: »Wie lange bin ich denn schon hier?«
»Gewißlich schon an die vier Wochen oder fünf!« erwiderte sie und kühlte mir die heiße Stirn mit einem nassen Tuch und gab mir zu trinken. »Wir wissen nicht«, fuhr sie darnach fort; »woher du kommst, und auch nicht, wer du bist, und niemand in der Gegend hat bis heut nach dir gefragt. Du bist ohne Sinnen und ganz ohnmächtig dagelegen bis gestern und wirst wohl noch eine Weil stillhalten müssen, bis du wieder richtig bist. Aber das ist einmal gewiß: Die Mutter macht dich wieder gesund. Und du sollst dich nicht mehr vor ihr fürchten!«
Sie strich mir über die Wangen; da sagte ich: »Wenn du sagst, daß sie so gut ist, dann fürcht ich mich nimmer.«
»Wie heißt du denn?« fragte sie wieder; »und wie konnte dir das Unglück so ankommen?«
Da sagte ich ihr, daß ich der Weidhoferbalg sei und Mathias Bichler heiße. Auch von meiner Wallfahrt berichtete ich und von meinem Kampf mit dem langen Ambros; doch tat ich es nur stockend und fühlte eine Schwäche beim Reden. Da meinte sie: »Schweig nur wieder still und denk nicht mehr daran! Ich bleib schon bei dir!«
Dessen war ich von Herzen froh und tat von da ab alles, was sie mir zu meiner Gesundung empfahl, und war auch gegen meine alte Pflegerin dankbar und zutraulich.
Und als sie meiner Ziehmutter, der alten Weidhoferin, zu wissen machte, daß ich bei ihr sei, und da diese voller Schreck den Hausl zur Irscherin sandte mit der Botschaft, sie hätte das Bett schon aufgedeckt für mich und ich bräuchte mich bloß hineinzulegen, da sagte ich zu dem Buben: »Sag der Mutter, daß es mir bei der Irscherin ganz gut geht, und daß auch auf dem Stroh von der Waldhex gut schlafen ist, und ich glaube, daß sie gar keine ist.«
Da ließ sie mich noch liegen und schickte nur ab und zu einen Boten, daß er ihr einen Ausspruch brächte, wie es mit mir stand; denn um keinen Preis hätte sie, die fromme Meßmerin, es über sich gebracht, das Haus der verschrienen Alten zu betreten; es wäre denn ein Pfarrer vor ihr hergegangen und hätte den Teufel mit Weihrauch und Benediktion gebannt und verscheucht.
Ich selber spürte nun allerdings nichts von dem unholden Wesen, das man der alten Irschermutter nachsagte; sie pflegte mich Tag für Tag mit einer gleichmäßigen Freundlichkeit, riet mir dies und gab mir das, und noch ehe ein Monat um war seit dem Tag, da ich zum erstenmal wieder klaren Verstand gezeigt hatte, konnte ich schon mit ihr am Waldrand entlang hinken oder hinter dem Haus auf dem Anger in der Sonne liegen und die Geißen hüten.
Auch lernte ich allmählich das Haus der alten Mutter, das Stüblein der Jungfer Kathrein und noch allerhand kennen; auch wußte ich nun, daß die Alte eine große Kunst kannte, Leut und Vieh von Krankheiten und Gebresten zu heilen, Menschen auf kommendes Unheil vorzubereiten oder selbiges von ihnen abzuwenden, wenn sie sich ihr freundlich erzeugten. Sie konnte sympathische Tränke mischen und denen helfen, die durch unholde Zauberei liebeskrank, unglücklich oder arm geworden waren.
Auch bereitete sie auf eine geheimnisvolle Weise Glücksmännlein oder Mandragoren.
Da las sie erst eifrig in ihrem alten Handbuch, schrieb mit der Kreide allerhand geheime Zeichen an die Stubentür und blickte jeden Abend aufmerksam zu den Sternen. Endlich hatten diese eine glückliche Stellung zum Monde, und nun ging sie mit einem Tuch hinaus an den Saum des Waldes. Dort grub sie etliche seltsam geformte Wurzeln aus, die sie Hundswurz oder auch Alraunen nannte, und trug sie in dem Tuche heim. Nun beschnitt sie alle Ausläufe der Wurzeln, holte aus einer alten Truhe ein Leichentuch, in das, wie mir die Jungfer Kathrein berichtete, einst ein heiliger Mönch des Zisterzienserordens gehüllt gewesen, und trug sie so verwahrt nach dem Friedhof. Hier steckte sie die Wurzeln in die Grabhügel verstorbener reicher Leute und ging darnach heim.
Am andern Morgen durchsuchte sie den Dachboden nach Fledermäusen, fing drei derselben und ertränkte sie in den Molken der Kuhmilch; darauf begann sie laut zu beten und heilige Sprüche herzusagen und goß die Milch in ein kupfernes Weihbrunngefäß.
Jeden Morgen vor Sonnenaufgang ging sie nun laut betend ums Haus, nahm darnach etwas von den Molken und begab sich zum Friedhof, die Wurzeln mit dieser Milch zu begießen. Hierauf ging sie in den Wald und sammelte Farren- oder Natternkraut, sowie auch Eisenkraut, dörrte es und legte es darnach in die Truhe.
Nach etlicher Zeit, es mochte wohl eine Woche oder zwei vergangen sein, grub sie die Wurzeln wieder aus, trug sie im Leichentuch wieder nach Hause, heizte den Ofen mit dem gedörrten Kraut und trocknete die Alraunen an diesem Feuer. Dann schnitt sie von dem Leichentuch kleine Stücklein ab und wickelte die Wurzeln, welche jetzt gerade so aussahen wie winzige, vertrocknete Zwergmännlein, darein und nähte sie in leinene Säcklein.
Solange man eine solche Mandragora bei sich trug, schlugen einem nach dem Ausspruch der alten Irschermutter alle Geschäfte und Handelschaften zum Glück aus, und sie gab mir Beispiele, wie dieser und jener Bauer, der vordem ein armer Fretter gewesen, plötzlich zum glückhaften und wohlhabenden Mann geworden sei, nachdem er eine solche wunderbare Mandragora von ihr erhalten habe.
Sie wußte auch allerlei Mittel, um einem eine geliebte Person hold zu machen, und hatte eine gute Kundschaft von solchen Leuten, denen sie dann um gute Worte allerlei gab: dem einen ein gepulvertes Schwalbenherz oder das einer Taube, das mußte er der Liebsten in den Wein streuen; der andern ein Stück Lilienwurz und ein Ringlein, woran die Verliebte etliche von ihren Haaren binden mußte und es dem Liebsten in das Gewand stecken, ohne daß er es merkte; wieder einem gab sie ein Wachsbild, das eine Frau vorstellte, und sie sagte ihm, daß er dies Bild in ein Stücklein seines Hemdes wickeln und der Verehrten unter den Kopfpolster ihres Bettes legen müsse, worauf sie ihm ewig zugetan sei.
Auch Liebestränke braute sie aus Johanniskraut und starkem Met und gab dies denen, die sich über große Kälte der geliebten Person beklagten.
Doch auch Gegenmittel wußte sie zu geben, wenn durch irgendwelchen Zauber jemand von einer unsinnigen Liebe für eine Person ergriffen war und wieder davon geheilt sein wollte.
Da ließ sie dem Kranken einen Magneten auf die Brust hängen, Ipericon mit Melissenwasser trinken oder destilliertes Enzianwasser und riet Bäder aus Johanniskraut und Dorant.
Auch verstand sie eine uralte Kunst, das Nestelknüpfen, um einem Bauern oder Burschen die Mannbarkeit auf lange oder kurze Dauer zu nehmen, und das Gürteldrehen, was den gleichen Zweck hatte.
Die Zeit ging hin, und ich war unversehens so ein halb, dreiviertel Jahr im Haus der alten Irscherin gewesen und hatte dort vieles gesehen und auch gar manches gelernt, was mir nachmals im Leben nützlich und zur Wohlfahrt wurde; hatte auch eine innige und feste Zuneigung zur Jungfer Kathrein gefaßt und, obschon ich erst ein gut zwölfjähriges Bürschlein war, bei mir beschlossen, sie einmal zu ehelichen.
Das sagte ich ihr auch ganz frei, und sie lachte dazu und ließ mich gewähren, wenn ich sie stürmisch umschlang, ihr die roten Haare zauste oder sonst zärtliche Späße mit ihr trieb. Da hieß sie mich ihren närrischen Buben oder ein Nachtei, ein dummes, und, wenn ich es etwan gar zu unsinnig trieb, ihren tolpatscheten Ritter. Dazu gab sie mir einen zärtlichen Backenstreich und zuweilen wohl auch einen Kuß.
Meine Liebe für sie wurde immer heftiger, und ich erschrak bei dem Gedanken, daß ich nun doch bald von ihr scheiden müsse und wieder zurückkehren zur Weidhoferin.
Und da nun der Knecht meiner Ziehmutter wirklich kam und mich holen wollte, lief ich, kaum ich ihn von weitem gesehen hatte, davon und in die Kammer der Jungfer. Dort verkroch ich mich unter ihre Bettstatt und ließ mich nicht mehr blicken, bis das Kathreinl spät am Abend hineinkam und ich sie weinen hörte. Da kroch ich eilig hervor und fragte sie: »Was weinst du denn, Kathrein?«
Sie erschrak heftig und wollte davon; doch ich sprang auf sie zu, umschlang sie und bat sie flehentlich zu bleiben. Nun erst erkannte sie mich und rief »Mathiasle! O du Ludersbub, du schlechter! 's ganze Haus, alles hab ich um dich abgesucht! Die Mutter ist noch draußen im Holz und schaut und schreit nach dir, und sie meint, du bist wieder in die Klauen von dem Unhold gefallen, der dich selbigsmal in die Felsenschlucht gestoßen hat!«
Darnach seufzte sie und fuhr fort zu reden: »Ach, Bub! Jetzt ist's halt wieder vorbei! D'Weidhoferin hat geschickt, und du mußt heim! Jetzt bin ich halt wieder allein.«
Und sie begann aufs neue zu weinen und setzte sich aufs Bett und drückte die Schürze an die Augen.
Da sprang ich auf ihren Schoß, halste sie und streichelte sie und gab ihr die zärtlichsten Namen, um sie zu trösten. »Kathreinl!« bat ich; »sei doch wieder gut! Ich geh ja gar nicht fort! Ich bleib halt da bei dir und laß der Mutter sagen, daß mich du nimmer g'raten kannst!«
Und da sie mir nichts antwortete, küßte ich sie auf die Lippen, Augen und Wangen und geriet in eine solche Liebeshitze, daß ich selbst darüber verwundert war, ohne jedoch der Natur zu wehren. Vielmehr verstieß ich mich zu den tollsten Versprechungen: daß ich jeden totschlage, der mich von ihr wegbringen wolle, und daß ich, wenn es sein müßte, für sie die peinlichsten Martern leiden wolle.
Sie hörte schließlich auf zu weinen und wurde durch meine unsinnige Raserei ebenfalls munter und zärtlich und erwiderte am Ende meine Küsse und gab mir allerlei süße Namen und liebkoste mich zärtlich.
Der Kienspan, den sie aufgesteckt hatte, war abgebrannt, und sein letzter, glimmender Stumpf bog sich und sprang verlöschend ab, so daß wir im Dunkeln saßen. Da stieg ein seltsam heißes Gefühl in mir auf; ich spürte, daß meine Wangen wie mit Blut übergossen wurden, und fiebernd preßte ich meinen Mund auf den des Mädchens. Sie drückte mich fest an sich, ihre Brust hob sich stürmisch; plötzlich seufzte sie tief auf, schob mich von sich und sagte mit fremder, rauher Stimme: »Geh jetzt, Bub, geh jetzt!«
Wieder, wie damals in der Kapelle der Mutter Gottes, als mich der Bauer zurechtgewiesen, packte mich ein Gefühl, als hätte mich jemand aus einem schönen Himmel gerissen, eine große Übelkeit bemächtigte sich meiner, und ich lief ohne ein Wort hinaus aus der Kammer und vor das Haus.
Da saß die alte Irschermutter auf der Hausbank, hielt ihren Krückenstock zwischen den Händen und stieß damit von Zeit zu Zeit auf den Boden.
Ich rief sie an; da wandte sie langsam den Kopf und sagte: »Da bist du ja, du Dunnersbursch! Wo steckst denn alleweil?«
Ich tat, als überhörte ich ihre Frage, wies auf die schwarzen Wetterwolken am Himmel und sagte: »Kommt ins Bett, Mutter! Ein Wetter steigt auf!«
Dann lief ich in meine Kammer und legte mich zu Bett, ohne eine Spur von Schlaf zu fühlen. In meinem Kopf sauste und hämmerte es, und in den Gliedern empfand ich eine seltsame Schwere. Meine Gedanken weilten bei der Kathrein, und ich versuchte, mir ihr Gebaren zu erklären, daß sie mich plötzlich so rauh von sich gewiesen hatte.
Da begann es zu blitzen und zu krachen, und ein furchtbares Gewitter tobte daher. Der Sturm heulte und pfiff ums Haus vom Wald herüber, und Regen und Hagel schlug an die Fenster.
Ich hörte draußen die Irscherin den Riegel der Haustür stoßen und sah sie beim Aufleuchten eines Blitzes an den Fenstern meiner Kammer vorübergehen.
Gleich darauf öffnete sich die Tür, und das Kathreinl kam herein und sagte: »Mathiasle, laß mich zu dir kommen; es tut grauslich draußen, und ich fürcht mich.«
Ein bläulicher Blitz flammte auf, und ich sah das Mädchen im dünnen Nachtgewand und mit offenen Haaren vor mir. Ein leichtes Tuch hatte sie um die Schultern gelegt und hielt es mit beiden Händen vorn über der Brust zusammen.
»Setz dich zu mir her«, bat ich und rückte zur Seite, während das Haus erbebte von dem Donnerschlag.
»Heiligs Kreuz«, rief sie und bekreuzte sich; »jetzt hat's eingschlagen!«
Und sie lehnte sich fröstelnd an mich. »Die Mutter ist noch fort«, sagte sie dann; »sie ist so eigen; wenn es draußen am ärgsten tut, dann geht sie ums Haus und schwingt die Sichel und läßt kein verständiges Wort mit sich reden...«
Wir fuhren beide zusammen: ein grelles, blaues Leuchten ging durch die Kammer und zugleich tat es einen Krach, daß wir uns umschlangen.
Bebend kroch das Kathreinl zu mir ins Bett und drückte ihren Kopf fest an meine Schulter, daß sie nichts mehr sah, während sie flüsterte: »Gfehlt is's! Das wird's End!«
Ich bettete sie aufs Kissen, schob meinen Arm unter dasselbe und legte mich ganz nahe neben sie. Da schlang sie ihre Hände um meinen Hals, und wir hielten uns ganz still. Das Wetter entfernte sich, und der Sturm ließ nach; nur der Regen fiel noch und sammelte sich in der Dachrinne und plätscherte vor dem Fenster in das Faß nieder, das die Irschermutter aufgestellt hatte, um in dem Regenwasser die Wäsche zu waschen.
Das Kathreinl war an meinem Hals eingeschlafen und ihre Hände lösten sich langsam und fielen herab.
Ich zog leise meinen Arm unter ihrem Haupt weg, nahm ihre Hände in die meinen und schlief am End gleichfalls ein. Brummend schlug die Uhr eben vier, als ich erwachte und mich einen Augenblick besinnen mußte, ehe ich Traum und Wirklichkeit voneinander scheiden konnte; denn ich hatte im Schlaf das Kathreinl weit fortgeführt in ein hohes Haus und hatte dort Hochzeit gemacht mit ihr. Da war die Irschermutter gekommen und hatte die Sichel geschwungen und geflucht, und im selben Augenblick stürzte das ganze Haus über uns zusammen.
Nun sah ich das Mädchen schlafend neben mir, und ich besann mich auf den Abend und die Nacht. Ein ruhiges Glücksempfinden überkam mich, und ich betrachtete mit großer Lust das feine Gesicht, die halboffenen Lippen und die langsam auf- und niedergehende Brust.
Endlich rührte sie sich; ihr Kopf wühlte sich unruhig ins Kissen, ihre Hände fuhren etlichemal im Gesicht und auf der Brust herum, sie tat einen Seufzer und öffnete die Augen. Da sie mich erblickte, schloß sie dieselben wieder, rieb sich mit beiden Fäusten den Schlaf daraus und öffnete sie weit, indem sie sich aufrichtete.
»Kathreinl!« sagte ich und küßte sie.
Aber sie war ganz traurig und meinte: »Ach weh! Jetzt hab ich wohl kein Glück mehr! Ach, Mathiasl! Jetzt ist's Jungfernkrönl weg und dahin!«
Und sie weinte leise.
Da sagte ich: »Sei still und klag nicht! Mir deucht, es liegt noch in deiner Kammer drüben! Bei mir ist's nit!«
Dann suchte ich scheinbar eifrig in meinem Bett, während sie, wieder lächelnd, langsam aufstand und hinauslief.
Nun hielt es mich nimmer auf meinem Lager, und ich erhob mich und machte mich zurecht. Dann trat ich hinaus auf den Flöz und wollte den Riegel der Haustür öffnen, um hinauszugehen; doch die Tür war nicht verschlossen, und der Schlüssel steckte nicht, wie sonst, am Schloß.
Ich ging verwundert hinaus vors Haus; doch mit einem Schrei fuhr ich zurück: die Irschermutter lag tot auf der Erde – erschlagen vom Blitz.
Sie war ganz schwarz und ihre Kleider verbrannt. In den Händen hielt sie noch krampfhaft den verkohlten Sichelgriff und den Krückenstock.
Ein Schauer schüttelte mich, und ich mußte mich an den Türstock lehnen, um nicht zu wanken.
In diesem Augenblick hörte ich drinnen das Kathreinl in seiner Kammer singen, und ich wurde wieder fest und überlegte, wie ich es machen sollte, um dem Mädchen das Schwere auf eine Weise darzutun, die es am wenigsten traf.
Aber ich fand keinen rechten Ausweg; endlich dachte ich, daß es das Beste sei, wenn ich vorerst noch schwieg und alles dem Himmel überließ; der würde es schon recht machen.
Ging also wieder ins Haus und verriegelte leise die Tür. Darnach blickte ich in die Kammer zum Kathreinl und bat sie um eine Morgensuppe, obgleich mir zu allem andern eher Muts war, denn zum Essen. Sie sang noch immer und lachte mich lustig an, während sie den Stubenboden mit einem Besen aus grünen Tannenreisern auskehrte. »Gleich, Mathiasl«, sagte sie und fegte mir über die Schuhe; »schau derweil, was die Mutter macht; sie scheint das Aufstehen heut ganz zu vergessen und das Melken auch. Die Viecher brummen schon, hör ich!«
Ich nickte bloß und sah nach dem kleinen Stall, in dem eine Kuh und zwei Geißen standen und nach dem Morgenfutter riefen. Rasch holte ich einen Korb voll Klee und gab ihnen zu fressen, nahm darauf den Melkeimer und das Stühlchen und begann, sie zu melken.
Dabei traf mich das Kathreinl, als es eben nach dem Rechten schauen wollte, und es dämmerte die Wahrheit in ihr auf, und sie fragte mich ängstlich: »Bub! Warum in aller Welt mußt heut du das Vieh melken? Was ist's mit der Mutter?«
»Sie wird noch schlafen«, sagte ich und steckte den Kopf tief unter den Körper der Kuh, damit das Mädchen nicht sah, wie mir die Augen naß wurden.