Unsere Bayern anno 14 - Lena Christ - E-Book

Unsere Bayern anno 14 E-Book

Lena Christ

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Beschreibung

Mit ihrem Erzählband zum Ersten Weltkrieg »Unsere Bayern anno 14« gewährt die große bayerische Schriftstellerin Lena Christ einen alltagsnahen, lebendigen Einblick in das Leben anno 1914 in Bayern. Den Franzosen einmal kräftig einheizen, das wünschen sich die jungen Bayern, als es 1914 heißt: »An die Front! Marrsch! Marrsch!« Doch Krieg bedeutet nicht nur »a gscheide Raffarei«, Gemeinschaft im Schützengraben und letztendlich Verehrung der Kriegshelden, sondern vor allem auch Entbehrungen, Existenzangst und Verluste für die zurückgebliebenen Frauen, Mütter und Kinder. Frauen bestellen die Felder und greifen in der Not selbst zur Kaminkehreruniform, ein ganzes Dorf jagt eine Garnison russischer Spione, eine kleine Gruppe junger Artilleristen rettet im Alleingang ihre schlafende Kompanie, nur neun Tage nach seiner Hochzeit macht ein Soldat seine Braut zur Witwe.

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edition monacensia Herausgeber: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek Dr. Elisabeth Tworek

Von Lena Christ sind in der edition monacensia bisher erschienen:

Liebesgeschichten. Ausgewählte Erzählungen Lausdirndlgeschichten. Erzählungen Madam Bäuerin. Roman Mathias Bichler, Roman

Lena Christ

Unsere Bayern

anno 14

Text der Erstausgabe von 1915 in drei Teilen

Mit einem Nachwort von Marita A. Panzer

Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

Mai 2014 Allitera Verlag Ein Verlag der Buch&media GmbH, München © 2014 für diese Ausgabe: Landeshauptstadt München/Kulturreferat Münchner Stadtbibliothek Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek Leitung: Dr. Elisabeth Tworek und Buch&media GmbH, München Umschlaggestaltung: Dietlind Pedarnig/Alexander Strathern nach einer Illustration von Angelo Jank aus der Zeitschrift »Die Jugend«, 1902 Printed in Germany · isbn 978–3–86906–620–2

Inhalt

Teil 1

Kriegserklärung

Mobilmachung

Auf dem Marktplatz eines Kirchdorfs

Am Bahnhof

Auf der Fahrt

In München

Im Massenquartier

Mit Gott

Bayern marschiert

Die »Leiber«

Die »Hotollerie«

Die »Radikompagnie«

Abschied

Allerhand aus der ersten Kriegswoche

Jung Bayern

Ham Sie’s schon gehört? ... Spione

Die Wasserleitung

Beim Automobilfang am Land

Augenblicke

An den Feind!

Feuertaufe

Die Radlerpatrouille

Mit den »Leibern« nach Badonviller

Teil 2

Münchner Bilder

Landwehr–Abschied

Der Turnerlandsturm

Die »Viehparkkolonne«

Im Dorfwirtshaus

Flieger

Flankenfeuer

Es ist ein Schnitter

Die Erstürmung des Camp des Romains

Allerhand aus Stadt und Land

Im Hofbräuhaus

Auf der Straße

Im Dorf

Im Lazarett

Im Schützengraben

Ablösung

Die Vorderen

Ein Sappenangriff

Humor und List

Teil 3

Münchner Bilder

Die Biernot

Der Kaminkehrer

Sieben um eine Mark!

Brot– und Mehlkarten

Auf der Straße

Die Metallsammlung durch Schulkinder

Gesuch der Liebhartin

um Gewährung eines Urlaubs für den Liebhart.

Weihnacht im Krieg

Kriegsjahrmarkt

Aus dem Tagebuch des guten Heinrich von der Fuhrparkkolonne

Eine Kriegswallfahrt

Im Badezug

Die Lebensretterin

Liebesbriefe aus dem Felde

Die Siegesfahne der Totenpackerlies

Allerhand Patrioten

Die Ungedienten

Die Nachmusterung

Vor dem Bezirkskommando

Um Feierabend vorm Quartier

Auf dem O. W.

Der heulende Derwisch

Nachwort von Marita A. Panzer Von der »Hansschusterleni« zur Schriftstellerin Lena Christ (1881–1920)

Editorische Notiz

Teil 1

Kriegserklärung

Krieg! – Ein Weltkrieg! –

Wer hatte dies Wort geprägt?

Dies Wort, das so ungeheuerlich, so furchtbar ist, daß es vordem fast nur von alten Kaffeebasen und von Wahrsagerinnen in den Mund genommen wurde.

Die hatten ja schon immer gesagt: So und so – und wer das Jahr 1920 erleben will, der muß einen eisernen Kopf haben – denn da kommt der Weltkrieg.

Aber das glaubten nur die wenigsten im Volk; – ja – es gab so manchen, der trotz dieser seit Jahren wirklich drohenden Gefahr über solchen vermeintlichen Unsinn lachte.

Zwar hatte heuer im Juni da drunten in Serajewo ein Serbe sich am Leben des österreichischen Thronfolgerpaares vergriffen. Doch das war in Bosnien geschehen, und in Bayern regte man sich nicht lange darüber auf. Man verdammte den elenden Mordbuben, bedauerte aufrichtig die Unglücklichen, die seinem Anschlag zum Opfer gefallen waren, und hatte ein herzliches Mitleid mit den verwaisten Kindern und dem hartgeprüften alten Kaiser Franz Josef.

Man erwartete Sühne, – aber nur einzelne dachten an die möglichen Folgen und schüttelten bedenklich den Kopf.

Und dann kam es.

Mitten in den großen Fremdentrubel – mitten in das wohliggemütliche Ausruhen und sommerliche Rasten vieler Tausender schlug die Botschaft wie eine Bombe ein:

Österreich fordert Sühne! –

Österreich hat an Serbien ein Ultimatum gestellt! – Stunden beklemmender Spannung folgten.

Was wird Serbien tun? –

Am Samstag, den 25. Juli abends, traf dann aus Wien die Nachricht ein: Serbien nimmt das Ultimatum nicht an! –

Es gibt Krieg! –

Wie überall, so auch in München, wirkte das Wort »Krieg« in diesem Augenblick wie eine Erlösung.

Im Blut jedes einzelnen begann es zu wurlen und zu zucken, – man atmete auf, – man erhob sich, – lief hinaus in die Straßen, – man tat, was jeder tat. –

Wie ein ungeheuerer Strom flutete im Innern der Stadt die unendliche Menge dahin, – man wußte nicht, wo sie sich gesammelt – man redete nicht darüber, wohin es ging.

Ein Wogen – Brausen – Jubeln – Vorwärtswallen! »Hoch Österreich! – Hurra, Kaiser Franz! – Es lebe der Kaiser! – Der König hoch! – Nieder mit Serbien! Hurra! Hurra!«

Dazwischen weithinschallender Gesang.

Dann vor der österreichischungarischen Gesandtschaft. – Ein vieltausendstimmiges, brausendes Hochrufen; – plötzlich ein Augenblick der Stille – einer spricht – man lauscht, weint, – Hurra! Hoch! –

Der Gesandte erscheint auf dem Balkon.

Er dankt allen, die da kamen, und spricht die Hoffnung aus, Deutschland und Österreich möchten durch ewige Freundschaft und Waffenbrüderschaft verbunden bleiben. –

Und dann donnert’s abermals und tost’s durch die Menge: »Hoch! Hurra!«

Langsam bewegt sich der gewaltige Zug weiter. »Auf! Zum König!«

Vor dem Wittelsbacher Schloß dasselbe Schauspiel. Brausende Hochrufe.

Dazwischen tönt die Königshymne und »Deutschland, Deutschland über alles«.

Der König aber war in Leutstetten, und so wogte die Menge wieder weiter.

Im Innern der Stadt, in den Bierhallen, in den Kaffeehäusern – überall sammelten sich Hunderte – Tausende.

Stürmisch wurden von den Musikkapellen vaterländische Lieder verlangt und von der Menge stehend mitgesungen.

Eins dieser Kaffeehäuser ging dann an jenem Abend in Scherben; infolge eines Mißverständnisses, wie es später hieß. –

Auch sonst mag mancher in diesen Tagen gewerkt und geschrien haben, dem es besser angestanden wär, zu schweigen; aber das lag halt in der Natur der Sache. –

Eine Woche voll drückender Ungewißheit folgte dieser kurzen, erregten Zeit.

Was wird Rußland tun? – Was Frankreich und England? –

Mittlerweile kehrten die Fürsten in ihre Residenzen zurück, die Sommerfrischler kamen wieder in die Hauptstadt, und die alten Weiber liefen nach der Stadtsparkasse, ihre paar Gräten heimzuholen und im Strumpf oder Strohsack zu verwahren.

Neue Botschaften! –

Rußlands drohende Haltung – Beschießung von Belgrad – nächtlicher Ministerrat in Paris – und schließlich: Rußland mobilisiert!

Mit der darauf in Deutschland folgenden Verhängung des Kriegszustandes begann in München eine allgemeine Flucht der Fremden. Ein Sturm auf alle nach dem Norden gehenden Züge setzte ein, und neben den Bergen von Koffern und Körben schob sich eine ungeheuere, aufgeregte, rufende und fragende Menge durch die Sperren des Bahnsteigs. –

Der nächste Tag, es war Samstag, der 1. August, brachte noch Nachrichten von letzten Vermittlungsversuchen: Der Großherzog von Hessen reist nach Rußland. – Deutschland fragt amtlich in Petersburg an, – Deutschland verlangt Antwort innerhalb zwölf Stunden. –

Rußland schweigt. –

Und dann …

Berlin, 1. August 1914, 6 Uhr 30 Minuten abends: »Seine Majestät der Kaiser ordnete die Mobilmachung des deutschen Heeres und der Flotte an.«

Zu Hunderten drängte sich die Menge um die Telegrammtafeln, – wie ein Aufatmen ging es durch die ganze Stadt: Mobil! –

Als dann kurz darauf vom König ebenfalls die Mobilmachung für die bayerische Armee befohlen wurde, hatte schon alle eine ungeheuere Bewegung ergriffen.

Die Tageszeitungen sagten dazu lakonisch: »Die Bekanntmachung wurde von der Bevölkerung mit stürmischer Begeisterung aufgenommen. «

Ja – wahrlich! – Wer in diesen Tagen unser Bayernvolk sah, – hörte, – der konnte guten Muts für kommende Schrecken sein, – konnte kecklich mit einstimmen in den tausendfachen Sang: »… Fest steht und treu die Wacht – die Wacht am Rhein!«

So war’s in Bayerns Hauptstadt.

Draußen aber, in den Märkten und Dörfern, auf Feldern und Fluren – da war in den letzten Julitagen nicht vieles anders denn die Jahre vorher.

Da mähten die einen, banden die andern; Fuder um Fuder ward schweigsam im Schweiß des Angesichts aufgebaut – heimgefahren – abgeladen..

Der Bauer gab kurz seine Befehle – tat sein Tagwerk; die Bäuerin wirtschaftete im Haus und im Stall, die Söhne und Knechte schafften ihr Werk wie immer.

Da und dort war auch einer auf dem Feld, der trug den Rock des Königs, – und von den Söhnen war der und jener Soldat, – hatte dieser und jener seinen Ernteurlaub. –

Still und geruhig ging’s überall her; man nützte die Tage und sah kaum nach den drohenden Wettertürmen am Himmel, – sah kaum in die Zeitung, die jetzt voll von allerhand Kriegsgerede und Alarmnachrichten war, und machte einen Acker um den andern leer, – eine Tenne um die andere voll mit Heu, Klee, Korn, Weizen.

Aber wenn sie zu den Mahlzeiten im kühligen Hausflöz beisammensaßen und mit dem Löffel langsam bald in die Schüssel über, bald unter dem Dreifuß fuhren, da nahm der Bauer die Zeitung, las eine Weile, führte seinen Löffel bedächtiger zum Mund und sagte danach: »Schaugts, daß’s firti werds draußt, – i fürcht, es geht bald los.«

»Ah was! Dös hoaßts scho wie lang alleweil!« meint die Bäuerin.

»Ja – wenns nur grad amal losgang!« ruft der jüngere Sohn, einer vom Leibregiment.

»Vo mir aus gibts heunt no an Kriag!« sagte der ältere, Gefreiter bei der Feldartillerie.

»Was nur alleweil habts mit enkan Kriag! Es gibt koan Kriag net, sag i!« brummt die Hausmutter und macht das Kreuz und betet: »Himmlischer Vater, wir danken dir, daß du uns gespeist hast …«

Da tritt der Postbot ein – mitten unterm Beten. »Hans! A Telegramm! – Sepp! – Für di aa oans! – Pfüat enk Good.«

»Gelobt sei Jesus Christ«, schluckt die Bäuerin. »In Ewigkeit. Amen«, sagt halblaut der Bauer.

»Muata – i muaß glei furt – eirucka«, kommt’s von den Lippen des Jüngeren.

»Vata – i muaß abfahrn – glei auf der Stell!« tönt’s vom Mund des Älteren.

Und sie weisen den Alten ihre Befehle.

»Jess Maria – daß Gott derbarm!«

Die Bäuerin schlägt nochmals ein Kreuz.

»Jetz grausts ma; setz bring i mei Sach nimmer hoam.«

So sagt der Bauer und starrt auf die Telegramme. »Ja no – des is halt a so.«

Langsam deckt die Dirn ab, – langsam legt die Bäuerin das härwene Tischtuch in die Schublabe.

Da geht der Bauer in die Kammer.

Nach einer Weile kommt er wieder, zählt zwanzig Talerstücke auf den Tisch und sagt zu seinem Weib: »Dreißg Mark für an jeden. Richt eahna d’Sach zsamm, Muata!«

Nach einer Weile ein helles Juchzen im Hof.

Vom Stall her antwortet ein zweites – von der Straße her ein weiteres.

Da steht der Sepp in der Uniform des Leibregiments; die Mutter schneidet ihm ein Zweiglein Rosmarin vom Stock, – der Vater reicht ihm ben braunen Handkoffer: »Schaug halt, daß d’ wieder kimmst, Sepp.«

Der Hans tritt aus dem Stall: »Juhu! – Vater – schnell no an Schapfa Bier her! … He! Kurbei! – Wastl! – Da gehts hera! … Mir gengan aa glei mit! … Trinkts no schnell amal, ehvor!«

Die Dirn steigt eilends hinab in den Keller und bringt etliche Flaschen.

Der Bauer langt die blaue, bauchige Krugl vom Fenstersims und schenkt ein: »Soo. Trinkts, Buam! – Daß’s wieder hoam kemmts!«

»Dös tean ma scho. Aber zerscht müaß ma no auf Paris eine!«

»Und auf Petersburg!«

Alle lachen – juchzen – trinken.

Der Hans besteckt sich mit Balsaminen und Georginen, – der Wastl vom Nachbar bettelt sich ein Rosmarinsträußl, – und der Kurbei vom Häusler beginnt zu singen: »Siegreich wolln mir ’s Frankreich schlagen …«

»’s Rußland hoaßts jetz – du Ochs!« verbessert ihn der Wastl, und ein lustiges Lachen ertönt.

Dann ein kurzer Abschied.

»Also – pfüat enk der Himmel! Mir arbatn scho, daß koana einakimmt auf Bayern – koa Franzos und koa Ruß! – Geh – woan net Muata! – Mir san ja no net daschossn! – Des hat do no Zeit bis darnach!«

»Pfüat di Good, Vata. Mir kemman scho wieder.«

»Pfüa Good, Bauer.«

»Pfüa Good.«

»Juhu! Jujujuhu! – – – Siegreich wolln mir ’s Frankreich schlagen – sterben als ein tapfrer Held …«

Stumm geht der Bauer an die Arbeit.

Die Bäuerin läuft die Stiegen hinauf und steht lange auf der Laube, wo die vielen Geranien feuerrot blühen, steht und schaut lang hinaus, bis der Wald die Dahingehenden aufnimmt.

Schweigsam geht der Tag dahin; – schweigend sitzt man bei der Abendsuppe.

Bald darauf dröhnt der Hausriegel, – der Bauer verwahrt sein Sach heut ehender denn sonst, – er ist müd.

Die Bäuerin folgt stumm und mit rotgeweinten Augen.

Ums Gebetläuten liegt alles ringsum in der Ruh, – nirgends mehr sitzt einer auf der Hausbank.

Da – um halb zehn Uhr fährt der Bauer auf. Die Hunde geben wütend Laut – Stimmen von Männern dringen vom Hof herein. –

Jemand rüttelt an der Haustür: »He da! – Aufmacha! – Auf da! – Bauer! – Ortsführer!«

»Was gibt’s?« fragt der Bauer aus dem Fenster.

»Der Kriag is erklärt! – Unterschreiben! – Der Ortsführer muaß unterschreibn!«

»Der bin i net. Naa. Der Kriag, sagts? … Der Windl brent … Der Nachba is Ortsführer … Is er vom Kini selber erklärt …?«

Aber die hören ihn nicht mehr; schon dröhnen ihre Stiefel an die Tür des Nachbarhauses.

»Aufgmacht da! – Der Kriag is erklärt! – Unterschreibn! – Ortsführer, auf …!«

Langsam vergeht die Nacht, – in mancher Kammer verlöscht das Licht erst beim Morgengrauen.

Am andern Tag sagt der Bauer: »I muaß an Knecht habn; – der Moaz muaß hoam, daß ma in d’ Mühl fahrn kinnan – der Kriag is erklärt …«

Mobilmachung

Auf dem Marktplatz eines Kirchdorfs

Stegrainer, was muaßt hergeben?«

»Zwee Ross’ und zwee Wagn, Nickl.«

Der Nickl von Reuth schnupft; dann sagt er langsam: »Soo. Zwee Ross’ sagst und zwee Wagn. Ja mei. Bei mir sand’s zwee Buam, der Knecht, drei Ross’ und oa Wagn. – Und beim Posthalter vier Ross’ und vier Buam. – Da kannst halt nix macha.«

»Naa«, erwidert der Stegrainer von Berganger; »da kann ma nix macha. – Beim Marottn is vor acht Täg ’s Wei gstorbn – ausn Kindlbett, – des Kloa gsund – siebn Kinder da, – jetz muaß er furt – zwee Knecht furt – a paar Ross’ furt … Ah was! – I bin stad. – Es is ja doch oa Ding! D’ Hauptsach is, daß si nixn feit.«

»Naa, mei Liaber! Fein tuat si nixn!« sagt der Nickl fest. »Mir zoagn ’s eahna scho! – De ham si schwaar verrechnet! – Anno siebazg hams Prügl kriagt; aber jetz – Bua – jetz kriagns no mehra! – Bal mir kemman – mir …«

»Grüaß di Good, Nickl! – Grüaß di Good, Stegrainer!«

»Ah – der Hintermoare!«

Der Briefbote will an ihnen vorbei. Sie rufen ihm nach: »He, Hintermoar, wo aus denn?«

»Furt, auf Münga – Reservemann!« – – –

Sein Weib, die hagere, bleiche Postbotin, kommt eilends hinter drein: »Vata, – i muß dir no epps sagn, – wenn grad d’ Bachmoarin ehender kalben tat – i laß halt ’s Kaibe da und stells auf. – Eppan werds a scheene Kalm, bis d’ wieder kimmst. – Und der Zinneberger hat dir no dees Packerl da gschickt mit an Gruß … Und tua mi net vergessen z Frankreich hint … Jessas! – Der Bua und ’s Dirndl!«

»Pfüat di Good, Vata! – Gell – vergiß fei mein Sabel net, wennst oan findst!« schreit der Bub.

»Und für mi aa was bringa!« bettelt das Maidl.

Die Postbotin gibt dem Vater stumm das Päcklein, dann sagt sie rauh: »Hoam jetz! … Vata … es werd Zeit … schreib ma … kimm wieder … !«

Am Bahnhof

»Juhu! – Mir san de tapfern Bayern …«

Singend und auf der Harmonika blasend kommt ein Häuflein Reservisten zum Zug.

»Jujujuh! – Michei! Franzei! – Ja grüaß enk! – Dahin gehts! Juhu!

Mir marschieren ins feindliche Rußland hinein –

Und zeigens den Serben unsern Mut, –

Mir machens den Franzosen gar viele große Pein –

Und verspritzen das englische Blut – ja Blut – – –«

Ein Haufen lachender Bauerndirnen kommt eilig auf den Bahnhof.

»Mir ham Kränzn da! – Insane Buam solln no Kränzn kriagn und Buschn!«

Jede leert ihre Schürze aus: »Hansei! – Pfüate!« – »Gregori – i wünsch dir Glück!«

»Wastl …!«

Die Rosl vom Lebzelter geht aufweinend von dannen.

Der Wastl steht mit stierem Aug’ am Fenster des Wagens – »Rosl …!«

Ein rauhes Juchzen – dann hilft auch er die Kränze und Buschen an die Wagen binden.

Die Lokomotive wird aufgeputzt wie eine Hochzeiterin, und der Schwaiger Ludwig hängt ihr eine großmächtige Tafel um: »Nach Rußland und Paris.«

Die alte Kramerschusterin kommt schnaufend und hustend zwischen den Holzstößen auf dem Bahngleis daher, ein volles Binkeltuch in der einen Hand, ein Paar Rohrstiefel in der andern.

»Franzl!« schreit sie; »Franzl! Der Vata moant, du sollst do liaber seine Kanonastiefe aa mitnehma! Er sagt, er is des andermal aa so gutding auf Paris kemma damit – leicht gehst di du aa gschwindsa!«

Und langt ihm die Stiefel hinauf und das Tuch: »Und a paar Nudl hab i dir no bettlt bei der Grislmüllerin – daß dir da Magn net laar werd auf der Roas. – Und a alts Schkapulier vo insana Frau von Altnötting ...«

Ein Pfiff – ein Hutschwenken – Juchzen – Tücherwinken – dahin geht’s.

Auf der Fahrt

Wie ein dunkler Wurm kriecht das Züglein über die Brücke, durch die Wiesen – durchs Moor.

Da rennt einer den Adlinger Berg herab, rennt, läuft, springt, – schwenkt sein graues Kofferl und schreit was er kann: »Oh Eisnboh! Oha, sag i! – I muaß no mit – in Kriag – insa Kini braucht mi!«

Drinn im Zug haben sie ihn schon gesehen.

Etliche springen auf – rennen hinaus – ein Sprung vor zum nächsten Wagen – durch – hinaus – hinauf aufs Dach des Postwagens, – und dann schreien sie dem Lokomotivführer hinüber: »Halten! Anhalten! Es kimmt no oana! – Langsamer! – Öh! – Gott sei Dank – er derwischt ’n no!«

Der Zugführer hat ihn jetzt gesehen. Er bremst, – der Bursch springt auf – die andern kraxeln wieder zurück, und dann geht’s mit lautem Hüa! und Juhu! wieder weiter.

In Grafing heißt’s umsteigen.

Da stehen schon leicht an die hundert Burschen und Manner, alle mit Buschen und Blumen geschmückt, lachend – singend – scherzend.

Von Ebersberg her fährt soeben auch ein Zug ein, geschmückt und bekränzt wie der unsere.

Eine Schar Einberufener springt heraus.

Ein baumlanger Bursch gibt einen Befehl. Alle ordnen sich in Reih’ und Glied – eine Ziehharmonika wird laut, und die Gesellschaft marschiert juchzend und schnackelnd durch die Sperre des Bahnsteigs.

Lachend vereinigen sich die Anwesenden mit ihnen; es ist ein gerechter Haufen.

Indem sagt der Bahnsekretär: »Jetzt wird gleich ein Österreicher- Zug durchfahren – der dritte heut – ganz voll Reservisten.«

Im gleichen Augenblick wird er auch schon sichtbar; da – wieder ein Befehl des Langen – die ganze Horde springt über die Sperre – stellt sich in Parade stramm, – die Ziehharmonika spielt den Radetzkymarsch, und ein unbändiges »Hurra! – Heil!« erschallt.

Und »Heil! – Hoch Bayern! Heil!« ertönt’s hundert- und tausendfach aus dem reichbekränzten, schier endlosen Zug, und Tücher und Hüte winken daraus, bis er hinter dem Wald verschwindet.

Inzwischen werden große Zuber voll Wasser geschöpft, ganze Körbe voll Brot, Wurst, Obst, Zigarren und Zigaretten auf den Bahnsteig geschleppt – ein Karren mit Limonaden und Selterswasser aufgefahren.

Der Rosenheimer Zug fährt langsam ein, geschmückt wie eine Stadt im Antlaß – mit Birken und Eichenlaub.

Gellende Juchschreie erschallen – viel hundert Köpfe drängen sich an den Fenstern – Frauen und Mädchen rennen eilig hin und her und beschenken alle, so lange sie haben.

Bald sind die Körbe geleert, die Flaschen verteilt, die Pferde getränkt – die Unsern abgefertigt.

Unter den schreienden Tönen der Harmonika marschieren sie zum Zug; bald wurlt und wimmelt’s drinnen in den Wagen von Soldaten.

Fröhliches Grüßen – kernhafte Witze – Jauchzen und Singen; es ist, als wollten alle zu einer großen Kirchweih fahren oder sonst zu einem Fest.

Dann geht’s: »Wo ghörst denn hin?«

»Zu der Hottollerie; erschtes bayerisches Zuckerhuat-Regiment!«

»Und mir zu de Schwaarreiter.«

Andere mischen sich ein: »Je! Des waar aa no was – zu de reitadn Milliweiba! – Da san halt mir Leut! Mir ghörn zu de ganz grimmign – mir san d’ Aufschlitza!«

Jeder zieht sein Griffestes aus dem Sack: »Insane Vereinszeichen ham ma aa dabei, – daß ’s koan Irrtum net gibt bei de Franzosen! De kunntn sunst eppan gar an Boarischn für an Ausländer halten!«

»Ja – da habts recht. Nachher tatn s’ ins womögli no gar mit Fahna und Musi empfanga!«

»Bua – desfell maar zwider!«

»Da kamatn mir zletzt gar nimma zum Schiaßn! – De schreiatn scho von der Weitn: ›Ah! Servus Mosjeh!‹ und tatn ins nachher als Ehrenbürger von Paris überall ausstelln!«

»Naa – des waar gar nix. Gschossen muaß werdn – und graaft aa.«

»Ah – mei Liaba! A so a richtige, grechte Raaferei – wo d’ Stiefesteckl und d’ Stuihhaxn grad a so umafliagn – ah – Bua – des is scho eppas scheens!«

»Ah – des glaab i! – Und – was d’ Hauptsach is: bei dera Raaferei derfan d’ Staatsanwalt und d’ Amtsrichter selm mittoa!«

Ein Pfarrer tritt zwischen die Gesellschaft: »Kinder Gottes – net so gach! Im Krieg geht’s mit den Geboten fein grad so genau, wie im Frieden! Da heißt’s halt kämpfen aus Gehorsam – aber grauft wird nix!«

»Ja freili!« schallt’s ihm da entgegen. »Jetz hören S’ aber auf, Herr Pfarrer! – Für was hätt’ ma denn nachher insane Seitengwehr?«

»Jawoi! Und zu was wern nachher jetz insane Sabel so guat gschliffa? – Naa, Herr Pfarra – an Kriag ohne Raafa – des kann i mir net denka!«

Die Ziehharmonika wird wieder laut; einer singt:

»An Herr Pfarra, den muaß ma achten, An Herr Lehrer, den muaß ma ehrn; Und d’ Franzosnrammel muaß ma niederschlagn, Daß d’ Stiefesteckl umkehrn!«

Die andern fallen ein; der Pfarrer lacht und setzt sich wieder in seine Ecke.

Etliche Burschen ihm gegenüber haben grad ein Trutzgsangl beendet.

Jetzt zieht einer aus jedem Sack eine Flasche Bier, steht auf und hält sie dem Pfarrer unter die Nase: »Herr Hochwürden – was moanan S’ jetz, daß da drinn is? – Da drinn, sehng S’, da san Franzosen – und da drinn san Russen. De wern jetz allsam verschluckt! – Oans … zwoa … drei …«

Der geistliche Herr starrt den Burschen entsetzt an … Auf ja und nein sind beide Flaschen leer.

Und der Ander wischt sich lachend das Maul und sagt: »Soo. Und de zwee Flaschna – de ghörn für d’ Engländer; de schlag i eahna so lang um an Schädl uma, bis eahna d’ Scherbn bei de Nasnlöcha außaschaugn ...!«

Der Zug hält.

Juchzen erschallt und Singen, Grüßen und Lärmen.

Und vor der Sperre des Bahnsteigs steht einer, der hat sieben Buben wie Orgelpfeifen vor sich: »Also – halts enk guat! Der wo am erschtn des Eiser Kreiz hoambringt, der is ma der Liabane – dem ghörn de zwee grawn Schimmel und der Blaß! – Machts ma koa Schand – schreibts, wenns epps brauchts – und kemmts wieder allsam gsund hoam …«

Ein bärtiger, hagerer Mensch zeigt seinen Paß. Dann tritt er noch ans Gitter und eine abgehärmte Frau redet zu ihm: »Also … Vata … bals a Bua is … i gib eahm halt dein Nam … Angst is ma scho … so ganz alloa … wenn nur ’s Lisei oder ’s Kathei scho größer waar … daß s’ aufs Marei und aufs Resei a bisl aufschaugn kunntn … Abgeh werst ma scho, Vata … aber des macht nix. Du kimmst ja wieder … Eppan kann er gar scho steh derweil – bis d’ wieder kimmst … Und tua di net kümmern zwegn insa … I bring ins scho durch … a Arbat findt si scho …«

»Einsteign! … Fertig!«

Langsam rollt der Zug dahin.

Stramm und aufrecht steht der Alte, schwenkt den Hut und juchzt seinen sieben Söhnen nach, – totenbleich lehnt das Weib am Gitter … die Augen starren leer dem entschwindenden Zug nach … dann wird’s hart in dem schmächtigen Gesicht; ein Seufzer … sie strafft sich und geht heimzu …

Draußen aber auf Ackern und Wiesen halten die Mahder inne, da der Zug vorüberfährt; jauchzend kniet das Maidl auf dem beladenen Wagen und winkt … die Knechte schreien Heil und Glück, und die alte Großmutter läßt den Rechen fallen … schaut und schaut … und schüttelt sinnierend den Kopf: »Ha, so viel Buam. – Und alle fürn Kini …«

Ganz nahe der Münchnerstadt aber haben sie eine große Schultafel mitsamt dem Gestell an den Bahndamm geschleppt; Gewinde von Laub und Blumen ranken sich darum und, mit Kreide geschrieben, stehen die Worte drauf:

»Mit Gott für König und Vaterland!«

Und eine Schar von Kindern steht dabei, wirft Blumensträußlein in die Wagen und jubelt: »Hurra und Hoch!«

Da erheben sich die Manner, die Burschen werden ernst – einer beginnt: »Gott mit dir, du Land der Bayern …« und dann schallt es mächtig durch die Halle des Bahnhofs: »Gott behüte diese Fluren – schirme unsrer Städte Bau – und erhalte uns die Farben – deines Himmels: weiß und blau!«

In München

»Aufgehts, Buam! – Aussteign! – Da san ma beim Dasein!«

Alles greift nach dem Hut, nach dem Koffer, nach dem Bündel. Die einen stürmen vorn aus den Wagen – die andern hinten; etliche steigen gar aus den Fenstern, weil’s ihnen durch die Tür zu lang dauert.

»Hallo! – Wo aus jetz!«

Ein dichter Knäuel von Burschen und Männern windet sich durch die Berge von Koffern und Kisten, Schachteln und Fahrrädern, die unaufhörlich mit Rollwagen angefahren und in die Versenkungen geschafft werden.

In der großen Halle ist kaum ein Durchkommen.

Da stehen Soldaten aller Truppen, Hunderte von Reservisten, Gruppen von Offizieren. Dazwischen drängen sich die Wartenden, Abschiednehmende – Neugierige.

Frauen und Mädchen drücken sich durch das Gewirr, – die einen lachend – grüßend – scherzend, – andere ernst und betrübt, – etliche Blumen und Zigaretten an die Truppen verteilend.

Hier ein Österreicher-Zug.

Eilig stürmt ein Haufen junger Gesellen hinein, singend und lärmend.

»Heil und Sieg!« tönt’s hundertfach. »Grüaßts den alten Franzl! – Hauts enk guat! – Heil!«

Einer steht am Trittbrett eines Wagens; – ein junges Weib vor ihm. Er nagt und zerrt an seinem Schnurrbart, – sie schaut trüb ins Leere …

»Alsdann, Weiberl! … Tua di net sorgnen! … Wer waaß, wias geht! … Wanns will – kumm i ja eh wieder heil zruck … und wanns net will …«

Ein Ruck – hilflos starrt sie ihm ins Gesicht – »Leb wohl … Lieber … an den Hochzatstag denk i …«

Aufweinend stürzt sie davon.

»Mali! … Weiberl! … Alsdann! … Himmel Herrgott – – – Fahrts zua, sag i! … Auf nach Serbien …«

Wieder drängt ein Haufen zu den Wagen.

Ein abgerackerter, armseliger Kerl schleppt ein endsgroßes Bündel, – ein kleinwinzigs Wuzerlein hängt dran und ruft weinend: »Müad … Papa … Karle müad!«

Aber der Vater hört nicht.

Ein Mädchen und drei Buben rennen hinterdrein, – die Mutter mit einem Wickelkind am Arm folgt als Letzte schnaufend und hüstelnd.

»Steig ein, Alter – steig ein!« mahnt sie. »I hab Sorg, er geht uns davon, bevor wir drinn sand! … Mach a weng, Alter! … Sunst kimmst z’ spat zum Daschiaßn!«

»Laß ma do mein Ruah! … Waarts halt dablieben – Bagasch! I brauch do ka Famülie net, wann i in Kriag geh!«

»Natürli! Da hat ma’s wieder!« schimpft sie, indem sie ihm das Wickelkind hinaufreicht und danach mit den andern in den Wagen steigt. »Ka Famülie! … Gell … abdampfen … und die arm Frau samt die Hascherl im Stich lassen … das kanntest! … Da waar dir der Kriag grad gwunschn kemman! … Aber oha, mei Freinderl! … Mir gengan mit … bis ins Schlachtfeld auße … wanns sein muaß …!«

Schon schrillt das erste Pfeifen den Zug entlang; da kommt noch einer – im Arbeitsgewand, – ohne Hut, – ohne Habe, – nur im Besitz eines unbändigen Rausches.

»Se – bin i da recht – auf Wean – in d’ Kaisertadt? – Net daß i wo anderst hinfahr – und der Herr Feldwebel – der schimpft na recht …«

Der Schaffner schiebt ihn lächelnd in ein Abteil, – noch ein Pfiff und »Heil und Sieg! – Heil!« – Fort geht’s.

Die Unsern werden derweil von Unteroffizieren aller Truppenteile in Empfang genommen, wobei es an ein Lärmen und Schreien geht wie beim großen Viehmarkt.

»Infanterie! – Erschtes Infanterie!«

»Leibregiment!«

»Siemtes Feld! – Artillerie!«

»Erschtes Feld!«

»Schwerreiter eins!«

Jeder brüllt seinen Truppenteil und seine Regimentsnummer, bis er heiser ist; alles sammelt sich – ordnet sich – bildet Kolonnen, – und dann geht’s über den Bahnhofplatz und durch die Straßen dahin zu den Kasernen oder Quartieren – singend – juchzend – lachend.

Etliche blasen auf der Mundharmonika, – einer führt sein Piston an die Lippen, – und bald hallt’s durch die Straßen: »… Ihr woll’n wir unser Leben weihn – der Flagge schwarz-weiß-rot!«

Menschen sammeln sich ringsum – grüßend – winkend; an den Ladentüren stehen sie – aus den Fenstern rufen sie; durch die Gassen schiebt sich die Menge, und ein Haufen Kinder marschiert neben den Einberufenen.

Ein paar Offiziere kommen des Wegs.

»Tritt gefaßt! – Achtung! – Augen rechts!«

Die Offiziere winken lächelnd: »Schon recht, Kinder!«

»Rührt euch!«

Lachen und Scherzen hebt wieder an.

Rufe werden laut, wenn sich ein junges Mädchen, ein handliches Kocherl zeigt.

Ein Bursch steht vor einem Wirtshaus, da die Kolonnen vorbeimarschieren. – Plötzlich erkennt er unter ihnen einen Freund. – Über die Straße – hinein in die Reihe – das ist eins.

»Ja Franze! – Grüaß di der Himme! – Ja – wennst du eine muaßt – na geh i aa eine! – Mir Freind ghörn zsamm!«

Der Unteroffizier faßt ihn rauh an: »Raus da – Sie – aus der Reih! – Sie ghörn doch da net rein!«

»Was ghör i? – Aber scho schö ghör i! – Wo mei Freind is – da bin i aa! – I geh mit auf Frankreich – und geht’s, wie’s mag!«

Vergebens mahnt – schimpft – flucht der Gestrenge; der Freund bleibt an der Seite des Freundes, – und im nächsten Augenblick stimmen beide den Sang an:

»Wir sitzen so fröhlich beisammen. Ja wir haben einander so lieb. Und wir versüßen einander das Leben – ja Leben, Ja – wenn es nur immer so blieb!«

Sogleich fallen mehr Stimmen ein – die Mundharmonika bläst dazu, – und dann schallt’s durch die Straßen:

»Es kann ja nicht immer so bleiben, Wohl unter dem Wechsel des Monds, – Und der Krieg muß den Frieden vertreiben – vertreiben, Und im Krieg da wird keiner verschont!

Da kommen die stolzen Franzosen daher. Mir Bayern – mir fürchten sie net, – Und wir stehen so fest wie die Mauern – ja Mauern Und mir legens die Waffen nicht weg!«

Im Massenquartier

»Alle Kasernen besetzt – alle Bräuhäuser besetzt – Quartier beziehen in dem und dem Schulhaus!«

»Was? – In d’ Schul müß ma geh? – Ja – mir gangst! – Dös hätt ma schö dick!«

Ein Brummeln und Murren wird bei manchem hörbar; aber dem eisernen Befehl: »Rechts schwenkt marsch!« widersteht doch keiner.

Also geht’s ins Schulhaus.

Die Frau Hausmeisterin öffnet die Tore sperrangelweit, hält verlegen den Schürzenzipfel an den Mund und seufzt: »Insa liabe Frau – de Leit! – Wern de an Dreck macha! – Mir graust, wann i drandenk!«

Langsam verschwinden die Massen in den Gängen. Die Tore schließen sich. Ein Posten wird ausgestellt.

Ein Lastautomobil fährt vor; Feldwebel, Unteroffiziere, Soldaten in Felduniform springen ab und treten ins Quartier.

Dann folgt Wagen auf Wagen; alle beladen mit Strohsäcken, Uniformen, Stiefeln, Mützen. Ungeheuere Mengen Brot kommen an, und der Posten reißt Augen und Maul auf.

»Was schaugst denn?«

»Wos des viele Sach so gschwind herbracht habts!«

»Ja, mei Liaba! – Des war alles scho parad für enk!«

»Für ins! – Mir san ja selm grad kemma! – Wia habts denn ös des gwißt? …«

»Gschmeckt ham mas – Rindviech! – Auweh – der Schane …«

Geschäftig läuft der Sprecher hin und her, indes der Posten langsam auf und ab wandelt.

»Soo – raus da – anpacken!« befiehlt der aus dem Tor tretende Sergeant; und im Nu sind die Strohsäcke drinn in den Klassenzimmern und Turnsälen.

»Wachmannschaft hierher!« ruft ein Unteroffizier aus dem Ersteklass’zimmer. »D’ Schulbänk alle aufeinand im Eck! – Zwoa Strohsäck rein! – A bißl schneller – schneller da! – Ihr tragts ja an euere Strohsäck, als wenns an Napoleon sein Paradiesbett in Händen hätt’s!«

Daneben im Schulzimmer der zweiten Mädchenklasse wird ausgeräumt.

»Alles naus! – Die Plakatn da von de Wänd weg – die Affen und Elefanten! – Jetz kommens so in Natura rein!«

Zwei schleppen einen rohgezimmerten Tisch hinein, – andere bringen alte Gartenstühle vom Hackerkeller; – eine lange Bank wird aufgestellt, etliche Bierbanzen kommen darauf.

Einer löscht das Abc auf der Schultafel aus und schreibt mit verschnörkelter Schrift darauf:

»Bier per Halbe 13 Pf. Preßsack 10 Pf. Zwei Paar Wiener 20 Pf.«

Eine große Kiste wird aufgebrochen und die deckellosen Maßkrüge, die Keferloher, herausgenommen und an den Fensterbrettern aufgereiht.

Körbe mit allerhand Würsten werden in das Zimmer geschleppt, und der Unteroffizier hängt sie sauber an die Nägel der »Plakate«.

Unterhalb des Wandherrgotts hängt der Schwartenmagen und daneben die Dünngselchten.

Vor der Tür draußen aber steht einer auf der Staffelei, kehrt die Tafel mit der Aufschrift: »Zweite Klasse b« um und malt groß und massig das Wort »Kantine« drauf.

Aus dem ersten Stock brüllt derweil ein Feldwebel hinab in den Hausflur: »Rauf mit de Strohsäck! – Monturstücke da nei! – Sie da! – Können Sie net hörn, was i sag! – Monturstücke da nei, hab i gsagt!«

»’Befehl, Herr Feldwebel!« ...

»Alle Schulbänk in der Mitten vom Zimmer zsammstelln als Tisch! – Strohsäck an die Wänd mit drei Schritt Abstand von einand! – Was is denn das wieder – Sie dahinten! – Was geht denn Eahna der menschliche Körperbau an? – Sie wern wohl auf der Zielscheibn aa ohne Anatomie an Kopfschuß von a r an Bauchschuß unterscheiden könna! – – Mack, was ham denn Sie alleweil auf der Landkarten rumz’vagieren? – Was? – Paris? – London? – Nix da! Da gibts nix zum schaugn! – Unsere tapfere Artillerie wird euch den Weg schon zeigen, den wos ihr zu gehen habts – verstanden! – Runter mit dem Glump!«

Er geht ab.

Ein Unteroffizier tritt ein, steigt zum Katheder empor und schreit: »Antreten! – Daß mir keiner an Dreck reimacht in d’ Stuben! – Daß mir keiner auf die Bänk kratzelt! – Daß mir keiner auf dem Fußboden rumspuckt! – Daß i koan derwisch, der wo mir da herinn raucht! Den erschtn, den wo i siech mit der Schpreizn im Maul – der kann si gfreun! – – Weggetreten!«

Nun schreibt einer mit Kreide über jede Lagerstatt einen Namen auf den grünen Ölfarbsockel. Danach geht er an die Schultafel und malt steif und dick die Belegschaftsaufschlüsse, die Hausordnungsgebote und den Befehl drauf: »Bei Feueralarm durchs östliche Ausgangstor!«

Hierauf wird jedem sein Lager gewiesen, und einer nach dem andern legt sein Reisekofferl unters Kopfende, betrachtet den Strohsack und murmelt: »Is des alles? – Was is’s denn mitn Kopfkiss’ – und mit der Zuadeck?«

Aber da plärrt schon der Herr »Unter«: »Was möchts? – A Kopfkiss’ – a Zuadeck? – Des glaab i! – Nix vorhanden – muaß erscht gstift’ wern! – Einstweiln hoaßts ganz einfach aufn Hintern liegn und mitn Bauch zuadecka! – Wann oaner nachher no a guats Gwissen extra hat – na schlaft er aso wia in a r an Steiners Reformbett!«

Er wird abgerufen; – an die Mannschaften aber ergeht der Befehl: »Antreten zum Monturfassen!«

Alles rennt und rumpelt zusammen; dann geht’s hinab über die Stiegen und vorbei an Zimmern und Sälen, bis endlich der Befehl »Halt« ertönt.

»Dritte Klasse a« steht hier über einer Tür; darunter aber ist der Vermerk zu lesen: »Kompagniekammer – Abteilung a – Drillich-, Feld- Hosen – Röcke – Mützen.«

Daneben, am Eingang zur dritten b-Klasse, hängt eine Tafel: »Komp.-Kam. Abt. b – Stiefel – Helme – Binden – Leibriemen.«

Hier sind ganze Berge von Uniformen und Ausrüstungsstücken aufgeschichtet, und über allem thront auf einer hohen Staffelei der Herr Kammersergeant.

Er hat die Mütze in der Hand, wischt sich den Schweiß von der geröteten Stirn, bläst schwül vor sich hin und beginnt sodann von oben herabzuschreien: »Antreten! – Kleider ablegen! – Soo – a bißl fix da! – – Achtung!« …

Mit großer Schnelligkeit beginnt er nun, Stück um Stück von den hochaufgetürmten Ballen zu ziehen, schleudert jedem ein Trumm in die Arme oder an den Schädel und befiehlt: »Anprobiern!«

Dann hält er eine Weile still und betrachtet schmunzelnd das Bild unter sich.

Und dann geht’s los: »Ja, Himsel! – Mensch! – Wie schaun denn Sie aus! – Eahna hängt ja der Rock dran, wie dem Goliath sein Nachthemd einer Vogelscheuch! – Tauschens amal mitn Maierle! – Der Kerl schaut aus, wie a aufgsprungene Dampfwurscht! – – Was is mit euch dahint? – Was is rupfern? – Für euch werd ma ’s nächstemal gloriaseidane Drillchmonturen liefern lassen – des könnts euch denken! – – Huber! – Ja ums Himmels willen! – Mensch! – Sie ham ja den Hosenboden bei de Knia drunt! – Runter damit! – D’ Nummer! – Da – da hams a längere!«

Wieder fliegt jedem ein Stück an den Kopf; die Mützen werden probiert.

»Baumann! – Malefizkerl! – Setzens ma eahna Mützen net so schiaberisch auf, sag i! – – Is jetz alles fertig? – – Jessas, Jessas naa! – Ortler! – Hornochs! – Ham denn Sie gar koane Augn? – Z’ kurz natürli!«

Die Staffelei wackelt, so wettert und werkt der Herr Sergeant.

»Jessas, Jessas naa! – Hab i denn lauter Trottln in meiner Kompanie! – Runter mit der Hosen, sag i!« –

Krampfhaft verbeißt er das Lachen, sucht fluchend eine andere Hose und wirft sie dem schmunzelnden Ortler zu: »Da – die is länger! – Aber rasch a bißl, jetz! – Rasch, sag i!«

Er steigt keuchend und scheltend von seinem Sitz herab und verfolgt mit rollenden Augen alle Bewegungen des Ortler, der sich mit fieberhafter Eile wieder anzieht.

»Zivilmontur zsammlegn! – Übern Arm! – Antreten! Rechts schwenkt – marsch!«

Wieder wischt er sich mit dem Schnupftuch übers Gesicht. Nun geht’s hinaus aus der Kammer und nebendran hinein.

Hier werden Tornister und Feldstiefel gefaßt.

Der Herr »Kammer« schleudert jedem ein Paar Stiefel hin und dann beginnt das Probieren.

»Melde gehorsamst, Herr Schaschant, i komm net nei!«

»Was? – Net nei? – Schragn herzoagn! – – Jessas, Jessas, hat der Kerl a Paar Trittling! – Da durft oana ja a Paar Dampfschiff baun – für solchene Plattformen!«

Er sucht, dann wirft er ihm ein anderes Paar hin. »Da – die hat der Schuaster zwar fürn Schichtl sein größten Stanglaffen gmacht – aber – sie wern Eahna aa grad recht sein!«

In diesem Augenblick großes Gepolter in der Ecke. Zwei haben sich gegenseitig brüderlich stützen wollen beim Schuhanziehen, dabei sind beide umgefallen; nun hat der eine im Sturz eine Säule von Tornistern eingerannt.

Wieherndes Gelächter.

Er liegt unter dem Haufen begraben.

Da ein furchtbares Donnerwetter des Gestrengen, der selber das Lachen gewaltsam verbergen muß.

»Ja – Himmelherrgott … Saustall verfluchter … Was müaßts denn ihr mit euere Christbaambrettln bei de Tornister umanandfahrn? – Könnts Ihr euere Haxn net bei euch lassen! – Ihr Malefizhallodri! …«

Endlich ist jeder ausgerüstet, und alles trägt seine Sachen hinauf in die Schlafräume, nachdem noch die Gewehrkammer heimgesucht wurde.

Nun stehen die Schießprügel sauber in Pyramiden beisammen; die Leute aber packen ihre Zivilkluft ins Kofferl, legen den Tornister als Kopfpolster zu Häupten des Strohsacks und schnallen den Mantel, sorgfältig gerollt, um den Tornister. –

Nach sechs Uhr heißt’s dann Menage fassen.

In der Schulküche stehen noch die Stöße Geschirr, Teller und Platten, Schüsseln und Näpfe, die sonst von den Mädchen der Haushaltungsschule benützt wurden. Nun aber werden sie alle von den Soldaten requiriert.

Eine Weile später sieht man die Mannschaften in Kolonnen zum nächsten Bräuhaus ziehen, wo sie vorläufig verköstigt werden, bis aus der Schulküche eine Mannschaftsküche gemacht ist.

Jeder hat ein Trumm unterm Arm: dieser eine ovale Fleischplatte mit Goldrand, – der eine viereckige Gemüseschüssel mit Rosenmuster; einer eine Suppenterrine für drei Personen und der andere den Deckel davon.

Ein Haufen Neugieriger drängt sich heran.

Etliche stecken den Soldaten Zigarren oder Zigaretten zu; – andere teilen Obst aus, und eine alte Mutter fragt teilnehmend: »Ja ha, wo schlafts denn ös? – Habts denn ös aa r a Bett, Buam?«

»Naa!« sagt einer verstohlen; »mir liegn alle auf der Haut!«

»Ach Gott! – Die arma Teifeln!«

Sie läuft von Gruppe zu Gruppe, die Alte: »Ham Sie’s ghört, Frau Meier! – Die arma Kerln müaßn direkt auf der Haut liegn! – Koana hat a Bett! – Also – da muaß doch was gschehgn dafür! – Geh, Frau Schmid – Frau Huber – wissen S’ gar neamd, der wo a paar übrige Decken hat – oder Kissen? – – Zwoa Kissa und a Deckn hab i selber. – I wer glei gehn und werd s’ holn!«

Nun geht’s wie ein Lauffeuer durch die Menge, und eins fragt das ander: »Wer hat Kissen – Decken? – – D’ Soldaten von der Schul liegen am kalten Boden – ohne Bett – ohne Zudeck!«

In einem Augenblick ist die Straße leer.

Dann aber kommen sie daher, wie die Bauern zum Opfergang, wenn ein Requiem ist: eine hinter der andern, und dazwischen Buben und Mädchen.

Alle wandern dem Schulhaus zu – jedes aufgepackt mit Decken und Betten.

Und als nach einer Weile die Mannschaft mit gefüllten Schüsseln zurückkommt, da kann ein jeder billig lachen.

Da gibt’s Paradekissen und Barchentpolster, Schlummerrollen und Sofakissen mit Stickereien; hier: »Gute Nacht«, dort: »Schlafe wohl«; auf dem: »Nur ein Viertelstündchen«, auf dem andern: »Behüt dich Gott« samt dem rotgestickten Trompeter von Säkkingen.

Und Decken!

Rote kommen und blaue, kameelhaarene und baumwollene, altdeutsche und im Jugendstil.

Ein herzliches Danken lohnt die Wohltat; dann schließen sich die Tore wieder. –

Gemach wird es dunkel.

Da und dort flammen die Lichter auf, und in den Turnsälen des Quartiers sammeln sich die Männer.

Auf manchem Gesicht liegt jetzt ein düsterer Ernst, – von manchem ist die Fröhlichkeit gewichen.

Da langt einer seine Zither herbei, – einer holt seine Zupfgeigen; – der mit der Mundharmonika gesellt sich zu ihnen, – und dann ertönt ein herber Landler.

Einer stiftet eine Runde Bier. Etliche singen. Da und dort liegt einer auf dem Strohsack und schaut für sich.

Draußen aber, vor dem Quartier, steht mancher bei seinem Weib – bei seinen Kindern, – indes ein anderer einsam abseits an der Mauer lehnt und trüb in das Licht der Straßenlampe starrt. –

Dann kommt die Nacht. –

Mit Gott

Kriegssonntag.

Ein feiner Dunst liegt über den Dächern und Türmen der Münchnerstadt.

Langsam steigt die Sonne hinterm Gasteiger Kirchlein herauf und macht die Nebelschleier dünner und dünner.

Leuchtend blau zeigt sich der Himmel, und die Kuppeln des Doms unserer lieben Frau glänzen und schimmern in ihrer Pracht über die Stadt.

Da beginnt man zu läuten.

Ernst und ehern dröhnt die große Salveglocke Susanna; die vom heiligen Benno fällt ein, – immer hellere mischen sich unter den feierlichen Klang; – nun klingt’s auch von Sankt Michael herüber und vom Bürgersaal, von der Theatinerkirche und von Sankt Peter.

Drinnen in den Gotteshäusern ist’s still, – leise sammeln sich die Beter, füllen die Bänke, knien um die Altäre. Ein leichter Duft von Kerzen mischt sich unter die Weihrauchwolken, die Lichter flackern und ihr Schein umspielt die uralten Figuren und Bilder der Heiligen.

Stumme, tiefe Andacht liegt über dem betenden Volk – über den betenden Kriegern.

Die Sakristeiglocke ertönt.

Mächtig rauschen die Klänge der Orgel – ernst und feierlich, anschwellend zu hohem Jubel, – zitternd in flehendem Bitten, – leise verhallend in tiefer Andacht.

»Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten …«

Laut und eindringlich schallt’s aus tausend Männerkehlen:

»Er waltet und haltet ein strenges Gericht! – Er läßt von den Schlechten nicht die Guten knechten!« ...

Brausend schallt’s durch die singende Menge:

»Sein Name sei gelobt – er vergißt unser nicht!«

Eine tiefe Bewegung geht durch die ganze Kirche – die Augen feuchten sich.

Der greise Priester betritt die Kanzel – gibt allen eine Mahnung – einen Trost.

Und dann vollbringt er das heilige Opfer.

In die Klänge der Orgel mischt sich das Singen der Chöre – »Kyrie eleison! ... Credo in unum Deum! ... Sanktus Dominus Sabaoth!«

Das Singen verhallt, – leise verklingt das Spiel der Orgel. Silbern tönt das Klingeln der Ministranten, – man sinkt anbetend in die Knie.

»Herr, segne uns!«

Verhalten beginnt wieder der Gesang – mischt sich in den zitternden Orgelton – erhebt sich – und schallt mächtig empor zur Höhe: »Hosanna! – Hosanna in Excelsis!«

Der Priester neigt sich anbetend – beugt die Knie – betet und fleht: »Vater unser ... erlöse uns von allem Übel. Amen.«

Er zerteilt die Hostie – segnet sie:

»Sehet an das Lamm Gottes – das hinwegnimmt die Sünden der Welt! ... O Herr – ich bin nicht würdig – daß du eingehest unter mein Dach ...«

Wieder klingen die Glöcklein der Ministranten.

»Confiteor Deo omnipotenti ... qui peccavi nimis ... mea culpa ... mea maxima culpa ...«

Langsam – mit gefalteten Händen – mit geneigtem Haupt nahen sich die Krieger dem heiligen Tisch. – Ungemessen ist ihre Zahl.

»Misereatur vestri omnipotens Deus ...«

»Amen.«

»Sehet an das Lamm Gottes ...«

Kniend empfangen die Krieger das Brot des Lebens – in sich gekehrt treten sie zurück – den nächsten Platz gebend.

Vom Chor klingt das Singen von Knaben:

»Und wenn dereinst zu hartem Streiten

Der Tod hertritt an meine Seiten –

Maria – o Mutter – ach dann verlaß mich nit!«

Bayern marschiert

Die »Leiber«

Appell!«

»Scho wieder!« –

Endlich wird’s Ernst.

»Bruada, jetz geht’s dahi – jetz pack ma ’n mit Krampf – an Feind!«

»I glaabs no net. – Mir san ja no net verabschiedt. – Mi stimmts nimmer – seit drei Tag hoaßts es und werd do seiner Lebtag nix!«

»Also – wenn i dirs sag, Gustl! – I hab’s ja selber ghört, wie ’s der Major gsagt hat zum Hauptmann: ›D’ Fahna‹, hat er gsagt, – ›der Kini kimmt‹, hat er gsagt, – ›Parademarsch – Abschied‹, hat er gsagt. – Und unserne Seitengwehra san aa gschliffa. – Also geht’s dahi.«

»Ja, wenns nur grad amal aufgang! – Mir sama scho lang da beim Dasein! – Herrgottseitn! – Wia mir der Watschnbaam locker sitzt – sag i dir! Der wann umfallt – Bruader – der haut auf oamal zwanzg Russen oder zwanzg Franzosn um!«

»I bin neugieri, wo’s zuageht ...«

»Ah was! – Dees is ja wurscht! – Ghaut werd a jeder – und des ghöri!«

»Alleweil scho!« – – –

Plötzlich kommt der Befehl: Regimentsfahne holen, und eine Stunde später zieht die Fahnenkompagnie, feldmarschmäßig ausgerüstet, mit Musik nach der Residenz.

Die Residenzwache tritt unter das Tor, – Trommelwirbel erschallt.

Stramm und eisern stehen die Reihen, indes eine Abteilung die Fahne holt.

Sie erscheinen.

Der Präsentiermarsch ertönt, – Kommando auf Kommando erschallt.

Die Menge jubelt. – Dann Stille.

Der Kommandeur hält eine ernste Ansprache an die Truppen, – der Fahneneid wird aufs neue bekräftigt.

Dann geht’s unter den begeisterten Zurufen des Volks wieder zurück zur Kaserne. –

Am andern Morgen steht alles zur Parade fertig im Kasernenhof.

Alle Obern sind da, – die Regimentsmusik ist aufgestellt. Kurze Befehle ertönen, – Mahnungen – Ratschläge werden erteilt.

Es geht wirklich dahin.

Der König kommt im Galawagen, vierspännig mit Spitzenreiter, angefahren, sich von den Truppen zu verabschieden.

Prinzen, Generäle, Adjutanten, Kommandeure, – alles ist da. – Die Musik bringt die Königshymne.

Draußen auf der Straße stehen Scharen von Menschen, die alle dem König zujubeln.

Stille.

Der König nimmt den Frontrapport entgegen, dann geht er die Fronten ab.

»Guten Morgen, Kameraden!«

»Guten Morgen, Majestät!«

Der König spricht, – weist den Soldaten ihre Pflichten, – ermuntert und ermahnt sie zu Treue und Gottvertrauen, – wünscht ihnen Glück, Sieg und fröhliche Heimkehr.

Der Kommandeur dankt dem Herrscher und ruft ihm ein freudiges Hoch zu, in das die Truppen begeistert einstimmen.

Der König verabschiedet sich von den Mannschaften – von den Offizieren; die Musik spielt »Deutschland, Deutschland über alles« und »Es braust ein Ruf wie Donnerhall«.

Dann tost’s durch die Volksmenge draußen, – die Straßen hallen wider von dem Ruf: »Hoch! – Unser König hoch!« – – –

Überall noch der letzte, kurze Abschied.

»Leb wohl, Vata! – Pfüat di Gott, Muatta!«

»Komm gsund wieder!« ...

»Moanst, daß d’ wieder zruck kommst, Schatz?«

»Ja mei – des woaß ma halt net.«

»Gell – aber schreibn tuast ma scho hie und da!«

»Ja – vielleicht – so lang i kann ...« – – –

»König Ludwig soll leben, Kronprinz Rupprecht daneben, General und Offizier! – Die tapfern ›Leiber‹ san mir!«

Kompagnieweise geht’s zum Bahnhof – und hinaus an den Feind.

Keiner weiß: – zieht er gegen Rußland – gegen Frankreich? – Aber: »Des is ja wurscht!« sagt jeder. »Mir ham so viel Prügel übri, daß s’ für allsam glangen! – Mir ham a Schneid, – die kaaft uns so leicht koana ab!«

Und da etliche Reservisten lachend und singend an ihnen vorbeiziehen, und einer aus ihnen schreit: »Servus, Kameraden! – Laßts enk grüaßn! – Auf Wiedersehgn im Massengrab!« – Da sagt jeder: »Des kannst dir denka, du Depp! – Auf Liachtmeß im Mathäser!«

»Und auf d’ Wocha hinter Paris!« – – –

Die »Hotollerie«

Durch die Landsberger Straße geht’s hinaus in rasselnder Fahrt.

Voran reiten die Offiziere mit Kränzen um den Helm, – Buschen an der Brust, – auf Pferden, die geschmückt sind, als ging’s zur Leonhardifahrt.

Hinter ihnen wogt’s wie ein endloser Wald.

Eichen – Tannen – Birken, – ganze Äste und Girlanden schmücken Geschütze und Protzen.

Efeu und Immergrün rankt sich um die Haubitzenrohre – um die Wagenräder.

Weißblaue Bänder und Fähnlein flattern zwischen den Buschen und Gewinden, – Rosen und Schwertlilien leuchten daraus.

Und inmitten dieser Pracht sitzen die winkenden – lachenden – singenden Soldaten, Sträuße am Helm, Rosenbüschel an der Brust.

Und die mit Efeu und Nelkensträußlein aufgeputzten Rösser steigen wie die Brautschimmel einer Königin.

Jubelnd, grüßend, glückwünschend steht die Menge, – Juchzen und Singen antwortet ihr aus dem Zuge.

»Drei Lilien – drei Lalien Pflanzt ich aufs Liebchens Grab, – Da kam ein stolzer Reiter – Und brach sie ab. Juvivalle– ralle– ralle– ralle– raha, – Juvivalle– ralle– ralle– ralle– raha, – Da kam ein stolzer Reiter – Und brach sie ab.«

»Liebchen, ach Liebchen – komm, lasse dich umfassen! Heimat, ach Heimat – mir müssens dich verlassen, Frankreich, ach Frankreich – das läßt uns keine Ruh, Morgen marschierens mir auf Frankreich zu!

Frankreich, ach Frankreich, wie wird es dir ergehen, Wennst du die bayrisch Atollerie wirst sehen! – Mir Bayern tragn weißblaue Federn am Huat, – Wehe, o weh dir – Franzosenbluat!«

»Halt!«

Die Zauntore des Eisenbahnladeplatzes sind weit geöffnet.

»Batterie rechts schwenkt! Marrsch!«

Die Batterie fährt ein.

Voraus die Offiziere, – der Meldereiter; dahinter der Stabstrompeter und die Geschütze mit den Protzen, – und zum Ende die Munitionswagen, Ersatzpferde und Gepäckwagen.

»Batterie geschlossen links marschiert auf! Marrrsch!«

»Rührt euch! – Absitzen! – Ausspannen!«

Das klappert und rasselt, wimmelt und wurlt!

Die Männer recken sich, werfen die blumengeschmückten Karabiner samt Helm und Gepäck ins Gras und spannen aus.

Die Pferde schütteln sich, tänzeln mutwillig hin und her. Dann geht’s ans Verladen. – Immer sechs in einen Wagen und drei Mann der Batterie dazu.

Eine neugierige Menge sammelt sich auf dem Platz; – dazwischen stehen Väter – Mütter – Geschwister, – junge Mädchen rennen mit Liebesgaben hin und her, eine Hausiererin schreit, indem sie ihren wackligen Karren den Zug entlang schiebt: »Süasse Weintraubn – guate Äpfe – Dickgselchte – Loaben und Bretzn!« Ihr Karren ist bald leer; – die Trauben stiftet der Herr Bauer – die Äpfel die Frau Müller. Die Würste aber kauft der Herr Hauptmann samt den Bretzen und lässt sie an die Batterie verteilen.

Inzwischen gibt’s einen harten Kampf mit manchem Roß, das nicht in den Wagen will.

»Hüa! Hussa, Maxe!«

»Ja, was is’s denn Haita – moanst net, tu gehst guatwilli eine!«

»Na – was is’s? – Vorwärts – nachschieben! – Her da! Helfen!«

Er mag nicht; – er schlägt aus.

»Obergurt runter! – Soo – jetzt fassen Sie drüben – und Sie herüben! – Augen zuhalten! – Allons! –«

»Hüa, Alter! – Ah – is scho drinn!«

»Weiter! – Die nächsten gleich nach!«

Aber – brr! – Die beiden Gäule bäumen sich plötzlich – ein Sprung – ein Riß – sie rennen davon über die Wiese.

»Öha! Himme Herrgottsracka!«

Drei – vier, zehn sausen hinterdrein – etliche springen vor, ihnen den Weg abzuschneiden.

Aber die beiden Rösser rennen – grad als ob sie Menschenverstand hätten – dem Ausgangstor zu.

»Tore schließen! – Achtung! – Rasch abschließen!«