Geschichte der Päpste seit 1800 - Jörg Ernesti - E-Book

Geschichte der Päpste seit 1800 E-Book

Jörg Ernesti

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Beschreibung

Der ausgewiesene Kirchengeschichtler Jörg Ernesti stellt 16 Päpste seit 1800 vor. Das Buch bietet informative Portraits, schildert die Auseinandersetzungen des Papsttums mit den großen politischen, sozialen und ideologischen Herausforderungen der beiden letzten Jahrhunderte. Ging es den Päpsten bis 1870 noch um die Behauptung ihres politischen Gewichts, hatten sie sich danach als »Gefangene im Vatikan« als geistliche Autorität eines angefochtenen Katholizismus neu zu erfinden. Das 20. Jahrhundert brachte die Auseinandersetzung mit den totalitären Ideologien, den Katastrophen zweier Weltkriege sowie dem sozialen und politischen Wandel in der ganzen Welt (Ende des Kolonialismus). Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) versuchte einen Neuaufbruch für einen erstarrten Katholizismus und hat seitdem die Spannungen zwischen Reformern und Konservativen auszutarieren, ohne zu versäumen, sich als moralische Größe in der sich rasant wandelnden Welt Gehör zu verschaffen.  

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Seitenzahl: 883

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2024

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder, Freiburg i. Br.

Umschlagmotiv: © IMAGO / ZUMA Wire

Satz: dtp studio eckart | Jörg Eckart, Frankfurt am Main

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN (Print) 978-3-451-39877-3

ISBN E-Book (EPub) 978-3-451-83777-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83477-6

Inhalt

Vorwort

Neuzeitliche Papstgeschichte

Forschungsgeschichtlicher Überblick

Pius VII.

Bekennerpapst

Leo XII.

Konservativer Übergangspapst

Pius VIII.

Moderater Kurzzeitpapst

Gregor XVI.

Streiter gegen den Liberalismus

Pius IX.

Zwischen geistlicher Vollmacht und politischer Ohnmacht

Leo XIII.

„Papst und Staatsmann“

Pius X.

„Konservativer Reformpapst“

Benedikt XV.

„Papst zwischen den Fronten“

Pius XI.

„Alpinistenpapst und Bibliothekarspapst“

Pius XII.

„Der letzte Fürst Gottes“

Johannes XXIII.

Mehr als nur der „gutmütige Papst“

Paul VI.

Steuermann in schwierigen Zeiten

Johannes Paul I.

„Das Lächeln Gottes“

Johannes Paul II.

Charismatiker und Medienpapst

Benedikt XVI.

Der Theologenpapst

Franziskus

Kontinuität und Neuaufbruch

Das Papsttum in der Moderne

Entwicklungslinien seit 1800

Anmerkungen

Karten

Zeittafeln

Kardinalstaatssekretäre seit 1800

Die wichtigsten Ereignisse

Päpstliche Dokumente seit 1800 (Auswahl)

Die Päpste seit 1800 und ihre Wappen

Glossar kirchlicher Fachbegriffe

Bibliographie

1. Quellen

2. Fachliteratur

Zum Autor

Bildnachweis

Register

1. Personenregister

2. Päpstliche Verlautbarungen

Der Vatikan aus der VogelperspektivePäpstliche Medaille von 1930 zum erstenJahrestag der Gründung des Staates der Vatikanstadt

„Der Papst stirbt, das Papsttum jedoch ist unsterblich“

Voltaire, Les Lettres d’Amabed, 1769

Vorwort

Nach einem alten Sprichwort, dessen Ursprünge im Dunkeln liegen, handelt die Kirche in Jahrhunderten und denkt in Jahrtausenden. Das lässt sich treffend verdeutlichen an ihrem ältesten und wichtigsten Amt: demjenigen des Papstes. Das Papsttum ist nicht vom Himmel gefallen, sondern in den letzten 2000 Jahren zu dem geworden, was es heute ist. Besonders in den letzten zwei Jahrhunderten war es einem starken Wandel unterworfen. Dieses Buch will Entwicklungslinien nachzeichnen und aufzeigen, wie sich Tradition und Fortschritt beim Papsttum ineinanderfügen.

Warum setzt dieser Band im Jahr 1800 an? Dieser Zeitpunkt scheint zum einen dadurch gerechtfertigt, als Ludwig von Pastors monumentale Papstgeschichte mit dem Tod Pius’ VI. im Jahr 1799 endet. Zum anderen liegt es auch von daher nahe, hier zu beginnen, als vielen Zeitgenossen in jenem Jahr das Papsttum als erledigt und historisch überholt galt. Es war nicht einmal klar, ob eine ordentliche Papstwahl stattfinden konnte. Ein Drittes kommt hinzu: Die Wende zum 19. Jahrhundert markiert in der Papstgeschichte eine Zäsur. Bei den folgenden Päpsten haben sich immer mehr moderne Züge ausgebildet, die das Papsttum bis heute kennzeichnen. Dies versuche ich in einem Überblick darzulegen, der auf die Darstellung der einzelnen Pontifikate folgt und diese systematisch auswertet. Es geht also nicht nur um die einzelnen Päpste, sondern auch um die Entwicklung des Papsttums.

Dieses Buch dient nicht der Hagiographie, also der Heiligengeschichtsschreibung. Es geht nicht darum, die Größe und Integrität der Päpste zu erweisen, sondern ihr Wirken historisch-nüchtern darzustellen und dabei die Auswirkungen des jeweiligen Pontifikates auf Kirche und Gesellschaft zu analysieren. Immer wieder sollen die jeweiligen Amtsträger in längeren Zitaten auch selbst zu Wort kommen.

Untersucht werden 224 Jahre Papst- und Kirchengeschichte. Die letzten Jahrzehnte fallen in den Bereich der kirchlichen Zeitgeschichte. Ihre Schilderung ist für den Historiker besonders heikel. Viele Leserinnen und Leser haben den betreffenden Zeitraum mit all seinen Höhen und Tiefen noch erlebt. Namentlich für die letzten Pontifikate ist es besonders schwierig, zu einem Urteil zu gelangen, das Einseitigkeiten meidet. Fast notwendig werden zeitgenössische Beobachter in dem einen oder anderen Punkt zu einer anderen Einschätzung gelangen. Diese Darstellung versteht sich daher eher als Denkanstoß, nicht als Endurteil über eine Epoche und ihre Päpste. Alles andere wäre ohnehin vermessen. Gleichwohl bin ich um Ausgewogenheit bemüht und versuche, unangebrachte Zuspitzungen zu vermeiden. Vor allem ist es mir wichtig, den Stand der wissenschaftlichen Diskussion abzubilden. Das scheint mir umso sinnvoller, als Päpste und Papsttum in populären Darstellungen nicht immer sachgerecht gewürdigt werden.

Dieses Buch ist so angelegt, dass man es als fortlaufende Erzählung zusammenhängend lesen kann. Die einzelnen Kapitel, die jeweils einen Pontifikat behandeln, sind aber zugleich in sich abgerundet. Es handelt sich insofern um eine Sammlung kürzerer Biographien zu den einzelnen Päpsten. Auch das Kapitel mit dem forschungsgeschichtlichen Überblick zu den Entwicklungslinien des Papsttums bildet eine geschlossene Einheit.

Bei der Darstellung der einzelnen Pontifikate werden immer wieder Rückverweise, Vergleiche und Hinweise auf spätere Entwicklungen eingeflochten. Damit ist ein Grundanliegen dieses Bandes beschrieben: Die einzelnen Pontifikate und päpstlichen Amtsträger stehen nicht für sich, sondern sind Teil einer Geschichte, die sie jeweils auf ihre Weise kreativ fortschreiben. Es geht also auch um die Spannung zwischen Tradition und Innovation, die sich in jeder Amtszeit immer wieder neu vollzieht.

Bei meiner Darstellung bemühe ich mich um eine internationale Perspektive. Heute machen die Katholiken in den deutschsprachigen Ländern nur noch 2,3% der Gesamtkatholikenzahl aus. Während andere Länder in der katholischen Weltkirche stärker in den Fokus gerückt sind, hat das Gewicht der deutschen, österreichischen und schweizerischen Angelegenheiten aus römischer Sicht in den letzten 200 Jahren kontinuierlich abgenommen. Sie sollen daher in diesem Buch keinen beherrschenden Raum einnehmen, wie das noch in den älteren deutschsprachigen Publikationen zur Papstgeschichte Fall war. Die emerging churches, also die Ortskirchen in Amerika, Afrika und Asien, müssen stärker in den Blick genommen werden, da sie heute für das Papsttum eine ungleich größere Bedeutung haben als noch vor 224 Jahren, als die katholische Kirche vor allem ein europäisches Unternehmen war.

Bis zum Ende der Amtszeit Pius’ XII. 1958 sind die Archivbestände im Vatikanischen Apostolischen Archiv weitgehend zugänglich. Zu den Pontifikaten bis 1939 liegen vor allem italienische und französische Teileditionen vor. Wiederum profitiere ich wie schon bei meinen Biographien Benedikts XV., Leos XIII. und Pauls VI. sowie bei meinem Buch über die päpstliche Außenpolitik seit 1870 (Friedensmacht – die vatikanische Außenpolitik seit 18701) in erheblichem Maß von den Ergebnissen italienischer, französischer und spanischer Forschungen. Auf dem Feld der Papstgeschichte wird in Italien und Frankreich deutlich mehr geforscht und publiziert als im deutschsprachigen Raum. Bei den italienischen Forschern und Forscherinnen dürfte die Nähe zum Vatikanischen Apostolischen Archiv ausschlaggebend sein. In diesem Sinn verstehe ich meine eigene Arbeit auch als Vermittlung romanischer Forschungsergebnisse an den deutschen Kulturraum.

Das Literaturverzeichnis versucht daher, die einschlägige internationale Literatur zu berücksichtigen. Es muss aber angesichts der Fülle an Publikationen, die vor allem auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch erschienen sind, notwendigerweise ausschnitthaft bleiben. Die Bibliographie führt bewusst nur Titel auf, die nach der Jahrtausendwende erschienen sind – alles andere würde jeden Rahmen sprengen. Die ältere Literatur ist ohnehin in den bis dahin erschienenen Überblickswerken zur neueren Papstgeschichte dokumentiert. Verwiesen sei insbesondere auf Georg Schwaigers Buch, Päpste und Papsttum im 20. Jahrhundert. Von Leo XIII. zu Johannes Paul II.2 sowie auf meinen Forschungsbericht zur Papstgeschichte in der Theologischen Revue vom Dezember 2022, der in gewissem Sinn eine Vorarbeit zu diesem Buch darstellt.3 Zu den einzelnen Pontifikaten bietet das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon Literaturverzeichnisse, die in der online-Version ständig aktualisiert werden. In der Bibliographie werden im Allgemeinen nur Monographien, Lexika, Tagungsakten und Sammelbände dokumentiert, nicht aber einzelne Artikel, dies wäre unverhältnismäßig. Bei der Bibliographie kann es sich also naturgemäß nur um eine Auswahl handeln – zu groß ist die Anzahl an einschlägigen Veröffentlichungen.

Was die Quellen zu der in diesem Band dargestellten Epoche und zu den einzelnen Päpsten angeht, kann man diese Beschränkung auf die letzten zweieinhalb Jahrzehnte natürlich nicht durchhalten. Hier ziehe ich auch Quellen heran, die bis in die Lebenszeit der betreffenden Päpste zurückreichen. Nach Möglichkeit vermeide ich es dabei, seltene und schwer zugängliche Ausgaben zu zitieren, und stütze mich auf verbreitete Ausgaben (wie etwa die Acta Apostolicae Sedis oder die offizielle Website des Vatikans). Die interessierte Leserschaft sollte die zitierten Texte leicht wiederfinden können, wenn sie sie selbst nachlesen will. Ich beschränke mich auf bereits edierte Texte und verzichte auf unveröffentlichtes Archivmaterial, da es sich ja um eine Überblicksdarstellung, nicht um eine Spezialstudie handelt. Weil alles andere nicht zu leisten wäre, wird bis auf wenige Ausnahmen davon abgesehen, populärwissenschaftliche Publikationen aufzunehmen.

Um der besseren Lesbarkeit willen wird auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet, abgesehen von Zitatbelegen und Literaturhinweisen im forschungsgeschichtlichen Überblick zur neuzeitlichen Papstgeschichte. Der Text ist wissenschaftlich verantwortet, von einem Wissenschaftler geschrieben, basiert auf wissenschaftlicher Literatur – richtet sich aber durchaus auch an breitere Kreise. Ob dieser Spagat gelungen ist, mögen der Leser oder die Leserin beurteilen. Rechtschreibung und Zeichensetzung in Zitaten werden an die heute geltende Regelung angepasst. Lebensdaten werden im Allgemeinen bei der ersten Nennung einer Person angeführt.

Dieses Buch stellt im gewissen Sinne einen Ertrag meiner eigenen Forschungen zur Papstgeschichte dar. Mir ist bewusst, dass ich bestenfalls einen Zwischenstand wiedergeben kann, wird doch zu den meisten jüngeren Pontifikaten ausgiebig geforscht und publiziert. Den Leserinnen und Lesern präsentiere ich ein opus in fieri, ein work in progress – bestenfalls eine Anregung zu weiterer Lektüre und vertieftem Nachdenken. Für Hinweise zur Sache bin ich jederzeit dankbar.

Danken möchte ich meinen Augsburger Mitarbeitern Florian Backeler, Josef Wagner und Maximilian Quenzer, die die einzelnen Teile Korrektur gelesen und zahlreiche Hinweise gegeben haben. Prof. Dr. Benjamin Dahlke (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) bin ich für viele Anregungen und kritische Rückfragen sehr verbunden.

Ich widme dieses Buch meinem langjährigen Lektor im Verlag Herder, Herrn Dr. Bruno Steimer.

Neuzeitliche Papstgeschichte

Forschungsgeschichtlicher Überblick

Eine Papstgeschichte zu verfassen – sei es eine Gesamtdarstellung oder eine Teilgeschichte –, gleicht einer Sisyphusarbeit. Die Zahl der Publikationen, die alljährlich in den großen europäischen Sprachen vorgelegt werden, ist immens und kaum noch zu überblicken. Der erwähnte Forschungsbericht kann hier auch nicht mehr als Schlaglichter bieten. Neben Wissenschaftlern tummeln sich auf diesem Gebiet viele berufene und unberufene Geister, selbsternannte Experten ohne akademische Qualifikation, Journalisten, Sammler von Klatschgeschichten. Das macht die Sache nicht einfacher.

Veröffentlichungen zur Papstgeschichte hat es in der neuzeitlichen Kirchengeschichtsschreibung immer gegeben, sei es als Schilderung einzelner Persönlichkeiten oder als Darstellung bestimmter Epochen. Einen starken Aufschwung erlebte die Beschäftigung mit dem Papsttum seit dem 19. Jahrhundert. Das hat nicht wenig mit zwei großen Publikationen zu tun: Am Anfang stand das dreibändige Werk des preußisch-protestantischen Historikers Leopold von Ranke (1795–1886) Die Römischen Päpste.4 Die Öffnung der vatikanischen Archivbestände für die Forschung unter Leo XIII. (1878–1903) im Jahr 1883 machte in papstgeschichtlicher Hinsicht ein großangelegtes Unternehmen möglich: die 16-bändige Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalter des österreichischen Historikers und Diplomaten Ludwig von Pastor (1854–1928).5 Hatte Ranke seine Papstgeschichte noch ohne vatikanische Quellen verfassen müssen, konnte der dezidiert katholische und anti-preußisch gesinnte Pastor seine monumentale Sammlung ganz auf der Basis der neu zugänglichen Archivbestände schreiben.

Anders etwa als in den romanischen Ländern wurde es im deutschen Sprachraum nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) relativ still um die Papstgeschichte. Andere Fragestellungen und neue Methoden traten in der kirchenhistorischen Forschung in den Vordergrund. Das gilt etwa für die Reformationsgeschichtsschreibung oder die Erforschung der Konziliengeschichte. Sozial-, mentalitäts- und strukturgeschichtliche Studien gewannen seit den 1970er Jahren immer mehr an Bedeutung. Parallel dazu ging auch das Publikumsinteresse am Papsttum spürbar zurück.

Seit den späten 1990er Jahren, also seit der letzten Phase des langen Pontifikates von Johannes Paul II., erlebt die Erforschung des Papsttums eine erstaunliche Renaissance. Das mag mit der Strahlkraft dieses Papstes zu tun haben. Die Papstgeschichte hat seitdem gewissermaßen Konjunktur – und das gilt sowohl für wissenschaftliche als auch für populärwissenschaftliche Darstellungen, für kirchenhistorische und profanhistorische Publikationen, für Beiträge etwa im Fernsehen oder in Buchform. Eine große Ausstellung in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen, die 2017 in Kooperation mit der Universität Heidelberg und den Vatikanischen Museen unter dem Titel Die Päpste und die Einheit der lateinischen Welt durchgeführt wurde, legt davon beredt Zeugnis ab. Eine derartig breit angelegte Ausstellung zur Geschichte des Papsttums hat es bislang noch nicht gegeben.6 Die vier Ausstellungsbände bilden den Forschungsstand der papstgeschichtlichen Forschung ab und sind damit durchaus so etwas wie ein Kompendium der Papstgeschichtsschreibung.

Das neu erwachte Interesse am Papsttum und an den Päpsten hat bisher noch kaum zu größeren Gesamtdarstellungen und Enzyklopädien geführt. Im englischsprachigen Raum werden noch immer Eamon Duffys kompakte Papstgeschichte und Frank Coppas papstgeschichtliche Enzyklopädie am häufigsten zitiert.7 Unerreicht ist nach wie vor Philippe Levillains Dictionnaire historique de la Papauté, sowohl im Hinblick auf die Breite der Anlage als auch auf den Mitarbeiterstab, den er für dieses Projekt gewinnen konnte. Der Grandseigneur der Papstgeschichtsschreibung, einer der angesehensten Gelehrten Frankreichs, ist 2021 verstorben.8 Etwas Vergleichbares wie seinen Dictionnaire sucht man im deutschsprachigen Raum vergebens. Ein unverzichtbares Hilfsmittel für papstgeschichtliche Forschungen ist die seit dem Jahr 2000 vom Istituto della Enciclopedia Italiana (Treccani) herausgegebene Enciclopedia dei Papi. Für dieses Projekt werden regelmäßig die einschlägig ausgewiesenen Experten eines bestimmten Pontifikates als Autoren gewonnen.

Was Einzeluntersuchungen bestimmter Epochen angeht, wurden in den letzten Jahren vor allem beachtliche Darstellungen des mittelalterlichen Papsttums vorgelegt.9 Überraschenderweise liegen zum Papsttum nach 1800 kaum neuere Überblicksdarstellungen vor. Referenzwerk ist immer noch Georg Schwaigers bald 25 Jahre altes Buch Papsttum und Päpste im 20. Jahrhundert. Von Leo XIII. zu Johannes Paul II.10 Eigentlich eine Zusammenstellung von längeren biographischen Artikeln zu den Päpsten dieser Epoche, baut es seinerseits auf den langjährigen Forschungen von Franz Xaver Seppelt auf, der wiederum Joseph Schmidlin beerben konnte. Schwaigers Buch bildet sicher nicht mehr den aktuellen Forschungsstand ab, zumal seit seiner Entstehung die Archive Leos XIII., Pius’ X., Benedikts XV., Pius’ XI. und Pius’ XII. für die Forschung geöffnet worden sind. Die bibliographischen Angaben, die jedem Pontifikat mitgegeben werden, sind aufgrund des zeitlichen Abstands zur Abfassung mittlerweile weitgehend überholt. Überdies war das Werk von vornherein nicht unbedingt international ausgerichtet, insofern ein deutlicher Schwerpunkt auf der deutschsprachigen Fachliteratur lag.

Daneben gibt es eine Fülle von Publikationen zu einzelnen Aspekten der Papstgeschichte. Sie nehmen unter anderem die Medienpräsenz, die Außenpolitik, die Rolle der Kurie, finanzielle Belange und das Medaillenwesen in den Blick. An dieser Stelle muss auf den bereits erwähnten Artikel in der Theologischen Revue11 und auf die entsprechenden Angaben in der Bibliographie am Ende dieses Buches verwiesen werden.

Schließlich liegen zahlreiche Biographien der in diesem Buch behandelten Päpste vor. Ich habe sie in meine Darstellung einfließen lassen, soweit sie mir zugänglich waren. Pontifikatsweise werden sie auch im Literaturverzeichnis aufgeführt. Überblickt man all diese Veröffentlichungen, dann fällt deutlich auf, dass die meisten von ihnen in Italien und Frankreich, gefolgt von Spanien und den angelsächsischen Ländern entstanden sind. Wenn man die Geschichte des neueren Papsttums schreiben will, wird man diese Arbeiten berücksichtigen müssen. Die Erforschung der Papstgeschichte ist heute längst ein internationales, interdisziplinäres und interkonfessionelles Unternehmen.

Pius VII.

Bekennerpapst

Die Amtszeit Pius’ VII. gehört ohne Zweifel zu den dramatischsten Pontifikaten der Neuzeit. Kardinal Chiaramonti bestieg den Stuhl Petri in einer der größten Krisen des Papsttums, als viele Beobachter dieses schon abgeschrieben hatten. Er durchlebte Gefangenschaft und Exil, um am Ende auf der Siegerseite der Geschichte zu stehen. Auch wenn er nicht das physische Martyrium erleiden musste, kann man ihn doch zu den Bekennern zählen, die in allen Jahrhunderten der Kirchengeschichte für ihren Glauben Haft, Folter und Verschleppung auf sich zu nehmen bereit waren.

Mönch und Bischof in unruhigen Zeiten

All das war ihm nicht in die Wiege gelegt. Luigi Barnaba Niccolò Maria Graf Chiaramonti wurde am 14. August 1742 in Cesena, einem Bischofssitz in der Emilia Romagna, als Spross einer alten Patrizierfamilie geboren. Die Stadt lag im Norden des Kirchenstaates, der damals unter dem gelehrten Papst Benedikt XIV. (1740–1758) eine späte Blüte erlebte. Nach dem frühen Tod des Vaters Scipione Chiaramonti 1750 zog dessen Frau Giovanna Coronata zunächst ihre fünf Kinder groß und trat dann unter dem Namen Suor Teresa Diletta di Gesù e Maria in das Kloster der unbeschuhten Karmelitinnen in Fano ein, die erste Gründung des reformierten Ordens in Italien. Es dürfte das einzige Mal in der Geschichte gewesen sein, dass ein Papst eine Ordensschwester zur Mutter hatte. Ein zeitgenössisches Bildnis von ihr in Ordenstracht lässt herbe und strenge Züge erkennen.

Mit 14 Jahren entschied sich der spätere Papst selbst für den Ordensstand und trat in das oberhalb der Altstadt von Cesena gelegene Benediktinerkloster Santa Maria del Monte ein. Anders als in vielen großen Abteien im deutschsprachigen Raum musste man hier nicht altadlig sein, um aufgenommen zu werden, doch erleichterte sein guter Name seinen Aufstieg im Orden. Er nahm den Professnamen Gregorio an, wurde ein vorbildlicher Mönch und empfing nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Cesena, Padua und Rom die Priesterweihe (1765). Im Anschluss wirkte er 15 Jahre als Lektor (Dozent) in Studienhäusern seines Ordens in Parma und Rom. Die Pflege der Gelehrsamkeit hatte bei den Benediktinern stets einen hohen Stellenwert. Man denke etwa an die Kongregation der Mauriner, deren Mitglieder die Quellen zur Ordensgeschichte erforschten und so zu Pionieren der kritischen Geschichtswissenschaft wurden, oder an die gelehrten Mönche der Abtei Santa Giustina in Padua. Jedes Benediktinerkloster, das etwas auf sich hielt, besaß einen größeren Bücherbestand. Chiaramonti selbst wurde die Leitung der Bibliothek der Benediktiner in Parma anvertraut. Deren vornehmer Lesesaal, dessen Gewölbe von schlanken Säulen getragen wird, ist mit manieristischen Fresken aus dem Jahr 1575 ausgestattet. An der Decke sind Grotesken abgebildet, an den Wänden Landkarten. In Parma wurde Chiaramonti auch mit dem Gedankengut der französischen Aufklärung vertraut, namentlich mit der Enzyklopädie. Die zwischen 1751 und 1772 von Denis Diderot (1713–1784) und Jean Baptiste le Rond d‘Alembert (1717–1783) herausgebene Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers stand damals noch nicht auf dem römischen Index der verbotenen Bücher.

Im römischen Benediktinerkloster bei Sankt Paul vor den Mauern dozierte Pater Gregorio danach neun Jahre lang Philosophie und wirkte als Prior. Zeitlebens blieb er diesem Haus sehr verbunden. Er galt als vornehm und zurückhaltend. In gewissem Sinn war er eine typische Gestalt seines Zeitalters und verkörperte das Ideal eines gelehrten Benediktiners, wie es damals in ganz Europa so viele gab.

Für seinen weiteren Werdegang wurde seine familiäre Herkunft entscheidend: Durch seine Mutter war er entfernt mit Giovanni Angelo Braschi (1717–1799) verwandt, der auch aus Cesena stammte. Als dieser feinsinnige und gebildete Mann 1775 zum Papst gewählt wurde und sich den Namen Pius VI. gab, erinnerte er sich an den jungen Mönch aus seiner Heimatstadt und förderte ihn nach Kräften. Er übertrug ihm 1782 die Leitung der prestigeträchtigen alten Diözese Tivoli in Latium und drei Jahre später das zur Kirchenprovinz Bologna gehörende Bistum Imola. Zugleich ernannte er ihn zum Kardinal. In Briefen gab Chiaramonti zum Besten, dass er sich nicht danach gedrängt habe, Bibliothek und Katheder gegen das Bischofsamt einzutauschen. Er habe damit gerechnet, als Gelehrter alt zu werden. Er wurde jedoch ein guter Bischof und galt als milder und wohlwollender Oberhirte. Da er als ehemaliger Mönch persönlich anspruchslos war, konnte er die Hälfte seiner Einnahmen den Armen zuwenden.

Der Bischof galt in politischer und theologischer Hinsicht als gemäßigt aufgeklärt. Damit folgte er einem Zug der Zeit, der katholischen Aufklärung, die sich in vielen Teilen Europas ausbreitete. Er wusste um die Notwendigkeit von Reformen im Kirchenstaat und in der kirchlichen Verwaltung. Mit der Situation in Frankreich nach 1789 war er vertraut, da er Exil-Priester in sein Bistum aufgenommen hatte, die den Eid auf die revolutionäre Zivilkonstitution des Klerus verweigert hatten.

Seine moderate Haltung wurde bald schon durch die politischen Ereignisse auf eine Bewährungsprobe gestellt. Im Verlauf der italienischen Kampagne unter dem Oberbefehlshaber Napoleon Bonaparte (1769–1821) wurde 1796 die Emilia Romagna besetzt, zu der auch Imola gehörte. Der Bischof riet dazu, sich mit den Eroberern zu verständigen. Damit ersparte er seiner Bischofsstadt das Schicksal anderer Städte, die geplündert und zerstört wurden. Imola war nun Teil der Cisalpinischen Republik, zu deren Selbstverständnis es gehörte, die päpstliche Tyrannei zu beenden und die republikanische Staatsform zu etablieren. Am 19. Februar 1797 musste der Heilige Stuhl im Vertrag von Tolentino formell die Legationen Ferrara, Bologna und Ravenna an die Franzosen abtreten. Auch jetzt noch riet der Bischof dazu, mit den Franzosen im Gespräch zu bleiben. Aufsehen weit über seine Bischofsstadt hinaus erregte seine zu Weihnachten des Jahres 1797 im Dom von Imola gehaltene Predigt, in der er darlegte, dass Christentum und Demokratie durchaus vereinbar seien:

„Die demokratische Regierungsform, die wir nun bei uns erleben, geliebte Brüder, steht nicht im Gegensatz zu den Prinzipien, die wir hier dargelegt haben, noch weist sie das Evangelium zurück. Sie erfordert vielmehr jene besonderen Tugenden, die man nur in der Schule Jesu Christi lernen kann. Und wenn diese von euch mit religiösem Sinn verwirklicht werden, werden sie euer zeitliches Glück, den Ruhm und den Glanz unserer Republik bilden.“12

Damit war er seiner Zeit weit voraus. Erst Leo XIII. sollte erneut über die Vereinbarkeit von Christentum und Demokratie räsonieren. Dieses Verhältnis blieb bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil schwierig. Offenkundig wollte Chiaramonti mit seiner Predigt die Lage seiner Stadt weiter entspannen und den neuen Herren keine Angriffsflächen bieten. Ähnlich geschmeidig verhielt er sich zwei Jahre später, als sein Bischofssitz an die Österreicher fiel, nachdem eine Koalition aus Engländern, Russen und Österreichern die Franzosen besiegt und die französische Tochterrepublik in Italien ein Ende gefunden hatte.

Auch der regierende Papst Pius VI. musste sich mit den neuen Verhältnissen abfinden. Nach dem Vertrag von Tolentino (1797) war der Kirchenstaat kaum noch lebensfähig. Da die Staatskasse leer war und die von den Franzosen geforderten hohen Reparationen nicht gezahlt werden konnten, mussten die 100 wertvollsten Kunstwerke des Vatikans übergeben werden. Doch selbst dieser prekäre Status war nicht von Dauer: Im Frühjahr 1798 wurde in der Stadt Rom unter dem Schutz französischer Truppen die Republik ausgerufen. Pius VI., ein schon 80-jähriger Greis, wurde auf Befehl des Direktoriums gefangen genommen und nach Frankreich entführt. Bei öffentlichen Auftritten wurde er der gaffenden Menge vorgeführt und als „Pius der letzte“ verhöhnt. Er starb nach einer langen Odyssee am 29. August 1799 im französischen Valence. 24 Jahre und damit länger als jeder seiner Vorgänger war er Papst gewesen. Viele Zeitgenossen sahen das Ende des Papsttums mit seinem Ableben gekommen.

Im Zeichen des Kompromisses

Kurz vor seinem Tod hatte Pius VI. noch festgelegt, dass das Konklave vom ältesten Kardinal einberufen werden und auf dem Gebiet eines katholischen Herrschers durchgeführt werden durfte. Nach Lage der Dinge konnte ein halbwegs freies Konklave nicht in Rom oder in anderen französisch besetzten Gebieten stattfinden. Venedig, wo die Wahlversammlung am 1. Dezember 1799 in der Abtei San Giorgio Maggiore begann, war ein Kompromissort: Die Stadt lag in Italien, gehörte aber seit einem Jahr zu Österreich und stand damit unter dem Schutz des Kaisers. Unter den anwesenden 35 Kardinälen (davon 30 Italiener) neigte eine Partei zu einer scharfen Abgrenzung gegenüber der Französischen Revolution und vertrat die Forderung, den Papst als weltlichen Herrscher wieder in seine Rechte einzusetzen. Es handelte sich um die sogenannten zelanti. Die Gegenpartei der politicanti trat für eine Verständigung mit den Franzosen und ein Sich-Arrangieren mit den neuen Gegebenheiten ein. Es kam zu einem erbitterten Tauziehen zwischen den beiden Richtungen, in dessen Verlauf mehrere Kandidaten, die entweder zu sehr Frankreich oder Österreich zuneigten, durchfielen. Kaiser Franz II. (1768–1835) hätte keinen Gewählten akzeptiert, der aus Frankreich oder einem der mit Frankreich verbündeten Länder stammte. Die im Konklave versammelten Kardinäle einigten sich schließlich auf einen Kompromisskandidaten, und so wurde Gregorio Chiaramonti am 14. März 1800 zum Papst gewählt, dem Vernehmen nach einstimmig. Zu seinen Gunsten hatte sich ausgewirkt, dass er als Diözesanbischof mit der internationalen Politik bisher zwar wenig zu tun gehabt, gegenüber den Franzosen vor Ort aber klug agiert hatte. Er gab sich aus Dankbarkeit gegenüber seinem Vorgänger den Namen Pius VII. Nach sechs Monaten und 16 Tagen war eine quälend lange Sedisvakanz beendet. Die Krönung wurde auf Anweisung der kaiserlichen Regierung nicht in der Kathedrale San Marco, sondern in der erheblich kleineren Klosterkirche von San Giorgio Maggiore vollzogen – übrigens mit einer eilig aus Pappmaché hergestellten Tiara, denn die wertvollen älteren Papstkronen waren während der französischen Besatzung Roms abhandengekommen. In Venedig versteht man sich bis heute auf die Verwendung dieses Materials, mit dem aufwendige Karnevalsmasken hergestellt werden. Seine benediktinische Prägung brachte der Neugewählte durch sein Wappen zum Ausdruck, in das er die heraldischen Symbole des Ordens aufnahm: drei goldene Berge, ein Kreuz und die Inschrift Pax auf blauem Grund; die rechte Seite zeigt die drei Mohrenköpfe und die drei Sterne des Familienwappens. Wie alle Päpste des 18. und 19. Jahrhunderts bis 1870 residierte er im römischen Quirinal und nicht im Vatikan. Der Quirinalspalast war moderner ausgestattet, und das Klima war dort besser, weil er etwas höher liegt als der Vatikan.

Der neue Pontifex galt als liebenswürdig, zurückhaltend und gebildet, und alle Beteiligten mochten hoffen, ihn zum Spielball ihrer Interessen machen zu können. Mit ihm setzte sich eine politisch neutrale Richtung durch, die einen Dialog mit Frankreich anvisierte, ohne auf die Unterstützung durch die „Apostolische Majestät“ des Kaisers zu verzichten, der traditionell als Schutzmacht des Papsttums fungierte. Pius verbrachte ein weiteres Vierteljahr in Venedig, da die Verhältnisse im Kirchenstaat noch ungeklärt waren. Um die Unparteilichkeit des Papstamtes zu wahren, lehnte er ein Angebot ab, noch länger im österreichischen Machtbereich zu verweilen oder gar an den Kaiserhof zu kommen, und machte sich schließlich in den Süden auf.

Wenige Tage vor dem Konklave, am 9. November 1799, hatte Napoleon in Frankreich in einem Staatsstreich das Direktorium entmachtet. Im Rahmen einer neuen Verfassung wurde der Dreißigjährige für zehn Jahre zum Ersten Konsul der Republik ernannt und sollte als solcher weitreichende politische Vollmachten erhalten. Der neue Alleinherrscher hatte kein Interesse, das Experiment der Römischen Republik fortzusetzen. Daher kam es ihm nicht ungelegen, dass die Österreicher und ihre Verbündeten im Zweiten Koalitionskrieg in Rom und im Kirchenstaat die alte Ordnung wiederherstellten. So konnte der neugewählte Papst am 3. Juli 1800 feierlich in seine Stadt einziehen. Österreich hielt allerdings vorerst noch die nördliche Hälfte des Kirchenstaates besetzt.

Der Schatten Napoleons

Noch von Venedig aus veröffentlichte Pius VII. am 15. Mai 1800 mit Diu satis seine erste Enzyklika, in der er die Bedrängnisse, die sein Vorgänger Pius VI. hatte erdulden müssen, eindringlich vor Augen führte. Er rühmte die Standhaftigkeit und Glaubenstreue des Bekennerpapstes mit den höchsten Worten. Dass ihm selbst ein ähnliches Schicksal bevorstand, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Die Feinde der Kirche (die man unschwer als die revolutionären Jakobiner identifizieren kann) hätten es nicht vermocht, die Kirche zu zerstören und sie ihrer Leitung zu berauben. Seine eigene Aufgabe sah er darin, die Schwestern und Brüder im Glauben zu stärken, wie es Petrus von Christus aufgetragen worden war. Die Bischöfe ermutigte er gerade angesichts der unruhigen Zeiten zu einer gewissenhaften Ausübung ihres Amtes und empfahl ihnen besonders die Sorge für die jungen Menschen. Deutlich erkannte der neue Papst im Übrigen, dass es nach den Wirren des vergangenen Jahrzehnts einer geistlichen Erneuerung der ganzen Kirche bedurfte, wie er in seiner Enzyklika Ex quo Ecclesiam vom 24. Mai 1800 deutlich machte.

Basierend auf der Arbeit von fünf Kardinalskommissionen stellte er am 30. Oktober 1800 mit der Bulle Post diuturnas (im Untertitel Constitutio super restauratione regiminis pontificii) die alte Ordnung im Kirchenstaat, wie sie unter Pius VI. geherrscht hatte, wieder her. Vom traditionellen römischen Herrschaftsinstrument des Nepotismus wollte er dabei keinen Gebrauch machen. Anders als die meisten seiner Vorgänger in der Neuzeit sah er von einer Begünstigung seiner Familie ab.

Eine glückliche Hand hatte der neue Pontifex mit der Wahl seines Staatssekretärs Ercole Graf Consalvi (1757–1824), des bedeutendsten Diplomaten, den die Kirche seit dem Jahr 1800 hervorgebracht hat. Der gebürtige Römer und Absolvent der Diplomatenakademie hatte unter Pius VI. Karriere gemacht. Als die französischen Truppen im Jahr 1798 die Stadt Rom besetzt hatten, war er gefangen genommen, in der Engelsburg inhaftiert und schließlich ausgewiesen worden. Im Konklave hatte er als Sekretär gedient und sich mit klugen Argumenten zum Advokaten einer Wahl Chiaramontis gemacht. Nicht ungewöhnlich für die damalige Zeit war, dass sich der 1800 zum Kardinal ernannte Consalvi erst ein Jahr später zum Diakon weihen ließ, ohne jemals die Priesterweihe anzustreben. Er sollte das Amt des Kardinalstaatssekretärs von 1800 bis 1806 und von 1814 bis 1823 ausüben. Der dem Papst kongeniale Mann wurde nicht nur zu dessen wichtigstem persönlichen Berater, sondern auch zum eigentlichen Taktgeber und Motor des Pontifikates.

Nach der Schlacht von Marengo, in der die Franzosen den Österreichern und ihren Verbündeten am 14. Juli 1800 eine vernichtende Niederlage beibrachten, wurde in Italien wiederum ein französischer Satellitenstaat geschaffen, die sogenannte Cisalpinische Republik. Dieser Staat, der seit 1802 den Namen Italienische Republik trug, umfasste auch die Nordprovinzen des Kirchenstaates. 1805 wurde er in das Königreich Italien umgewandelt, zu dessen König sich Napoleon eigenhändig krönte. Dazu ließ er eigens die symbolisch aufgeladene Eiserne Krone des Langobardenreichs, mit der auch die mittelalterlichen deutschen Kaiser gekrönt worden waren, herbeischaffen. Doch damit wird vorgegriffen.

Dem Kirchenstaat verblieb nach der Schlacht von Marengo nurmehr ein Rumpfgebiet mit Latium, Umbrien und den südlichen Marken. Immerhin schien er vorläufig durch die Friedensverträge von Lunéville und Amiens (1801/1802) in seinem Bestand gesichert zu sein. Im Geist des aufgeklärten Absolutismus setzte der Papst nun vorsichtige Reformen im Staatswesen um, indem er die Korruption und das Bandenwesen bekämpfte, die Verwaltung straffte, die Wirtschaft förderte und das Steuersystem vereinfachte. Am 11. März 1801 gestattete er mit dem Motu proprio Le più colte auf dem gesamten Gebiet des Kirchenstaates den freien Handel von Getreide und verbot zugleich dessen Export. Das waren angesichts der prekären politischen Konstellation beachtliche Reformansätze. Noch schwieriger wurde die Lage für den Kirchenstaat, als 1806 auch im Königreich beider Sizilien ein französischer Satellitenstaat errichtet wurde, das Königreich Neapel. Der Papst als Landesherr des Kirchenstaates war damit von Norden und Süden her eingekesselt und konnte kaum mehr eigenständig agieren.

Konkordat und Einvernehmen

Um seine Stellung weiter zu konsolidieren, machte sich Napoleon an eine Versöhnung mit der Kirche. Er sah deutlich, dass sich auf Dauer nur so die Loyalität der französischen Katholiken und damit die Einheit der Nation erreichen ließ. Die kirchliche Lage in Frankreich war kompliziert: Ein Teil des Klerus hatte in den Revolutionsjahren den Eid auf die Zivilkonstitution des Klerus (1790) geleistet, durch die die Kleriker zu Beamten werden sollten, die durch das Volk zu wählen waren und vom Staat besoldet wurden. Pius VI. hatte die Zivilkonstitution verurteilt und den Eid auf sie verboten. Geistliche, die sich an das päpstliche Verbot hielten, hatten dies mit Exil, Inhaftierung oder mit dem Leben bezahlt. Viele Katholiken hatten sich auch nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. und seiner Frau Marie Antoinette im Jahr 1793 die Anhänglichkeit an das alte bourbonische Herrscherhaus bewahrt. Napoleon war überzeugt, dass es um der äußeren Schlagkraft willen einer inneren Befriedung bedurfte. Daher machte er dem Heiligen Stuhl das Angebot, ein Konkordat zu schließen, das die gemeinsamen Belange (die sogenannten res mixtae) regeln sollte. Dass er auf dieses Rechtsinstrument rekurrierte, war ein wenig ungewöhnlich. Zwar wurden seit dem Mittelalter die Verhältnisse von Staat und Kirche durch Konkordate geregelt, doch waren diese Verträge in der Neuzeit seltener geworden. Für die Verhandlungen hatte Napoleon nur fünf Tage anberaumt, während man gemeinhin Jahre veranschlagen musste.

Auch wenn der Vertrag von staatlicher Seite nur offeriert, nicht aber oktroyiert wurde, konnte der Heilige Stuhl seine Zustimmung dennoch kaum versagen. Am 15. Juli 1801 leistete Kardinalstaatssekretär Consalvi, der vatikanische Chefunterhändler, in Paris seine Unterschrift. Der Diplomat hielt später in seinen Erinnerungen fest, am Anfang habe der Erste Konsul im Sinn gehabt, lediglich „seine Vorhaben zu diktieren“ und dem Papst allenfalls zuzugestehen, einige für die Kirche „absolut unzulässige Themen“ zur Sprache zu bringen.13 Dass die Verhandlungen am Ende ein Geben und Nehmen wurden, ist besonders Consalvis Verhandlungsgeschick zu verdanken. Ihm und seinem päpstlichen Dienstherrn war klar, dass ein kirchliches Kernanliegen gewährleistet sein musste: Nach Jahren der Unterdrückung und des Jakobinischen Vernichtungskampfes musste den französischen Katholiken die uneingeschränkte Religionsfreiheit zugestanden werden. Diese Zusage, die sich tatsächlich erreichen ließ, rechtfertigte manches Opfer. Die feindliche Trennung von Staat und Kirche und die erzwungene Entchristlichung der Gesellschaft nach 1789 sollte nach den Bestimmungen des Konkordates einer neuen Form von Kooperation weichen. Eine offizielle Anerkennung des katholischen Glaubens als Religion der Mehrheit des französischen Volkes (also streng genommen nicht als „Staatsreligion“), wie sie der Staatskirchenvertrag vorsah, wäre noch wenige Jahre zuvor unvorstellbar gewesen. Die Kirche musste ihrerseits endgültig auf den in der Revolution verlorengegangenen Grundbesitz verzichten. Das war ein herber Verlust, war doch die Kirche vor 1789 zusammen mit dem Adel der größte Grundbesitzer des Landes gewesen. Im Gegenzug sollten Kleriker ein Staatsgehalt erhalten, nachdem sie einen Eid auf die Verfassung geleistet hatten. Der Schutz des Sonntags und einiger christlicher Hauptfeste wurde zugesagt. Dafür musste dem Herrscher das Recht zugestanden werden, die Bischöfe zu nominieren, wie es die bourbonischen Könige bis zur Revolution getan hatten. Die Bistumsgrenzen sollten an die Grenzen der staatlichen Départements angepasst werden, was die Auflösung von 153 Bistümern erforderte. Rom musste die Gegner der Zivilkonstitution des Klerus fallen lassen und einem kompletten personellen Revirement zustimmen. Pius VII. forderte einen Monat nach der Unterzeichnung des Konkordates mit dem Breve Tam multa alle bisherigen Bischöfe auf, binnen zehn Tagen auf ihr Amt zu verzichten. Dem kamen die meisten Bischöfe nach.

Die Bestimmungen des Konkordates machte der Papst am 15. August 1801 der ganzen Kirche durch die Enzyklika Ecclesia Christi bekannt. Zwar war der Einfluss des Staates auf die Kirche nun bedenklich, doch wurde durch den Vertrag ein Schlussstrich unter den revolutionären Kirchenkampf gezogen. Zugleich war der Grund dafür gelegt worden, dass die Kirche wieder Fuß fassen konnte.

Während seines Exils auf der Insel Sankt Helena äußerte sich der ehemalige Kaiser über die Absichten, die ihn im Jahr 1801 geleitet hatten:

„Ich schloss das Konkordat, um die Dinge durch eine neue Vereinbarung zu konsolidieren und die echten Katholiken um mich zu sammeln. Ich wollte den Papst bei mir haben, denn so wäre ich sowohl Herr über die kirchlichen Fragen in Frankreich als auch Oberhaupt der Kirche gewesen. Der Papst hätte alles getan, worum ich ihn gebeten hätte. Und so hätte ich keine Schwierigkeit mit der streng religiösen Richtung in Frankreich gehabt. Man konnte annehmen, dass der Papst alles tat, und so gab ich Millionen aus, um das Erzbischöfliche Palais in Paris großzügig auszustatten.“14

Offenkundig erwartete Bonaparte ernsthaft, dass der Pontifex nach Frankreich übersiedelte (was dieser durchaus nicht vorhatte). Als ein Zeichen der Versöhnung wurde Pius’ Bitte entsprochen, seinen nach Frankreich entführten Vorgänger nach Rom umbetten zu dürfen. Der Papst seinerseits konnte sich revanchieren, indem er den Onkel Napoleons, Joseph Fesch (1763–1839), in das Kardinalskollegium aufnahm. Der Erste Konsul hatte zuvor von dem ihm nun durch das Konkordat verbrieften Recht Gebrauch gemacht und ihn als Erzbischof von Lyon und damit als Primas der französischen Kirche nominiert. Dieser schillernde Kirchenmann – ein skrupelloser Karrierist ohne geistlichen Anspruch – wurde als französischer Botschafter nach Rom entsandt, wo er quasi als Sprachrohr des Monarchen fungierte.

Gewissermaßen als Ausführungsbestimmungen zum Konkordat wurden 1802 von staatlicher Seite die sogenannten Organischen Artikel erlassen. Durch sie wurden etwa die Gehälter der Bischöfe, die Zahl der Bistümer, die Gestalt des Gottesdienstes und die Zahl der Feiertage festgelegt. Der Verkehr der Bischöfe mit dem Heiligen Stuhl wurde eingeschränkt. Auch die zivile Eheschließung, die während der Revolution eingeführt worden war, wurde geregelt. Ferner wurden die reformierte und die lutherische Konfession der katholischen rechtlich gleichgestellt (einige Jahre später wurde diese Regelung auch auf das Judentum ausgeweitet). Der Protest des Papstes gegen diese Eingriffe in den kirchlichen Hoheitsbereich blieb folgenlos.

Die neuen Bestimmungen des Konkordats und die Organischen Artikel wurden auch auf die von den französischen Revolutionstruppen eroberten linksrheinischen Gebiete Deutschlands angewandt, darunter die alten Erzbischofssitze in Trier, Mainz und Köln. Dort ergab sich durch den Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 eine neue Situation. Deutsche Fürsten, die durch die französische Besetzung der linksrheinischen Gebiete territoriale Verluste erlitten hatten, sollten rechtsrheinisch entschädigt werden. Als Kompensationsmasse waren die geistlichen Staaten vorgesehen. Drei geistliche Kurfürstentümer, neun Fürstbistümer und 44 Reichsabteien fielen dieser Regelung zum Opfer, sodass fünf Millionen Einwohner neue Landesherren bekamen. Überdies wurde ein Großteil der Klöster im Reich säkularisiert, der religiöse Betrieb wurde also eingestellt und das Klostervermögen verstaatlicht. Der Papst wurde nicht um seine Zustimmung gebeten, tat aber auch nichts, um diese Entwicklung zu verhindern. Die Eigenmächtigkeit der geistlichen Fürsten im Reich war dem Vatikan ohnehin schon lange ein Dorn im Auge gewesen.

Zwar gab Pius bereits 1803 den Anstoß, die neuen kirchlichen Verhältnisse im Reich durch ein Konkordat zu regeln, doch kamen die Verhandlungen nicht über Ansätze hinaus. Napoleon machte dafür den Papst und seinen Kardinalstaatssekretär verantwortlich. Die Motive für die vatikanische Zurückhaltung im Hinblick auf ein deutsches Konkordat legte Consalvi in seinen Erinnerungen dar. Man habe befürchten müssen, dass Napoleon über den Rheinbund allzu starken Einfluss auf die deutschen Verhältnisse nehmen würde. In diese mit Frankreich alliierte Konföderation deutscher Staaten waren zunächst 16 deutsche Staaten eingetreten, die zuvor aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ausgetreten waren (es sollten 23 weitere folgen). Damit war das Fundament der kaiserlichen Macht untergraben, sodass der Verzicht Franz’ II. auf die deutsche Kaiserkrone, den er am 6. August 1806 erklärte, unausweichlich schien. Dennoch ging man im Vatikan zunächst trotz dieses Schritts von einem Fortbestand des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation aus. Dieses aufzugeben, bedeutete auch, die kaiserliche Schutzmacht zu verlieren, auf die man sich trotz aller Konflikte zwischen Papsttum und Kaisertum seit gut 1000 Jahren hatte stützen können. Consalvi hielt in seinen Erinnerungen fest:

„Aus der Tatsache, dass dieser Fürst [= der Kaiser in Wien] auf die deutsche Krone verzichtete, konnte der Papst jedoch nicht schlussfolgern, dass das Heilige Reich nicht mehr existierte, dass es auf Frankreich übergegangen und der Kaisertitel rechtmäßig von Napoleon erworben worden war.“15

Pius VII. folgte einer Einladung Bonapartes und reiste 1804 zur Besiegelung des durch das Konkordat erzielten, aber durch einseitige staatliche Maßnahmen gefährdeten Einvernehmens zu dessen Kaiserkrönung nach Paris. Im Vorfeld unterstützte der Heilige Stuhl Proteste des Kaiserhofes in Wien und des französischen Thronprätendenten aus dem Haus Bourbon (des späteren Königs Ludwig XVIII., 1755–1824) gegen die Schaffung einer neuen napoleonischen Monarchie nicht. Faktisch bedeutete auch die Beteiligung an der Krönung eine Zurückweisung der Ansprüche der Anhänger des alten Königshauses. Damit brachte der Kirchenführer den Teil der französischen Katholiken, die von der alleinigen Legitimität der alten Monarchie ausgingen, gegen sich auf. Konservative Kardinäle rieten daher von der Reise ab. Der Papst ließ sich aber trotz dieser Bedenken nicht von seinen Reiseplänen abbringen, mochte er doch hoffen, dass die Organischen Artikel zurückgenommen oder abgeschwächt und ihm die Nordprovinzen des Kirchenstaates zurückgegeben würden, ohne die dieser auf Dauer nicht lebensfähig war. Dem Vatikan war also das Hemd näher als der Rock, aktuelle Vorteile wogen schwerer als überkommene historische Ansprüche.

Die Entführung Pius’ VI. nach Frankreich und die tiefste Demütigung des Papsttums war kaum fünf Jahre her. Wie anders gestaltete sich nun die Reise seines Nachfolgers nach Paris – geradezu als ein Triumphzug. Im Schloss von Versailles wird noch heute eine eigens angefertigte Sedia gestatoria gezeigt, mit der der Papst durch die Straßen von Paris zum Ort der Krönung getragen wurde. Dennoch konnte diese protokollarische Aufwertung nicht darüber hinwegtäuschen, wer der Herr des Geschehens war. Das berühmte Krönungsbild von der Hand Jacques-Louis Davids (1748–1825) zeigt Pius VII. als bloßen Statisten, denn der französische Herrscher setzte sich bei der Feier am 2. Dezember 1804 in der Kathedrale Notre-Dame de Paris selbst die Krone auf, während der Pontifex lediglich dessen Salbung vornahm. Gezeigt wird der Moment, als Napoleon seine Gattin Joséphine de Beauharnais (1763–1814) krönt. Mit der nur mäßig erhobenen Rechten segnet der Kirchenfürst das Geschehen. Die markanten Züge seines Gesichtes sind von den langen, noch ganz schwarzen Haaren umrandet. Er scheint sich dem Aufsetzen der Krone innerlich zu entziehen, denn er blickt in diesem Augenblick müde zu Boden. Joséphine, die um ihre Stellung fürchtete, da sie ihrem Mann keinen männlichen Erben schenken konnte, hatte dem Papst vor der Zeremonie heimlich gestanden, dass sie und Napoleon nur zivil verheiratet waren. Pius bestand daher auf einer kirchlichen Trauung, die denn auch am Vortag der Krönung durch Kardinal Fesch diskret vorgenommen wurde, andernfalls könne er nicht an der Krönung teilnehmen. Joséphines Kalkül, ihrer Verbindung mit dem Herrscher durch das Ehesakrament den Charakter der Unauflöslichkeit zu geben, sollte nicht aufgehen: Napoleon trennte sich kaum ein halbes Jahrzehnt später von ihr und ließ die kirchliche Ehe wegen eines angeblichen Formfehlers kirchlich annullieren.

Der Papst wurde während seines viermonatigen Aufenthalts in Paris mit Ehrbezeugungen überhäuft. Nach der Rückkehr in die Ewige Stadt schilderte er den zum Konsistorium versammelten Kardinälen die Reise als einen vollen Erfolg. Der Jubel der Menge, den er überall erlebt hatte, beeindruckte ihn und ließ ihn an eine Wiedergeburt des religiösen Lebens in Frankreich glauben. Dort wurde der republikanische Kalender außer Kraft gesetzt, und einige Orden wurden wieder zugelassen. Der Kaiser schenkte ihm als symbolische Anerkennung seines Anspruchs eine Tiara, in die Juwelen aus der Tiara eingearbeitet waren, die man Pius VI. geraubt und eingeschmolzen hatte. Dass diese absichtlich zu eng gestaltet wurde, um den Pontifex zu demütigen, gehört in das Reich der Legende.

Das Einvernehmen zwischen Imperator und Pontifex hatte nicht lange Bestand. Am 24. Mai 1805 (zwei Tage vor seiner Krönung zum König von Italien) schrieb Napoleon an den Papst und bat ihn, die Ehe zu annullieren, die sein jüngerer Bruder Jérôme Bonaparte (1784–1860) in den USA mit einer Protestantin geschlossen hatte. In verbindlichem Ton, doch in der Sache unmissverständlich antwortete Pius dem Monarchen, indem er ihm darlegte, dass die Ehe seines Bruders nach dem geltenden Kirchenrecht unauflöslich sei: „Es steht nicht in Unserer Macht, das von Uns erbetene Urteil der Nichtigkeit auszusprechen.“16

Verschärft wurden die Spannungen zwischen dem Vatikan und Paris schließlich noch durch die Neutralität des Heiligen Stuhls im Dritten Koalitionskrieg (1805) und die Weigerung des päpstlichen Landesherrn, den Seehafen Ancona im Rahmen der vom Kaiser verhängten Kontinentalsperre für englische Schiffe zu verschließen. Die Hafenstadt wurde daher im Oktober 1805 von französischen Truppen besetzt. Am 7. Januar 1806 ließ Napoleon Kardinal Fesch brieflich wissen: „Ich erwarte daher, dass der Papst mit seinem Verhalten meinen Forderungen nachkommt. Wenn er sich richtig verhält, werde ich äußerlich nichts verändern: falls nicht, werde ich ihn zu einem Bischof von Rom degradieren.“17 Am 13. Februar 1806, kurz nach seinem Sieg in der Schlacht von Austerlitz, machte Napoleon dem Papst unmissverständlich klar, dass der Kirchenstaat aus seiner Sicht obsolet sei: „Eure Heiligkeit (…) ist der Herr über die Stadt Rom, aber Ich bin ihr Kaiser.“18 Er berief sich auf das Verhältnis zwischen Karl dem Großen, als dessen Nachfolger er sich verstand, und dessen Zeitgenossen, Papst Hadrian I. (reg. 772–795). Pius VII. erwiderte ihm darauf, der Titel Kaiser gebühre dem deutschen König, während Napoleon sich allenfalls Kaiser der Franzosen nennen könne.

Das Verhältnis zwischen Papst und Kaiser war also bereits zu diesem Zeitpunkt höchst angespannt. Letzterer machte Consalvi für die Unnachgiebigkeit des Papstes verantwortlich. Den Kardinal hielt er für klug und intrigant, den Kirchenführer dagegen für schwach und leicht zu beeinflussen. Der Kardinalstaatssekretär musste daher 1806 auf französischen Druck hin sein Amt aufgeben, blieb aber im Hintergrund der wichtigste außenpolitische Berater des Pontifex. Der Vorgang war unerhört, war doch niemals in der neuzeitlichen Geschichte ein Kardinalstaatssekretär von einer ausländischen Macht verdrängt worden.

Doch Napoleon hatte Pius’ Standfestigkeit unterschätzt. Dieser blieb auch im Vierten Koalitionskrieg (1806–1807) trotz französischen Drängens neutral, sodass die Franzosen zuerst die Marken und Umbrien, dann am 2. Februar 1808 auch die Stadt Rom besetzten. Vier Provinzen des Kirchenstaates wurden dem Königreich Italien zugeschlagen. Die Bewegungsfreiheit des Papstes war nun erheblich eingeschränkt, ja er verstand sich quasi als Gefangener im Quirinal. Am 16. Mai 1809 annektierte Frankreich den Rest des Kirchenstaates, also Umbrien und Latium mit der Stadt Rom. Napoleon tat dies mit großem Gestus, indem er erklärte, die Pippinische Schenkung des 8. Jahrhunderts rückgängig zu machen, damit die Päpste sich auf die Seelsorge konzentrieren könnten. Er sagte dem Papst als Entschädigung eine jährliche Summe von zwei Millionen Francs und den Besitz der päpstlichen Paläste zu. Der Pontifex exkommunizierte daraufhin am 10. Juni alle „Räuber des Kirchenstaates“, unter die nach Lage der Dinge auch der Kaiser und General Sextius Alexandre François de Miollis (1759–1828), der französische Oberbefehlshaber und Statthalter, fielen. Das entsprechende Breve Quum memoranda stellt eine flammende Anklage gegen die Zermürbungstaktik der Besatzer und ihre Versuche dar, die Amtsführung des Papstes unmöglich zu machen. Das Breve wurde trotz der allgegenwärtigen Besatzungstruppen heimlich an den Kirchen der Stadt angeschlagen.

Gefangener des Kaisers

Nun überschlugen sich die Ereignisse. Nach einem Augenzeugenbericht des Kardinal Bartolomeo Pacca (1756–1844) belagerten in der Nacht zum 6. Juli 1809 französische und neapolitanische Soldaten den Quirinal, wo sich der Papst aufhielt. Zwischen 2.00 und 3.00 Uhr verschafften sich die Franzosen gewaltsam Zugang zum Palast. Die 40 Schweizer Gardisten, die zum Schutz des Papstes abgestellt waren, ergaben sich angesichts der erdrückenden zahlenmäßigen Übermacht der Eindringlinge, auch weil der Papst ein Blutvergießen verhindern wollte. General Étienne Radet (1762–1825), der Anführer der Aktion, drang zum Papst vor, der selbst die Tür zum Audienzzimmer öffnen ließ und den ungebetenen Gast am Schreibtisch erwartete. Von diesem im Namen des Kaisers vor die Wahl gestellt, entweder auf die Herrschaft in Rom und im Kirchenstaat zu verzichten oder gefangen genommen zu werden, antwortete der Pontifex mit ruhiger Stimme: „Wir können nicht verzichten auf das, was Uns nicht gehört; die weltliche Herrschaft gehört zur Kirche von Rom, und Wir sind nur deren Verwalter; der Kaiser kann Uns in Stücke reißen, aber er wird das niemals von Uns bekommen.“19 Unwillkürlich denkt man an eine sehr ähnliche Szene: an das Attentat von Anagni am 7. September 1303, als die Gegner Bonifatius’ VIII. (1235–1303) unter der Führung des französischen Gesandten Guillaume de Nogaret (1260–1313) in den Papstpalast eingedrungen waren und den Papst zum Rücktritt aufgefordert hatten. Mit ähnlichen Worten hatte dieser, ebenfalls hinter seinem Schreibtisch stehend, die Anmaßung zurückgewiesen. Eine Ohrfeige, wie Bonifatius sie von Nogarets Hand erhalten hatte, ist allerdings für Pius nicht überliefert.

Da der Chiaramonti-Papst nicht auf die Forderung einging, die Annexion des Kirchenstaats zu akzeptieren, wurde er noch in derselben Nacht gefangen genommen. Bei seiner Inhaftierung weigerte er sich, die päpstlichen Gewänder (die weiße Soutane, die rote Mozzetta und die Segensstola) abzulegen. Anders als seinem gedemütigten Vorgänger Pius VI. beließ man sie ihm. Um nicht einen Aufstand der Römer zu provozieren, wurde er unter größter Geheimhaltung aus der Stadt geschafft. Er durfte nichts mit sich nehmen und wurde nur von Kardinal Pacca begleitet, der als Pro-Sekretär die Amtsgeschäfte des Staatssekretärs führte. Der Kardinal wurde später vom Papst getrennt und vier Jahre lang interniert.

Nun begann eine sechswöchige Odyssee, durch die der Pontifex wohl eingeschüchtert werden sollte. In Avignon, das noch unter seinem Vorgänger zum Kirchenstaat gehört hatte, blieb er nur kurz. Vielleicht wollte der französische Machthaber ihn im dortigen Papstpalast unterbringen, wo das Papsttum im 14. Jahrhundert für 70 Jahre unter dem bestimmenden Einfluss der französischen Könige gestanden hatte. Schließlich kam er in der ligurischen Stadt Savona an, die kurz zuvor von den Franzosen erobert worden war, und wurde unter Hausarrest gestellt. Eigens für ihn wurde ein Flügel der bischöflichen Residenz hergerichtet, wo er unter strenger Bewachung von der Öffentlichkeit abgeschirmt wurde. Seine Post wurde geöffnet, Besucher wurden kontrolliert, und lediglich durch ein vergittertes Fenster seiner Wohnung konnte er die Gottesdienste in der Kathedrale verfolgen. Offenkundig wollte der französische Herrscher seinen Willen brechen und ihn gefügig machen. Das gelang ihm nicht, denn Pius hatte lange als Mönch gelebt und kam mit der Abgeschiedenheit zurecht. Er nutzte seine Lage, so gut es ging, für Gebet und geistliche Betrachtung.

Während seiner Gefangenschaft weigerte sich Pius VII., die von Bonaparte nominierten Bischöfe kanonisch zu instituieren (also die kaiserliche Ernennung zu bestätigen und die Kandidaten in ihr Amt einzusetzen) oder dem kaiserlichen Wunsch zu entsprechen, die Einsetzung ersatzweise durch die französischen Erzbischöfe vornehmen zu lassen. Die Bistümer blieben also vakant, was der Kaiser zum Vorwand nahm, als Vergeltungsmaßnahme einseitig das Konkordat außer Kraft zu setzen.

Auch mit der bereits erwähnten Annullierung der Ehe Napoleons mit Joséphine Beauharnais wollte sich der Papst nicht beflecken, während die Erzbischöfe von Paris und Wien in dieser Hinsicht willfähriger waren. Napoleon heiratete 1810 die Kaisertochter Marie Louise von Österreich (1791–1847). Durch diese Verbindung erhoffte er sich eine dynastische Erhöhung seines eigenen Herrschaftsanspruchs. Überdies sollte so ein Frieden zwischen Österreich und Frankreich angebahnt werden. Der Kaiser nötigte die Kardinäle im französischen Machtbereich, nach Paris zu kommen, um der Trauung beizuwohnen. 13 von ihnen erkannten jedoch die Annullierung der ersten Ehe und die zweite Ehe nicht an und blieben daher den Feierlichkeiten fern. Napoleon war außer sich. Die widerspenstigen Kirchenfürsten wurden aus ihren Ämtern entfernt, in verschiedenen Städten Frankreichs interniert und durften ihre rote Amtstracht nicht mehr tragen. Von den Zeitgenossen wurden sie daher „schwarze Kardinäle“ genannt. Der ebenfalls nach Paris zitierte Kardinal Consalvi berichtet, Napoleon habe zunächst den Befehl gegeben, ihn erschießen zu lassen, da er in ihm den Drahtzieher des Widerstands der Kardinäle gesehen habe, habe es dann aber bei einer Inhaftierung belassen (die bis 1813 andauern sollte). Als dem Kaiser 1811 ein Thronfolger geboren wurde, gab er ihm den Titel eines Königs von Rom, um so aller Welt deutlich zu machen, dass er keine weltliche Herrschaft des Papstes mehr dulden werde und Rom dynastisch mit seiner Familie verbinden wollte.

Als bekannt wurde, dass der Papst aus seinem Hausarrest in Savona mit französischen Bischöfen korrespondierte, verschärfte Napoleon die Haftbedingungen. Außer seinem Kammerdiener durfte niemand zu ihm vorgelassen werden. All seine Bücher und Schriften wurden konfisziert und nach Paris geschickt, sein Schreibzeug wurde ihm abgenommen. Selbst den Fischerring, das päpstliche Siegel, musste er abliefern, damit er nicht heimlich Dokumente siegeln und damit Rechtsakte setzen konnte. Für den Fall des Widerstands wurde ihm eine verschärfte Haft in der Festung von Savona angedroht. Der Kaiser hatte allerdings ein Interesse daran, dass seine Geisel am Leben blieb. So ordnete er an, man solle den Kirchenfürsten mit allem versorgen, was er zum Leben benötige, und auch ein Arzt müsse bereitstehen. Ein päpstlicher Märtyrer hätte dem Herrscher eher geschadet als genützt und womöglich Unruhe unter den Katholiken Frankreichs hervorgerufen. Er gab den Auftrag, man solle Chiaramonti unmissverständlich mitteilen, dass er, Napoleon, ihn nicht länger als Papst anerkenne: „Man muss ihm klarmachen, dass ich mächtig genug bin, einen Papst abzusetzen, wie das schon früher meine Vorgänger getan haben.“20 Er hatte sich dies jedoch einfacher vorgestellt und die Loyalität des französischen Episkopats gegenüber dem Kirchenführer unterschätzt: Wider Erwarten scheiterte im Juni des Jahres 1811 sein Versuch, ihn auf einem Nationalkonzil der französischen und oberitalienischen Bischöfe entmachten zu lassen.

Noch immer ungebrochen, doch fieberkrank und geschwächt, wurde Pius am 9. Juni 1812 gegen seinen Willen nach Fontainebleau verschleppt, da Napoleon befürchtete, der Papst könne von den Engländern befreit werden. Er hatte detaillierte Anweisungen für die Aktion gegeben: Der zehntägige Transport wurde unter größter Geheimhaltung mittels einer versiegelten Kutsche durchgeführt, die nachts die großen Städte passieren sollte, um jeden Volksauflauf zu vermeiden. Damit man den Pontifex nicht als solchen erkannte, durfte er nur einfache Priesterkleidung tragen. Sein Leibarzt sollte mitreisen dürfen. Gegen diese Entführung nach Frankreich protestierte der Pontifex auf das Schärfste und trat zeitweilig sogar in den Hungerstreik. Im französischen Königsschloss Fontainebleau, südlich von Paris gelegen, wurde er zwar standesgemäß untergebracht, doch änderten sich seine Arrestbedingungen nicht wesentlich. Immer noch war er ein Gefangener ohne freien Verkehr mit der Außenwelt. Im Schloss zeigt man noch heute La chambre du Pape, einen großzügigen Raum mit Empire-Ausstattung, bestehend aus einem breiten Bett mit einem ausladenden Baldachin, Gobelins, Chaiselongue, einem Kabinettstisch und Stühlen. Weitere zehn Räume gehörten zum päpstlichen Appartement. Es war dem unfreiwilligen Gast gestattet, Bücher aus der Schlossbibliothek zu entleihen. Er las sehr viel, vor allem kirchengeschichtliche, kirchenrechtliche und spirituelle Literatur, verließ aber ansonsten die ihm zum Aufenthalt angewiesenen Räumlichkeiten kaum. Im Rückblick legte der abgedankte Kaiser Wert darauf, dass er den Papst mit allen schuldigen Ehren behandelt habe. Fontainebleau war im Unterschied zu Savona ein goldener Käfig, in den er seine Geisel gesperrt hatte. Doch der Pontifex ließ sich dadurch nicht blenden.

Zurückgekehrt von seinem desaströsen Russlandfeldzug, wollte Napoleon die Kirchenfrage endlich in seinem Sinn lösen. Dazu musste er den Papst persönlich treffen. Im Januar 1813 sprach er fünf Tage lang unter vier Augen mit Pius VII. und setzte ihn massivem Druck aus, bis dieser schließlich am 25. Januar 1813 einem neuen Konkordat zustimmte, durch das die Stellung der Kirche erheblich verschlechtert wurde. Obwohl es sich nur um einen Entwurf gehandelt und der Pontifex sich eine Prüfung vorbehalten hatte, präsentierte der Herrscher den Text der Öffentlichkeit als „Konkordat von Fontainebleau“. Ostentativ ließ er im ganzen Reich ein Te Deum anlässlich der „Einigung“ mit dem Heiligen Stuhl singen. Nach der neuen Vereinbarung wurde die Einsetzung der vom Kaiser ernannten Bischöfe dem Papst ganz aus der Hand genommen und fiel endgültig den Erzbischöfen zu. Nach einem Verzicht auf die weltliche Herrschaft sollte der Pontifex eine jährliche Apanage von zwei Millionen Francs erhalten. Er selbst und die „schwarzen Kardinäle“, die in Napoleons Hand waren, würden freikommen. Mit der neuen Übereinkunft war auch ein grundsätzliches Projekt verbunden: Rom war nicht mehr als Ort der Residenz des Nachfolgers Petri vorgesehen. Dieser sollte in Zukunft in Paris ansässig werden. Einen Großteil des Vatikanischen Archivs hatte Napoleon bereits dorthin schaffen lassen. Paris habe er zur Hauptstadt der Welt machen wollen, weshalb auch der Papst dort hätte sein müssen, denn dann wäre die Stadt sowohl weltlicher als auch geistlicher Mittelpunkt der Welt geworden, bekannte er kurz vor seinem Tod.

Doch bald schon bereute der Papst seine Unterschrift unter das angebliche Konkordat. Er warf sich vor, die Rechte des Papsttums verraten zu haben. Die freigelassenen Kardinäle Consalvi und Pacca wirkten auf ihn ein, dass er seine Zustimmung zu dem Vertrag widerrufen und erst wieder in Verhandlungen mit Napoleon eintreten solle, wenn er seine Freiheit wiedererlangt habe und nach Rom zurückgekehrt sei. Daraufhin zog der Pontifex seine Unterschrift zurück und begründete dies in einem sehr emotionalen Brief an den Kaiser: „Wir bitten Sie um des Blutes Jesu Christi willen, Unserem Herzen Trost zu schenken, das nichts mehr wünscht, als jene Versöhnung zu erreichen, die immer Gegenstand Unserer Gebete gewesen ist.“21 Er habe in den ihm aufgenötigten Gesprächen mit dem Kaiser Schwäche gezeigt und die Rechte des Heiligen Stuhls nicht ausreichend verteidigt, seine Zustimmung zu dem Vertrag sei daher ein Fehler. Der Monarch seinerseits ignorierte diesen Brief, verfuhr nach den Maßgaben des neuen Konkordates, schnitt Pius VII. erneut von der Außenwelt ab und stellte die „schwarzen Kardinäle“ wiederum unter Hausarrest.

Zeitweise war die Gesundheit des Papstes so angegriffen, dass er die Sterbesakramente empfangen musste, da man mit seinem baldigen Ableben rechnete. Napoleon schien sein Ziel, den Kirchenführer willfährig zu machen, indem er ihm die faktische Leitung der Kirche entzog, erreicht zu haben. Doch mit dem Sinken seines Sterns wendete sich auch Pius’ Schicksal. Um einer Befreiung seiner Geisel durch die Alliierten zuvorzukommen, ließ Napoleon den Papst im Januar 1814 erneut nach Savona schaffen und gab ihm zwei Monate später die Freiheit zurück. Am 25. März begab sich der Kirchenführer in den Schutz der österreichischen Truppen. Nachdem die Alliierten Paris erobert hatten, dankte Napoleon am 6. April ab.

Auf der Siegerseite

Der Papst reiste nun nach Italien, ließ sich aber für die Rückkehr in die Ewige Stadt viel Zeit. Zunächst besuchte er seine Heimatstadt Cesena und seine alte Bischofsstadt Imola. Überall wurde er mit großem Jubel empfangen, seine Reise glich geradezu einem Triumphzug. Man bewunderte und bestaunte den Mann, der fünf Jahre lang dem mächtigsten Herrscher der Welt widerstanden hatte und den auch die Gefangenschaft nicht gebrochen hatte. Die lange Tournee durch seinen untergegangenen Staat diente auch der Manifestation des Anspruchs, diesen vollständig wiederhergestellt zu sehen. Das war im Frühjahr 1814 noch keine Selbstverständlichkeit. Außerdem konnte er so Zeit gewinnen, denn nach der Niederlage Napoleons in Frankreich kam es zu Nachgefechten in Italien. Der neapolitanische König Joachim Murat (1767–1815), bislang ein Parteigänger des Kaisers, hatte die Seiten gewechselt und bekämpfte nun das Königreich Italien, das von Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais (1781–1824) regiert wurde, um so ganz Italien unter seine Kontrolle zu bringen. Beide konnten noch hoffen, dass ihre Herrschaft auch nach der Abdankung des Kaisers Bestand haben würde. Als die Situation in Italien endgültig zugunsten der Alliierten entschieden schien, wandte sich Pius VII. am 4. Mai mit einer kurzen Enzyklika an seine Untertanen im Kirchenstaat und rief sie auf, einstweilen die Ruhe zu wahren. Nachdem er im Wallfahrtsort Loreto einen Dankgottesdienst für die Befreiung aus fast fünfjähriger Gefangenschaft gefeiert hatte, zog er drei Wochen später im Triumph in Rom ein. Kardinal Consalvi wurde wieder Staatssekretär.

Während der Herrschaft der Einhundert Tage Napoleons im Jahr 1815 floh Pius VII. noch einmal in den Norden des Landes, zumal Joachim Murat, der wiederum die Seiten gewechselt hatte und jetzt erneut mit dem Kaiser verbündet war, von Süden aus zur Bedrohung für den Kirchenstaat wurde. Aus Genua, das zum Königreich Piemont-Sardinien gehörte, kehrte der Pontifex nach der endgültigen Niederlage Napoleons in der Schlacht von Waterloo (18. Juni 1815) umgehend in den Vatikan zurück. Ohne zu zögern erkannte er nun den neuen französischen König Ludwig XVIII. aus dem Haus Bourbon, einen Bruder des 1793 hingerichteten Ludwig XVI., als König von Frankreich an.

Durch die Standhaftigkeit, die er gegenüber Napoleon gezeigt hatte, hatte Pius VII. dem Papsttum großes Prestige erworben. So erklärt sich, dass der Kirchenstaat, der von vielen Zeitgenossen längst abgeschrieben war, auf dem Wiener Kongress in alter Größe wiederhergestellt wurde. Die entsprechenden Bestimmungen der Wiener Kongressakte vom 8. Juni 1815 waren selbst für viele Zeitgenossen überraschend. Lediglich auf die französischen Besitzungen, die dem Heiligen Stuhl seit dem Avignonesischen Exil der Päpste im 14. Jahrhundert gehörten und die von den französischen Revolutionären kassiert worden waren, sowie auf kleinere Gebiete nördlich des Po, die an Österreich fielen, musste Verzicht geleistet werden. Dieser Erfolg war sicherlich auch dem Verhandlungsgeschick Consalvis zu verdanken, der in Wien das besondere Vertrauen des österreichischen Verhandlungsführers Klemens Wenzel Lothar Fürst Metternich (1773–1859) erwerben konnte. Es bedurfte aber auch der Zustimmung der nicht-katholischen Siegermächte Russland, Preußen und England. Die Einheit der italienischen Nation stand in Wien nicht auf dem Programm. Die Halbinsel blieb weiterhin in acht Einzelstaaten geteilt, was auf lange Sicht zur Ursache neuer Konflikte werden musste. Vor allem die Präsenz Österreichs in der Lombardei und in Venetien barg mittelfristig großen Konfliktstoff. Der Kirchenstaat war nun nach seiner Größe der drittgrößte und nach seiner Bevölkerungszahl der zweitgrößte Staat der Apenninhalbinsel. Er hatte ungefähr die Ausdehnung der Niederlande.

Für den gebildeten und kunstsinnigen Chiaramonti-Papst bedeutete es eine besondere Genugtuung, dass der Wiener Kongress die Rückführung der 100 wertvollsten Kunstwerke des Vatikans anordnete, die man den Franzosen im Frieden von Tolentino (1797) hatte überlassen müssen und die seither zum großen Teil im Louvre ausgestellt waren. Das Konkordat mit Frankreich, für dessen Fortbestand Consalvi in Paris eintrat, überlebte den Sturz des Kaisers um 90 Jahre und bildete in den Wechselfällen des 19. Jahrhunderts die Basis für ein Aufblühen der französischen Kirche, das in Europa seinesgleichen suchte. Mit diesem Staatskirchenvertrag war auch der Gallikanismus, die nationalkirchliche Bewegung, die es in Frankreich schon seit Jahrhunderten gegeben hatte, abgeräumt. Die französische Kirche war im Verlauf des 19. Jahrhunderts weitgehend ultramontan geprägt, also auf den Papst hin ausgerichtet. Die Verständigungsbereitschaft des Heiligen Stuhls sollte sich damit auf lange Sicht auszahlen.

Es zeugte vom Großmut des Pontifex, dass er Napoleons Mutter Letizia Bonaparte (1750–1836) und drei seiner Geschwister den Aufenthalt in Rom gewährte. Die Mutter erwarb 1818 einen eleganten barocken Palazzo an der Piazza Venezia, in dem sie 1836 verstarb. Auch Letizias Bruder, Kardinal Fesch, hielt sich nun ständig in Rom auf. Als Napoleon im Sterben lag, setzte er sich erfolgreich bei der britischen Regierung dafür ein, dass dem abgedankten Kaiser die Sterbesakramente gespendet wurden.

Die letzten Jahre

Die europäischen Mächte verfolgten sehr aufmerksam, wie der Kirchenstaat nach seiner Wiederherstellung regiert wurde. Kardinal Consalvi, bei dem alle Fäden der weltlichen Herrschaft zusammenliefen, war sich bewusst, dass eine schlichte Rückkehr zu den Verhältnissen der vornapoleonischen Zeit unmöglich war und dass die unter den Franzosen erfolgten Modernisierungen in Recht und Verwaltung teilweise sinnvoll gewesen waren. Auftakt einer breit angelegten Verwaltungsreform wurde in diesem Geist das Motu proprio Quando per ammirabile disposizione