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Seitenzahl: 149
KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN
Band 467
Textanalyse und Interpretation zu
Ödön von Horváth
GESCHICHTEN AUS DEM WIENER WALD
Wolfgang Reitzammer
Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen
Zitierte Ausgaben: Horváth, Ödön von: Geschichten aus dem Wiener Wald. Volksstück in drei Teilen. Husum/Nordsee: Hamburger Lesehefte Verlag, 2009 (Hamburger Leseheft Nr. 221). Zitatverweise sind mit HL gekennzeichnet. Horváth, Ödön von: Geschichten aus dem Wiener Wald. Volksstück in drei Teilen. Stuttgart: Philipp Reclam jun. Verlag, 2009 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18613). Zitatverweise sind mit R gekennzeichnet.
Über den Autor dieser Erläuterung: Wolfgang Reitzammer, Studiendirektor a. D., Seminarleiter und -lehrer für das Fach Sozialkunde, unterrichtete am Christian-Ernst-Gymnasium Erlangen Deutsch, Sozialkunde und Geschichte; Schulbuchautor, Verfasser didaktischer Aufsätze, Tätigkeit als Herausgeber, Dozent für Deutsch und Sozialkunde an der FH und an der Volkshochschule, Verantwortlicher des Kultur-Blogs www.cooltourist.de.
1. Auflage 2020
ISBN 978-3-8044-7001-9
© 2020 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Alfred und seine Großmutter, Inszenierung am Theater in der Josefstadt in Wien, 2012© picture alliance / REUTERS
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INHALT
1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht
2. Ödön von Horváth: Leben und Werk
2.1 Biografie
2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund
2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken
Das Frühwerk
Dramen
Romane
3. Textanalyse und -Interpretation
3.1 Entstehung und Quellen
3.2 Inhaltsangabe
Erster Teil
Zweiter Teil
Dritter Teil
3.3 Aufbau
Der zirkuläre Aufbau des Dramas
Die zeitliche und räumliche Struktur des Dramas
3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken
Marianne
Alfred
Zauberkönig
Valerie
Oskar
Die Großmutter
Die Mutter
Rittmeister
Erich
Der Hierlinger Ferdinand
Havlitschek
3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen
3.6 Stil und Sprache
Die Sprachebenen im Stück
Stilmittel und Symbole
3.7 Interpretationsansätze
Gattungsbezug: Volksstück
Horváths Volksstück
Das zentrale Motiv: Die Dummheit
Soziogramm des österreichischen Kleinbürgertums in der Zwischenkriegszeit
Der Mittelstand in Horváths Volksstück
Die Liebe ist ein seltsames Spiel
Marianne – Versuche einer Emanzipation
Scheiternde Frauenfiguren in der Literaturgeschichte
Die Tonspur des Theaterstücks
Formen der Kommunikation im Drama
Dialog
Stille
4. Rezeptionsgeschichte
Zeitgenössische Inszenierungen
Interview mit dem Regisseur Georg Schmiedleitner
Verfilmung des Dramas
„Nacherzählung“ von Peter Handke
5. Materialien
Zur Theatertheorie von Ödön von Horváth
Ödön von Horváth als Träger des Kleist-Preises
Auszug aus Johann Wolfgang von Goethes Drama Faust I
Auszug aus Friedrich Hebbels Drama Maria Magdalena
6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen
Aufgabe 1 **
Aufgabe 2 ***
Aufgabe 3 ***
Aufgabe 4 *
Literatur
Zitierte Ausgabe
Weitere Ausgabe
Weitere Werke des Autors
Sekundärliteratur
Verfilmungen
Damit sich jeder Leser in unserem Band rasch zurechtfindet und das für ihn Interessante gleich entdeckt, hier eine Übersicht:
Im zweiten Kapitel wird Ödön von Horváths Leben und Werk kurz vorgestellt. Dazu wird auch der zeitgeschichtliche Hintergrund der Jahre 1918–1938 erläutert.
Ödön von Horváth wurde 1901 geboren, wuchs in Belgrad, Budapest, München, Pressburg (heute: Bratislava) und Wien auf, wo er 1919 das Abitur erfolgreich ablegte. Als Student der Germanistik und Theaterwissenschaft in München begann er mit ersten literarischen Versuchen. Ab 1926 kam es zu Inszenierungen seiner ersten Theaterstücke, 1929 erhielt er einen Vertrag beim Ullstein-Verlag. In den Jahren 1931 und 1932 wurden seine bekannten Volksstücke in Berlin uraufgeführt. Nach dem „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich verließ Horváth Wien. Am 1. Juni 1938 starb er in Paris, weil er während eines Gewitters von einem herabstürzenden Ast getroffen wurde.
Das Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald spielt Ende der 1920er Jahre in Österreich. Diese Zeit ist geprägt durch die Weltwirtschaftskrise, die auch in Österreich durch hohe Arbeitslosigkeit spürbar war. Außerdem entwickelte sich eine zunehmende innenpolitische Radikalisierung, begannen heftige Auseinandersetzungen zwischen sozialdemokratischen und rechtsnationalen Gruppierungen.
Andere bekannte literarische Werke von Ödön von Horváth sind die Theaterstücke Kasimir und Karoline (1932), Glaube Liebe Hoffnung (1936) sowie der Roman Jugend ohne Gott (1937).
Im dritten Kapitel bieten wir eine Textanalyse und -interpretation.
Geschichten aus dem Wiener Wald – Entstehung und Quellen:
Das Volksstück ist in den Jahren 1928 bis 1931 entstanden. Schon in früheren Arbeiten hat sich Ödön von Horváth mit dem Kleinbürgertum und mit der Rolle der Frau beschäftigt. Das Stück erlebte seine Uraufführung am 2. November 1931 am Deutschen Theater in Berlin.
Inhalt:
Das Stück zeigt das Schicksal der Hauptperson Marianne, die eigentlich mit dem Metzger Oskar verheiratet werden soll, sich dann aber in den Schlawiner Alfred verliebt. Sie bekommt von ihm ein Kind; da er keine regelmäßigen Einkünfte hat, muss sie als Tänzerin in Nachtklubs Geld dazuverdienen. Am Ende steht Marianne wieder allein da, weil sich Alfred von ihr trennen will, ihr Kind stirbt und ihr Vater sie verstößt.
Chronologie und Schauplätze:
Das Drama besteht aus drei Teilen mit jeweils unterschiedlich langen Szenen. Das Geschehen erstreckt sich auf knapp zwei Jahre, die Handlung spielt an mehreren Orten in Wien, im Wiener Wald und in der Wachau.
Personen:
Die Hauptpersonen sind
Marianne:
22 Jahre alt
einziges Kind des Zauberkönigs Leopold
geplante Verlobung mit dem Metzger Oskar
Hoffnung auf echte Liebe mit dem Charmeur Alfred
Leben in wilder Ehe mit einem unehelichen Kind
Engagement als Nackttänzerin in einem Nachtklub
endgültig gebrochen nach dem Tod ihres Sohnes
Alfred:
hat keinen seriösen Beruf
verdient etwas Geld mit Pferdewetten
lässt sich von der älteren Valerie aushalten
übernimmt keine Verantwortung für das Zusammenleben mit Marianne und ihrem gemeinsamen Kind
Oskar:
Besitzer einer Metzgerei in Wien
als Ehemann von Marianne vorgesehen
schwankend zwischen Liebe und Brutalität
ist am Ende bereit, Marianne wieder als Frau zu nehmen
Zauberkönig:
Besitzer eines Spielwarenladens in Wien
verwitweter Vater von Marianne
verstößt die Tochter nach ihrer Liaison mit Alfred
Schlaganfall nach der Begegnung mit der Tochter im Nachtklub
Valerie:
etwa 50-jährige Witwe eines Beamten
besitzt eine Trafik (Zeitschriftenladen) in Wien
sucht die Verbindung zu jüngeren Männern (Alfred, Erich)
versucht am Ende eine Aussöhnung aller Beteiligten
Die Personenkonstellation kann im Kern als Dreiecksgeschichte bezeichnet werden: Marianne steht zwischen den beiden Männern Oskar und Alfred.
Stil und Sprache:
Die Sprache der Personen ist im Wesentlichen ein klischeehafter Bildungsjargon mit Anklängen des Wiener Dialekts.
Auffallende Stilmittel sind die entlarvende Komik und Ironie sowie die Verwendung von bildlichen Symbolen aus den Bereichen heile Welt, Sexualität und Tod.
Als Interpretationsansätze bieten sich an:
Der Gattungsbezug: Was versteht Horváth unter einem „Volksstück“?
Das zentrale Motiv: die Dummheit
Das Stück als Soziogramm des österreichischen Kleinbürgertums in der Zwischenkriegszeit
Die Ware Liebe: Einstellungen zur Zweierbeziehung zwischen Käuflichkeit und Empathie
Der gescheiterte Versuch einer Emanzipation am Beispiel der Hauptperson Marianne
Die Musikalität des Theaterstücks
Formen der dialogischen Kommunikation im Drama
Ödön von Horváth 1901–1938 © ullstein bild
JAHR
ORT
EREIGNIS
ALTER
1901
Sušak bei Fume
Als erster Sohn des ungarischen Diplomaten Dr. Ödön Josef von Horváth (ab 1909 in den Adelsstand erhoben) und seiner Ehefrau Maria Hermine, geb. Prehnal, kommt Ödön (= Edmund) Josip (= Josef) von Horváth am 9. Dezember in Sušak, einem Vorort von Fiume (heute: Rijeka) in Kroatien, zur Welt.
1902
Belgrad
Übersiedlung der Familie nach Belgrad.
1
1903
Belgrad
Geburt des Bruders Lajos.
2
1908
Budapest
Übersiedlung der Familie nach Budapest, Ödön erhält ersten Privat-Unterricht in ungarischer Sprache.
7
1909
München
Versetzung des Vaters und Umzug der Eltern nach München. Ödön bleibt vorerst in Budapest und besucht das erzbischöfliche Internat und Gymnasium „Rákóczianum“.
8
1913
München
Umzug nach München zu seinen Eltern. Besuch zweier Gymnasien: Kaiser-Wilhelm-Gymnasium (3. Klasse) und Realgymnasium in der Klenzestraße.
12
1916
Pressburg
Übersiedlung der Familie nach Pressburg (heute: Bratislava). Besuch der Oberrealschule in Pressburg; früheste erhaltene literarische Versuche.
15
1918
Budapest
Umzug der Familie nach Budapest.
17
1919
Wien, München
Ödön lebt bei seinem Onkel Josef Prenahl und schafft die Matura (= Abitur) am Privatgymnasium der Salvatorianer in Wien. Danach immatrikuliert er sich an der Ludwig-Maximilians-Universität in München für die Fächer Germanistik, Theaterwissenschaft und Psychologie.
18
1920
München
Kontakt zu dem Komponisten Siegfried Kallenberg (1867–1944). Arbeit an der Ballettpantomime Das Buch der Tänze.
19
1922
München
Das Buch der Tänze wird in München aufgeführt und im Münchner El-Schahin-Verlag veröffentlicht.
21
1923
München, Murnau
Umzug zu den Eltern nach Murnau am Staffelsee. Intensive schriftstellerische Arbeit (z. B. das Stück Mord in der Mohrengasse), gleichzeitig Beendigung des Studiums ohne Abschluss.
22
1924
Berlin
Umzug nach Berlin. In der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ erscheinen Horváths Sportmärchen.
23
1926– 1929
Berlin
Drei Stücke von Horváth werden aufgeführt: Das Buch der Tänze in Osnabrück (1926), Revolte auf der Côte 3018 in Hamburg (1927), was ein Misserfolg wurde. Horváth schreibt es um und es wird als Die Bergbahn in Berlin erfolgreich aufgeführt (1929). Mit dem Stück Sladek, der schwarze Reichswehrmann gelingt Horváth der literarische Durchbruch. Vertrag mit dem Ullstein-Verlag in Berlin.
25–28
1930
Berlin
Horváths erster Roman Der ewige Spießer erscheint. Abschluss der Arbeiten an den beiden Volksstücken Italienische Nacht und Geschichten aus dem Wiener Wald.
29
1931
Berlin
Uraufführung des Stückes Italienische Nacht am 20. März in Berlin. Vernehmung Horváths als Zeuge zu einer von den Nationalsozialisten provozierten Saalschlacht in seinem Wohnort Murnau. Seine Aussage wird durch NSDAP-Zeitungen vehement kritisiert. Horváth erhält den Kleist-Preis (zusammen mit Erich Reger) auf Vorschlag von Carl Zuckmayer, Beginn der Freundschaft zwischen Zuckmayer und Horváth. Uraufführung derGeschichten aus dem Wiener Wald am Deutschen Theater in Berlin (2. November). Die Erstausgabe der Geschichten aus dem Wiener Wald erscheint im Berliner Propyläen Verlag.
30
1932
Berlin
Uraufführung des Volksstückes Kasimir und Karoline in Leipzig, Arbeit an dem Stück Glaube Liebe Hoffnung.
31
1933
Wien, Budapest
Umzug nach Wien. Beendigung der Arbeit an Die Unbekannte auf der Seine und Hin und her. Umzug nach Budapest, um die ungarische Staatsbürgerschaft behalten zu können. Heirat mit der jüdischen Opernsängerin Maria Elsner (1905–1983). Das Haus der Eltern in Murnau wird von der SA durchsucht. Horváths Bücher werden in München verbrannt. Die Nationalsozialisten verhindern die Uraufführung von Kasimir und Karoline, und auch geplante Aufführungen anderer Stücke finden nicht mehr statt.
32
1934
Berlin
Rückkehr nach Berlin. Veröffentlichung des Stücks Himmelwärts, Uraufführung von Hin und her in Zürich, Entstehung des Dramenfragments Der Lenz ist da. Scheidung von Maria Elsner.
33
1935
Wien
Umzug nach Wien, Verschlechterung der finanziellen Situation wegen der Auflösung des Vertrags mit dem Ullstein-Verlag. Uraufführung von Mit dem Kopf durch die Wand in Wien, das bei der Kritik durchfällt. Unter dem Pseudonym H. W. Becker arbeitet Horváth als (Co-)Autor für Filmdrehbücher.
34
1936
Salzburg, Wien
Umzug nach Henndorf bei Salzburg. Intensive Arbeit und Fertigstellung der Stücke Don Juan kommt aus dem Krieg, Ein Dorf ohne Männer, Der jüngste Tag, Glaube Liebe Hoffnung und Figaro lässt sich scheiden. Treffen mit Carl Zuckmayer, Franz Werfel und Franz Theodor Csokor in Wien. Uraufführung von Glaube Liebe Hoffnung in Wien.
35
1937
Salzburg
Der Roman Jugend ohne Gott erscheint in Amsterdam und wird in acht Sprachen übersetzt.
36
1938
Budapest, Prag, Paris
Der Roman Ein Kind unserer Zeit erscheint in Amsterdam und New York. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich (sog. „Anschluss Österreichs“) verlässt Horváth Wien und geht nach Budapest, von dort reist er nach Prag und von dort über Jugoslawien, Triest, Venedig, Mailand, Zürich und Amsterdam nach Paris. Hier steht Horváth in Verbindung mit dem amerikanischen Regisseur Robert Siodmak (1900–1973) wegen der Verfilmung von Jugend ohne Gott. Horváth wird am 1. Juni während eines Gewitters auf den Champs-Élysées von einem herabstürzenden Ast getötet und am 7. Juni auf dem Friedhof Saint Ouen in Paris bestattet.
36
1988
Horváths sterbliche Überreste werden nach Wien transportiert und in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof Wien beigesetzt.
ZUSAMMENFASSUNG
Das Volksstück Geschichten aus dem Wiener Wald spielt am Ende der 1920er Jahre in Österreich. Diese Zeit ist geprägt durch die Weltwirtschaftskrise, die auch in Österreich durch hohe Arbeitslosigkeit spürbar war. Außerdem entwickelte sich eine zunehmende innenpolitische Radikalisierung, begannen heftige Auseinandersetzungen zwischen sozialdemokratischen und rechtsnationalen Gruppierungen.
Konkrete Bezüge zur Zeitgeschichte lassen sich in einigen Szenen direkt nachweisen: Erster Weltkrieg, Antisemitismus und Rassismus, Rivalität der Preußen und Österreicher bzw. der Hohenzollern und Habsburger.
Ödön von Horváth schreibt, das Stück spiele „in unseren Tagen, und zwar in Wien, im Wiener Wald und draußen in der Wachau“ (HL S. 2/R S. 6). Es bietet sich also an, den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Jahre 1918–1938 vor allem in Bezug auf Österreich in den Blick zu nehmen:
Der Erste Weltkrieg endete am 11. November 1918 für die verbündeten Mittelmächte (Österreich-Ungarn, Deutsches Reich, Osmanisches Reich und Bulgarien) mit einer militärischen Niederlage, die zu gravierenden territorialen und staatlichen Veränderungen führte. Das Deutsche Reich musste im Versailler Vertrag massive Gebietsabtretungen akzeptieren. Schon am 9. November musste Kaiser Wilhelm II. als letzter Amtsträger der Hohenzollern-Dynastie aufgrund des Drucks aus der Bevölkerung, aus der Armee und aus dem Parlament seinen Rücktritt erklären. In einer öffentlichen Erklärung gab der amtierende Reichskanzler Prinz Max von Baden bekannt:
„Seine Majestät der Kaiser und König haben sich entschlossen, dem Throne zu entsagen. Der Reichskanzler bleibt noch so lange im Amte, bis die mit der Abdankung Seiner Majestät, dem Thronverzicht Seiner Kaiserlichen und Königlichen Hoheit des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen und der Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen geklärt sind. Es ist beabsichtigt, dem Regenten die Ernennung des Abgeordneten Ebert zum Reichskanzler und die Vorlage eines Gesetzesentwurfes wegen der Ausschreibung allgemeiner Wahlen für eine verfassunggebende deutsche Nationalversammlung vorzuschlagen, der es obliegen würde, die künftige Staatsform des deutschen Volkes, einschließlich der Volksteile, die ihren Eintritt in die Reichsgrenzen wünschen sollten, endgültig festzustellen.“[1]
Noch am selben Tag erklärte der SPD-Abgeordnete Philipp Scheidemann Deutschland zur Republik:
„Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt […]; der Militarismus ist erledigt! Die Hohenzollern haben abgedankt! Er und seine Freunde sind verschwunden, über sie hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt. Der Abgeordnete Ebert ist zum Reichskanzler ausgerufen worden. Ebert ist damit beauftragt, eine neue Regierung zusammenzustellen. Dieser Regierung werden alle sozialistischen Parteien angehören. Jetzt besteht unsere Aufgabe darin, diesen glänzenden Sieg des deutschen Volkes nicht beschmutzen zu lassen […]. Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik!“[2]
Ähnlich verläuft die Entwicklung in der kaiserlich-königlichen Monarchie Österreich-Ungarn: das Reich der Habsburger bricht auseinander, es entstehen voneinander unabhängige Nationalstaaten, der verbliebene Kleinstaat Österreich wird unter dem Namen Deutsch-Österreich zu einer parlamentarischen Republik. Nach dem Waffenstillstand vom 4. November 1918 und der kurz darauf erfolgten Selbstauflösung der Armee ging die letzte Klammer verloren, welche die Gesamtmonarchie zusammenhielt. Am 11. November 1918 unterschrieb Kaiser Karl I. von Österreich, dem de facto längst die Macht abhanden gekommen war, schließlich eine Erklärung, in der er auf jegliche Beteiligung an den Regierungsgeschäften in der österreichischen Reichshälfte verzichtete. Zwei Tage später, am 13. November, folgte eine ähnliche Erklärung für die ungarische Reichshälfte. Karl weigerte sich jedoch abzudanken, da er sich von der göttlichen Vorsehung („von Gottes Gnaden“) mit der Funktion des Monarchen betraut sah. Diese Haltung ist symptomatisch für das monarchische Selbstverständnis der Habsburger-Dynastie. Kaiser Karl starb 1922 im Exil auf der portugiesischen Insel Madeira.
Erst im Jahre 1919 kam es dann zu endgültigen Friedensverträgen mit den Siegermächten. Die deutsche Regierung musste in Versailles den Vertrag unterschreiben, der neben den Gebietsabtretungen auch Reparationen und die Anerkennung der Kriegsschuld beinhaltete. Am 10. September 1919 unterzeichnete die österreichische Regierung unter Staatskanzler Karl Renner den Friedensvertrag von St.-Germain-en-Laye, der ähnlich harte Bedingungen enthielt: nach Abtretung zahlreicher Gebiete verblieb Österreich ein Staatsgebiet mit nur mehr 84.000 km2 und ca. 6,5 Millionen Einwohnern.
Schon im Februar 1919 fanden in Österreich die ersten allgemeinen Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung statt, bei denen auch Frauen das gleiche Wahlrecht hatten. Wenige Tage vorher, am 19. Januar 1919 hatte es unter den gleichen Bedingungen Wahlen in Deutschland gegeben, bei denen die SPD zur stärksten Partei wurde. In Österreich bildete sich eine Koalition aus den Sozialdemokraten (SDAP) und den Christlichsozialen (CS).
Die folgenden Jahre waren in Österreich durch verschiedene Probleme geprägt:
Kriegsschulden, Arbeitslosigkeit und Inflation führten zu schweren wirtschaftlichen Krisen. Immerhin gelang es durch Unterstützung aus dem Ausland (Völkerbundanleihe) und durch die Einführung der neuen Währung des Schillings eine gewisse Stabilität ab dem Jahre 1925 herzustellen. Die Weltwirtschaftskrise, ausgelöste durch den „Schwarzen Freitag“ in New York macht jedoch diese Erfolge wieder zunichte. Ab 1929 stieg die Arbeitslosigkeit von knapp neun auf 26 Prozent an. Aufgrund der mangelnden Konsumnachfrage gingen viele Selbstständige in Konkurs. Schließlich kam es 1931 noch zu einer Bankenkrise