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Falladas Geschichten für Kinder Als Vorwort schreibt Hans Fallada an seine Kinder über die Entstehung dieses Buches: "Zuerst habe ich euch diese Geschichten mündlich erzählt, damit das Essen besser rutschte und nicht so langweilig war. Aber die Geschichten wurden bei jedem Erzählen anders, und das gefiel euch nicht, da mußte ich sie aufschreiben. Die aufgeschriebenen Geschichten konnte euch nur einer vorlesen, nämlich ich, weil kein anderer mit meiner Schrift zurechtkam. Da mußte ich euch die Geschichten auf der Maschine tippen. Das Getippte konntet ihr, Uli und Mücke, nun schon allein lesen, aber da ging der kleine Achim leer aus. Und Getipptes in einem Schnellhefter liest sich auch nicht so gut wie ein gedrucktes Buch. Da sagtest du, Uli: »Du läßt ja so viele Bücher von dir drucken, Papa, da kannst du auch diese Geschichten drucken lassen!« So reisten die Geschichten nach Berlin. Dort wurden sie erst andern Kindern zum Lesen gegeben und auch großen Leuten, damit wir bestimmt wußten, es waren richtige Kindergeschichten. Dann, als alle ja gesagt hatten, wurden sie gedruckt. ... "
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Seitenzahl: 201
Zuerst habe ich euch diese Geschichten mündlich erzählt, damit das Essen besser rutschte und nicht so langweilig war.
Aber die Geschichten wurden bei jedem Erzählen anders, und das gefiel euch nicht, da mußte ich sie aufschreiben.
Die aufgeschriebenen Geschichten konnte euch nur einer vorlesen, nämlich ich, weil kein anderer mit meiner Schrift zurechtkam. Da mußte ich euch die Geschichten auf der Maschine tippen.
Das Getippte konntet ihr, Uli und Mücke, nun schon allein lesen, aber da ging der kleine Achim leer aus. Und Getipptes in einem Schnellhefter liest sich auch nicht so gut wie ein gedrucktes Buch.
Da sagtest du, Uli: »Du läßt ja so viele Bücher von dir drucken, Papa, da kannst du auch diese Geschichten drucken lassen!« So reisten die Geschichten nach Berlin. Dort wurden sie erst andern Kindern zum Lesen gegeben und auch großen Leuten, damit wir bestimmt wußten, es waren richtige Kindergeschichten. Dann, als alle ja gesagt hatten, wurden sie gedruckt.
Und wenn ihr jetzt nicht eßt wie der dicke Onkel Willi, dann nehme ich euch auf der Stelle das Buch wieder weg!
Da habt ihr's –!
Es war einmal ein Kind, das war nicht artig und wollte sein Essen nicht essen. Da stellte es die Mutter zur Strafe vor die Tür und fing an, drinnen den artigen Kindern eine kleine Geschichte zu erzählen.
Als das unartige Kind nun merkte, drinnen erzählte die Mutter, brüllte es ein wenig leiser, denn es wollte horchen und hätte gerne zugehört. Da rief die Mutter: »Willst du jetzt artig sein und gut essen, Kind, so darfst du bei meiner kleinen Geschichte zuhören.«
Doch der Bock stieß das Kind noch, und als es die Mutter rufen hörte, fing es gleich wieder an, lauter zu brüllen, so gerne es auch die kleine Geschichte gehört hätte. Da fuhr eine Maus aus ihrem Loch und fragte: »Was machst du denn für ein Geschrei, Kind? Meine jungen Mäuslein verschlucken sich ja vor Schreck beim Speckessen.«
Das Kind antwortete und sprach: »Meine Mutter hat mich vor die Tür gestellt und will mich ihre kleine Geschichte nicht hören lassen. Darum, wenn du willst, daß deine Kinder in Ruhe Speck essen, schlüpfe durch einen Mäusegang ins Eßzimmer und erzähle mir, was für eine kleine Geschichte meine Geschwister hören.«
Die Maus tat, wie das Kind gesagt hatte, fuhr durch einen Mäusegang ins Eßzimmer und horchte. Die Mutter aber, die hörte, daß das Kind still geworden war, rief durch die Tür: »Willst du jetzt artig sein und essen, Kind?«
Das Kind dachte bei sich: ›Gleich kommt die Maus und erzählt mir die kleine Geschichte, da brauche ich auch nicht artig zu sein‹, und fing wieder lauter an zu brüllen. Als das Kind eine Weile gebrüllt hatte und die Maus noch immer nicht wiederkam, dachte es: ›Es ist doch sonderbar, daß die Maus so lange ausbleibt, das muß ja eine ganz herrliche Geschichte sein, daß sie das Wiederkommen so ganz vergißt. Ich will einmal die Fliege dort am Fenster schicken, daß sie nach dem Rechten sieht.‹
Das Kind rief also die Fliege an und sagte: »Liebes Fräulein Krabbelbein, ich habe die Maus ins Eßzimmer geschickt, daß sie auf die kleine Geschichte hört, die meine Mutter meinen Geschwistern erzählt. Aber die Maus kommt gar nicht wieder – willst du da nicht so freundlich sein und durchs Schlüsselloch kriechen und einmal nach dem Rechten sehen? Ich gebe dir auch morgen früh meinen Zucker, den ich zum Kakao bekomme.«
Die Fliege war einverstanden, kroch durchs Schlüsselloch und verschwand. Die Mutter aber, die hörte, das Kind brüllte nicht mehr, rief durch die Tür: »Willst du jetzt artig sein und essen, Kind?«
Das Kind dachte: ›Gleich kommen die Maus und die Fliege wieder und erzählen mir die kleine Geschichte, da brauche ich nicht artig zu sein!‹ Und es schrie: »Nein, nein, ich will nicht essen!« und brüllte noch lauter.
Als es aber eine Weile gebrüllt hatte, wunderte es sich, daß weder Maus noch Fliege wiederkamen, und dachte bei sich: ›Was muß das doch für eine wunderbare Geschichte sein! Mäuslein vergißt ihre Kinder, Krabbelbein denkt nicht an ihren Zucker – nein, jetzt mache ich nur noch einen Versuch, und wenn ich dann auch nichts erfahre, will ich gewiß artig sein und essen, damit ich nur die kleine Geschichte höre.‹
Es rief also eine Ameise an, die gerade auf der Diele kroch, und sagte: »Fräulein Schmachtleib, Sie sind dünn, sicher können Sie unter der Tür durchkriechen. Tun Sie das doch mal und sehen Sie im Eßzimmer nach, was da eigentlich die Maus und die Fliege machen, die ich geschickt habe, die kleine Geschichte zu hören, die meine Mutter meinen Geschwistern erzählt. Kommen Sie aber bloß schnell wieder. Ich halte es vor lauter Neugierde schon nicht mehr aus.«
Die Ameise sprach: »Den Gefallen will ich dir wohl tun«, kroch unter der Tür durch und verschwand. Die Mutter aber, die hörte, das Kind brüllte nicht mehr, rief durch die Tür: »Komm doch bloß schnell, Kind, sei artig und iß. Es gibt jetzt etwas ganz Feines!«
Das Kind aber dachte: ›Die Ameise wird mir jetzt Maus und Fliege schicken, da werde ich die kleine Geschichte schon zu hören bekommen.‹ Und es schrie: »Ich will gar nichts essen – auch nichts Feines!« trampelte mit den Füßen und brüllte noch lauter als vorher.
Als es aber eine Weile gebrüllt hatte, brüllte es doch leiser. Einmal, weil ihm der Hals weh tat, dann aber, weil es dachte: ›Es muß eine zu schöne Geschichte sein. Die drei: Maus, Fliege und Ameise, hören zu und vergessen mich ganz. Ich will jetzt doch artig sein und essen.‹ Und das Kind hörte ganz auf zu brüllen.
Die Mutter aber, die das Kind dreimal umsonst gefragt hatte, war jetzt böse auf das Kind und fragte es nicht mehr. Da dachte das Kind: ›Meine Mutter ist böse auf mich. Ich will ein bißchen an der Tür kratzen. Dann fragt sie mich doch, ob ich wieder artig sein will, ich aber sage ja und darf hinein.‹ Und das Kind kratzte an der Tür.
Die Mutter hörte es wohl, aber sie wollte das ungezogene Kind nicht mehr fragen, und so schwieg sie. Nun fing das Kind an zu rufen: »Ich will artig sein! Laßt mich hinein!«
Da fuhr die Maus aus dem Mäusegang und rief atemlos: »Gott, was war das für eine herrliche Geschichte! Entschuldige bloß, daß ich nicht eher kam, aber ich konnte nicht früher kommen, als bis ich das allerletzte Wort von ihr gehört hatte.«
Die Fliege schwirrte durch das Schlüsselloch und summte: »So eine vorzügliche Geschichte hört man wirklich nicht alle Tage. Da war es kein Wunder, daß die Kinder gegessen haben wie die Scheunendrescher – auch nicht ein Löffel voll blieb in der Schüssel!«
Und die Ameise kroch unter der Tür hervor und ächzte: »So eine großartige Geschichte und dazu noch Schokoladenpudding und Vanillensauce – so gut möchte ich es auch einmal haben!«
»Was?!« rief das unartige Kind. »Es hat Schokoladenpudding mit Vanillensauce gegeben?! Da will ich auch was abhaben.« Und es riß die Tür auf und rief: »Ich will auch Pudding und Vanillensauce. Ich will auch ganz artig sein! Und die kleine Geschichte will ich auch hören!«
Da fingen alle Kinder mit der Mutter an zu lachen und zeigten dem unartigen Kind die Puddingschüssel – da war auch nicht ein Krümchen mehr darin. Und sie zeigten ihm die Teller, die waren so blank und leer, als wären sie mit der Zunge abgeleckt. Die Mutter aber sagte: »Warum hast du dich nicht zur rechten Zeit besonnen, Kind? Nun ist nichts mehr da.«
Das Kind fing an zu weinen und sagte: »Wenn ich denn keinen Pudding mehr bekomme, so will ich doch die wunderbare, die herrliche, die großartige kleine Geschichte hören, die du meinen Geschwistern erzählt hast.«
Die Mutter aber antwortete: »Jetzt ist später Abend. Jetzt werden keine Geschichten mehr erzählt, jetzt wird ins Bett gegangen.«
Da mußte das unartige Kind ohne Pudding und ohne kleine Geschichte ins Bett gehen, und darüber war es sehr traurig. Hätte es sich aber zur rechten Zeit besonnen, so hätte es Pudding und kleine Geschichte bekommen, und das wäre besser für das Kind gewesen, und auch für uns, denn dann hätten auch wir die kleine Geschichte zu hören bekommen!
In einem großen Stadthaus wohnte einmal ein Mäuseken ganz allein, das hieß Wackelohr. Als Kleines war es einst von der Katze überfallen worden, und dabei war ihm das Ohr so zerrissen, daß die Maus es nicht mehr spitzen, sondern nur noch damit wackeln konnte. Darum hieß sie Wackelohr. Und dieselbe alte böse Katze hatte ihr auch alle Brüder und Schwestern und die Eltern gemordet, deshalb wohnte sie so allein in dem großen Stadthaus.
Da war es ihr oft sehr einsam, und sie klagte, daß sie so gerne ein anderes Mäuseken zum Spielgefährten gehabt hätte, am liebsten einen hübschen Mäuserich. Aber von dem Klagen kam keiner, und Wackelohr blieb allein.
Als nun einmal alles im Hause schlief, und die böse Katze auch, saß Wackelohr in der Speisekammer, nagte an einem Stück Speck und klagte dabei wieder recht jämmerlich über die große Verlassenheit. Da hörte sie eine hohe Stimme, die sprach: »Hihi! Was bist du doch für ein dummes, blindes Mäuseken! Du brauchst ja nur aus dem Fenster zu schauen und siehst den hübschesten Mäuserich von der Welt! Dazu geht es ihm auch noch wie dir: er ist ebenso allein wie du und sehnt sich herzlich nach einem Mäusefräulein.«
Wackelohr guckte hierhin und Wackelohr guckte dahin, Wackelohr sah auf den Speckteller und unter den Tellerrand – aber Wackelohr erblickte niemanden. Schließlich sah sie zum Fenster hinaus. Doch drüben war nur ein anderes großes Stadthaus, mit vielen Fenstern, die in der Abendsonne glitzerten, und kein Mäuserich war zu erblicken. Da rief Wackelohr ganz ungeduldig: »Wo bist du denn, die mit mir spricht? Und wo ist denn der schöne Mausejunge, von dem du erzählst?«
»Hihi!« rief die hohe Stimme. »Bist du aber eine blinde Maus! Schau doch einmal hoch zur Decke, ich sitze ja gerade über dir!«
Das Mäuseken sah hoch, und richtig, gerade über seinem Kopf saß eine große Ameise und funkelte es mit ihren Augen an. »Und wo ist der Mäuserich?« fragte das Mäuseken gespannt die große Ameise.
»Der sitzt doch gerade dir gegenüber in der Dachrinne und läßt den Schwanz auf die Straße hängen«, sagte die Ameise.
Wackelohr sah hinaus, und wirklich saß da drüben in der Dachrinne ein schöner Mäusejunge mit einem kräftigen Schnurrbart, ließ den Schwanz über die Rinne hängen und sah die Straße auf und ab. »Warum sitzt er denn da, du Ameise?« fragte Wackelohr. »Er kann doch fallen, und dann ist er tot.«
»Nun, er langweilt sich wohl so ganz allein«, antwortete die Ameise. »Da schaut er ein bißchen aus, ob er ein Mäuseken auf der Straße sehen kann.«
Wackelohr bat: »Ach, liebste Ameise, sage mir doch einen Weg, wie ich zu ihm kommen kann. Ich will dir auch all meinen Speck schenken.«
Die Ameise strich sich nachdenklich ihren kräftigen Unterkiefer mit den beiden Vorderbeinen, juckte sich mit den Hinterbeinen am Po und sprach: »Deinen Speck will ich gar nicht, ich esse lieber Zucker und Honig und Marmelade. Und einen Weg zu dem Mäuserich weiß ich auch nicht für dich. Ich gehe immer durch das Schlüsselloch, und dafür bist du doch zu groß.«
Wackelohr aber bat und bettelte, und schließlich versprach die Ameise, sich bis zum nächsten Abend zu überlegen, wie Wackelohr zu ihrem Mäuserich kommen könnte.
Am nächsten Abend traf Mäuseken die Ameise wieder in der Speisekammer und fragte sie sehr eifrig, ob sie nun wohl einen Weg wisse. »Vielleicht weiß ich einen Weg«, sagte die kluge Ameise, »aber ehe ich dir den sage, mußt du mir einen Zuckerbonbon schenken.«
»Ach!« rief Wackelohr klagend, »woher soll ich den denn nehmen? Der einzige Zuckerbonbon, von dem ich weiß, liegt auf dem Nachttisch von der Hausfrau. Den lutscht sie immer, wenn sie morgens aufwacht, damit der Tag ihr gleich süß schmeckt.«
»Nun, so hole den doch!« sagte die Ameise ganz kaltblütig.
»Den kann ich nicht holen«, rief das Mäuseken traurig. »In dem Schlafzimmer schläft auch die alte, böse Katze, die meine Eltern und Brüder und Schwestern geholt hat. Wenn die mich hört, mordet sie mich bestimmt.«
»Das mußt du wissen, wie du es machst«, sagte die Ameise ganz ungerührt. »Bekomme ich den Bonbon nicht, erfährst du den Weg nicht zu deinem Mäuserich.«
Da half Wackelohr kein Bitten und kein Weinen und kein Flehen, ohne den Bonbon wollte die Ameise ihr nichts sagen. Also ging Mäuseken auf seinen leisesten Pfoten aus der Speisekammer in die Küche, und aus der Küche in das Eßzimmer, und aus dem Eßzimmer in das Arbeitszimmer, und aus dem Arbeitszimmer auf den Flur. Auf dem Flur aber machte es seine Pfoten womöglich noch leiser und wutschte sachte, sachte, still in das Schlafzimmer.
In dem Schlafzimmer war es für Menschenaugen ganz dunkel, weil die Vorhänge zugezogen waren. Aber Mäuse haben Augen, die besonders gut im Dunkeln sehen können. Und so sah Wackelohr denn, daß – oh, Schreck! – ihre Feindin, die Katze, nicht schlief. Sondern sie lag auf einem schönen Kissen grade vor dem Bett, an dem das Mäuseken vorbei mußte, wenn es zu dem Nachttisch mit dem Bonbon wollte, dehnte und streckte sich und leckte das Maul, als wäre sie noch sehr hungrig.
Da konnte Mäuseken nicht anders: sie mußte vor Schreck quieken. Sprach die Katze: »Hier ist wohl eine Maus im Zimmer? Ich dachte, ich hätte alle Mäuse in diesem Hause längst totgemacht. Nun, wenn noch eine Maus da ist, werde ich sie gleich haben.« – Und sie streckte sich, um aufzustehen.
Da bat das Mäuseken in seiner Angst den Stuhl, unter dem es saß: »Ach, lieber Stuhl, knarre doch ein wenig. Dann denkt die Katze, es ist nur Stuhlknarren und kein Mäusequieken.« Und der Stuhl tat dem Mäuseken den Gefallen und knarrte ein wenig. Die Katze aber legte sich wieder hin und sprach: »Ach so, es hat bloß ein Stuhl geknarrt. Ich dachte schon, es wäre eine Maus. Aber wenn es bloß ein Stuhl ist, kann ich ja ruhig schlafen.« – Und damit streckte sich die Katze aus und schlief ein.
Was sollte Wackelohr nun tun? So direkt an der bösen Feindin vorbei zum Nachttisch zu gehen, dazu fehlte ihr der Mut. Sie fürchtete, sie würde vor Angst mit ihren Nägeln auf dem Fußboden klappern und damit die Katze aufwecken. Den Bonbon aber mußte sie kriegen, sonst erfuhr sie den Weg zum Mäuserich nicht. Da beschloß Wackelohr, über das Bett zu laufen und vom Kopfkissen auf den Nachttisch zu klettern. Das war wohl nicht so gefährlich, denn in dem Bett schlief die Hausfrau, und Menschen sind für Mäuse lange nicht so schlimm wie die Katzen, weil sie nicht so schnell wie die Katzen sind, und weil sie auch viel fester als Katzen schlafen.
Wackelohr machte sich also auf den Weg. Zuerst kletterte sie am Bettbein hoch, wobei sie sich mit ihren Krallen sehr festhalten mußte. Dann sprang sie ins Bett. Da hatte sie nun auf Decke und Kissen eine sehr weiche Straße, wo die Krallen nicht klappern konnten. Sie lief eilig voran, weil sie aber so eilig lief, paßte sie nicht auf, und so kitzelte sie mit ihrem langen Schwanze die Hausfrau grade unter der Nase.
Die mußte niesen, wachte auf, meinte, es sei die Katze gewesen, die schon manchmal ins Bett gesprungen war, und rief: »Gehst du weg, alte Katze!«
Davon erwachte die Katze, meinte, sie sei gerufen, und sprang mit einem Satze ins Bett. Darüber wurde die Hausfrau erst recht ärgerlich, schlug nach der Katze und rief: »Mach, daß du fortkommst, Störenfried!«
Die Katze aber verstand nicht, warum sie erst gerufen wurde und nun wieder nicht kommen sollte und nun gar geschlagen wurde, und miaute zornig. Davon wachte der Hausherr im Bett daneben auf und rief: »Ist die ungezogene Katze schon wieder im Bett? Na, warte, Ollsch!« Und er sprang auf, machte Licht, ergriff einen Pantoffel und fing an, nach der Katze zu schlagen, die jämmerlich schrie.
Bei all dem Geschrei und Gespringe und Geschlage und Miaue hatte Wackelohr längst den Bonbon ins Maul genommen, war vom Nachttisch gesprungen und durch die offene Tür wieder hinausgewutscht. Da saß sie, hörte sich den Lärm an und freute sich, daß ihre böse Feindin Schläge bekam.
»Siehst du wohl«, sagte die Ameise, als Wackelohr mit dem Bonbon im Maule ankam, »es war gar nicht so schlimm, man muß sich nur nicht so anstellen. Du hast doch nicht etwa ein Stückchen abgebissen?« Und sie sah den Bonbon mißtrauisch an. Aber der war in Ordnung; obwohl Wackelohr ihn im Maule getragen hatte, hatte sie nicht einmal mit der Zungenspitze daran gerührt. Nun wollte sie aber auch zum Lohn für alle ihre Mühe den Weg zu ihrem schönen Mäuserich wissen.
»Der ist ganz einfach«, sprach die Ameise. »Du weißt doch, oben auf dem Dachboden hält der Hausherr sich Tauben, die den ganzen Tag frei ein- und ausfliegen, soviel sie nur wollen. Bitte eine der Tauben, dich auf ihrem Rücken mitzunehmen – das sind freundliche Vögel, sie werden es schon tun.«
Dies schien dem Mäuseken ein guter Rat, und gleich schlüpfte es die Treppe hinauf in den Taubenschlag. Auch die Ameise ging eilends heim, denn sie wollte rasch all ihre Schwestern zusammenrufen, damit jede noch vor Morgen ein Stücklein Bonbon heimtrug.
»Ruckediguck – Guckediruck«, schwatzten die Tauben noch in ihrem Schlag, obwohl es schon ganz dunkel war. Sie besprachen sich, wohin sie am nächsten Morgen fliegen wollten, um Futter zu suchen. Im Garten am See waren Erbsen gelegt, aber es war die Frage, ob man sie bekam, denn dort trieb ein großer, gelber Kater sein Unwesen, der gar zu gerne Taubenbraten aß. »Guckediruck«, sagten die Tauben, »mit den Katzen wird es schlimmer und schlimmer – daß die Menschen solch wilde Tiere überhaupt noch dulden! Ruckediguck!«
»Das sage ich auch«, sprach die Maus höflich unter der Tür. »Mich hätte heute abend auch beinahe die Hauskatze erwischt, hätte nicht ein Stuhl freundlich für mich geknarrt. Das angstvolle Leben in diesem Hause ist mir ganz leid. Will nicht eine von euch so freundlich sein, mich morgen früh auf ihrem Rücken zum Hausdach drüben tragen?«
»Ruckediguck!« riefen die Tauben erschrocken. »Ein Dieb ist im Schlag. Sicher will er uns listig betören und nachher unsere Eier austrinken.«
Aber das Mäuseken redete ihnen gut zu, daß es keine böse Absicht auf die Eier habe, Eier auch gar nicht essen möge, sondern nur darum bitte, auf einem Taubenrücken zur andern Straßenseite getragen zu werden. »Ruckediguck«, sagten die Tauben da. »Wenn es so ist und du unsern Eiern nichts tust, so wollen wir dir wohl gefällig sein. Aber jetzt ist es schon spät, die Schlagtür ist zu – komm morgen mit dem frühesten wieder. Ruckediguck!«
Da bedankte sich das Mäuseken Wackelohr höflich und ging in seinem Loch unter dem Küchenschrank schlafen. Es träumte aber die ganze Nacht von dem schönen Mäuserich. –
Unterdessen hatte die Katze ihre Keile bekommen und war vor die Schlafzimmertür gesetzt worden, zur Strafe, weil sie der Hausfrau ins Bett gesprungen war. Da saß sie nun und ärgerte sich gewaltig, und alle Glieder taten ihr weh. ›Ich bin der Hausfrau doch nicht mit meinem Schwanz ins Gesicht gefahren, wie sie gescholten hat‹, sagte die Katze immer wieder zu sich. ›Wer kann das bloß gewesen sein?‹ Da fiel ihr ein, wie sie erst eine Maus piepen gehört, dann aber gemeint hatte, es habe nur ein Stuhl geknarrt. ›Vielleicht war es doch eine Maus, die mir diesen Streich gespielt hat‹, dachte sie. ›Ich will doch einmal im ganzen Hause nachsehen, ob ich eine Spur von ihr finde.‹
Damit ging sie auf sachten Sammetpfoten los und ließ ihre großen, grünen Augen leuchten wie Laternen, daß sie trotz der dunklen Nacht alles sehen konnte. Sie sah um jede Ecke und roch unter jeden Schrank, und als sie unter den Küchenschrank roch, sprach sie: »Ich finde, hier riecht es mäusisch. Ach, wie gut riecht das doch! Komm heraus, kleine Maus, wir wollen zusammen tanzen!« Aber die Maus hörte die böse Katze nicht, die sie auch nur fressen wollte; Wackelohr schlief fest in ihrem Loch und träumte von ihrem Mäuserich.
So ging die Katze betrübt weiter, als nichts auf ihre falschen Lockreden kam, und gelangte in die Speisekammer. In der Speisekammer aber war ein großes Getriebe und Gelaufe von vielen tausend Ameisen, die ihr Stück von dem roten Bonbon abbeißen wollten. Da machte die Katze ihre Stimme grob und schalt: »Was ist denn das hier für ein Gelaufe und Geschmatze mitten in der ruhigen Nacht, wo doch alles schlafen soll! Gleich macht ihr Räuber, daß ihr fortkommt!«
Die Ameisen aber hatten keine Angst vor der Katze, denn die Katzen fressen keine Ameisen, weil die Ameisen sauer schmecken, und die Katzen lieben das Süße. Das wissen die Ameisen. »Hihi!« riefen sie darum. »Hihi! Du alte, große Katze! Du läufst ja auch mitten in der Nacht herum, statt zu schlafen, da dürfen wir es wohl auch tun!«
»Bei mir ist das eine andere Sache«, sprach die Katze streng. »Ich bin vom Hausherrn als Nachtwächter bestellt, daß sich keine Diebe einschleichen. Was ist denn das für ein roter Bonbon, in den ich euch da beißen sehe? Mir scheint, der ist gestohlen.«
»Hihi!« rief die kluge Ameise. »Der Bonbon gehört mir, den habe ich für einen guten Rat bekommen.«
»Der Bonbon gehört auf den Nachttisch der Hausfrau«, sprach die Katze noch strenger. »Gleich sagst du mir, wer ihn dir gegeben hat, sonst nehme ich ihn dir weg. Wenn du mir aber die Wahrheit sagst, sollst du ihn behalten dürfen.«
Da wurde es der klugen Ameise um den schönen Bonbon angst, und sie verriet das Mäuseken und erzählte alles, was sie wußte. Die Katze aber wurde ganz aufgeregt, denn sie verstand nun, daß es das Mäuseken war, dem sie ihre Prügel zu verdanken hatte, und sie war sehr eifrig, die Ameise auszufragen. »Weißt du denn gar nicht, Ameise«, fragte sie schließlich, »wo das Mäuseken sein Loch hat?«
»Nein, das weiß ich nicht«, antwortete die Ameise. »Aber wir Ameisen können überall hinkommen, und nichts bleibt uns verborgen, außer was in der Luft schwebt oder im Wasser schwimmt. Ich will alle meine Schwestern ausschicken, so werden wir das Loch schon finden.«
Das geschah. Alle Ameisen wurden ausgeschickt, und schon nach einer kurzen Weile kam eine zurück und meldete, daß die Maus unter dem Küchenschrank in einem Loch liege und schlafe. »Das dachte ich mir«, sprach die Katze. »Da roch es vorhin schon so mäusisch.« Sie begaben sich also zum Küchenschrank, aber so sehr sich die Katze auch mühte, streckte und dünnmachte: der Spalt zwischen Schrank und Boden war zu klein, sie konnte nicht darunterkommen.
»Was machen wir nun?« fragte die Katze ärgerlich. »Kriegen muß ich die Maus, und sollte ich einen ganzen Topf meiner süßen Schleckermilch dafür geben!«
»Läßt du uns alle morgen früh von deiner süßen Schleckermilch trinken«, sprach die kluge Ameise, »so wüßte ich schon einen guten Rat.« Da versprach die Katze dies der Ameise hoch und teuer, und so sagte die Ameise: »Wir wollen eine meiner Schwestern schicken, damit sie das Mäuseken ins Ohr beißt. So wird es einen Schreck bekommen, hervorlaufen, und du hast es!«
Wie gesagt, so getan. Die Ameise wurde ausgeschickt, die Katze aber setzte sich sprungbereit vor den Schrank und ließ ihre Augen mit voller Kraft leuchten, damit es auch hell genug wäre, und sie die Maus gleich sähe. Sie warteten – eine Minute – zwei Minuten – drei Minuten, sie warteten noch länger – schließlich kam unter dem Schrank hervor die ausgesandte Ameise. »I, du Faule!« rief die kluge Ameise wütend, »hast du denn die Maus nicht erwecken können? Besitzt du denn gar keine Kraft mehr in deinen Beißkiefern und keine Säure in deinem Leibe, daß du eine jämmerliche Maus nicht aus ihrem Schlafe zwicken und zwacken kannst –!?«
Die Ameise aber berichtete, daß sie nach Kräften gebissen und Säure gespritzt habe, die Maus aber sei nicht aufgewacht. Da wurden andere Ameisen ausgeschickt, sie alle aber gingen umsonst: das Mäuseken wachte nicht auf. Das kam aber daher, daß die Maus in ihrem Loche auf der Seite schlief, so daß sie nur an ein Ohr heran konnten. Das Ohr aber, das oben lag, war das Ohr, das die Katze einmal bei ihrem mörderischen Überfall zerbissen und zerrissen hatte, wovon das Mäuseken ja auch Wackelohr hieß. In diesem Ohr hatte die Maus gar kein Gefühl mehr, und die Ameisen konnten beißen, soviel sie nur wollten – Wackelohr spürte nichts, sondern träumte ruhig weiter von ihrem Mäuserich.
Schließlich ging die kluge Ameise selbst, aber sie konnte auch nicht mehr verrichten als die andern und ging umsonst. Da kam sie wieder und sprach zu der Katze: »Das Mäuseken läßt sich nicht wecken noch rühren, soviel man auch beißt. Aber ich weiß einen andern Rat. Gibst du uns von deiner süßen Schleckermilch, wenn ich ihn dir sage?«
Die Katze antwortete: »Wenn ich die Maus kriege, sollt ihr süße Milch schleckern dürfen, soviel ihr nur wollt.«
Damit war die Ameise zufrieden und sagte: »Morgen mit dem frühesten wird das Mäuseken in den Taubenschlag gehen, um auf dem Taubenrücken zum Mäuserich zu fliegen. Lege du dich nur auf die Lauer und fang sie ab, so hast du sie!«
»Das ist ein guter Rat«, sagte die Katze. »Ich muß die Maus aber noch vor dem Schlag fassen, denn in den Taubenschlag einzutreten, hat der Hausherr mir streng verboten, und schlägt mich wohl tot, wenn er mich bei seinen geliebten Tauben erwischt.«
»Nun, du hast ja alle Zeit, die Maus auf der Treppe zu fangen«, sprach die Ameise. »Gute Nacht.« Und damit gingen sie zur Ruhe. Die Katze suchte sich ein schönes Kissen auf einem Sofa und schlief ein. Die Ameise aber setzte sich auf die Treppe, damit sie die Katze gleich am frühen Morgen an die versprochene Schleckermilch erinnern könnte.