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Werner Ehlen schildert in Fortführung seines Buches "Gedanken durch das Jahr" seine Überlegungen und Reflexionen zu alltäglichen Beobachtungen, ergänzt durch Erlebnisse aus seiner Zeit als Krankenhausseelsorger. Mal bunt wie die Steine des Umschlagbildes, mal bedächtig-zielstrebig wie die kleine Schnecke, die Spuren ihres Lebens hinterlässt. Ein Buch, das zum Mit- und Weiterdenken anregen will.
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Seitenzahl: 64
Veröffentlichungsjahr: 2020
Aaronitischer Segen
Adam und Eva
Ärztlicher Irrtum
Annahme
Christbaum
Christ-sein
Das größte Problem
Das Notwendige
Der Prophet gilt nichts im eigenen Land
Der Reichtum der Bibel
Der Segen Gottes
Ein Leben voller Brüche
Engagement
Erinnerungen
Gedenken
Geglücktes Leben
Geteiltes Leid ist halbes Leid
Glaube und Wissen
Glaubenserwartung
Glück
Gott liebt dich
Gott verherrlichen
Gottes Ruf an uns
Herr ich bin nicht würdig
Hoffnung
Hoffnungsbilder
Hoffnungsvision
Irrtum
Kirche
Leid und Sinn
Letzter Wunsch
Liebe mich
Notration
Oft ist es zu spät
Seelsorge in Notsituationen
Segen
Sorgen-Fasten
Sterben im Kreis der Familie
Sterben in Frieden
Story, not History
Theologie einfach
Todesahnung
Unfrieden
Verletzungen
Versöhnung
Verzweiflung und gutes Ende
Warum ich?
Weltgericht
Wunder
Zeitgeist
Zu guter Letzt
Dank
Verzeichnis der Bibelstellen
„Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig. Der Herr wende sein Angesicht dir zu und schenke dir Frieden.“ 1
Dies ist der sogenannte Aaronitische Segen. Er heißt so, weil Moses im Namen Gottes den Aaron damit beauftragt, die Israeliten mit diesen Worten zu segnen. Sie ist wohl eine der bekanntesten Segensformeln – sicher nicht zuletzt, weil sie die Zuwendung Gottes im Segen so gut beschreibt.
In der Bibel finden wir ihn im Zusammenhang des Auszugs aus Ägypten, bzw. des Einzugs ins gelobte Land. An dieser zentralen Stelle der Alten Testaments, in der es sozusagen drunter und drüber geht – die Israeliten werden hin und her geworfen zwischen dem Vertrauen auf Jahwe und der Verzweiflung in der Wüste – sagt Gott den Priestern, wie sie seinen „Namen auf das Volk legen sollen“. Der Name Gottes, das war in der Vorstellung der Völker zur Zeit des Alten Testaments nicht einfach eine Bezeichnung – der Name Gottes war wirkmächtig, mit ihm konnte man zaubern, Gutes wie Schlechtes bewirken. Deshalb weigert sich Gott auch, seinen Namen am brennenden Dornbusch zu nennen – die Bezeichnung Jahwe ist ja kein Name, sondern eine Umschreibung, „nur“ die Zusage „Ich bin da“. Und nichts anderes sagt auch dieser Segen aus: Gott ist mit seinem Segen bei uns, was nicht im Sinne von Zauberei bedeuten kann, dass wir mit seinem Segen im Lotto gewinnen, nie krank werden oder gar nicht sterben werden müssen. Aber in dem Pech, schon wieder nichts gewonnen zu haben, in Krankheit, sogar im Tod wird sich Gott als der Begleitende, der da-Seiende erfahren lassen. Sehr schön ausgedrückt ist dies für mich in der nachfolgenden Ausformulierung des Aaronitischen Segens:
Der Herr segne dich und behüte dich.
Er wird dich nicht vor Leid und Schmerz bewahren, aber in Leid und Schmerz wird er dich bewahren, dass dein Leben Bestand hat.
Der Herr lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir gnädig.
Hell vor Freude ist sein Gesicht, wenn er dich ansieht. Voller Liebe sieht er auf die hellen und auch die dunklen Seiten deines Lebens.
Der Herr wende dir sein Antlitz zu und schenke dir Frieden.
Er wendet sich nicht ab von dir, was immer auch geschieht. Er garantiert dir nicht dauerndes Glücklich-sein, aber in aller Zerrissenheit ist er bei dir.
Wohl jede und jeder kennt die Paradieserzählung aus dem Alten Testament, die Geschichte des Sündenfalls, in der Eva den Adam verführt. Ich halte diese Geschichte für eine der spannendsten, faszinierendsten Geschichten der Bibel.
Spannend, weil sie uns Wichtiges über die Bibel sagt, spannend, weil sie uns einiges über uns Menschen und wie wir mit Schuld umgehen, vor Augen führt und faszinierend, weil wir selbst etwas so Brandaktuelles wie fake news schon in unserem scheinbaren Bibelwissen finden können.
Fangen wir mit dem letzten an: Ich glaube, jeder von ihnen „weiß“, dass Eva den Adam dazu verführt hat, einen Apfel zu essen; und das, obwohl im ganzen Buch Genesis das Wort Apfel nicht einmal vorkommt. Schuld an dieser fake-news-Geschichte, die das, was in der Bibel steht, dadurch extrem verharmlost, sind die mittelalterlichen Maler, die diese Szene gerne dargestellt haben – und was gäbe es Schöneres und zugleich Bekannteres in der damaligen Zeit als einen rot leuchtenden Apfel? In der Bibel lesen wir nur von der Frucht des Baumes, und im Kapitel vorher erfahren wir auch, um welchen Baum – besser Bäume, von denen Adam und Eva nicht essen durften – es sich handelt. Es sind der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, und der Baum des Lebens. So wird auch die ansonsten etwas dümmliche Frage Gottes „Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist“ 2 verständlich: Bevor Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse essen, ist es für sie ganz natürlich, nackt herumzulaufen, so etwas wie Scham gibt es noch nicht.
Die Vertreibung aus dem Paradies ist so auch keine Strafe Gottes für das Essen eines Apfels – noch lächerlicher könnte man sich Gott ja fast nicht vorstellen – sondern eine logische Konsequenz: Indem der Mensch in seiner Menschwerdung ein Empfinden für richtig und falsch, Gut und Böse entwickelt, vertreibt er sich sozusagen selbst aus dem Paradies des Nicht-wissens.
Damit taucht aber automatisch auch die Schuldfrage auf, und auch hier zeigt uns der Text der Lesung exemplarisch auf, wie Menschen damit umgehen: Sie suchen die Schuld meistens nicht bei sich selber, sondern schieben sie anderen zu:
Adam gibt Eva, bzw. eigentlich Gott selbst die Schuld an seinem Versagen, indem er sagt, „Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen“ 3, und auch Eva schiebt die Schuld wieder weiter:
„Die Schlange hat mich verführt. So habe ich gegessen.“ 4
Dass sich daran bis heute nichts geändert hat, erleben wir tagtäglich: Schuld wird wie in der Bibel weitergeschoben, verharmlost, nicht eingestanden. Dass es auch anders geht, hat die Bischöfin Margot Käßmann gezeigt, als sie nach ihrer Autofahrt unter Alkoholeinfluss praktisch sofort ihre Schuld öffentlich eingestand und von allen Ämtern zurücktrat. Eine rühmliche Ausnahme, für die ich aber bis ins Jahr 2010 zurück suchen musste – schlimm genug.
Wie immer erzählt uns die Bibel in der Sündenfallgeschichte nichts, was in grauer Vorzeit geschehen wäre, sondern eine Weisheitsgeschichte für unser heutiges Leben.
Ich werde zu einem 80jährigen Mann gerufen, bei dem die Ärzte die Angehörige haben holen lassen, weil er in der nächsten Stunde sterben wird. Wir haben im Kreis der Familie Abschied genommen, gebetet – es war alles sehr stimmig, gut so. Nach fast drei Stunden musste ich mich verabschieden, hörte in den nächsten Tagen, dass er noch immer lebt. Viele Erklärungsversuche gab es dafür, dass er nicht sterben konnte. Sein Sohn hatte einen Unfall gehabt, schwebte zwischen Leben und Tod. Wollte er – unbewusst und ohne Bewusstsein - noch abwarten, wie es mit seinem Sohn weiterging? Jedenfalls wurde er eine Woche später bei vollem Bewusstsein entlassen, lebte zumindest ein halbes Jahr später noch immer. Sicher ein Einzelfall, aber schön, dass auch Ärzte sich manchmal irren!